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John Locke

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Beschreibung

Dieses eBook: "Ein Versuch über den menschlichen Verstand" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. John Locke (1632-1704) war ein einflussreicher englischer Philosoph und Vordenker der Aufklärung. In seinem aus vier Büchern bestehenden Hauptwerk Ein Versuch über den menschlichen Verstand untersuchte Locke den Ursprung, die Gewissheit und den Umfang menschlichen Wissens in Abgrenzung zu Glauben, Meinen und Vermuten. Ausgangspunkt war einerseits Lockes scholastische Ausbildung in Oxford auf Basis des in England vorherrschenden Nominalismus. Andererseits hatte er sich in seinem vierjährigen Frankreichaufenthalt intensiv mit Descartes und dessen Vorstellung eingeborener Ideen auseinandergesetzt. Entsprechend untersuchte Locke im ersten Buch zunächst den Ursprung der Ideen und entwickelte eine Vielzahl pragmatischer Argumente zur Ablehnung eingeborener Ideen. Seine Grundthese lautete: Nihil est in intellectu quod non (prius) fuerit in sensibus (Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre). Das zweite Buch befasst sich mit dem Zusammenhang der Ideen mit der Erfahrung. Das menschliche Bewusstsein ist bei der Geburt eine tabula rasa, auf das die Erfahrung erst schreibt. Ausgangspunkt der Erkenntnis ist die sinnliche Wahrnehmung. Allerdings war Locke kein Sensualist. Er unterschied äußere Wahrnehmungen (sensations) und innere Wahrnehmungen (reflections). Der nächste Schritt ist im dritten Buch die Untersuchung der Rolle der Sprache, ihres Zusammenhangs mit den Ideen und ihre Bedeutung für das Wissen. Buch vier handelt schließlich von den komplexen (zusammengefassten) Ideen, von den Grenzen des Wissens und dem Verhältnis von Begründung und Glauben. Locke kritisiert den ausschließlichen Ansatz des Ex praecognitis et praeconcessis.

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John Locke

Ein Versuch über den menschlichen Verstand

Engl. Originaltitel: An Essay Concerning Human Understanding

Übersetzer: Julius Heinrich von Kirchmann

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-0916-6

Inhaltsverzeichnis

Widmung
Ein Brief an den Leser
Erstes Buch. Ueber angeborne Begriffe
Erstes Kapitel. Einleitung
Zweites Kapitel. Es giebt keine angebornen Grundsätze in der Seele
Drittes Kapitel. Es giebt keine angebornen praktischen Grundsätze
Viertes Kapitel. Fernere Betrachtungen über angeborne theoretische und praktische Grundsätze
Zweites Buch. Von den Vorstellungen
Erstes Kapitel. Von den Vorstellungen im Allgemeinen und deren Ursprunge
Zweites Kapitel. Von den einfachen Vorstellungen
Drittes Kapitel. Von den Vorstellungen eines Sinnes
Viertes Kapitel. Ueber die Dichtheit
Fünftes Kapitel. Die mehreren Sinnen angehörenden einfachen Vorstellungen
Sechstes Kapitel. Von den einfachen Vorstellungen der Selbstwahrnehmung
Siebentes Kapitel. Von den einfachen Vorstellungen der Sinnes- und Selbst-Wahrnehmung
Achtes Kapitel. Einige weitere Betrachtungen über die einfachen Vorstellungen
Neuntes Kapitel. Von dem Wahrnehmen
Zehntes Kapitel. Von dem Behalten
Elftes Kapitel. Von dem Unterscheiden und andern Thätigkeiten des Verstandes
Zwölftes Kapitel. Von den zusammengesetzten Vorstellungen
Dreizehntes Kapitel. Von einfachen Zuständen und zunächst von denen des Raumes
Vierzehntes Kapitel. Von der Dauer und ihren einfachen Zuständen
Fünfzehntes Kapitel. Von der Dauer und Ausdehnung, beide gemeinsam betrachtet
Sechzehntes Kapitel. Von der Zahl
Siebzehntes Kapitel. Von der Unendlichkeit
Achtzehntes Kapitel. Von andern einfachen Besonderungen
Neunzehntes Kapitel. Von den Zuständen des Denkens
Zwanzigstes Kapitel. Die Besonderungen der Lust und des Schmerzes
Einundzwanzigstes Kapitel. Von der Kraft
Zweiundzwanzigstes Kapitel. Von gemischten Zuständen
Dreiundzwanzigstes Kapitel. Ueber die zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen
Vierundzwanzigstes Kapitel. Ueber die Sammel-Vorstellungen von Substanzen
Fünfundzwanzigstes Kapitel. Von den Beziehungen
Sechsundzwanzigstes Kapitel. Ueber Ursache und Wirkung und andere Beziehungen
Siebenundzwanzigstes Kapitel. Von der Dieselbigkeit und Verschiedenheit
Achtundzwanzigstes Kapitel. Von andern Beziehungen
Neunundzwanzigstes Kapitel. Ueber klare und dunkle, deutliche und verworrene Vorstellungen
Dreissigstes Kapitel. Von wirklichen und eingebildeten Vorstellungen
Einunddreissigstes Kapitel. Von entsprechenden und nicht entsprechenden Vorstellungen
Zweiunddreissigstes Kapitel. Von den wahren und falschen Vorstellungen
Dreiunddreissigstes Kapitel. Von der Vergesellschaftung der Vorstellungen
Drittes Buch. Ueber die Worte
Erstes Kapitel. Von den Worten und der Sprache im Allgemeinen
Zweites Kapitel. Von der Bedeutung der Worte
Drittes Kapitel. Von allgemeinen Ausdrücken
Viertes Kapitel. Von den Worten für einfache Vorstellungen
Fünftes Kapitel. Von den Worten für gemischte Zustände und für die Beziehungen
Sechstes Kapitel. Ueber die Namen von Substanzen
Siebentes Kapitel. Von den Neben-Redetheilen
Achtes Kapitel. Von abstrakten und konkreten Ausdrücken
Neuntes Kapitel. Von der Unvollkommenheit der Worte
Zehntes Kapitel. Von dem Missbrauche der Worte
Elftes Kapitel. Ueber die Mittel gegen die erwähnten Unvollkommenheiten und Missbräuche der Sprache
Viertes Buch. Ueber Wissen und Meinen
Erstes Kapitel. Vom Wissen im Allgemeinen
Zweites Kapitel. Von den Graden unsers Wissens
Drittes Kapitel. Von dem Umfange des menschlichen Wissens
Viertes Kapitel. Von der Wirklichkeit des Wissens
Fünftes Kapitel. Von der Wahrheit im Allgemeinen
Sechstes Kapitel. Von den allgemeinen Sätzen, ihrer Wahrheit und Gewissheit
Siebentes Kapitel. Von den Grundsätzen
Achtes Kapitel. Von nutzlosen Sätzen
Neuntes Kapitel. Unser Wissen vom Dasein
Zehntes Kapitel. Unser Wissen von dem Dasein Gottes
Elftes Kapitel. Unser Wissen von dem Dasein anderer Dinge
Zwölftes Kapitel. Von der Vermehrung des Wissens
Dreizehntes Kapitel. Noch einige weitere Betrachtungen über unser Wissen
Vierzehntes Kapitel. Von der Meinung
Funfzehntes Kapitel. Von der Wahrscheinlichkeit
Sechzehntes Kapitel. Von den Graden des Zustimmens
Siebzehntes Kapitel. Von der Vernunft
Achtzehntes Kapitel. Ueber Glauben und Vernunft, und ihre unterschiedenen Gebiete
Neunzehntes Kapitel. Ueber die Schwärmerei
Zwanzigstes Kapitel. Von der falschen Zustimmung oder dem Irrthume
Einundzwanzigstes Kapitel. Von der Eintheilung der Wissenschaften

Gleich wie du nicht weisst den Weg des Windes, und wie die Gebeine im Mutterleibe bereitet werden, also kannst du auch Gottes Werk nicht wissen, das er thut überall.

Prediger Salomo, Kap. 11, v. 5.

Wie schön ist es, lieber sein Nichtwissen einzugestehen, als Dergleichen herauszuschwätzen und sich selbst zu missfallen.

Cicero, Ueber die Natur der Götter, Buch I.

Widmung

Inhaltsverzeichnis

Dem Ehrenwerthen Thomas,Grafen von Pembroke u. Montgommery.

Mein Lord!

Diese Schrift ist unter Ihren Augen entstanden und wagt sich auf Ihr Geheiss in die Welt; sie kommt wegen des Schutzes, den Sie ihr vor mehreren Jahren zugesagt haben, in Folge eines gewissen natürlichen Rechts zu Ihnen. Es geschieht nicht, weil etwa ein dem Buche vorgesetzter Name, sei er auch noch so gross, die darin enthaltenen Fehler verdecken könnte; denn gedruckte Sachen müssen durch ihren eigenen Werth oder durch die Meinung der Leser stehen und fallen; indess kann die Wahrheit sich nichts Besseres wünschen, als einen vorurtheilsfreien Hörer, und diesen kann mir Niemand mehr als Eure Lordschaft gewähren, der, wie allbekannt, mit ihr bis in ihre geheimsten Tiefen vertraut geworden ist. Ihre Untersuchungen auf den höchsten und allgemeinsten Gebieten des Wissens sind, wie Jedermann anerkennt, weit über das gewöhnliche Bereich und über die bekannten Methoden hinausgegangen; deshalb wird Ihre Aufnahme dieser Schrift und Ihre Billigung meiner Absicht sie wenigstens davor bewahren, dass sie angelesen verdammt wird; vielmehr wird man dann sich zu einer Prüfung ihres Inhaltes entschliessen, während ohnedem sie vielleicht nicht der Beachtung werth gehalten worden wäre, weil sie von der betretenen Heerstrasse etwas abgeht.

