Ein Zimmermann im Auftrag des Herrn - Bernhard Thoma - E-Book

Ein Zimmermann im Auftrag des Herrn E-Book

Bernhard Thoma

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Beschreibung

Es begann mit einer Holzkirche: Die Arbeits- und Lebensgeschichte von Bernhard Thoma Wenn der Erzbischof von Moskau eine Holzkirche für Russland bestellt, dann wird geliefert! Zu diesem Zeitpunkt ahnte Zimmermann Bernhard Thoma noch nicht, wie sehr der Auftrag seinen weiteren Lebensweg bestimmen würde. Nach dieser ersten Auslieferung in die damalige Sowjetunion rief er das Hilfsprojekt "Kirchen für den Osten e.V." ins Leben. Zunächst ohne die nötigen Mittel für die Finanzierung, eine geeignete Produktionshalle oder Mitarbeiter, aber immer mit einem unerschütterlichen Glauben an Gott. Wie daraus ein erfolgreiches Kirchenbau-Projekt wurde, davon erzählt dieses motivierende Buch. - Von der Lehre zum Hilfsprojekt: Die vielen Schritte bis zu "Kirchen für den Osten e.V." - Was mit Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gottvertrauen alles möglich ist - Vom Versprechen an Gott zur jahrzehntelanger ehrenamtlicher Arbeit: Eine Lebensgeschichte - Freiwilligenarbeit im Ausland: Wie Holzhäuser den Weg zu Kirchen aus Holz ebneten - Ein Buch zum Nachdenken: Wie der Glaube an Gott Unmögliches möglich macht Die Einlösung eines Versprechens an Gott: Vom wohltätigen Einsatz als Zimmermann Ein Buch, das Seite für Seite zeigt, wie der Glaube Berge versetzen kann. Als junger Meister versprach Bernhard Thoma, in den nächsten drei Jahren auf ein Zeichen Gottes zu warten. Sollte Er ihm einen Auftrag schicken, würde Thoma ihn annehmen. Dass es am Ende Kirchen aus Holz in der ehemaligen Sowjetunion sein würden, hätte er sich nicht träumen lassen. Doch trotz aller Schwierigkeiten und mit unerschütterlichem Gottvertrauen setzte er das Hilfsprojekt um. Das Ergebnis: Bis heute hat er 32 Holzkirchen in 11 Ländern gebaut. Möglich wurde dies auch dadurch, dass er hunderte von Helfern motivierte, ehrenamtliche Arbeit im Ausland zu leisten. Im Glauben an Gott Menschen helfen – das ist die Lebensgeschichte von Bernhard Thoma.

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Bernhard Thoma

Ein Zimmermann im Auftrag des Herrn

Bernhard Thoma

Ein Zimmermann im Auftrag des Herrn

Wenn Handwerk und Liebe Grenzen überwinden

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Klimaneutrale Produktion.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier.

BILDNACHWEISE

Archiv Kirchen für den Osten e.V.: 18, 22, 81, 83, 89, 94, 100, 103, 108, 112, 114, 115, 118, 122, 124, 129, 132, 147, 174, 175, 181, 183, 184, 187, 194, 195

Bernhard Thoma: 26, 29, 40, 41, 48, 49, 54, 58, 61, 72, 92, 102, 136

Andreas Schmidt: 71, 199

Aktualisierte Neuauflage

© 2024 Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden, denn es ist urheberrechtlich geschützt.

Umschlaggestaltung: Bonifatius GmbH

Umschlagfoto: © Andreas Schmidt

Satz: Bonifatius GmbH, Paderborn

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

eISBN 978-3-98790-927-6

Weitere Informationen zum Verlag:

www.bonifatius-verlag.de

FÜR BENEDIKT UND MARIA

WIE MICH DER VATER GESANDT HAT, SO SENDE ICH EUCH

(Johannes 20)

Inhalt

Prolog

Vorwort Bischof Clemens Pickel

Das sibirische Projekt

Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Bei der Bundeswehr

Die Vorbereitung

Das Kriegsgebiet

Der Auftrag

Russland, wir kommen

Der Baubeginn

Der Aufbau

Ein halbes Menschenleben

Der prophetische Traum

Die Traumfrau

Drei Bedingungen

Aufbruch in eine neue Zeit

Die Gründung

Der Neustart

Die Helfer kommen

Der Ruf Sibiriens

Danksagung

Zur Person

Prolog

Vorab ein kurzes Wort an meine Leserinnen und Leser, quasi ein Vorwort. Eigentlich haben solche Vorworte den Charme eines Strafzettels, sie erinnern an den Spruch: „Der muss immer das letzte Wort haben.“ Nur, dass es sich hier nicht um das letzte, sondern um das erste handelt.

