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Ian vertraut der neuen Nanny das Wichtigste in seinem Leben an: seine Zwillingstöchter. Das erste Mal seit dem Tod ihrer Mutter lachen die beiden wieder! Selbst Ians gebrochenes Herz heilt durch Rachels liebevolle Nähe langsam. Bis er erfährt, was sie ihm verheimlicht hat …
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Seitenzahl: 174
Veröffentlichungsjahr: 2025
Teri Wilson
Eine Doppeldosis Glück
IMPRESSUM
BIANCA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2022 by Harlequin Enterprises ULC Originaltitel: „A Double Dose of Happiness“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 122 – 2023 by Harper Collins Deutschland GmbH, Hamburg Übersetzung: Stefanie Rose
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A., huronphoto, eclipse_images / iStock, Chainarong Prasertthai, Kayoko Hayashi / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2025 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751537032
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Was soll das heißen, mein Kind bleibt zurück? Sie ist noch nicht mal vier!“ Ian Parsons spürte, dass er vor Ärger Kopfschmerzen bekam. Hochbegabte Kleinkinder? Sollte die Kita nicht vor allem Spaß machen?
„Ich glaube, Sie haben mich missverstanden.“ Marianne Foster, die Leiterin der Spring Forest Kindertagesstätte, blickte Ian von ihrer Seite des Schreibtischs aus gelassen an. Doch Ian fühlte sich trotzdem wie ein Teenager, der zum Direktor zitiert worden war, um von der Schule verwiesen zu werden.
„Wenn ich sage, dass Annie zurückbleibt, meine ich nicht schulisch. Ich meine in ihrer Entwicklung.“
Das klang natürlich gleich viel besser.
„In letzter Zeit hat sie sich sehr in sich zurückgezogen, und wenn sie spricht, dann nur in Babysprache.“ Die letzten beiden Wörter sprach Marianne flüsternd aus, als wären sie zu schrecklich, um sie laut zu sagen.
Ian rutschte auf seinem Stuhl herum. Er hatte das mit der Babysprache auch bemerkt. Aber war das wirklich so schlimm? Annie war erst dreieinhalb. Es war irgendwie niedlich. Und nach dem, was seine Zwillinge in ihren kurzen Leben schon durchgemacht hatten, war Babysprache oder Daumenlutschen doch wohl eine verständliche Reaktion.
In den ersten Monaten nach Serenas Tod hätte er sich oft genug am liebsten selbst wie ein Embryo auf dem Boden zusammengekrümmt. Er wusste nicht, inwiefern Babysprache seiner Tochter half – aber er war auch kein Psychologe, und er hatte nicht vor, irgendetwas zu unterbinden, das seine Tochter mit der Situation besser zurechtkommen ließ. Und darum ging es hier doch, oder? Bewältigungsstrategien. Ian hätte sich größere Sorgen gemacht, wenn Annie nach außen ihn gar keine Reaktion auf die Schwierigkeiten gezeigt hätte, mit denen ihre kleine Familie im letzten Jahr zu kämpfen gehabt hatte.
„Sie ist ja auch noch ein Baby“, erwiderte Ian und rückte seine Krawatte zurecht. „Ich werde sie gewiss nicht daran hindern, sich so auszudrücken, wie es für sie am tröstlichsten ist.“
Ganz genau, Ma’am. Ich bin ein verwitweter Vater von Zwillingsmädchen, der fünfzig Stunden in der Woche arbeitet und trotzdem noch Zeit findet, Elternratgeber zu lesen. Was blieb ihm auch anderes übrig? Ohne sein Bücherregal voller Selbsthilfebücher hätte Ian keinen Schimmer, was er tun sollte. Und so richtig wusste er es, ehrlich gesagt, immer noch nicht.
Aber er versuchte es zumindest. Er gab sich Mühe, und er hatte genügend Bücher gelesen, um zu wissen, dass man Kinder bis zu vier Jahren mit dem Wort „Baby“ bezeichnen konnte.