Der Vorwurf der Neuheit gilt bei allen Denen als eine schwere Schuld, die den Kopf eines Menschen wie ihre Perücken beurtheilen; nämlich nach der Mode, und die nichts, als die angenommenen Lehren für wahr gelten lassen. Die Wahrheit hat bei ihrem ersten Erscheinen kaum je und irgendwo die Stimmen für sich gehabt; neue Meinungen gelten immer als verdächtig, und man widerspricht ihnen, blos weil sie noch nicht gemeingültig sind. Allein die Wahrheit bleibt gleich dem Golde nicht weniger sie selbst, weil sie frisch aus dem Schacht gehoben worden ist. Die Probe und Prüfung soll ihren Werth bestimmen, aber nicht eine alte Mode, und selbst wenn sie noch unter keinem öffentlichen Stempel umläuft, so kann sie trotzdem so alt sein, wie die Natur selbst, und ist sicherlich deshalb nicht weniger acht.

Eure Lordschaft könnte einen grossen und überzeugenden Beweis dazu liefern, wenn Sie das Publikum mit einigen von den weiten und umfassenden Entdeckungen erfreuen wollten, die Sie in Bezug auf bisher unbekannte Wahrheiten gemacht haben. Denn bisher sind es nur Wenige, denen Sie Etwas davon mitgetheilt haben. Dieser Grund allein genügte mir, auch wenn keine weiter vorhanden wären, Ew. Lordschaft diesen Versuch zu widmen. Sollte er mit den Theilen jenes hohen und weiten Systems der Wissenschaften übereinstimmen, von welchen Sie einen so neuen, genauen und lehrreichen Auszug gemacht haben, so ist es Ruhmes genug für mich, wenn Sie mir die öffentliche Erklärung gestatten, dass ich auf Gedanken gekommen bin, die von den Ihrigen nicht ganz abweichen. Sollte dies durch Ihre Ermuthigung der Welt bekannt werden, so wird dies hoffentlich Ew. Lordschaft selbst jetzt oder später weiter führen, und Sie gestatten mir zu sagen, dass Sie hier der Welt ein Angeld auf ein Werk geben, was, wenn sie es ertragen kann, deren Erwartungen nicht täuschen wird.

Dies zeigt, welches Geschenk ich Ihnen hier überreiche; genau ein solches, wie ein Armer es seinem reichen und grossen Nachbar giebt, der den Strauss von Blumen oder Früchten gern annimmt, obgleich er selbst eine Fülle davon in grösserer Vollkommenheit besitzt. Werthlose Dinge werden werthvoll, wenn sie als die Gaben der Ehrfurcht, Hochachtung und Dankbarkeit auftreten; diese Gefühle für Ew. Lordschaft zu hegen, baten Sie mir so gewichtigen und besondern Anlass gegeben, dass, wenn diese Gefühle einen ihrer Grösse entsprechenden Werth der sie begleitenden Gabe gewähren Könnten, ich in Wahrheit mich rühmen könnte, Ihnen das reichste Geschenk zu machen, was Sie je empfangen haben. Jedenfalls habe ich die Pflicht, jede Gelegenheit zum Anerkenntniss der langen Reihe von Gunstbezeugungen aufzusuchen, die ich von Ihnen empfangen habe; Gunstbezeugungen, die schon an sich gross und bedeutend, es doch weit mehr durch die Geneigtheit, Sorgfalt, Freundlichkeit und andere verbindliche Nebenumstände wurden, von denen sie stets begleitet waren. Zu Alledem sagen Sie, was denselben den höchsten Werth und Reiz giebt, dass Sie mich Ihrer fernem Achtung würdigen und mir Ihr Andenken, ich hätte beinah gesagt, Ihre Freundschaft bewahren wollen. Ihre Worte und Handlungen zeigen dies bei allen Gelegenheiten, selbst Andern, wenn ich nicht gegenwärtig bin; so dass ich ohne Eitelkeit es, sagen darf, da Jedermann es weiss; ja es würde unhöflich sein, wenn ich nicht anerkennen wollte, was so viele Zeugen und jeder Tag mir sagen, wie sehr ich Ew. Lordschaft dafür verpflichtet bin. Ich wollte, Ihre Worte könnten meiner Dankbarkeit so beistehen, wie sie mich von meinen grossen Verpflichtungen gegen Ew. Lordschaft überzeugen. Ich würde sicherlich über den Verstand schreiben, wenn ich auch keine Verpflichtungen hätte; allein ich bin durchdrungen von denselben und benutze diese Gelegenheit, um der Welt zu zeigen, wie sehr ich sein soll und bin

Mein Lord Eurer Herrlichkeit unterthänigster und gehorsamster DienerJohn Locke.

Ein Brief an den Leser

Inhaltsverzeichnis

Lieber Leser!

Ich lege hier in Ihre Hand eine Arbeit, die mir in freien und schweren Stunden eine angenehme Zerstreuung gewährt hat; wenn sie so glücklich ist, auch Ihnen eine solche für einige Stunden zu gewähren, und wenn das Lesen der Schrift Ihnen nur halb so viel Vergnügen macht, als mir das Schreiben derselben, so dürfte Ihr Geld so wenig, wie meine Mühe schlecht angewendet sein. Nehmen Sie dies nicht als eine Empfehlung meines Werkes; weil mir seine Herstellung Freude gemacht hat, so glauben Sie deshalb nicht, dass ich nun, nachdem es fertig ist, ganz davon eingenommen wäre. Wer mit Falken die Lerchen und Sperlinge jagt, hat dasselbe Vergnügen, aber weniger Mühe, als Der, welcher die Falken zu edlerer Jagd verwendet, und man kennt den Gegenstand dieser Abhandlung, den Verstand, nur wenig, wenn man nicht weiss, dass er nicht blos das oberste Vermögen der Seele ist, sondern sein Gebrauch auch ein grösseres und beständigeres Vergnügen als alles Andere gewährt. Seine Forschungen nach Wahrheit sind eine Art Jagd, wo schon die Verfolgung allein einen grossen Theil des Vergnügens ausmacht. Jeder Schritt, den die Seele in ihrer Annäherung zu der Wissenschaft thut, führt zu einer Entdeckung, die, wenigstens zur Zeit, nicht blos neu, sondern auch die beste ist.

Der Verstand urtheilt, gleich dem Auge über die Gegenstände nur nach seinem eignen Gesicht; was er entdeckt, muss ihm deshalb Freude machen, und was ihm entgeht, kann ihn nicht betrüben, weil es ihm unbekannt bleibt. Wer sich über den Almosenkorb erhoben hat und nicht blos träge von den Brosamen erbettelter Meinungen lebt, sondern es unternimmt, durch eignes Denken die Wahrheit zu finden und zu verfolgen, wird (was er auch erlangt) die Zufriedenheit des Jägers empfinden; jeder Zeitpunkt in ihrer Verfolgung, wird seine Mühe mit einer Freude lohnen, und er wird mit Recht seine Zeit nicht für schlecht angewendet halten, selbst wenn er eben nichts Grosses erlangt haben sollte.

Dies, geehrter Leser, ist der Genuas Derer, welche ihre Gedanken loslassen und ihnen schreibend nachfolgen; Sie brauchen sie nicht zu beneiden, denn sie bieten Ihnen Gelegenheit zu gleichem Genuss, wenn Sie nur bei dem Lesen von Ihrem eigenen Denken auch Gebrauch machen wollen. Sind die Gedanken Ihre eignen, so nehme ich Bezug darauf; sind sie aber in Vertrauen von Andern angenommen, so kommt es auf sie wenig an, da sie nicht die Wahrheit, sondern niedrigere Absichten verfolgen, und man sich um das, was gesagt wird, nicht zu bekümmern braucht, wenn es blos Andern nachgesprochen wird. Wenn Sie selbst urtheilen, so weiss ich, dass Sie ehrlich urtheilen, und dann soll mich kein Tadel betrüben oder verletzen. Diese Abhandlung enthält allerdings nichts, von dessen Wahrheit ich nicht voll überzeugt wäre; allein ich kann mich doch irren, wie Sie, und ich weise, dass dieses Buch steht und fällt nicht nach der Meinung, die ich, sondern die Sie davon haben. Finden Sie wenig Neues und Belehrendes darin, so werden Sie mich deshalb nicht tadeln. Es ist nicht für Die bestimmt, welche den Gegenstand schon bemeistert haben und mit ihrem Verstande vollständig bekannt sind; sondern ich habe mich damit selbst und einige Freunde, die anerkannten, dass sie noch nicht genügend mit ihm bekannt seien, unterrichten wollen. Schickte es sich, Sie mit der Entstehung dieses Buches zu unterhalten, so wurde ich sagen, dass fünf bis sechs Freunde sich in meinem Zimmer einzufinden pflegten und bei der Besprechung ganz andrer Dinge, als die hier behandelten, sich bald durch Schwierigkeit gehemmt sahen, die von allem Seiten sich erhoben. Nachdem wir ins viel gemüht, und doch der Lösung der Zweifel, die uns bedrängten, nicht näher kamen, fiel mir ein, dass wir wohl einen falschen Weg eingeschlagen hätten, und dass vor Beginn solcher Untersuchungen man seine eignen Fähigkeiten prüfen und sehen müsste, welche Dinge sich zu einer Beschäftigung für den Verstand eignen. Ich sagte dies der Gesellschaft; man stimmte mir bei und beschloss, dies zuerst in Untersuchung zu nehmen. Einige Gedanken, die ich eilig und roh über diesen von mir bisher unbeachteten Gegenstand bei der nächsten Zusammenkunft vorbrachte, gaben den ersten Anlass zu der vorliegenden Untersuchung. So wurde das Werk aus Zufall begonnen und auf Bitten fortgesetzt; in einzelnen Stücken ohne Zusammenhang niedergeschrieben, und nach langen Pausen der Vernachlässigung wieder ausgenommen, wie es meine Stimmung oder die Umstände gestatteten; zuletzt wurde es an einem einsamen Ort, wohin ich meiner Gesundheit wegen mich zurückziehen musste, in seine gegenwärtige Ordnung gebracht.

