Ein Tag und zwei Leben - Adriana Popescu - E-Book

Ein Tag und zwei Leben E-Book

Adriana Popescu

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Beschreibung

Wie viel Mut erfordert die große Liebe? »Ich habe so große Angst davor, dass ich es mit dir so sehr vermassel, dass du gehst und dich nicht mal mehr umdrehst. Und dann habe ich meine beste Freundin verloren.« Lea ist für Damian alles: beste Freundin, Seelentrösterin und, wenn es sein muss, auch mal Kater Karlo. Nur eines darf sie nicht sein: in ihn verliebt. Dafür kennt sie ihn schließlich zu lange - und zu gut. Seit Jahren hat sie einen Logenplatz in den Beziehungsdramen seines Lebens und weiß daher zu genau, dass er auch ihr das Herz brechen würde. Insgeheim wäre sie trotzdem gerne seine Leading Lady - aber will sie ihre Freundschaft wirklich aufs Spiel setzen? Mit Lea macht Damian die schönsten, peinlichsten und aufregendsten Erfahrungen seines Lebens. Erfahrungen, die sie auf eine schicksalhafte Art miteinander verbinden und Damians Gefühlswelt häufig auf den Kopf stellen. Ist er bereit, sich für seine beste Freundin zu ändern? Im Chaos ihrer Gefühle merken sie nicht, dass das Schicksal schon längst seine eigenen Pläne mit ihnen hat ... »Eine Liebesgeschichte so schön, als hätte sie das Leben selbst erzählt - nur in Adriana Popescus unverwechselbarem Stil.« Bestsellerautorin Anne Freytag über 'Ein Tag und zwei Leben'.

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Seitenzahl: 295

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Für all die Leas da draußen, die ihren Damian noch suchen.

Und für all die Damians, die ihre Lea noch finden müssen.

Und ein kleines bisschen auch einfach nur für dich.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

HAPPY HALLOWEEN

VERFLUCHTER NIKOLAUSTAG

COUNTDOWN

BE MY VALENTINE?

HAPPY BIRTHDAY!

GAME OVER!

VORWORT

Hier sind sie also.

Damian & Lea, in einem Sammelband, ihre ganze Geschichte, die mich seit Ende 2013 begleitet und nie wirklich losgelassen hat.

Einige werden sich bestimmt an sie erinnern, für andere sind sie neue Buchgesichter, die sie jetzt zum ersten Mal kennenlernen. Mein Herz klopft vor Aufregung bei dem Gedanken, dass nach sieben Jahren endlich der Moment gekommen ist, den ich davor so oft verpasst habe.

Dieses Jahr hat mir auf eindrückliche Weise gezeigt, dass es keinen Sinn macht, auf dieses magische Irgendwann zu warten, wenn die Sterne richtig stehen, der Moment perfekt und die Zeit gekommen ist. Viel zu schnell kann alles vorbei oder sehr viel komplizierter sein. Und wenn das Herz bei einer Idee, einer Geschichte oder – wie bei Damian & Lea – für zwei Figuren so laut und heftig schlägt, dann sollte dieses Irgendwann immer jetzt sein.

Ich wünsche allen Lesern sehr viel Spaß beim Kennenlernen meiner Ur-Chaoten, deren Geschichte mich auch nach all den Jahren noch immer verliebt lächeln lässt.

Unzählige Coverentwürfe, einige Hörbuchepisoden und Comiczeichnungen später ist jetzt endlich ihr Irgendwann.

Wir lesen uns noch mal ganz am Schluss.

Adriana Popescu

Bette Davis Eyes – Kim Carnes

Mit dir (feat. Joy Denalane) – Freundeskreis

Shipwreck – Klangkarussell

Long Live – Taylor Swift

Silence is sexy – Handsome Poets

Depth over distance – Ben Howard

Dancing on my own – Robyn

Junebug – Robert Franics

Zu dir (Weit weg) – Mark Forster

Things we lost in the fire – Bastille

Stop crying your heart out – Oasis

Every little thing she does is magic – Sleeping at last

London Calling – The Clash

HAPPY HALLOWEEN

»Lea! Da bist du ja endlich!«

Damian zieht mich in eine feste Umarmung und presst seine Wange an meine, wobei vermutlich Spuren seines Make-ups an mir kleben bleiben. An allen anderen Tagen mag mir das vielleicht was ausmachen, aber diesmal nicht. Immerhin ist mein Versuch, mich in eine sexy Katze zu verwandeln, schon in den Grundzügen gescheitert.

Damians Einladung kam spontan, wie immer eigentlich, und ich hatte nicht mehr viel Zeit, mir ein passendes Kostüm zu schneidern. Nicht, dass ich das könnte könnte. Aber mal angenommen, ich hätte mehr als vier Stunden Zeit gehabt: Dann wäre ich in der Lage gewesen, aus den Resten meines Kleiderschranks etwas zusammenzuschustern, was eher an Catwoman als an Kater Karlo erinnert. Oder?

So blieb mir aber nur der Gang in das Einkaufszentrum und dort waren die besten Kostüme natürlich schon vergriffen. Ich hatte die Auswahl zwischen sexy Piratin, sexy Krankenschwester – und einem Katzenkostüm in Größe L. Ich habe mich für Letzteres entschieden, da es mir noch am besten erschien.