Doch Marianne hob eine Augenbraue. „Ich will damit sagen, dass Ihre Tochter sich zurückentwickelt. Ehrlich gesagt ist das bei beiden der Fall. Gestern zum Beispiel hat Abby absichtlich einen Bauklotzturm umgestoßen, den ein anderes Kind gerade baute.“
„Und?“
„Und …“ Marianne stieß dramatisch den Atem aus. „… das andere Kind hat sich darüber ziemlich aufgeregt. Es gab Tränen.“
„Bei Ihnen klingt das, als wäre Abby ein kleiner Godzilla.“
Mariannes Augenbraue zuckte noch weiter nach oben. Wenn sie ihren Gesichtsausdruck nicht bald beherrschte, würde Ian die Geduld verlieren.
„Um auf Annie zurückzukommen …“, begann sie.
Zum Glück.
„Es scheint auch in ihrer Bewegungsfähigkeit einen Rückschritt zu geben.“
Ian blickte sie ausdruckslos an. Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach, aber er wünschte sich, sie würde schneller reden und zum Punkt kommen – wenn es denn einen gab.
Er hatte nicht damit gerechnet, zur Leiterin bestellt zu werden, als er bei der Kita ankam, um seine Töchter abzuholen. Er wollte einfach nur nach Hause und etwas Normales tun. Etwas, das nicht angstbesetzt war, wie zum Beispiel Chicken Nuggets in Dinosaurierform zum Abendbrot servieren. Oder seinen Mädchen dabei zusehen, wie sie auf ihren pinkfarbenen Dreirädern in der Sackgasse in ihrem ruhigen, naturnahen Viertel Kingdom Creek herumkurvten.
„Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, dass Abby nicht mehr läuft, sondern wieder krabbelt?“, sagte Marianne und brachte damit seine Aufmerksamkeit wieder zum Thema zurück.
„Wie bitte?“, fragte er. „Nein.“
Das war doch nicht möglich. Es wäre ihm doch aufgefallen, wenn eine seiner Töchter wieder krabbelte. Sicher, Annie liebte es, so zu tun, als wäre sie ein Hund, und auf allen vieren zu gehen, aber war das nicht ein natürliches Spielverhalten für Kleinkinder? Schließlich gab es keine Hunde, die sich auf ihren Hinterläufen fortbewegten. Das wäre ihm auch verstörend erschienen – viel verstörender als eine Dreieinhalbjährige, die in Babysprache redete und gerne Hund spielte.
Marianne ignorierte seinen Einwand. So langsam glaubte Ian, dass die Leiterin dieser Kita eine Agenda verfolgte, und er wollte lieber gar nicht wissen, welche.
„Ich verstehe, dass die Dinge zu Hause schwierig waren. Es ist ganz normal, dass die Zwillinge darauf reagieren, aber wenn es nicht bald besser wird, müssen wir uns möglicherweise über Alternativen Gedanken machen.“
Ian erstarrte. „Sie denken nicht wirklich darüber nach, uns die Plätze zu kündigen, oder?“
Hatte die Frau den Verstand verloren? Es ging um Dreijährige. Und selbst, wenn Abby den Turm absichtlich zerstört hatte, war das noch lange kein Grund, die Zwillinge der Kita zu verweisen.
„Nein. Wir denken, dass Abby in der Gruppe immer noch gut klarkommt, aber es wäre gut, wenn Sie für Annie einen Platz finden könnten, wo sie die fachlich fundierte, individuelle Hilfe bekommt, die sie benötigt.“
„Sie wollen die Mädchen trennen? Auf gar keinen Fall.“
Ian umklammerte die Lehnen seines Stuhls so fest, dass seine Knöchel weiß wurden.
Niemals. Abby und Annie hatten ihre Mutter verloren. Sie durften auf keinen Fall auch noch einander verlieren. Seine Zwillinge teilten alles. Sie würden niemals verstehen, warum sie in verschiedene Kitas gehen sollten.
Vermutlich drehte sich Serena gerade im Grab um. Ian hatte ihr auf dem Sterbebett versprochen, sein Bestes zu tun, um ihren Kindern eine glückliche Kindheit zu geben. Das hatte er geschworen. Und jetzt saß er hier, knapp ein Jahr nach Serenas Beerdigung, und war kurz davor, als Vater massiv zu scheitern.
Marianne verschränkte zierlich die Hände vor sich. Offenbar ließ Ians Ausbruch sie völlig kalt.
„Mr. Parsons, wir alle hier wollen nur das Beste für Annie, das versichere ich Ihnen.“
„Das Beste für sie ist es, sie nicht von ihrer Schwester zu trennen. Lieber nehme ich beide Mädchen aus dieser Kita.“
Ian stand auf. Dieses Gespräch führte zu nichts. Und wie um alles in der Welt sollte er das alles Elma erklären?
