Ein Weg des Herzens - Tom Holmes - E-Book

Ein Weg des Herzens E-Book

Holmes Tom

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Tom Holmes ist bekannt geworden durch seinen eigenen Ansatz der Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen. Seine Besonderheit liegt darin, dass er Spiritualität mit der systemischen Therapie mit der inneren Familie (Internal Family System, IFS) verbindet. "Ein Weg des Herzens" beschreibt Heilungsprozesse, die eintreten können, wenn spirituelle Ressourcen in den IFS-­Prozess integriert werden. Dies illustrieren ausführlich geschilderte und transkribierte Fallbeispiele, in denen spirituelle Erfahrungen eine entscheidende Rolle spielen. Es zeigt sich, dass das, was IFS als »Selbst« bezeichnet, viele Qualitäten mit dem teilt, was in spirituellen Traditionen als »Herz« beschrieben wird. Wird dieser Herzensraum durch die innere Arbeit geöffnet, kann Heilung geschehen. Stimmen zum Buch: "Die Kombination von Spiritualität und Teile-Arbeit ist das kraftvollste Mittel, das ich gefunden habe, um sich selbst innerlich zu stärken und leichter mit dem Leid anderer von einem Ort des friedvollen Mitgefühls aus gegenwärtig zu sein." Tom Holmes

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Seitenzahl: 208

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Tom Holmes

Ein Weg des Herzens

Spiritualität und Teile-Arbeit (IFS)

Aus dem Englischen übersetzt von Anna Martin

Arbor Verlag

Freiburg im Breisgau

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel: Parts Work: A Path of the Heart.Healing Journeys Integrating IFS and Spirituality bei Winged Heart Press, USA.

Deutsche Erstausgabe

1. Auflage 2023

Copyright der deutschen Ausgabe © 2023 Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Copyright der Originalausgabe © 2022 by Thomas R. Holmes

Lektorat: Usha Swamy

Titelgrafik: ©nukrist/istockphoto.com

Umschlaggestaltung und Satz: mediengenossen.de

Alle Rechte vorbehalten

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-407-2

Vorwort

In den vergangenen dreißig Jahren, in denen ich Menschen beim Prozess der Teile-Arbeit begleitet habe, hat sie sich vielmehr als „Weg des Herzens“ erwiesen denn als Methode der Psychotherapie. Tatsächlich ist Teile-Arbeit ein sehr wirksamer psychotherapeutischer Ansatz; insbesondere im Zusammenspiel mit spirituellen Ressourcen habe ich sie darüber hinaus als einen Weg zu Frieden, Mitgefühl und Einklang im Leben eines Menschen erlebt – einen Weg zum Herzenserwachen.

Als ich in dieser Lebensphase auf Hunderte von Sitzungen zurückschaute, kam der Wunsch auf, von den besonderen Erfahrungen einiger Heilungsreisen zu berichten, und so kam es zu diesem Buch. Die Geschichten zeigen, wie Teile-Arbeit als Weg des Herzens keine abstrakte Idee ist, sondern vielmehr gelebte Erfahrung mit bedeutsamer Heilwirkung auf das Leben vieler Menschen. Ich stelle hier bestimmte Sitzungen als prototypische Beispiele der Arbeit mit diesem Ansatz zur Verfügung und auch, weil mir vollständige Transkripte der Sitzungen zugänglich sind. Teilnehmende meiner Veranstaltungen gaben gerne die Erlaubnis, ihre Sitzungen für dieses Buch zu verwenden. Ein Großteil des Buches stammt direkt aus Transkripten, um ein Gefühl für den tatsächlichen Prozess zu vermitteln. Ich kommentiere auch den Prozess im Verlauf, um Einblick zu geben, wie ich das Geschehen nachträglich einordne, und die Gründe für die Richtung mitzuteilen, die ich während der Sitzung einschlage.

