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Kriminalroman mit hoch spannendem Inhalt. Zwei Geschäftsfreunde haben viele Gemeinsamkeiten bis einer des anderen Frau für sich beansprucht. Die Freundschaft zerbricht und das Trio gerät in einen Wettlauf, wer wen als ersten beseitigen kann. Schließlich kann nur einer gewinnen - und dann aber gleich alles.
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Seitenzahl: 630
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die verborgenen, dunklen Seiten im Menschen. Auch seine leuchtenden werden gewürdigt.
Ich gestehe und versichere jeder verehrten Leserin und jedem geehrten Leser, dass mich mein Textaufbau als auch meine Ausdrucksweise als echten Pfälzer ausweisen.
Der Autor Kurt Koch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Epilog
Es war halb zwei Uhr am Nachmittag. Donald Kaffitz hatte jetzt Feierabend. Aus seiner Sicht war es der einzige Vorteil seiner festen Anstellung, eben diese besondere Arbeitszeitregelung.
Sein Arbeitsplatz war in einem Recyclingbetrieb mit Müllabfuhr.
Der Tag begann für ihn bereits sehr früh und seine ganze Beschäftigung reduzierte sich darauf, in kurzer Zeit die Müllmänner mit ihren Fuhren einzuteilen. Zu disponieren. Im Großen und Ganzen existierte ja dieser Plan. Insofern hätte er sich zurücklehnen können, alles hätte wie programmiert laufen müssen. Aber es war fast jeden Morgen das Gleiche. Es fehlte dieser und jener aus der Belegschaft, es gab Krankmeldungen oder ein eingeplanter Platz blieb einfach unbesetzt, weshalb auch immer. Dazu bestand der größere Teil der Belegschaft aus Ost- und Südosteuropäern, durchweg mit recht dürftigen Kenntnissen der deutschen Sprache. Theoretisch waren diese für die Abholung der deutschen Abfälle auch gar nicht erforderlich. Aber, wie das so ist!
Wenn dann doch wieder alle auf Achse waren, saß er am Telefon und hörte sich die Beschwerden der Müllkunden an: ...Sauerei, da ist wieder etwas vom Sondermüll liegengeblieben, scheinbar vollgeschissene Windeln ... der Nachbar schmeißt Zeitungen in den Hausmüll ... meine Plastiksäcke liegen noch da, wo ich sie hingestellt hatte und wo sie immer stehen ... die platte Katze liegt seit gestern, kommt die in den Sondermüll oder in die Biotonne ... können Ihre Männer nicht einmal weniger Lärm machen oder nicht schon um sechs Uhr da sein ... ich habe keinen Behälter mehr für Papier ... ich sehe nicht ein, weshalb ich Strafe zahlen soll ... ein Scheißausländer hat in der Früh zu mir gesagt, ich solle ihn am Arsche lecke, wieso kommt der Kerl dazu mich zu duzen? ...
Hin und wieder musste ein Kollege aushelfen.
An so manchem Tag schlich sich bei Donald so etwas wie eine depressive Stimmung ein, oder Frustration. Immer wieder drehten sich seine Gedanken um seine berufliche Zukunft. Ausgehend von der brutalen Gegenwart, so wie er sie sah, konnte er keine echten und zufriedenstellende Perspektiven erkennen.
Wieso er auf diesem Posten gelandet war, konnte oder wollte er nicht mehr im Einzelnen nachvollziehen. Doch allzu oft war er auch nicht imstande diese negativen Gedankengänge einfach auszublenden. Eigentlich hatte er sich eine akademische Laufbahn vorgestellt. Ja, und jetzt saß er hier. Wieder und wieder fragte er sich, ob er resigniert habe und fand dazu keine zufriedenstellende endgültige Antwort.
Er hatte anderthalb Semester Archäologie, dann wurde er krank, danach zwei Semester Philosophie, und schließlich versuchte er Jura zu studieren. Dieses Studium konnte er aber nicht einmal beginnen. Ungern dachte er an die damit zusammenhängenden bitteren Erfahrungen. Dann hatte er einmal wieder einen Gelegenheitsjob, eben den aktuellen und da blieb er dann auch hängen. Bis jetzt. Und wohl auch länger. Wenn nicht eines Tages der Müll abgeschafft werden sollte. Und das Recyclen.
Dass es mit einem angestrebten Verwaltungsposten, mit der Aussicht auf eine Beamtenlaufbahn, nicht funktioniert hatte? - weiß der Teufel warum. Oder waren es doch seine zu kurzen Beine? Oder weil er eine leichte Paralaxenverschiebung hatte. Am liebsten redete er sich ein, dass es nicht an seiner Qualifikation gelegen haben konnte. So ein bisschen hielt er noch die Hoffnung am Köcheln, dass er es eines Tages doch noch aus dieser Tretmühle mit dem unangenehmen Beigeschmack herausschaffen würde.
Sicher, er wusste um eine seiner weiteren Schwächen. Es fiel ihm schwer Freundschaften zu schließen. Es blieb ihm diesbezüglich nichts weiter übrig als dieses Manko durch eine „leckmich-amArsch-Einstellung“ zu seinen Gunsten abzufedern. Er war zu einem Einzelgänger geworden. Er wandte sich von den Menschen ab und den Vögeln zu.
Fast jeden Nachmittag, sofern es das Wetter erlaubte, war er mit seinem Hobby als Ornithologe beschäftigt, als Hobbyoder wie er sagte, Amateurornithologe. Eine sehr gute Kamera mit einem ausgezeichneten Tele-Zoomobjektiv sowie ein leistungsfähiges Fernglas, das war seine technische Ausstattung. Er besaß einen Tarnanzug und dazu passend eine Art Helm an dem Blätter und Gras aus Kunststoff klebten und hingen. Den hatte er selbst gebastelt. Sein Gesicht war nur im Augenbereich einen Streifen frei, damit er mit der Kamera ungehindert arbeiten konnte.
Für heute hatte er seit einiger Zeit einen besonderen Plan entwickelt, wieder vorausgesetzt das Wetter spielte mit.
Gegen drei Uhr am Nachmittag landete er mit seiner Arche, einem recht kleinen, kaum 2,50 Meter langen Boot, nach einer kurzen Ruderpartie auf der See Insel, einem Privatgrundbesitz. Der angesehenste, einflussreichste und wohl auch reichste lokale Sportverein war der Eigentümer. Ganze sieben Schilder waren rund um die ca. drei oder auch etwas mehr Hektar große Insel aufgestellt. Und es wurde darauf hingewiesen, dass die komplette Insel als Vogelschutzgebiet ausgewiesen ist - Betreten somit aus zweifachem Grund verboten.
Das Ruderboot hatte er im Schilf an seinem Stammplatz versteckt und nahm jetzt den altvertrauten Pfad, der durch das Ufergestrüpp weiter ins Innere der Insel führte. Bald war er in dem hauptsächlich von Birken, Erlen, Haselsträuchern und Weiden bewachsenen Inselteil unterwegs. Hier kannte er von seinen häufigen Besuchen jeden Strauch und jede Hecke im Unterholz. Er war daher in der Lage sich geräuschlos zu bewegen. Das bildete er sich wenigstens ein.
Nun zog er noch seinen Tarnanzug an und stülpte sich den selbstgebastelten Kopfschutz über. Sein Gesichtsfeld war zwar dadurch etwas eingeengt, aber für Beobachtungen, bei denen er sich absolut still verhalten musste, perfekt geeignet. In der warmen Sommerluft bereitete er sich gedanklich auf eine Schwitztour vor. Von jetzt an würde er sich sehr vorsichtig bewegen, um so nahe wie möglich an den erst Vorgestern aufgespürten Nistplatz zu kommen. Vier Jungvögel wurden dort von ihren Eltern betreut. Bei den zu beobachtenden Fütterungen, würde er wieder glückliche Momente erleben und Hochgefühle bekommen. Er glaubte sich dann dieser Familie mit ihren Glücksmomenten zugehörig zu fühlen. In der Natur und mit der Natur.
Fortan bewegte er sich mit noch größerer Vorsicht. Jeden Schritt setzte er mit aller Behutsamkeit und Vorbedacht. Kein trockener Zweig durfte knacken. So hoffte er auch, dass diesmal kein Eichelhäher oder eine aufmerksame Amsel ihn erspähte und Alarm schlug. Gerade diese beiden Spezies hatten ihm schon so manchen Schnappschuss vermasselt. Wenn die mit ihren schrillen Warntönen aufflogen, schalteten alle anderen Waldtiere, besonders die Vögel, auf höchste Alarmstufe.
Er wollte seine Lieblinge bei der zweiten Aufzucht dieses Jahres keinesfalls erschrecken.
Links müsste sich jetzt der winzige Strand befinden. Hierher kamen hin und wieder Mitglieder aus dem SSSV - dem Segel und Schwimm-Sport-Verein, der, wie bereits genannt, gleichzeitig Eigentümer der Insel war. Er würde es, wie immer vermeiden, von möglichen Besuchern gesehen zu werden. Dafür hatte er sich einen Umgehungspfand ertrampelt. Trotzdem musste er vorsichtig sein. Er befand sich ja illegal auf fremdem Eigentum. Er wollte, er durfte nicht von Strandbesuchern aus dem Sportclub gesehen werden.
Er blieb stehen, um seine Kopfbedeckung mit dem Sehschlitz so auszurichten, damit er diesen „Strand“ unbehindert einsehen konnte.
<Wie fast immer>, wollte er sich schon einreden, sich selbst zusichern - niemand da. Doch die Wirklichkeit war diesmal eine andere.