Diese Unterbrechungen in der Abfassung vorliegender Schrift haben neben andern die beiden Fehler zur Folge gehabt, dass bald zu viel, bald zu wenig in ihr gesagt worden ist. Wenn der Leser finden sollte, dass Etwas fehlt, so werde ich mich freuen, dass das von mir Gegebene ihn wünschen lässt, ich möchte weiter gegangen sein; scheint es ihm aber zu viel, so trägt der Gegenstand die Schuld, denn als ich die Feder ansetzte, glaubte ich Alles über den Gegenstand auf einen Bogen bringen zu können; allein je weiter ich kam, desto grösser wurde die Aussicht; neue Entdeckungen führten mich immer weiter, und so ist das Buch unvermerkt zu seinem jetzigen Umfange angewachsen. Vielleicht hätte es gedrängter gehalten werden können; ja die stückweise und oft lange unterbrochene Abfassung desselben mag zu manchen Wiederholungen geführt haben. Indess bin ich jetzt, offen gestanden, theils zu träge, theils zu beschäftigt, um es abzukürzen.

Ich weiss wohl, dass ich meinen Ruhm wenig bedenke, wenn ich es so wissentlich mit einem Fehler in die Welt schicke, der den verständigen Lesern, die immer am eigensten sind, misfallen kann; allein wenn die Trägheit sich immer mit einer Entschuldigung zu beruhigen weiss, so wird man es verzeihen, wenn sie auch bei mir, der ich einen guten Theil davon besitze, die Überhand behalten hat. Ich erwähne deshalb nicht, dass derselbe Begriff vermöge seiner verschiedenen Beziehungen für den Beweis oder die Erläuterung verschiedener Theile einer Darstellung nothwendig oder nützlich werden kann, und dass dies hier mehrfach der Fall gewesen ist; indess will ich gern gestehen, dass ich oft aus einem ganz andern Grunde bei einem Gegenstande lange verweilt und ihn in verschiedener Weise ausgedrückt habe. Ich veröffentliche nämlich diesen Versuch nicht zur Belehrung von Männern von schneller Fassungskraft und weitem Blick; solchen Meistern gegenüber bin ich selbst nur ein Schüler, und ich warne sie deshalb im Voraus, dass sie hier nicht mehr erwarten, als was ich aus meinen eignen groben Gedanken gesponnen habe, und was für Leute meiner Art passt. Diesen ist es vielleicht nicht unangenehm, dass ich mir Mühe gegeben habe, manche Wahrheiten ihrem Denken fassbarer und vertrauter zu machen, welche durch herrschende Vorurtheile oder durch die grosse Allgemeinheit der Begriffe schwer fassbar sind. Manches musste nach allen Seiten gewendet werden, und sind Begriffe neu, wie es manche für mich gewesen, oder ungewöhnlich, wie es Andern scheinen wird, so genügt ein einfacher Blick nicht, um ihnen Eingang in Jedermanns Verstande zu verschaffen und sie da klar und dauernd einzuprägen. Mancher wird an sich selbst oder an Andern schon bemerkt haben, dass das, was bei der einen Art des Vertrags dunkel blieb, durch eine andere Art klar und verständlich wurde; obgleich hinterher beide Arten sich wenig unterschieden zeigten und es auffallen konnte, dass man die eine weniger, wie die ändere verstanden hatte. Indess macht nicht jede Sache den gleichen Eindruck auf Jedermann. Der Verstand ist bei dem Menschen ebenso verschieden, wie der Gaumen, und wer da glaubt, dass dieselbe Wahrheit bei Jedem in derselben Kleidung die gleiche Aufnahme finden müsse, müsste auch glauben, Jedermanns Geschmack mit derselben Art zu kochen treffen zu können. Das Gericht kann dasselbe und nahrhaft sein, und doch schmeckt es nicht Jedem gut, und selbst für eine starke Leibesverfassung muss es oft anders zubereitet werden, wenn es verzehrt werden soll. In Wahrheit haben Die, welche mir riethen, die Schrift zu veröffentlichen, auch deshalb gerathen, sie so, wie sie ist, zu veröffentlichen, und nun, nachdem ich sie einmal aus der Hand gegeben, möchte: ich wenigstens, dass sie auch von Jedem, der sie zu lesen sich die Mühe nimmt, verstanden würde. Ich selbst habe so wenig Gefallen an dem Gedrucktwerden, dass ich, wenn ich nicht erwartete, dieser Versuch werde Andern ähnlichen Nutzen wie mir selbst bringen, ihn nur den wenigen Freunden mitgetheilt haben würde, die ihn zunächst veranlasst hatten. Da ich also möchte, dass der Druck der Schrift soviel Nutzen, als möglich, brächte, so schien es mir nöthig, das, was ich zu sagen habe, für alle Arten von Lesern so laicht und fasslich als möglich zu machen. Deshalb will ich lieber, dass Leser von Scharfsinn und schneller Fassungskraft sich über meine Langweiligkeit bei einzelnen Punkten beklagen, als dass die, welche an schwierigen Untersuchungen nicht gewöhnt oder in Vorurtheilen befangen sind, meine Meinung missverstehen oder gar nicht verstehen.

Man tadelt es vielleicht als eine grosse Eitelkeit oder Dreistigkeit, wenn ich mir herausnehme, unser kluges Zeitalter zu belehren; denn darauf läuft es wohl hinaus, wenn ich hoffe, dass die Veröffentlichung dieses Versuches für Andere nützlich sein werde. Offen gestanden, scheint es mir indess mehr nach Eitelkeit oder Anmassung zu schmecken, wenn man mit erkünstelter Bescheidenheit seine eignen Schriften für werthlos erklärt, ab wenn man ein Buch aus einem andern Grunde veröffentlicht; denn es ist eine Verletzung der dem Publikum schuldigen Achtung, wenn man Bücher druckt, und deshalb auf Leser derselben hofft, obgleich sie nichts Nützliches für sich darin finden sollen. Sollte auch nichts Gutes in diesem Versuch enthalten sein, so war doch meine Absicht hierauf gerichtet, und diese gute Absicht mag die Werthlosigkeit des Geschenkes entschuldigen. Dies ist es auch, was mich trösten wird, im Fall die Kritiker mich tadeln sollten, was ich, da es bessern Schriftstellern so ergangen, wohl zu erwarten habe. Die Grundsätze, Begriffe und der Geschmack der Menschen sind so verschieden, dass man schwerlich ein Buch finden wird, was Allen gefällt oder Allen missfällt. Ich weiss, dass das jetzige Zeitalter nicht das schwächste an Wissen ist, und dass es deshalb nicht leicht zu befriedigen ist. Wenn ich nicht das Glück habe, zu gefallen, so braucht doch auch Niemand sich durch mich für beleidigt zu halten. Ich sage meinen Lesern offen, dass diese Abhandlung ursprünglich nicht für sie, ein Dutzend ohngefähr ausgenommen, bestimmt war, und dass sie nicht zu diesem Dutzend gehören. Will aber Einer darüber böse werden oder sich darüber lustig machen, so mag er es thun; ich selbst kann meine Zeit besser als zu solcher Unterhaltung anwenden. Ich habe wenigstens immer aufrichtig die Wahrheit und den Nutzen angestrebt, wenn auch vielleicht in sehr einfacher Weise. Die Gelehrtenwelt hat jetzt ihre grossen Baumeister, deren mächtige Unternehmen zur Beförderung der Wissenschaften der bewundernden Nachwelt bleibende Denkmäler überliefern werden; allein nicht Jeder kann ein Boyle oder ein Sydenham sein, und in einem Zeitalter, welches Meister wie den grossen Huygens und den unvergleichlichen Newton und einige Aehnliche erzeugt hat, gereicht es schon zur Ehre, wenn man als ein niederer Gehülfe den Boden ein wenig reinigt und den Schutt aus dem Wege des Wissens forträumt. Die Wissenschaften wären sicherlich schon weiter vorgeschritten, wenn die Bemühungen geistreicher und fleissiger Männer nicht so viel durch den gelehrten, aber nutzlosen Ballast sonderbarer, eitler oder unverständlicher Ausdrücke gehemmt gewesen wären, die in den Wissenschaften eingeführt und zu einer solchen Kunst erhoben worden sind, dass die Philosophie, die doch nur in der wahren Erkenntniss der Dinge besteht, in guter Gesellschaft und in der feinem Unterhaltung nicht mehr berührt und behandelt werden kann. Schwankende und bedeutungslose Ausdrucksweisen und Missbrauch der Sprache haben so lange für Geheimnisse der Wissenschaft gegolten; schwere und falsch angewendete Worte ohne Sinn haben so sehr das Recht erlangt, für tiefe Gelehrsamkeit und erhabenes Denken zu gelten, dass man jetzt weder den Redner noch die Zuhörer davon überzeugen kann, wie damit nur die Unwissenheit und die Hemmnisse des wahren Wissens verdeckt werden. Wenn ich in dieses Heiligthum von Eitelkeit und Unwissenheit einbreche, so leiste ich vielleicht dem menschlichen Verstande damit einen Dienst, obgleich allerdings Wenige glauben, dass sie durch Worte täuschen oder getäuscht werden können, oder dass die Sprache ihrer Sekte an Fehlern leide, die untersucht und verbessert werden müssen. Man wird daher hoffentlich mir verzeihen, wenn ich im dritten Buche etwas lange bei diesem Gegenstande verweilt, und versucht habe, ihn so klar zu machen, dass weder das Alter des Uebels noch die Macht der Mode Diejenigen noch länger entschuldigen kann, welche sich um den Sinn ihrer eigenen Worte nicht kümmern und die Bedeutung ihrer Ausdrücke nicht untersucht haben wollen.