Meinen Kommentar ergänze ich um Gedanken derer, die die innere Arbeit durchlaufen haben – wie sie den Prozess erlebt haben und wie er ihr Leben danach beeinflusst hat. Beim Abgleich der Sitzungsprotokolle mit meinem Kommentar kam es zu einem Austausch, der mir mehr Klarheit und Details darüber verschaffte, wie Klientinnen ihre innere Arbeit erlebten. Ich ließ auch sie meinen Kommentar überprüfen, um mich zu vergewissern, dass er ihre Erfahrung widerspiegelte. Als Therapeuten machen wir bei der Anleitung von Prozessen oft Annahmen, was im Inneren einer Klientin vor sich geht, bekommen aber selten die Gelegenheit, diese Annahmen nachträglich im Austausch zu überprüfen. Diese Berichte über den Prozess der Teile-Arbeit entstanden jedoch aus so einem Austausch. Einige wollten ihre richtigen Namen verwenden. Claudia, Chady, Sharon, Moana und Renate sind echte Namen, die anderen hier verwendeten Namen sind es nicht.

Bevor ich anfange, die Geschichten zu erzählen, möchte ich erläutern, warum ich die Teile-Arbeit als „Weg des Herzens“ bezeichne. Im IFS-Prozess der Bewusstwerdung der Teile und ihrer Anliegen eröffnet sich uns ein besonderer Geisteszustand, der eines der großen Geschenke der Teile-Arbeit ist. Richard Schwartz bemerkte schon früh, dass dieser Zustand bestimmte Qualitäten wie Mitgefühl, Verbundenheit, Neugier und ruhige, zuversichtliche Klarheit enthält. Schwartz nennt diesen Geisteszustand das Selbst und beschreibt es als „Kern einer Person“. Unlängst bezeichnete er den Selbstraum als „diesen Ort des offenen Herzens“.[1]

Es ist für mich ein Weg des Herzens, im Sinn der Entfaltung dieses Raums des offenen Herzens zu wirken. Anstatt diesen Geisteszustand Selbst zu nennen, bevorzuge ich das Wort Herz in der Bedeutung des Begriffs, wie er seit Tausenden von Jahren zu vielen spirituellen Traditionen gehört. Besonders gut gefällt mir die Definition des spirituellen Herzens, die der islamische Gelehrte Al Ghazali im 11. Jahrhundert gegeben hat als „diese subtile, zarte Substanz, die die wahre Essenz der Menschen ist“.[2] Diese Qualitäten werden in der buddhistischen Tradition auch von Thich Nhat Hanh, einem vietnamesischen buddhistischen Mönch und einem der bekanntesten buddhistischen Lehrer unserer Zeit, deutlich dargestellt. Was er „wahres Selbst“ nennt, kann als Schwartz’ offenherziger Geisteszustand angesehen werden, der im IFS als Selbst bezeichnet wird. Wenn dieser Zustand aufkommt, ist er laut Thich Nhat Hanh, Ausdruck von wahrer Liebe, und hat die Qualitäten der brahma vihāra: liebende Güte, Mitgefühl, Freude und Gleichmut.

In vielen asiatischen Sprachen wird das Wort für Herz treffender mit Herz-Geist übersetzt. Im Chinesischen ist Xin – das Symbol für Herz-Geist, das je nach Kontext mit Geist oder Herz übersetzt wird, da es sowohl intellektuelles als auch emotionales Bewusstsein meinen kann.

Xin wurde im Chinesischen als eine Übersetzung für das Selbst im IFS vorgeschlagen. Das, was Schwartz als „Selbstführung“ bezeichnet, sehe ich als den Zustand, wenn der „Herz-Geist“ unsere Gedanken, Gefühle, und Handlungen leitet. Wegen dieser starken Parallelen zwischen dem Selbst des IFS und dem Herzen verwende ich in diesem Buch manchmal das Wort Selbst/Herz, wenn ich diesen Geisteszustand meine.

Bei der Teile-Arbeit ist mir aufgefallen, dass die Entfaltung dieses inneren Raumes nicht nur Herzensqualitäten mit sich bringt, sondern dass dabei Heilungsressourcen zugänglich werden, die als spirituell bezeichnet werden können. Dies scheint unabhängig vom religiösen Hintergrund oder der Orientierung zu geschehen und kann selbst dann vorkommen, wenn eine religiöse Institution oder Gemeinschaft einer Person irgendwann Schmerz zugefügt oder sie traumatisiert hat.

