Ein Weihnachtsmarkt der zauberhaften Wünsche - Julia Wolkenstein - E-Book
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Ein Weihnachtsmarkt der zauberhaften Wünsche E-Book

Julia Wolkenstein

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Beschreibung

Funkelnde Lichter, Lebkuchenduft und die ganz große Liebe!

Karolina ist ein bekennender Weihnachtsmuffel. Darum flüchtet sie seit Jahren vor dem Weihnachtsfest nach Italien. Doch diesmal ist alles anders, denn ihre beste Freundin Frieda ist gestorben. Nun ist Friedas geliebte Oma Luise mit ihrem Stand auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt ganz auf sich allein gestellt. Also sagt Karolina ihre Italienreise ab, um Luise zu helfen. Umgeben von neuen Freunden fühlt sie sich auf dem Weihnachtsmarkt bald wie zu Hause. Es könnte alles so einfach sein - wäre da nicht Standnachbar Jasper, der ihrer Freundin einst das Herz gebrochen hat. Karoline möchte ihn dafür gerne hassen, was ihr jedoch zunehmend schwerer fällt ...

Eine romantische und herzerwärmende Geschichte über Freundschaft, Neuanfänge und die Magie der Weihnachtszeit.

Dies ist eine aktualisierte Neuausgabe.

Alle Romane dieser Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Wir haben die Geschichten sorgsam für dich ausgewählt, damit sie dir an kalten Wintertagen das Herz erwärmen und dich beim Lesen in Weihnachtsstimmung versetzen.

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Seitenzahl: 465

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

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Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Prolog

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Rezept: Gewürzspekulatius Tiramisu

Über die Autorin

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Inhaltsbeginn

Impressum

    

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Über dieses Buch

Funkelnde Lichter, Lebkuchenduft und die ganz große Liebe!

Karolina ist ein bekennender Weihnachtsmuffel. Darum flüchtet sie seit Jahren vor dem Weihnachtsfest nach Italien. Doch diesmal ist alles anders, denn ihre beste Freundin Frieda ist gestorben. Nun ist Friedas geliebte Oma Luise mit ihrem Stand auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt ganz auf sich allein gestellt. Also sagt Karolina ihre Italienreise ab, um Luise zu helfen. Umgeben von neuen Freunden fühlt sie sich auf dem Weihnachtsmarkt bald wie zu Hause. Es könnte alles so einfach sein – wäre da nicht Standnachbar Jasper, der ihrer Freundin einst das Herz gebrochen hat. Karoline möchte ihn dafür gerne hassen, was ihr jedoch zunehmend schwerer fällt ...

Eine romantische und herzerwärmende Geschichte über Freundschaft, Neuanfänge und die Magie der Weihnachtszeit.

Julia Wolkenstein

Ein Weihnachtsmarkt der zauberhaften Wünsche

Für Eleonore, meine eigene Luise

Prolog

»Oma! Kann Karo heute bei uns essen?« Die kindliche Stimme von Frieda kam aus dem Garten.

Luise saß in einem Sonnenstuhl auf der Terrasse im Schatten und strickte einen Schal, für diese Jahreszeit völlig unpassend.

»Natürlich kann sie zum Essen bleiben. Ich mache Pfannkuchen mit Apfelmus«, erklärte sie und strickte weiter, ohne genau hinzusehen.

»Oh, toll. Hast du gehört, Karo! Du kannst zum Essen bleiben. Kann sie auch bei mir schlafen?« Frieda ließ nicht locker. Die beiden Mädchen spielten Federball ohne Netz, liefen umher und trampelten auf den weißen Gänseblümchen herum, die ihre Köpfe der Sonne entgegenstreckten.

»Ich werde Karos Mutter anrufen, aber ich denke, das geht schon in Ordnung. Ich habe das Bett im Gästezimmer frisch bezogen. Möchtest du denn hier schlafen, Karolina?«, rief Luise dem Mädchen mit den blonden Zöpfen zu.

»Ja, sehr gern. Meine Eltern sind ohnehin nicht zu Hause. Es ist nur Frau Wagner da, unsere Köchin«, rief die Kleine, die schon gar nicht mehr so klein war. Sie war in den letzten Monaten regelrecht in die Höhe geschossen. Man konnte schon jetzt sehen, dass aus ihr einmal eine Frau mit langen Beinen werden würde.

Frieda hatte Karolina direkt nach der Schule mitgebracht. Sie waren zwölf Jahre alt und gingen in die gleiche Klasse des Gymnasiums.

»Gut, dann sage ich Frau Wagner Bescheid, dass du heute hier schläfst.«

Die beiden Mädchen fielen sich lachend in die Arme und drückten sich.

Luise war froh, dass Frieda eine Freundin gefunden hatte. Sie hatte vor Kurzem ihre Mutter verloren, und die Eltern von Karolina schienen sich nicht sonderlich viel um das Mädchen zu kümmern. Sie waren wohlhabend, doch ein Kind brauchte mehr als Reichtum und eine Frau, die das Essen kochte.

Luise erhob sich und legte das Strickzeug zur Seite. Der Schal konnte warten, bis Weihnachten war es noch lang. Er war als Geschenk für Karolina gedacht. Das Dunkelblau passte gut zu ihrem Anorak und den hellblonden Haaren. Als Nächstes würde sie den gleichen Schal in Grün für Frieda stricken. Ihr brünettes Haar schimmerte dunkelrot, wenn die Sonne darauf schien. Es würde die Mädchen freuen, wenn sie beide gleiche Schals tragen würden. Sie waren ein gutes Gespann, eine Einheit, beste Freundinnen eben.

Am Abend schaute Luise nach den beiden, die schon früh zu Bett gegangen waren. Den ganzen Tag an der frischen Luft zu sein, hatte sie müde gemacht. Als sie in Friedas Zimmer blickte, fuhr sie jedoch erschrocken zusammen: Das Bett war leer. Dann hörte sie leises Kichern. Sie ging weiter den Flur entlang und öffnete die Tür des Gästezimmers.

»Oma, darf ich hier schlafen, bei Karo? Das Bett ist doch groß genug für zwei. Ich habe Angst, wenn ich allein in meinem Zimmer schlafen soll.«

»Aber sonst hast du doch keine Angst.«

»Doch, nur sage ich es nicht. Bitte, Oma. Wir schlafen auch direkt ein und machen keinen Quatsch. Das Bett ist so schön groß.«

Luise nickte grinsend. »Na gut, das liegt daran, dass es ein Doppelbett ist. Morgen ist ja keine Schule, da könnt ihr beide ausschlafen. Aber vorher werde ich euch noch die Haare kämmen, mit den Zöpfen könnt ihr doch nicht richtig liegen.« Luise machte sich daran, die Haargummis zu lösen, und kämmte den Mädchen die Haare glatt. Jede bekam einhundert Bürstenstriche, genau abgezählt, und die Kinder zählten gemeinsam laut im Chor mit.

Es wurde schon langsam dunkel, als Luise endlich die Tür des Gästezimmers hinter sich schloss. Wie sehr sie doch Marion vermisste, Friedas Mutter. Sie hatte ihre Tochter viel zu früh verloren, genau wie ihren Ehemann. Jetzt waren nur noch Frieda und sie übrig. Sie würde alles dafür tun, dass Frieda ein glückliches Leben führte. Es war ein Versprechen, dass sie sich selbst gab. Sie hörte, wie die Mädchen kicherten. Vermutlich hatten sie wieder heimlich die Taschenlampen mit ins Zimmer genommen, um noch unter der Bettdecke zu lesen. Als sie wieder auf der Terrasse saß, nahm sie die Handarbeit erneut auf und strickte, bis es zu dunkel dafür wurde. Dann legte sie das Strickzeug zur Seite und nahm die Postkarte auf, die heute angekommen war.

Sie war von Konrad, dem besten Freund ihres Mannes. Er hatte ihr eine Karte aus dem Urlaub geschrieben, vom Gardasee. Er schrieb, dass er dort ein nostalgisches Karussell entdeckt hatte und überlegte, ob er es mit nach Nürnberg bringen sollte. Was er damit wohl anfangen wollte? Konrad war ein lieber Mann. Zu schade, dass er nie geheiratet hatte.

1

Konnte man sich auf den Tod vorbereiten? War es möglich, ihn zu steuern oder gar zu manipulieren? Nein. Auf keinen Fall. Er kam, wann es ihm passte, schlug in den unmöglichsten Momenten zu. Manchmal mitten ins Gesicht. Er machte, was er wollte und wie es ihm beliebte. Und dann verschwand er wieder, auf ganz leisen Sohlen. So als hätte es ihn nie gegeben. Als hätte die Person, die mit ihm Bekanntschaft machte und Freundschaft schloss, nie existiert.