Er duckte sich, machte sich noch kleiner, als er mit seinen einmeterdreiundsechzig ohnehin war. Vorsichtig zog er sich den Maskenhelm vom Kopf. Denn was er wahrgenommen hatte, durfte eigentlich gar nicht wahr sein. Vielleicht hatte ihm die doch etwas eingeengte Übersicht einen Streich gespielt.
Doch, er sah es wirklich. Da hatten zwei nackte Menschen in einer typischen tierischen Stellung heftigen Geschlechtsverkehr - <die ficken>, sagte er halblaut und erschrak über seine eigene Stimme. Er hatte Sicht auf die volle Breitseite des hektischen Geschehens.
Der Herr hinter der gebückten Dame hielt jene um die Hüfte gefasst. Komisch, dass ihm als nächstes auffiel, wie der Mann kostümiert war. Aber nein, es war ja seine Körperbemalung. Was auch nicht ganz stimmte, denn er schien mit Rotwein eingerieben. So ein Quatsch, dachte Donald, es war doch offensichtlich mehr das Ergebnis eines Sonnenbrandes. Der Teil seines Körpers, der sich jetzt stoßweise heftig hin- und herbewegte, leuchtete wie ein breiter weißer Streifen. Der Rest des einsehbaren Körpers war, nun ja, wie Rotwein oder vielleicht auch in Richtung Tomatensaft.
Donald schüttelte diese mehr absurden Gedankengänge ab und rief sich zur Ordnung.
Zunächst regte sich etwas zwischen seinen Beinen. Er wollte schon zugreifen, war dabei seinen Hosenschlitz aufzuknöpfen, um die aufreizende Szene für einen kurzen Geschlechtsverkehr mit sich selbst zu nutzen. Doch er hielt mit seinem Fummeln am Schlitz inne und auch die aufreizenden Gefühle streifte er ab. Spontan hatte sich nämlich, quasi im Bruchteil einer Sekunde, eine fantastische Idee entwickelt. Klar und deutlich erkannte er die Chance, die ihm die beiden Kopulierenden anboten, ja beinahe aufdrängten. Einer warnenden inneren Stimme verwehrte er kategorisch Zugang zum Sitz seiner Vernunft.
Rasch entwickelte sich die Idee zu einem vorläufigen, grob gerasterten Plan. Der passte ihm ins Konzept.
Nun ja, nicht zögern, spornte er sich selbst an.
Er nahm die digitale CANON 7D hoch und schaltete sie auf Bereitschaft. Er nahm die Abdeckung von der Zoom-Optik, schaltete die Funktion für schnelle Bildfolge ein und ging in Schussstellung. Unbehindert von den hängenden und baumelnden Tarnobjekten schaltete er die automatische Entfernungseinstellung aus. Er wusste aus Erfahrung, dass diese normalerweise Probleme machte, wenn sich zwischen dem Motiv und der Kamera etwas befand, das die sonst sichere Automatik irritierte.
Schnell drehte er an der Scharfeinstellung und fokussierte das rammelnde Paar. Gerade als er auf den Auslöser drückte, bemerkte er, wie sich die Frau umdrehte, sich dem Bock hinter ihr zuwandte und damit ihr Gesicht auch in Richtung seiner Kameraoptik drehte. Diese Bewegung war wie bestellt. Die Kamera machte in rascher Folge fünf Aufnahmen pro Sekunde. Er bekam so ihr komplettes Gesicht in unterschiedlichen Ansichten auf den Speicher. Er wusste, dass er aus dieser Entfernung mit der fantastischen Optik und nach dem Bearbeiten der Aufnahme, jedes Fältchen in ihrem Gesicht erkennen würde. Vorausgesetzt es gab da welche.
Schnell stellte er auf Gesamtbild.
Den Begatter nahm er sich dann gesondert vor und schoss einige Serienbilder von seinem Profil in Großaufnahme. Na, Potz-tausend, sagte er zu sich, es war einer seiner Lieblingsausdrücke. Diese Bilder würden sich, mussten sich sogar als einträglich herausstellen? Was dann? Es erschien ihm, ohne weiter darüber nachzudenken, logisch, dass sich hierher nicht ein Ehepaar begab, um diese Sexpraktik auszuüben.
Diese beiden waren darauf aus nicht entdeckt zu werden, ungesehen zu bleiben, das hielt er für ausgemacht. Nicht aus moralischen Überlegungen heraus, sondern aus verabscheuungswürdigen Gründen. Einschließlich Ehebruch. Dementsprechend musste sich aus dieser Situation, aus diesem zumindest gesellschaftlich unkonventionellen Fortpflanzungsvorgang, Kapital schlagen lassen. Ein gewisses Hochgefühl durchlief seinen Körper. Volltreffer - Glück gehabt - das waren Ausdrücke, die durch seinen Kopf geisterten. Und: <Ich müsste mir auf die Schulter klopfen>.
Glückselig wiederholte er fast lautlos noch mehrmals - Volltreffer - Volltreffer.
Donald nahm die Kamera aus dem Gesicht. Jetzt schaute er mit seinem geübten Auge für Details nochmals genauer hin und erkannte korrekt, dass beide nicht gerade ihren ersten Frühling auslebten. Der Kerl sah zwar sportlich aus, und schien es auch zu sein. Der Art nach, wie er sich bewegte, war er aber sicher nicht weit von den vierzig entfernt. Bei der Dame konnte er sich noch kein Urteil bilden. Aber, so kombinierte er, wenn etwas gegen die bürgerlichen Konventionen ablief, dann durfte er auf Anerkennung in Form einer formidablen Belohnung rechnen können. Der Begriff faszinierte ihn. Belohnung gleich Erpressung, gleich leichtes Geld - eine liebenswerte Aussicht.
Er schoss noch ein paar Bilder, als der Mann in eine Art Schockstarre zu fallen schien. Aber er lebte, denn sein Stöhnen und Grunzen drang bis zu seinem Versteck.
Beide Akteure ließen sich nun auf eine textile Unterlage sinken. Noch ein flüchtiger Kuss, dann lagen beide, ohne jedes Bekleidungsstück, Gesicht an Gesicht. Diese Position war für Aufnahmen nicht mehr ergiebig. Er wollte und musste jetzt vorsichtig und wieder absolut geräuschlos den Rückzug antreten. Diesmal aber nicht um keine Vögel zu erschrecken. Um seine jetzt neu aufgeflammten und verstärkten, kaum noch zu unterdrückenden Gefühle in der Lendengegend, würde er sich in angemessener Entfernung kümmern. Er musste sich situationsbedingt und in Ermangelung besserer Alternativen mit Handarbeit zufriedengeben. Als Einzelgänger hatte er da seine Übung und eine solch passende Wichsvorlage wurde ihm nicht jeden Tag geboten.
Er beschäftigte sich dann wiederholt noch eine Weile mit sich selbst, doch dann drängte es ihn an seinen PC zu kommen.
So gegen sechs Uhr hatte er die Bilderserie auf eine neue Datei aufgespielt, die er bezeichnenderweise mit „Glücksfall“ titulierte.
Dann rief er Photoshop auf und begann mit dem Bearbeiten jedes der Bilder. Und wie er so mit dem Bearbeiten beschäftigt war, kamen schon wieder diese Gefühle, die ihn schon auf der Insel so intensiv in Wunschträume versetzt hatten. Potztausend - die Bilder würden ihm nicht davonlaufen. Er musste sich schon wieder mit seinen aufbegehrenden Hormonen beschäftigen.
Doch dann erkannte er auch, dass er fantastische Fotos geschossen hatte. Endlich schien er zufrieden mit sich selbst. Was er im ersten Moment gar nicht bemerkt hatte, erwies sich als ein wirklich ausgesprochener Glücksfall. Die Sonneneinstrahlung war einmalig. Das Lichtspiel, die Beleuchtung ideal. So etwas passierte nur alle Schaltjahre einmal, wenn er seine geliebten Vögel fotografierte. Selten, wenn er sich einmal die Zeit nehmen konnte, um in aller Ruhe eine ideale Bildeinstellung vorzunehmen. Schließlich waren die Vögel keine geduldigen Motive.
Er trällerte jetzt leise vor sich hin - Vögel - vögeln - gevögelt - vö....
Stopp, befahl er sich, er musste ja jetzt so schnell wie möglich einen Plan entwickeln.
Zunächst musste er feststellen, wer der liebestolle Herr und die servile Dame waren. Wenn die beiden, wie er hoffte und vermutete, eben kein legitim verbundenes Paar waren, dann würde er wirklich seinen Volltreffer gelandet haben und auskosten können. Dann waren die beiden auch Mitglieder im SSSV und in diesem Club waren nur Leute, die es sich leisten konnten, dabei zu sein. Teil dieses exklusiven Vereins zu sein. Das bedeutete, man hatte so seine Verpflichtungen, die im Jahresverlauf ganz schön ins Geld laufen konnten.
Und die würden sich unter bestimmten verpflichtenden Umständen auch ein- oder vielleicht auch mehrmals von einem Teil ihres Reichtums trennen können. Dies umso lieber, wenn sie damit ihren guten Ruf, ihren doch so oft nur vorgetäuschten untadeligen Lebenswandel zur Schau stellen oder gegebenenfalls auch retten konnten. Oder vor den Freunden und Bekannten weiterhin die aufgebaute Scheinheiligkeit wahren konnten.
Es würde keine armen Schlucker treffen.
Und in diesem Club musste er Näheres über die Identität der beiden erfahren.
Und wenn es dann doch nur, er dehnte und betonte dieses kleine Wörtchen - nuuur - ein Ehepaar war. Nun, dann würde sich sicher auch etwas machen lassen. Es würde ihm etwas einfallen, da kannte er sich viel zu gut. Mit leeren Händen würde er, nach seinen Vorstellungen, sicher nicht dastehen. Immerhin, welches Ehepaar aus der „besseren Gesellschaft“ würde es sich leisten können mit diesen Bildern in die Öffentlichkeit zu geraten?