Man hat mir gesagt, dass der kurze Auszug, welcher von diesem Werke 1688 erschienen ist, von Einigen, ohne ihn gelesen zu haben, verurtheilt worden sei, weil die angebornen Ideen darin geleugnet worden. Man schloss voreilig, dass, wenn diese geleugnet würden, von den Begriffen der Geister und dem Beweise für ihr Dasein wenig übrig bleiben könne. Wenn Jemand denselben Anstoss an dem Eingänge dieser Abhandlung nehmen sollte, so wünschte ich wenigstens, dass er sie durchläse; dann wird er hoffentlich überzeugt werden, dass die Beseitigung falscher Grundlagen der Wahrheit nicht schadet, sondern nützt; sie ist niemals so gefährdet, als wenn sie mit dem Irrthum gemischt oder darauf errichtet wird.

In der zweiten Ausgabe dieses Werkes habe ich die folgenden Sätze hinzugefügt: »Der Buchhändler würde es mir nicht vergeben, wenn ich von dieser zweiten Ausgabe nichts sagte, die, wie er versprochen, durch ihre Genauigkeit die vielen in der ersten befindlichen Fehler wieder gut machen soll. Ich soll auch erwähnen, dass sie ein ganz neues Kapitel über die Dieselbigkeit enthält, und mancherlei Zusätze und Verbesserungen in andern Stellen. Sie betreffen nicht immer neue Gegenstände, sondern grösstentheils eine Bestätigung früherer Aeusserungen oder Erläuterungen, um Missverständnissen zuvorzukommen, aber keine Abweichungen von früher Gesagtem, mit Ausnahme der im II. Buch, Kap. 21 gemachten Aenderungen.

Was ich über die Freiheit und den Willen geschrieben habe, verdient nach meiner Meinung die möglichst sorgfältige Beachtung; denn diese Fragen haben zu allen Zeiten die gelehrte Welt beschäftigt, und ihre Schwierigkeiten haben die Moral und Theologie nicht wenig in Verlegenheit gebracht; es sind Fragen, an deren Klarheit die Menschheit auf das Höchste betheiligt ist. Eine genaue Untersuchung der Thätigkeiten der menschlichen Seele und der hierbei auftretenden Beweggründe und Zwecke hat mich zu einer Aenderung meiner frühem Ansichten hierbeigeführt, wonach der Wille bei allen freiwilligen Handlungen die letzte Bestimmung behält. Ich erkenne dies freimüthig und bereitwillig ebenso an, wie ich ebenso in der ersten Ausgabe das aussprach, was mir damals das Richtige zu sein schien; denn ich will lieber meine eigene Meinung aufgeben, als einer andern entgegentreten, sobald mir jene falsch erscheint. Ich suche nur die Wahrheit, und sie wird mir immer willkommen sein, wenn und von wem sie auch kommen mag.

So bereitwillig ich indess meine Ansicht aufgebe oder von früher Gesagtem zurücktrete, wenn der Irrthum mir dargelegt wird, so muss ich doch gestehen, dass ich nicht so glücklich gewesen bin, einiges Licht aus den Entgegnungen zu entnehmen, die mein Buch sonst erfahren hat; ich habe in keinem der betreffenden Punkte einen Grund zur Aenderung meiner Ansicht daraus entnehmen können. Sei es, dass der behandelte Gegenstand mehr Nachdenken und Aufmerksamkeit erfordert, als flüchtige oder wenigstens voreingenommene Leser gewähren mögen, oder sei es, dass die Dunkelheit eine Wolke über meine Ausdrücke verbreitet, und meine Art, die Begriffe zu behandeln, die Auffassung bei Andern erschwert haben mag; jedenfalls bin ich oft missverstanden worden, und ich habe nicht das Glück, dass man meine Meinung immer richtig aufgefasst hat. Diese Fälle sind so zahlreich, dass entweder mein Buch deutlich genug für Die geschrieben ist, welche es so aufmerksam und unparteiisch durchlesen, wie jeder Leser sollte, oder dass es so dunkel verfasst ist, dass jede Verbesserung vergeblich ist.

Wie sich dies nun auch verhalten mag, so bin ich doch hierbei nur allein betheiligt, und deshalb mag ich meine Leser nicht mit dem belästigen, was ich auf die mancherlei Ausstellungen gegen einzelne Stellen meines Buches zu sagen hätte; wer sie für so erheblich hält, dass ihm auf die Wahrheit oder Unwahrheit derselben viel ankommt) wird selbst beurtheilen können, ob diese Ausstellungen schlecht begründet oder meiner Lehre nicht zuwider sind, wenn nur beide Theile richtig verstanden werden.

Wenn Manche aus Besorgniss, dass keiner ihrer guten Gedanken verloren gehe, ihre Kritiken meines Versuchs veröffentlicht haben, und ihm dabei die Ehre angethan haben, ihn für keinen blossen Versuch zu nehmen, so mag das Publikum über die Pflichten ihrer kritischen Feder entscheiden; ich werde meine Zeit nicht so nutzlos und unnatürlich anwenden und solchen Leuten ihre Freude stören, die sie dabei in sich selbst empfinden oder Andern mit einer so eilfertigen Widerlegung meiner Schrift bereiten wollen.«

Als der Buchhändler die vierte Ausgabe meines Versuchs vorbereitete, benachrichtigte er mich davon, im Fall ich, wenn meine Zeit es gestattete, Zusätze oder Veränderungen machen wollte. Ich hielt deshalb für zweckmässig, den Leser damals zu benachrichtigen, dass neben mehreren hier und da gemachten Verbesserungen auch eine Aenderung zu erwähnen sei, die sich durch das ganze Buch erstrecke und deshalb vorzugsweise des richtigen Verständnisses bedürfe. Ich sagte deshalb:

»Klare und deutliche Vorstellungen sind zwar geläufige und bekannte Ausdrücke; allein nicht Jeder, der sie gebraucht, dürfte sie völlig verstehen. Da nun hier und da Jemand näher nach dem Sinn verlangen dürfte, in dem er und ich sie gebrauchen, so habe ich in der Regel statt der Worte: ›klar und deutlich‹, den Ausdruck: ›bestimmt‹ gesetzt, der meine Absicht deutlicher darlegt. Ich bezeichne mit diesem Worte irgend einen Gegenstand in der Seele, der also be stimmt ist, d.h. der so ist, wie er da gesehen und bemerkt wird. Man kann wohl das eine bestimmte Vorstellung nennen, wenn sie so, wie sie zu einer Zeit gegenständlich in einer Seele besteht und in sich bestimmt ist, mit einem Namen oder artikulirten Laute unveränderlich verknüpft wird, welcher damit als das feste Zeichen dieses selben Gegenstandes in der Seele, d.h. der bestimmten Vorstellung, gilt.

Um dies etwas weiter zu erklären, verstehe ich unter ›bestimmt‹ bei einer einfachen Vorstellung die einfache Erscheinung, welche die Seele erblickt oder in sich bemerkt, wenn man sagt, dass diese Vorstellung in der Seeleist; unter ›bestimmt‹ bei einer zusammengesetzten Vorstellung verstehe ich eine solche, die aus einer bestimmten Zahl einfacher oder weniger zusammengesetzten Vorstellungen besteht, die in einem solchen Verhältniss verbunden sind, wie die Seele es in sich sieht, wenn die Vorstellung ihr gegenwärtig ist oder bei Nennung deren Namens ihr gegenwärtig sein sollte; ich sage ›sollte‹, weil nicht Jeder, ja vielleicht nicht Einer in seinem Sprechen so sorgfältig ist, dass er kein Wort eher gebraucht, als bis er in seiner Seele, die genau bestimmte Vorstellung sieht, die er damit bezeichnen will. Dieser Fehler veranlasst viel Dunkelheit und Verwirrung in dem Denken und Reden der Menschen.

Ich weiss wohl, dass keine Sprache die genügenden Worte für all die mannichfachen Vorstellungen enthält, die in dem Denken und Untersuchungen der Menschen auftreten. Allein deshalb kann doch Jeder bei dem Gebrauch eines Wortes eine bestimmte Vorstellung haben, die er damit bezeichnet, und welches Wort er während einer solchen Rede nur streng für diese Vorstellung benutzen darf. Wer dies nicht thut oder nicht zu thun vermag, kann auf klare und deutliche Vorstellungen keinen Anspruch machen; offenbar sind die seinigen nicht der Art, und deshalb kann nur Dunkelheit und Verwirrung aus dem Gebrauche solcher Ausdrücke ohne feste Bedeutung hervorgehen.

Deshalb scheint mir der Ausdruck: ›bestimmte Vorstellung‹ dem Missverständniss weniger ausgesetzt, als ›klare und deutliche Vorstellung‹, und wenn man erst solche bestimmte Vorstellungen für alle Begründungen, Untersuchungen und Beweise erlangt haben wird, kann ein grosser Theil der Zweifel und Streitigkeiten ein Ende nehmen. Da die meisten Zweifel und Streitfälle, weiche die Menschheit in Verlegenheit setzen, aus dem zweideutigen und schwankenden Gebrauch der Worte oder (was dasselbe ist) aus unbestimmten Vorstellungen entstehen, wofür sie gebraucht werden, so habe ich diese Ausdrücke gewählt, um damit 1) einen unmittelbaren Gegenstand der Seele zu bezeichnen, welchen sie wahrnimmt und vor sich hat, verschieden von dem Laute, womit sie ihn benennt, und dass diese Vorstellung in dieser Bestimmtheit, d.h. in der, welche die Seele in sich hat und da weiss und sieht, unveränderlich mit diesem Namen, und dieser Name genau mit dieser Vorstellung verknüpft ist. Gebrauchte man solche bestimmte Vorstellungen in den Untersuchungen und Verhandlungen, so würden sie erkennen lassen, wie weit die eigenen Untersuchungen und die gegenseitigen Verhandlungen gehen, und der Streit und das Gezänk würde zum grossen Theil vermieden werden können.