So wie vor einer Woche. Karolina hatte gerade den Koffer vom Dachboden geholt, um ihn auszulüften. Schließlich sollte ihre Kleidung nicht staubig und abgestanden riechen, wenn sie in Italien ankam. Mailand war eine Weltstadt der Mode, auf keinen Fall konnte sie dort nach Mottenkugeln duftend aufschlagen. Vermutlich würde man die Nase rümpfen und sie am Zoll direkt wieder Richtung Nürnberg schicken. Also lüftete der Koffer auf der Dachterrasse, obwohl es Dezember war, und Schneeflocken sammelten sich im Innenraum. Sie hätte ihn auf den Kopf stellen müssen, wurde ihr jetzt klar. Im Moment suchte sie schon mal ihre Garderobe heraus, die mit ihr die Reise antreten würde. Viel war es nicht, denn sie hatte eine richtige Shoppingtour geplant, da brauchte sie Platz im Koffer – für die Rückfahrt.

Gerade als sie die Nylonstrümpfe auf Laufmaschen kontrollierte, klingelte ihr Handy und schreckte sie aus ihren Samt-und-Seide-Träumen auf.

Dieser Anruf bewirkte, dass ihre Träume von Mailand sich verflüchtigten wie Zuckerwatte im Regen, wie Seifenblasen, die einfach in der Luft zerplatzten.

Die Anruferin war Luise Aigner gewesen, die Großmutter ihrer besten Freundin Frieda. Seitdem war nichts mehr wie vorher. Mottenkugeln, Mailand und schicke Klamotten spielten keine Rolle mehr. Ihre Reise nicht und selbst das Schicksal nicht. Alles war vergessen, denn der Schmerz, den dieser Anruf hervorrief, hatte alles pulverisiert und Karolinas Glauben an die Menschheit ins Wanken gebracht. Frieda war gestorben. Einfach so, ohne sich zu verabschieden, ohne dass Karolina noch einmal mit ihr sprechen konnte. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. Sie hatte in der letzten Zeit zwei Mal ein Treffen abgesagt, weil die Arbeit sie so sehr in Beschlag genommen hatte. Eine Arbeit, die ihr immer weniger gefiel. Dabei war Frieda ihr doch so wichtig gewesen. Nun war der Moment vertan, es ihr noch einmal zu sagen. Ihr schlechtes Gewissen fraß beinahe ihre Seele auf.

*

Der kalte Wind wehte Karolina ins Gesicht, als sie einen Strauß weißer Rosen in das offene Grab auf Friedas Sarg warf. Weiße Rosen – die Blumen der ewigen Treue, für Beerdigungen gerne gewählt ... und Friedas Lieblingsblumen.

So habe ich schon mal die passenden Blumen bei mir, wenn mir etwas passiert, hatte Frieda immer gescherzt, wenn sie sich einen Strauß weißer Rosen gekauft hatte und Karolina ihr erklärte, dass diese Farbe bei Blumen als Trauerfarbe galt. Bei Freesien und Chrysanthemen war es ebenso. Karolina liebte Blumen und bezog wöchentlich einen frischen Strauß über einen Abodienst. Der Strauß enthielt immer eine Steckanleitung sowie eine Infokarte mit Tipps zur Pflege, Herkunft und Verwendung der jeweiligen Pflanzen.

Doch Frieda ließ sich nicht beirren. Sie liebte weiße Blumen, egal, welches Symbol dahinterstand. Sie hatten gelegentlich herzhaft über ihren Scherz gelacht. Das würden sie nun nie wieder gemeinsam tun, denn Frieda war nicht mehr da. Von einer Sekunde auf die andere einfach so aus dem Leben gerissen. Ohne dass sie vorher noch mal miteinander gesprochen hatten und ohne dass sie sich voneinander verabschieden konnten. Ihre beste Freundin seit Schultagen war nur zweiunddreißig Jahre alt geworden und an einem Schlaganfall gestorben. Und nun wurde sie tatsächlich mit ihren Lieblingsblumen begraben. Das hätte ihr sicherlich gefallen, dieses Meer an weißen Blumen, das sich um ihr Grab versammelt hatte. Gebunden in Kränzen, Gestecke mit weiß-schwarzen Schleifen versehen. In ewiger Verbundenheit, deine liebste Freundin Karo, stand auf der Schleife des Kranzes, den Karolina geordert hatte. Und es entsprach der Wahrheit.

»Du wirst mir fehlen, Friedchen«, murmelte Karolina, als sie die Blumen betrachtete, die auf dem Sarg landeten.

»Mein Mädchen«, schluchzte Luise neben ihr auf. »Wie konnte das nur geschehen? Ich hätte besser auf sie achten müssen.«

Behutsam legte Karolina den Arm um Friedas Großmutter und drückte die kleine Frau an sich. Frieda war bei Luise aufgewachsen, da ihre Mutter, Marion, ebenfalls früh verstorben war, bei einem Verkehrsunfall. Seit Karolina denken konnte, hatte es immer nur Luise und Frieda gegeben – und eine Zeit lang auch Karolina, bis diese zum Studium nach München gegangen war. Einen Großteil ihrer Kindheit und Jugendzeit hatte sie zusammen mit Frieda bei Luise verbracht. Sie war ihre Ersatzoma, und so würde es immer bleiben.

»Warum verlassen mich denn alle, die ich liebe?« Luises Augen waren rot gerändert, Tränenspuren waren auf der Wange sichtbar.

Karolina hatte keine Antwort auf ihre Frage. Natürlich nicht. »Das ist das Leben, Luise. Man muss es nehmen, wie es kommt, man darf nur nicht aufgeben. Für Frieda kam das nicht infrage. Deshalb ist Resignieren auch keine Option für uns beide. Sie wird immer bei uns sein.« Karolina hielt Luise weiterhin fest im Arm.

Die sanfte, warmherzige Luise sah sie mit ihren großen braunen Augen an. Eindringlich. Mochte sie älter sein, als Karolina sie in Erinnerung hatte, ihr Haar mittlerweile weißgrau, aber ihre lebhaften Augen schimmerten immer noch in einem warmen Braun. »Jetzt bin ich ganz allein. Ich habe keine Ahnung, wie ich das alles bewältigen soll.«

Freunde und Kollegen von Frieda kondolierten ihr, schritten an ihnen vorbei. Auch Nachbarn waren gekommen.

»Luise, es tut mir so leid.«

»Was für eine Tragödie.«

»Wir fühlen mit Ihnen, Frau Aigner.«

»Luise, wie geht es dir, mein Mädchen?« Ein älterer Mann mit weiß gestutztem Bart nahm die alte Dame in die Arme und drückte sie an seine breite Brust. Er schien ein wenig älter als Luise zu sein, vermutlich Ende siebzig, und nickte Karolina zu.

»Ach, Konrad. Wie schön, dass du da bist. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.«

»Ich komme dich besuchen, sobald ich Zeit finde. Es geht immer weiter, wir werden auch das überstehen, meine Liebe«, erklärte er und machte Platz für den nächsten Trauergast.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Luise. Ich habe Frieda sehr gern gehabt.«

Luise blickte auf. »Du? Was machst du hier? Du hast doch nur mit ihr gestritten. Ich möchte nicht, dass du hier an ihrem Grab stehst.« Luises Augen füllten sich erneut mit Tränen.

Karolina blickte erschrocken auf, so harte Worte war sie von Luise nicht gewohnt. Sie war doch sonst immer so eine liebe und ruhige Frau. Was war denn nur los?

»Komm, lass uns gehen.« Ein weiterer Mann zog den Angesprochenen am Ärmel, und gemeinsam traten sie den Rückzug an.

»Wer war das denn?«, wollte Karolina wissen, die den Mann durch den Tränenschleier in ihren Augen nur schemenhaft erkennen konnte.

»Ach, der hat seinen Stand gegenüber auf dem Christkindlesmarkt. Er hat ständig mit Frieda gestritten. Ich weiß gar nicht, was er hier überhaupt will.«

Karolina blickte den beiden Männern nach, die mit hängenden Köpfen und langsamen Schritten den Friedhof in Richtung Hauptausgang verließen. Sie wurden von dem älteren Herrn begleitet, der Luise getröstet hatte.