Zunächst ließ er auf seinem Drucker die besten Porträts in A4 Format ausdrucken. Es waren gestochen scharfe Bilder, in wunderbarer Farbe, er begeisterte sich.
Keine professionelle Pornopublikation hätte diese Darstellung besser in Szene setzen oder sie sich ausdenken können. Donald schloss die Augen und schwelgte in einem wundervollen Gedankenfluss. Dabei sah er eine regelrechte Flut von Geldscheinen auf sich zukommen.
Diplomingenieur Hanns-Peter Zwanziger brauchte sich die Ausgaben für die jährlich im Stadion seines Profi-Fußballvereins angemietete VIP-Loge nicht am Munde abzusparen. Sein Betrieb, eine Präzisionsgießerei mit zurzeit 68 Beschäftigten, lief gut. Er hatte die Firma, als Nachfolger seines Gründervaters, zu einem modernen, profitablen Unternehmen ausgebaut. Seit Jahren war die Kapazität, durchweg von Stammkunden, bestens ausgelastet.
Im siebten Heimspiel der Saison führte jetzt sein Club in der Halbzeit mit zwei zu null. Er unterhielt sich prächtig mit seinen heutigen Gästen, einem Immobilienmakler, einem Notar, einem Zahnarzt und dem Manager einer großen Bankfiliale vor Ort.
Britta, seine 33-jährige Frau Brigitte, hatte gebeten sie für heute zu entschuldigen, sie fühlte sich nicht in der Stimmung diesmal dabei zu sein. Hanns-Peter war 12 Jahre älter und, so wie es schien, im siebten Jahr glücklich, aber bisher kinderlos verheiratet.
Britta hatte es in einem gewaltigen Karrieresprung vom Sekretärinnenstuhl ins Chefbett geschafft. In ein gemeinsames Ehebett mit dem Chef, dem jetzt ehemaligen Chef.
Gewiss, sie hatte ihre Flausen, aber Hanns-Peter wollte ihr ganz bewusst Freiheiten zugestehen. Sie sollte sich als Chefgattin nicht verbiegen müssen. Bisher hatte sie Verpflichtungen in ihren neuen Kreisen bestens wahrgenommen. Nun ja, auch mit ein paar Einschränkungen. Er hatte sie aber bisher alle noch großzügig übersehen können. So fasste er ihre von ihm entdeckten Schwächen als Teil ihrer Persönlichkeit auf. Die einzuschränken, dazu wollte er sich nicht entscheiden und, so definierte er für sich, glaubte er sich auch nicht aufraffen zu können. Umfassende oder prägende Erfahrungen mit Frauen konnte er zum Zeitpunkt seiner Heirat nicht in die Ehe einbringen.
Hätte er sie gehabt, würde er sicher heute gar manche ihrer „Launen“ ganz anders interpretieren wollen.
Aber heute war sie eben indisponiert, unpässlich, wie sie ihm erklärt hatte. Trotz allem, das rechnete er ihr hoch an, wollte sie ihrem gemeinsamen Freund, einem Sportbekleidungsgroßhändler, bei einer außergewöhnlichen Inventur zur Hand gehen. Und die war auch der Grund, weshalb Freund Wolfgang, kurz Wolle genannt, heute nicht, wie sonst üblich als Stammgast, mit von der Partie in der VIP-Loge war.
Wolfgang Willenbacher hatte sich in der letzten Saison mit einem gewaltigen Posten Bekleidung, einer vermeintlichen umwerfenden Modeserie, verspekuliert. Der Trend war dann an ihm vorbeigelaufen und das hatte ihm einen enormen Verlust eingebracht. Damit seine Banken nicht das ganze Ausmaß der Fehlleistung mitbekamen, half ihm sein bester Freund Hanns-Peter mit einem Privatdarlehen aus der Klemme. Es entstand so eine stille Einlage in der Firma Willenbacher.
Für eine Zwischenbilanz wollte Wolle nun heute Inventur machen und Britta half ihm dabei. Hanns-Peter sah darin nichts Ungewöhnliches. Man half sich. Wozu hatte man Freunde? Und seine Frau stand Wolle, trotz ihrer Verstimmung, sachlich hilfsbereit zur Seite. War doch völlig o.k. Einen flüchtig auftauchenden bösartigen Gedanken schob er flugs und energisch zur Seite. Was nicht sein durfte konnte auch nicht sein - oder war es umgekehrt? Wozu hat man Freunde?
Das Spiel wurde wieder angepfiffen, Hanns-Peter ließ schon mal drei Flaschen Schampus kaltstellen. Bei einem zwei zu null war das Risiko noch einen draufzubekommen, relativ gering. Wozu hatte man vor drei Spieltagen den Trainer gewechselt? Auch er, Hans-Peter hatte, obwohl nicht stimmberechtigt, im Vorstand, dafür plädiert.
Vorstandsmitglied war er im SSSV, dem Segelsport und Schwimmverein. Man hatte ein schönes, repräsentatives Clubhaus direkt am See mit eigenem exklusivem Strand, einer angemessenen Marina für die Segel- oder auch Motorbootbesitzer und einige andere teuren Einrichtungen. Es war sehr schwer in diesem Club Mitglied zu werden. Dass dies so blieb, sorgten unter anderem die namhaft gut betuchten und in der Stadt einflussreichen Vorstandsmitglieder. Jeder neue Bewerber musste ein zweifelsfrei gepolstertes Privatkonto vorweisen können und auch zwei Bürgen stellen.
Seiner Frau hatte Hanns-Peter versprochen um sieben Uhr zu Hause zu sein. Man sollte sich aufeinander verlassen können, meinte sie. Immer pünktlich sein. Die vereinbarte Zeit einhalten. Besonders im eigenen Haushalt. Wie sie es selbst erklärte und darauf bestand, war es einfach eine ihrer guten Angewohnheiten, vielleicht auch eine Marotte aus ihrer Sekretä-rinnenzeit. Es war ein Ritual, das sich schon seit ein paar Jahren gut eingespielt hatte. Und es war ausgesprochen Brittas energisch unterstrichener Wunsch - man gehöre zusammen und sollte damit auch das Leben gemeinsam gestalten. Dazu gehörte Zuverlässigkeit. Auf den Partner sollte Verlass sein. Was immer sie darunter verstehen mochte und einen Zusammenhang mit seinem, wie immer vereinbarten pünktlichen und vorhersehbaren Nachhausekommen einschloss. Nein, er sah in diesem Verhalten nichts Anrüchiges.
Hanns-Peter dachte dann auch nicht weiter nach. Er bildete sich aber ein und akzeptierte es stillschweigend, dass dies in ihrem Erfahrungsschatz fest verankert war. Schließlich hatte sie es ja selbst miterlebt, dass doch ein Chef bei einem über die betriebliche normale Arbeitszeit verlängerten Aufenthalt in manche Versuchung geraten konnte. Wenn er Überstunden (wollen) machen musste oder sonst wie unvorhergesehene, dringende Geschäftsabläufe als Ausrede für verspätetes Heimkommen seiner Gattin und hier ex-Sekretärin auftischen würde, konnte das ein Vertrauensproblem hervorrufen. Oder, zumindest die Familienharmonie recht nachteilig beeinflussen.
Britta, so schien es ihm wenigstens, hatte genau darauf angespielt, als sie auf die Einhaltung dieser Pünktlichkeitsregeln bestand. Als ehemalige Chefsekretärin konnte sie da ja, auf einschlägige Erfahrungen zurückgreifen. Dabei dachte er sich nichts Nachteiliges. Schließlich begann es genauso zwischen ihnen. Er der ledige Chef und sie die Chefsekretärin, die für eine bestimmte Art von Überstunden ganz gern zu haben war. Er natürlich auch. Aber das war ja Vergangenheit. Und diese sollte nicht mehr angetastet werden. Beide hatten sich seither an diese Abmachung gehalten.
Dass sie für ihn ihren jahrelangen Freund sausen ließ, verschaffte ihm, zumindest damals, Genugtuung. Er fühlte sich als Sieger in einem, für ihn weitgehend unsichtbaren Kampf der natürlichen Auslese. Das Weibchen wählte eben den Stärkeren. Und finanzielle Sicherheit bedeutete eben auch eine hervorgehobene soziale Absicherung mit mancherlei Machtbefugnissen.
Heute dachte Hanns-Peter nicht mehr an solche Feinsinnigkeiten oder wollte nicht mehr daran denken. Das eheliche Leben hatte sich nach einer gewissen Gesetzmäßigkeit weiterentwickelt. Es ergaben sich immer wieder einmal Situationen, in denen sie wie aneinander vorbeilebten. Offenbar nahmen es beide Partner als ein Ergebnis gewisser eingefahrener Lebensweisen kritiklos hin.
Hanns-Peter fand bei seiner Heimkehr an diesem frühen Samstagabend seine Frau bereits im Schlafzimmer. Wie nebenbei kommentierte sie, dass der Tag doch anstrengend gewesen sei. Er möge doch bitte ihren Ermattungszustand entschuldigen. Wenn er noch gesellschaftliche Verpflichtungen habe und ausgehen müsse, dann bitte ohne sie. So leid es ihr auch tue.
Er wollte noch das eine oder andere zur Inventur fragen. Unterließ es dann aber. Er würde den Freund selbst befragen, wenn er ihn am späteren Abend zum Abendessen im SSSV Clubheim traf.