Ob nun spirituelle Ressourcen ausdrücklich vorhanden sind oder nicht – die Qualitäten des Herzens werden durch Teile-Arbeit genährt und geweckt. Bei den Heilungsprozessen der Klientinnen in den Fallbeispielen der kommenden Kapitel spielte Spiritualität eine entscheidende Rolle. Wird der Herzensraum durch die innere Arbeit geöffnet und sind Therapeutin und Klientin für Spiritualität als einen Aspekt der Heilungsreise offen, kann dies regelmäßig passieren.

Viele Menschen, die ihre Geschichten in diesem Buch mitteilen, sind selbst Therapeutinnen, mit denen ich im Rahmen der Healing the Healer oder Tuning the Heart-Workshops gearbeitet habe. In diesen Workshops können sie mit dem eigenen inneren System arbeiten. Ich habe Teile-­Arbeit als besonders wertvoll für Therapeutinnen empfunden, deren Arbeit ja darin besteht, regelmäßig das Leiden anderer zu berühren. Um Therapie in einer nachhaltigen Weise anbieten zu können, ist es wichtig, sich auch um die eigene Heilung zu kümmern. Die Kombination von Spiritualität und Teile-Arbeit ist das kraftvollste Mittel, das ich gefunden habe, um sich selbst innerlich stärken zu können und leichter mit dem Leid anderer von einem Ort des friedvollen Mitgefühls aus gegenwärtig zu sein.

Es gehört zu den lohnendsten Ergebnissen meiner Workshops und Trainings, wenn Therapeutinnen berichten, dass durch die eigene innere Arbeit tatsächlich viel mehr Leichtigkeit bei der Begleitung ihrer Klientinnen spürbar wird. Sie berichten auch, dass ihre Klientinnen eher in der Lage sind, Zugang zum eigenen offenen Herzensraum und zu Selbstmitgefühl zu bekommen, wenn sie als Therapeutinnen von diesem Ort aus arbeiten.

Die Menschen, die hier ihre Geschichten eröffnen, erzählen sie in der Hoffnung, anderen dadurch auch die Möglichkeit der eigenen Heilung spürbar werden zu lassen. Für ihre Großzügigkeit bin ich dankbar. Ebenfalls dankbar bin ich Dick Schwartz, der dieses Modell und die Heilungsmöglichkeiten, die es als therapeutischer Prozess bietet, in die Welt gebracht hat. Persönlich bin ich dankbar, dass Teile-Arbeit als Weg des Herzens mir als Therapeut zu einer Arbeitsweise in Einklang mit meinen essenziellen Werten verholfen hat. Diese Herzensqualitäten haben mir die Kraft und Motivation gegeben, in den letzten dreißig Jahren diese Arbeit auf der Welt zu verbreiten.

Im ersten Kapitel werde ich erzählen, wie diese Reise zur Integration von Spiritualität und Psychotherapie vor vierzig Jahren in einer Sitzung mit einer Klientin begann. Weitere Kapitel stellen dar, wie Spiritualität, in den Prozess der Teile-Arbeit hineingewoben, Heilung tiefer seelischer Wunden herbeiführte. Die späteren Kapitel veranschaulichen auch, dass Teile-Arbeit wichtig dabei sein kann, als Therapeutin anderen auf nachhaltige Weise Heilungsarbeit anzubieten und sich auf kreative und gefühlvolle Weise mit der traumatisierten Gemeinschaft um sie herum zu befassen.

1 Schwartz, R. (2015). 2015 Internal Family Systems Conference-Bringing Self-­Leadership to the Conflict in the Middle East. https://ifs-institute.com/store/139

2 Al-Ghazālī – The Marvels of the Heart /Science of the Spirit – Book XXI of the Revival of the Religious Sciences. Translated from the Arabic with an introduction and notes by Walter James Shellie with a foreword by T.J. Winter. ­Louisville, KY: Fons Vitae, 2011.

1

Spiritualität als Ressource der Heilung

Erfahrungen mit Klient*innen, die wir auf ihrer inneren Reise begleiten, können auch uns als Therapeuten verändern. Auf vielfältige Art und Weise können uns Erfahrungen derer, die einen Teil ihrer Lebensreise mit uns teilen, anrühren: durch ihr Leid, ihren Mut und ihre Menschlichkeit. Hin und wieder taucht im therapeutischen Raum etwas auf, das sowohl die Klientin als auch die Therapeutin tiefgreifend verändert, bei mir veränderte sich zeitweise sogar die Sicht auf den therapeutischen Prozess an sich.