Luises Reaktion überraschte Karolina trotz ihrer Trauer. So kannte sie die ältere Frau gar nicht. Hart und unnachgiebig? Nein, das war nicht ihre Luise. Sie hatte ein großes Herz und half, wo sie nur konnte. War immer für alle da. Sie war nicht die Frau, die eine Beileidsbekundung ablehnte, und doch hatte sie es gerade getan.

Frieda hatte schon früh in einem Testament verfügt, dass es nach der Beerdigung kein Kaffeetrinken geben würde. Sie wollte nicht, dass man traurig dasaß und über ihren Tod sprach. Das Leben musste man feiern, und es sollte so weitergehen, als wäre nichts geschehen. Es hatte nun mal keinen Sinn, über Vergangenes Tränen zu vergießen. Da konnte ihr Karolina nur zustimmen. Aber es bedeutete auch, dass sie nun allein am offenen Grab standen, nachdem alle kondoliert hatten und gegangen waren.

»Du bist nicht allein, Luise. Ich bin doch auch noch da. Komm, wir setzen uns ein wenig.« Karolina führte Luise ein Stück weiter, wo eine Bank stand, auf der man verweilen konnte. Die Sitzgelegenheit stand unter einer wuchtigen Kastanie, die jetzt keine Blätter mehr trug. Sie wischte den Schnee von der Sitzfläche und nahm mit Luise auf der äußersten Kante Platz.

»Ich hätte mich gerne von Frieda verabschiedet. Wir hatten in der letzten Zeit nicht viel Kontakt. Seit ich aus München zurück bin, fehlte mir einfach die Zeit, um mich zu melden. Und jetzt wollte ich auch so schnell wie möglich aus Nürnberg weg, bevor mir der Weihnachtsrummel zu viel wird. Ich habe immer gedacht, dass Frieda und ich noch viele Jahre haben, um uns wieder zusammenzuraufen. Sie hatte mich zwei Mal um ein Treffen gebeten, und jedes Mal habe ich im letzten Augenblick abgesagt. Das bereitet mir nun ein schlechtes Gewissen. Hätte ich doch nur nicht immer meiner Arbeit den Vorzug gegeben. Es gibt Momente, die kann man nicht zurückholen. Daran werde ich den Rest meines Lebens zu nagen haben.«

Darauf bekam Karolina nur ein Nicken. Luises Herz schien gebrochen, und Karo konnte sie nur gut verstehen. »Komm, ich bringe dich nach Hause. Es wird kalt, und wir wollen doch nicht krank werden«, bot sie der alten Dame an.

Gemeinsam steuerten sie auf den Ausgang zu. Zum Schluss trafen sie noch auf den Pfarrer, der sich verabschiedete und ihnen ein paar tröstende Worte mit auf den Weg gab. »Liebe Frau Aigner, denken Sie immer daran, der Tod ist die Grenze des Lebens, aber nicht die der Liebe. Solange wir über einen geliebten Menschen sprechen, ist er nicht vergessen. Sie werden Ihre Enkelin immer in guter Erinnerung behalten. Gott schenkt uns keine Aufgaben, denen wir nicht gewachsen sind.«

»Wir wollen hoffen, dass Sie recht behalten, junger Mann. Nicht, dass ich auch noch meinen Verstand verliere und alles vergesse, was wichtig war, wie Frieda eben oder meine Freunde.« Luise schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Liebe Frau Aigner, so weit wollen wir nicht denken. Ich werde für Sie und ihre Enkelin beten. Das Schicksal ließ ihr keine Wahl. Ihr Lächeln aber wird uns bleiben, als Sonnenstrahl in unseren Herzen. Von dort kann selbst der Tod es nicht vertreiben.«

»Das haben Sie sehr schön gesagt, Herr Pfarrer. Vielen Dank für Ihren Trost.« Karolina drückte dem Mann die Hand und seufzte innerlich. Er war schön wie die Sünde, aber leider ein katholischer Geistlicher, für den die Ehe ein Tabu darstellte. Was für eine Verschwendung, ging es Karolina durch den Kopf. Doch er hatte seinen Weg gewählt und schien damit sein Glück gefunden zu haben.

Auf den umliegenden Gräbern brannten die Lichter, die noch von Allerheiligen übrig geblieben waren. Feiner Schneegriesel legte sich auf die Wege, bedeckte die Blumen mit einer weißen Schicht. Zwergmispeln, Winterheide und Christrosen verschönerten die tristen Gräber. Diese Jahreszeit war ohnehin schon trostlos, ein winterlicher Friedhof, über den eine Schicht Schnee gestäubt war, hatte etwas Tröstliches. Er wirkte wie aus einer märchenhaften Erzählung. Die kleinen Putten, die auf manchen Gräbern zu sehen waren, schienen fast schon lebendig. Ihre puppenähnlichen Gesichter blickten traurig, aber gleichzeitig auch lieblich, als wollten sie Zuspruch spenden. Für die Zurückgelassenen bildete dieser Ort so etwas wie einen Raum, an dem die Trauer zu Hause war. Die hier wohnte und an dem man sich seinen Gefühlen ergeben konnte.

»Willst du nicht mit zu mir kommen?«, bot Karolina Luise an, als sie auf den südlichen Ausgang des städtischen Friedhofs zusteuerten.

Zu ihrer Überraschung schüttelte Luise den Kopf. »Nein, ich muss nach Hause. Ich habe noch so viel zu tun.«

»Was denn genau? Vielleicht kann das ja warten.«

»Nein, sicherlich nicht. Ich habe eine Menge zu erledigen. Der Weihnachtsmarkt hat doch schon begonnen. Wir haben dort einen Stand, wie jedes Jahr. Und jetzt muss ich ganz ohne Frieda klarkommen, und das ...«, der Rest des Satzes ging in einem Schluchzen unter. Luise weinte so heftig, dass ihre Schultern bebten.

Karolina strich der Frau über das graue Haar, das sie kinnlang geschnitten trug. Früher war ihr Haar dunkelbraun gewesen, so braun wie ihre Augen. »Gut, ich werde dich begleiten, und wir trinken eine Tasse Kaffee, wärmen uns ein wenig auf. Dann überlegen wir, wie es mit dem Stand weitergeht.«

Luise war deutlich anzusehen, dass ihr das ganz und gar nicht recht war. Doch Karolina konnte sie jetzt in ihrem Kummer unmöglich allein lassen. »Keine Widerrede, Luise«, sagte sie schnell, als diese widersprechen wollte. Schließlich wollte sie selbst mit ihrem Schmerz nicht allein sein, nur würde sie das niemals zugeben.

Unterwegs kaufte Luise eine Platte Streuselkuchen. »Den isst man doch sonst auf einer Beerdigung, oder nicht?«, fragte sie und versuchte sich an einem Lächeln, als hätte sie einen kleinen Scherz gemacht. »Weißt du, ich glaube, Frieda hat nicht gewollt, dass wir trauern. Wäre sie noch am Leben, würde sie uns das Versprechen abnehmen, dass wir auf ihrer Beerdigung singen und tanzen. Wir hätten über meine Beisetzung sprechen müssen. Ich wäre doch an der Reihe oder nicht?« Luise schüttelte den Kopf, als könnte sie es immer noch nicht fassen.

»Ja, das hört sich nach Frieda an, und bis zu deiner Beerdigung haben wir noch sehr viel Zeit.«

»Das weißt du doch gar nicht«, widersprach Luise trotzig.

»Da hast du recht, aber du glaubst doch nicht, dass sich das Schicksal gleich zwei Mal hintereinander mit mir anlegen will?«, erwiderte Karolina voller Überzeugung und ballte eine Faust.

Luise war stehen geblieben und sah sie nachdenklich an, dann schüttelte sie den Kopf und setzte ihren Weg gemeinsam mit Karolina fort.

In Luises Wohnung war es bitterkalt, stellte Karolina fest, als sie den Flur betrat. Fast so eisig wie draußen vor der Tür.

»Hast du die Heizung abgestellt?«, fragte sie verwundert und rieb sich die Arme, zog ihren Mantel wieder über und band sich den Schal um. Eine Erkältung konnte sie im Augenblick sicher nicht gebrauchen.

Nachdenklich sah Luise sie an. »Ich ... ich weiß nicht genau. Sie läuft sonst immer«, murmelte die ältere Frau grübelnd. Ihr schien die Kälte nichts auszumachen, sie hängte den Wintermantel an die Garderobe, als würde sie gar nicht spüren, wie eisig es hier war.