Donald Kaffitz hatte sich ein paar Visitenkarten ausgedruckt, auf denen er sich als Detektiv auswies. Selbstverständlich Mitglied in der Bundesvereinigung für Detektive. Lauter seriöse Leute, die im Dienst am Kunden in absolut professioneller Weise für gewünschte Aufklärungen sorgten. Im Falle eines Falles sollten ihm diese kleinen Kärtchen Ausweisersatz sein und Türen öffnen, die für normal Sterbliche tabu waren - so wie es in den Statuten der Clubanlage am See bestimmt war. Er hatte sich diesbezüglich im Internet schlau gemacht.
Hier, in diesem Club würde er bei seinen Recherchen ansetzen. Das fotografierte Paar war, wie Donald nebenbei bemerkt hatte, in einem clubeigenen Motorboot auf die Insel gekommen.
Eben diese vereinseigene Anlage des SSSV war rundum vollständig von einem gepflegten hohen Zaun umgeben, den man aber praktisch an keiner Stelle mehr als solchen erkennen konnte. Er war von akkurat geschnittenen Weißbuchenhecken überwachsen. Jetzt im Sommer war es so gut wie unmöglich einen Blick durch die dichte Blätterwand auf die Anlage dahinter zu werfen. Die Tennisplätze waren nocheinmal gesondert gegen Einsicht oder ungünstige Winde geschützt. Jeder konnte sich den wahren Grund aussuchen.
Am Ein- oder auch Ausgang gab es zwei getrennte Fahrspuren, eine für die Einfahrt und die andere für die Ausfahrt. Die Einfahrt besaß eine Schranke und ein Pförtner hatte die Aufgabe jeden, den er nicht persönlich kannte, nach seinem Clubausweis zu fragen, diesen auch explizit auf seine Gültigkeit zu kontrollieren. Das Kennzeichen wurde elektronisch erfasst.
Die Ausfahrt war in Verbindung mit einer Schranke ebenso elektronisch gesichert bzw. wurde elektronisch kontrolliert. Eine Kamera mit Software für die Identifizierung, Kontrolle und Registrierung von Fahrzeugkennzeichen machte auf diese Weise den Gegencheck zur Einfahrt.
„Privatgelände. Unbefugte haben keinen Zutritt“. Das war deutlich genug, um jedem Nichtberechtigten und jeder Nichtberechtigten klarzumachen, dass ein Zutritt als Hausfriedensbruch verfolgt werden würde.
Den Übergang in dieses Reich hatte der Pförtner, zusammen mit einem Gehilfen streng zu kontrollieren und, wenn nötig, die Einfahrt zu versagen oder auch zu verteidigen. Im Allgemeinen spielten sich aber keine dramatischen Vorkommnisse ab. Deutsche Bürger waren an solche Hinweise auf Beschränkungen der Bewe-gungsfreitheit gewohnt. Ausländer oder Bürger mit Migrationshintergrund machten hin und wieder aus der Distanz obszöne Gesten in Richtung Pförtnerhaus. Als ob dieser dem Club treu dienende Mann für die ausgewiesene Exklusivität eine Verantwortung trüge.
Wie man hier und auch allgemein am Personalaufwand sehen konnte, brauchten die Club-Mitglieder in ihrem Privatleben ebenfalls nicht mit Geld zu knausern.
Donald hatte sich ein professionelles Outfit zugelegt, wenigstens glaubte er, dass es so sein sollte für einen Detektiv. Von Bedeutung war, dass er seine Plateauschuhe anzog. So erschien er mit seinem Körperbau etwas weniger benachteiligt. Seine von Natur aus zu kurzen Beine waren nicht mehr ganz so kurz, er stellte sich mit ein paar Zentimetern größer dar. Gegen die Paralaxenverschiebung seiner Augen konnte er nichts machen, außer sich eine Sonnenbrille aufzusetzen. Ohne diese, bei direktem Blickkontakt, diese Erfahrung hatte er gemacht, musterten ihn die Menschen, seine Gegenüber, ausgiebiger. Sie konnten ihm nicht in die Augen sehen, denn es war ja nur eines funktionsfähig. Zweifel musste jeder haben, davon konnte er ausgehen, denn niemand konnte mit Sicherheit feststellen, mit welchem er gerade sein Gegenüber musterte. Meist wanderten die Augen der Beobachter, nach einem kurzen direkten Blickkontakt, etwas unruhig umher, versuchten sich mit einem anderen Anblick zu beschäftigen. Aber auch an seinem Körper konnten keine Augen ruhen. Es wäre wie eine detallierte, unangemessene und aufdringliche Beobachtung gewesen und damit auch eine Missbilligung der Natur, die diesen armen Kerl in seiner ganzen Erscheinung derart benachteiligt hatte.
Der Pförtner stand an den Türrahmen seines kleinen Häuschens gelehnt. Wichtig schien seine Erscheinung schon durch die Tatsache, dass er in der rechten Hand einen kleinen Schreibblock und Kugelschreiber hielt. Trotz der sommerlichen Temperaturen trug er einen Schlips. Ein klein wenig aus der Mitte verrutscht. Sein Hemd war allerdings kurzärmelig, den vom Wetterdienst angesagten Temperaturen angepasst.
Donald ging zügig auf ihn zu, wollte schon durch sein Auftreten Entschlossenheit und Selbstsicherheit ausstrahlen.
Er reichte dem guten Mann seine Visitenkarte. Noch bevor der Pförtner Einzelheiten auf dem Stückchen Papier einsehen konnte, begann Donald sein einstudiertes Stück herunterzuspielen.
Ein Berufsfotograf habe ihn beauftragt die Identität eines Mannes ausfindig zu machen. Eine der leichtesten Übungen für ihn, das betonte er ausdrücklich. Vielleicht ergab sich damit ein bisschen mehr vorauseilender Respekt dieses Türstehers. Er habe eine Fotografie, die eben der Fotograf auf einer Party geschossen habe und dann sei dummerweise sein Adressbüchlein verloren gegangen - leider. Die ausgezeichneten Aufnahmen wollte er aber seinen Kunden zustellen, zukommen lassen können. Alles, was der Fotograf selbst herausfinden konnte war, dass dieser Mann doch sicher Mitglied im SSSV sei. Deshalb sei er jetzt hier. Donald zog die Großaufnahme mit dem Portrait heraus. Portrait war dabei ein wenig zu hochgegriffen. Er hatte von dem Mann nur eine Seitenansicht, sozusagen sein Profil.
Der Pförtner schaute in etwa so verwirrt, wie sich die Ansprache des Detektivs angehört hatte.
„Und deshalb macht der Fotograf solche Umstände? Beauftragt einen Detektiv und schickt ihn mit einer solch umständlichen Geschichte in die Welt hinaus?“ Er hatte das mehr belustigt daher gesagt. In der Art, so wie er und seine Cluberer sich gelegentlich gegenseitig frotzelnd kurz unterhielten. Es war meistens eine eingespielte Gewohnheit. Jeder wollte stets seine Schlagfertigkeit unter Beweis stellen.
„Das ist der, na, der Name fällt mir nicht sofort ein, aber er ist der Inhaber der Sportbekleidungsfirma, die en gros macht“, setzte er noch gut gelaunt hinzu. „Ach ja, Willenbacher heißt er, Wo ... Willenbacher. Wolfgang, ja so heißt er.“ Dann erkannte er seinen Fehltritt als Plaudertasche und hätte sich am liebsten in den eigenen Hintern gebissen.
Donald dagegen hätte ihn am liebsten umarmt, aber das hätte komisch ausgesehen, denn der Pförtner war mindestens eins achtzig groß und hielt einen auffälligen Schmerbauch im Gleichgewicht. Donald brachte es gerade einmal auf ehrliche einmeterdreiundsechzig, jetzt etwas aufgehübscht durch seine Schuhe mit aufgeschäumten Plateausohlen.
Seine Freude basierte auf der Tatsache, dass er einesteils nicht damit gerechnet hatte, so schnell und komplikationslos den Namen des Abgelichteten zu erfahren - von wegen Datenschutz. Und andererseits darauf, dass der wirklich ein Geldmensch war. Seine Rechnung würde aufgehen. Er würde Erpressergeld an diesem Herrn verdienen, vorausgesetzt, und somit dämpfte er etwas seine plötzlich überschäumende Begeisterung, die Dame kam ebenfalls aus gediegenen Kreisen, wie er sich auszudrücken pflegte.
Er klopfte sich im Geiste beglückwünschend auf die Schulter für seinen, wie er glaubte, perfekt inszenierten theatralischen Auftritt.
Entschlossen zog Donald, alias Kaffitz der Privatdetektiv, das Bildnis, das Portrait der Dame hervor. Die Identifizierung musste noch einfacher gelingen, denn er hatte mit ihr tatsächlich ein sehr gutes Portraitfoto, nicht nur eine Seitenansicht.
Doch da wollte, ja musste der Pförtner (leider!) passen. Nicht dass ihm die Dame unbekannt war, sie kam ja regelmäßig mit ihrem Mercedes in den Club. Aber er konnte sich diesmal zurückhalten, auch diese Identität preiszugeben. Er hatte einen Vertrauensposten, er war gut bezahlt und die Clubmitglieder hielten etwas von Diskretion. Darüber konnte er ein Liedchen singen.
„Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft erteilen. Da gehen Sie mal besser zur Rezeption oder gleich ins Chefbüro.“
Donald spürte, dass er möglicherweise zu weit gegangen war und dass er hier und jetzt von diesem Herrn nichts mehr erfahren würde. Entweder der Kerl hatte Lunte gerochen, war misstrauisch geworden oder er war wirklich um seinen Posten besorgt. Oder eine durch und durch ehrliche Haut, die ihren Arbeitsplatz nicht aufs Spiel setzen wollte. Immerhin, Donald rief sich jetzt seine Erkenntnisse aus den einschlägigen Datenschutzbe-stimmungen auf und musste anerkennen, dass sich sein Gegenüber sauber nach den Vorschriften verhielt.