Wieso sollte ich ein Vorwort lesen, wenn ich doch gleich zur Geschichte springen kann? Und da stimme ich Ihnen nur zu. Ich persönlich lese fast nie ein Vorwort.

Gratulation, wenn Sie es trotzdem bis hierher geschafft haben und dennoch weiterlesen möchten. Sie können sich auch gerne umgehend mit Kapitel 1 beschäftigen, dann geht’s gleich los. Für alle, die Interesse daran haben, warum ich dieses Buch schreiben musste, einfach dranbleiben. Ich durfte die Gnade Gottes und seine Führung so oft, so konkret und so praktisch erleben, dass es mir einfach unmöglich ist, nach 29 Jahren als Kirchenbauer nicht vom Wirken des Himmels zu berichten. Bis zum Erscheinen dieses Buches konnten wir mit über 500 freiwilligen Helfern 32 Kirchen in 15 Ländern dieser wundervollen Erde errichten – vom Nordkap bis zum Äquator. Die 33. Kirche ist bereits geplant und soll – so Gott will – in diesem Jahr 2024, in dem das Buch erscheint, errichtet werden. Weitere ca. 50 Klöster, Gemeinden, Kirchen und Ausbildungszentren konnten wir bei der Planung, Sanierung und Finanzierung maßgeblich unterstützen.

Dieses Buch soll keine Autobiografie von meiner Wenigkeit sein, sondern die einmalige, gnadenreiche Geschichte erzählen, die tatsächlich und wahrhaftig in meinem Leben passiert ist. Alle Episoden haben sich in der Realität genau so abgespielt. Möge man mir verzeihen, wenn mein Gedächtnis nach knapp 30 Jahren den einen oder anderen Namen verwechselt, Details durcheinandergebracht oder Geschichten in der Reihenfolge vertauscht haben sollte.

Dieses Buch wurde in der Zeit geschrieben, in der Krieg in Europa herrscht. Es schmerzt mich von Herzen, wenn ich die Kriegsbilder von Städten sehe, die ich selbst besucht habe und in denen ich eine so große Gastfreundschaft erleben durfte. Viele meiner ukrainischen Freunde mussten ihre Heimat verlassen oder sind in den Kriegswirren verwundet worden oder gestorben. Möge der barmherzige Gott die Herzen der Menschen bewegen, wieder auf den Weg eines dauerhaften Friedens und der Versöhnung zwischen den Völkern zurückzukehren.

Ein besonderer Gruß gilt den Leserinnen und Lesern, die dieses Buch gekauft oder als Geschenk bekommen haben, obwohl sie mit „der Kirche“ nichts „am Hut haben“. Ich persönlich habe bei diesen wilden Abenteuerreisen „Kirche“ als authentisch, voller Leben und inspirierend empfunden und deshalb gegenüber der Zukunft der Kirche in Deutschland eine sehr positive Einstellung. Erste Pflänzchen einer neuen Zeit sind heute schon deutlich erkennbar.

Manchmal wäre man versucht, „vom Glauben abzufallen“. Wenn, ja wenn da nicht die vielfältigen und mannigfachen Erlebnisse, Abenteuer und sogar kleinen Wunder geschehen wären, die ich als einfacher Zimmermann in diesen Jahren erleben durfte.

Jeder einzelne Mensch ist ein Unikat. Ihn gibt es nur einmal. Jeder hat vielfältige, einzigartige Talente von unserem Schöpfer erhalten. Einige ein Talent, einige fünf Talente, einige zehn Talente. Ist das jetzt ungerecht? Wir sollten den Blickwinkel auf das Ganze richten. Es ist egal, ob man eins plus neun oder zwei plus acht oder sechs plus vier addiert; das Ergebnis ist immer zehn. Jeder Einzelne trägt ein Stück zum Ganzen bei, selbst ein Zimmermann, wie ich es bin, darf eine Melodie für ein harmonisches Lied beisteuern.