Ich soll ausserdem auf den Wunsch des Buchhändlers den Leser noch benachrichtigen, dass zwei ganze Kapitel neu hinzugekommen sind; eines behandelt die Ideen-Verbindung, das andere die Schwärmerei. Diese und einige andere neue und grössere Zusätze hat er versprochen, in derselben Weise und zu demselben Zweck eindrucken zu lassen, wie es bei der zweiten Ausgabe dieser Schrift geschehen ist.«

Bei der sechsten Auflage ist nur wenig zugesetzt oder verändert worden; das meiste Neue enthält das 21. Kapitel des II. Buches, und Jeder wird dies, wenn er es der Mühe werth hält, leicht an den Rand der früheren Ausgaben nachtragen können.

Erstes Buch. Ueber angeborne Begriffe

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel. Einleitung

Inhaltsverzeichnis

§ 1. (Die Untersuchung des menschlichen Verstandes ist unterhaltend und nützlich.) Indem der Verstand es ist, welcher den Menschen über alle andern lebenden Wesen erhebt, und ihm die Vortheile und Herrschaft gewährt, die er über sie besitzt, ist der Verstand, schon seines Adels wegen, ein Gegenstand, welcher sicherlich der Mühe einer Untersuchung werth ist. Während der Verstand, gleich dem Auge, uns alle andern Dinge sehen und erkennen lässt, achtet er auf sich selbst nicht und es erfordert Kunst und Mühe, ihn sich gegenüber zu stellen und ihn zu seinem eigenen Gegenstand zu machen. Allein welcher Art auch die, auf dem Wege seiner Untersuchung liegenden Schwierigkeiten sein mögen, und was auch das sein mag, was uns so in Dunkelheit über uns selbst erhält, so bin ich doch überzeugt, dass all das Licht, was wir auf unsern eignen Geist fallen lassen, und alle die Bekanntschaft, die wir mit unserm eignen Verstande machen können, nicht allein unterhaltend, sondern auch für die Untersuchung andrer Dinge, wenn wir unser Denken darauf richten, von grossem Nutzen sein wird.

§ 2. (Meine Absicht.) Es ist deshalb meine Absicht, den Ursprung, die Gewissheit und die Ausdehnung des menschlichen Wissens, sowie die Grundlagen und Abstufungen des Glaubens, der Meinung und der Zustimmung zu erforschen. Ich werde dabei nicht auf eine physikalische Betrachtung der Seele eingehen, und nicht untersuchen, worin das Wesen derselben bestehe, und durch welche Bewegung unsre Lebensgeister oder durch welche Veränderungen in unserem Körper wir zu einer Empfindung durch unsre Sinnesorgane und zu Vorstellungen In unserem Verstande gelangen, und ob einige dieser Vorstellungen oder alle bei ihrer Bildung von dem Stoffe abhängen oder nicht. Diese Untersuchungen mögen anziehend und unterhaltend sein; allein ich lasse sie bei Seite, da sie bei dem Ziele, was ich jetzt verfolge, ausserhalb meines Weges liegen. Für meinen jetzigen Zweck genügt die Betrachtung der verschiedenen Vermögen des Menschen in ihrer Anwendung auf Gegenstände, mit denen er zu thun hat, und ich meine, dass ich mein Denken bei diesem Unternehmen nicht schlecht angewendet haben werde, wenn ich auf diesem beobachtenden und einfachem Wege einige Auskunft über die Mittel gewinnen kann, durch welche unser Verstand die Begriffe erlangt, die wir von den Dingen haben, und wenn ich einen Maassstab für die Gewissheit unseres Wissens und die Gründe jener Ueberzeugungen auffinde, welche unter den Menschen in so mannichfacher, verschiedener, ja ganz entgegengesetzter Weise bestehen, und dabei doch im Einzelnen mit soviel Zuversicht und Sicherheit festgehalten werden, dass, wenn man die Meinungen der Menschen überschaut, ihre Gegensätze bemerkt und zugleich sieht, mit welcher Liebe und Verehrung sie festgehalten, und mit welcher Entschlossenheit und Eifer sie vertheidigt werden, man wohl mit Grund zweifeln darf, ob es überhaupt so Etwas wie Wahrheit gebe, und ob die Menschheit die genügenden Mittel zur Erlangung einer sicheren Kenntniss derselben besitze.

§ 3. (Mein Verfahren.) Es ist daher wohl der Mühe werth, die Grenzen zwischen Meinung und Erkenntniss zu untersuchen und die Maassregel zu prüfen, durch die wir da, wo wir keine sichere Kenntniss besitzen, unsere Zustimmung zu regeln und unsere Ueberzeugungen zu mässigen haben. Ich werde hierbei in nachstehender Weise verfahren:

Zuerst werde ich den Ursprung der Vorstellungen oder Begriffe, oder wie man es sonst nennen will, untersuchen, die der Mensch in seiner Seele findet, und deren er sich bewusst ist, sowie der Wege, auf denen der Verstand zu ihnen gelangt.

Zweitens werde ich zeigen, welches Wissen der Verstand durch diese Vorstellungen besitzt, und worin die Sicherheit, Gewissheit und Ausdehnung dieses Wissens besteht.

Drittens werde ich die Natur und die Grundlagen des Glaubens und der Meinung untersuchen. Ich verstehe darunter die Zustimmung, die wir einem Satze, als einem wahren, geben, obgleich wir von seiner Wahrheit noch keine sichere Kenntniss haben. Dies wird mir die Gelegenheit bieten, die Gründe und die Grade der Zustimmung zu prüfen.

§ 4. (Die Kenntniss, wie weit unser Wissen sich erstreckt, ist nützlich.) Wenn ich durch diese Untersuchung der Natur des Verstandes seine Kräfte entdecke, und sehe, wie weit sie reichen, für welche Dinge sie einigermassen zureichend sind, und wo sie ausgehen, so meine ich, dass dies den geschäftigen Geist der Menschen bestimmen wird, sich vorzusehen und nicht mit Dingen einzulassen, die seine Fassungskraft übersteigen, so wie anzuhalten, wenn er an den äussersten Grenzen seines Vermögens angekommen ist, und sich über seine Unwissenheit von Dingen zu beruhigen, wenn sie bei ihrer Prüfung sich als solche zeigen, die ausser dem Bereich unserer Vermögen liegen. Man wird dann vielleicht weniger bereit sein, ein allumfassendes Wissen in Anspruch zu nehmen und Fragen zu erheben, oder sich und Andere in Streit über Dinge zu verwickeln, für welche unser Verstand nicht passt, und von denen man keine klare und deutliche Vorstellung in seiner Seele bilden kann, oder von denen man (wie es nur zu oft vorkommen dürfte) überhaupt keinen Begriff hat. Wenn man ausfindig machen kann, wie weit der Verstand seinen Blick auszudehnen vermag, wie weit er die Gewissheit zu erreichen im Stande ist, und in welchen Fällen er nur meinen und vermuthen kann, so wird man lernen, mit dem sich zu begnügen, was dem Menschen in seinem jetzigen Zustande erreichbar ist.

§ 5. (Unsere Vermögen sind unserem Zustande und Bedürfnissen angemessen.) Denn wenn auch unser Verstand zum umfassen der weiten Ausdehnung der Dinge viel zu klein ist, so haben wir doch allen Grund, den gütigen Urheber unseres Daseins für das uns verliehene Verhältniss und Maass der Erkenntniss zu preisen, da es so hoch über das aller übrigen Bewohner unseres Aufenthalts steht. Die Menschen können sehr wohl mit dem zufrieden sein, was Gott für sie passend erachtet hat, denn er hat ihnen (wie der heilige Petrus sagt) panta pros zôên kai eusebeian, d.h. Alles zum Leben und zur Kenntniss der Tugend Nöthige gegeben und ihnen möglich gemacht, die Mittel für ein behagliches Leben so wie den zu einem bessern Leben führenden Weg aufzufinden. Ihr Wissen bleibt allerdings weit hinter einer umfassenden und vollkommenen Erkenntniss der Dinge zurück; aber es sichert sie doch in ihren wichtigsten Angelegenheiten, da es hell genug ist, um den Menschen zur Erkenntniss seines Schöpfers und seiner eignen Pflichten zu führen. Die Menschen werden immer genügenden Stoff für die Beschäftigung ihres Kopfes und für die mannichfache, angenehme und befriedigende Benutzung ihrer Hände finden, wenn sie nur nicht frech auf ihre eigene Verfassung schelten und den Segen, der ihre Hände erfüllt, nicht deshalb wegwerfen, weil sie nicht stark genug zur Erfassung aller Dinge seien. Wir brauchen uns über die Schranken unseres Geistes nicht zu beklagen, wenn wir ihn zu dem für uns Nützlichen anwenden; denn dazu ist er völlig geschickt. Es wäre ein unverzeihlicher und kindischer Eigensinn, die Vorzüge unseres Verstandes zu unterschätzen und seine Verbesserung für die Ziele zu vernachlässigen, für welche er uns gegeben ist, weil es Dinge giebt, die ausser seinem Bereiche liegen. Ein fauler und mürrischer Diener, der seine Geschäfte bei Kerzenlicht nicht besorgen mag, darf sich nicht mit dem fehlenden Sonnenlicht entschuldigen; die in uns brennende Kerze leuchtet für all unsere Zwecke hell genug, und die damit möglichen Entdeckungen müssen uns genügen. Wir gebrauchen unsere Verstandeskräfte dann recht, wenn wir alle Gegenstände in der Weise und dem Maasse nehmen, wie es für unsere Fähigkeiten passend ist, und auf Grundlagen, die wir verstehen können, und wenn wir nicht durchaus und maasslos auf Beweisen bestehen und Gewissheit verlangen, wo nur Wahrscheinlichkeit zu erlangen ist, die aber für die Besorgung unserer Angelegenheiten zureicht. Wenn man jedem Dinge misstraut, weil man nicht Alles sicher erkennt, so handelt man beinah so weise wie Der, welcher seine Beine nicht brauchen wollte, sondern still sass und umkam, weil er keine Flügel zum Fliegen hätte.