Wenn ich mich jetzt hier umschaue, bin ich nicht mehr ganz davon überzeugt, als putzige Katze mit aufgemalten Schnurrhaaren und schwarzer Nase so gut ins Bild zu passen. Damian ist, wie sollte es auch anders sein, die äußerst attraktive Version eines Vampirs, inklusive der spitzen Eckzähne, einem schwarzen Mantel mit rotem Innenfutter und aufgestelltem Kragen. Sein Gesicht ist blass geschminkt, die blauen Augen schwarz betont. Obwohl mir Make-up bei Männern nicht gefällt, bildet Damian die Ausnahme. Seine kurzen braunen Haare hat er mit grauer Haarfarbe angesprüht – er hat wirklich an alles gedacht.

»Fühl dich einfach wie zu Hause!«

Das würde ich ja, wenn ich außer ihm noch jemanden kennen würde, aber bei den wilden Maskierungen der Partygäste fällt mir das Erraten einer echten Identität schwerer als erwartet.

»In der Küche gibt es Bier, wenn du magst.«

Eigentlich lässt er mir keine Chance zur Entscheidung, da er einfach meine Hand nimmt, und mich durch die Menge, die sich im Flur und im Wohnzimmer versammelt hat, in Richtung Küche zieht. Unterwegs begegnen wir zahlreichen sexy Piratinnen und einigen sexy Krankenschwestern, die alle Damian umarmen und küssen wollen, die sich für die Einladung bedanken und sich einen Tanz mit ihm reservieren wollen. Mich bemerkt keine, obwohl ich noch immer Damians Hand in meiner halte. Aber als Kater Karlo scheine ich keine echte Konkurrenz darzustellen.

Kaum erreichen wir die verrauchte Küche, wird mir einmal mehr bewusst, wie blöd diese Idee wirklich ist. Als Damian mich auf seine Halloween-Fete eingeladen hat, dachte ich wirklich, es wäre eine Art exklusive Party – eine Einladung, die er nur an seine engsten und besten Freunde ausgesprochen hat. Aber es sind so viele Menschen in der Wohnung, dass ich mich frage, ob die Brandschutzbestimmungen noch eingehalten werden.

»Was willst du trinken?«

Einige Jungs mischen bunte Getränke mit viel Alkohol in Gläsern, die ich in den Händen der Piratinnen und Krankenschwestern bereits bemerkt habe. Klar, hier wird man abgefüllt. Auch darauf hätte ich mich vorbereiten können. Aber da mir eine Fahrt mit der U-Bahn durch die halbe Stadt in einem Katzenkostüm dann doch zu peinlich war, habe ich meinen Wagen genommen.

»Ich nehme eine Cola.«

Damian verzieht das Gesicht und grinst mich dann schief an.

»Komm schon Lea, es ist Halloween! Lass doch einfach mal los!«

Darum geht es gar nicht. Ich werde auch noch loslassen können, wenn ich erst mal einen Cola-Rausch habe. Damian kennt mich seit Jahren. Er ist mein bester Freund. Der Mensch, den ich anrufe, wenn ich krank bin; der mich tröstet, wenn Tobi mir mal wieder das Herz bricht; der Mann, in den ich seit ungefähr fünf Jahren heimlich verliebt bin. Was er aber nicht weiß und ich nicht zugebe. Wir kennen uns so gut, stehen uns so nah. Wenn ich auch nur ein Wort darüber verlieren würde, es wäre alles vorbei. Oder – noch schlimmer – anders. Also höre ich mir seine ganzen Frauengeschichten an, erlebe ihn beim Frusttrinken, weil seine Freundin/Ex-Freundin Simone ihn regelmäßig in den Wahnsinn treibt und er sie schon lange nicht mehr liebt. Nein, Damian ist nicht der Typ Mann, in den eine Frau sich verlieben sollte. Aber wann hört das Herz schon mal auf den Verstand? Meines hat es nicht getan. Also gebe ich mich mit der Rolle der besten Freundin und Seelenverwandten zufrieden. Somit habe ich ihn in meiner Nähe, bis ich eines Tages bereit bin, ihm meine Gefühle zu verraten.

»Einen Cuba Libre vielleicht?«

Wenn Edward Cullen mal sehen will, wie echte Vampire Frauen verführen, dann sollte er auf diese Party kommen. Damians Lächeln und seine strahlenden blauen Augen machen die Entscheidung zu einfach – und so gebe ich schließlich nach. Ein Drink wird mich nicht umbringen. Bis ich in einigen Stunden hinters Steuer klettere, wird sich der Alkohol in meinen Adern schon wieder abgebaut haben. Hoffe ich wenigstens. Als Belohnung dafür, dass ich die Frage ganz offensichtlich richtig beantwortet habe, küsst mich Damian auf die Wange. Zumindest war das sein Ziel, aber da er nicht mehr ganz nüchtern zu sein scheint, landen seine Lippen irgendwo zwischen Wange und Lippen, wobei ein Stromschlag durch meinen Körper schießt. Wie damals, als Simone ihn vor die Tür gesetzt hat und er auf meiner Couch übernachten musste. Wir hatten viel getrunken und waren beide melancholisch. Der Kuss dauerte vermutlich nur drei Sekunden, aber in meiner Erinnerung waren es drei Stunden – und das Kribbeln in meinem Bauch kehrt auch jetzt noch zurück. Obwohl wir beide danach lachen mussten und es als einmaligen Ausrutscher abgetan haben. Vermutlich hat Damian den ›Unfall‹ schon längst wieder vergessen. Anders als ich. Gut, ich habe auch unseren anderen einmaligen Ausrutscher nicht vergessen. Wie könnte ich auch? Es war der beste Sex meines Lebens! Für ihn vermutlich nur ein One-Night-Stand mit einer Freundin. Seiner besten Freundin.