Richard Schwartz, der Begründer der Therapie mit dem System der Inneren Familie, berichtet auch von solchen Momenten mit Veränderungskraft, die ihm kreative Entwicklung ermöglichten. In seiner Praxis für Familientherapie arbeitete er mit einer Klientin, die an Bulimie litt und deren Zustand nicht besser wurde. Ihm kam die Idee, sie zu bitten, die inneren Vorgänge während einer bulimischen Phase zu beschreiben, als sie ihm von unterschiedlichen Teilen erzählte, die in verschiedenen Phasen in den Vordergrund kamen. In einem kreativen Moment übertrug er sein Verständnis von Konstellationen der systemischen Familientherapie auf das, was er als die innere Familie unserer Persönlichkeitsanteile ansah. Während die meisten von uns nicht unbedingt einen Moment erleben, der zur Entstehung eines völlig neuen Therapiemodells wie IFS führt, bauen wir alle erfahrungsgemäß unser eigenes Therapiemodell auf, je nach Ausbildung und Übung, aber vor allem aufgrund unserer eigenen Beobachtungen und Erfahrungen dessen, was heilsam wirkt.

Manchmal verlaufen maßgebliche Erfahrungen in der Praxis völlig außerhalb von dem, was in der Therapieausbildung vermittelt wird, wie bei mir, als ich durch die Begegnung mit einer Klientin auf die Heilkraft spiritueller Erfahrungen aufmerksam wurde. In den frühen 80er-Jahren absolvierte ich mein Doktorandenpraktikum in einem Gemeindezentrum für psychische Gesundheit in einer Kleinstadt in Michigan. Uns suchten mehrfach Klientinnen auf, die mit Glaubensproblemen kämpften, und dieser Kampf schien mit ihren psychischen Problemen zusammenzuhängen. Ich wusste nicht, wie ich ihnen helfen konnte, da ich mich bereits vor Jahren von Religion entfernt hatte und in meiner akademischen Ausbildung Spiritualität im therapeutischen Prozess nicht vorgekommen war. Eine Klientin, die ich „Joan“ nennen werde, kämpfte mit scheinbar hartnäckigen Angstzuständen und Depressionen, bei denen Medikamente oder Psychotherapie nicht angesprochen hatten. Sie hatte auch zutiefst widersprüchliche Gefühle in Bezug auf ihre religiösen Überzeugungen. Ich hatte den Wunsch, die religiösen Probleme besser einzuordnen, mit denen sie und mehrere andere zu tun hatten, mir fehlte aber eine entsprechende Schulung, wie ich das angehen könnte.

Ungefähr zu dieser Zeit fiel mir am Schwarzen Brett in unserem Büro ein Aushang auf, der einen Workshop zum Thema „Spiritualität und Beratung“ ankündigte von einem Mann, dessen Namen ich nicht aussprechen konnte: Pir Vilayat Inayat Khan. Er war Sufi-Lehrer in einer universalistischen spirituellen Tradition, auf deren Grundlage er Spiritualität und Psychologie integrierte. Bei diesem Workshop lernte ich einen spirituellen Weg kennen, der sich „Religion des Herzens“ nannte und vermittelte, dass ein solcher Weg in allen spirituellen Traditionen zu finden sei. Innerhalb eines Rahmens, der alle einbezog und sich darauf konzentrierte, die Verbindung zum „Herzen“ zu vertiefen, fand ich einen spirituellen Weg, dem ich folgen konnte. Diese Erfahrung gab mir einen Geschmack davon, wie wichtig es sein kann, spirituelle Überzeugungen in die Therapie miteinzubeziehen und welche Wege möglich sind.

Als ich zu meiner klinischen Arbeit mit Joan zurückkehrte, konnte ich ihr helfen, ihr spirituelles Leben zu erforschen. Bald wurde klar, dass ihre religiösen Konflikte drauf zurückzuführen waren, dass sie durch ihren katholischen Priester sexuellen Missbrauch erlitten hatte. Immer noch tiefreligiös, war sie jetzt davon abgeschnitten, aus ihrem Glauben als Heilungsquelle zu schöpfen, weil der Ursprung ihrer Verletzung ein Glaubensvertreter gewesen war. Die folgende Heilungsreise eröffnete eine ungeahnte Möglichkeit psychotherapeutischer Heilung.

