Ein Sommer auf Sylt - Lena Wolf - E-Book
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Ein Sommer auf Sylt E-Book

Lena Wolf

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Beschreibung

Drei Schwestern, ein Haus am Meer und ein Sommer, der seinen Namen verdient Eigentlich bräuchte Julia dringend eine Auszeit. Aber die Reise nach Sylt entpuppt sich als wenig erholsam. Denn mit Julia sitzen auch ihre Mutter und zwei Tanten im Autozug auf die Insel. Die drei Schwestern sind vollkommen zerstritten und lassen keine Gelegenheit aus, den anderen auf die Füße zu treten. Vor allem streiten sie darüber, was mit dem Haus auf Sylt geschehen soll, in dem sie früher unbeschwerte Familienurlaube verbracht haben. Zunächst kommen die Frauen aber in einer Pension unter. Und hier zeigt Sylt sich endlich von seiner besten Seite. Zumal der Besitzer sehr charmant ist und Julia anbietet, ihr die Schönheit der Insel zu zeigen. Doch damit fangen Julias Probleme erst an …

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Lena Wolf

Ein Sommer auf Sylt

Roman

Über dieses Buch

Drei Schwestern, ein Haus am Meer und ein Sommer, der seinen Namen verdient

 

Eigentlich bräuchte Julia dringend eine Auszeit. Aber die Reise nach Sylt entpuppt sich als wenig erholsam. Denn mit Julia sitzen auch ihre Mutter und zwei Tanten im Autozug auf die Insel.

Die drei Schwestern sind vollkommen zerstritten und lassen keine Gelegenheit aus, den anderen auf die Füße zu treten. Vor allem streiten sie darüber, was mit dem Haus auf Sylt geschehen soll, in dem sie früher unbeschwerte Familienurlaube verbracht haben.

Zunächst kommen die Frauen aber in einer Pension unter. Und hier zeigt Sylt sich endlich von seiner besten Seite. Zumal der Besitzer sehr charmant ist und Julia anbietet, ihr die Schönheit der Insel zu zeigen. Doch damit fangen Julias Probleme erst an …

Vita

Lena Wolf ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin. Nach «Sommer mit Aussicht» ist dies ihr zweiter Roman, in dem sie fiktive und reale Orte vermischt. Im Gegensatz zu ihren Protagonistinnen fährt Lena Wolf gerne gemeinsam mit ihrer Familie in den Urlaub. Von einem eigenen Haus auf Sylt träumt sie allerdings immer noch.

 

«Sehr unterhaltsam … Lena Wolfs Beziehungskomödie unterhält, entspannt und macht Lust auf einen Trip ins Land der Lavendelblüte.» (Für Sie über «Sommer mit Aussicht»)

 

Mehr über die Autorin unter www.lenaswolf.de

1Austernfischerweg 7

«Wenn ich mir das Meer so anschaue, glaube ich kaum, dass ich darin baden werde. Hat sicher nur zehn Grad.»

«Was für ein Quatsch! Die Kälte spürst du doch gar nicht. Der Rettungsring um deine Hüften isoliert und hält dich warm.»

«Genau! Du hast es bereits als Kind am längsten von uns dreien im Wasser ausgehalten.»

«Bitte? Wollt ihr etwa andeuten, ich sei fett gewesen?»

«Gewesen?»

Instinktiv rutsche ich in meinem Fahrersitz ein wenig tiefer. Gut, dass wir in zwanzig Minuten endlich Westerland erreichen! Die Stimmung hier im Wagen ist mittlerweile dermaßen explosiv, es fehlt nur noch ein winziger Funke, und einer von uns geht in die Luft. Möglich, dass ich das sein werde. Auch wenn ich nach Kräften versuche, mich zu beherrschen: Ich habe die Kiefer fest aufeinandergepresst und seit Niebüll nichts mehr gesagt. Doch ein dünner Schweißfilm hat sich wie Sprühkleber auf meine Stirn gelegt und lässt vermutlich erahnen, wie es in meinem Innersten aussieht.

Was war das nur für eine Schnapsidee, mit meiner Mutter und ihren zwei Schwestern nach Sylt zu fahren! Diese ständigen Streitereien hält ja kein Mensch aus! Können die drei nicht mal schweigend aufs Meer schauen? Wenigstens für fünf Minuten? Ich reiße mich schließlich auch zusammen, obwohl mir im Grunde meines Herzens der Sinn danach steht, alle gemeinsam auf dem Hindenburgdamm auszusetzen.

«Eine verdammte Bummelbahn ist das.» Tante Annegret trommelt ungeduldig mit ihren Schaufelhänden gegen die Scheibe. «Kann das Biest nicht schneller fahren? Nur weil wir Rentner sind, haben wir ja nicht ewig Zeit.»

«Ganz im Gegenteil.» Tante Christiane ist ausnahmsweise mal derselben Meinung. «Denkt nur an den lieben Ralf. Gerade noch weilte er unter uns und plötzlich –» Im Rückspiegel sehe ich, wie sie sich mit der flachen Hand über die Kehle fährt. «Mausetot.»

Erschrocken schaue ich zu meiner Mutter. Sie sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz, hat den Blick starr nach vorn gerichtet und atmet geräuschvoll ein und ebenso hörbar wieder aus. Ihre Lippen bewegen sich, als formuliere sie stumm an einer Antwort, doch sie schweigt.

Im Rückspiegel werfe ich meiner Tante einen vorwurfsvollen Blick zu. Muss sie so pietätlos daherreden? Papa ist gerade mal ein halbes Jahr tot. Nicht einmal Mama und ich reden in diesem Tonfall über ihn.

Aber da ich ahne, dass eine Zurechtweisung zu nichts führen würde, außer vermutlich, eine erneute Diskussion heraufzubeschwören, halte ich meinen Mund.

Ich rutsche ein Stückchen tiefer im Sitz, schließe die Augen und versuche, mich zu entspannen. Sonst treibt mich dieses Dreiergespann vor Ablauf des Tages in den Wahnsinn.

Wenn ich wenigstens eine Kleinigkeit im Magen hätte. Seit heute Morgen um sechs Uhr der Wecker geklingelt hat, war keine Sekunde Zeit, etwas zu essen. Nicht mal einen Apfel oder sonst irgendeinen Snack habe ich geschafft zu mir zu nehmen. Aber vielleicht besteht am Bahnhof die Möglichkeit, auf die Schnelle ein belegtes Brötchen zu kaufen.

Ich öffne die Augen, weil mir plötzlich etwas einfällt. Bevor wir ankommen, sollte ich am besten schon mal unser Ziel ins Navi eingeben: Austernfischerweg 7 in Rantum. Dort steht das Haus meines Vaters, das jetzt mein Haus sein soll. Noch immer ist mir der Gedanke fremd, und die Adresse nur ein unbekannter Ort auf der Landkarte. Bis vor kurzem habe ich ja nicht einmal gewusst, dass mein Vater auf Sylt ein Haus besaß. Niemals ist davon die Rede gewesen. Aber wirklich viel wurde in meiner Familie ohnehin nicht geredet, zumindest nicht in den letzten Jahren. Seit Papa … also seit dieser Sache war der Kontakt zwischen mir und meinen Eltern alles andere als gut. Von daher kam es mehr als überraschend, dass mein Vater mich in seinem Nachlass explizit bedacht hat. Ausgerechnet mich! Nicht mal im Entferntesten habe ich damit gerechnet, weil wir uns im Grunde nie besonders nahestanden.

Meine Mutter hat mir nach der Testamentseröffnung erklärt, dass das Haus ursprünglich ihren Eltern, also meinen Großeltern gehört hat. Nach ihrem Tod haben sie es zu gleichen Teilen ihren drei Töchtern vermacht. Wohl, um die Mädchen auf diese Art für immer zusammenzuschweißen. Doch das genaue Gegenteil trat ein: Alle wollten lieber Bargeld in den Fingern halten, darum bot sich mein Vater als Käufer an und zahlte meine Tanten aus.

Nachdenklich beobachte ich die vorbeiziehende Landschaft: plattes Land, Wattenmeer, sicher nett für den Urlaub mit Kindern.

«Well …», kündigt Tante Christiane, die vor Jahren in die USA ausgewandert ist, ihren nächsten Satz an. Natürlich spricht sie akzentfrei Deutsch, nutzt aber jede Gelegenheit, ihren Aussagen ein wenig kosmopolitisches Flair einzuhauchen. «Well, ich weiß gar nicht, ob ich es ertrage, das Haus zu betreten.» Im Rückspiegel kann ich sehen, wie sie schmerzhaft das Gesicht verzieht. «All die Erinnerungen an unsere Kindheit. Es war so eine unbeschwerte Zeit.»

Neben ihr rollt Annegret mit den Augen. «Für dich vielleicht. Du bekamst ja auch grundsätzlich, was du dir in den Kopf gesetzt hattest. Und warst trotzdem nie zufrieden.» Ihre raue Stimme bekommt einen spöttischen Unterton. «Du fandest unsere Familienurlaube auf Sylt doch sterbenslangweilig. Wolltest lieber nach Frankreich oder Italien. Ferien in Deutschland zu machen war dir peinlich. Wir waren dir peinlich. Ganz besonders ich, die kleine Schwester.» Sie senkt den Kopf und seufzt. «Also, wenn einer das Haus und überhaupt die Urlaube auf Sylt geliebt hat, war ich es.»