Ich ermuntere Sie, da, wo Sie gerade stehen, Ihre Melodien ebenfalls einzubringen. Dies wird Ihr Leben mit Sicherheit bereichern. In unserer Musikgruppe „Genesis“ spielten wir öfter ein Lied der Aschauer Rhythmusgruppe, welches hierzu ganz passend ist: „Jede Zeit hat ihre Lieder, gehen auf, verklingen wieder, gib auch du ein Lied dazu.“

Ich wünsche Ihnen nun viel Freude und Momente des Nachdenkens/Innehaltens beim Lesen. Wenn Ihnen das Buch gefallen hat, verschenken Sie es doch einfach weiter, denn geteilte Freude ist bekanntlich doppelte Freude. Hat es Ihnen nicht gefallen, dann macht es sich sicher gut in Ihrem Bücherregal.

Und denken Sie daran:

„Jede Zeit hat ihre Lieder,

gehen auf, verklingen wieder,

gib auch du ein Lied dazu.“

Egal, welchen Beruf Sie haben, wie wichtig Sie sind, wie traurig oder wie hoffnungsvoll Ihre Stimmung gerade ist: „Gib auch du ein Lied dazu!“

Das wünscht Ihnen Ihr Bernhard Thoma

VorwortBischof Clemens Pickel

Liebe Leserinnen und Leser,

mit der Auflösung der Sowjetunion an Weihnachten 1991 war der „Eiserne Vorhang“ gefallen, der bis dahin an seinem letzten Zipfel gehangen hatte. Paradoxerweise war dies das Ende eines Spektakels. Ein Blick hinter die Kulissen tat sich auf, unter anderem auf ein Schlachtfeld jahrzehntelangen Kampfes gegen Glauben, gegen Kirche, ja gegen Gott. Die Asche glühte noch. Heiligmäßige Menschen, nicht nur Großmütter, hatten die Liebe zum Herrn in ihren Herzen bewahrt und da, wo sie konnten, weitergegeben; heimlich und unter Einsatz ihres Lebens. Einzelstücke religiöser Literatur, die per Hand auf Schreibmaschinen mit Durchschlagpapier „vervielfältigt“ wurden, waren Gold wert. Priester hatte man vielerorts jahrzehntelang nicht mehr gesehen. Kirchen Enteignet, missbraucht, zerstört, verfallen. Ich erinnere mich, wie ich mit Kindern in einer Kirchenruine mit Turm und neugotischen Fensterbögen betete und erst zum Schluss bemerkte, dass die Kinder nicht verstanden, was das für ein Gebäude war. Woher sollten sie auch wissen, wie eine Kirche aussieht!? 70 Jahre ohne …!

Als ich 1991 an die Wolga kam, beteten wir in einem Wohnhaus, dessen nicht tragende Wände entfernt worden waren, damit Platz zum Beten war. Dennoch konnten wir am Heiligabend bei minus 22 Grad nur die Kinder einlassen. 300 Kinder! Die Erwachsenen beteten draußen. Auch an anderen Orten sprossen kleine Gemeinden aus dem Boden.

War das die Bekehrung, von der die Gottesmutter 1917 in Fatima gesprochen hatte? Gut, dass wir katholische – weltweite – Kirche sind! Das Interesse zu helfen war groß. Aber es musste organisiert werden. Wir brauchten Fachleute, Wege und Geld. So dürfen wir die mütterliche Hand der Gottesmutter in einer Fügung erkennen, die wir „die blauen Kirchen“ nannten. Ich hörte damals die Lebensgeschichte von dem mir bis dahin unbekannten Hubert Liebherr. Später kam der Name Bernhard Thoma ins Spiel.

Im Juli 1996 durfte ich dabei sein, als Bischof Pavel Hnilica im Dorf Alexejewka eine dieser blauen Holzkirchen weihte. (Fünf Jahre vorher hatte ich das abgelegene Dorf, in dem sich 90 % der Einwohner deutsch und katholisch nannten, regelrecht „gefunden“.) Auf einer meiner Missionsreisen wurde ich darauf hingewiesen, dass auch dort Katholiken lebten, 850 Kilometer von meiner Pfarrei entfernt. „Dor letschte Padr wor hir vor zweiunsechzich Johr“, begrüßte mich damals eine Großmutter auf der Straße. (Sie war ein Kind, als man 62 Jahre zuvor den letzten Priester im Dorf gesehen hatte.) Nun wirkten in Alexejewka Priester, Brüder und Schwestern der Gemeinschaft Pro Deo et Fratribus.