Seine Schwiegermutter meinte es gut, hatte aber wie die meisten Schwiegermütter sehr ausgeprägte Ansichten darüber, wie ihre Enkelinnen erzogen werden sollten. Seit Serenas Tod hatte sich das noch verstärkt. Wenn es nach ihr ginge, würden Annie und Abby an Wochentagen, wenn Ian arbeitete, bei ihr sein und im alten Kinderzimmer ihrer Mutter spielen. Serenas Kinderzimmer sah noch immer so aus wie damals, mit allen Rüschen und Spitzen. Nur das große Himmelbett hatte Elma durch zwei Einzelbetten für die Zwillinge ersetzt. Annie und Abbie fühlten sich dort wie zu Hause.
Für Ians Geschmack ein bisschen zu sehr. Er wusste, wie sehr Elma ihre Tochter vermisste, doch das gab ihr nicht das Recht, sie durch seine Töchter zu ersetzen. Es waren schließlich seine Kinder, und er wollte sie selbst großziehen. Serena hatte sich eine normale und glückliche Kindheit für sie gewünscht. Und glückliche, ausgeglichene Kinder hatten Freunde. Deshalb hatte Ian die beiden in der Kita angemeldet, wo sie mit anderen Kindern in ihrem Alter spielen konnten.
Ein wenig Abstand von seiner Schwiegermutter konnte dabei auch nicht schaden. Es war schwer, ein guter Vater zu sein, wenn er sich von Elma ständig beobachtet fühlte.
Umso schwerer wog das hier. Es war ernst. Wenn Elma erfuhr, dass Annie aus der Kita flog, war Ian geliefert.
„Mr. Parsons, bitte setzen Sie sich. Wir versuchen doch nur zu helfen.“
Wieder lächelte Marianne, doch ihre Augen verrieten etwas anderes. Sie strotzten vor Mitleid.
Ian schaute weg. Weder wollte noch brauchte er Mitleid – nicht für sich, und ganz bestimmt nicht für seine Töchter.
Sie waren kleine Kämpferinnen – stark, süß und widerstandsfähig. Waren sie perfekt? Natürlich nicht. Welches Kind war das schon? Aber er würde immer alles daransetzen, dass sie sie selbst sein konnten. Zur Hölle mit jedem, der damit ein Problem hatte.
Ian richtete den Blick wieder auf die Kita-Leiterin. „Vielen Dank für Ihre Sorge, aber Sie liegen völlig daneben. Mit Annie ist nichts verkehrt, was nicht durch ein wenig Geduld und Verständnis gelöst werden könnte. Aber vielleicht war es mein Fehler, das in dieser Kita zu erwarten.“
Damit drehte er sich auf dem Absatz um. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. Dieses Kapitel war für ihn abgeschlossen – und vielleicht auch für seine Mädchen.
Rachel Gray stand vor der Tür des Büros ihrer Chefin in der Spring Forest Kita und hielt eine Plastikwanne mit Buchstabenwürfeln an sich gedrückt, während sie überlegte, ob sie reingehen oder sich aus dem Staub machen sollte.
Als Rachel erfahren hatte, dass Marianne sie in ihrem Büro sehen wollte, hatte sie angenommen, dass es um ihre Arbeitspapiere ging. Das hatte sie so nervös gemacht, dass sie ganz vergessen hatte, die Spielsachen wegzustellen, die sie gerade aufgeräumt hatte, als sie gerufen worden war. Jetzt stand sie hier und hielt die Wanne mit Bauklötzen wie einen Schutzschild vor sich.
Aber vielleicht ging es gar nicht um ihre Bewerbung oder ihre Steuerkarte. Am Vormittag hatte Rachel erwähnt, dass Annie Parsons noch in sich gekehrter und stiller wirkte als sonst, und jetzt hatte Marianne offenbar gerade ein ernstes Gespräch mit dem Vater der Kleinen. Wollte sie, dass Rachel am Gespräch teilnahm, um sie zu unterstützen?
Nein, bestimmt nicht. Rachel wandte sich zum Gehen.
Sie arbeitete gerade mal zwei Wochen hier, und sie war nur eine Hilfskraft. Einem erregten Vater war sie gewiss nicht gewachsen. Schon bei dem Gedanken daran bekam sie Magenschmerzen.