»Lass mal, ich schaue nach.« Die Heizungsanlage befand sich in einer Abstellkammer, wo Luise Putzeimer, Schrubber, Besen und Staubsauger aufbewahrte. Der kleine Raum lag am Ende des Flurs, hinter einer weißen Holztür. Das Licht wurde von einer klaren Glühbirne gespendet, und der verwinkelte Raum war eng, weil hier ein Teil des Kamins entlanglief. Als Kind hatten Frieda und Karolina hier Verstecken gespielt und ständig Angst vor Spinnen gehabt.

Schnell war klar, dass die Heizungsanlage abgeschaltet war. Nur der Frostwächter war eingestellt. Mit dem Hauptschalter startete Karolina die Anlage erneut, doch es würde einige Zeit dauern, bis es in der Wohnung behaglich warm sein würde. Das Haus war schon älter, die Anlage ebenfalls.

»Was war denn mit der Heizung?«, wollte Luise wissen, die in der Küche Kaffee aufkochte. Richtigen Filterkaffee, frisch aufgebrüht, nicht aus einem Automaten. So war sie eben. Luise vertraute der Elektrik nicht, machte viele Dinge lieber Old School.

»Sie war komplett heruntergefahren. Als wäre die Sicherung herausgesprungen. Keine Ahnung, was da los war. Wir sollten mal einen Monteur kommen lassen, der sich das ansieht«, schlug Karolina vor.

»Das lasse ich Konrad machen. Er kümmert sich um alles. Konrad ist der beste Freund meines Mannes«, fügte Luise hinzu.

Ein feiner Duft entfaltete sich im Raum, als das heiße Wasser aus dem Kessel auf das Kaffeemehl traf, und verbreitete sich in der Küche. Luise hatte den Tisch für zwei gedeckt, und Karolina ließ sich auf einen der acht Stühle nieder. Sie waren bunt zusammengewürfelt, jeder hatte eine andere Farbe, trotzdem wirkte die Einrichtung harmonisch. Allerdings fragte sich Karolina, wozu Luise so viele Plätze in der Küche brauchte. Früher gab es nur vier davon. Schon als Kind hatte sie hier gesessen, zusammen mit Frieda, und frischen Pflaumenkuchen gegessen, den Luise selbst gebacken hatte. Die Erinnerung daran trieb Karolina die Tränen in die Augen.

Nie wieder. Nie wieder würde sie mit Frieda hier sitzen. Sie fehlte ihr jetzt schon, obwohl es so viele Jahre her war, dass sie hier zuletzt zusammen gesessen und gelacht hatten.

Sie spürte eine Hand auf ihrem Arm und blickte auf.

»Ich sehe euch auch noch hier sitzen, mit euren langen Haaren, zu Zöpfen geflochten, Sommersprossen auf den Nasen und den Mund mit Kakao und Plätzchen verschmiert.« Luise lächelte bei dieser Erinnerung. »Wenn man so alt ist, wie ich es bin, lernt man, mit Verlusten umzugehen. Es wird mit der Zeit leichter, auch wenn wir uns das nicht vorstellen können. Wir werden Frieda nicht vergessen, genau wie Pfarrer Wittig es gesagt hat. Man darf bloß nicht den Fehler begehen, die Traurigkeit totzuschweigen. Dadurch wird der Schmerz nicht geringer, sondern viel größer, als man es sich vorstellen kann.« Sie schenkte den fertigen Kaffee in die Becher ein. Sie hatten unterschiedliche Farben, einer war hellblau, der andere gelb. Es gab auch einen grünen, einen violetten und einen dunkelblauen. Freundliche Farben, passend zu den Tellern. Dann verteilte sie den Kuchen, und sie begannen gemeinsam zu essen. Zuerst in friedlichem Schweigen, dann schüttelte Luise den Kopf.

»Ich glaube, sie machen den Streuselkuchen extra so trocken, damit man eine Tasse Kaffee nach der anderen bestellt, ansonsten besteht die Gefahr, dass man daran erstickt«, murmelte sie mit vollem Mund.

Überrascht blickte Karolina auf und grinste breit. »Ja, da hast du vollkommen recht. Es staubt ganz schön. Damit lässt sich eine Menge Kaffee verkaufen.« Sie trank schnell einen Schluck und sah Luise an. Plötzlich konnte Karolina nicht mehr an sich halten und musste lachen. Sie prustete los, hielt sich die Hand vor den Mund. Mit der anderen schob sie ihre blonden Locken aus dem Gesicht. Mit ihrem Lachen steckte sie Luise an, und dann lachten sie so lange, bis ihnen wieder die Tränen kamen. Doch diesmal waren es keine Tränen der Traurigkeit.

»Frieda hätte den Kuchen eingepackt und zurückgebracht«, entschied Karolina lachend.

Doch Luise schüttelte den Kopf. »Nein, sie hätte ihn in den Kaffee getaucht und erklärt, Streuselkuchen mit Kaffeegeschmack wäre ihre neueste Erfindung.«

Wieder lachten sie wie Kinder auf. Das hätte Frieda sicherlich gefallen, und sie hätte am lautesten mit ihnen gelacht.

*

Luise blickte auf die Terrasse hinaus und sah Karolina telefonieren. Hatte sie wohl einen Freund, mit dem sie sprach? Sie hob die Schultern, was wusste sie schon? In den letzten Jahren hatte sie das Mädchen nicht sehr oft gesehen. Karolina hatte in München studiert und dort gearbeitet, erst seit einem Jahr lebte sie wieder in Nürnberg und hatte einige Male Frieda besucht. Aber nicht so häufig wie früher. Hatten sich die Mädchen gestritten? Sie musste Frieda fragen. »Frieda!«, rief sie, und als sie keine Antwort erhielt, ging sie in den Flur, blieb vor Friedas Zimmer stehen. Die Tür war geöffnet, das Bett gemacht. Frieda hatte nicht in ihrem Zimmer geschlafen.

Luise wusste, es gab da etwas, was sie im Augenblick nicht richtig erfassen konnte. Sie betrat das Zimmer und erblickte ihre eigene Gestalt im Spiegel. Das schwarze Kleid, das sie trug, brachte die Erinnerung zurück. Frieda war nicht mehr da. Sie war gestorben. Hier in ihrem Zimmer zusammengebrochen. Luise hatte sie gefunden, da war Frieda schon bewusstlos gewesen. Sofort hatte sie den Krankenwagen gerufen. Diese endlosen Fragen, die man ihr gestellt hatte. Was geschehen war. Ob die Person noch ansprechbar war. Ob sie etwas eingenommen hatte. Als wenn Luise das wusste. Sie hatte sich mit Frieda unterhalten. Hatte selbst im Wohnzimmer gesessen, nachdem sie vom Markt gekommen waren. Plötzlich gab es einen dumpfen Aufprall, als wäre Frieda etwas heruntergefallen. Luise hatte nach ihr gerufen, doch sie hatte keine Antwort erhalten. Also hatte sie sich erhoben und nachgesehen. Da lag Frieda. Auf der Seite, einen Arm über den Kopf gestreckt, als hätte sie sich zum Schlafen hingelegt. Doch sie schlief nicht einfach nur so. Sie war ins Koma gefallen und kurz darauf im Krankenhaus gestorben. Irgendwas stimmte da nicht. Etwas lief falsch. Luise hätte als Erste sterben müssen. Sie hätte schon vor Marion, Friedas Mutter, sterben müssen, doch sie war immer noch hier und Frieda nicht mehr. Luise seufzte leise. Was sollte sie denn jetzt anfangen? Wie sollte es weitergehen? Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie je allein gewesen war. Sie hatte früh geheiratet. Da war ihr Mann Friedhelm ständig bei ihr gewesen, und nach Marions Geburt waren sie zu dritt. Dann wurde Marion schwanger, und Frieda wurde geboren. Marion starb, und Frieda blieb bei ihnen. Auch Friedhelm ging viel zu früh, aber sie hatte immer noch Frieda als ihre Stütze. Nun war auch Frieda gegangen, und es gab niemanden mehr. Warum verließen sie denn alle? Lag es an ihr? Vergraulte sie die Menschen, die ihr etwas bedeuteten? Darauf gab es keine Antwort, zumindest wusste Luise sie nicht.

