Ein schizophrenes Gesundheitswesen ist unheilbar - Simon Grübel - E-Book

Ein schizophrenes Gesundheitswesen ist unheilbar E-Book

Simon Grübel

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Beschreibung

Endlich wagt es ein Hausarzt, die Missstände im deutschen Gesundheitswesen beim Namen zu nennen. Endlich spricht einer das aus, was die Patienten immer schon mit Unbehagen bemerkt und beklagt haben. Vieles ist faul im Staate Deutschland! Die Krankenkassen knebeln die Hausärzte, die Bürokratie steigt ins Uferlose, die Politik versagt und der Patient bleibt auf der Strecke. Wer dieses Buch liest, der wird künftig mit ganz anderen Augen eine Hausarzt- oder Facharztpraxis oder ein Krankenhaus betreten (Vorsicht! Infektionsgefahr!). Das deutsche Gesundheitswesen ist krank und braucht dringend eine Rosskur!

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Simon Grübel

Ein schizophrenes Gesundheitswesen ist unheilbar

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • WEIMAR • LONDON • NEW YORK

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2014 FRANKFURTER LITERATURVERLAG FRANKFURT AM MAIN

Ein Unternehmen der Holding

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

AKTIENGESELLSCHAFT

In der Straße des Goethehauses/Großer Hirschgraben 15

D-60311 Frankfurt a/M

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Kopieren, Digitalisieren, Smoothing, Komprimierung, Konvertierung in andere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und werden auch strafrechtlich verfolgt.

Lektorat: Manfred Enderle

ISBN 978-3-8372-1354-6

Die Autoren des Verlags unterstützen den Bund Deutscher Schriftsteller e.V., der gemeinnützig neue Autoren bei der Verlagssuche berät. Wenn Sie sich als Leser an dieser Förderung beteiligen möchten, überweisen Sie bitte einen – auch gern geringen – Beitrag an die Volksbank Dreieich, Kto. 7305192, BLZ 505 922 00, mit dem Stichwort „Literatur fördern“. Die Autoren und der Verlag danken Ihnen dafür!

„Wo Mäßigung ein Fehler ist, da ist GLEICHGÜLTIGKEIT ein Verbrechen.“

Georg Christoph Lichtenberg

Inhalt

„Wo Mäßigung ein Fehler ist, da ist GLEICHGÜLTIGKEIT ein Verbrechen.“

Einleitung

Der aussterbende Hausarzt und die Übermacht der Fach-(„Vollblut“-)Ärzte

Regress als Damoklesschwert für die Hausärzte – Eine delegierte Bestrafung durch Fachärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen

Krankenhäuser im Hamsterrad (oder: „Geldgieritis“ der Klinikverwaltungen auf Kosten der Patienten, Hausärzte und Reha-Einrichtungen)

Ein fairer Wettbewerb zwischen 134 gesetzlichen Krankenkassen? Oder ein programmiertes Chaos im gesamten Gesundheitswesen und unnötige Geldverschwendung.

Feldscher – Assistent des Landarztes – Ein Mediziner, welchen das Gesundheitswesen heute dringend braucht.

Demütigung des Hausarztes durch 9-jährige Zwangsarbeit als 10-Euro-Eintreiber für die gesetzliche Krankenkassen

Diabetes-DMP (DMP: Dieses – Monster – „perspektivlos“, „Die – Money – Propali“) – Ein Programm, um den Diabetes zu bekämpfen, oder eine Belohnung für unsolidarische Patienten und empathielose Ärzte.

Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz – das wichtigste Gesetz in der jüngeren Gesundheitspolitik, oder die nächste verschleierte Attrappe

IGel – ein Gesundheitselexier für die Patienten oder ein Zwang zur Beipflichtung von unnötigen Untersuchungen und Behandlungen der Patienten

Die Chipkarteneinführung – Ein Megaprogress bei der Behandlung und Betreuung der Patienten, oder ein Milliardenverlust für die Beitragszahler

Neugründung von hochgeschätzten, erfolgreichen medizinischen Versorgungszentren (oder Wiederaufbau von Einrichtungen mit Strukturen der verdammten und zerstörten Polikliniken)

Die Politik als Führer der Entwicklung des Gesundheitswesens, oder als Marionette der Lobbyisten

Verzögerung des Zugeständnisses von Fehlentscheidungen als Wissensmangel, oder als Absichtsmissbrauch der Selbstverwaltungen mit Duldung der Politik

Vorschläge zur Umstrukturierung des kranken Gesundheitswesens (oder: utopische Gedanken zur Änderung der Selbstbedienungsmedizin)

Einleitung

Auch die beste Medizin der Welt kann man zerstören, wenn alle Beteiligten nur an sich selbst denken und für den eigenen Profit arbeiten – um sich zu bereichern oder eine bessere berufliche Position zu schaffen, ohne Rücksicht auf das, was in der nächsten und fernen Zukunft mit ihr passieren wird. Es wird aus Wissensmangel falsch gehandelt, aber in vielen Fällen auch mit Absicht. Man weiß es im Voraus, dass nach manchen Entscheidungen ein Schaden entstehen würde für die Mehrheit der Beteiligten in dieser unheimlich langen und sehr komplizierten Kette dieses Wesens und trotzdem werden sie getroffen und dann, wenn es schon offensichtlich wird, dass diese Entscheidungen falsch waren, werden sie jahrelang nicht behoben und nur deswegen, weil sie jemanden nützlich sind. Das Schlimmste dabei ist, dass alles, was man falsch macht, einen direkten Einfluss auf die Gesundheit der Menschen hat, auf Jung und Alt, noch Gesunde oder schon Kranke, die hilflos sind, die sich gegen die gigantische „Gesundheitsmaschinerie“ nicht wehren können und wenn sie es tun, ist es meistens erfolglos.