Meine erste Aufgabe mit Joan bestand darin, einen Weg zu finden, ihre Beziehung zu ihrem spirituellen Leben wiederaufzubauen. Ich fand bei meiner Recherche eine katholische Heilige, St. Dymphna[3], die dafür bekannt ist, Missbrauchsopfern und auch Menschen mit Symptomen psychischer Krankheit zu helfen. Joan fühlte sich zu ihr hingezogen und begann, zu ihr zu beten. In unseren Therapiesitzungen half ich ihr, Probleme und Fragen zu klären, mit denen sie sich zu Hause in ihren Gebeten an St. Dymphna wenden konnte. Nach einigen Wochen ließ ihre Depression nach und auch die Psoriasis, unter der sie litt, klang ab. Sechs Wochen später war die Psoriasis abgeheilt und ihre Symptome von Angst und Depression hatten sich dramatisch gebessert. Ihr Schlaf begann sich zu normalisieren, die Angststörung, die sie gelähmt hatte, milderte sich, und sie begann, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und sich vorwärts zu bewegen.

Ich war fassungslos. Seit sechs Jahren praktizierte ich Psychotherapie und hatte nie zuvor erlebt, dass sich chronische und schwerwiegende Symptome einer Klientin so rapide besserten. Ihre Gebete zu St. Dymphna waren eindeutig der Schlüssel, und mir wurde schlagartig bewusst, welche Heilkraft der spirituelle Glaube sein kann. Jahrelang sollte ich auf dieses Ereignis zurückschauen und mich fragen, was das Leben dieser Klientin so stark verändert hatte.

Durch diese Erfahrung machte ich mich auf eine Reise, um das Wesen dieser Art von heilsamer Erfahrung zu verstehen, und zu ergründen, wie wir die Heilkraft spirituellen Lebens als Ressource im therapeutischen Prozess nutzen können. Spiritualität und Psychotherapie hatte ich bisher aus Gründen der „Professionalität“ in meiner Praxis sauber getrennt, wie ich es in meiner Ausbildung gelernt hatte. Ich ging davon aus, dass Menschen, die eine psychologische Beratungsstelle aufsuchen, Hilfeleistungen wünschen, die auf einem weltlichen Ansatz aufbauen, sonst hätten sie sich ja für eine Seelsorgeeinrichtung entschieden. Ich konnte aber nicht länger leugnen, dass wir als Therapeuten eine starke Kraft für die Heilung außen vorließen, wenn wir das spirituelle Leben der Klienten nicht einbeziehen. Ich habe viele Modelle erforscht, die Spiritualität und Psychotherapie integrieren, aber erst, als ich begann, mit IFS zu arbeiten, ermöglichte es mir eine natürliche Verbindung von Spiritualität mit dem therapeutischen Prozess. Als Schwartz das Modell vorstellte, war von Spiritualität nicht die Rede, interessanterweise kann es um diese Dimension dennoch ergänzt werden.

Wenn ich nun von therapeutischen Erfahrungen mit dem Modell der Teile-Arbeit in Verbindung mit Spiritualität berichte, wird mir bewusst, wie wichtig es war, viele heilsame Erfahrungen bezeugen zu dürfen, die durch diese Integration entstanden sind. Bevor ich den IFS-Ansatz kennenlernte, war ich immer unzufrieden mit dem, was Therapie bieten konnte. Zwar war ich in einer breiten Palette von therapeutischen ­Methoden ­ausgebildet, darunter Kognitive Verhaltenstherapie, Klientenzentrierter Ansatz, Gestalttherapie und Psychodynamische Psychotherapie, aber ich dachte immer, dass es noch mehr geben muss. Dies habe ich in IFS gefunden, besonders im Zusammenspiel mit spirituellen Ressourcen. Es heißt nicht, dass alle meine Klientinnen tiefe Heilungserfahrungen machen, die denen vergleichbar sind, von denen hier die Rede sein wird. Sie geschehen jedoch oft genug, um meinen Wunsch zu befriedigen, eine deutliche Linderung vom Leid vieler Menschen zu bieten.