Im Juni 1998 wurde ich zum Bischof geweiht. Gleichzeitig brachten Freiwillige vom Ampfinger Verein „Kirchen für den Osten“ erneut zwei Holzkirchen nach Russland. Nach Rostow am Don, Alexejewka, Elista und Wesoloje waren das jetzt die fünfte und die sechste Holzkirche für mein heutiges Bistum, nämlich in Wolgodonsk und Togliatti. Später, im September 1999, folgten Kirchen für Gorodowikowsk und Stepnoje. Wenn ich mich richtig erinnere, war es im letzteren Dorf, wo die Lkw nach langwierigen Zollformalitäten endlich entladen werden durften und sich das Gerücht breitmachte, dass die Männer die Kirche, komplett mit Glocke und Altar, in vier Tagen aufstellen würden. Eigentlich brauchten sie bisher immer fünf, aber das Gerücht motivierte sie und führte zum Bruch aller Rekorde. (Ich bitte um Verzeihung, wenn die Anzahl der Tage nicht stimmt. Es war jedenfalls ein Tag weniger als bisher.)

Als unser 70-jähriger Apostolischer Nuntius, Erzbischof Georg Zur, im Oktober 2000 die Bischofskirche in Saratow an der Wolga weihte, bekannte er, dass dies in seinem Leben die erste Weihe einer Kirche sei. Ich stand mit meinen 39 Jahren daneben und wusste schon nicht mehr genau, wie viele Kirchen ich schon geweiht hatte. Das verdankte ich auch dem Verein „Kirchen für den Osten“ und den Brüdern und Schwestern, die dahinterstehen.

Ja, es wird schon auch eine Portion Abenteuerlust dabei gewesen sein, als die Männer die Lkw in Ampfing beluden und sich auf den Weg in die ehemalige Sowjetunion machten. Aber: Abenteuerlust wäre verflogen! Was hat sie bewogen, dranzubleiben, Strapazen und Gefahren zu ertragen und im rein finanziellen Sinne ärmer dabei zu werden? Zweifellos, und das war auch das Zeugnis, das wir hier vor Ort erleben durften, war es lebendiger Glaube, der zu solchen Taten motiviert. Da ich selbst aus Deutschland stamme, weiß ich, wie sehr man von Begegnungen mit armen, tiefgläubigen Menschen beschenkt sein kann, sodass wir „großartigen“ Helfer aus dem Westen schließlich nur demütig und im Herzen bereichert sagen können: Deo Gratias! – Dem Herrn und der Gottesmutter sei Dank für ihre Liebe, die sie uns erweisen wollten, dafür, dass wir Brüder und Schwestern haben, auf der ganzen Welt und im Himmel, dafür, dass wir eine Familie sind.

Lieber Herr Thoma, Sie schreiben ein Buch über die Arbeit von „Kirchen für den Osten“. Mögen Ihre Zeilen erneut Herzen bewegen, auch heute hören zu wollen, was dran ist, am Verein „Kirchen für den Osten“, am Gebet füreinander, an dem Motiv, „lebendige Steine“ in den Händen des Herrn sein zu wollen, die für Frieden, Mut, Gerechtigkeit und Liebe stehen!

Mit von Herzen kommendem Dank an Ihren Verein und seine/unsere Wohltäter grüße ich Sie alle.

Ihr + Clemens Pickel

Bischof der Diözese St. Clemens in Saratow (Südrussland)

DAS SIBIRISCHE PROJEKT

GEDANKEN VOR DER GROSSEN REISE

Eichheim, Südostbayern, Montagmorgen gegen 4:30 Uhr: Die Morgensonne bahnt sich in warmen Rot- und Gelbtönen ihren Weg durch den Morgennebel der Isen. Ein kleiner Bach fließt in schlängelnder Bewegung, ganz in der Nähe der großen Produktionshalle, träge vorbei. Diese Halle, als Teil eines alten Vierkanthofes, ist seit circa einem Jahr meine neue Wirkungsstätte – seit wir den Verein „Kirchen für den Osten e.V.“ mit dem Ziel gründeten, Kirchen für Russland zu fertigen.