Das Deutsche Gesundheitswesen ist so überbürokratisiert und übermüllt mit unzähligen unnötigen, widersprüchlichen Gesetzen und Vorschriften, die den Zustand und die Entwicklung der Medizin in die falsche Richtung steuern, immer teurer machen, sie immer mehr in das totale Chaos versetzen und langsam aber sicher zugrunde richten. Aus Fehlern wird nichts gelernt, sie werden meistens mit Ausreden jahrelang schön geredet, anstatt sie zu erkennen und frühzeitig zu beseitigen.

Eine große Schuld bei der Verteuerung der Medizin haben auch die Patienten selbst. Viele Patienten nutzen aus Egoismus, aus Faulheit, Gleichgültigkeit gegenüber den andern die unbegrenzte Solidarität grenzenlos aus. Diese Kranken (und auch nicht Kranken) denken nur an sich selbst, sie möchten alle ihre Bedürfnisse (und auch noch weit darüber hinaus) befriedigt haben, egal was für die Mitmenschen übrig bleibt. Die Kassenmitglieder, die Jahrzehnte Beiträge zahlen und keinen einzigen Cent von ihrem bezahlten Geld für die Behandlung nutzen, weil sie sich jeden Tag anstrengen gesund zu bleiben (dazu gehört vernünftiges Essen und Trinken, Nikotin-, Alkohol- und Drogenabstinenz, optimale Bewegungstherapie, normaler Schlaf und eine gesunde Umgebung, die man bewusst mit Geduld, viel Mühe und Toleranz schaffen muss) und auch wenn Kleinigkeiten in ihrer Gesundheit entstehen, nicht sofort zum Arzt rennen, sind benachteiligt.

Weil der Hausarzt von Anfang des menschlichen Lebens (manchmal schon ab der ersten Woche) bis zum letzten Tag und auch danach (Untersuchung des Verstorbenen) die Patienten begleitet, und weil ich auch mit Leib und Seele viele Jahre Hausarzt gewesen bin und seine Lage gut beurteilen und nachvollziehen kann, will ich das Buch hauptsächlich über diesen Arzt – über seine Probleme, Hilfsbedürftigkeit, Nachteile und Ausgrenzung in der Ärztehierarchie – schreiben, um vielleicht etwas beizutragen, damit er bewahrt wird.

Dem Widerspruch – „Der Arzt der ersten ärztlichen Linie …“ “Je dichter beim Patienten, desto weniger Geld“, möchte ich in meinem Buch auf die Spuren kommen mit Analysen und Erklärungen, warum so eine irreführende Situation überhaupt zustande kommen konnte. Ich werde wenig über Geld sprechen, obwohl Geld auch relativ wichtig ist, sondern mehr über die Anerkennung des Hausarztes, über seine Benachteiligung seitens der Gesundheitsfunktionäre und Politiker, sowie über den Krebs der Medizin – die Bürokratie und den Lobbyismus.

Ich habe mich bemüht, Antworten zu finden auf folgende Fragen: Warum der Hausarztmangel, besonders auf dem Dorf, entstanden ist und wer dafür verantwortlich ist. Was und wer dem Hausarzt das Leben so schwer macht. In diesem Buch teile ich Ihnen meine Gedanken mit, wie man auf dem Dorf, trotz des Landarztmangels, die medizinische Versorgung verbessern kann, wie und wo man echt viel Geld sparen kann, um die Beiträge zu senken oder mindestens auf Dauer zu stabilisieren (Geld ist genügend da, es ist nur falsch und ungerecht verteilt.), wie man bei Ärzten wieder den Willen und die Freude auf dem Land zu arbeiten zurückgewinnen kann, welche Ungerechtigkeiten die gesetzlichen Krankenkassen treiben, wie sie eine Zweiklassenmedizin geschaffen haben und dass die Krankenversicherung gar keine Versicherung ist. Ich habe es gewagt, über empathielose Ärzte und die unzulässige Macht der Kirche in der Medizin zu schreiben.

Wir alle, vom Patienten bis zum Gesundheitsfunktionär, müssen uns von der Gleichgültigkeit und dem Streben zur Selbstbedienung in der Medizin befreien und der Empathie ihren freien Lauf lassen.

Wenn es mir nur einigermaßen gelungen ist, die wichtigsten Aspekte des kranken Gesundheitswesens Deutschlands zu übermitteln und bei der Bewahrung und Weiterentwicklung der Medizin teilzunehmen, bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Interesse geweckt habe, würde ich mich sehr freuen.

Der aussterbende Hausarzt und die Übermacht der Fach-(„Vollblut“-)Ärzte

Die neueste, auf der Medica (2012) vorgestellte Umfrage, zeigt, „dass die Deutsche Ärzteschaft ihr Ansehen dem Arzt der ersten ärztlichen Linie, dem Hausarzt, verdankt.“ Im alltäglichen Leben sieht es ganz anders aus. „Hausärzte sehen sich in Sonntagsreden gelobt, in der Praxis aber vernachlässigt“, sagte ein Professor. Die Politiker werden nicht müde, den Hausarzt wortreich zu erheben: „Der Hausarzt wird der Kapitän des Gesundheitswesens. Wir werden alles tun, dass der Hausarzt die Lotsenfunktion in der Medizin übernehmen wird.“ „Der Hausarzt ist …“ und so weiter. Diese Äußerungen von hohen Tribünen über den Hausarzt kann man seit Jahrzehnten hören und in Titeln von Zeitschriften lesen, die von Politikern vor der Wahl gesagt und geschrieben werden, aber nach der Wahl bleibt alles beim alten, und nicht nur das, die Lage verschlechtert sich von Jahr zu Jahr.