Abgesehen davon, dass ich einen Therapieansatz gefunden hatte, der wirksamer war als alle anderen mir bekannten, passierte noch etwas anderes. Als ich anfing, vermehrt Teile-Arbeit anzubieten, wurde der Weg der Integration von Spiritualität und Psychotherapie sehr deutlich. Im folgenden Kapitel erzähle ich, wie die innere Arbeit mit meinen Klientinnen offenbarte, wie diese Integration auf natürliche und zutiefst heilsame Weise stattfinden und Menschen einen wichtigen Schritt auf ihrer Lebensreise bieten kann.

3 Während der Pandemie hat St. Dymphna wieder an Bekanntheit gewonnen, weshalb Sie in Internetquellen viele Verweise auf sie finden können.

2

Ein Modell zur Integration von Teile-Arbeit und Spiritualität

Als ich eine Kollegin in der IFS-Methode ausbildete, die als meine Co-Therapeutin arbeitete, wurde mir bewusst, wie wichtig Spiritualität bei der Teile-Arbeit sein kann. Hier füge ich dem, was ich in meinem letzten Buch von dieser ausschlaggebenden Sitzung berichtet habe, eine Analyse hinzu, um modellhaft zu verdeutlichen, wie wir spirituelle Ressourcen in die Teile-Arbeit einbeziehen können.

Meine Co-Therapeutin Nancy und ich arbeiteten über mehrere Sitzungen mit einer Klientin, die ich hier Martha nenne, und die seit fast einem Jahr bei Nancy war. Schwerpunkt unser Teile-Arbeit waren Dynamiken in Verbindung mit Trauma, das Martha als Kind erlitten hatte. Wir konnten mit IFS erhebliche Fortschritte erzielen und das Vertrauen ihrer Beschützerteile gewinnen, was Harmonie in ihrem inneren System förderte.

Nach einigen Sitzungen gewährten die Beschützerteile uns Zugang zu einem „verbannten“ Teil. Martha berichtete, dass ihr System diesen sehr jungen Teil tief im Inneren in einer Lichtkugel eingeschlossen hatte, um ihn zu schützen. Aufgrund unserer früheren Arbeit konnten wir nun ­diesem Teil helfen, seinen Platz in ihrem System wieder zu finden. Als sie sich diesem Teil aus dem Selbst näherte, kam ein kindlicher Teil aus dem Licht hervor und auf sie zu. Er war sehr verletzlich, aber frisch und unschuldig. Ich fand erstaunlich zu sehen, wie Marthas inneres System diesen wehrlosen Teil in seiner Ganzheit und Reinheit in diesem Licht erhalten und geschützt hatte. Er wurde von den anderen Teilen freudig willkommen geheißen. Martha, Nancy und ich spürten den Glanz, der oft bei dieser Art von Integrationserlebnis in einer Teilearbeitssitzung aufkommt.

Ich bat Martha, die nun diesen Teil wieder ins System integriert hatte, zu überprüfen, ob es zum Ende der Sitzung noch etwas brauchte. Daraufhin geschah etwas Unerwartetes. Martha nahm ein durchscheinendes Gebilde wahr, das sich über ihrem Brustkorb auf- und ab bewegte. Sie sagte, es sei dasselbe Licht gewesen, aus dem das Kind aufgetaucht war. Nancy fragte, ob dieser Teil einen Namen habe. Daraufhin ereignete sich das Folgende:

Martha: Ja … Fenster … Fenster zu deiner Seele … Ich sehe nur dieses Licht.

Nancy: Hat das Licht eine Stimme?

Martha: Ja, sie sagt: „Es ist Zeit, dass du fragst.“

Martha fragt innerlich die Stimme, ob sie noch irgendetwas für das traumatisierte Kind tun musste. Sie berichtete dann:

Die Auskunft, die sie mir gegeben hat, ist, dass wir es angeschaut und das Wichtigste gesehen haben, aber nicht darin verwickelt werden sollen (in die Einzelheiten des traumatischen Vorfalls) … Der Satz: „Vertraue dir selbst … es ist Zeit, weiterzugehen.“

Dann sagte sie: „Du selbst bist eine Macht … kein Grund, Angst zu haben.“

(Langes Schweigen … bewegte Stimme)

Es ist ein … Es ist fast, als ob ich aufschaue und Gott sehe … Es durchflutet mich einfach. Wie durch einen Kanal, oder direkt in mich hinein.