§ 6. (Die Kenntniss unserer Vermögen schützt vor Zweifelsucht und Trägheit.) Wenn man seine eigenen Kräfte kennen gelernt hat, so kann man besser wissen, was man mit Aussicht auf Erfolge unternehmen kann, und hat man die Kräfte seines Geistes wohl überschaut und überschlagen, was sich von ihnen erwarten lässt, so wird man weder still sitzen und sein Denken gar nicht gebrauchen wollen, weil man an der Erkenntniss von Allem verzweifelt; noch umgekehrt Alles in Zweifel ziehen und alle Erkenntniss leugnen, weil Manches nicht erkannt werden kann. Dem Schiffer ist die Kenntniss von der Länge seines Lothseils sehr nützlich, wenn er auch nicht alle Tiefen des Meeres damit ergründen kann; es genügt, dass er weiss, es sei lang genug, um den Grund da zu erreichen, wo es auf die Richtung seiner Weges und auf Schutz gegen Untiefen ankommt, die ihm verderblich werden könnten. Wir haben hier nicht Alles zu erkennen, sondern nur das, was unsern Lebenswandel betrifft. Kann man die Mittel ausfindig machen, durch welche ein vernünftiges Wesen, was in dem Zustande, wie der Mensch, in die Welt gesetzt ist, sein Fürwahrhalten und sein davon abhängiges Handeln leiten kann, so braucht man sich darüber nicht zu beunruhigen, dass einige andere Dinge sich unserer Erkenntniss entziehen.

§ 7. (Der Anlass zu diesem Versuche.) Dies veranlasste mich zunächst zu diesem Versuche über den Verstand. Ich meinte, dass der erste Schritt für eine befriedigende Untersuchung jener Dinge, in die der Mensch so leicht sich vertieft, darin bestände, dass man die eigenen geistigen Vermögen überschaue, seine Kräfte prüfe und sehe, wofür sie geeignet sind. Ehe dies nicht geschehen, fängt man, fürchte ich, bei dem falschen Ende an. Man sucht vergeblich nach dem zufriedenstellenden, ruhigen und sichern Besitz der für uns wichtigsten Wahrheiten, wenn man seine Gedanken auf dem weiten Meer der Dinge so schweifen lässt, als wäre dieser grenzenlose Raum das natürliche und unzweifelhafte Eigenthum unseres Verstandes, als entziehe sich darin Nichts seiner Entscheidung, und als entschlüpfe Nichts seiner Erkenntniss. Wenn die Menschen in dieser Weise ihre Untersuchungen weit über ihr Vermögen ausdehnen und ihre Gedanken in Tiefen schweifen lassen, wo sie keinen festen Fuss fassen können, so darf man sich nicht wundern, wenn sich Fragen erheben und Streitigkeiten häufen, die niemals zu einer klaren Lösung gelangen und deshalb nur dazu dienen, die Zweifel zu erhalten und zu vermehren und den Menschen zuletzt in den vollständigen Skeptizismus zu stürzen. Sind dagegen die Fähigkeiten unseres Verstandes wohl betrachtet, die Grenzen unseres Wissens einmal ermittelt und der Gesichtskreis gefunden, welcher den hellen und dunklen Theil der Dinge, das Erkennbare und Nicht-Erkennbare scheidet, so wird man leichter sich bei der eingestandenen Unkenntniss des einen Theils beruhigen und seine Gedanken und Reden mit mehr Nutzen und Genugthuung dem andern zuwenden.

§ 8. (Was das Wort: Vorstellung bedeutet.) So viel glaubte ich über den Anlass zu dieser Untersuchung des menschlichen Verstandes sagen zu müssen. Ehe ich jedoch zu meinen Gedanken über diesen Gegenstand übergehe, muss ich hier in dem Beginn den Leser wegen des häufigen Gebrauchs des Wortes: »Vorstellung« in der folgenden Abhandlung um Entschuldigung bitten. Dieses Wort passt nach meiner Ansicht am besten zur Bezeichnung von Allem, was der Mensch denkt, mag der Gegenstand seines Denkens sein, welcher er wolle. Ich gebrauche es zur Bezeichnung von dem, was man unter Einbildungen, Begriffen, Arten u.s.w. versteht, oder womit irgend die Seele beim Denken sich beschäftigen kann; ich. habe die häufige Benutzung dieses Wortes nicht vermeiden können, und man wird mir hoffentlich zugeben, dass solche Vorstellungen in der menschlichen Seele sind; Jeder ist sich deren in seinem Innern bewusst, und die Reden und Handlungen Anderer können ihn überzeugen, dass sie auch in Andern bestehen.

Ich will daher zunächst untersuchen, wie sie in die Seele kommen.

Zweites Kapitel. Es giebt keine angebornen Grundsätze in der Seele

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§ 1. (Der Weg, wie wir zu unsern Kenntnissen gelangen, und dass sie nicht angeboren sind, wird gezeigt.) Für Manche ist es eine ausgemachte Sache, dass in dem Verstände angeborne Grundsätze bestehen oder gewisse Urbegriffe, koinai ennoiai, gleichsam der menschlichen Seele eingeprägte Schriftzeichen, welche sie bei ihrem ersten Entstehen erhält und mit auf die Welt bringt. Für unbefangene Leser würfle es genügen, um sie von der Unrichtigkeit dieser Annahme zu überzeugen, wenn ich blos zeigte (wie es hoffentlich in den folgenden Abschnitten dieser Abhandlung geschehen wird), dass die Menschen lediglich durch den Gebrauch ihrer natürlichen Vermögen, ohne Hülfe von angebornen Eindrücken, all die Kenntniss erlangen, die sie besitzen, und wie sie ohne solche Urbegriffe oder Grundsätze zur Gewissheit gelangen. Jedermann wird hoffentlich anerkennen, dass es unverschämt wäre, wenn man bei einem Geschöpf die Vorstellungen der Farben für angeboren annehmen wollte, welchem der Schöpfer das Gesicht und die Macht gegeben hat, die Farben durch die Augen von äussern Gegenständen aufzunehmen; ebenso unbegründet würde es sein, wenn man gewisse Wahrheiten von natürlichen Eindrücken und angebornen Schrift-Zeichen ableiten wollte, da Fähigkeiten in uns angetroffen werden, die ebenso geeignet sind, diese Erkenntniss leicht und sicher zu erwerben, als wenn sie dem Menschen angeboren wäre.

Da indess bei der Aufsuchung der Wahrheit Niemand, ohne getadelt zu werden, seinen eignen Gedanken folgen kann, sobald sie ihn auch nur ein wenig von der grossen Heerstrasse abführen, so führe ich die Gründe an, die mich an der Wahrheit dieser angebornen Grundsätze haben zweifeln lassen; sie mögen mich zugleich entschuldigen, wenn ich irren sollte. Ich überlasse die Prüfung dieser Gründe Denen, welche mit mir die Wahrheit überall, wo sie sie finden, aufzunehmen bereit sind.

§ 2. (Die allgemeine Zustimmung ist der Hauptgrund für die angebornen Grundsätze.) Nichts hält man für unzweifelhafter, als dass gewisse Grundsätze, sowohl theoretische wie praktische (denn von beiden wird gesprochen), von Jedermann anerkannt werden; deshalb, schliesst man, müssen sie bleibende Eindrücke sein, welche die menschliche Seele bei ihrem ersten Entstehen empfangen und mit sich ebenso nothwendig und wirklich auf die Welt gebracht hat, wie die ihr einwohnenden Vermögen.

§ 3. (Die allgemeine Zustimmung beweist nichts für das Angeborensein.) Dieser der allgemeinen Uebereinstimmung entnommene Grund hat indess den Uebelstand an sich, dass, wenn es thatsächlich richtig wäre, dass alle Menschen in gewissen Wahrheiten übereinstimmten, er nicht deren Eingeborensein bewiese, sofern noch ein anderer Weg aufgezeigt werden kann, auf dem die Menschen in den Diagen, wo sie übereinstimmen, zu dieser allgemeinen Zustimmung kommen; und dieser Weg dürfte sich zeigen lassen.

§ 4. (Die Sätze der Dieselbigkeit und des Widerspruchs sind nicht allgemein anerkannt.) Aber schlimmer ist es, dass dieser von der allgemeinen Zustimmung entlehnte Grund, um die eingebornen Grundsätze zu beweisen, mir eher zu beweisen scheint, dass es deren keine giebt, denen alle Menschen zustimmen. Ich beginne mit den theoretischen und nehme als Beispiel jene gerühmten Grundsätze des Beweisens: »Was ist, das ist«, und: »Es ist für ein und dasselbe Ding unmöglich, zu sein und nicht-zu-sein«, die, glaube ich, noch am meisten von allen als angeborne gelten könnten. Ihr Ansehen, als allgemein anerkannte Grundsätze, steht so fest, dass es sonderbar erscheinen würde, wenn Jemand sie bezweifeln wollte. Dennoch sind diese Grundsätze so fern von der allgemeinen Zustimmung, dass ein grosser Theil der Menschen sie nicht einmal kennt.