Er reicht mir meinen Drink und ich bin jetzt doch sehr froh, nicht auf Alkohol verzichtet zu haben, denn diese Erinnerungen sind viel zu lebendig in meinem Kopf. Wir beide, in seinem Bett, damals noch in der WG mit Hannes. Wir mussten leise sein, weil es keine Türen und nur Vorhänge zwischen den einzelnen Zimmern gab, aber irgendwann war uns das beiden reichlich egal. Weder er noch ich waren damals betrunken. Nur einsam.

»Auf einen tollen Abend!«

Damit prostet Damian mir mit seinem Bier zu und legt den Arm um mich. In meinem ganzen Leben gab es nur zwei Orte, an denen ich mich geborgen gefühlt habe: In dem Schuppen hinter dem Haus meiner Eltern, den ich mit Kissen, Lichterketten und Postern zu meinem Refugium umgebaut hatte – und in Damians Armen.

»Ich finde es toll, dass du gekommen bist. Ohne dich wäre die Party einfach irgendwie öde.«

Ich lehne mich in seine Umarmung und bin fast versucht, ihm zu glauben. Aber wenn ich mir diese Vielzahl an Frauen in sehr engen oder knappen – wahlweise auch gerne beides – Kostümen ansehe, dann frage ich mich, was ich hier eigentlich soll? Die Musik ist laut, die Gespräche werden geschrien, beim Tanzen imitieren die Damen Miley Cyrus’ sexy Dancemoves, während die Herren sich für Justin Timberlake halten. Ich tanze nicht besonders gut, ich trinke nicht viel, und für ein tiefsinniges Gespräch bei Kerzenschein hat mich Damian sicherlich nicht eingeladen.

»Kennst du all diese Menschen?«

Meine Frage amüsiert ihn ohne Zweifel, denn er bricht in schallendes Gelächter aus und schüttelt den Kopf.

»Nie im Leben! Ich habe einfach ein paar Leuten gesagt, sie sollen Freunde mitbringen. Hübsche Frauen sind besonders gerne gesehen.«

Er zeigt mit der Hand auf die volle Tanzfläche/Wohnzimmermitte, wo sich wirklich einige sehr hübsche Exemplare tummeln.

»Es hat funktioniert!«

»Damian …«

»Jaja, ich weiß, ich bin vergeben.«

Das ist er. An Simone. Mal wieder. Aber diesmal will er sich wirklich ins Zeug legen, hat er gesagt. Diesmal will er, dass es funktioniert, hat er gesagt. Dabei zweifelt er an jedem Schritt und fühlt sich schon eine kleine Weile nicht mehr besonders wohl, wenn er mit ihr zusammen ist. Das kann ich verstehen, denn ich mag sie nicht ausgesprochen gerne. Aber das kann und werde ich ihm nicht sagen, weil ich dann zugeben müsste, dass ich eifersüchtig auf sie bin. Dabei will ich das gar nicht sein. Ich will, dass Damian glücklich mit ihr ist. Blöd nur, dass er genau das nicht ist.

»Aber du kennst sie doch. Heute ist sie lieber ins Climax gegangen als hier zu sein. Weil der Freund einer Freundin auflegt.«

Das Climax, ein angesagter Club im Herzen Stuttgarts, ist der Ort, an dem er Simone kennengelernt hat – und auch lieben gelernt. Begleitet von einem kleinen Rausch und guter Elektromusik hat er sie an der Bar gesehen und so lange mit ihr gesprochen, bis sie mit ihm ausgegangen ist. Seitdem führen die beiden das, was man unter normalen Umständen eine Beziehung nennen würde. Nur glaubt Damian nicht an Beziehungen – was hauptsächlich an den Erfahrungen liegen könnte, die er in seinem Elternhaus gemacht hat.

»Vielleicht kommt sie ja noch.«

Was ich nicht hoffe, aber was soll ich sonst sagen? Die Wahrheit? Dass ich denke, sie wird sich auch heute wieder zudröhnen und dann bis in die Morgenstunden irgendwo auf dem Schloßplatz tanzen? Außerdem will ich nicht, dass sie herkommt. Ich muss Damian schon mit den ganzen Schönheiten teilen. Wenn seine Freundin auch noch hier ist, dann habe ich gar keine Chance mehr, den Abend zu genießen.

»Komm. Lass uns tanzen.«

Als würden sich alle unsere Sorgen in Luft auflösen, wenn wir unsere Körper zur Musik bewegten. Wenn wir es aber nicht probieren, werden wir es auch nie erfahren. Obwohl ich besorgt bin, die Hälfte meines Drinks über den Boden zu verteilen, folge ich ihm und starte zaghafte Tanzbewegungen. Damian sieht das um einiges entspannter, denn er tanzt ausgelassen, seine Bierflasche fest in der Hand, als gäbe es kein Morgen mehr. Er ist ein ganz passabler Tänzer, was natürlich auch die Aufmerksamkeit einer blonden Schönheit in einem Batgirl-Kostüm auf uns zieht. Damian zwinkert ihr kurz zu und schon bricht in mir wieder ein Stück ab. So viel zur Exklusivität.

»Hi, Damian! Ich hatte gar keine Zeit, mich für die Einladung zu bedanken!«

Sie schreit es ihm ins Gesicht und ihre Augen verraten, dass auch sie bereits heftig angetrunken ist. Klar, betrunkene Superheldinnen – gegen die habe ich keine Chance!