«Blödsinn», meldet sich auf einmal meine Mutter zu Wort. Sie starrt noch immer bewegungslos nach vorn aus dem Fenster. «Wenn es jemanden schmerzt, dieses Haus zu betreten, dann ja wohl mich. Schließlich ist es mein Mann, der gestorben ist.»

Urplötzlich herrscht verschämtes Schweigen auf der Rückbank.

Überrascht blicke ich zum Beifahrersitz. Es ist das erste Mal seit Papas Tod, dass Mama von Kummer spricht. Und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.

Nachdenklich betrachte ich ihr Profil. Erstaunlich, wie wenig sie sich verändert hat. Ihre Haut ist mit 65 Jahren noch immer feinporig und rosig, die Gesichtszüge ebenmäßig, und das schmale, aristokratische Näschen lässt sie wie eine in Würde gealterte Filmdiva aussehen. Beneidenswert, denn meine Augenringe sind schon jetzt so dunkel wie der Schlick des Wattenmeers um uns herum. Immerhin habe ich Papas Sommersprossen geerbt. Auch wenn sie mich manchmal ein wenig zu jugendlich wirken lassen und ich sie darum zu geschäftlichen Meetings gerne überschminke, mag ich ihr tanzendes Aussehen. Von Mama habe ich die dunkelbraunen Augen und die welligen Haare. Ihre sind inzwischen kinnlang und von einem feinen Netz aus grauen Fäden durchwebt.

Ich schaue wieder nach vorn, weil der Zug seine Fahrt verlangsamt. Die Besiedelung nimmt zu. In der Ferne blickt man auf Hochhäuser, wir tuckern an dem vollbesetzten Parkplatz eines Supermarktes vorbei. Warum war ich eigentlich noch nie hier?

Seit ich bei der Testamentseröffnung von dem Haus auf Sylt erfahren habe, ahne ich, dass es dazu eine Geschichte gibt. Warum sonst sollte mein Vater es auf mich überschrieben haben? Und wie steht Mama dazu? Bislang habe ich mich nicht getraut, sie darauf anzusprechen.

Wenn ich jetzt allerdings höre, für welchen Zündstoff das Haus unter den Geschwistern sorgt, bereue ich es, meine Tanten mit ins Boot geholt zu haben. Das war vollkommen anders geplant!

Unglücklich betrachte ich die beiden im Rückspiegel. Sie haben haargenau dieselbe Körperhaltung eingenommen. Nur starrt die eine nach links, die andere nach rechts. Unverkennbar Schwestern, auch wenn alle drei sich äußerlich wenig ähneln. Tante Christiane ist die Älteste, sieht aber mit ihren 68 Jahren beinahe am jüngsten aus. Dafür scheint sie einiges zu tun: Ihre Hände sind gepflegt, die Nägel sorgfältig manikürt, mit weiß lackierten Spitzen. Auch ihre Figur ist topp in Schuss. Ich schätze, sie trägt Kleidergröße 36 und kauft ihre Outfits in angesagten und teuren Designerboutiquen. Allerdings lassen ihre faltenfreie Stirn, der glatte Hals und die feste Wangenpartie darauf schließen, dass der Natur etwas auf die Sprünge geholfen wurde.

Tante Annegret hingegen ist zwar mit 62 rechnerisch die Jüngste des Trios, aber Alkohol und Zigaretten scheinen in ihrem Leben eine tragende Rolle gespielt zu haben, und der eine oder andere Joint kam höchstwahrscheinlich auch noch hinzu. Ihre Haut sieht zerknittert wie eine alte Zeitung aus und ist von fahler Blässe. Kleidungstechnisch mag Annegret es bequem. Sie bevorzugt Jogginganzüge und weite Pullover, kaschiert ihre ausladenden Hüften damit aber weniger, als sie es vermutlich beabsichtigt. Ihre Haare wurden vor längerer Zeit blondiert, der zentimeterdicke Ansatz deutet jedoch darauf hin, dass sie es mit der Nachfärbung nicht eilig hat.

Es ist seltsam, mit den dreien auf so engem Raum zusammen zu sein. Außer einer kurzen Begegnung vor etwa dreißig Jahren – damals war ich gerade mal fünf – sind mir meine Tanten fremd. Und Mama … sie hat mich in der Vergangenheit oft enttäuscht. Seitdem meide ich den Kontakt.

Endlich erreichen wir den Bahnhof von Westerland. Und auf einmal herrscht draußen Hochbetrieb. Unser Verladezug war bis auf den letzten Platz besetzt, doch es geht vergleichsweise schnell, dass ich den Wagen starten und von der Rampe herunterfahren kann. Einige der Fahrzeuge werden bereits winkend erwartet, andere, wie wir, suchen den zügigsten Weg hinaus aus dem Trubel.

Zunächst folge ich den Anweisungen des Navis, aber als ich nach kurzer Fahrt eine Bäckerei entdecke, halte ich es nicht mehr aus. Mir ist inzwischen regelrecht übel vor Hunger, und wenn ich nicht endlich ein Fischbrötchen oder wenigstens eine trockene Brezel zwischen die Zähne bekomme, werde ich vermutlich hinter dem Steuer ohnmächtig. Kurz entschlossen fahre ich rechts ran und parke halbschräg auf dem Gehweg.

«Möchte jemand von euch etwas zu essen?», erkundige ich mich, während ich hektisch den Anschnallgurt aufschnappen lasse. «Ein Brötchen oder ein Stück Kuchen?»

Meine Mutter schüttelt stumm den Kopf. Ich drehe mich nach hinten. «No way!», sagt Tante Christiane und hält sich wie zum Schutz die manikürten Hände vor die Taille.

Tante Annegret zögert. Einen Moment scheint sie mit einem Küchlein zu liebäugeln, dann besinnt sie sich und deutet auf einen Jutesack, der ein wenig gequetscht neben ihr steht. «Danke, aber während du mit Kofferpacken beschäftigt warst, habe ich mir noch schnell ein Brot geschmiert.»

«Okay.» Ich angele auf dem Rücksitz nach meiner Tasche. «Bin gleich zurück.»

Auf dem kurzen Weg vom Auto zur Bäckereitür sehe ich, dass man sich drinnen bereits auf den Feierabend vorbereitet. Eine junge Frau säubert die Auslage, eine weitere Angestellte fegt den Laden. Überrascht schaue ich auf die Uhr und drücke nebenbei die Tür auf. Du liebe Güte, schon nach fünf! Ein Glück, dass die überhaupt noch geöffnet haben.

Eilig betrete ich das moderne Geschäft – und registriere mit Schrecken, dass die Vitrine bereits so gut wie leer ist. Ein einziges Brötchen liegt noch dort, welliger gelber Käse überlappt die untere Hälfte. Und obwohl das Teil kein bisschen ansprechend aussieht, macht mein Herz einen erfreuten Hüpfer. Meine Rettung!

«Guten Tag», rufe ich der jungen Frau mit platinblonder Kurzhaarfrisur und adretter Schürze zu.

Sie schaut zu mir und nickt.

Doch ehe ich meine Bestellung aufgeben kann, klingelt plötzlich mein Handy. Ungehalten wühle ich in meiner Tasche und werfe, als ich das Telefon gefunden habe, zunächst einen prüfenden Blick aufs Display. Die Firma. Ich muss rangehen. Entschuldigend zwinkere ich der Verkäuferin zu.

«Hallo Maja.» Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie ungelegen mir der Anruf in diesem Moment kommt. «Was gibt’s?»

Sofort ergießt sich eine Flut von Fragen über mich. Geduldig stehe ich meiner Kollegin Rede und Antwort, dann werde ich abgelenkt, weil ein Kunde den Laden betritt. Es ist ein Mann in Jeans und Sneakers, schätzungsweise Ende dreißig. Sein Outfit entspricht allen Sylt-Klischees: hellblaues Baumwollhemd, die Ärmel hochgekrempelt, dunkelblonde, zerzauste Haare und in der Hand eine verspiegelte Sonnenbrille.

Während ich weiter Majas Worten lausche, nähert sich der Kerl der Auslage. Mit Händen und Füßen versuche ich, die Verkäuferin darauf aufmerksam zu machen, dass ich zuerst an der Reihe bin, doch sie hat nur Augen für den Mann. War ja klar. Er wiederum hat das Brötchen im Fokus. Mein Brötchen.

«Jo möchte wissen, wo du die Zeichnungen für die alternative Fassadengestaltung hinterlegt hast», piepst Maja in mein Ohr. «Er ist total nervös, weil das Treffen mit dem Planungsausschuss eine Stunde vorgezogen wurde und …» Ich höre ihre Stimme nur noch aus der Ferne, denn in diesem Moment werde ich Zeuge, wie das Brötchen von der Verkäuferin aus der Vitrine genommen und über den Tresen geschoben wird. Gierig greift der Typ zu.

«Hallo?», rufe ich empört, ohne zu bedenken, dass Maja vermutlich das Trommelfell klingelt. «Das gehört mir! Sie haben sich vorgedrängelt!»

Wütend starre ich den Typen an, doch es ist zu spät. Er hat die Beute bereits von ihrem Pappteller gefischt und genüsslich seine Kauleiste hineingeschlagen. Vor Enttäuschung wird mir regelrecht schwarz vor Augen.