Die Lotsen und die Kapitäne des Gesundheitswesens in Deutschland sind heutzutage die Fachärzte und aus dem Hausarzt ist ein Matrose geworden. Sie haben das Sagen, wie und mit welchen Medikamenten (aus welcher Firma) man den Patienten behandeln muss, was und wie oft man den Patienten zu ihnen (Fachärzte) überweisen muss. Das ist teilweise auch in Ordnung so, wenn es nicht übertrieben ist, wenn es den Patienten zugute kommt, wenn man den Hausarzt nicht unter Druck setzt, wenn man den Hausarzt nicht für dumm hält, wenn man ihn als Kollegen wahrnimmt und nicht nur als Überweisungsverschreiber benutzt. Viele Patienten kommen am Anfang des Quartals nur, um Überweisungen zu Fachärzten abzuholen. Ohne über irgendwelche Beschwerden zu reden, sagen sie schon beim Betreten des Sprechzimmers, dass sie Überweisungen brauchen, weil der Facharzt schon im vorigen Quartal mit ihm oder ihr einen Termin vereinbart hat. Ich hatte einige Patienten, die schon seit Jahren jedes Quartal vom Augenarzt einen Termin zugeteilt bekommen, um einen grauen Star zu prüfen, ob er schon reif ist für die Operation oder ob man noch ein bisschen warten kann, bis er „reif“ wird. Das bisschen dauerte jahrelang, weil niemand am Anfang der Beobachtung operationsmäßige Beschwerden hatte. Einige davon sind trotzdem irgendwann operiert worden. Kein einziger Patient wehrte sich dagegen und ging brav und schweigend in die Facharztpraxis und wir, Hausärsche (Ich hatte Mal einen Kollegen, der sich zu Recht selbst so genannt hat.) sind gezwungen, schweigend mitzumachen, weil der Patient den Termin schon vor drei Monaten in die Hand gedrückt bekommen hat und wenn er ihn nicht wahrnimmt, kriegt er von seinem „DMP“ Augenarzt eine Mahnung. Ich hatte auch einige Patienten, die alle drei Monate vier bis sechs Überweisungen gleichzeitig geholt haben. Der Grund, den Facharzt zu besuchen, ist in vielen Fällen identisch: „Bei allen diesen Fachärzten habe ich in diesem Quartal Termine, die ich unbedingt wahrnehmen muss. Wenn ich nicht komme, rufen sie mich mehrmals an und fragen, warum ich nicht gekommen bin, und das will ich halt nicht.“ So unnötig werden auch einige Patienten nach der Entlassung vom Krankenhaus (das eine Genehmigung zur Behandlung ambulanter Patienten hat) weiter zur Sprechstunde bestellt. Oder, nach einer Furunkel-Eröffnung oder anderen ambulanten OPs werden die Patienten wochenlang zum Verbandswechsel weiter bestellt, da der Chefarzt der Chirurgischen Abteilung jedes Mal durchgeführte Maßnahmen unterschreibt, obwohl er den Patienten nur fünf Sekunden gesehen hat. Wenn auch der Hausarzt nur drei Verbände bezahlt bekommt (eine Abzocke seitens der Kassen), wird er von den Fachärzten noch erniedrigt (für dumm gehalten) und die Kranken werden benachteiligt. Die Patienten fragen, warum sie 15 Kilometer ins Krankenhaus oder zum niedergelassenen Chirurgen (auch nach einer OP) nur wegen eines Verbandswechsels fahren müssen, den sowieso die Arzthelferin macht. „Und außerdem müssen wir dort auch noch jedes Mal bis zu zwei Stunden Wartezeiten in Kauf nehmen“, klagen die Patienten. Weil sie „Geldgieritis“ haben und weil es viel zu viele Chirurgen sind, habe ich immer offen die Wahrheit gesagt, mit dem Gedanken, dass sie irgendwann erfahren würden, was ein Hausarzt von ihren aufgedrängten Terminen hält, um ihre Einstellung zu ihm zu ändern. Aber Geldgier und die Einbildung, der Größte zu sein, ist stärker als die Vernunft und wenn man nichts zu tun hat, ist das auch eine Maßnahme zum Überleben.

Die Verwaltung der Ärzte besteht hauptsächlich aus Fachärzten (Selbstverwaltung der Fachärzte), die, mit Unterstützung der Politiker, die Hausärzte immer wieder mit irgendwelchen Versprechen vernebelt, die in Wirklichkeit nur Maßnahmen sind, um dem Publikum zu zeigen, wie lieb sie den Hausarzt haben und wie hoch sie seine Tätigkeit schätzen.

Ein Beispiel, als würde eine „Sensation“ verkündet: „Plus für Hausbesuche! …“, schreibt man in allen Zeitschriften und gibt es noch zusätzlich im Fernsehen in den Nachrichten bekannt, sodass es auch die Patienten wissen, die es nicht gelesen haben, dass der Hausarzt mehr verdienen würde. „Honorar: Das ändert sich für sie (Hausärzte) ab 1. Juli.“ „Forderungen nach höheren GKV-Honoraren für Hausärzte sind endlich gehört worden“, hatte man vor anderthalb Jahren groß geschrieben und laut geschrien, so laut, dass einige Patienten mir gratuliert hatten zur Lohnerhöhung, so wie bei der Einführung der Praxisgebühr. Das Versprechen von den allerhöchsten Tribünen sieht in der Wirklichkeit ganz anders aus.