Begonnen hatte alles mit dem Bau von Nothäusern aus Holz für das Kriegsgebiet im ehemaligen Jugoslawien. Die Dorfbewohner hatten damals ein Nothaus selbstständig zu einer Kapelle umfunktioniert, weil ihre eigene Kirche zerstört worden war. Diese Idee gelangte dann über einen Hilfstransport zu Erzbischof Kondrusevic nach Russland, der spontan eine Kapelle „bestellte“. Daraufhin fand diese in Rostov am Don, im Süden Russlands, ihren Platz und war wiederum der Anlass, den Verein „Kirchen für den Osten“ zu gründen. Nach den ersten vier erstellten Kirchen für das Kaliningrader Gebiet stand nun die erste große Reise nach Sibirien an.

Die Kirchenbauhalle in Eichheim bei Ampfing

Aber der Reihe nach:

Ein alter weißer Mercedes-Bus und vier 40-Tonner Sattelschlepper standen in Reih‘ und Glied für die große Reise bereit. Die letzten Tage waren geprägt vom geschäftigen Beladen der Schwertransporter. Alles musste seinen Platz haben, kein Millimeter wurde verschenkt, selbst die Einlagerung von Wasser, Verpflegung und Bier bedurfte präzisester Vorarbeit. Immerhin war es eine spannende, herausfordernde Vorbereitungszeit, die Verpflegung für zehn Personen für den Zeitraum von sechs Wochen zu organisieren.

Wie zerfließende Nebelfetzen lösten sich diese Gedanken der Vorbereitung nun langsam auf, als ich die Fahrerkabine meines MAN F2000 Sattelzuges, mit seinen satten 400 PS, aufschließe und die Stufen hinaufkletterte. So, dies wird in den nächsten Wochen dein Zuhause, Bernhard, dachte ich. Jetzt war ich doch schon fast zwei Jahre als Kirchenbauer unterwegs und hatte schon einiges in Russland erlebt, aber diese Reise stellte alles in den Schatten. Von einem kleinen Weiler in Ostbayern ging die Fahrt nach Talmenka, 450 Kilometer südlich von Novosibirsk. Im Gepäck zwei Holzkirchen für die katholischen Pfarreien in Talmenka und Prokopjewsk. Nach unseren letzten Reisen in das Kaliningrader Gebiet haben wir Mannschaftswagen, Wohncontainer, Wasservorräte und Werkzeuge noch einmal für die 12.000 Kilometer lange Fahrt angepasst. Jeder Lkw hatte zwei Dieseltanks mit je 400 Litern Fassungsvermögen. Für unseren vereinseigenen Sattelzug mit Kran, Container und Ladepritsche wurde zusätzlich ein 1.000 Liter Dieseltank spendiert. Es sollte uns nicht mehr so wie in Rostov am Don ergehen, dass wir immer nach Treibstoff suchen mussten. Mit diesem Vorrat dürften wir wenigstens drei Tage ohne das zeitintensive Tanken in Russland auskommen.

SECHS WOCHEN

Sechs Wochen mussten reichen, da ich ansonsten ernsthafte Schwierigkeiten bekommen hätte, denn am 16. September war meine Hochzeit anberaumt. Meine Verlobte Katharina unterstützte den Kirchenbau nicht nur als Steuerfachkraft und Bankkauffrau, sondern auch in der Betreuung der vielen freiwilligen Helfer. Ich denke, es sind jetzt bereits über 350, die dazu beigetragen haben, diese Kirchen zu bauen. Meine Schwiegermutter meinte noch, dass ich ja pünktlich zurück sein solle, sonst „fällt der Watschenbaum um“. Da sie Wirtstochter war, hatte ihre Empfehlung durchaus verbindlichen Charakter. Meine scherzhafte Antwort darauf, dass ein Zimmererhut zur Ferntrauung vielleicht ebenfalls gültig sein könne, wurde mit einer unverwechselbaren, missbilligenden Geste nicht im Ansatz als lustig empfunden.

Ich überprüfte noch einmal die Fahrzeug-, Lade- und Zollpapiere, meinen Ausweis und füllte eine neue Fahrerscheibe aus, die oberhalb des Lenkrades auszutauschen ist.

Die Mannschaft traf sich um 5:00 Uhr und wir fuhren dann Richtung polnische Grenze. Gottvertrauen ist ja recht praktisch, damit alles so läuft, wie man sich das vorstellt. Genau dieses Gottvertrauen sollte auf dieser und künftigen Reisen allerdings noch eine viel größere Rolle spielen, als ich es je für möglich gehalten hätte.