§ 5. (Auch sind sie nicht von Natur der Seele eingeprägt, da Kinder, Dumme und Andere sie nicht kennen.) Denn erstens ist klar, dass Kinder und dumme Menschen nicht die leiseste Vorstellung oder einen Begriff davon haben; dieser Mangel genügt, um jene allgemeine Zustimmung aufzuheben, welche nothwendig alle angebornen Wahrheiten begleiten müsste. Es scheint mir ein Widerspruch, dass der Seele Wahrheiten eingedrückt seien, die sie nicht bemerkt oder nicht versteht; denn dieses »Eingedrückte« kann, wenn es überhaupt Etwas bedeuten soll, nur bewirken, dass gewisse Wahrheiten gewusst werden, und ich kann nicht Verstehen, wie Etwas der Seele eingeprägt sein könnte, ohne dass sie es bemerkte. Wenn daher. Kinder und dumme Menschen eine Seele oder einen Verstand mit solchen Einprägungen haben, so müssen sie sie auffassen, sie kennen und diesen Wahrheiten beistimmen, und da sie dies nicht thun, kann es solche Eindrücke nicht geben. Denn wenn sie keine von Natur eingeprägten Begriffe sind, wie können sie da angeboren sein? und wenn diese Begriffe eingeprägt sind, wie können sie da nicht gewusst werden? Sagt man: ein Begriff sei der Seele eingeprägt, und zugleich: die Seele kenne ihn nicht und habe ihn nie bemerkt, so macht man diese Einprägung zunichte. Kein Satz kann in der Seele bestehen, den sie niemals gekannt hat und dessen sie sich niemals bewusst gewesen ist. Wäre dies bei einem möglich, so könnte man aus demselben Grunde sagen, dass alle Sätze, die wahr sind und denen überhaupt die Seele zustimmen kann, in der Seele bestehen und ihr eingeprägt seien. Wenn man von einem sagen kann, er sei in der Seele, obgleich sie ihn nie gewusst hat, so kann es nur deshalb geschehen, weil die Seele fähig ist, ihn kennen zu lernen, und dann gilt dies für alle Wahrheiten, die sie je erfassen wird; ja es sind dann auch jene Wahrheiten der Seele eingeprägt, welche sie niemals gekannt hat, noch kennen wird, da ein Mensch lange leben kann und doch, wenn er stirbt, viele Wahrheiten nicht kennen kann, zu deren Kenntniss und zwar sicherer Kenntniss seine Seele die Fähigkeit hatte. Soll also diese behauptete natürliche Einprägung nur die Fähigkeit zum Wissen bezeichnen, so werden alle Wahrheiten, die Jemand allmählich kennen lernt, zu den angebornen gehören und diese grosse Frage sinkt dann zu einer blossen unpassenden Redeweise herab, die, während sie das Gegentheil scheinbar behauptet, doch nur dasselbe sagt wie die, welche die angebornen Grundsätze bestreiten; denn Niemand hat wohl je geleugnet, dass die Seele zur Erkenntniss gewisser Wahrheiten fähig ist. Sagt man, die Fähigkeit ist angeboren, die Kenntniss erworben, wozu dann dieser Kampf für gewisse angeborne Grundsätze? Können Wahrheiten dem Verstand eingeprägt sein, ohne dass er sie bemerkt, so finde ich in Bezug auf ihren Ursprung keinen Unterschied gegen Wahrheiten, die die Seele fähig ist zu erkennen; entweder müssen alle angeboren oder alle erworben sein, und man sucht dann vergeblich nach einem Unterschied zwischen denselben. Wenn daher Jemand von der Seele angebornen Begriffen spricht (sofern er dabei eine bestimmte Art von Wahrheiten meint), so kann er darunter nicht solche Wahrheiten verstehen, die der Verstand nie aufgefasst hat und die er gar nicht kennt. Denn wenn die Worte: »in dem Verstande sein« überhaupt etwas bedeuten, so ist es, dass sie vom Verstande erfasst sind. Mithin wollen Ausdrücke, wie: »In dem Verstand sein, aber nicht verstanden sein«, »In der Seele sein und nie bemerkt sein«, ebenso so viel sagen, als: Etwas ist und ist nicht in der Seele, oder in dem Verstande. Wenn daher jene Sätze: »Was ist, das ist«, und: »dasselbe Ding kann sein und nicht sein«, von Natur eingeprägt sind, so müssen die Kinder sie kennen; Kinder und Jeder, der eine Seele hat, müssen sie dann in ihrem Verstande haben, ihre Wahrheit kennen und ihr zustimmen.

§ 6. (Auf den Einwand wird geantwortet, dass die Menschen die Grundsätze kennen, wenn sie zum Gebrauch ihrer Vernunft kommen.) Um dem zu entgehen, sagt man gewöhnlich, dass alle Menschen sie kennen und ihnen zustimmen, wenn sie zu dem Gebrauche ihrer Vernunft kommen, und dies genüge für den Beweis, dass sie angeboren seien. Ich antworte:

§ 7. Schwankende Ausdrücke, die kaum Etwas bedeuten, gelten bei Denen für klare Gründe, die in ihrer Voreingenommenheit sich nicht die Mühe nehmen, ihre eigenen Worte zu prüfen; denn soll diese Erwiderung auf unsere Frage irgend passen, so muss sie eins von den beiden sagen: entweder, dass diese angeblichen natürlichen Eindrücke, sobald die Menschen zum Gebrauch ihrer Vernunft kommen, von ihnen gewusst und bemerkt werden; oder: dass der Gebrauch und die Hebung der Vernunft dem Menschen diese Grundsätze entdecken hilft und ihm die gewisse Kenntniss derselben gewährt.

§ 8. (Selbst wenn man sie durch die Vernunft entdeckt, so beweist dies nicht ihr Angeborensein). Sollen diese Grundsätze nur durch den Gebrauch der Vernunft entdeckt werden und dies zum Beweis genügen, dass sie angeboren seien, so hiesse dies so viel, als dass jedwede Wahrheit, die die Vernunft sicher entdecken kann und der sie zustimmt, von Natur der Seele eingeprägt sei; weil dann die allgemeine Zustimmung, die dass Kennzeichen sein soll, nur sagt, dass durch den Gebrauch der Vernunft man fähig wird, gewisse Kenntnisse zu gewinnen und ihnen zuzustimmen. Dann ist aber kein. Unterschied mehr zwischen den Grundsätzen (Axiomen) der Mathematiker und den Lehrsätzen, die sie daraus ableiten; sie sind dann alle gleich angeboren, weil sie alle durch den Gebrauch des Verstandes entdeckt werden und Wahrheiten sind, die ein vernünftiges Geschöpf erlangen kann, wenn es sein Denken in rechter Weise gebraucht.

§ 9. (Die Vernunft entdeckt sie nicht). Wie können aber Jene annehmen, dass der Gebrauch der Vernunft zur Entdeckung von angeblich angebornen Grundsätzen nöthig sei, wenn die Vernunft (sofern man ihnen glaubt) nur das Vermögen ist, was unbekannte Wahrheiten aus bereits bekannten Grundsätzen oder Lehrsätzen ableitet? Das, was man erst durch die Vernunft entdecken muss, kann sicherlich niemals für angeboren gelten, wenn man nicht, wie gesagt, alle von der Vernunft uns gelehrte sichere Wahrheiten zu angebornen machen will. Man kann dann auch ebenso den Gebrauch der Vernunft für nothwendig halten, damit die Augen die sichtbaren Dinge wahrnehmen, und dass die Vernunft oder ihr Gebrauch nöthig ist, damit der Verstand das sehe, was ihm ursprünglich eingeprägt ist, und was nicht in dem Verstande sein kann, bevor er es wahrgenommen hat. Lässt man die Vernunft diese so eingeprägten Wahrheiten entdecken, so heisst das so viel, als der Gebrauch der Vernunft entdeckt, was sie schon vorher wusste. Haben aber die Menschen diese angebornen und eingeprägten Wahrheiten ursprünglich und vor dem Gebrauch ihrer Vernunft und kennen sie sie doch nicht eher, als bis sie zu dem Gebrauch ihrer Vernunft gelangen, so sagt man in Wahrheit damit, dass die Menschen sie kennen und zugleich nicht kennen.

§ 10. Man entgegnet hier vielleicht, dass mathematischen Beweisen und andern nicht angebornen Wahrheiten nicht gleich bei ihrer Aufstellung zugestimmt werde, und dass sie sich darin von den Grundsätzen und angebornen Wahrheiten unterscheiden. Ich werde später über die bei der ersten Aufstellung eines Satzes erfolgende Zustimmung ausführlicher sprechen; will indess hier gern einräumen, dass diese Grundsätze sich von den mathematischen Beweisen unterscheiden, dass letztere der Gründe und der Beweise bedürfen, um sie als ausgemacht anzunehmen und ihnen zuzustimmen, während die ersten sofort, wenn sie verstanden sind, ohne alle Begründung angenommen werden, und ihnen zugestimmt wird. Allein damit wird gerade die Schwäche dieser Ausflucht dargelegt, wonach der Gebrauch der Vernunft für die Entdeckung dieser allgemeinen Wahrheiten verlangt wird, obgleich man doch einräumen muss, dass zu deren Entdeckung von der Vernunft gar kein Gebrauch gemacht wird; und ich denke, die, welche so antworten, werden nicht gern behaupten, dass die Kenntniss des Grundsatzes: »Ein Ding kann nicht sein und nicht-sein«, aus unserer Vernunft erst abgeleitet sei; denn dies würde jene ihnen so liebe Freigebigkeit der Natur aufheben, wenn die Kenntniss dieser Grundsätze von der Arbeit unseres Denkens abhängig wäre; denn alles Begründen ist ein Suchen und Umherblicken, was Mühe und Ausdauer verlangt. Wie kann man ferner verständiger Weise annehmen, dass das, was die Natur als Grundlage und Führerin der Vernunft eingeprägt haben soll, nur mittelst des Gebrauches der Vernunft gefunden werden könne?