»Kein Ding! Wünsche dir viel Spaß, Linda!«

»Du bist wirklich der Hammer, ehrlich!«

Sie ist schon sehr angetrunken, denn ihre Schritte sind eher unfreiwillig Tanzbewegungen. Um das Gleichgewicht zu halten, hakt sie sich bei Damian ein, der sie besorgt ansieht.

»Hey hey, alles okay?«

»Mir ist nur ein bisschen schwindelig.«

Der älteste Trick der Welt: Schwindelgefühle vortäuschen, eine Schulter zum Anlehnen erschleichen und sich dann von ihm versorgen lassen. Und wenn ich »versorgen« sage, meine ich das, was dieses Wort zwischen den Zeilen aussagt.

»Vielleicht solltest du dich setzen.«

Sie dreht sich zu mir, als hätte sie just in diesem Moment bemerkt, dass es mich auch noch gibt. Dabei mustert sie mich aus ihren glasigen Augen von Kopf bis Fuß.

»Was soll das Kostüm darstellen? Einen Waschbären?«

Sie mag betrunken sein, aber sie ist auch im nüchternen Zustand ohne Zweifel eine Zicke.

»Catwoman.«

Es platzt so aus mir heraus, weil mir keine bessere Beschreibung für mein Kostüm einfällt. Nicht auf die Schnelle. Und weil Catwoman cooler ist als Batgirl. Auch wenn man meine Brüste unter dem kuscheligen Outfit nur erahnen, ihre in ihrem hautengen Anzug dagegen nicht übersehen kann. Sie kichert und dreht sich zu Damian, als würde er ebenfalls über den Witz lachen. Aber er nickt nur und lächelt. Ganz so, als wäre Catwoman die perfekte Erklärung für mein Kostüm. Alle hier wissen, dass dem nicht so ist.

»Die ist ja der Knaller.«

Noch immer hängt sie an Damians Arm und haucht ihren Kommentar in sein Ohr, aber natürlich in einer Lautstärke, bei der sie sicher sein kann, dass auch ich ihn höre.

»Linda, vielleicht magst du dich ja mal an die frische Luft setzen.«

»Nein, nein, mir ist gar nicht mehr schwindelig.«

Sie lächelt Damian verträumt an und schmiegt ihre Brüste und den Rest des Körpers verführerisch an ihn.

»Aber mir.«

Damit löst er sich aus der vermeintlichen Umarmung und schiebt Linda etwas von sich.

»Viel Spaß mit dem Waschbär, Damian!«

Entrüstet stiefelt sie davon, um binnen weniger Minuten vermutlich am Hals eines anderen Superhelden zu enden. Damian verdreht leicht genervt die Augen und grinst mich an.

»Als wäre das eine Single-Börse!«

Aber genau das ist es. Und genau das hat er mit dieser Party doch auch beabsichtigt – oder etwa nicht?

»Ich dachte, das wäre der Gedanke dahinter?«

»Viele kostümierte, betrunkene Menschen in einen Raum mit guter Musik zu sperren und zu sehen, welche Krankenschwester mit welchem Werwolf nach Hause torkelt?«

»Ist das nicht die allgemeingültige Umschreibung des Begriffs Halloween-Party?«

Er vergisst ganz offenbar, wie viele Fasching-Feten wir zusammen erlebt haben. Wie oft ich ihn im gleichen Kostüm als Cowboy – um das Klischee zu erfüllen! – mit Prinzessinnen, Wonderwomen, Vampir-Ladies, Marienkäfern, Hexen, und eben Catwomen, schon nach Hause habe gehen sehen. Vermutlich verdrängt er das genauso wie unseren Kuss und …

»Du solltest dir einen sexy Superhelden schnappen!«

Das kann nicht sein Ernst sein! Deswegen hat er mich eingeladen? Klar, die meisten von Damians Bekannten fallen in die Kategorie ›gut aussehend‹. Und weil gut aussehende Menschen sich eben mit anderen gut aussehenden Menschen umgeben, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, hier einen aufregenden Typen zu finden. Nur will ich gar keinen Superhelden.

»Im Moment bist du doch Single, oder?«

Ja, das bin ich. Daran muss er mich nicht erinnern. Tobi und ich, wir können unsere Beziehung irgendwie nicht so definieren, dass wir es länger als drei Monate am Stück zusammen aushalten. Dann streiten wir für gewöhnlich immer über alberne Dinge, werfen uns – natürlich nur verbal – Sachen an den Kopf, die wir nicht so meinen, und ich schmeiße ihn aus der Wohnung. Er schreit dann, dass er sowieso gehen wollte. Aber es dauert meistens nur ein paar Monate, dann liegt er wieder neben mir im Bett und macht Kaffee zum Frühstück.

»Wonach wäre uns denn?«

Damian sieht sich suchend im Raum um und reibt sich die Hände, als wären wir mit Kindern in einem Süßigkeitenparadies unterwegs.

»Hör auf!«

Obwohl ich das sage, schaue ich mir das Angebot doch mal etwas genauer an. Nicht jeder hat sich bei der Kostümierung so viel Mühe wie Damian gegeben. Manche haben sich eine Zorro-Maske umgebunden und gut ist.