EIN BEGEHRTES PAPIER

Zunächst hatte noch keiner von unserer Mannschaft ein Visum für Polen, Weißrussland und Russland. Katharina hatte in den letzten drei Wochen mit der russischen Botschaft in München verhandelt und immer wieder einen negativen Bescheid erhalten. Für ein Visum mussten seitenweise Anträge ausgefüllt und die Reisepässe persönlich in München bei der Botschaft eingereicht werden, um das begehrte Papier dann hoffentlich zu erhalten. Nach dem dreizehnten Versuch, an einem Freitag in München, rief mich Katharina frustriert an und teilte mir mit, dass die Pässe eingezogen und kein Botschaftspersonal mehr ansprechbar wäre. Doch dann sagte sie mir, dass gerade der Botschafter käme.

„Versuch‘ auf jeden Fall, die Pässe zu bekommen“, schärfte ich ihr ein. Nach einem kurzen Stoßgebet zum Himmel konnte Katharina dem Botschafter die Dringlichkeit unseres Anliegens vorbringen, der dann versprach, sich persönlich um die Pässe zu kümmern. Diese bekam sie dann auch, aber keine Visa.

Danach telefonierte ich mit Helmut, einem ehrenamtlichen Disponenten einer befreundeten Hilfsorganisation, ob er uns nicht helfen könne, sonst müsse die Reise abgesagt werden. Ich wusste, dass Helmut Kontakt zum russischen Botschafter in Bonn hatte. Nach einer Stunde rief mich Helmut zurück. Wir sollten mit den Anträgen und Reisepässen nach Bonn kommen, er helfe uns bei den Verhandlungen mit dem Botschafter.

In meinem Büro, im ersten Stock der 1.000 Quadratmeter großen Produktionshalle, war die Fahrermannschaft schon vollständig versammelt, um am morgigen Samstag die restlichen Kirchenbauteile zu verladen. Sollten wir am Montag ohne Visa starten? Würden wir die Papiere bis Montagmittag bekommen?

Da fiel mir ein Spruch ein:

„Beten, als ob alles vom Beten abhängt, und arbeiten,

als ob alles vom Arbeiten abhängt.“

Ora et labora für Anfänger, dachte ich, also hatte ich mich entschieden: Ich sprach gleich mit Gerhard, unserem Mann für alle Sondereinsätze, einem jungen Schreiner aus dem Schwäbischen, der das Talent hatte, in der Vorbereitungszeit alles Nötige im Umkreis von 100 Kilometern zu organisieren. Ich sagte zu ihm: „Gerhard, schnapp‘ dir dein Auto, nimm die Pässe und Anträge und fahr‘ nach Bonn. Um 17:00 Uhr ist die Botschaft heute dicht. Gib die Dokumente bei Helmut ab; er besorgt uns hoffentlich Blitzvisa, die du dann am Montagmorgen abholst, und wir treffen uns in Frankfurt/Oder kurz vor der Grenze.“ Wie immer, wenn er vor scheinbar unlösbare Herausforderungen gestellt wurde, lächelte er verschmitzt, schob seinen alten Filzhut dreimal hin und her und sagte nur: „Wo sind die Papiere?“

Ich musste der Mannschaft die neue Situation mitteilen. Enttäuschte Gesichter blickten mich an. Hatten doch alle ihren Jahresurlaub für diese Fahrt genommen. „Wir bekommen die Visa“, sagte ich eine Spur zuversichtlicher, als ich eigentlich war. Für ein Blitzvisum ist allerdings für jeden Fahrer ein weiteres Passfoto nötig. Wo konnten wir auf die Schnelle die Fotos bekommen? „In Mühldorf am Bahnhof gibt es einen Passfotoautomaten“, sagte Gerhard. Also alle Mann in den Mercedes-Bus und ab zum Fotografieren. Zugegeben waren es sicher nicht die schönsten, aber bestimmt die am sehnlichsten erwarteten Bilder dieser Vorbereitungszeit.

Als wir wieder zurück in Eichheim waren, setzte bereits die Dämmerung ein. Beim Abendessen war dann die anfängliche Euphorie auf dem Tiefpunkt. Wie sollte es jetzt weitergehen? In der Hofkapelle sangen wir, wie jeden Abend, den „Engel des Herrn“ und baten Gott um ein gutes Gelingen, die Visa am Folgetag auch wirklich zu erhalten.

Selten sah ich bis dahin eine Männergruppe beim Abendgebet intensiver und andächtiger beten.