Wieder zurück im Wohnzimmer, sah sie Karo immer noch draußen auf der Terrasse stehen. Vielleicht wusste Karolina ja Rat, wie es weitergehen konnte. Aber sie war auch noch jung. Nein, Luise musste allein einen Weg finden. Sie hatte so viel überstanden und würde es auch weiterhin schaffen. Karolina hatte recht. Aufgeben war keine Alternative. Aber eines war klar: Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihr. Was hatte sie ihm wohl angetan?

2

»Che cosa? Was soll das heißen, du kannst nicht kommen?« Francescas Stimme stieg in ungeahnte Höhen. »Wir wollen doch die Feiertage zusammen verbringen! Ich habe bereits Termine im Spa für uns gebucht und mir für die Tage freigenommen. Accidenti! Wir wollten ausgiebig shoppen gehen.« Die Stimme überschlug sich fast, so schnell sprach sie.

Leise seufzte Karolina. »Es tut mir wirklich leid, Francesca. Meine beste Freundin Frieda ist gestorben, und ich kann ihre Großmutter nicht einfach so allein lassen. Ich will mich um sie kümmern, damit sie über die Feiertage nicht so einsam ist. Du kennst doch Luise, wir haben sie mal besucht, als wir noch Kinder waren.«

»Aber du musst auch verstehen, dass ich enttäuscht bin. Ich habe mich so sehr auf dich gefreut. Meine Familie und Freunde freuen sich ebenfalls auf dein Kommen, und jetzt muss ich alle enttäuschen und erklären, dass du doch nicht anreisen wirst.«

Schnell unterbrach Karolina ihre Cousine. »Ich kann nicht anders, Francesca. Sie ist so etwas wie meine Ersatzgroßmutter gewesen, als ich ein Kind war. Ich muss das tun, es ist ein Akt der Nächstenliebe. Diese Frau ist allein und hat ihren Halt verloren.« Karolina war fest entschlossen. Sie konnte nicht unbesorgt in den Urlaub fahren, wenn sie wusste, dass es Luise nicht gut ging und sie womöglich die Feiertage ganz allein verbringen musste.

»Oh! Dio mio! Karo, das wusste ich nicht. Das tut mir sehr leid.« Francescas Stimme klang zerknirscht. Ihr war wohl klar geworden, wie egoistisch sie sich verhielt.

»Ich versuche, nach Weihnachten zu kommen. Aber versprechen kann ich nichts. Es ist ja nicht so, als würde ich nicht gerne mal wieder nach Mailand kommen. Doch die Lage hier ist etwas unübersichtlich. Sobald ich Genaues weiß, werde ich mich melden, damit du all diese tollen Dinge planen kannst.« Wann exakt das sein würde, wusste Karolina wirklich nicht. Sie hatte keine Ahnung, wie es mit Luise weitergehen sollte.

»Gerade zu Weihnachten ist es in Mailand sehr schön. Es ist wirklich schade, aber ich kann dich verstehen. Wir werden einen anderen Zeitpunkt finden, wo es uns beiden passt. Wir telefonieren wieder. Ich muss jetzt leider los, scusi, Karo.« Der Anruf war schneller beendet als gedacht. So war ihre Cousine Francesca – immer auf dem Sprung. Sie war eine viel beschäftigte Unternehmerin, und ihre Zeit war knapp bemessen. Deshalb fiel es Karolina umso schwerer, diese Verabredung abzusagen. Doch sie tat es mit gutem Gewissen, dass es einen entscheidenden Grund dafür gab und sie nicht nur aus einer Laune heraus handelte. Luise war ihr wichtig. Sehr wichtig sogar. Sie tat das für sie und für Frieda ebenso. Läge die Situation andersherum, hätte ihre Freundin genauso gehandelt. Da was sie sich sicher.

Für dieses Gespräch war Karolina auf die Terrasse hinausgegangen, damit Luise nichts davon mitbekam, dass sie sich Sorgen um sie machte. Es würde ihr sicher nicht gefallen, dafür kannte sie Luise gut genug. Mitleid konnte sie nicht ausstehen.

Karolina zog den Mantel enger um ihre schlanke Figur. Das Wetter war mies. Der Schneefall war in Niesel übergegangen, und der Wind hatte aufgefrischt. Genauso ungemütlich sah es in ihrem Inneren aus. Nun würde sie die Weihnachtstage in Nürnberg statt in Mailand verbringen. Jedes Jahr, seit sie es sich leisten konnte, flüchtete sie zum Fest der Liebe aus Deutschland, um dem Weihnachtsrummel zu entgehen. Sie konnte dem Ganzen nichts abgewinnen und war jedes Jahr froh, flüchten zu können. Nun blieb sie aus eigener Entscheidung und hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Das hatte sie nicht richtig durchdacht. Aber jetzt hatte sie Francesca abgesagt und würde das auch nicht mehr zurücknehmen. Ihre Entscheidung war gefallen, daran gab es nichts zu rütteln. In diesem Jahr hieß es: Weihnachten in Nürnberg. Mit Luise. Sie würde es überleben.

Frierend betrat sie wieder die Wohnung des Mehrfamilienhauses an der Albrecht-Dürer-Straße. Es war ein restauriertes Fachwerkhaus, das Luise gehörte, die das gesamte Erdgeschoss mit dem kleinen Garten bewohnte. Die vier Wohnungen der zwei weiteren Etagen waren alle vermietet, und Luise konnte gut von den Mieteinnahmen leben. Außerdem bekam sie eine ordentliche Witwenpension, denn ihr verstorbener Mann, vor mehr als zwanzig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben, war Richter am Amtsgericht gewesen.

Karolina ertappte Luise dabei, wie sie einen großen Karton aus dem Gästezimmer wuchtete.

»Was machst du denn da? Das ist doch viel zu schwer für dich.« Karolina nahm ihr den Karton ab.

»Der muss morgen mit. Da sind Socken und Wolle drin, die ich verkaufen will.«

»Socken? Seit wann sind denn Socken so schwer?« Vorsichtig setzte Karolina den Karton ab und spähte hinein. Es waren wirklich Socken, neben einigen Schals und Wollknäueln. »Was hast du damit denn vor? Und warum sind es so viele?«

»Na, es muss doch etwas auf meinem Stand zu kaufen geben. Wir haben das ganze Jahr über Socken, Handschuhe und Schals gestrickt. Frieda war der Meinung ...« Sie kniff ihre Lippen zusammen. »Ich habe beschlossen, den Verkaufsstand nicht zu schließen. Das hätte Frieda nicht gefallen. Was soll ich auch sonst mit der ganzen Ware anfangen?« Sie schüttelte eigensinnig den Kopf. »Außerdem kann ich das zusätzliche Geld gut gebrauchen. Ich hab ja nun ein Grab mehr zu pflegen. Und die Blumen werden auch nicht billiger.«

Nachdenklich sah Karolina sie an. Luise musste sicher nicht am Hungertuch nagen. Vermutlich steckte etwas ganz anderes dahinter als nur der finanzielle Aspekt. War es Einsamkeit? Angst vor Veränderungen?

Plötzlich griff Luise in den geöffneten Karton. »Die hier hat Frieda gestrickt, als wir zusammen in München waren. Wir haben im chinesischen Garten gesessen und gemeinsam an den Waren für den Stand gearbeitet. Im Sommer, es war so schönes Wetter.« Ihre Augen glänzten, sie schien der Welt entrückt zu sein, wie sie so dastand und selbstvergessen die bunten Socken an ihre Brust drückte.

Schließlich blinzelte sie und blickte Karolina an. »Die werde ich behalten und nicht verkaufen.« Sie nahm die Socken und verschwand in Richtung ihres Schlafzimmers.

Karolina seufzte leise und blieb mit dem großen Karton im Flur zurück. Was sollte sie nur machen? Im Augenblick schien ihr Luise nicht in der Lage zu sein, alleine zu bleiben. Ihre Traurigkeit war gar nicht mit anzusehen.

Als Luise wieder aus dem Zimmer kam, trug sie die von Frieda gestrickten Socken an ihren Füßen. Einer war hochgezogen, der andere hing an ihrem Knöchel. Sie war der Inbegriff einer einsamen Frau, ein Bild, das Karolinas Herz berührte.

»Hör mal, Luise, was hältst du von der Idee, wenn ich heute Nacht hier bei dir bleibe? In deinem Gästezimmer. So wie früher immer. Das Zimmer hast du doch noch?« Dieser Vorschlag kam ihr wie selbstverständlich über die Lippen, ihr Kopf hatte noch gar nicht den Gedanken zu Ende geführt, da war er schon ausgesprochen.