Nancy: Wie fühlt sich das an?

Martha: Sehr bewegend. Ich kann kaum glauben, dass es passiert … Es berührt mich … Ist das Gott in uns?

(Langes Schweigen)

Ich spüre viel Liebe und Frieden … Und die Stimme sagt wieder und wieder … „Es ist in Ordnung. Bleib bei deinem Gefühl“ … Ich bin jetzt einfach ein bisschen überwältigt … Das Wort Vertrauen taucht immer wieder auf … und das Lieben … Es ist nur … „Bleib in der Liebe … im Lieben. Spüre es und lebe dein Leben von da aus.“ Das ist alles, was ich verstanden habe … Das ist die Antwort und der Schlüssel für alles.

Eine große Kraft erfüllte den Raum, und Nancy und ich waren von dieser Erfahrung bewegt und sehr berührt. Als Psychotherapeut war ich äußerst erstaunt, dass solch eine spirituelle Erfahrung in unserer inneren Arbeit geschah und tiefe Weisheit aufkam.

Als ich anfing, die Bedeutung dessen zu erfassen, was geschehen war, wurde mir klar, dass Teile-Arbeit über Psychotherapie hinausreichen kann – als ein Weg, der das Herz erwecken konnte und es ermöglichte, Quellen der Weisheit und liebevoller Führung direkt zu begegnen. Dreißig Jahre später erforsche ich immer noch diese Dimension der Teile-Arbeit als ein Weg der Herzöffnung.

Während Marthas Erfahrung unerwartet und besonders intensiv war, sind Begegnungen mit dieser Art von „Teil“ nicht selten und machen für mich einen wesentlichen Teil der inneren Arbeit aus. Therapeutinnen wurde bei der Begegnung mit diesen besonderen Arten von „Teilen“ schon früh klar, dass diese sich von normalen Persönlichkeitsanteilen unterscheiden. Es schien sich vielmehr um Quellen innerer Führung zu handeln, die Weisheit und Heilung vermitteln konnten und daher „Führung“ genannt werden, was die Klarstellung etwas umgeht, ob es sich um eigene psychische Konstrukte oder geistige Wesenheiten handelt, die außerhalb von uns existieren. Sehr viele Menschen erleben sie als spirituelle Wesenheiten oder spirituelle Energie jenseits von ihnen selbst. Wie bei jeder inneren Arbeit überlasse ich es den Klientinnen, die eigene Erfahrung selbst so zu deuten, wie es für sie sinnvoll ist. Mittlerweile gibt es einen größeren Erfahrungsschatz über das Wesen dieser Führung und darüber, wie wir sie in den Heilungsprozess einladen können. Ich gebe mein Verständnis in diesem Kapitel weiter und führe später klinische Beispiele für die Wirksamkeit von Spiritualität im therapeutischen Heilungsprozess an, wobei auch innere Führung beteiligt sein kann.

Innere Führung wird meist als vielfältig und lebendig erlebt und kann in Gestalt einer unspezifischen, abstrakten Präsenz, als Licht, oder spezifischer als ein(e) Weise(r), oder als religiöse Charaktere wie Jesus oder Sophia auftauchen, stets mit weisem und liebevollem Wesen. Interessanterweise wartet sie meist, bis sie in die Arbeit eingeladen wird, obwohl sie oft im Hintergrund verfügbar ist.

Auch ohne spirituelle Führung ist das IFS-Modell ein sehr fruchtbares Heilwerkzeug zur Behandlung von seelischer Belastung und Trauma. Für meine Arbeitsweise wurden allerdings schon früh Spiritualität und die Heilkraft innerer Führung zentral, sie sind es vor allem, worin sich meine Arbeit und mein Unterricht von dem unterscheidet, wie IFS-­Therapie sonst während der Ausbildung vermittelt wird. In meinen Ausbildungsgruppen weise ich sehr früh auf innere Führung hin und integriere Übungen, die unterstützend dabei sind, die eigenen inneren Quellen von Führung und Heilung zu finden.