«Ach ja?» Mit geradezu aufreizender Ruhe zermalmt er seinen Riesenbissen und schluckt ihn dann im Zeitlupentempo hinunter. «Und wie sollte ich das ahnen? Sie haben schließlich telefoniert. Entweder man steht in einer Schlange an, oder man quasselt in sein Handy, beides funktioniert nicht, wie Sie ja nun wissen.» Sein skeptischer Blick gleitet an mir herab und verweilt dann auf dem silbernen Ring, den ich an einer Kette um den Hals trage. Ich registriere die ungewöhnliche Farbe seiner Augen: blaugrau mit einem hellen Schimmer. Wie ein Gemälde.

Oder wie kaltes Wasser.

Wütend schnappe ich nach Luft. Was bildet der Kerl sich ein? Statt wenigstens den Versuch einer Entschuldigung zu unternehmen, hält er mir einen Vortrag? Der hat vielleicht Nerven.

«Was?», rufe ich schrill. Und dann entlädt sich all der Stress, der sich in den vergangenen Wochen in mir aufgestaut hat, inklusive der Horrorfahrt mit meiner Familie hierher. Wie eine gurgelnde Monsterwelle ergießt er sich über dem Fremden. «Wer, bitte schön, hat heutzutage noch Zeit, einfach nur in einer Schlange anzustehen? Mal abgesehen davon, dass es gar keine gab. Ich bin die einzige Kundin! Ich habe Termine einzuhalten und muss die Firma am Laufen halten. Auch meine Korrespondenz erledigt sich nicht von selbst. Unzählige Mails verstopfen mein Postfach. Es sind schon über zweihundert! Und obwohl ich heute noch nichts gegessen habe und vor Hunger fast umfalle, muss ich trotzdem nebenbei telefonieren. Zeitmanagement nennt man das, schon mal was davon gehört?» Mit einem abschätzigen Blick betrachte ich ihn. «Aber ich bin nun mal kein reicher Schnösel, der glaubt, ihm gehöre die Welt. Nur weil er es sich leisten kann, auf Sylt abzuhängen.» Ich trete einen Schritt auf ihn zu und pikse ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. Sie ist erstaunlich hart. «Vermutlich sitzen Sie den lieben langen Tag im Sansibar in der Sonne und ordern am laufenden Band Champagner, um den anderen zu imponieren. Frauen natürlich, ist ja klar.» Ich mache eine raumgreifende Bewegung, in die ich die vollkommen verdutzte Verkäuferin einschließe. Dann stemme ich die Arme in die Hüften und funkele ihn wieder an. «Soll ich Ihnen mal was sagen? Das ist total armselig!»

Im Nachhinein weiß ich gar nicht, wie ich zu meiner Schlussfolgerung gelangt bin, denn genau genommen sieht der Typ gar nicht schnöselig aus, und seine Haut strahlt auch nicht sonnengebräunt, sondern wirkt eher ein wenig bleich und anämisch. Aber er hat es verdient, beschimpft zu werden! Allein wegen des unverschämten Grinsens, das er schon wieder an den Tag legt.

«Im Sansibar, soso.»

Ich beiße mir auf die Lippen. Um ehrlich zu sein, kenne ich das oder die Sansibar gar nicht, nur aus Erzählungen. Überhaupt kenne ich nichts und niemanden auf Sylt. Woher auch?

«Vielleicht möchten Sie den hier?» Der Kerl zieht aus der Brusttasche seines Hemdes einen Müsliriegel hervor. «Sie wirken tatsächlich reichlich unterzuckert.» Wieder ein Grinsen.

Ich fühle augenblicklich, wie mir vor Appetit die Spucke im Mund zusammenläuft, doch diese Schwäche will ich mir unter keinen Umständen eingestehen. Mitnichten!

«Nein danke», sage ich bemüht lässig, «ich verzichte. Wer weiß, wem Sie den vor der Nase weggeschnappt haben.»

Mit diesen Worten wirbele ich herum und stapfe aus dem Laden. Was, bitte schön, war das für ein arroganter Kerl?

Auf dem Weg zurück zum Wagen fällt mein Blick auf das Handy in meiner Rechten. Mist! Maja hat inzwischen aufgelegt, aber ich bin dermaßen in Rage, dass ich erst mal Luft holen muss, ehe ich sie zurückrufen kann. Wutschnaubend reiße ich die Fahrertür auf, lasse mich auf den Sitz plumpsen und starte den Motor. Die fragenden Blicke meiner Familie ignoriere ich geflissentlich.

«Wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr wieder», mokiert sich Annegret. «Es ist ziemlich stickig hier drinnen.» Sie reißt sich ihre Jacke vom Leib.

Kurz fliegt mein Blick zum elektronischen Thermometer: 25 Grad Außentemperatur. Nicht unbedingt tropisch, aber im parkenden Wagen in der Tat etwas heftig.

Ich biege auf die Straße und gebe Gas.

«Bitte fahr nicht so schnell, Julia», kommt es prompt von einem der hinteren Sitze. «Willst du uns auch noch ins Jenseits befördern? Man hat ja gar nichts von der schönen Landschaft.»

Ich atme tief durch. Und sehe mich um.

Der Himmel ist größtenteils bewölkt, vereinzelte violette Wattebäusche kündigen den bevorstehenden Abend an.

«Bitte entschuldigt. Ich habe mich gerade etwas geärgert. Nicht jeder auf der Insel scheint sich über Touristen zu freuen.»

«Don’t worry! Du bist schließlich keine normale Sylt-Touristin», erklärt Tante Christiane. «Du bist Immobilienbesitzerin!»

Es fällt mir schwer, mich als solche zu sehen.

«Wenn ich recht informiert bin, ist Rantum allerdings einer der günstigeren Orte auf der Insel», fügt sie hinzu. «Richtig teuer kannst du das Haus also wahrscheinlich nicht verkaufen.»

«Ach, und ich dachte, am preiswertesten sei es in Westerland», widerspricht Annegret. Sie hat sich ihren Proviant aus dem Stoffsack geschnappt und schaut kauend zwischen den Straßenseiten hin und her. «Andererseits … billig scheint es hier nirgendwo zu sein.»

«Als wenn du Ahnung von Geschäften hättest, Anne.» Tante Christiane gibt einen unwilligen Zischlaut von sich. «Ausgerechnet du.»

Ehe meine Tanten sich in den nächsten Streit hineinsteigern oder ich mich vergesse und kurz mal von Annegrets Stulle abbeiße, sage ich beschwichtigend: «Fahren wir erst mal zum Haus, dann sehen wir uns die Umgebung an.»

Meine Neugierde ist ein wenig geheuchelt, denn im Grunde interessiert mich die Insel kein Stück. Was soll ich mit einem Haus auf Sylt? Urlaub verbringe ich nach Möglichkeit in Ländern mit Schönwettergarantie. Und die Vorstellung, hier auf der Insel überteuerte Preise für Essen und Trinken zu bezahlen, um Teil des Schickimicki-Publikums zu sein, schreckt mich regelrecht ab. Nein, hier möchte ich nicht ständig hinfahren müssen, um nach dem Rechten zu sehen. Mein Ziel ist es darum, das Haus so zügig wie möglich zu verkaufen, um anschließend sofort nach Hause zurückzufahren. Dort stapelt sich die Arbeit. Zwar hält Jo die Stellung, aber unser Architekturbüro nimmt zurzeit an einer wichtigen Ausschreibung teil. Es geht um ein Neubauprojekt, ein Einkaufszentrum im Süden Hamburgs. Bekäme unsere Firma den Zuschlag, wäre das phantastisch. Gestern haben wir endlich die Unterlagen eingereicht, aber seit sich alles um diesen Pitch dreht, hat sich verständlicherweise andere Arbeit angestaut. Ich sollte mich schleunigst mal melden, nachdem ich Maja so unfein abgehängt habe.

Doch erst einmal folgen wir der Hauptstraße. Verrückt, dass man die gesamte Zeit über gar nicht merkt, dass wir uns auf einer Insel befinden. Zumal nicht unbedingt wenig Verkehr herrscht. Fahrräder, Autos, Fußgänger, man hat das Gefühl, halb Sylt ist auf den Beinen.

Fast hätte ich das Ortsschild von Rantum übersehen, das gelb und blitzeblank gewienert rechts von uns am Straßenrand prangt.

Wir biegen ab. Spitzgiebelige Reetdachhäuser ducken sich in die Landschaft, die hier aus wellenförmigen, grün bewachsenen Hügeln besteht. Möwen kreisen vor der aufgetürmten Wolkenformation, und in der Ferne hat sich ein gelbgoldener Sonnenstrahl fast waagerecht seinen Weg gebahnt. Mit müdem Schein streicht er über das Dünengras. Natur, so weit das Auge reicht.

Ich konzentriere mich wieder auf die Straße und biege wenig später in den Austernfischerweg. Das Haus mit der Nummer 7 liegt mitten in einer Kurve, ich entdecke es etwa im selben Augenblick, als das Navi uns verkündet, am Ziel zu sein. Kurz entschlossen parke ich hinter einem heruntergekommenen Suzuki-Jeep.

Als das Motorengeräusch erstirbt, herrscht plötzlich eine gespannte Stille im Wagen. Meine Mutter knibbelt an ihren Fingernägeln, beide Tanten recken die Hälse, ich starre mit großen Augen über das Lenkrad gebeugt nach vorn.

Das Gebäude, ein mittelgroßes Haus im Friesenstil mit blassrotem Stein und geschwungenem Reetdach, sieht gar nicht mal so übel aus. Es hat zwei Stockwerke, im oberen erspähe ich ein zweiflügeliges Fenster mit Lamellen. Darüber wölbt sich das Dach wie eine maßgeschneiderte Haube. Ein Schlumpfhaus.