»Wie wäre es mit dem Typen da hinten?«

Damian fixiert einen Mann, der an der Tür zur Küche lehnt und doch tatsächlich als Handwerker verkleidet ist. Nicht gerade das perfekte Kostüm für eine Halloween-Party, wenn man mich fragt. Außer man hat grauenhafte Erfahrungen mit Handwerkern gemacht. Aber eigentlich ist es doch Sinn der Sache, sich als etwas Gruseliges zu verkleiden. Wobei ich selbst da auch nur bedingt überzeuge. Und wenn, dann eher unfreiwillig.

»Damian, bitte. Lass es.«

»Es muss ja nicht der Mann für die Ewigkeit sein, oder?«

Er meint es aufmunternd. Aber erstens haben Tobi und ich uns erst vor vier Tagen getrennt, und zweitens … zweitens hoffe ich vermutlich noch immer auf ein kleines Wunder. Allerdings: Wann sind er und Simone und ich und Tobi mal zur gleichen Zeit getrennt?

»Ach so.«

Er kommt wieder auf mich zu und nimmt mich sanft in den Arm. Nein, Damians Reaktionen muss man nicht immer zwingend verstehen. Schon gar nicht, wenn er angetrunken ist. Seine Lippen streifen mein Ohr.

»Du hängst noch an ihm, oder?«

Er fühlt sich zu gut an. Er riecht auch zu gut – selbst jetzt, da der Zigarettenrauch und der Schweiß der tanzenden Meute sich dazu mischen. Damian wird immer einen kleinen Teil meines Herzens innehaben. Hauptsächlich deswegen, weil er damals für mich da war, als ich dachte, mein Leben würde stillstehen. Als viele nur tröstende Worte übrighatten, aber es nicht fertigbrachten, mir dabei in die Augen zu sehen. Nur Damian war da, hat meine Hand gehalten und mir die Kraft gegeben, mich zu verabschieden. Nein, es ist unmöglich, zwischen uns zu kommen. Das werden weder Tobi noch Simone jemals schaffen! Eben weil wir immer füreinander da waren. Immer dann, wenn kein anderer da sein wollte oder konnte. Er kennt all meine Geheimnisse und ich bewahre seine bei mir. Alle kennen ihn als den lustigen Damian, der nie um einen Spruch verlegen ist, der jede Party mit seiner Musik retten kann. Damian, der Womanizer und Charmeur. Ein Beweis dafür, wie wenig die anderen ihn wirklich kennen. Wie selten sie sich die Mühe gemacht haben, hinter die Fassade zu blicken, als es ihm nicht gut ging und er weinend in meinem Hausflur zusammengebrochen ist. All das ist Damian. Wie um alles in der Welt soll man sich nicht in ihn verlieben, wenn man diese verschiedenen Facetten kennt und lieb gewonnen hat?

»Zwischen euch wird bestimmt alles wieder gut.«

Er fährt mir über den Rücken und ich halte mich an ihm fest. Während er über Tobi spricht, schlägt mein Herz so heftig gegen meine Brust, dass er es auch spüren muss.

»Und wenn nicht, dann ist er ein kompletter Idiot.«

Seine Stimme verändert sich ein bisschen, klingt etwas bitter und fast wütend. Er mag Tobi nicht besonders, nimmt ihn nicht in Schutz, wenn er Mist gebaut hat, und ich ihm dennoch eine zweite Chance geben will. Manchmal frage ich mich, wieso sich die beiden nicht mögen? Aber dafür sind sie vermutlich zu unterschiedlich. Tobi arbeitet an der Bar im gleichen Club, in dem Damian manchmal als DJ jobbt. Sie sehen sich vermutlich zu oft. Während Damian elektronische Tanzmusik mixt und auflegt, hört Tobi gerne Rockmusik und fährt von Festival zu Festival, um seine Lieblingsbands live zu sehen. Damian und er kämen nicht mal bei der Wahl des Fußballvereins auf einen Nenner. Gut, Damian darf als halber Engländer vielleicht auch eine Schwäche für Manchester United haben, aber der eingefleischte St.-Pauli-Fan Tobi würde das niemals akzeptieren. Tobi kommt aus einem intakten Elternhaus, das zwar nicht viel Geld, aber jede Menge Liebe für den einzigen Sohn übrighatte. Damian hat sich alles erkämpft; selbst als der Gegner übermächtig erschien, hat er nicht aufgegeben. Gewonnen hat er nicht immer, aber ich erkenne seinen puren Kampfeswillen an. Tobi mag ihn aus verschiedenen Gründen nicht. Meine Erklärungsversuche, dass eine ganze Menge hinter Damians Geschichte steckt, ignoriert er ebenso gekonnt wie meine Bitte, ihn doch in Ruhe zu lassen.

Damian löst sich ein bisschen von mir und nimmt mein Gesicht zärtlich in seine Hände.

»Eines Tages, da wird der Richtige vor dir stehen und der wird dich nicht gehen lassen. Der wird wissen, was für eine wunderbare Frau du bist – und dann wird er dich nicht mehr loslassen.«

Die Ernsthaftigkeit, mit der er das sagt, überrascht mich zutiefst. Ich nicke nur abwesend, während ich auf seine Lippen starre, die er mit roter Farbe blutig geschminkt hat. Selbst die Plastikeckzähne und die graue Sprühfarbe auf seinen Haaren können nicht verhindern, dass seine Worte so zielsicher mein Inneres treffen, als hätte er es genau darauf abgesehen.

»Du bist eine ganz wunderbare Frau.«

Welches Lied wird gerade gespielt? Welcher Tag ist heute? Ich weiß es nicht mehr. Ich spüre nur noch seine Berührung, höre sein Flüstern und möchte ihn so gerne wieder küssen. Ohne Alkohol und ohne Ausrede, es wäre ein Ausrutscher. Einfach weil ich es möchte. Vielleicht spielt mir meine Fantasie einen Streich, aber es kommt mir ganz so vor, als ob auch Damian mich küssen will. Hier und jetzt!