Das Wesen innerer Führung

Die sorgfältige Betrachtung von Marthas Erfahrung kann das Wesen innerer Führung veranschaulichen, da es sich um einen prototypischen Ablauf handelt, der sich ohne jegliche Vorstellung davon ergab, dass etwas Spirituelles während der Sitzung auftauchen könnte. Zum damaligen Zeitpunkt meiner Anfangsjahre mit dem IFS-Modell war mir der spirituelle Aspekt der Arbeit noch nicht geläufig.

Bei Martha konnte man anfangs eher rational betrachten, wie das innere System diesen schützenden Lichtraum um den wehrlosen Teil gebildet hatte, um ihn darin in seiner Ganzheit zu bewahren. Mein „wissenschaftlicher“ Teil staunte darüber, wie klug das Gehirn doch war, als die Sitzung diese unerwartete Wendung nahm, die auch dadurch geschah, dass ich die übliche Frage zum Abschluss stellte, ob noch etwas benötigt wird. Da bereits einige Zeit damit vergangen war, den wiedergefundenen Kleinkind-Teil wieder ins System zurückzuführen, hatte ich nichts Besonderes erwartet. Diese Frage gab Martha jedoch Gelegenheit, das durchscheinende Gebilde wahrzunehmen, das sich oberhalb ihres Brustkorbs hin und her bewegte. Sie sagte, es sei dasselbe Licht, aus dem das kleine Kind aufgetaucht war. Auf Nancys Frage nach dem Namen kam der Prozess in Gang.

Es ist also wichtig, an so einer Stelle in einer Sitzung der Klientin Raum zu geben, nach innen zu schauen, um alle offenen Enden zu erkennen. Ich stelle generell eher offene Fragen, wie z. B. eine Einladung, den Teil zu fragen, was er mitzuteilen hat. In diesem Fall hatte Nancys direkte Frage eine gute Auswirkung. Martha antwortete: Ja … Fenster … Fenster zu deiner Seele … Ich sehe nur das Licht.

Spirituelle Führung erscheint wie hier oft als Licht, kann aber auch in sehr spezifischer Form auftreten, als weise Frau, als eine religiöse Gestalt, als Krafttier oder in anderer Form. Etwas, das ich bei innerer Führung regelmäßig beobachte, ist deren unaufdringliche Art. Diese Führung griff nicht in Marthas Erfahrung ein, sie gab ihr ein Bild, das sie nehmen konnte oder nicht, und das der Erforschung bedurfte, um sein Wesen zu zeigen. Später wurde mir klar, dass die Führung seit dem Zeitpunkt des Traumas als Beschützerin des verletzlichen Anteils gewirkt hatte, aber so lange wartete, bis sie in ihr Bewusstsein gebeten wurde. Ich bin mir nicht sicher, warum Führung oft wartet, bis sie eingeladen wird, aber ich habe ähnliche Beschreibungen des Wesens spiritueller Führung in vielen spirituellen Traditionen gefunden.

Was kann den Austausch mit Führung begünstigen?

Nancys Frage, ob das Licht eine Stimme habe, war hilfreich bei der Erforschung der inneren Führung, die manchmal mit einer Stimme zu uns spricht. Ein andermal geht Verständigung über eine gefühlte Ahnung (felt sense) oder ein Bild, das aufsteigt. Nancys Einladung war hilfreich, da sie einen Austausch eröffnete und Martha unterstützte, zu erforschen, was passierte. Die Antwort von Marthas innerer Führung, „Es ist Zeit, dass du fragst“, ist ein gutes Beispiel für die kryptische oder rätselhafte Anleitung, die Führung manchmal gibt. In diesem Fall scheint es eine sanfte Ermahnung zu sein und ein Hinweis, dass sie nur darauf gewartet hat, gesehen und einbezogen zu werden. Hier noch mal das, was Martha berichtete, als sie weiterfragte, ob es noch etwas gebe, was sie für ihren traumatisierten kindlichen Teil tun müsste:

„Die Auskunft, die sie mir gegeben hat, ist, dass wir es angeschaut und das Wichtigste gesehen haben, aber nicht darin verwickelt werden sollen (in die Einzelheiten des traumatischen Vorfalls) … Der Satz: ‚Vertraue dir selbst … es ist Zeit, weiterzugehen‘. Dann sagte sie: ‚Du selbst bist eine Macht … kein Grund, Angst zu haben.‘„

Führung in Bezug auf den Heilungsprozess