Tante Christiane durchbricht die Ruhe: «Es sieht irgendwie anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Merkwürdig. Allein der Vorgarten – amazing! Wer hat denn den in Schuss gehalten?» Fragend wandert ihr Blick zu mir.

«Keine Ahnung.» Automatisch zucke ich mit den Schultern. «Eventuell hat Papa jemanden damit beauftragt?»

«Well, lieber hätte er sich um das Dach kümmern sollen. Ist das Reet?» Sie spricht mehr zu sich selbst, denn ihr Blick ist starr aus dem Fenster gerichtet. «Hatte das Haus früher auch schon ein Reetdach?»

«Ist doch wumpe», antwortet ihre Schwester. «Schaut lieber mal, was das für eine urige Hütte ist», ruft sie begeistert. «So friesisch. Ich hätte schwören können, die Fassade sei grau gewesen. Hat Ralf sie verputzen lassen?»

«Anyway», unterbricht Tante Christiane, «das Dach müsste neu gedeckt werden. Ist vielleicht nicht zwingend in diesem Jahr nötig, aber es mindert auf jeden Fall den Verkaufserlös.»

«Tja …», antworte ich, weil ich überhaupt keine Idee habe, was so ein Haus in dieser Lage kosten könnte. Ob nun mit oder ohne neues Dach.

«Bestimmt ist es eine Million wert», tippt Tante Annegret ins Blaue, kann sich aber eine Anspielung auf ihre Schwester nicht verkneifen: «Aber ich bin ja hier nicht die Streberin, die alles weiß.» Ich sehe im Rückspiegel, dass ihre Augen fast gierig auf das Haus gerichtet sind. «Eine Million! Die gehört dann dir, Julia. Allein.» Der Neid in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

Mir wird schwindelig bei dem Gedanken an eine derartige Summe. Ich soll so einen Batzen Geld erhalten? Ich? Mein linkes Auge beginnt zu zucken. Mit dieser Summe könnte ich meinen UND Jos Anteil für die GmbH hinlegen, die er so schnell wie möglich gründen will. Dadurch wäre die Firma abgesichert, wenn wir in Zukunft Großprojekte im Ausland abwickeln, so wie Jo sich das vorstellt. Außerdem würde ich gerne etwas auf die hohe Kante legen, sicher ist sicher. Hinzu kommt, dass mich der Steuerberater vorgewarnt hat: Ich werde einen Batzen Erbschaftssteuer zu bezahlen haben. Na, hoffentlich bleibt am Ende überhaupt noch etwas übrig, damit Jo und ich mal wieder eine Reise unternehmen können. Nichts Großes, nur ein wenig ausspannen zu zweit. Im letzten Jahr ist unsere Beziehung definitiv zu kurz gekommen, weil wir pausenlos gearbeitet haben. Es wird Zeit, ihr neues Leben einzuhauchen.

«Eine Million bekommt Julia nicht dafür.» Tante Christiane schüttelt vehement den Kopf. «Never. Höchstens die Hälfte.»

Plötzlich spüre ich die Hand meiner Mutter auf meinem Arm. Als sei sie in Gedanken noch immer unendlich weit weg, schaut sie durch mich hindurch und sagt: «Ich habe keine Ahnung, wie es im Haus aussieht, Julia. Sei bitte nicht enttäuscht.»

Ich stecke mit meinen Überlegungen immer noch bei den horrenden Summen, mit denen meine Tanten auf der Rückbank jonglieren, darum begreife ich Mamas Worte nicht sofort. Dazu die vertraute Geste – ich gerate ins Schwimmen.

«Ähm … also …» Wovon redet sie? Wie soll es schon drinnen aussehen? Gut möglich, dass sich eine unschöne Staubschicht angesammelt hat oder Unordnung herrscht, aber das muss ihr nun wirklich keine Sorgen bereiten. «Wann bist du denn das letzte Mal hier gewesen?», frage ich.

Mama zieht ihre Hand fort und starrt wieder aus dem Auto. Sie bleibt mir die Antwort schuldig.

Stattdessen wird Annegret auf dem Rücksitz ungeduldig: «Wollen wir nicht endlich aussteigen und uns im Haus umsehen? Ich kriege hier drinnen die Hitze!» Mit ihrer mopsigen Hand fächert sie sich Luft zu.

Offenbar warten alle drei darauf, dass ich den Anfang mache und die Initiative ergreife. Also tue ich ihnen den Gefallen. Energisch lasse ich den Gurt aufschnappen. «Hoffentlich finden wir irgendwo ein paar Konserven im Schrank. Ich sterbe gleich vor Hunger.»

Nacheinander quetschen sich alle aus dem Wagen. Einzig meine Mutter macht keinerlei Anstalten, in Gang zu kommen.

«Los, Beate», drängelt Annegret. «Worauf wartest du? Früher bist du doch auch immer vorgeprescht, um dir ein oberes Etagenbett zu sichern.» Sie verzieht gequält das Gesicht. «Ich musste immer unten schlafen.»

Mama bleibt weiter stur sitzen. Sie lässt sich sogar noch etwas tiefer in ihren Sitz gleiten. Wie ein störrisches Kind hat sie die Handflächen unter den Po geschoben und die Schultern hochgezogen. Undeutlich nuschelt sie: «Ich brauche noch einen Moment. Es ist nicht so einfach.»

Ich nicke.

«Lass dir Zeit. Aber … du musst irgendwann aussteigen, wenn du nicht im Auto übernachten möchtest», erinnere ich sie sanft. «Wir wollen hier doch eine Weile wohnen.»

Mama schaut mich an. Ihr Blick ist unergründlich. «Ich … ähm … Geht ihr schon mal vor. Ich sammele mich kurz und komme dann nach.»

«Also weißt du», grätscht Christiane in das Gespräch, «ich bin auch nicht gerade scharf darauf, an die alten Zeiten erinnert zu werden. Das Haus, du und Ralf, was soll ich denn sagen? Ich wurde von euch …»

«Jetzt lass doch mal die alten Zeiten», fährt Annegret ihr mit rauer Stimme harsch über den Mund. «Niemand hier will das hören.» Sie gibt ihrer Schwester einen leichten Schubs, damit diese sich in Richtung Haus bewegt. «Los, geh. Lass Beate sich sammeln, sie wird bestimmt gleich nachkommen.»

Ein kniehoher Steinwall dient als Zaun zur Straße. Zu dritt schlüpfen wir durch eine hölzerne Pforte und betreten den Vorgarten.

Mir zittern die Finger, während ich in meiner Handtasche nach dem Schlüssel krame. Der Nachlassverwalter hatte ihn mir wie ein kostbares Schmuckstück überreicht. Seitdem trage ich ihn sorgfältig verschlossen in einer Seitentasche. Doch als ich das klobige Stück Metall jetzt in Händen halte, weiß ich sofort, dass der Schlüssel nicht passen wird. Er ist grobzinkig und irgendwie riesig, wohingegen das Türschloss flach und modern aussieht und vermutlich einen gefrästen Spezialschlüssel erfordert.

Ich probiere es trotzdem – und scheitere.

«Wie kann das sein?», mokiert sich Annegret. «Hat man dir womöglich ein falsches Exemplar ausgehändigt?»

«Das kann ich mir nicht vorstellen.» Gedankenverloren drehe ich den Schlüssel in meinen Händen. «Vielleicht hat Papa irgendwann mal ein Sicherheitsschloss eingebaut und vergessen, den neuen Schlüssel im Safe zu hinterlegen?» Das sähe meinem oberkorrekten Vater allerdings überhaupt nicht ähnlich. Er war ein Kontrollfreak, jemand, der immer doppelt an alles dachte.

Hilfesuchend blicke ich zum Wagen und wedele mit den Armen, sodass meine Mutter sich bemüßigt fühlt, die Scheibe ein Stück herunterfahren zu lassen.

«Wir kommen nicht rein», rufe ich ihr zu, aber sie zuckt nur stumm mit den Schultern.

«Vielleicht ist es doch das falsche Haus?», rätselt Annegret. «Oder meint ihr, Ralf wollte gar nicht, dass hier jemand reinkommt?» Ihr Tonfall hat etwas Geheimnisvolles.

Prompt wird sie von ihrer Schwester abgekanzelt. «Quatsch. Dann hätte er das Haus Julia ja nicht vermacht.»

Klingt logisch. Es muss also einen anderen Grund geben. Fragt sich nur, welchen.

Ratlos blicke ich mich um, während Annegret und Christiane wie auf ein stummes Kommando hin beginnen, unter der Fußmatte, im Blumenkübel neben dem Eingang, auf den Fensterbänken und unter großen Steinen am Haus zu suchen. Doch Fehlanzeige. Als wir gerade erwägen, eines der Fenster einzuschlagen, ertönt ein leises Quietschen. Es kommt von oben.

Wir treten ein paar Schritte zurück und recken die Hälse. Im Giebelfenster über dem Eingang erscheint ein geflochtener blonder Zopf. Dann das dazugehörige Gesicht einer Frau. Misstrauisch beäugt sie uns.

«Ja bitte?», fragt sie. «Wie kann ich helfen?»

Ich schätze sie auf Mitte fünfzig, sie ist extrem blass und wirkt irgendwie kränklich.

«Äh … Hallo», rufe ich irritiert. Vielleicht ist sie eine Hilfskraft, die Haus und Garten in Schuss hält? «Ich bin Julia Hirschfeldt, die Tochter von Ralf Hirschfeldt. Mir wurde aus Versehen ein falscher Schlüssel ausgehändigt.» Wie zum Beweis halte ich das Teil in die Höhe. «Könnten Sie uns bitte aufmachen?»