Und er bedankte sich, murmelte noch etwas wie: „Sie erlauben“, und machte sich auf den Weg ins Gelände. Rechts waren Parkplätze. Das Hauptgebäude des Clubhauses stand etwas schräg dazu, ungefähr 70 oder 80 Meter weiter im Gelände.
Der Fußweg war mickrig im Vergleich zu dem protzigen Platzverbrauch für die Fahrzeuge. Aus dem Schatten eines alten Lindenbaumes löste sich eine Gestalt und schien auf ihn zuzukommen. Er erkannte einen älteren Herrn, der im Gegensatz zum Pförtner als ausgesprochen schlank, ja hager aussah. Ein bisschen in sich zusammengefallen. Leicht gebeugt laufend kam er auf ihn zu. Seine Kleidung, ein dunkelgrauer Anzug, war unauffällig bis zerknautscht, also doch wieder modern. Er trug keine Krawatte, sein Hemd stand zwei Knöpfe weit offen. Und er war schlecht rasiert - das fiel Donald auch noch in seinem zerfurchten Gesicht auf.
Es schien sich um einen Parkplatzbediensteten zu drehen. Einen Menschen, dem man zwar nicht mehr sein Fahrzeug anvertrauen würde, aber hier wurde offensichtlich einem bedürftigen Rentner unter die Arme gegriffen. Denn wozu sollte man in einem bewachten Areal noch einen Wächter brauchen? Oder vertrauten sich gar die Clubmitglieder untereinder nicht sonderlich?
Donald drehte nach Steuerbord und ging dem Herrn entgegen. Er zeigte die Fotografie der Dame - na ja „Dame“ - und fragte den Rentner, ob er sie kenne.
Der Mann holte eine altmodische Brille mit verbogenem metallenem Gestell und trüb belegten Gläsern aus einer Brusttasche und schaute sich die Abbildung an.
„Jo“, sagte er, „dös iss die mit dem Benz.“
„Kennen Sie zufällig ihren Namen?“
„Ouh, Moment mol. Ihr Mann iss de Zwanzicher, der vonn de Jießerei.“
„Na großartig ...“, wollte sich Donald noch ausgiebiger und überschwänglich bedanken, aber der Wächter fuhr fort.
„Am besten frochen se mol beim Empfang, ich kann mich irren.“ Er zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung des Hauptgebäudes. Dann winkelte er den Arm wieder an und hielt Donald die geöffnete Hand hin.
Donald schaute ihn an und der alte Herr machte eine Geste mit seinem Kopf und Gesicht, die leicht zu verstehen war. Es war eine Bewegung die sowohl als Aufforderung als auch als Erklärung für seine Dreistigkeit verstanden werden konnte. Dann fügte er noch an, als er das Zögern seines Gegenübers sah, „vunn ebbas muss ma ja leiwen.“
„Es tut mir leid, ich habe aber nur einen Zehnerschein. Können Sie wechseln.“
„Nu mach mol halblang Jungelchen. Host ne Auskunft erhalten. Unn wos den Zehner angeht kann ich janz jut damit zurechtgommen.“ Er musste weit in seiner Welt herumgekommen sein, denn er hatte sich offenbar seinen eigenen Mischmasch von Dialekt geschaffen.
Seine Hand war plötzlich nicht mehr geöffnet. Seine Finger hatten sich zu einer überraschend rasch zupackenden Zange geformt, und so wechselte der Schein den Besitzer.
Donald riss sich zusammen. Der Zehner war fort. Er musste aber sein Spiel zu Ende spielen. Also drehte er sich wortlos um und ging in Richtung der breiten Treppe, die zwischen zwei Säulen ins Innere des Clubhauses führte.
Noch vor dem gläsernen Haupteingang, die Flügel der Schwingtüren standen weit offen, kam ihm ein junger Mann entgegen. Ein kleines Schild an seiner Hemdtasche wies ihn als Mitarbeiter in diesem Hause aus.
Und schon fragte der etwas lächerlich aufgeputzte Lakai mit den glänzend gewichsten Schuhen: „Sie wünschen?“
„Ich brauche die Identität dieser Dame“, Donald zog die Fotografie hervor. „Die Dame hat auf einer Party einen wertvollen Schmuck verloren oder liegengelassen, nun soll ich sie ausfindig machen. Sie soll ja ihren Schmuck wiederhaben“
Der Jüngling begann umgehend zu plaudern: „Ja, das ist die Frau vom Zwanziger, sie heißt ...“
Weiter kam er nicht, denn über ihm, auf der Treppe, erschien ein anderer ähnlich eingekleideter junger Mann. „Wir dürfen keine Auskünfte geben“, sagte er und zu seinem Kollegen gewandt sagte er ganz undiplomatisch, „und Du hältst Deine ungewaschene Klappe. Du weißt was aus Plaudertaschen wird.“
Zu Donald gewandt sagte er dann noch: „Darf ich Sie bitten, die Anlage sofort zu verlassen. Sie wissen, dass es den Paragrafen Hausfriedensbruch gibt.“
Wortlos wendete Donald. Er war ein bisschen geschockt, aber das verflog rasch. Er wusste alles, was er wissen musste. Seine Geschäftstätigkeit als selbständiger Gewerbetreibender in Sachen Erpressung konnte beginnen. Die gesamten Einnahmen daraus würde er nicht zu versteuern brauchen. Beste Aussichten also für einen durchschlagenden Erfolg - Umsatz gleich Gewinn. Besser dran war eigentlich nur einmal Porsche, aber das war schon eine Zeitlang her.
Es passte, es musste einfach passen. Da war ein Mann, ein Großhandelskaufmann, der die Frau eines Industriellen, eines stadtbekannten Gießereiindustriellen vögelte. In aller Öffentlichkeit - sozusagen. Das versprach in der Tat ein rundes Geschäft zu werden. In jeder Richtung roch es nach Geld. Jeder der Beteiligten würde sich, des lieben Friedens und der weiter uneingeschränkten Fleischeslust willen, recht gern von einem unbedeutenden Teil seines Vermögens trennen. Die Dame, immer wieder Dame, und der Sportkaufmann, oder wie das war, sie beide würden zur Kasse gebeten. Er würde zur Kasse bitten. Zu seiner Kasse.
Zunächst würde er Recherchen anstellen, damit ja nichts schief ging. Damit er auch nicht zu wenig verlangte. Donald grinste bei diesem Gedanken. Nicht zu wenig!
Er überlegte noch, ob da nicht noch eine Chance bestand auch den Gießereibesitzer zu melken. Aber da sah er keine Möglichkeit, nun ja, im Moment nicht, tröstete er sich.
In seiner Wohnung angekommen begann er mit der Recherche, wie er es nannte. Er musste die Postanschriften der Mercedesfahrerin und des Großhändlers herauszufinden. Das war überhaupt kein Problem. Sein Projekt Absahne lief bereits wie am Schnürchen. Inzwischen waren ihm jedwede Zweifel, jeder rechtliche Vorbehalt an seinem Tun abhanden gekommen. Ja, er fühlte sich mehr und mehr in Siegerpose. Ja, er empfand, ohne weitere kritische Hinterfragung oder nachzudenken, so etwas wie ein Rechtsanspruch auf das erträumte Erpressergeld. So identifizierte er sich fast total unkritisch mit seiner eigenen Kunstperson.
Er wollte Geld erpressen. Aber er sah das mehr oder weniger als die Begleichung einer Rechnung, seiner Honorarforderungen, die einem erfolgreichen Detektiv zustanden. Wenigstens versuchte er sich selbst mit wachsendem Erfolg davon zu überzeugen. Dabei rückte bei ihm immer mehr in den Hintergrund, auf welche Art und Weise er an die indiskreten Aufnahmen gekommen war. So vollkommen ohne einen Auftrag. Dass er damit bereits einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre anderer Menschen vorgenommen, dabei Hausfriedens- oder auch vielleicht Landfriedensbruch auf einem ausgewiesenen Privatgelände begangen hatte, das war weit weg. Das tangierte nicht mehr seine Gedankengänge. Er hatte jetzt eine Aufgabe, eine lukrative Aufgabe, und er rieb sich immer öfter aus Vorfreude die Hände.
Er würde die Unmoral zweier Menschen publik machen, nun gut, nicht gerade publik, aber er würde den Sündern einen Spiegel vorhalten und dafür ein Honorar verlangen. Ja, sagte er sich, so kann man es bezeichnen. Er würde kassieren und gleichzeitig zwei Menschen auf den Pfad der Tugend zurückbringen. Sein Mund verzog sich zu einem Schmunzeln.
Donald lächelte. Er erfreute sich an dem Gedanken, den er bis zu diesem Punkt entwickelt hatte. Er war kein Erpresser. Da waren demnächst zwei Menschen die Lehrgeld zu zahlen hatten, Lehrgeld für .... Er spürte wieder das starke Verlangen zwischen seinen Beinen, es war Zeit wieder Hand an sich zu legen.
Danach, entspannt, wie er glaubte, machte er sich an die Formulierung der Briefe, die er an die Sünder zu schicken gedachte. Er musste sich auch noch eine Vorgehensweise ausdenken. Es ging schlecht, an einer Haustür zu klingeln, jemandem den Brief mit der Rechnung in die Hand zu drücken und zu sagen, dass er demnächst vorbeikäme, um die Zahlung in Empfang zu nehmen.