Es geht um die Hausbesuche, die der Hausarzt fast jeden Tag bei seinen akut erkrankten Patienten auf Anforderung macht oder auch bei chronischen Patienten, die nicht mehr in die Praxis kommen können und eine regelmäßige Kontrolle seitens des Arztes brauchen, um die Verschlimmerung des Zustandes und um die Einweisung ins Krankenhaus so lange wie möglich zu vermeiden. Eine optimale Betreuung eines chronisch kranken Patienten ist nicht nur eine humane Geste des Arztes in Bezug auf den Kranken, um ihm das von der Krankheit eingeschränkte Leben zu erleichtern, sondern auch ein riesige Möglichkeit, Geld für das Gesundheitswesen zu sparen. Wenn ein Patient zu Hause gut betreut wird, kommt er seltener ins Krankenhaus. Und eben das haben die Politiker und die Funktionäre endlich „begriffen“ und um den Beruf als Hausarzt „attraktiver“ zu machen, haben sie sich entschieden ein „plus für Hausbesuche“ zu gewähren.

Ein Hausbesuch wurde vorher mit 15,42 Euro honoriert und der Mitbesuch mit 7,54 Euro. Jetzt, nach den neuen Regeln wird der Besuch aufgewertet auf 21,03 und der Mitbesuch auf 10,50 Euro. Da schlägt das Hausarztherz gleich höher. Endlich mal was Positives für den aussterbenden Äskulap. Und dann plötzlich wieder eine Täuschung (das wievielte Mal schon?). Für den Besuch wurde vorher eine Zeit von 15 und für den Mitbesuch von 10 Minuten gegeben und jetzt 20 und 12 Minuten. Das heißt, vorher wurden vier Hausbesuche pro Stunde bezahlt und jetzt nur noch drei. Die neue Regelung bringt dem Hausarsch ein „Plus für die Hausbesuche“ pro Stunde von 1,41 Euro. Der Fleißige wurde wieder bestraft. Ein Abrechnungsexperte kommentierte diese Entscheidung der Gesundheitsfunktionäre lakonisch so: „Wer bei seinen Hausbesuchen schneller ist, kann sich überlegen, zwischendurch Pausen zu machen.“ Die neue Regelung ist im Grunde genommen zum Vorteil der Krankenhäuser gemacht worden. Wenn man die multimorbiden Patienten zu Hause schlechter betreut, werden sie öfters ins Krankenhaus eingewiesen. Auf dem Papier steht, dass man die prophylaktische Medizin fördern muss, dass sich der Zustand der chronischen, zu Hause und in den Altenheimen versorgten, alten Patienten so weit wie möglich nicht verschlimmert, weil man die Zahl der Krankenhäuser in der Zukunft fast halbieren will. Und in der Tat erzielt diese Regelung gerade das Gegenteil. Sie bestraft die Hausärzte, die ihre Patienten zu Hause gut betreuen, um die Krankenhäuser zu füllen. Geht das nicht in die Irre? Und wenn man jetzt den Hausarzt ins Dorf zurückgewinnen und Geld sparen will und gleichzeitig die Betreuung der Patienten verbessern möchte, war diese Entscheidung (außer, dass der Hausarzt und das Publikum angelogen wurden) eine Aktion, um „dem Arzt der ersten ärztlichen Linie“ den Sauerstoffhahn noch weiter zuzudrehen und die Bettenreduzierung in den Krankenhäusern zu verhindern. Ich finde dafür keine andere Erklärung

„Was bekomme ich für die Behandlung von Ulzera und diabetischen Füßen“, fragte ein Hausarzt einen Experten. Die Antwort ist ganz einfach – nichts. „Die Behandlung des diabetischen Fußes hat eine eigene Gebührenordnungsposition (GOP) 02311. Diese setzt einen Qualifikationsnachweis und die Genehmigung durch die KV voraus: „Die GOP 02311 kann nur dann berechnet werden, wenn der Vertragsarzt – im Durchschnitt der letzten vier Quartale vor Antragstellung – je Quartal die Behandlung von mindestens 100 Patienten mit Diabetes mellitus durchgeführt hat und die Qualifikation zur Durchführung von programmierten Schulungen für Diabetiker nachweisen kann. Fachärzte für Chirurgie, Orthopädie und Dermatologie können diese Leistung auch dann berechnen, wenn sie die Qualifikation zur Durchführung von programmierten Schulungen für Diabetiker nicht nachweisen können.“ Ist das nicht eine Diskriminierung eines hilfsbereiten, ehrlichen, der KV treuen Hausarztes? Die Hürde von hundert Diabetikern ist nur von einem Diabetologen zu erreichen, der den Hausarsch beauftragt, die Patienten jedes Quartal labormäßig zu untersuchen und mit der Überweisung und den Laborwerten in der Hand zu ihm zu schicken, da schon vor drei Monaten ein Termin vereinbart wurde. Die Arzthelferin, die schon für alle Fälle im PS fertige Briefe gespeichert hat, druckt sie dann mit kleinen Änderungen aus und schickt sie dem kostenlosen „Mitglied“ (dem Hausarzt) der diabetologischen Praxis zu. Die Schulungen von Diabetikern macht eine andere Arzthelferin. Die Patienten, die kein Wort Deutsch verstehen, müssen auch in einer Liste unterschreiben, dass sie an der Schulung teilgenommen haben (Es müssen nicht weniger als 100 pro Quartal sein). Das alles ist eine „Genehmigung“, um die Kosten im Gesundheitswesen zu erhöhen. Die Regelung wurde mit Absicht gemacht, um den Hausarzt zu benachteiligen und den Fachärzten einen Vorteil zu verschaffen, um die Patienten mit Ulzera zu ihnen zu überweisen.