Die Frau am Fenster zuckt kurz zurück, dann kneift sie die Augen zusammen und schüttelt den Kopf. «Nein, das geht nicht.»

Verblüfft schauen meine Tanten und ich uns an. Ein riesiges Fragezeichen schwebt über unseren Köpfen.

Tante Christiane fängt sich als Erste. «Wer sind Sie denn überhaupt?», will sie wissen. «I mean: Was tun Sie in dem Haus meiner Nichte?»

Die Fremde reckt selbstbewusst das Kinn in die Höhe. «Ich bin Charlotte Engel. Ich wohne hier.»

2Eine gute Idee?

Zwei Monate zuvor

«Es war ein Riesenfehler!» Jo hat die Hände in den Jeanstaschen vergraben und tigert durch sein Büro. Wenn er nicht gerade nachdenklich auf seine Stiefelspitzen schaut, wirft er vorwurfsvolle Blicke in meine Richtung. «Ich wäre auf jeden Fall dagegen gewesen, wenn du mich vorher gefragt hättest.»

Ich stehe in einer Ecke, halb von Schränken verdeckt, sodass uns durch die Glastüren niemand beim Streiten zusehen kann. Wenn Jo nur endlich mal stehen bliebe! Natürlich war es ungeschickt, dass ich meine Mutter eingeladen habe, bei uns zu wohnen. Das ist mir inzwischen auch klar. Vor allem hätte ich es vorher mit ihm absprechen müssen. Aber jetzt ist es leider zu spät. Mama ist bei uns eingezogen, das lässt sich so schnell nicht rückgängig machen, und dass Jo und ich seitdem beinahe täglich zermürbende Diskussionen über das Thema führen, macht im Grunde alles nur schlimmer.

«Was hätte ich denn tun sollen?», wehre ich mich halbherzig. «Was hättest du getan, wenn deine Mutter plötzlich als Witwe und ohne ein Dach über dem Kopf vor dir stehen würde? Vermutlich dasselbe. Ganz sicher hättest du sie nicht in einem Zelt im Wald übernachten lassen.»

«Ich hätte sie zu meiner Schwester geschickt.»

«Witzig, Jo. Wie du weißt, bin ich Einzelkind.»

Er lächelt mild. Um seine Augen bildet sich ein zartes Netz aus Falten. Seit Jo die Haare raspelkurz trägt, kommen sie viel mehr zur Geltung. Wie zwei Leuchtdioden funkeln sie in diesem Moment unter den dichten Brauen hervor. «Natürlich hätte ich meine Hilfe angeboten. Aber so weit, sie bei uns einziehen zu lassen, wäre ich ganz sicher nicht gegangen.» Er stoppt sein Gerenne, um sich in voller Größe vor mir aufzubauen. Eindringlich sieht er mich an. «Wie hast du dir das nur vorgestellt, Juli? In unserem Loft kann man sich unmöglich aus dem Weg gehen. Beim Fernsehen sitzt deine Mutter quasi bei uns auf dem Schoß, und wenn wir Sex haben wollen …» Er winkt ab. «Ach, vergiss es.»

Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Seine Argumentation ist nachvollziehbar, und ich bereue die Einladung ja auch längst. Aber mein Leben steht schließlich genauso kopf wie seins, nur dass ich sogar noch viel stärker unter Stress stehe als er. Seit in der Silvesternacht das Haus meiner Eltern bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, bin ich nur noch am Rotieren. Mama und Papa waren auswärts feiern, als sich das Unglück ereignete. Ursache für den Brand war nach Angaben der Feuerwehr eine Rakete, die der Wind durch das gekippte Arbeitszimmerfenster meines Vaters getragen hat. Zeichnungen auf dem Boden fingen Feuer, die Flammen griffen auf die Gardinen und dann auf das benachbarte Schlafzimmer über, und in Windeseile brannte das gesamte Haus. Obwohl ein aufmerksamer Nachbar den Notruf gewählt hatte, kam jede Hilfe zu spät. Von dem Holzbungalow, der nach Papas Entwürfen gefertigt worden war und für den er sogar einen Architekturpreis gewonnen hatte, blieb nur ein verrußtes Klappergerüst übrig. Meine Eltern, die gegen zwei Uhr nachts von ihrer Party nach Hause eilten, wurden noch vor Ort von einem Psychologen betreut und anschließend zur Beobachtung in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht. Doch dort, wo man ihnen helfen und sie in Sicherheit wiegen wollte, ereignete sich wenig später das viel schlimmere Drama: Über Nacht, von Schwestern und Ärzten unbemerkt, hörte das Herz meines Vaters auf zu schlagen. Der Niedergang seines Lebenswerkes hatte ihn umgebracht.

«Entschuldige, Juli. Ich habe mich gehenlassen.» Jo nimmt mich in die Arme. Wie ein schmaler, fest verwurzelter Baum steht er vor mir und vermittelt das Gefühl, kein Sturm könnte ihm je etwas anhaben. «Du hast deinen Vater verloren und deine Mutter ihren Mann, das ist schrecklich.» Einen Moment hält er mich schweigend fest. Dann schiebt er mich ein Stück von sich fort und wartet, dass ich ihn ansehe. «Es ist nur so … Seit wir uns kennen, hast du kaum Kontakt zu deinen Eltern. Und wenn du doch mal bei ihnen zu Besuch warst, kamst du stinksauer nach Hause zurück. Jedes Mal gab es Streit mit deinem Vater, und auch deine Mutter hat dich enttäuscht. Warum du sie jetzt so betüterst, will mir nicht in den Kopf.»

«Ich betütere sie keinesfalls, ich biete ihr lediglich ein Dach über dem Kopf.» Seine Worte machen mich wütend. Ich hasse mich ja selbst dafür, dass ich so schwach bin, denn im Grunde möchte ich mit meiner Mutter keinen Kontakt mehr. Vor langer Zeit haben wir uns zerstritten, auch Papas Tod hat daran nichts geändert.

Es gab gute Gründe, warum ich nicht mehr nach Hause fuhr. Meinem Vater hatte ich es im Leben nie recht machen können, von Kindesbeinen an nicht. Weder als Schülerin noch als Tochter genügte ihm mein Einsatz. Auch dass ich ihm zuliebe ebenfalls Architektur studierte und mich relativ bald nach dem Studium selbstständig machte, war für ihn kein Anlass zum Stolz. Stattdessen erntete ich wieder nur Kritik. «Du hast viel zu wenig praktische Erfahrung, um in dem Beruf zu bestehen», befand er. «Erst nach zahlreichen Lehrjahren, am besten bei einem namhaften Architekten, darf man sich die Rosinen herauspicken.» Dass Jo sich bereits einen Namen in der Branche erarbeitet hatte und mein Arbeitsalltag in seiner Firma keinesfalls nur Zuckerschlecken, sondern stressig und durchaus lehrreich war, zählte für ihn nicht. Er hörte mir gar nicht zu.

So kam es, dass ich am Grab meines Vaters keinerlei Gefühle empfinden konnte. Weder Trauer noch Schmerz. In meinem Innern herrschte grenzenlose Leere, nicht eine Träne brachte ich hervor.

Dennoch sehe ich mich in der Pflicht, meiner Mutter zu helfen. Ich kann einfach nicht anders.

«Juli …» Jo drückt meine Schultern. «Mir ist klar, dass du es gut meinst mit deiner Mutter. Nur hält dieser Zustand – diese Zwangsgemeinschaft – inzwischen vier Monate an. Vier Monate! Das sind sechzehn Wochen! So lange schon sitzt Beate auf unserer Couch und an unserem Esstisch. Und ein Ende ist nicht in Sicht.» Er schüttelt genervt den Kopf. Dann setzt er nach: «Und sag mir bitte nicht, sie würde trauern, denn das tut sie nicht. Jedenfalls sieht es kein bisschen danach aus.» Jo räuspert sich. «Nach allem, was du mir über die Ehe deiner Eltern erzählt hast, könnte ich das auch gar nicht glauben.»

Er lässt mich los, um erneut durch den Raum zu tigern. Die Sohlen seiner nagelneuen Stiefeletten erzeugen auf dem gefliesten Boden ein knallendes Geräusch wie Gewehrschüsse.

Wieder muss ich ihm recht geben. In der Tat wirkt Mama nicht sonderlich traurig, nur etwas einsilbig vielleicht. Und nachdenklich. Außerdem benimmt sie sich leider vollkommen unselbständig.

Nach dem Brand und dem überraschenden Tod meines Vaters hat sie allen Papierkram – Briefwechsel mit den Versicherungen, Behörden und Banken – mir zugeschoben. Ebenso die Planung der Beerdigung, inklusive Friedhofs- und Sargauswahl. Außerdem begann ich, das Nötigste für sie anzuschaffen oder im Internet zu bestellen: Waschzeug, Kleidung, Schuhe. Beinahe täglich trafen bei uns Pakete ein, sodass ich nebenbei entweder die Kartons entsorgen oder Retouren wegbringen musste.

Jo mag es aufgeräumt und puristisch. Die neue Bestellflut nervte ihn zusehends, sie ist mit unserem Wohnkonzept nun mal nicht vereinbar.