»Damian?«

Mein Herz bleibt stehen. Von jetzt auf gleich. Einfach so. Ihre Stimme zerschneidet den Moment in zwei Teile – und sofort bringt Damian Abstand zwischen unsere Körper, während sie neben uns in einem billigen Polyesterkleid auftaucht, das sie so kurz abgeschnitten hat, um möglichst viel Haut zur Geltung zu bringen.

»Simone, du bist ja doch hier.«

Ihr Make-up scheint sich etwas uneins darüber zu sein, was ihre Verkleidung sein soll: noch sexy Hexy oder schon billige Schlampe?

»Ja, ich bin doch hier. Wenn mein Freund eine Party schmeißt, bin ich doch dabei!«

Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, der eine ganze Festung niederbrennen könnte, dann dreht sie sich wieder zu Damian.

»Hi Baby!«

Und dann tut sie das, was ich vor wenigen Sekunden tun wollte. Sie küsst ihn. Nicht einfach so – nein, als müsste sie etwas beweisen und als wäre das kein Kuss, sondern der Startschuss zum Vorspiel. Wie um alles in der Welt kann Damian mit diesen Eckzähnen überhaupt so küssen? Zuerst nehme ich an, sie würde irgendwann von ihm ablassen, aber so, wie sie sich an ihm reibt, ist meine Zeit mit ihm vorbei. Ich wirke wie ein Stalker, der einem Pärchen beim Knutschen zusieht. Deswegen verziehe ich mich mit meinem Drink wieder in Richtung Küche, bevor noch jemand bemerkt, wie peinlich das Ganze ist. Was habe ich mir von dem heutigen Abend denn wirklich versprochen? Wie immer, wenn ich mich auf so etwas einlasse, ende ich wie eingeschlossen in der Küche und trinke zu schnell mein Glas leer. Vergessen ist der Teil mit dem Wagen und die Frage, wie ich nach Hause kommen soll. Einer der Jungs, die sich als Barkeeper versuchen, fragt nach meinem Wunsch. Ich bestelle einen Caipirinha, weil mir das zuerst einfällt und nach genug Alkohol klingt. So großzügig, wie er Rum in den Mixbecher füllt, bin ich mir sicher: In wenigen Stunden habe ich das alles vergessen. Es ist mit all den anderen Erinnerungen weggespült, die sich schon viel zu lange in meinem Kopf drehen.

Damian und ich – das ist wie in einer dieser miesen Soaps, die ich mir ansehe, ohne es zuzugeben. Wir sind Freunde. Freunde mit Ausrutschern. Aber wenn mein Wagen mitten in der Nacht auf der Autobahn mit einem platten Reifen liegen bleiben würde, dann rufe ich nicht den ADAC an, sondern ihn. Und egal, wo er gerade wäre und welche Schönheit sich nackt neben ihm räkeln würde, er würde mich retten. Weil Damian einer dieser Retter ist. Nicht nur für mich. Mit sechzehn hat er versucht, sich selbst zu retten und ist freiwillig von seinem Zuhause in ein Heim gezogen, weil er die Streitereien seiner Eltern nicht mehr ertragen konnte. Als ich ihn vor über sechs Jahren bei seinem Praktikum in einer Redaktion kennengelernt habe, machte er auf mich den Eindruck eines absoluten Sunnyboys; dem doch im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne aus dem Arsch schien. Niemals hätte ich geahnt, was er alles hat durchmachen müssen, um hier zu stehen. Okay, vielleicht ist Comiczeichner nicht der Beruf, mit dem man viel Geld macht – und natürlich umgibt ihn immer die Aura des ›Kindes im Manne‹, das nie erwachsen wird: Peter Pan mit einem Bleistift. Solange sein Job seine Miete bezahlt und er nicht auf der Straße leben muss, sehe ich keinen Grund, ihn deswegen anders zu behandeln. Tobi ist da natürlich anderer Meinung. Tobi. Ja er fehlt mir. Weil ich mich an ihn gewöhnt habe und weil er mir an seinen guten Tagen das Gefühl gibt, ich wäre ihm wichtig. Ich kenne ihn, er kennt mich. Wir wissen, wie es funktioniert. Aber manchmal wollen wir ausbrechen … und mehr, das wissen wir beide. Er fährt dann mit seinen Freunden für ein Wochenende nach Hamburg, um sich ein Spiel des FC St. Pauli anzusehen. Was er sonst noch alles tut, das will ich mir in den ganzen Details gar nicht ausmalen. Wenn wir den Mut hätten, würden wir uns sagen, dass es nicht die ganz große Liebe ist. Aber wenn man sich nicht mehr liebt wie damals als Teenager, dann kann man sich doch zumindest an kalten Tagen wärmen, oder nicht? Ist die große Liebe mit all ihren Wunderkerzen und Feuerwerken nicht eine fette, große Lüge? Natürlich ist sie das! Und der Inhalt dieses Cocktailglases bestärkt mich in dem Gefühl, dass es gar nicht nur einen Partner für uns geben kann. Vielleicht zaubert mir Damian ab und zu Schmetterlinge in den Bauch, aber Tobi ist eben auch zum Anfassen und Küssen. Das sollte man nicht unterschätzen! Vor allem nicht jetzt, nachdem ich zusehen musste, wie Simone ihre Zunge in Damians Hals geschoben hat und ihre Hände nicht von ihm lassen konnte. Ich sollte nicht überrascht sein, sie tut das ständig. Als wolle sie ihr Revier markieren. Dabei weiß sie nicht halb so viel über ihn wie ich! Wow, ich bin schon völlig begeistert von dem Drink in meiner Hand. Wie ein Wirklichkeitselixier klärt er meine Gedanken und Gefühle perfekt auf. Klar ist mir Damian wichtig, und wenn ich mich nicht allzu dämlich anstelle, werden wir noch eine ganze Weile zusammen durch das Leben gehen. Aber er wird nie in der Lage sein, mir all das zu geben, was ich mir wünsche. So blöd bin ich nicht, so vernebelt sind meine Sinne nicht. Ganz im Gegenteil, ich sehe immer klarer. Und ohne Zweifel sehe ich nach einem weiteren Drink noch viel klarer. Mein Barkeeper scheint begeistert, dass seine Mischung so wunderbar ankommt und seine Wirkung nicht verfehlt. Vielleicht dreht sich der Raum schon ein bisschen, aber das wird mich nicht davon abhalten, meinen Frust von der Seele zu saufen. Ganz sicher nicht. Während ich auf Nachschub warten muss, stellt er mir ein kleines Glas mit einem Schnaps vor die Nase. Ohne nachzudenken stürze ich den Inhalt meine Kehle herunter und spüre das Brennen bis in meinen Magen. Ich trinke sonst nicht viel. Eigentlich gar nichts. Aber manchmal muss man doch mal über die Stränge schlagen, oder? Ach egal. Im Moment betäubt es unangenehme Erinnerungen.