Doch bevor Rachel sich verdrücken konnte, stürmte Ian Parsons aus Mariannes Büro und streifte dabei die Plastikwanne in Rachels Händen. Sie rutschte ihr weg und drehte sich in der Luft. Bauklötze verteilten sich in allen Richtungen. Eine Lawine von Buchstabenwürfeln.
„Ach du liebe Güte.“
Rachel hob erschrocken die Hände, während Ian Parsons knallrot wurde. „Es tut mir so leid.“
Sie ging in die Hocke und sammelte so viele Bauklötze ein, wie sie erreichen konnte. Warum musste ihr das Herz dabei nur bis zum Hals schlagen?
Er ist ein völlig Fremder. Du bist an einem öffentlichen Ort. Er kann dir nichts tun.
Ian ragte mit seinen eins fünfundachtzig wie ein Turm über ihr auf und strahlte pure Frustration aus.
„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“
Rachel schüttelte den Kopf. „Nein, schon gut. Es war meine Schuld.“
Doch er hockte schon neben ihr, hob Bausteine auf und warf sie in die Wanne. Rachel hätte das lieber allein erledigt. Hauptsache, er ging und ließ sie allein. Doch so viel Glück hatte sie offensichtlich nicht.
„Ich nehme an, Sie haben mitbekommen, was da drin vor sich ging“, sagte er und machte eine Kopfbewegung zu Mariannes Bürotür hin.
Rachel hörte, dass er nicht mehr so aufgebracht klang. Sie blickte auf und sah ihn an.
„Es war nicht meine Absicht zu lauschen.“ Sie schluckte schwer. Er hatte eine sehr ungewöhnliche Augenfarbe – hellbraun mit goldenen Sprenkeln. Warm, wie Bernstein oder Honig. Eigentlich war er ganz attraktiv, doch Rachel mochte die Ader nicht, die wegen seines Ärgers an seiner Stirn hervortrat.
„Vermutlich konnte man auch hier draußen alles deutlich verstehen.“ Einer seiner Mundwinkel hob sich ein wenig.
„Nun ja, Sie waren ziemlich …“ Rachel räusperte sich. „… leidenschaftlich.“
Das klang besser als abwehrend und entrüstet, oder?
Warum sie versuchte, die Tatsachen schönzureden, wusste Rachel selbst nicht. Sie mochte Menschen nicht, die sich aufspielten und die Stimme erhoben. Schon gar nicht, wenn es Männer waren.
Doch dann hielt Ian Parsons in seinen Bewegungen inne und starrte nur auf die Bausteine in seiner Hand. Zwei rote „A“s waren in die Steine eingraviert.
Annie und Abby.
Er schluckte, und Rachel folgte der Bewegung seiner Kehle mit dem Blick. So langsam schien der Kampfgeist ihn zu verlassen und es blieb etwas anderes zurück. Etwas, das unmittelbarer und verletzlicher wirkte.
Rachel bewegte sich leise und legte die aufgehobenen Bausteine sanft in die Wanne. Ian in diesem persönlichen Moment so nah zu sein, fühlte sich übergriffiger an, als durch die geschlossene Tür seinem Streit mit Marianne zuzuhören.
Nachdem alle Steine wieder in der Wanne lagen, wartete sie kurz und nahm ihm dann sanft die beiden A-Klötze aus der Hand. Aus irgendeinem lächerlichen Grund hatte sie dabei einen Kloß im Hals.
Ians Blick blieb an der Stelle hängen, wo ihre Fingerspitzen seine Haut gestreift hatten, und er runzelte ein wenig die Stirn. Dann blinzelte er, hob die Wanne mit den Bauklötzen hoch und stand auf.
Auch Rachel richtete sich auf und streckte die Hände aus. Er schien jedoch nicht vorzuhaben, ihr die Wanne zu überreichen.
„Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, sagte er.