Ein Patient mit einem diabetischen Fuß kam bis zu 30 Mal im Quartal zu mir zur Behandlung, weil er in der Nähe der Praxis wohnte und nicht zum hohen Spezialisten in die Stadt fahren konnte und auch nicht wollte. „Da machen Sie, Herr Doktor, den Verband jedes Mal persönlich und dort (wo 100 Patienten pro Quartal kommen und ein Qualifikationsnachweis vorhanden ist) sehe ich den Arzt nur selten“, sagte er. Der Patient war auch schon in einer Wundambulanz zur Behandlung und hat von dort den Behandlungsplan mitgebracht und trotzdem ging ich mit meinem guten Willen und meiner humanen Einstellung gegenüber dem Patienten und vielleicht auch noch besseren Behandlung als in einer orthopädischen Praxis, leer aus (Da die Behandlung ohne Schulung bezahlt wird, da man zwei Stunden warten muss, 7 Kilometer entfernt ist und da der Patient, der kaum gehen kann, 200 Meter vor der Praxis parken muss).

Übrigens, die Wundambulanz (die sich 10 Kilometer vom Wohnort des Kranken entfernt befand) übernahm dann irgendwann die Behandlung dieses Patienten und eine Schwester kam regelmäßig zum Patienten und machte den Verband zu Hause und ich musste (wurde in die Regressfalle für Heilmittel getrieben!) das Verbandsmaterial verschreiben. So erniedrigend zäunt die Selbstverwaltung der Fachärzte den Hausarzt mit Regeln ein, nur um ihm die GOP 02311 nicht zu bezahlen. Das kann man doch nur mit Absicht machen – den Hausarzt unterdrücken, um sich Vorteile zu verschaffen, trotz Verschlechterung der Betreuung der Patienten und Erhöhung der Kosten.

Der Hausarzt ist sogar in den Altenheimen, die mittlerweile für manche Fachärzte auf Dauer eine sichere Einnahmequelle sind, ein Laufbursche geworden. Ein Beispiel: Ein Neurologe wird zu einem bettlägerigen Patienten ins Altenheim bestellt, weil er schon seit einer Woche Schwindel hat. Der Kollege untersucht ihn und wenn er schon im Haus ist, geht er von einem Zimmer zum anderen und konsultiert mehrere Patienten mit Schwindel oder Zittern. Da jeder zweite diese Symptome hat, gibt es im Heim eine große Auswahl. Am nächsten Tag rief die Arzthelferin dieses Schwindelarztes an und bat, Überweisungen zu schicken, weil gestern ihr Chef den Herrn A. und die Frau E. im Heim untersucht hat.

Am Anfang jedes Quartals bekam ich Anrufe von einem Pflegeheim. Es wurde gebeten, Überweisungen für mehrere Patienten auszustellen, die Termine beim Urologen haben. Untersuchungsziel: Die unauffällige Prostata bei Prostatahyperplasie abzutasten oder den Urin auf Bakterien bei beschwerdefreien Patienten zu untersuchen oder den Katheter zu prüfen, der vor einigen Tagen vom Hausarzt gewechselt wurde (weil er funktionsunfähig war) und jetzt ohne Auffälligkeiten funktionierte. (Übrigens, es wurde verboten, dass Krankenpflegerinnen den Dauerkatheter wechseln, auch bei Frauen, obwohl sie das erfolgreich seit vielen Jahren im Hause aus eigener Initiative gemacht haben.) Viele Patienten konnten kaum gehen und bewegten sich nur mit dem Gehwagen, einige Patienten konnten gar nicht mehr gehen und saßen im Rollstuhl und wurden trotzdem jedes Quartal mit speziellem Taxi oder mit dem Krankenwagen in die urologische Praxis gefahren. Ich bekam einmal einen Anruf vom Pflegeheim mit der Bitte, mehrere Überweisungsscheine an eine Urologin auszustellen, worunter auch der Name einer Frau R. war. Ich weigerte mich das zu tun, weil Frau R. vor einer Woche vom Krankenhaus zur palliativen Behandlung entlassen worden war. Die Pflegerin schilderte telefonisch diesen Fall der Urologin, schickte aber trotzdem den Urin in die Praxis, die 5 Kilometer entfernt ist (meine Praxis - 1 Kilometer) mit dem Taxi zur Teststreifenuntersuchung, was jede Pflegehelferin machen kann und auch jede Mutter bei ihren Kindern zuhause macht. Nach einigen Tagen bekam ich einen Brief von dieser Urologin mit folgendem Inhalt: „Dr. Grübel möchte keinen Überweisungsschein ausstellen. Katheter nun nach Reapoplex (wiederholtem Schlaganfall, weswegen sie auch im Krankenhaus war).“ Die Untersuchung des mit dem Taxi hingebrachten Urins ist nicht gemacht worden. Und weiter schreibt die Urologin: „Es sollte nun geklärt werden, ob nach Apoplex die Patientin die Harnblase suffizient (vollständig) entleeren kann.“ Sie hat erneut einen Termin bekommen zum Auffüllungstest ggf. Dauerkatheterentfernung oder erneute Einlage eines Katheters. Wozu muss man einen sterbenden Menschen, bei dem jede Bewegung eine Qual ist, mit einer Trage mit Transportwagen zum Facharzt bringen, um Tests durchzuführen, ob er ohne oder mit Katheter die letzte Woche oder die letzten Tage seines Lebens verbringen kann? Nach zwei Tagen kam die Drohung per Fax: „Solltest du (Hausarsch) diesen Termin für die Patientin nicht wollen, ruf mich an.“ Aus Neugier rief ich am nächsten Tag die Ärztin an und schilderte ihr den Zustand dieser Patientin, um mich nochmals zu überzeugen, wie weit eine äußerlich sehr nette Humanärztin mit einer geldgierigen Bestrebung gehen kann, ob sie wirklich ihre Idee einer ärztlichen Folterung realisieren will. Das Gespräch war nicht so, wie ich mir es vorgestellt hatte. Ich dachte, dass die „Humanärztin“ von meinem Gespräch überrascht sein und sich entschuldigen würde für den Inhalt ihres Facharztbriefes und Faxes und sie mir sagen würde, Herr Kollege (ob sie mich überhaupt als Kollege akzeptierte, dachte ich mir im Nachhinein), Entschuldigung für die Aufdringlichkeit gegenüber Frau R. (gegenüber des Abrechnungsscheines von Frau R.). Lassen wir sie in Ruhe, wenn sie wirklich in so einem schweren Zustand ist. Oder, ja, weißt du, Simon (wir duzten uns), ich untersuche die Patientin jedes Quartal schon seit 5 Jahren und die zuständige Altenheimpflegerin hat automatisch, wie gewohnt, bei dir die Überweisung bestellt. Lassen wir sie die letzten Tage ihres Lebens in Ruhe. Nein!, die Antwort war ganz anders und mit einem ganz aufgeregten Ton. Ich will die Frau R. nochmal gründlich austesten (solange Sie noch lebt). Ich will unter Kontrolle des Ultraschalls die Blase füllen, um dann zu schauen, welchen Druck sie aushält, bevor sie sagt, jetzt muss ich aber dringend Wasser lassen und dann auf Kommando (für eine demente, fast nicht ansprechbare Patientin, mit einer Sonde im Magen zur künstlichen Ernährung) muss Sie die eingeführte Flüssigkeit bewusst rauslassen. Wenn sie den Test besteht, kommt sie zurück ohne Katheter, wenn nicht, bleibt er drin, sagte die Fachärztin mit Ernst und Begeisterung und fügte hinzu: “Wenn die Schmerzen bei der Umlagerung von der Trage auf die Untersuchungsliege wirklich sehr stark sind, dann mache ich den Test vollständig auf der Trage (welche Barmherzigkeit)”. Bei diesem Gespräch bekam ich auch noch mit, dass die Fachärztin diese Pflegerin, die immer wieder anrief, verpflichtet hatte, alle Bewohner, ohne Ausnahme, brav und pünktlich jedes Quartal zu ihr zu schicken und dann eine Überweisung bei Hausärzten regelmäßig anzufordern. Alles absolut im Sinne der Altenheimprüfer, die die Punkte verteilen, und des Altenheimchefs, der sie braucht, weil das Heim auf dieser Basis von dem Prüfer bewertet wird, um festzustellen, wie (pünktlich) die Patienten versorgt werden. Kurz nach dieser Geschichte mit Frau R. rief diese Pflegerin wegen eines anderen Falles an und schilderte mir fast weinend, dass sie von dieser Kollegin getadelt wurde, weil sie die Überweisung für Frau R. bei mir nicht auffordern konnte. Ich stellte eine Überweisung und einen Transportschein aus und schickte sie ins Altenheim, um die Pflegerin zu retten.