Ein kurzer Blick ins Wohnzimmer und ich sehe weder Damian noch Simone – zum Glück. Darauf lege ich nämlich auch keinen Wert. Obwohl … es würde mich ja schon interessieren, wie schnell Damian vergessen hat, wie wunderbar ich doch bin und was für ein Idiot Tobi wäre, wenn er es nicht merkt.

Tobi …

Er fehlt mir in Momenten wie diesen, weil ich nicht die Frau sein will, die alleine in einem Katzenkostüm auf einer Halloween-Party verendet. Das wäre das dramatische Ende in einem beschissenen Aufzug. Irgendwo in meiner Handtasche, die mein Kostüm um einiges aufwertet, finde ich mein Handy. Ich wähle Tobis Nummer blind, während ich den nächsten Drink bekomme. Diesmal schmeckt man den Alkohol kaum und ich frage mich, ob der Typ mir vielleicht nur Limo zum Eis gegossen hat? Mit einer bestimmenden Handbewegung fordere ich ihn auf, gefälligst noch was Rum nachzufüllen, als der Klingelton an meinem Ohr unterbrochen wird.

»Hallo?«

»Tobi!«

Ich klinge glücklich und betrunken, aber das spielt keine Rolle mehr.

»Lea? Geht’s dir gut?«

Er ist besorgt um mich. Deswegen liebe ich ihn! Also, wenn ich ihn gerade liebe. Das tue ich nämlich manchmal. Ehrlich …

»Ich liebe dich, Tobi!«

Jetzt liebe ich ihn also, wie es scheint. Okay, könnte schlimmer sein.

»Lea, wo steckst du? Bist du betrunken?«

»Ich bin auf dieser total lahmen Party, und weißt du, was diese Party so richtig super machen würde?«

Zumindest wenn sich der Raum nicht so drehen würde – und wenn ich vielleicht etwas gegessen hätte, bevor ich wie abgedreht Alkohol in meinen Magen geschüttet habe.

»Wenn du hier wärst. Du fehlst echt total!«

Also nicht nur der Party, sondern vor allem mir.

»Wo steckst du denn?«

»Bei Damian.«

Stille. Ich höre Tobi atmen – und das nicht gerade entspannt. Nein, die beiden mögen sich nicht. Nicht selten sind sie sogar aufeinander losgegangen.

»Ich bin unterwegs.«

»Aber du musst verkleidet kommen! Halloween! Ich gehe als Katze! Miau!«

»Rühr dich nicht vom Fleck. Ich bin unterwegs.«

»Spitze!«

Das lief ja wunderbar. Mein Tobi kommt zu mir und dann kann ich ihn küssen. Und hoffentlich sieht Damian das dann und weiß genau, wie ich mich fühle. Ziemlich mies, um ehrlich zu sein. Ein bisschen frische Luft wäre super, hier drinnen wird nämlich zu viel geraucht. Und der süßliche Duft lässt erahnen, dass es nicht nur Nikotin ist.

Auf dem kleinen Balkon sitzen zwei Mädchen, die sich flüsternd unterhalten und kein Kostüm tragen. Spielverderber! Wenn sogar ich mich in einem Katzenkostüm hierher traue, dann hätten sie sich doch auch die Mühe machen können. Offenbar sehen sie das anders, denn meine Kostümwahl bringt sie erst zum Kichern und schließlich zum Verlassen des Balkons, was mir nicht unrecht ist. Ich möchte alleine sein, weil gerade viel in mir passiert und ich so meine Schwierigkeiten habe, auf alle Stimmen zu hören, die in mir zu Wort kommen wollen. Klar, es war vielleicht nicht besonders clever, Tobi anzurufen. Vor allem, weil wir im Moment ja nicht mal zusammen sind. Wer weiß, vielleicht ist diese Trennung doch nun wirklich endgültig gewesen – und es ist so, als würde man immer wieder die gleiche Suppe aufwärmen. Oder als würde man sich immer in die gleiche Decke kuscheln, während man die Lieblingsserie in der x-ten Wiederholung ansieht. Suppe – bäh! Decke plus Serie – yay!