„Ich bin neu.“ Sie verschränkte die Arme vor dem Bauch. Warum wusste sie nur nie, was sie mit ihren Händen anfangen sollte? „Ich heiße Rachel Gray. Ich habe vor zwei Wochen hier als pädagogische Hilfskraft in der Kita-Gruppe angefangen.“
„Kennen Sie meine Töchter?“ Er blickte sie so eindringlich an, dass ihr fast schwindelig wurde. „Abby und Annie Parsons? Sie sind in der Kita-Gruppe. Eineiige Zwillinge mit blonden Zöpfen, die meist schief sitzen.“
Rachel lächelte. „Ja, ich kenne Abby und Annie.“
„Und, was denken Sie?“
„Über die Zöpfe?“ Sie lachte leise auf. „Zu süß.“
Wieder deutete er ein Lächeln an. Wenn Rachel nicht gerade zufällig auf seinen Mund geschaut hätte, hätte sie es glatt übersehen.
Und warum schaute sie auf seinen Mund?
„Nein, nicht die Zöpfe. Wie denken Sie über ihr Verhalten? Sind Sie derselben Meinung wie die Leiterin?“
Seine plötzlich hochgezogenen Augenbrauen wirkten wie eine Herausforderung.
Herrje.
Rachel wollte sich auf keinen Fall in einen Streit einmischen, der mit ihr gar nichts zu tun hatte – zumal Ian gerade wutentbrannt aus Mariannes Büro gestürmt war und sie fast umgerannt hätte. Doch jetzt schien er sich ein wenig beruhigt zu haben. Als er die beiden A-Blöcke angestarrt hatte, hatte er eher traurig gewirkt.
Er fragte sie nach ihrer Meinung, mehr nicht. Was für eine Verhaltenstherapeutin für Kinder wäre sie, wenn sie nicht versuchen würde, ihm zu helfen? Natürlich wusste er nicht, dass sie eine Kindertherapeutin war, aber dennoch …
„Ehrlich gesagt verstehe ich, worauf Marianne hinauswill. Ich bin zwar nicht der Meinung, dass Annie der Gruppe verwiesen werden sollte, aber ich habe auch einen Rückschritt in ihrer Entwicklung beobachtet, der mir Sorgen macht.“ Sie stockte, um Atem zu holen. So winzig Ian Parsons’ Lächeln gewesen war, jetzt war es gänzlich verschwunden. „Das meiste davon scheinen Verhaltensweisen zur Selbstberuhigung zu sein, wie zum Beispiel das Vor- und Zurückschaukeln beim Vorlesen oder das Daumenlutschen. Einige Kinder gewöhnen sich das mit der Zeit selbst ab, aber andere nicht.“
„Und Sie denken, dass Annie zur zweiten Gruppe gehört“, sagte Ian barsch.
Rachel zwang sich, die Schultern durchzudrücken und ihn direkt anzublicken. „Das habe ich nicht gesagt.“
„Aber gedacht.“
Sie atmete tief durch. „Mr. Parsons, es spielt keine Rolle, was ich denke. Was zählt, ist nur, wie wir damit umgehen.“
Wir.
Rachel hatte „wir“ gesagt, als wären sie, ihre Chefin und dieser ungeduldige, aufgebrachte Mann eine Art Team – was sie eindeutig nicht waren. Und das war auch gut so. Sie war sich nicht sicher, ob sie zu einem Team gehören wollte, das auch Ian Parsons umfasste.
Aber sie machte sich Sorgen um seine Tochter, ob er das glaubte oder nicht. Also sprach sie weiter, selbst wenn sie das Gefühl hatte, plötzlich vor einer Mauer zu stehen.
Eine Mauer mit wunderschönen, gefühlvollen Augen und einer erstaunlich ausgeprägten Kinnlinie, aber eben eine Mauer.
Hör doch auf, an sein Aussehen zu denken. Sein athletischer Körperbau und sein Jähzorn sind das Problem seiner Frau, nicht deins.
„Es gibt Möglichkeiten, Annie zu helfen, ihr Schneckenhaus zu verlassen, und ihr Strategien an die Hand zu geben, mit den Dingen fertigzuwerden, die sie offenbar belasten und dieses Verhalten hervorrufen. Ich habe schon mit Kindern gearbeitet, die diese Art von Problemen hatten.“ Sie hob das Kinn. „Ich denke, ich kann helfen.“
Kühl und nicht besonders überzeugt blickte er sie an. „Ach ja?“
„Allerdings“ sagte sie und streckte erneut die Arme aus, um ihm die Plastikwanne abzunehmen. Und vielleicht ein wenig von der Last, die er entweder nicht tragen konnte oder wollte.
Er überreichte ihr die Wanne, ließ aber nicht durchblicken, ob er ihr Angebot ernst nahm.