Schuldbewusst verziehe ich das Gesicht. «Es tut mir schrecklich leid.» Jos Bestürzung ist absolut nachvollziehbar. Das Loft ist unsere Burg. Unser Rückzugsort. Unser ganz privates Glück. Beinahe ein gesamtes Jahr lang haben wir renoviert und nach Jos Entwürfen Wände rausgerissen, Putz geschliffen und Böden gegossen. Aber was soll ich machen? Ich kann meine Mutter ja schlecht rauswerfen.

«Es wird ganz sicher nicht mehr lange dauern, bis sie was Neues gefunden hat», erkläre ich und klinge dabei zuversichtlicher, als vermutlich realistisch ist.

Auch Jo ist nicht überzeugt. «Weißt du», sagt er und hört nicht auf, im Raum herumzumarschieren, «ich habe mir Folgendes überlegt: Solange deine Mutter bei uns wohnt, werde ich hier im Büro schlafen.» Er deutet auf die kanariengelbe Designercouch neben seinem Schreibtisch. «An die Glastür montiere ich eine Jalousie, dann habe ich meine Ruhe.»

Was? Ich spüre, wie sich meine Kehle zusammenschnürt. Für einen kurzen Moment überlege ich, ob wir nicht beide in die Büroräume ausweichen könnten. Dann kriecht Panik in mir hoch: Jo will ausziehen! Und ich bin schuld! Das darf nicht sein. Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass meine Mutter sich zwischen mich und meinen Freund stellt. Dass sie ihre Beziehung mit Papa nicht auf die Reihe bekommen hat, ist ihre Sache. Meine soll sie nicht auch noch zerstören.

«Okaaay», gebe ich tapfer von mir, auch wenn ich seinen Vorschlag total inakzeptabel finde, «das verstehe ich natürlich». Noch während ich die Worte ausspreche, beginne ich, mir das Hirn nach einer anderen Lösung zu zermartern.

Eigentlich denke ich, dass Mama längst stark genug ist, um alleine zu wohnen. Sie braucht nur jemanden, der Zeit hat, sie bei der Wohnungssuche zu unterstützen, und ihr etwas Starthilfe gibt. Ich bin dafür eher nicht die Richtige, wir haben einfach keinen guten Draht zueinander. Außerdem muss ich tagsüber arbeiten.

Leider hat sich herausgestellt, dass meine Mutter sich in letzter Zeit von allen Freunden und Bekannten abgekapselt hat. Selbst bei der Beerdigung wollte sie niemanden dabeihaben, nicht einmal ihre Schwestern, weshalb wir beide alleine am Grab standen.

Bei dem Gedanken kommt mir plötzlich eine Idee.

«Meinst du, ich sollte Mamas Schwestern um Hilfe bitten?», frage ich Jo.

Er bremst ab und schaut mich stirnrunzelnd an. «Aber bei der Trauerfeier hat sie keinen Wert auf deren Anwesenheit gelegt.»

«Die beiden leben ja nicht in Deutschland, ich schätze, Mama ist davor zurückgeschreckt, sie extra anreisen zu lassen.»

«Und du glaubst, jetzt wäre es ihr recht?»

Ich überlege. Vielleicht würde sie sich sogar freuen, die beiden endlich einmal wiederzusehen. In der Not steht die Familie doch zusammen, oder?

«Sie muss es ja nicht wissen. Ich würde meine Tanten einladen und Mama damit überraschen.»

Jo hebt interessiert die Augenbrauen. Ich ahne, wie es in seinem Kopf arbeitet.

«Warum nicht?» Ein Strahlen erhellt plötzlich sein Gesicht. «Vielleicht ist das tatsächlich die Lösung. Die zwei könnten ihr helfen, wieder auf die Beine zu kommen, gemeinsam mit ihr nach einer Wohnung suchen und so. Ich denke, dass du es auf jeden Fall versuchen solltest.»

Ich nicke. Für beide Schwestern ist die Anreise allerdings mit einigen Mühen verbunden: Tante Christiane lebt mit ihrem Mann, soweit ich weiß, in Miami, und Tante Annegret hat sich in einem Bergdorf in der Nähe von Klagenfurt niedergelassen. Beide habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen, darum klopft mir vor Aufregung heftig das Herz, als ich am Abend erst ihre Nummern ausfindig mache und danach bei den beiden durchklingele.

Tante Christiane reagiert geschockt, als ich ihr die Lage schildere.

«Ralf ist tot?», fragt sie und atmet schwer. «Oh nein.»

Ich kann sie am anderen Ende schlucken hören.

«Ja, Mama ist ziemlich fertig und könnte ein wenig Unterstützung gebrauchen. Aktuell vor allem bei der Wohnungssuche», sage ich und gebe meiner Stimme einen bedrückten Klang. Auch wenn es im Grunde eher Jo und ich sind, die langsam auf dem Zahnfleisch kriechen und dringend Hilfe benötigen. Unterm Strich ist es aber ja dasselbe. «Ihr standet euch doch früher mal so nahe.» Davon gehe ich im Stillen jedenfalls aus.

Tante Christiane übergeht meinen Satz einfach und kontert mit einer Gegenfrage: «Was ist denn mit dem Haus auf Sylt? Will Beate da nicht einziehen?»

«Äh … nein.» Natürlich weiß sie von dem Haus, überlege ich, die Familie hat laut meiner Mutter ja dort früher ihre Sommer verbracht. «Sie sagt, das kommt für sie nicht in Frage. Außerdem hat Papa es mir vermacht. Ich werde es wohl verkaufen.»

Am anderen Ende der Leitung herrscht längeres Schweigen. Deshalb versuche ich, noch einmal auf den Grund meines Anrufs zurückzukommen: «Also, wenn du und Tante Annegret …»

Plötzlich erwacht meine Tante zu Leben. «Sorry?», ruft sie so laut, dass mir vor Schreck fast der Hörer aus der Hand fällt. «Annegret wird kommen? Ehrlich?»

«Äh … Ja, sicher», lüge ich, obwohl ich die Dritte im Bunde noch gar nicht angerufen habe. Aber ich schöpfe neue Hoffnung. Irgendein inniges Band scheint zwischen den Schwestern zu bestehen. «Tante Annegret will sich gleich auf den Weg machen.»

«Oh my God!» Tante Christianes Stimme tönt laut und stoßweise, wie die eines Generals. «Weißt du, was?», beschwört sie mich. «Ich glaube, ihr könnt tatsächlich meine Hilfe brauchen, auf jeden Fall sollte ich dich beim Verkauf des Hauses beraten. Triff also bloß keine voreiligen Entscheidungen, Darling! Ich buche sofort einen Platz im Flieger.» Sie holt kurz Luft. «Und noch etwas: Gebt Annegret um Himmels willen kein Geld!»

Wir besprechen noch ein paar weitere Details, dann lege ich leicht verunsichert auf.

Wie verrückt lief das denn? Ich muss wahnsinnig sein! Wie soll ich das bloß durchstehen, wenn tatsächlich beide Tanten hier in Hamburg eintrudeln? Wohin dann überhaupt mit ihnen?

Doch nun habe ich die Sache angeleiert, also klingele ich auch bei meiner zweiten Tante durch. Das Gespräch mit ihr verläuft gleichermaßen absurd.

«Ralf ist tot?» Ihre Stimme klingt rauchig, wie nach einem ausgiebigen Kneipenabend. Aber ausgeschlafen. «Dass Beate fix und fertig ist, wundert mich nicht», sagt sie wenig empathisch und schlussfolgert sogleich: «Aber immerhin hat sie jetzt Geld. Ralf war ja fleißig und hat ihr bestimmt ein hübsches Sümmchen hinterlassen. Und dann ist da ja noch das Haus auf Sylt.»

Außer mir wissen wirklich alle von dieser Immobilie.

«Also … nein. Das Haus ging an mich. Ich werde es verkaufen. Tante Christiane will mich dabei unterstützen.»

«Christiane?» Tante Annegret bekommt einen Hustenanfall. «Das … ist … nicht gut.»

Als es am anderen Ende der Leitung plötzlich poltert und danach Stille herrscht, fürchte ich schon, sie sei vor Aufregung ohnmächtig geworden. Doch dann raunt sie heiser: «Weißt du, was, Schätzchen? Ich komme, um euch unter die Arme zu greifen. Tut am besten nichts, bevor ich da bin.» Sie holt aufgeregt Luft. «Ach, und würdest du mir bitte eine Fahrkarte kaufen und sie mir per Mail schicken?»

3Sylt ja, Meeresrauschen nein

Meinen Tanten und mir steht vor Überraschung der Mund offen. Die Frau wohnt in diesem Haus? Wie kann das sein? Hätte der Testamentsverwalter mich nicht vorwarnen müssen? Wusste er überhaupt von ihr?

Sprachlos schaue ich zu meiner Mutter – und sehe, dass sie ostentativ das Beifahrerfenster hochfahren lässt.

Tante Christiane fängt sich als Erste von uns dreien. «Verstehen Sie nicht?», brüllt sie nach oben. «Meiner Nichte hier», sie klopft mir unsanft auf die Schulter, «gehört das Haus. Sie müssen uns öffnen.»

Aber Charlotte Engel rührt sich nicht vom Fleck. Sie schenkt uns lediglich ein gequältes Lächeln. «Ich habe einen Mietvertrag. Den zeige ich Ihnen gerne. Aber wie gesagt, heute passt es mir nicht.» Dann verschwindet ihr blonder Schopf, taucht aber nach kurzer Zeit wieder auf. In der Hand hält sie einen weißen DIN-A4-Zettel, den sie nun auf der Fensterbank vor sich ablegt, um etwas darauf zu notieren. Als sie fertig ist, knüllt sie das Blatt zusammen und wirft es zu uns hinunter.