Bei diesem immerhin absurden Gedanken musste er grinsen. Dann spann er den Faden doch noch weiter. In letzterem angedachten Fall würde er den Empfang des Geldes quittieren müssen mit der Folge, dass er das Einkommen zu versteuern hätte. Er lehnte sich ruckartig in seinem Stuhl nach hinten und riss die Augen weit auf. Nein, das Finanzamt konnte ihm den Buckel runterrutschen. Nichts würde er mit ihnen teilen. Ob und wie die Zahlenden die Ausgaben vor dem Finanzamt geltend machen würden - „...nun, das geht mich nichts an! Damit habe ich nichts zu tun.“ Das hatte er jetzt tatsächlich laut gesagt, ja fast geschrien. Etwas erschrocken starrte er eine Weile auf die Tastatur des Laptops.
Dann versuchte er zurückzufinden in die Realität, in seine Realität, wie er sich einredete. Endlich sah er auch eine Gelegenheit seinen lange aufgestauten Hass auf seine Minderwertigkeitskomplexe abzuschütteln. Bei diesem Gedanken musste er tief durchatmen. Er würde in absehbarer Zeit in einen vollkommen neuen Lebensabschnitt eintreten. Seinen Zorn auf seine verkorkste Erscheinung würde er bedenkenlos auf den Müll werfen können. Mit einem dicken Geldpolster kann man auch der Natur so manchen Fehler verzeihen.
Er fertigte einen ersten Briefentwurf für die Frau Brigitte Zwanziger an, in dem er auf ein beiliegendes Foto hinwies. Dass er bereit sei dieses Foto nicht nur dem Ehemann Zwanziger zuzuschicken, sondern es auch, natürlich rein zufällig, in mehreren Exemplaren vor dem SSSV-Clubhaus zu verlieren.
Es überkam ihn jetzt eine Euphorie, so dass er aufspringen musste, um in seinem nicht sehr geräumigen Zimmer ein paar improvisierte Runden zu drehen.
Dann feilte er noch ein wenig am Computertext. Schließlich gefiel er ihm und er las ihn sich laut vor.
Sehr geehrte Madam Brigitte Zwanziger ... er strich das geehrte und schrieb verehrte. Er wusste doch, was sich gehörte. Es gefiel ihm, wie er statt Frau die Anrede Madame verwendete. Das ließ auf seine weltoffene Sicht, auf Bildung schließen - meinte er, ohne sich nähere Vorstellungen zu diesem Begriff zu machen. In Wirklichkeit ließ er sich vom Titel eines Pornofilmes leiten, den er sich schon einige Male angesehen hatte - <Madame lässt bitten>.
Er zog sich Latexhandschuhe an und legte dann ein neues Blatt Papier in den Drucker. Wieder versprach er sich vorsichtig zu sein, damit nirgends Fingerabdrücke zurückbleiben konnten.
Also: Sehr verehrte Madame Brigitte Zwanziger.
Auf dem beiliegenden Foto sind Sie recht gut rausgekommen. Sicher freuen Sie sich über die gelungene Aufnahme. Auch der Hengst macht eine gute Figur. Gratulation.
Doch was sich da abgespielt hat ist nicht nur Anlass für reine Freude. Es zeigt eine Missachtung von Regeln der Ethik und des zwischenmenschlichen Respekts.
Ihr Ehemann dürfte mir so weit zustimmen, solange es um die Qualität der Aufnahme geht. Die ist hervorragend. Er dürfte aber weitaus weniger über Ihr außereheliches Treiben erfreut sein.
Er muss es ja nicht erfahren. Mein Schweigen hat aber seinen Preis. Sie hatten Ihr Vergnügen, jetzt möchte ich mein Honorar haben.
Donald las noch einige Male das Geschriebene. Es gefiel ihm nach jeder Lektüre weniger, aber im Moment wusste er nicht weshalb.
Dann entschloss er sich doch weiterzuschreiben.
Also, Brigitte ich denke, dass 50 000 Euro angemessen sind. Ein fährer Preis.
Ein fährer Preis, irgendetwas störte ihn. Was soll´s. Diese Frau hatte zu begreifen, dass sie 50 000 locker machen musste, wenn sie vermeiden wollte, dass der Ehemann von ihrem Treiben erfuhr. Insgeheim malte er sich aus, dass diese Zahlung nur eine erste Rate sein würde. Er würde sie ausnehmen, bis sie wirklich überzeugend darlegen konnte, dass sie nicht mehr und nicht weiterzahlen konnte.
Ich werde Sie anrufen und mitteilen, wann und wo die Summe zu übergeben ist. Keine Sorge, ich werde mich beeilen. Der Anruf kommt schon bald.
Tja, so ist das Leben. Freuden sollte man immer bereit sein mit anderen Menschen zu teilen.
Bis bald.
Ihr Verehrer
Er hatte sich den angefügten Kommentar nicht verkneifen können. Und er fand es genial als „Ihr Verehrer“ zu zeichnen. Donald sah sich in unwiderstehlicher Siegerpose.
Schließlich steckte er den Brief samt großformatigem Foto in einen Umschlag. Er schlug die Lasche ein. Es war nur so ein kurzer Reflex mit der Zunge den Kleber zu befeuchten. Dann hatte er sich zurückgehalten. Speichel in dem Klebstoff zum Verschließen konnte die DNA und irgendwann auch ihn verraten. Er glaubte sich schlau, wie gesagt, er glaubte sich schlau. In Wirklichkeit war diese Verlegenheitslösung auf den ersten Blick kaum von Bedeutung. Sie zeigte aber doch, dass er sich der Ungesetzlichkeit seines Tuns durchaus bewusst war, wenn auch mehr im Unterbewusstsein.
Er speicherte die Datei auf einem Stick und steckte ihn in das kleine Uhrentäschchen im Bund seiner Hose. Auf der Festplatte löschte er mit der Datei alle Nachweise seiner Tätigkeit in Sachen Zwanziger und Willenbacher.
So dachte er wenigstens als halber Laie.
Brigitte ging auch heute wieder ihren gewohnten Weg zur Einfahrt der Villa, um die eingehende Post abzuholen. Sie passte genau die eingespielte, übliche Uhrzeit ab, nämlich fünf Minuten nach neun. Auch dies war ein Spiel mit dem Feuer. Sie hatte es auf den feschen Postboten abgesehen. Eines Tages würde sie ihn vernaschen, in ein Bett bekommen oder vielleicht auch auf eine Wiese. Bis dorthin wollte sie eine gewisse Nähe und zielgerichtete Vertrautheit zu dem Burschen aufbauen.
Mit Sorgfalt wählte sie immer ihr outfit, nicht sehr extravagant aber doch bis zu einem nicht übertriebenen Aufwand aufreizend. Sexy eben, das wollte sie sein und dem Postboten unverwechselbare Botschaften vermitteln, dass sie beabsichtigte - nun ja, es würde sich ergeben.
So schaffte sie es die Woche über entweder kurz vor ihm am Tor zu sein, dann wartete sie eben, oder sie trafen sich, rein zufällig natürlich, und man hielt ein kleines Schwätzchen. Eine kindliche Freude empfand sie schließlich dabei, wenn sie, hinter Ziersträuchern versteckt, den genauen Zeitpunkt eines Zusammentreffens abwartete. Bald würde er dieses Spiel durchschaut haben und sie ihrem Ziel, ohne wortreiche Erklärungen, nähergekommen sein.
Bei diesen Zusammentreffen kamen dann mit der Zeit immer mehr kleine und nicht ganz so kleine, oft sogar so gut wie kaum verdeckte Anspielungen vor. Sexthemen verkürzten und würzten die bevorstehenden täglichen Zeitspannen der Langeweile. So ein Tag mit Nichtstun zu verbringen, konnte sich ganz schön in die Länge ziehen und auf seine Weise anstrengend sein. Von daher waren für Brigitte diese Momente der gesuchten Nähe zu dem Postboten von besonderem Wert und Reiz. Sie liebte diese kleinen prickelnden Annäherungen. Unterdessen hatte sie schon, zunächst bruchstückhaft, doch so allerhand von und über diesen jungen Mann in Erfahrung gebracht.
Vielleicht hatte ihr Mann einmal wieder einen Geschäftstermin durch den er mehr als einen Tag von zu Hause fernbleiben musste. Dann, ja dann würde sie den gut gebauten Bengel zu einer Tasse Kaffee einladen. Er sollte sich dann von seiner harten Arbeit ein wenig entspannen können. Allein diese verträumten Fantasien konnten in ihr über einen längeren Zeitraum ein angenehmes sexuelles Prickeln erzeugen und so auch den Vormittag verkürzen.
Umgekehrt konnte es ärgerlich sein, wenn sie den Postboten verpasst hatte. Dieser Missgriff konnte ihr die Laune für den ganzen Tag verderben. Hin und wieder profitierte dann der Freund des Hauses, Wolfgang Willenbacher, davon. Man traf sich so rein zufällig einmal wieder im Club. Man ging ein bisschen im Hallenbad schwimmen und, wenn es das Wetter in der Sommerzeit zuließ, vereinbarte man ein Freilufttreffen auf der Insel.
Ja so ein Ehe-Leben konnte wirklich auf seine Art anstrengend sein. Als Sekretärin hatte sie ihre fest verplanten Arbeiten für den ganzen Tag. Und sie träumte davon einmal die Chefin zu sein. Das Ziel ihrer Bemühungen war der Juniorchef.
Der hatte nach dem plötzlichen Tod des Seniorchefs, seines Vaters, alle Hände voll zu tun, um sich in seine neue Position als Erbe und Nachfolger beschleunigt einzuarbeiten und um den Betrieb am Laufen zu halten. Das konnte niemand besser einschätzen als sie selbst. Und ihr Wissen und ihre Tüchtigkeit war die Basis für die immer bessere Zusammenarbeit mit dem Junior.