Mir sind Fälle bekannt, wo ein Patient mehrere Monate in die chirurgische Praxis mit einer Trage mit Transportwagen transportiert wurde, um dort einen zweiminütigen Verband an einem Geschwür am Unterschenkel zu machen, und den machte die Arzthelferin, ohne jedes Mal die Wunde dem Chirurgen zu zeigen und dem Hausarzt, der den Verband auch zu Hause machen würde, wenn er ebenso wie die Fachärzte eine Genehmigung bekäme und wenn man ihm die Hausbesuche (mit der Regelung „Plus für Hausbesuche“) nicht gestrichen hätte. Die Krankenkassen dulden ähnliche Fälle und beklagen sich, dass das Geld fehlt, anstatt diesem unsinnigen Untersuchungs- und Behandlungswahn der Fachärzte ein Ende zu bereiten.

Übrigens, nach einer Woche ist die Patientin R. in einem halb bewusstlosen Zustand doch noch von der Urologin untersucht worden und sie konnte den Auffülltest nicht bestehen und kam zurück ins Heim, wieder mit einem Dauerkatheter. Nach drei Wochen ist sie gestorben.

Die Folgen von Überversorgung durch Fachärzte ist nicht nur eine Quälerei der Patienten mit unnötigen Untersuchungen und nicht nur ein finanzielles Problem. Sie hat noch eine viel größere negative Auswirkung auf Menschen und sogar auf Kinder, die schon im Kindergarten oder in der Schule krank gemacht werden. Es geht um das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).

„ADHS: Würzburg ist Weltspitze“, schreibt eine Zeitschrift. (Wie viel Spitzenpositionen haben wir schon in unserem Gesundheitswesen? Das könnte ein Thema sein für eine echte Doktorarbeit.). „Obwohl mittlerweile bekannt ist, dass die ADHS zu den häufigsten psychischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters gehört, schlugen die Zahlen des Arztreports 2013 der Bremen-GEK reichlich Wellen: Um 42 Prozent stieg die Zahl der diagnostizierten ADHS-Fälle nach den Berechnungen der Reportautoren.“ Was mit diesen Kindern passiert, wissen alle. Sie werden mit Medikamenten, oft auch auf Bestehen der Kindergarten-Erzieherinnen und dann später auch der Lehrer, ruhiggestellt und aus meistens begabten Kindern werden dann Kandidaten für die Hauptschule gezüchtet.