«Ich habe Ihnen meine Telefonnummer aufgeschrieben», erklärt sie und wirkt sichtlich nervös. «Melden Sie sich morgen, am besten gegen Mittag. Oder schreiben Sie eine Nachricht, egal. Dann verabreden wir uns.»

Während ich den Papierball aufhebe und ihn nachdenklich auseinanderfalte, schiebt Tante Annegret sich in den Vordergrund.

Sie stemmt die Arme in die rundlichen Hüften und brüllt so laut, als würde sie auf ihrer Bergalm die Kühe zusammentreiben wollen: «Jetzt hören Sie mir mal zu! Wir sind extra aus Amerika angereist, um das Haus zu besichtigen. Wenn Sie uns nicht sofort hineinlassen …» Ein paar Sekunden sucht sie nach Worten. «Dann rufen wir die Polizei!»

Ich zupfe sie sanft am Ärmel «Nicht doch», murmele ich, «es gibt sicher eine andere Lösung.»

«Ach ja, und welche?», pflichtet Tante Christiane ihrer Schwester bei. «Wir lassen uns doch nicht einfach abwimmeln!» Sie reckt sich zur vollen Größe und brüllt: «Was Sie sagen, kann ja jeder behaupten. Womöglich sind Sie gar keine Mieterin, sondern eine Einbrecherin. Oder …» Sie verstummt, als oben geräuschvoll das Fenster zugeschlagen wird.

«Frechheit!» Christiane schäumt vor Wut. «Ich möchte zu gern wissen, was Beate dazu sagt.»

Annegrets Blick fliegt zum Wagen. «Langsam könnte sie uns wirklich mal unterstützen.»

«Lass nur», wehre ich ab. «Ich glaube kaum, dass wir hier noch etwas ausrichten können. Besser, wir gehen zurück zum Wagen.»

Ich trotte los und bin nach ein paar Schritten beim Auto. Doch als ich die Fahrertür öffne und Mamas Gesicht sehe, erschrecke ich.

Sie ist bis über beide Ohren hochrot angelaufen, als stünde sie kurz vor einem Kollaps.

«Ist alles okay mit dir?», erkundige ich mich besorgt. «Du siehst fiebrig aus. Ist die Luft doch so schlecht hier im Wagen?»

«Nein, nein. Ich meine: ja, ja. Was … äh … Was war denn da gerade los?» Mamas Blick flattert wie ein eingesperrter Vogel zwischen mir und einem imaginären Punkt auf der Konsole hin und her.

«Tja, das Haus ist offensichtlich vermietet», erkläre ich. «Die Frau heißt Charlotte Engel und behauptet, einen gültigen Mietvertrag zu besitzen. Weißt du etwas davon?»

Während ich in den Wagen steige, lasse ich meine Mutter nicht aus den Augen. Bei der Erwähnung des Namens ist sie leicht zusammengezuckt, sie versucht aber, die Reaktion zu überspielen, indem sie aus ihrer Handtasche ein Taschentuch hervorkramt.

«Nein», beteuert sie. «Den Namen habe ich noch nie gehört.»

Ich weiß, dass sie lügt. Und sie weiß, dass ich es weiß. Ihre Körpersprache ist mir so vertraut, als hätten wir uns nie aus den Augen verloren.

«Bad news», verkündet Tante Christiane, als sie sich elegant auf die Rückbank gleiten lässt. Ihr mitleidiger Blick streift meinen im Rückspiegel. «Ein Mietvertrag mindert den Verkaufserlös erheblich. Ich würde mich ja anbieten, Julia, ich könnte –»

«Jetzt lass das Kind doch mal in Ruhe!», geht Tante Annegret dazwischen, die nun etwas weniger grazil eingestiegen ist. «Wir sollten lieber mal überlegen, wo wir heute Nacht schlafen. Bei Frau Engel wird das wohl nix.» Sie tippt meiner Mutter auf die Schulter. «Hast du eine Idee, Beate? Du kennst dich von uns allen doch am besten hier auf Sylt aus.»

Mama starrt wie paralysiert aus dem Fenster, ihre Kiefermuskeln sind fest angespannt. «Keine Ahnung», presst sie hervor. Wie ich finde, einen Tick zu schnell. «Ich … ähm … ich hatte ja immer einen Schlafplatz.»

Annegrets Hand wandert auf meine Schulter. «Na, dann frag doch mal den Google, Julia. Im Gegensatz zu deiner Mutter ist der garantiert up to date.»

Ich warte nicht ab, ob Mama einen Kommentar dazu parat hat, sondern schnappe mir folgsam mein Handy. Manchmal tut es gut, wenn jemand die Zügel in die Hand nimmt.

Sorgfältig durchforste ich alle in Frage kommenden Seiten, doch auf Sylt herrscht schon lange Hauptsaison, die Insel ist rappelvoll, und wenn überhaupt, gibt es höchstens noch Unterkünfte für nur eine Nacht. Außerdem suchen wir ja nicht ein Zimmer, sondern nach Möglichkeit vier.

Die Auswahl beschränkt sich am Ende auf drei Alternativen: Das erste Haus, eine Privatpension in Morsum, scheidet allerdings schnell aus, weil auf den Galeriebildern eine niedliche getigerte Katze zu sehen ist, Tante Christiane aber angeblich unter einer Katzenhaarallergie leidet. Auf meine Nachfrage bei den Anbietern stellt sich heraus, dass sogar drei Katzen zur Familie gehören.

Gemessen daran wirkt die zweite Unterkunft perfekt.

«Es gibt allerdings nur noch zwei Zimmer, die wir uns teilen müssten», erkläre ich, «aber dafür verfügt das Hotel über einen phantastischen Ausblick aufs Meer. Meeresrauschen inklusive.» Ich versuche, es ihnen schmackhaft zu machen.

«Ich kann bei starker Brandung nicht schlafen», kommt es prompt von Annegret. Sie verschränkt die Arme vor der Brust, als wolle sie auch mal die Kapriziöse spielen. «Die ständige Geräuschkulisse ist Gift für die Nerven. Ich bin ja nicht ohne Grund in die Berge gezogen.»

«Oh my goodness, das hast du ja wohl in der Fernsehzeitschrift gelesen! Was für ein Quatsch, reiß dich mal zusammen!»

Das sagt ja die Richtige, denke ich, hoffe aber dennoch, dass die kleine Rüge Wirkung zeigt. Doch Annegret ist nicht umzustimmen. Sylt ja, Meeresrauschen nein.

Ich raufe mir die Haare. «Und diese Unterkunft? Die Weiße Villa?» Hoffnungsvoll präsentiere ich ein Foto der Website auf meinem Handy. Vorsichtshalber verdecke ich mit dem Daumen aber die leicht bröckelige Fassade des Hauses. Es ist unsere letzte Möglichkeit, wenn wir nicht im Auto schlafen wollen.

«Seht ihr? Keine Katzen, und das Meer ist auch nicht zu sehen.»

Dafür entdecke ich beim Überfliegen der Seiten, dass die Unterkunft zurzeit renoviert wird. Die Homepage leider ebenfalls, weshalb man derzeit online nicht buchen kann.

Ohne noch länger zu zögern, wähle ich die angegebene Nummer, damit uns niemand zuvorkommt. Und siehe da, wir haben Glück! In der Tat hat die Weiße Villa noch Betten frei, sogar von einem Apartment ist die Rede. Das Haus befindet sich in Rantum, gar nicht mal so weit entfernt vom Austernfischerweg, und auf Nachfrage erfahre ich, dass es weder Brandung noch Hauskatzen gibt. Perfekt!

Ich reserviere uns die Behausung telefonisch, programmiere das Navi, und keine zehn Minuten später stehen wir vor einer weiß getünchten Jugendstilvilla.

Eine junge Dame mit gelblich getönter Riesenbrille auf der Nase nimmt uns freundlich lächelnd in Empfang.

«Hallo, guten Abend. Ich bin Paula, und Sie haben Glück. In einer halben Stunde beginnt nämlich mein Feierabend.» Grinsend deutet sie auf ihre Armbanduhr. «Dann hätten Sie hier niemanden mehr erreicht. Abends ist die Rezeption nicht besetzt, und der Chef schwirrt irgendwo auf der Insel herum.»

Sie spaziert zu einem breiten Holztisch und bedeutet uns, ihr zu folgen. Die riesige Tafel könnte glatt als Esstisch durchgehen, lägen nicht ein Laptop, ein zerfleddertes, dickes Gästebuch und ein Fächerbord mit diversen Papieren darauf. Hinter Paulas Rücken erspähe ich eine offenstehende Tür, die in einen hellen Büroraum führt.

Wir treten näher und blicken uns mit großen Augen um. Im Gegensatz zu seinem Äußeren vermittelt das Haus drinnen einen gepflegten, renovierten Eindruck. Die Wände sind sauber verputzt, eierschalfarben gestrichen und mit weißer Fußleiste sowie Stuckkante zur Decke abgesetzt. Der Fußboden ist mit farblich passendem, grobem Naturstein gefliest.

«Das sieht ja alles ganz ordentlich aus», findet sogar Tante Annegret. «Fast bajuwarisch.»

«Aber warum hat man die alten Bodenkacheln dringelassen?», fragt Christiane. «Am falschen Ende gespart, würde ich sagen.»