Auch für Überstunden, die sie manchmal regelrecht raffiniert organisiert hatte.
Und sie hatte auch erkannt, dass er für allgemeine Ausschweifungen mit Frauengeschichten nicht oder kaum zu haben war. Er schien vollkommen in seinem Beruf und den komplizierten Aufgaben gefangen. So ging er voll in seiner Aufgabe auf, den Betrieb zu halten, gleichzeitig umzubauen und zu modernisieren, Produktionsprozesse zu optimieren, die Kunden von der Kontinuität in Qualität und Zuverlässigkeit zu überzeugen.
Sie packte es geschickt an, um nicht wahrheitsgemäß zu sagen raffiniert, um sich ihm immer mehr anzunähern. Lange hatte es so ausgesehen, als würde er lieber einen Bogen um sie machen, statt auf ihr verdecktes und doch verführendes Werben einzugehen. Aber es war schließlich doch nicht ein Bogen um sie, sondern einfach seine Art und seine, in seiner Position doch recht ungewöhnliche Unerfahrenheit mit Frauen, wie sie erleichtert feststellen konnte. Sie würde ihm so manches beibringen können. Seit ihrem 13. Lebensjahr sammelte sie Erfahrungen.
So hatte sie schließlich Erfolg. Sie hatte ihn rumgekriegt und wurde Chefin. Ja, und da war sie nun, sozusagen am Ende ihrer Karriere angekommen. Sie musste, zugegeben ein wenig entsetzt entdecken, dass dies auch das Ende der Leiter war. Sie war Ehefrau und Chefin, aber mehr konnte sie nicht mehr werden. Nun gut, Mutter, sie hätte sich in die Rolle einer Mutter einarbeiten können. Aber dann wären ihre Freiheiten, die sie sich augenblicklich doch herausnehmen konnte, stark, vielleicht sogar endgültig beschnitten oder gar vollkommen beendet. Nein, auf diese Freiheiten, die sie sich mühselig im Schatten ihres offiziellen Lebens aufgebaut hatte, auf die wollte sie nicht mehr verzichten. Das Leben, wie sie es lebte, hatte ihr bisher Recht gegeben.
Dann war ihr der Gedanke an schreiende Babys, an Windeln wickeln, auf die Hausaufgaben des Nachwuchses zu achten, Elternabenden beizuwohnen undundund, das war ihr doch zu abwegig. Sie wollte leben und war fest entschlossen ihre noch relative Jugend zu ihrem Vorteil weiterhin auszunutzen. Mit dem Alter und vielleicht Kinder kriegen, wollte sie sich später beschäftigen. Überhaupt Kinder kriegen? Nun wenn es gar nicht zu umgehen war, was soll´s, sogar Großmütter bekamen heutzutage noch Kinder. Wozu sonst der medizinische Fortschritt?
Es war nervig über Zeit zu verfügen und sie nicht sinnvoll einzusetzen. Und sinnvoll war für Britta Vergnügen, bevorzugt vergnüglichen Sex zu haben. Das, was sie suchte, oder wie sie sich selbst einschätzte auch brauchte, das war beachtlich weit über dem, was ihr Hanns-Peter bieten konnte. Wenngleich sie nicht verhehlen wollte, dass er ganz schön zur Sache gehen konnte.
Lesen, shoppen, TV und Zeitschriften schauen, das konnte eine Zeitlang ihren Sinn haben oder wenigstens die Zeit vertreiben. Aber Zeit haben, als Frau aktiv zu sein und über die familienbedingte Routine hinaus keinen interessanten Sexpartner zu haben, das war Tortur pur.
Nun, sie war attraktiv. Solange sie so aussah, verführerisch wirkte, so lange musste sie für ein Parallelleben sorgen. Ihr Ehemann trat dabei immer mehr in die zweite Reihe. Das war nicht unbedingt so geplant, redete sie sich ein, es ergab sich halt so. Das Schlimme dabei war allerdings, dass sie diese Verdrängung, dieses Beiseiteschieben ihres gesicherten Ehelebens, gar nicht mehr in Echtzeit mitbekam. Das Ausschweifen in ein Parallelleben wurde ihr mehr zu einer Selbstverständlichkeit.
Sie war also auch heute wieder zur Einfahrt der Villa geschlendert. Wie üblich war es neun Uhr und fünf Minuten. Würde sie ihn wieder sehen, vielleicht ihn sogar für eine kleine Unterhaltung festhalten können?
Es funktionierte. Gerade kam der Bursche von der Nachbaranlage. Sie begrüßten sich auf dem Bürgersteig. Er hatte wieder sein kurzärmeliges Hemd an. Muskeln waren unter den Ärmelstutzen eingeklemmt. Brigitte nahm sich vor nicht mehr allzu lange zu warten, irgendwann demnächst sollte es zu einem Date kommen. Heute aber waren es nur ein paar mehr unverfängliche Sätze, die sie wechselten.
„Du bist doch ein Traummann. Wenn ich Dich so ansehe - ich könnte Dich vernaschen.“
„Jetzt sagen Sie bloß, dass Sie Mangel an richtigen Männern hätten? Bei Ihrem Aussehen!“
„In der Abwechslung liegt die Würze, Du kämst mir dabei gerade zur richtigen Zeit.“
„Äh, ich habe hier Ihre Post. Was nicht ist, kann - nun ja, für heute habe ich ...“
„Nein, wir müssen ja nichts überstürzen. Tschau Süßer.“
Dem Postmann wurde siedend heiß. Er war dabei alles zu vergessen, was man ihnen in Schulungen beigebracht hatte. Aber das war Theorie. Hier, an diesem wunderschönen, warmen Sonnenvormittag übernahmen immer mehr die Hormone die Oberherrschaft, gerade auch bei diesen eindeutigen und herausfordernden Worten. Das Gehirn hatte sich, zusammen mit seinem Verstand, zumindest vorübergehend abgemeldet.
Brigitte ging mit dem Post-Bündel zurück zur Wohnung. Normalerweise schaute sie dabei schon mal flüchtig über die Umschläge, ebenso nach alter Sekretärinnenart. Doch heute war sie mit einem Bündel angenehmer Gefühle etwas mehr als abgelenkt. Es schien doch demnächst etwas daraus zu werden, mit diesem Burschen. Als Nächstes würde sie ihn fragen, wann er seinen freien Tag oder eine freie Zeit hätte. Ein Rendezvous musste ja nicht in ihrer Villa sein, so in sicherer Abwesenheit des Gatten. Dann fiel ihr plötzlich der Ernst des Lebens ein. Sie hatte um halb zehn einen Termin beim Hairstylisten. So lief sie rasch zum Arbeitszimmer ihres Mannes und legte das Postbündelchen auf seinen Schreibtisch. Bis hierher war alles Routine.
Hanns-Peter war im Bad, sie hörte den elektrischen Rasierer summen.
Seine Morgengymnastik hatte er im Kraftraum bereits hinter sich. Danach ging er für etwa eine viertel Stunde im Kellerbad schwimmen, kam dann duschen, sich rasieren, etwas Körperpflege betreiben und anschließend die Post durchschauen.
Brigitte beeilte sich. Termine, wie den bei ihrem Hairstylisten versäumte sie nie. Und sie war immer pünktlich, das heißt, sie bemühte sich mindestens zehn Minuten früher dort zu sein. Im Augenblick ärgerte sie sich, dass ihr die Zeit davonlief.
Während Hanns-Peter sich anzog, huschte sie bei ihm vorbei, hauchte ihm einen Pseudo-Kuss auf die Wange und war schon wieder verschwunden. Ihre Stimme kam noch aus der Richtung des Garageneingangs - „bis heute Abend!“
Hanns-Peter fächerte die Post grob durch, sortierte einen größeren Umschlag aus und begann den einen oder anderen Brief zu öffnen. Dann sah er aus dem Augenwinkel wieder diesen größeren Umschlag auf dem Schreibtisch und er sah auch, dass er unverschlossen war.
Es war ohne jeden weiteren Hintergedanken, als er danach griff. Schon war die Lasche nach außen geklappt und er hatte nach dem Inhalt gegriffen, als er den Umschlag drehte. Etwas war ihm aufgefallen, er wusste nur noch nicht was.
Dann sah er es. Die Sendung war gar nicht für ihn. Sie war an seine Frau gerichtet. Aber den Inhalt hatte er bereits halb herausgezogen. Dann traf er seine Entscheidung. Seine Frau sortierte ihre Post immer schon aus, bevor sie den Rest auf seinem Schreibtisch deponierte. Also musste sie von diesem Brief wissen und ihn absichtlich auf seinem Schreibtisch, zusammen mit der anderen Post, abgelegt haben. Es musste also Vorsatz gewesen sein. Sie hatte es so angelegt. Er sollte Einblick über den Inhalt in diesen Umschlag erhalten.
Demnach hatte alles seine Ordnung. Es wäre ihm peinlich, zumindest unangenehm gewesen, wenn er etwas höchst Persönliches seiner Frau angefasst hätte. Eine Entschuldigung wäre dann fällig gewesen. Er sagte sich immer wieder, dass sie ihre Freiheiten haben sollte. Und die Unantastbarkeit ihrer Post war für ihn Zeichen einer beiderseits respektierten Freiheit. Dass er dabei systematisch immer mehr der Benachteiligte, der Gelinkte sein könnte, daran hatte er bisher noch keinen Gedanken verschwendet.
In dem braunen Umschlag waren ein großformatiges Foto und ein Brief.