Stuttgart leuchtet vor mir in der kalten und klaren Nacht und manchmal möchte ich meinen, hier, in dieser Stadt, spielt sich die ganze Welt ab. Ich habe alles, was ich brauche und bin durch schöne und traurige Erlebnisse mit ihr verbunden. Hier habe die größten Lachanfälle erlebt und die bittersten Tränen geweint. Hier habe ich Menschen getroffen, die ich nicht mehr missen möchte – und hier musste ich mich von Menschen verabschieden, die mir genommen wurden, ohne vorher mein Einverständnis einzuholen. Keine zwei Jahre … und noch immer hinterlässt Timo eine Lücke in meinem Leben und in meiner Seele, die ich weder mit Alkohol noch mit tollen Urlauben am Strand stopfen kann. Er ist weg, weil es zu viel wurde. Er ist weg, weil er nicht mehr wollte. Er ist weg, ohne mich zu fragen, ob ich ohne ihn weitermachen kann und will. Einfach so. Und niemand war da, um den Fall zu bremsen oder zu verhindern. Nur Damian, der mich in den Arm genommen hat und mich nicht mehr loslassen wollte. Tobi war für vier Monate in Australien und die Skype-Unterhaltung, als ich ihm davon erzählt habe, wurde ständig unterbrochen. Das war nicht seine Schuld, aber ich hatte mir gewünscht, dass er in den Flieger steigt und zu mir kommt. Weil er doch wusste, wie viel er mir bedeutet hat. Noch immer bedeutet. Weil er doch wusste, wie hart mich das alles getroffen hat. Aber wer war da? Damian! Damian, der das beste und das schlechteste Timing der Welt hat. Der es schafft, immer da zu sein, wenn ich ihn brauche und immer dann auftaucht, wenn ich mir einrede, ihn nicht mehr zu brauchen.

Okay, okay. Genug! Hört auf, ihr blöden Gedanken! Ich will weder an Timo noch an Damian oder an Tobi denken müssen. Nicht jetzt. Ich bin viel zu betrunken, um mit der Flut an Informationen und Emotionen umgehen zu können. Außerdem ist mir schlecht. Richtig übel … Auch die frische Luft kann daran nichts ändern. Nein, mein Magen dreht Loopings und mein Kopf dreht sich spontan einfach mal in die andere Richtung. Das läuft ja richtig super, Lea! Ausgesprochen super! Bevor sich mein Mageninhalt auf den Rückweg machen kann, gehe ich wieder ins Innere und sondiere hektisch den Raum. Keine gute Idee, in die Spüle der Küche zu kotzen. Das erregt zu viel Aufsehen. Hastig schiebe ich mich durch die Tanzmenge und bete inständig, mich nicht hier im Wohnzimmer übergeben zu müssen. Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit. Ich kenne mich in seiner Wohnung blind aus und weiß, wo das Badezimmer ist. Das einzig mir bekannte Badezimmer, das man nicht absperren kann und bei dem man sich stattdessen auf das kleine Schild verlassen muss. ›Besetzt!‹ steht dort. Aber ›Besetzt!‹ ist mir jetzt egal, denn die Caipis wollen wieder raus! Okay, vielleicht auch nur der Rum – aber ich denke, es wird nicht möglich sein, das getrennt voneinander … Wie dem auch sei. Ich stürze auf die Tür zu und ignoriere die Ausrufe der anderen auf dem Flur, die mich noch mal auf das Schild aufmerksam machen wollen. Ausnahme! Notfall und so! Also schiebe ich die Tür auf – und …

Es gibt Dinge, die wollte ich NIE sehen. Spontan könnte ich eine Liste mit zehn Punkten aufsagen, aber das, das erobert sofort die Poleposition von Dingen, die ich NICHT sehen wollte: Eine sexy Hexe bläst einem sexy Vampir gerade einen. Anders als es bei ihr der Fall ist, überkommt mich sofort der Würgereflex. Ich schaffe es gerade noch zur Spüle, bevor sich die Cocktails eilig auf den Rückweg machen. Meistens fühle ich mich beim Kotzen einfach nur schlecht, wie jeder Mensch. Aber diesmal fühle ich mich unglaublich schlecht. Vor allem, weil ich die beiden aus meiner Position aus auch noch sehen kann – und Damians Gesichtsausdruck wahrnehme, der sich allerdings schnell von Lust in Sorge verändert, während Simone keinen Grund sieht, ihre Tätigkeit zu beenden. Besser ich schließe die Augen. Und das tue ich. Nur verhindert das nicht den widerlichen Soundtrack im Hintergrund, der nur allzu deutlich erahnen lässt, dass Simone tatsächlich nicht aufhört, das zu tun, was sie häufig tut: Sie nimmt mal wieder den Mund zu voll. Dieser Abend ist schlimm! Richtig schlimm!! Schlimmer!!! Damian protestiert schwer atmend, Simone gibt genervt auf. Ihre ›Unterhaltung‹ dringt nur in Wortfetzen zu mir. Wenigstens beruhige ich mich langsam wieder, aber auch nur, weil einfach nichts mehr im Magen ist, das raus will. Schnell drehe ich das Wasser auf und spüle mir den Mund aus.

»Geht es wieder?«