«Könnte sein, dass das modern ist, Christi», spottet Annegret. «Ich dachte, von Mode verstehst du etwas.»

«Tu ich auch. Darum hätte ich eher ein Mäandermuster gewählt. Wie Versace es nutzt.»

Mit gequältem Gesichtsausdruck schaue ich zu Paula. Hoffentlich beschließt sie angesichts meiner Familie nicht, das Apartment an jemand anderen zu vergeben!

Doch sie lächelt professionell über den Wortwechsel hinweg und erklärt mit stoischer Freundlichkeit: «Bei dem Material der Fliesen handelt es sich um antiken Marmor. Aber keine Sorge», sie ruckelt an ihrer Brille und wirft meinen Tanten einen abschätzigen Blick zu, «die wenigsten erkennen diesen Luxus auf Anhieb.»

Der Seitenhieb hat gesessen. In meinem Rücken herrscht Schweigen. Paula wendet sich an mich. «Hatten wir beide telefoniert?»

Ich nicke. «Ganz genau. Vor etwa zehn Minuten.»

«Prima. Dann folgen Sie mir bitte alle, ich zeige Ihnen das Apartment.» Sie dreht sich zu der hellen Steinwand in ihrem Rücken, um aus einem handgefertigten Holzregal mit quadratischen Fächern den Schlüssel mit der Nummer 11 zu greifen.

Im Gänsemarsch verlassen wir den Eingangsbereich und betreten kurz darauf ein gemütliches Wohnzimmer mit Chesterfield-Sofa und steinernem Kamin. Trotz der sommerlichen Temperaturen hat jemand ein Feuer entzündet, das munter flackert. Rundherum stehen bunte Hocker, seitlich schaut man auf eine ausladende Bücherwand, die beinahe die gesamte Längsseite des Raums einnimmt. Daneben findet sich das Herzstück des Zimmers: eine geschmackvoll gekachelte Bar, an der laut Paula Selbstbedienung herrscht.

«Was Sie verzehrt haben, notieren Sie bitte in der Liste, die im obersten Fach hinter dem Tresen deponiert ist.» Mit messerscharfem Blick fügt sie hinzu: «Unsere Gäste sind korrekt und ehrlich. Das Konzept hat sich über Jahre bewährt.»

Während wir ihr weiter folgen und durch eine Seitentür mit Glasfenstern schlüpfen, frage ich mich im Stillen, ob meine Tanten den Wink verstanden haben. Noch kenne ich die beiden nicht besonders gut, kann mir aber Annegret eher dabei vorstellen, wie sie das eine oder andere Glas Likörchen mopst, als dass sie mühevoll hinter dem Tresen nach einer Liste sucht, um sich dort einzutragen.

Draußen, auf einem hellen Hof mit Kies, fährt Paula mit ihrer Führung fort. «Der Großteil der Zimmer erstreckt sich über die obere Etage des Haupthauses, aus dem wir gerade kommen», erläutert sie. «Ihre Suite ist über eine separate Eingangstür hier an der Rückseite des Hauses zu erreichen und erstreckt sich über Erdgeschoss und Souterrain.»

«Oh, eine Suite!» Tante Annegret reibt sich die Hände.

«… im Keller», dämpft Christiane die Euphorie ihrer Schwester.

Annegret schneidet eine Grimasse. «Besser als fünfter Stock ohne Fahrstuhl.»

Plötzlich fühlt sich auch meine Mutter bemüßigt, etwas zu sagen: «Zum Glück war Ralf damals so vorausschauend, uns einen Bungalow zu bauen. Damit wir noch bis ins hohe Alter barrierefrei wohnen können.»

Christiane wirft ihr einen herablassenden Blick zu. «Hat euch gegen das Feuer auch nichts genützt.»

Mamas Augen sprühen Funken, sie sagt aber keinen Ton.

Es entsteht ein peinlicher Moment des Schweigens, den Paula schließlich unterbricht: «Schauen Sie sich doch erst mal die Räumlichkeiten an.»

An der Hauswand lehnt eine verschnörkelte graue Bank, ein Stück weiter befindet sich unsere Eingangstür. Wir quetschen uns nacheinander durch einen schlauchartigen Flur und gelangen schließlich in den Wohnraum. Genau genommen stehen wir in einer Art Esszimmer. Links an der Wand blickt man auf eine dunkle Küchenzeile. Gegenüber, halbschräg vor dem Fenster, steht ein quadratischer Esstisch mit hellgelber Tischdecke und bläulichem Kunstblumenstrauß.

Paula schreitet unbeirrt voran in den Wohnbereich: staubgraue Couchgarnitur, Kacheltisch und farblich abgestimmte Stehlampe. Optisch ein Graus. Auf Anhieb gefallen mir aber die bodentiefen Glastüren, die den Blick auf eine geflieste Terrasse mit Strandkorb freigeben. Weit und breit der einzige Lichtblick.

«Im Untergeschoss finden sich die restlichen Zimmer», flötet Paula, als präsentiere sie die Frühjahr-Sommer-Kollektion aus dem Otto-Katalog. «Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles!»

Über eine Wendeltreppe staksen wir nach unten. Fünf Paar Schuhe mit mehr oder weniger hohen Absätzen erzeugen eine Geräuschkulisse wie ein Silvesterfeuerwerk.

Unten angekommen, drückt Paula auf einen Schalter, und grelles Neonlicht flackert im Flur auf.

Überrascht schaue ich mich um. Auf Anhieb erkenne ich hier unten nur zwei Zimmer. Außerdem ein geräumiges Badezimmer am Ende des Gangs, das wir uns auch noch anschauen.

«Mit der Modernisierung hinken wir ein kleines bisschen hinterher.» Paula zupft ein geblümtes Handtuch zurecht, das seitlich am Rand eines altrosa Waschbeckens baumelt.

«Das sieht man», meckert Tante Christiane und dreht sich suchend im Flur um die eigene Achse. Dann bleibt sie wie angewurzelt im Türrahmen eines Zimmers stehen. «Sollen wir uns etwa zu zweit ein Zimmer teilen?»

Beim Blick in den Schlafraum fürchte ich, dass wir uns sogar zu zweit ein Bett teilen müssen. Hier gibt es jedenfalls nur ein schmales Doppelbett, ebenfalls im Blümchenmuster bezogen. In einer dunklen Ecke findet sich ein schlichter Tisch mit passendem Stuhl. Ob Paula vergessen hat, dass ich nach einer Unterkunft mit vier Betten suchte?

Annegret hingegen interessiert etwas ganz anderes: «Das sind nicht zufällig Bettgestelle aus Zirbenholz?», erkundigt sie sich hoffnungsvoll.

Hat sie gerade Zirbenholz gesagt? Ich rolle mit den Augen.

Sie zerrt die Bettdecke zur Seite und lässt sie enttäuscht wieder fallen. «Kiefer. Wie bedauerlich. Zirbe riecht besser.»

«Nadelholz hin oder her», bemerkt Christiane, «ich schlafe in diesem Zimmer. Weit weg vom Badezimmer. Wer weiß, wie oft ihr nachts rausmüsst?»

«Dann nehme ich das andere Zimmer», ruft ihre Schwester, als hätte sie noch eine Wahl.

Meine Mutter bekommt große Augen. Jetzt hat auch sie es begriffen. «Es fehlen zwei Räume.»

Die anderen nicken. Diesmal sind sich alle einig.

Langsam reicht es mir. Ich hätte die drei niemals mitnehmen dürfen. Niemals!

«Wir werden eine Lösung finden», wende ich mich zuversichtlich an unsere Gastgeberin. Denn ich glaube kaum, dass wir auf die Schnelle ein barrierefreies Luxushotel ohne Meerblick, dafür aber mit vier Zimmern, Schminkspiegel und Zirbenholzmöbeln auftun.

«Wunderbar!» Paulas aufgesetztes Lächeln wird so rund und breit wie eine Banane. Sie spult ihr routiniertes Programm ab. «Frühstück gibt es von sieben bis zwölf Uhr, Getränke finden Sie in der Bar im Haupthaus oder oben im Kühlschrank. Und wenn Sie Extrawünsche haben», sie kann sich einen Seitenblick auf Tante Christiane nicht verkneifen, «wählen Sie am Telefon einfach die Eins. Das ist die Nummer vom Chef.»

Ehe meine Tanten irgendetwas dazu sagen können, tippeln Paula und ich eilig die Treppe rauf. Ich muss dringend Luft schnappen.

4Low carb, please!

«Sie hat euch nicht ins Haus gelassen?» Jo ist entsetzt, als ich ihn am Abend flüsternd von der Couch im Wohnzimmer aus anrufe.

Inzwischen ist Ruhe in unserem Apartment eingekehrt, alle haben mehr oder weniger ausgiebig das Bad blockiert und sogar schon ihre Schlafplätze bezogen. Die Zimmerverteilung hat nach langem Diskutieren ergeben, dass ich gemeinsam mit Mama den Raum neben dem Badezimmer beziehe und meine beiden Tanten sich den anderen teilen.

Obwohl ich bereits in meinen Pyjama geschlüpft bin und mir vom Abendessen den übervollen Bauch halte, bin ich kein bisschen müde.

«Ich wäre heilfroh, wenn du hier an meiner Seite sein könntest», sage ich, nachdem wir zuvor ein paar Firmenbelange besprochen haben. Auf dem durchgesessenen Polster rutsche ich unruhig hin und her. «Es läuft alles vollkommen anders als geplant. Ich habe das Gefühl, die drei hassen sich.»