Sicher war der Brief der wichtigere Teil, ein Begleitschreiben, eine Erläuterung zum Bild, und so wollte er mit dem Lesen beginnen. Aber das Foto fiel ihm aus der Hand und bewegte sich Richtung Teppichboden. Geschickt, und bevor es unten angekommen war, fing er es auf. Gleichzeitig erwachte seine Aufmerksamkeit dafür. War es nun das Motiv oder weiß der Geier, was es in Wirklichkeit war. Jedenfalls drehte er die Abbildung in die richtige Ansicht.
Er starrte das Bild lange an. Dann ging er rückwärts und ließ sich in einen Chefsessel fallen. Der in seinen Hirnwindungen in Gang gesetzte, angenommene Verarbeitungsvorgang zu dem Motiv, zur abgebildeten Handlung und den Personen, startete zögerlich. Es war wie eine letzte Warnung des Schicksals oder eine Gnadenfrist vor der endgültigen und nicht wieder rückgängig zu machenden Wende seines Lebens. Es sind diese berühmten Vorsichtsmaßnahmen die Mutter Natur ergreift, um einen Organismus zu schützen, um ihn nicht unvorbereitet und plötzlich, ohne Zeitverlust in den endgültigen Abgrund fallen zu lassen.
Doch die Zeit verrann unerbittlich. Von der Wanduhr her klang es klack--klack--klack. Erstaunlich für Hans-Peter wie laut sie auf einmal taktete.
Wie eine schlecht gewürzte Mahlzeit bemühte er sich unterdessen nach Kräften, das Verständnis für das Vorkommnis in Einzelteile zu zerkauen. Was danach geschehen würde, davon hatte er noch keinen blassen Schimmer - würde er das Aufgenommene, die bittere Erkenntnis, einfach ausspucken oder doch schlucken? Eventuell sogar widerstands- und widerspruchslos schlucken?
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Sein Freund, seine untadelige Vertrauensperson ...
Seine Frau, in dieser Stellung, in dieser Situation, nie hatte er sie mit diesem verzückt entrückten Gesichtsausdruck gesehen. Das konnte kein Einzelfall sein und wie eine Blende, die bisher undurchdringlich vor seinen Augen gelegen hatte, öffnete sie sich jetzt. Alles, was er bisher ausgeblendet hatte, was er nicht wahrhaben wollte, alles drängte sich jetzt regelrecht auf. Wie eine Prozession zogen vor seinen Augen Ereignisse und auch das eine oder andere Vorkommnis vorbei. Er hatte sich bisher stets erfolgreich gewehrt sie anzuerkennen, sie als Realität zu erkennen, sie anzunehmen. Wolle, sein Freund und Britta, seine Frau. Wolle mit Britta. Wolle und Britta miteinander - ineinander.
Den beiliegenden Brief hatte er mittlerweile vergessen, wenngleich er ihn immer noch in seiner linken Hand hielt.
Mordgelüste stiegen spontan in ihm auf. Erschlagen ...
Seine Frau erwürgen. Sie in Säure auflösen. Erschießen, einen solchen Freund. Ihm alle Knochen brechen. Und dann begann er nochmals alle die ausgewählten Todesarten durchzugehen. Wie-wo-wann, alles drehte sich jetzt plötzlich nur noch darum, denn der Entschluss zu handeln schien augenblicklich felsenfest, unverrückbar zu stehen.
Doch dann meldete sich, ganz hinten in einer Ecke seines Gehirns eine Stimme, die ihn zunächst einfach warnte. Schließlich unüberhörbar wurde. Der Verstand meldete sich vorsichtig, zögernd, zurück. Jetzt glaubte er sie wirklich zu hören. „Du könntest sie vernichten. Sie wären vielleicht tot. Aber Du müsstest mit einem, mit Deinem ruinierten Leben fertig werden. Du würdest Dir am meisten schaden. Sei vernünftig. Denke nach. Du bist das Opfer, Du willst doch nicht auch noch schuldig werden. Du würdest dich gleichzeitig zum Opfer und Täter machen.“
Noch einmal versuchte er die Stimme der Vernunft wie ein lästiges Insekt abzuschütteln, von sich wegzudrücken, für diese warnende Stimme seine Ohren zu verschließen.
Dann überflog er doch den Brief. Was da stand, wunderte ihn schon gar nicht mehr. Es war wie das Wiedersehen eines alten Bekannten. Was er sah und las, war als hätte er es vor einiger Zeit schon einmal gelesen und würde jetzt nur noch sein Gedächtnis auffrischen. Aber, was sollte da schon groß anderes drinstehen. An sich ein typischer Erpresserbrief. Sonst nichts. Sonst nichts?
Diesmal betraf es ihn höchstpersönlich.
Das machte den Unterschied aus.
Sollte er zur Polizei gehen?
Das schien ihm unrealistisch, unwahrscheinlich. Soweit hatte er sich schon festgelegt. Was käme danach? Das Bild des in freier Natur rammelnden Paares würde nur allzugerne in einer Runde von Polizisten herumgereicht werden. Ortsbesichtigung und immer wieder Erinnerungen. Am Ende die Scheidung von seiner Frau.
Und das Verhältnis zu seinem Freund? --Bisherigen Freund, verbesserte er sich rasch?
Er sah es vor seinem inneren Auge. Alles und noch mehr würde von der Presse ausgekundschaftet, ausgegraben und vielleicht sogar überregional sensationslüstern ausgebreitet werden.
Seine Kunden würden sich zumindest die Augen reiben. Der Betrieb und dadurch auch seine Mitarbeiter würden leiden. Nein, nein, nein. Polizei nein. Mit seiner Intelligenz sollte er, würde er, ja musste er, verbesserte er sich, uneinsehbar für die Umwelt, diese Sache bereinigen.
Wann genau der Moment der Erleuchtung eingetreten war, konnte er im Nachhinein nicht mehr zusammenfassen. Aber dass er sich für die intelligente Lösung entschieden hatte, das war, das musste der entscheidende Moment für sein zukünftiges Leben sein. Ja, er biss sich auf die Zunge, bis es schmerzte. Das schaffte in seinen Gedankengängen wieder ein Stückchen mehr Realitätssinn. Er presste nun die Zähne zusammen, bis ihn die Kaumuskulatur schmerzlich daran erinnerte, dass sie selbst ja nichts mit der Sache zu tun hatte - weshalb also die Strafe?
Vor seinem gesenkten Blick sah er nun wieder den Brief. 50 000 Euro, das war nicht Strafe genug. Natürlich war ihm sofort bewusst, dass es der Erpresser nicht bei dieser einmalig zu zahlenden Summe bewenden lassen würde. Er bemerkte, diesmal noch nicht recht erleichtert, dass er bereits wieder in der Lage war, einen anderen als einen Mordgedanken zu führen, zu verarbeiten. Er konnte sich in die Mentalität eines Erpressers hineinversetzen. Ja, der, vielleicht war es auch eine Sie, wollte mit Sicherheit eine Melkkuh. Ein Esel, der Gold scheißen konnte. Und so ein Wundertier musste einesteils gepflegt werden, andererseits aber ständig produktiv bleiben. Und er mittendrin? Nein danke.
Es war ihm als spüre er bei diesen Gedankengängen bereits eine Art Erleichterung.
In kurzer Entfernung streifte sein Blick auf dem Schreibtisch ein Tablett mit einer Christallkaraffe und zwei umgestülpte Gläser. Die Christallkaraffe enthielt eine fast goldgelb leuchtende Flüssigkeit. Dann sagten ihm seine Geschmacksnerven, dass es doch ganz gut wäre einen Schluck davon zu nehmen - im Klartext vernahm er dann seine innere Stimme, die ihm sagte: „Nimm einen Schluck Whisky, Chivas Regal, 20 Jahre alt.“ Ja, das war ein Wort. Da wollte er nicht nein sagen.
Für diesen etwas zu groß geratenen Schluck brauchte Hanns-Peter höchstens eine halbe Minute. Dann atmete er tief durch und stellte das Glas auf den Tisch. Schließlich ergriff er es wieder, ließ einen einsamen Rest-Tropfen in seine Mundhöhle kullern und stellte es umgestülpt wieder auf seinen Platz neben die Karaffe. Das rationale Denken war also wieder zurückgekehrt. Er registrierte es mit einer beachtlichen inneren Zufriedenheit. Der Aufforderung einer anderen, nur für ihn hörbaren Stimme doch noch den einen oder anderen Schluck zu nehmen, verweigerte er sich erfolgreich. <Ich brauche einen klaren Kopf>.
„Ich werde mich rächen. Ich werde Rache üben. Ich werde mir für meine Rache Zeit nehmen. Ich werde meine Gedanken ordnen und mich keinesfalls vom Druck des Augenblicks leiten lassen. Ich werde mir eine Strategie ausdenken. Ja, ich werde beide vernichten, aber ich muss aus der Geschichte ungeschoren herauskommen. Ich werde und muss auf jeder Stufe der kommenden Ereignisse weiterhin der Saubermann bleiben.“
Er nahm sich vor am Ablauf seiner täglichen Routine nichts zu ändern. Jeder Tag musste für einen Beobachter wie immer ablaufen. Es war ungeheuer wichtig, dass niemand aufgrund eines möglicherweise veränderten Lebensrhythmus´s seine Vorhaben durchschauen konnte. Nur wenn seine Gegner sich in Sicherheit und unangetastet wähnten, konnte er in Ruhe seine Pläne vorbereiten und durchführen.
Wie in Gedanken verloren, stopfte er das Bild und den Brief wieder in den Umschlag. Einer plötzlichen Eingabe folgend, zog er sie dann wieder hervor. Er ging ins Bad, drückte einen Schwamm so lange aus, bis er sich fast trocken anfühlte und ging zurück an seinen Schreibtisch.
<Ich darf keine Spuren hinterlassen. Ich weiß offiziell nichts von diesem Brief.>