Montagmorgen, die Sonne schien schon kräftig in meine Fahrerkabine; es versprach ein sonniger Tag zu werden. Die restlichen Fahrer kamen bald, wie gestern vereinbart, aus unserer Unterkunft vom Nachbarort Etzham zur Kirchenbauhalle in Eichheim.

Ich genoss die morgendliche Stille, hörte, wie die Vögel von der nahen Isen scheinbar ein Reisekonzert zum Abschied vortrugen, und dachte daran zurück, wie das alles fünf Jahre zuvor mit einem Angebot und einer Entscheidung begonnen hatte, die mein Leben für immer verändern sollte …

Die Kinder von Elista-Südrussland vor ihrer neuen Kirche

LEHRJAHRE SIND KEINE HERRENJAHRE

WER SCHREIBT, DER BLEIBT

Geschafft, ich konnte es kaum glauben, ich war fertig! Nicht im physischen oder psychischen Sinne, sondern nun, am 17. Juli 1992, war die Freisprechungsfeier durch den Präsidenten der Handwerkskammer München und Oberbayern in Bayerns Landeshauptstadt. Als frisch gebackener Zimmerermeister und staatlich geprüfter Bautechniker waren die letzten zwei Jahre ein Vollzeitstudium der Oberliga gewesen. Der mir damals dumm erscheinende Spruch

„Du lernst nicht für den Lehrer, sondern für das Leben.“

ist wahrscheinlich nur im Rückblick richtig zu verstehen. Wir hatten an der Technikerschule tolle Lehrer mit viel Berufserfahrung. Da sind wir fachlich, technisch und planungsmäßig richtig gut auf die Erstellung von Leistungsverzeichnissen, Angeboten, Abrechnungen und Baustellenleitung vorbereitet worden. Unser Statiker hat mal einen Satz rausgehauen: „Wer schreibt, der bleibt.“ Das war zwar auf Nachträge bei Bau-Abrechnungen gemünzt, gilt aber, wie ich meine, im Allgemeinen. Im Gegensatz zu meiner Schulzeit hat mir das Aneignen von Wissen in der Meisterschule echt Spaß gemacht, auch nach einem Zwölf- oder Dreizehn-Stunden-Tag.

Wenn ich mich an meine Schulzeit zurückerinnere, war diese nicht der Hauptfaktor meiner Kindheit, sondern das Durchstreifen der Natur, rein in die Donau-Auen mit Sumpf, Quellen und Bächen. Mit Freunden Bunker und Baumhaus bauen, Fußball spielen, das war mein Leben. Alles, was kleine Jungs halt lieben; ganz gewiss keine Hausaufgaben erledigen oder „sinnfreie“ Texte auswendig lernen.

In der siebten Klasse kam ich einmal mit einer Klassenarbeit nach Hause, in der rot vermerkt war: Sechser mit Stern, Versetzung gefährdet!

Ab diesem Zeitpunkt wurde meine Freizeit von meiner Mutter deutlich umstrukturiert und, oh Wunder, Lernen kann sogar Spaß machen, wenn man es erst einmal kapiert hat. Diese Erfahrung sollte mir auch im weiteren Leben noch von Nutzen sein.

DIE LEHRSTELLENSUCHE

Ich wollte eigentlich Schreiner werden. Zu dieser Zeit hatten die Schulabgänger Schwierigkeiten, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu finden. Da ich mit einem „sauberen“ Endspurt doch noch einen sehr guten Schulabschluss vorweisen konnte, hatte ich glücklicherweise drei Angebote für eine Ausbildung; damals schon etwas Besonderes. Eine davon war eine Schreinerausbildung – mein Traumberuf – in Münchsmünster.

Ich sagte die anderen Angebote ab und freute mich auf den 1. September, den traditionellen Ausbildungsstart im Handwerk. Mitte August wurde ich unruhig, da ich noch nichts von meinem zukünftigen Ausbildungsmeister gehört hatte, ebenso wenig hatte ich bis dato einen unterschriebenen Lehrvertrag bekommen. Mein Vater fuhr mich mit unserem „Sportwagen“, einem weißen Renault 4 mit satten 26 PS und Revolverschaltung, ein Erbstück vom Opa, dann zum Schreinermeister. Der druckste rum, hin und her, und sagte dann, dass der Nachbar gerade eine Küche bei ihm bestellt habe und er darum, anstatt mich, dessen Sohn einstellen müsse.