»Natürlich habe ich das Gästezimmer noch. Aber glaubst du etwa, ich komme nicht allein zurecht?«, fragte Luise schnippisch.

Sie hatte schon von Frieda gehört, als sie zuletzt telefonierten, dass Luise sich in letzter Zeit manchmal im Ton vergriff, es aber nicht böse meinte. Ein bisschen Altersstarrsinn machte sich da wohl bemerkbar.

»Doch, natürlich kommst du allein zurecht, aber vielleicht bin ich es ja, die heute Nacht ein wenig Gesellschaft braucht und nicht in meine einsame Wohnung zurück will.« Sie blickte Luise aufmerksam an, deren Züge sofort merklich weicher wurden.

»Gut, mein Kind. Nimm das letzte Zimmer auf der linken Seite, da hat Frau Wagenbrecht das Bett erst vor Kurzem frisch bezogen.«

»Wer ist denn Frau Wagenbrecht?« Den Namen hatte Karolina noch nie gehört.

»Na, die Putzhilfe, die zwei Mal in der Woche kommt. Ich glaube allerdings, sie hat mein Geld gestohlen.«

»Wer? Frau Wagenbrecht?«

»Ja, sie putzt bei mir. Habe ich dir das nicht schon erzählt? Frau Wagenbrecht ist meine Putzfrau. Und auf dem Tisch lagen zehn Euro, die plötzlich weg waren. Sie sagt, sie hat sie nicht genommen, aber ich glaube ihr nicht. Sie ist ein junges Ding, und man muss vorsichtig sein, wen man in sein Haus lässt. Aber sie putzt ordentlich, daran gibt es nichts zu rütteln.«

Karolina nickte, als wäre ihr nur kurz der Name entfallen. Es gab so Einiges, was sie nicht wusste. Zum Beispiel hatte sie keine Ahnung, dass Frieda und Luise einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt betrieben. Vermutlich lag es daran, dass Frieda wusste, dass Weihnachten nicht Karolinas Ding war. Dieses Thema hatten sie immer gemieden.

In ihrer Familie war es kein Fest der Liebe gewesen, es wurde ständig gestritten. Angefangen vom Baum, den ihr Vater besorgt hatte und der in den Augen ihrer Mutter zu klein war, über das schlechte Essen, das ihre Mutter angeblich servierte, bis zu den Geschenken, die immer eine Katastrophe waren.

Welches Kind freute sich über einen Taschenrechner, wenn man ein Mathegenie war und sich eigentlich ein Malen nach Zahlen gewünscht hatte? Oder karierte Strumpfhosen, die man nur zu einfarbigen Röcken tragen konnte, obwohl man nur gemusterte besaß. Ganz zu schweigen von einem Buch, das man schon im letzten Jahr erhalten hatte. So zog es sich jahraus, jahrein hin, bis Karolina endlich alt genug war, um auszuziehen.

Mittlerweile waren beide Eltern verstorben, und seit diesem Zeitpunkt fuhr sie daher regelmäßig zur Weihnachtszeit in den Urlaub. Meist in Regionen, in denen das Fest keine so große Rolle spielte. Wo es zu warm war, um einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Wo nichts an Schnee, Kälte und kitschige Christbaumkugeln erinnerte. Ihre Eltern waren kurz nacheinander verstorben, sie wusste gar nicht mehr, wie man eigentlich Weihnachten feierte.

Nun stürzte dieses ungeliebte Fest planlos auf sie ein, und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, worauf sie sich einließ. Die alten Gefühle hatte sie tief in ihrem Herzen vergraben, doch nun hatte sich ein Loch aufgetan, und die Emotionen schwemmten langsam an die Oberfläche. Zu Karolinas Missfallen. Leise seufzte sie. Immerhin hatte sie sich aus freien Stücken so entschieden. Basta!, würde Francesca jetzt sagen.

Karolina legte einen Arm um die Schultern der kleinen Frau. »Danke, Luise. Wollen wir uns heute Abend eine Pizza bestellen? Dann brauchst du nicht zu kochen.«

»Ich esse doch keine Pizza!« Das klang fast so, als hätte Karolina von ihr verlangt, gebratene Ratte zu probieren! »Dieses italienische Zeug kommt mir nicht auf den Teller. Ich esse nur das, was ich selbst gekocht habe.«

»Na gut, Luise, dann bestelle ich mir eine Pizza, esse sie aus dem Karton, und für dich bestelle ich einen Chef-Salat. Wenn du ihn nicht magst, dann stellen wir ihn in den Kühlschrank und ich habe für morgen etwas.«

Luise nickte, als könnte sie damit leben. »Aber der Lieferant kommt mir nicht in die Wohnung.«

»Du hast noch nie etwas bei einem Lieferservice bestellt?«

Energisch schüttelte Luise den Kopf. »Frieda ist manchmal essen gegangen. Aber ich koche immer für mich. Man weiß nie, was da drin ist und wen man sich ins Haus holt.«

Karolina fing Rashid Singh an der Haustür ab und nahm dort die Pizza und den Salat entgegen. Er war der Pizzalieferant ihres Vertrauens, in Nürnberg geboren, mit indischen Wurzeln und überrascht, sie unter dieser Adresse vorzufinden. Wie immer wechselten sie einige freundliche Worte, und Karolina gab ihm ein großzügiges Trinkgeld. Die Pizza duftete wunderbar, sodass ihr Bauch vor Hunger laut knurrte. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Bei Rashid gab es einfach das beste italienische Essen to go.

*

Jasper wusste nicht, ob er doppelt sah oder sich wirklich sechs Shot-Gläser vor ihm stapelten. Auf alle Fälle hatte er zu viel getrunken, das stand fest.

»Hey, Jasper! Was ist los? Liebeskummer?« Henri Meyer, der Barkeeper, sah ihn fragend an und hielt eine Flasche Jack Daniels in die Höhe. »Noch einen?«

»Mach lieber zwei daraus.«

»Was ist los mit dir?«, fragte er erneut.

»Heute war Friedas Beerdigung.«

»O Mann, Jasper, es tut mir so leid.« Henri stellte ein zweites Glas daneben, schenkte beide ein.

»Ich kann nicht fassen, dass sie nicht mehr unter uns ist«, murmelte Jasper vor sich hin und strich sich das braune Haar aus dem Gesicht. Er hatte beide Arme auf der Theke abgestützt. Die meisten Gäste waren bereits gegangen, es war nachts um halb eins.

»Ich denke, für Luca ist es noch viel schlimmer.« Henri schüttelte den Kopf. »Er hat seine Freundin verloren, nachdem sie sich gerade erst gefunden hatten. Wo ist er eigentlich?«

»Schon nach Hause gegangen, er wollte allein sein, um abzuschalten. Er hat sich Urlaub genommen, will mir am Stand helfen. Ich sollte vermutlich auch gehen. Es ist spät, und ich muss morgen pünktlich auf dem Markt stehen.« Jasper nahm sein Glas, stieß mit Henri an, dann kippten beide den Jack Daniels in einem Zug hinunter. Jasper war schon über den Punkt hinaus, dass es in der Kehle brannte. Er hatte gehofft, dass der Alkohol alle Gefühle töten würde, doch er tat es nicht.

»Wem sagst du das. Für mich ist die Doppelbelastung zu Weihnachten auch immer hart. Erst auf den Weihnachtsmarkt und dann hierher in die Bar. Ich bin froh, wenn die Weihnachtszeit hinter uns liegt. Deshalb konnte ich auch nicht zur Beerdigung kommen. Gleich zwei Aushilfen sind wegen Krankheit ausgefallen. Paul und ich haben einen Kranz geschickt.« Henri räumte die Gläser, die auf dem Tresen standen, ab und wischte über den Marmor. »Mach Schluss für heute und geh ins Bett, Jasper. Du siehst echt fertig aus.«

Maja, eine der Bedienungen, nahm neben Jasper Platz. »Hallo, schöner Mann, so ganz allein? Ich mache gerade Feierabend.« Sie pustete sich den fransigen Pony aus der Stirn.

Jasper sah die junge Frau lächelnd an. Sie hatte schon öfter versucht, bei ihm zu landen, und heute war er genau in der richtigen Stimmung. Sein Blick blieb an ihren himbeerfarbenen Lippen hängen. Sie hatte die Farbe wohl gerade erst erneuert. Ihr Mund schimmerte verführerisch.

»Hast du Lust, bei mir noch etwas zu trinken?«, fragte Maja leise, sodass niemand außer Jasper sie hören konnte.