In der Tat untersucht dort eine Forschergruppe Symptome und den Verlauf von ADHS. „Würzburg ist durch die Uniklinik und aufgrund der guten Versorgungslage durch niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater ein fachärztliches Zentrum für ADHS.“ Wahrscheinlich ist das eine Schmiede für Doktorarbeiten und da muss für die Statistik die Zahl der Beobachtungs- und Behandlungsfälle exakt stimmen.

Der Ursprung vieler Erpressungen des Hausarztes (wie oben geschildert) kommt vom Gesetzgeber selbst. In den Altenheimen zum Beispiel ist die Prüfungskommission verpflichtet, die Pflege der Bewohner mit Punkten zu bewerten. Für jeden Quatsch und Unsinn, der dem Patienten in vielen Fällen sogar schadet (wie oben geschildert), bekommt man Punkte. Zum Beispiel: Wenn einem Bewohner jedes Jahr ein Elektrokardiogramm gemacht wird, bekommt man einen Punkt. Wenn die Blutuntersuchung zweimal im Jahr gemacht wird, bekommt das Heim noch einen Punkt dazu (oder auch zwei, das ist von mir abstrakt geschätzt). Wenn die Bewohner jedes Jahr bei einer Krebsvorsorge waren, bei einer Augenarztkontrolle, alle zwei Jahren eine Gesundheitsuntersuchung gemacht bekommen, wenn der Patient nicht untergewichtig ist (egal aus welchen Gründen) und so weiter und so fort, gibt es zusätzliche Punkte.

Während eines Besuchs einer ehemaligen Alkoholikerin im Altenheim bat mich die zuständige Pflegerin ins Dienstzimmer zu kommen und sie sagte, dass sie mit dieser Bewohnerin ein riesiges Problem habe. Das wunderte mich, weil ich diese Patientin schon seit 18 Jahren kannte und nie mit ihr Probleme hatte, außer dem übermäßigen Alkoholkonsum. Seit sie ins Altenheim eingewiesen worden war, konsumierte sie keinen Alkohol mehr. Sie nahm Teil an allen angebotenen Veranstaltungen, malte viel und gar nicht schlecht, einige ihr Bilder hängen sogar auf dem Flur des Heimes, und jetzt ist plötzlich ein Problem aufgetaucht, das konnte ich kaum glauben. Die Pflegerin suchte hektisch im PC die Daten dieser lieben Frau und ich strengte mich weiter an, um endlich das Problem zu entschlüsseln, aber dann unterbrach die besorgte junge Dame in Weiß meine Gedanken und zeigte mir auf dem Bildschirm hunderte Ziffern mit irgendwelchen spitzfindigen Formeln. Sehen Sie, Herr Doktor, Frau E. wiegt 60 Kilogramm. Der Formel nach sollte sie 62 wiegen, aber sie will nicht mehr essen, egal was wir ihr anbieten. Wenn die Prüfer das sehen würden, bekämen wir weniger Punkte. Um das zu vermeiden, brauche ich von Ihnen eine Bestätigung und Unterschrift, dass sie zu wenig wiegt, und zwar nicht wegen unserer Vernachlässigung, sondern weil sie schon seit Jahren ein solches Gewicht hat und weil sie aus Überzeugung nicht zunehmen will. Die krankhafte Jagd nach Punkten machen das Pflegepersonal und die Hausärzte verrückt und verursachen enorme Kosten. Die meisten dementen Patienten und alle Patienten mit einem Korsakowsyndrom, aufgrund des Alkoholismus, denen absolut nichts fehlt, außer Gehirn, werden mit unnötigen Untersuchungen gequält, nur um gute Noten für das Haus zu bekommen und den Willen der Prüfer und die Forderungen des Gesetzgebers zu befriedigen. Das Personal ist gezwungen, diese hirnrissigen Anweisungen zu erfüllen und es bestellt beim Hausarzt jeden Tag Überweisungen und Transportscheine, um „gesunde“ Patienten, ohne irgendwelche Beschwerden, mit Rollator und auch in Rollstühlen, zu Fachärzten mit speziellem Taxi oder auch mit Transportwagen zu transportieren. Die kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen jagen wie Schützenjäger den Hausarzt, der vor drei Jahren das Budget überschritten hat oder Sprechstundenbedarfsmedikamente bezogen hat, die in einer erfundenen Liste nicht mehr drin sind, um ihn zu bestrafen, und hier drücken sie die Augen zu, um nicht zu sehen, welche inhumanen und auch noch sehr teuren Dinge gemacht werden. Das menschliche Mitfühlen, das manchmal wichtiger ist als eine Blutuntersuchung bei mehrmals wiederholten normalen Werten – die Streicheleinheiten, die die hilflosen alten Menschen wie kleine Kinder brauchen, das Gespräch mit ihnen, das Anlächeln, bleibt auf der Strecke, weil die Bürokratie die Zeit und die Nerven der Pfleger raubt und sie mit der Zeit gegenüber den Bewohnern gleichgültig macht.

Den Fachärzten sind die Gesetze und die Forderungen der Politik gelegen und manche von ihnen nutzen sie aus und übertreiben sie auch noch deutlich. Mehr und mehr werden die Patienten von den Fachärzten gefesselt und gezwungen, sie so oft zu besuchen (zu Fuß, im Rollstuhl oder auf der Trage) wie gerade ihr Terminkalender es noch verkraftet. Der Facharzt ist ein König geworden und der Hausarzt ein Bediener, der als Geisel der Fachärzte aufgrund der von ihnen vergebenen Termine unnötige Überweisungen verschreiben muss.