Das haute rein, meine erste berufliche Niederlage, die erst einmal verdaut werden musste. Mir blieb aber keine Zeit für ein Jammerkonzert, ich hätte eh keine Zuhörer gefunden. Deshalb telefonierte ich mit den beiden anderen Ausbildungsmeistern, einmal mit der Audi AG, bei der ich mich als Modellbauer beworben hatte, und mit einem weiteren Industriebetrieb in Ingolstadt. Beide bedauerten sehr, dass der Ausbildungsplatz anderweitig besetzt worden sei, da ich ja bereits abgesagt hätte.

DANN WERDE ICH HALT ZIMMERMANN

Der letzte Freitag im August 1984 war sehr heiß, geradezu als Badespaß im nahen Baggerweiher angesagt. Im Sommer ist es ein Traum, durch den großen Weiher zu schwimmen; oben fliegen lauthals die Wildgänse vorbei und unter dir ziehen große Graskarpfen ihre Bahnen. Normalerweise hätte ich am folgenden Montag eine Lehre begonnen, aber ohne Ausbildungsplatz erschien mir die Aktion Baggersee „spaßbefreit“ zu sein.

Mein Vater sagte beim Mittagessen, dass er zum Zimmerer nach Wackerstein müsse, um dessen Rechnung zu bezahlen. Die Zimmerei hatte bei uns zu Hause die Holzböden verlegt und die Innentüren montiert. Ich solle doch einfach mitkommen und wir könnten ihn fragen, ob er noch einen Zimmererlehrling brauche. Nicht gerade das, was ich mir vorgestellt hatte, aber besser als gar nichts.

Drei Kilometer westlich von meinem Heimatort Pförring liegt das Dorf Wackerstein. Unter dem dortigen Schloss befand sich die Zimmerei. Ich kann mich heute noch erinnern, dass der Geruch von Fichte, Lärche, Akazie und Eiche, vermischt mit Lacken und Lösungsmitteln, in der Luft lag, und ich roch einen Duft, mit dem Träume wahr werden können.

Bernhard Thoma in seiner Zimmermannskluft

Wenn man bei der Herstellung einer Holzwendeltreppe mit ihren schweren Eichenstufen und geschwungenen Wangen, die gehobelt, verleimt, geschliffen und lackiert werden müssen, Wochen mit diesem Duft arbeitet, stellt sich die Sachlage dann wieder aus einer anderen Perspektive dar.

Ich war damals auf jeden Fall positiv überrascht, dass auch Zimmerer so viele Schreinerbereiche übernommen hatten. Mein Vater sprach mit Zimmerermeister Peter über die Abrechnung der Arbeiten in unserem Wohnhaus und über Neuigkeiten im Markt Pförring. Da mir mangels Mitspracherecht die Rolle des Beobachters oblag, kam mein Anliegen lange nicht zur erhofften Ansprache. Nach einer Stunde wollte sich mein Vater verabschieden, doch nach einem leisen „zwecks der Lehrstelle“ von mir drehte er sich noch mal zum Meister um und fragte ihn eher nebenbei, ob er keinen Lehrbub brauche. Das war der Moment, dem Zimmerermeister mein Zeugnis zu geben, und er kommentierte in blumiger und ausführlicher Sprache, ganz Handwerker, die Sache so: „Passt doch, dann kumst hoit am Montag.“ Ich dachte nur: Dann werde ich halt Zimmermann! Übrigens bis heute mein kürzestes Bewerbungsgespräch. Im Schwäbischen würde man dazu sagen: „Net schwätze, schaffe!“

DIE ANFANGSJAHRE

In der dreijährigen Ausbildungszeit und den weiteren zwei Gesellenjahren konnte oder musste ich, je nach Sichtweise, viele Fähigkeiten und Fertigkeiten erlernen. Ich hatte meine Lehre mit fünfzehn Jahren und der Statur eines „Bleistiftes in der Landschaft“ begonnen. Die blaue Latzhose war damals Standard. Obwohl diese schmal geschnitten war, wehten die Hosenbeine wie die Bayernfahne bei Windstärke sieben am Chiemsee. Das bestätigte sich auch bei der Frage eines Freundes beim Baden: „Was hängen da zwei weiße Bänder aus der Badehose?“ Ich schaute und er meinte grinsend: „Oh, das sind ja nur deine Beine.“ Von meinen Arbeitskollegen brachte es jeder mindestens auf knappe 100 Kilo Lebendgewicht.