Fragend blickte er sie von der Seite an, dann nickte er stumm. Es war doch egal, in welchem Bett er schlief. Seine schlechte Laune würde ihm überallhin folgen. Sie würde ihn nicht in Ruhe lassen. Vermutlich für den Rest der Woche nicht. Nachdem er seine Getränke bezahlt hatte, stand er auf, wankte kurz und hielt sich am Tresen fest. Er hatte eindeutig zu viel getrunken, das war nun gewiss.

Draußen vor der Tür war es noch schlimmer. Die frische, klare Luft traf ihn wie ein Hammerschlag. Es hatte den ganzen Tag geschneit, nun war der Himmel sternenklar. Die Temperatur war eiskalt und weit unter Null gesunken. Ihr Atem wurde als weißer Rauch sichtbar, der sich schnell verflüchtigte.

»Puh, da gefriert einem ja der Atem«, jammerte Maja und drängte sich dichter an ihn.

Jasper blinzelte und blieb stehen. Was tat er hier? Ihm fiel wieder ein, dass er Maja versprochen hatte, sie zu begleiten. Aber eigentlich war sie gar nicht sein Typ. Zu auffällig, zu aufdringlich. Es wäre keine gute Idee, wenn er mit ihr ginge. Für beide wäre es besser, getrennte Wege zu gehen. »Hör mal, Maja. Du bist echt heiß ...«

»Na, dann bin ich doch genau das, was du in dieser kalten Winternacht brauchst.« Sie berührte seine Wange.

Ihr aufdringliches Parfum stieg ihm in die Nase, sodass es ihn schauderte. Er machte einen Schritt rückwärts, sodass Maja fast ausgerutscht wäre. Automatisch streckte er die Hand aus, hielt sie fest, ließ sie aber sofort wieder los. »Tut mir leid, ich bin einfach zu betrunken«, brummte er und fuhr sich mit der Hand durch sein wirres kinnlanges Haar, das er sonst am Hinterkopf mit einem Haargummi zusammenfasste. Doch heute war es ihm abhandengekommen. Erneut strich er sich das Haar aus dem Gesicht. Es nervte ihn, er wollte unbedingt nach Hause.

»Du willst mich einfach hier stehen lassen?« Ihre Stimme wurde laut und bekam diesen ungläubigen, durchdringenden Ton, der in den Ohren wehtat.

Genau das hasste er an Maja. Sie regte sich sofort auf, wenn es nicht so lief, wie sie dachte. Sie wollte immer mehr, war nicht bereit, klein beizugeben, und merkte auch nicht, wenn es vorbei war. Obwohl es noch gar nicht begonnen hatte. Er hatte sie schon öfter im Lokal beobachtet und war nun sicher, dass er sie nicht wollte, nicht mal für eine Nacht. Sie war eine Frau, die sich ständig unter den Gästen einen Mann aussuchte, mit dem sie nach Hause gehen konnte.

»Sorry, Maja. Aber ich werde in meinem eigenen Bett schlafen.«

»Gut, dann gehen wir zusammen ...«

»Allein! Ich möchte allein in meinem Bett schlafen«, stellte er deutlich klar. Seine Stimme nahm an Schärfe zu.

Maja wollte nach ihm greifen, doch er hob seine Hände.

»Lass mich. Ich muss allein sein.« Er pfiff nach einem Taxi, das in diesem Augenblick an ihnen vorbeifuhr, und hob winkend den Arm.

Der Fahrer trat auf die Bremse, legte den Rückwärtsgang ein und hielt neben dem Paar.

Schnell öffnete Jasper die Tür und schob Maja auf den Rücksitz. »Du wirst jetzt nach Hause fahren, allein.«

»Seit wann bist du so ein Widerling?«, fragte Maja beleidigt, sah aber wohl ein, dass dieser Abend hier und jetzt zu Ende war.

»Bringen Sie die Dame nach Hause«, sagte er zu dem Fahrer und drückte ihm zwanzig Euro in die Hand, woraufhin dieser grüßend die Hand an die Stirn hob und den Gang einlegte.

»Man sieht oft in den Menschen etwas anderes, als sie in Wirklichkeit sind«, knurrte Jasper und sah dem Wagen nach, wie er um die nächste Ecke bog. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Er würde zu Fuß nach Hause gehen, die frische Luft tat ihm gut und bewahrte ihn vielleicht vor Kopfschmerzen am nächsten Tag. Vermutlich aber nicht, dafür hatte er zu viel getrunken, doch er war selbst schuld. Er hätte nicht so tief ins Glas schauen dürfen. Diese Schwäche hatte er sich jedoch heute zugestanden. Seine beste Freundin hatte ihn einfach so allein gelassen, und diesen Schlag ins Gesicht musste er erst einmal verkraften, was für einen gestandenen Mann gar nicht so einfach war. Sie waren seit der Schulzeit befreundet gewesen und auch kurze Zeit miteinander gegangen. Allerdings war sie nicht die Frau, nach der er sich verzehrt hatte. Also hatte er sich wieder getrennt. Anfänglich war Frieda darüber sauer gewesen, doch allmählich hatte sie sich beruhigt, und mit der Zeit waren sie gute Freunde gewonnen. Die besten sogar.

Als Frieda vor einem Jahr Luca, seinen guten Kumpel, kennengelernt hatte, hatten die beiden sich auf Anhieb ineinander verliebt. Es war wie in einem Kinofilm abgelaufen. Sie hatten bewiesen, dass es die Liebe auf den ersten Blick wirklich gab. Diese Verbindung hatten sie bisher geheim gehalten, weil Frieda sich um Luise sorgte. Sie wollte ihr im nächsten Jahr davon berichten, dass die beiden sich verlobt hatten. So lange hatte sie warten wollen, und Luca war damit einverstanden gewesen. Er hätte alles für Frieda getan, so verknallt war er.

Doch nun gab es Frieda nicht mehr, und seine und Lucas Welt war zusammengebrochen. Niemand hatte damit gerechnet, dass ihre Lebenskerze einfach so verlosch. Sie hatten viele Überlegungen angestellt, wie ihr Leben aussehen sollte. Hoffnungen waren aufgekeimt. Nichts von alldem würde jetzt realisiert werden. Es würden nur Träume bleiben, und Jasper hatte keine Ahnung, wie Luca damit zurechtkam. Er wollte für seinen Freund da sein, ihm beistehen, doch der hatte sich in ein Schneckenhaus zurückgezogen und war in die Berge geflüchtet. Bergsteigen war eines seiner vielen Hobbys, ebenso wie das Skifahren. So würde er den Kopf freibekommen. Er wollte erst im neuen Jahr zurückkehren und ein neues Leben beginnen. Jasper hoffte, dass es ihm gelingen würde. Er wünschte es ihm wirklich sehr.

*

Wie versprochen hatte Karo den Lieferanten nicht in die Wohnung gelassen. Es wurde immer davor gewarnt, Fremde ins Haus zu lassen, und Luise war nun mal ein vorsichtiger Mensch. Sie hatte im Türrahmen der Küche gestanden und gelauscht.

Karo betrat mit dem Pizzakarton die Küche, wo Luise zwei Teller hingestellt hatte. Es roch köstlich, musste Luise zugeben, wenn auch nur ungern.

»Hast du schon mal eine Pizza probiert?«, fragte Karolina und öffnete den Deckel der Verpackung. Jetzt roch es noch intensiver.

»Nein, so was mag ich nicht«, erklärte Luise leise.

»Aber, wenn du noch nie eine probiert hast, dann kannst du es ja nicht wissen. Wie wäre es, wenn ich dir ein kleines Stück zum Probieren gebe?«

»Ich nehme den Salat.« Luise wollte nicht nachgeben.

»Gut, Luise. Zum Salat gehören auch kleine Brötchen, die du mit Kräuterbutter bestreichen kannst.« Karo holte Besteck aus der Schublade und legte es neben die Teller.

Langsam begann Luise zu essen, nachdem Karo ihr ein Dressing über den Salat gegeben hatte.

»Warum liefern sie die Salatsoße extra?« Luise verstand den Sinn dahinter nicht.

»Damit der Salat noch frisch und knackig ist, wenn er hier ankommt. Ich habe Joghurtdressing bestellt, das magst du sicherlich.«

»Ich gebe immer Essig und Öl über den Salat«, erklärte Luise und begann zu essen, zuerst zögernd, dann offenbar mit großem Appetit. Es gab Mais und Gurken, Eisbergsalat, gekochte Eier, Schinkenstreifen und leckere Cocktailtomaten und geriebenen Käse.