Rachel hätte erleichtert sein müssen, doch stattdessen spürte sie unvernünftigerweise einen Anflug von Enttäuschung.
Was tat sie nur? Sie war nach Spring Forest gekommen, weil sie Ruhe und Frieden suchte. Ein nettes, normales Leben. Ein sicheres Leben. Zumindest zeitweise, bis sie wusste, wie es weitergehen sollte. Und jetzt war sie dabei, sich erneut in die Höhle eines Löwen zu begeben. Freiwillig.
Doch der Löwe hatte andere Ideen.
„Bei allem Respekt, ich denke, dass ich meine Töchter und ‚die Dinge, die sie offenbar belasten‘, besser kenne als sie“, stieß er hervor.
Er unterließ es, die Wörter, mit denen er sie nachäffte, in angedeutete Anführungszeichen zu setzen, aber das war auch nicht nötig. Sie hörte seine Verachtung auch so.
„Einen schönen Tag noch, Miss Gray“, sagte er und stapfte dann davon.
Und Rachel wünschte sich, sie könnte die Wanne mit den Bauklötzen noch einmal ausleeren – diesmal direkt über seinen störrischen Kopf.
Ians Fantasie, die Kinder mit ihren Dreirädern herumfahren zu lassen und ihnen dann Dinosaurier zum Abendessen zu servieren, löste sich in Luft auf, sobald er mit dem Minivan in die schattige Sackgasse des Kingdom Creek Circle einbog.
Auf der Einfahrt stand Elmas Auto, und sie saß nicht hinter dem Steuer. Was bedeutete, dass sie ihren Notfallschlüssel benutzt hatte, um sich ganz ohne Not selbst ins Haus zu lassen. Na toll.
Er parkte neben dem Wagen seiner Schwiegermutter, stellte den Motor ab und versuchte, dem Drang zu widerstehen, den Kopf wiederholt aufs Lenkrad zu knallen.
„Gammy hier“, sagte Abby, deutete auf Elmas Auto und trommelte mit den Füßen gegen den Vordersitz.
„Richtig. Ist das nicht schön?“ Ian blickte im Rückspiegel zu Annie. „Nicht wahr, Süße?“
Ihr Blick traf seinen, und sie lächelte leicht, aber sie sagte nichts.
Ians Herz war schwer, als er aus dem Auto stieg. Und gleichzeitig schalt er sich einen Idioten, weil das Geschwätz einer überreagierenden Kita-Leiterin ihm so zu schaffen machte. Würde das jetzt so bleiben? Würde er alles, was seine Töchter taten oder sagten, analysieren?
Nein. Ruckartig öffnete er die hintere Tür. Nein, das würde er nicht tun. Abby und Annie ging es gut, genau, wie er es Marianne und dieser neugierigen Hilfskraft Rachel Gray gesagt hatte.
„Gam-my, Gam-my“, sang Abby in einer süßen Singsang-Stimme, während er sie aus dem Kindersitz befreite. Wieder blickte er hoffnungsvoll zu Annie hinüber, doch sie stimmte nicht ein.
Schuldgefühle machten sich in ihm breit, als er Annie auf den Arm nahm und auf den Scheitel küsste.
„Schon gut, Kleines. Stille Wasser sind tief und so.“
Annie blickte aus ihren großen blauen Augen zu ihm auf und runzelte leicht die Stirn, während Abby zur Haustür vorauslief.
„Alles gut“, sagte er leise und drückte Annie an sich. „Es ist alles gut.“
Doch selbst er hörte den leicht zweifelnden Unterton in seiner Stimme, und er hasste sich dafür.
„Ich habe einen Thunfisch-Auflauf und zwei Sorten überbackene Nudeln gemacht.“
Elma begrüßte Ian mit ihren drei Gerichten, sobald er durch die Tür war. „Was wollt ihr heute essen? Die anderen beiden kann ich für die nächsten Tage in den Kühlschrank stellen.“
„Gammy!“ Abby umschlang eines von Elmas Beinen.
Elma strahlte. „Hallo, meine Süße. Ja, Gammy ist jetzt da.“
Ian setzte Annie ab, um die Schüsseln entgegenzunehmen und in die Küche zu bringen. Unwillkürlich nahm er wahr, dass Annies Begrüßung für ihre Großmutter weitaus weniger begeistert war.