Ein Endokrinologe vergab regelmäßig einer 27-jährigen schwangeren Patientin Termine zur Untersuchung der Schilddrüse. In der 10. Schwangerschaftswoche war sie bei der nächsten Untersuchung und die Zusammenfassung lautete: „Eine Schilddrüsenfunktionsstörung konnte nicht nachgewiesen werden, daher wird eine Substitution aktuell nicht empfohlen. In der Schwangerschaft werden regelmäßige Kontrollen der Schilddrüsenhormonparameter empfohlen. Eine Anpassung der Schilddrüsenhormondosis im Verlauf der frühen Schwangerschaft ist bei einer Erhöhung des Bedarfs um in der Regel 30 bis 50 % meistens erforderlich. Eine Kontrolle wird im Verlauf nach ca. 4 bis 6 Wochen empfohlen.“

Am Anfang des nächsten Quartals kam sie selbstverständlich zu mir in die Praxis, um eine Überweisung abzuholen. Sie wurde wieder untersucht und die Zusammenfassung lautete:

„Eine Schilddrüsenfunktionsstörung konnte nicht nachgewiesen werden, daher wird eine Substitution aktuell nicht empfohlen. In der Schwangerschaft werden regelmäßige Kontrollen der Schilddrüsenhormonparameter empfohlen. Eine Anpassung der Schilddrüsenhormondosis im Verlauf der frühen Schwangerschaft ist bei einer Erhöhung des Bedarfs um in der Regel 30 bis 50 % meistens erforderlich. Eine Kontrolle wird im Verlauf nach ca. 4 bis 6 Wochen empfohlen.“ So wurden die Termine alle vier Wochen weiter vergeben bis zur Entbindung. Die Funktion der Schilddrüse kann doch auch vom Hausarzt kontrolliert werden, oder?

Eine Patientin S. mit einem Diabetes Typ 2 besuchte denselben Endokrinologen, der auch Diabetologe ist (der berühmte DMP-Arzt, der so sorgsam und erfolgreich Diabetiker betreut) viermal im Jahr und jedes Mal folgten als aktueller Befund und Zusammenfassung dieselben Texte. Und beim Patienten F., der auch von diesem Arzt „betreut“ wurde, folgten auch viermal im Jahr dieselben Sätze wie bei der Patientin S., nur mit einem anderen Gewicht und Bauchumfang. Der Befund bei beiden Patienten lautete: „Vibrationsbefinden eingeschränkt. Temperaturempfinden (TipTherm) rechts und links fehlt. ASR rechts(-)/ links (-). Keine Tinea pedis (Fußpilz). Trockene Haut. Keine Ödeme (obwohl die Frau S. ausgeprägte Ödeme hatte). Keine Entzündungszeichen. Keine Rhagaden, keine Ulzerationen. Kein Ruheschmerz oder Belastungsschmerz. Beiderseits Missempfindungen (z. B. Kribbeln, Taubheitsgefühl). Podologische Fußpflege wird bereits durchgeführt“ und so weiter. Das heißt, der Arzt hat bei all diesen Untersuchungen am Anfang des „Diabetes Checks“ dem Patienten die Hand geschüttelt und beim Verlassen der Praxis noch einmal mit trösteten Worten gesagt: Ihr Zustand hat sich nicht verschlechtert – Gehen Sie jetzt zu ihrem Hausarzt, er wird Ihnen alles erklären, was wir da so gemacht und gefunden haben. Der Text ist schon vor vielen Jahren im voraus für alle Diabetiker geschrieben worden und die Arzthelferin ändert nur einige Ziffern. Damit war die vielversprechende und teure Diabetes-DMP-Betreuung abgeschlossen. Niemand sieht die Augenwischerei und alle die da beteiligt sind loben das tolle System, das sie (die Fachärzte) erfunden haben, um das Gesundheitswesen abzuzocken. Am Ende des Berichtes stand bei beiden Wort für Wort: „Eine Kontrolle mittels Ergometerbelastung sowie eine Kontrolle der Laborparameter Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Cholesterin (HDL und LDL), Triglyceride und Urin-Albumin, sollte einmal jährlich (ich machte diese Untersuchungen bei den Diabeteskranken, die ich betreut habe, viermal jährlich) durchgeführt werden. Die Kontrolle des HbA1c sollte unverändert einmal alle drei Monate zusammen mit der klinischen Untersuchung erfolgen.“ Eine Aufgabe für den Hausarsch und der hoch geschätzte DMP-Arzt kassierte das Geld, das für die „gute“ Betreuung (leider ohne Erfolg) vorgesehen ist.

Die Deutsche Gesellschaft für innere Medizin möchte noch weitergehen, um sich eine Arbeitsplattform zu schaffen. „Eine neue Schwerpunktgesellschaft für Geriatrie, speziell zur Versorgung multimorbider Patienten, soll eingerichtet werden“. Der Grund: „Bisher gebe es kaum Überweisungen durch den Hausarzt an „Vollblut-Internisten“, und mit dem geplanten Schritt wolle man neues Terrain zum direkten Patientenkontakt beschreiten.“ „Das nennt man: Bedarf schaffen aus eigennützigen ökonomischen Gründen.“ „Internisten drängen in die Geriatrie. Frontaler Angriff auf Hausärzte“, warnt ein Allgemeinarzt.

„Dies ist nicht nur ein epochaler Angriff der Internisten auf die Hausärzteschaft, sondern vor allem eine Aufkündigung der kollegialen, interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Fach- und Hausärzten.“

„Seit Jahrzehnten setzen sich Hausärzte für geriatrische Patienten uneingeschränkt, auch zu Unzeiten, ein. Mehr als verwerflich ist die Unterstellung der hausärztlichen Inkompetenz sowie der nicht vorhandenen Qualifikation. Wir Ärzte dividieren uns wieder einmal durch Kompetenzgerangel auseinander! Berufspolitisch eine kollegiale Schande.“