»Schmeckt es dir?«, wollte Karolina wissen und blickte kurz auf.

»Ja, sogar erstaunlich gut.«

»Möchtest du vielleicht doch von der Pizza probieren? Jetzt hast du noch die Gelegenheit.«

»Was ist das denn eigentlich?« Luise warf einen Blick auf Karos Teller.

»Nun, der Teig schmeckt ungefähr so wie die Brötchen. Es ist Mehl mit Salz, Hefe, Öl und Wasser. Der Belag besteht aus Tomatensoße, Basilikum und Schinken, der auch in deinem Salat ist. Dazu gibt es Champignons, Thunfisch und Zwiebel. Und Käse. Dann wird der Teig zusammengeklappt und das Ganze gebacken. Also lauter Dinge, die du kennst. Ich glaube, dir würde es schmecken.« Karo sah sie abwartend an.

»Na gut, ich kann ja mal probieren. Riechen tut es auf jeden Fall gut.«

»Glaub mir, es schmeckt auch gut.« Karo schnitt ihr ein Stück mit Füllung ab und legte es auf ihren Teller.

Sofort biss Luise ab. Genüsslich kaute sie und ließ es sich auf der Zunge zergehen. Sie nickte. »Ja, man kann es essen.« Den Rest des kleinen Stücks schob sie sich ebenfalls in den Mund.

»Möchtest du vielleicht noch mehr?«, fragte Karo gut gelaunt.

Luise nickte eifrig. »Ja, bevor du alles aufisst, nehme ich noch ein Stückchen. Du kannst gerne etwas von dem Salat haben.«

»Ich nehme mir ein Brötchen«, erklärte Karo, legte ihr diesmal ein ziemlich großes Stück der Pizza auf den Teller, schnitt ein Brötchen auf, bestrich beide Teile mit der Kräuterbutter und gab Luise eine Hälfte ab.

»Danke, du bist ein gutes Kind. Das schmeckt richtig gut. Allein wäre ich nie auf die Idee gekommen, eine Pizza zu essen. Ich habe immer gedacht, wer weiß, was da drin steckt. Aber die Italiener essen ja auch Dinge wie wir.«

Karo schaute sie verdutzt an, dann lachte sie laut auf. »Ja, Luise, und wir in Deutschland essen sogar mit Vorliebe Dinge, die in Italien angebaut werden.«

Luise nickte zustimmend. »Ja, wie Pizza zum Beispiel«, sagte sie und begann zu lachen. Am Ende nahm sie ein weiteres Stück Pizza und ein zweites Brötchen mit Kräuterbutter, das sie restlos verputzte.

3

Am nächsten Morgen räumte Karolina den Pizzakarton mit einem Lächeln in den Abfall. Sie hatte höchstens ein Drittel der Calzone abbekommen, den größten Teil hatte Luise gegessen, nachdem sie sich bereit erklärt hatte, ein Stück zu probieren. Und das, wo sie doch gar keine Pizza aß. Die Hälfte des Salats hatte sie zusätzlich verputzt. Karolina hatte sich gefragt, wo die kleine Frau das alles hinsteckte. Ihr hatten ein Stück Pizza und zwei Brötchen mit Kräuterbutter gereicht, die Rashid als Geschenk zusätzlich mitgebracht hatte. Ihr Appetit war in den letzten Tagen ohnehin nicht sehr groß.

Sie hörte einen Schlüssel in der Tür und ging in den Flur, um nachzusehen. War Luise schon aufgestanden?

Eine junge Frau trat herein und sah sie neugierig an. »Guten Tag. Ich bin Frau Wagenbrecht, die Putzhilfe. Ist Frau Aigner nicht da?«

»Doch, natürlich. Kommen Sie ruhig herein. Ich bin Karolina Nicolay, eine Freundin der Familie. Frau Aigner wird sicher auch gleich fertig sein.«

»Ich fange dann schon mal im Wohnzimmer an«, rief Frau Wagenbrecht und legte den Mantel ab. Aus der Kammer holte sie den Staubsauger und einen Putzeimer hervor, während Karolina sich weiter daran machte, den Tisch in der Küche zu decken.

Zum Frühstück erschien Luise bereits fertig angezogen, es fehlten nur noch der Wintermantel, Schal und Handschuhe. Sie setzte sich zu Karolina, die alles vorbereitet hatte, an den Tisch.

»Was hast du heute vor?«, wollte Karolina wissen und biss in ein Brötchen, das sie aufgebacken hatte.

»Ich muss den Stand pünktlich um zehn Uhr öffnen. Ich habe nicht mehr viel Zeit«, erklärte Luise ruhelos, schmierte sich eine Brötchenhälfte und trank schnell einen Schluck Kaffee, den Karolina frisch aufgebrüht hatte, auf die altmodische Weise, genau so, wie Luise es liebte.

»Ich fahre dich zum Markt«, überlegte Karolina laut, als sie sah, wie hektisch Luise hantierte.

»Aber musst du nicht zur Arbeit?« Luise hielt in ihrem Tun inne.

»Nein, ich habe doch Urlaub, erinnerst du dich? Das habe ich dir gestern in der Kirche erzählt.«

»Natürlich erinnere ich mich. Ich bin schließlich nicht senil.« Luise schien schon wieder beleidigt.

Als sie ein Geräusch hörte, blickte sich Luise neugierig um. »Wer ist denn da?«, fragte sie irritiert.

»Frau Wagenbrecht, deine Putzfrau.«

Sofort erhob sich Luise und ging hinüber ins Wohnzimmer. Karolina hörte, wie die beiden Frauen sich unterhielten; kurz darauf kam Luise zurück.

»Ich muss ihr doch sagen, was sie zu tun hat, damit sie das Saugen nicht vergisst.«

Ein kleines Lächeln huschte über Karolinas Lippen. »Ich glaube nicht, dass Frau Wagenbrecht das vergisst. Sie macht einen kompetenten Eindruck.«

Luise winkte ab. »Ihr jungen Dinger wisst doch gar nicht mehr, wie man richtig putzt«, murmelte sie und biss in ihr Brot.

Diesmal ging Karolina nicht darauf ein. »Sag mal, willst du nicht vielleicht den Stand schließen? Es ist ja nur noch knapp eine Woche bis zum Vierundzwanzigsten. Den ganzen Tag in der Kälte stehen, das ist doch sehr anstrengend für dich.«

Einen kurzen Augenblick hörte Luise auf zu kauen und schaute aus dem Fenster, vor dem der Tisch stand, an dem sie saßen. »Ich sitze die meiste Zeit«, erklärte sie kurz angebunden. »Außerdem ist es unmöglich. Ich habe einen Vertrag unterschrieben und bin verpflichtet, den Stand zu betreiben, sonst droht mir eine saftige Strafe und ich werde nie wieder dort ausstellen dürfen. Das kann ich doch meinen Freunden nicht antun. Die warten alle auf mich. Man kann so einen Stand nicht einfach schließen, wie es einem gefällt. Dann würde ich im nächsten Jahr keine Standlizenz mehr bekommen. Und was soll ich dann machen? Allmächd, nein, das kommt gar nicht in die Tüte.« Energisch schüttelte Luise den Kopf, stopfte sich den Rest des Brötchens in den Mund und kaute schnell.

Innerlich stöhnte Karolina auf. Luise machte den Eindruck einer netten lieben Oma, aber sie hatte den Dickkopf eines störrischen Teenagers mitten in der Pubertät. Sie wusste ihre Interessen durchzusetzen. Wie hatte Frieda das nur hinbekommen? Auf die Dauer stellte Karolina sich das recht anstrengend vor. So hatte sie Luise gar nicht in Erinnerung. Aber sie war wohl nicht die Einzige, die sich über die Jahre hin verändert hatte.

»Ich will nicht, dass sich dieser Kerl von gegenüber meinen Standplatz unter den Nagel reißt. Nein, die paar Tage halte ich noch durch. Der kriegt meinen Stand nicht.«

Resigniert nickte Karoline. »Gut, dann komme ich mit und helfe dir, auch wenn dieser Weihnachtswirbel mir jetzt schon auf die Nerven geht. Ich mache mich schnell fertig.« Sie stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab und erhob sich. »So kannst du in Ruhe aufessen, und mit dem Auto sind wir schnell da.«

»Zu Fuß brauche ich auch nur fünf Minuten«, rief Luise mit vollem Mund hinter ihr her.