§ 11. Jeder, der sich die Mühe nimmt, auf die Thätigkeit des Verstandes ein wenig zu achten, wird finden, dass, wenn die Seele gewissen Wahrheiten sofort zustimmt, dies weder auf einer natürlichen Einprägung, noch auf dem Gebrauch der Vernunft, sondern auf einem Seelenvermögen beruht, was, wie wir später sehen werden, von beiden sehr verschieden ist. Die Vernunft hat daher bei der Herbeiführung unserer Zustimmung zu diesen Wahrheiten nichts zu thun. Wenn also mit den Worten, dass, nachdem man zu dem Gebrauche der Vernunft gelangt sei, man diese Wahrheiten erkenne und ihnen zustimme, gemeint ist, dass der Gebrauch der Vernunft uns bei der Erkenntniss dieser Grundsätze beistehe, so ist dies durchaus falsch; wäre es aber auch wahr, so würde es vielmehr beweisen, dass diese Grundsätze uns nicht angeboren sind.

§ 12. (Die Zeit, wo man zur Vernunft kommt, ist nicht die, wo man zur Kenntniss dieser Sätze kommt.) Wenn aber mit den Worten: dass wir diese Grundsätze erkennen, wenn wir zu dem Gebrauch der Vernunft gelangt sind, gemeint ist, dass dies die Zeit sei, wo die Seele von ihnen Kenntniss nimmt, und dass, sobald Kinder zu dem Gebrauch ihrer Vernunft kommen, sie auch zur Erkenntniss und Zustimmung zu diesen Grundsätzen kommen, so ist auch dies falsch und eine leichtfertige Behauptung. Erstlich ist es falsch; denn diese Grundsätze sind nicht so zeitig in der Seele, wie der Gebrauch der Vernunft, und deshalb wird die Zeit, wo man zu dem Gebrauch der Vernunft kommt, fälschlich als die Zeit ihrer Entdeckung bezeichnet. Man kann gar viele Fälle von Vernunftgebrauch bei den Kindern bemerken, lange bevor sie eine Kenntniss von dem Grundsatze haben, dass es für dasselbe Ding unmöglich ist, zu sein und nicht zu sein, und ein grosser Theil der Ungebildeten und Wilden leben selbst viele Jahre ihres vernünftigen Alters, ohne je an diese oder ähnliche allgemeine Sätze zu denken. Ich gebe zu, dass die Menschen nicht eher zur Erkenntniss dieser allgemeinen und abgetrennten Wahrheiten, die man für angeboren hält, kommen, als bis sie den Gebrauch ihrer Vernunft erlangt haben; aber ich setze hinzu: auch dann nicht und zwar, weil wenn die Menschen zu dem Gebrauch ihrer Vernunft gelangt sind, diese allgemeinen höheren Begriffe, auf welche diese allgemeinen angeblich angeborenen Grundsätze sich beziehen, in der Seele nicht gebildet sind; vielmehr werden diese Sätze entdeckt und als Wahrheiten der Seele auf demselben Wege zugeführt und durch dieselben Schritte aufgefunden, wie viele andere Sätze, von denen es noch Niemand eingefallen ist, sie für angeboren zu erklären. Ich hoffe dies in dem Fortgange dieser Untersuchung darlegen zu können, und ich gebe deshalb zu, dass die Menschen nothwendig den Gebrauch ihrer Vernunft erlangt haben müssen, ehe sie die Erkenntniss dieser allgemeinen Wahrheiten erlangen; aber ich bestreite, dass die Zeit, wo man den Gebrauch der Vernunft erlangt, die Zeit ihrer Entdeckung ist.

§ 13. (Deshalb unterscheiden sie sich dadurch nicht von andern auffindbaren Wahrheiten.) Zugleich erhellt, dass, wenn man sagt, die Menschen erkennen und nehmen diese Grundsätze an, wenn sie den Gebrauch ihrer Vernunft erlangt haben, man in Wahrheit nur sagt, dass diese Grundsätze vor dem Gebrauche der Vernunft niemals gekannt, noch bemerkt werden, aber dass man ihnen möglicherweise später im Leben zustimmt; wobei die Zeit, wenn dies geschieht, ungewiss bleibt. Ebenso verhält es sich aber auch mit allen andern erkennbaren Wahrheiten; daher haben jene keinen Vorzug und keine Auszeichnung vor diesen, deshalb weil sie angeblich erkannt werden, wenn man zu dem Gebrauche des Verstandes kommt. Es kann daher damit auch nicht bewiesen werden, dass sie angeboren sind; vielmehr folgt das Gegentheil daraus.

§ 14. (Selbst wenn sie zur Zeit, wo man zum Gebrauche seiner Vernunft kommt, entdeckt würden, bewiese dies nicht, dass sie angeboren seien.) Aber zweitens würde der Umstand, dass diese Sätze erkannt und ihnen zugestimmt wird, wenn man zu dem Gebrauch der Vernunft kommt, selbst wenn er wahr wäre, nicht beweisen, dass sie angeboren wären. Diese Beweisführung ist ebenso leichtfertig, wie der Satz selbst falsch ist. Denn welche Logik zeigt, dass ein Begriff von Natur der Seele ursprünglich bei ihrer ersten Bildung eingeprägt worden, weil man ihn dann bemerkt und ihm zustimmt, wenn ein Seelenvermögen, was einem ganz andern Gebiete angehört, sich zu entwickeln beginnt? Wenn die Zeit, wo man den Gebrauch der Sprache erlangt, die wäre, wo man diesen Grundsätzen zuerst beistimmt (was ebenso wahr sein möchte, als die Zeit, wo man den Gebrauch der Vernunft erlangt), so bewiese dies ebensogut, dass sie angeboren seien, als wenn man dies deshalb behauptet, weil man ihnen zustimmt, wenn man zu dem Gebrauch der Vernunft gelangt ist. Ich trete deshalb diesen Vertheidigern von angeborenen Grundsätzen darin bei, dass die Seele vor der Erlangung des Gebrauchs der Vernunft keine Kenntniss von diesen allgemeinen und von selbst einleuchtenden Grundsätzen hat; aber ich leugne, dass die Zeit, wo man zu dem Gebrauch der Vernunft kommt, die ist, wo man sie zuerst bemerkt, und selbst wenn dies der Fall wäre, so würde dies nicht beweisen, dass sie angeboren seien. Alles, was mit einiger Wahrheit durch den Satz, wonach man ihnen zustimme, wenn man zu dem Gebrauch der Vernunft gelangt ist, gemeint sein kann, ist, dass die Bildung allgemeiner höherer Begriffe und das Verständniss allgemeiner Worte mit dem Vermögen der Vernunft verbunden ist, mit ihm zunimmt, und dass deshalb Kinder diese Begriffe nur erlangen und die dafür gebrauchten Worte nur verstehen, wenn sie zuvor längere Zeit ihre Vernunft für bekanntere und dem Einzelnen nähere Begriffe geübt haben, und durch ihr Reden und Benehmen mit Andern sich als solche erwiesen haben, welche einer vernünftigen Unterhaltung fähig sind. Sollte der Satz, dass man diesen Wahrheiten zustimmt, sobald man zu dem Gebrauch der Vernunft gelangt ist, in einem anderen Sinne gelten, so bitte ich, mir dies zu zeigen, oder wenigstens, wie aus einem solchen oder anderem Sinne desselben folgt, dass jene Wahrheiten angeboren seien.

§ 15. (Die Schritte, durch welche die Seele die Wahrheiten kennen lernt.) Zuerst lassen die Sinne Einzel-Vorstellungen ein und richten das noch leere Cabinet ein; die Seele wird dann allmählich mit einzelnen derselben vertraut, sie werden in das Gedächtniss aufgenommen, und es werden ihnen Namen gegeben. Dann schreitet die Seele weiter vor, trennt sie begrifflich und erlernt allmählich den Gebrauch allgemeiner Worte. So wird die Seele mit Vorstellungen und Worten ausgestattet, als dem Stoffe, an dem sie ihr begriffliches Vermögen üben kann. Je mehr dieser Stoff für ihre Beschäftigung zunimmt, desto sichtbarer wird der Gebrauch der Vernunft. Wenngleich so der Besitz allgemeiner Vorstellungen und der Gebrauch allgemeiner Worte und der Vernunft gleichzeitig zunehmen, so sehe ich doch in keiner Weise ab, wie dies beweiset, dass jene angeboren seien. Allerdings ist die Kenntniss gewisser Wahrheiten sehr frühzeitig in der Seele; aber doch in einer Weise, welche zeigt, dass sie nicht angeboren sind. Denn bei genauer Beobachtung wird man immer finden, dass sie sich auf erworbene und nicht auf angeborene Vorstellungen beziehen; und zwar zunächst auf die von äussern Gegenständen empfangenen, welche die Kinder zunächst beschäftigen und auf ihre Sinne die häufigsten Eindrücke machen. In diesen so erlangten Vorstellungen entdeckt die Seele, dass einzelne zusammenstimmen, andere verschieden sind; wahrscheinlich sogleich, wenn das Gedächtniss benutzt wird und sie im Stande ist, bestimmte Vorstellungen zu fassen und festzuhalten. Mag es indess zu dieser Zeit geschehen oder nicht, so geschieht dies jedenfalls lange vor dem Gebrauch der Worte oder vor dem sogenannten Gebrauch der Vernunft. Denn ein Kind kennt, schon ehe es sprechen kann, den Unterschied der Wahrnehmungen von süss und bitter (d.h. dass süss nicht bitter ist) so gewiss, als es später (wenn es sprechen kann) weiss, dass Wermuth und Zuckererbsen nicht ein und dasselbe Ding sind.