Drake Diamonds - Geschwister, Diamanten und die große Liebe (3-teilige Serie) - Teri Wilson - E-Book

Drake Diamonds - Geschwister, Diamanten und die große Liebe (3-teilige Serie) E-Book

Teri Wilson

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Beschreibung

TANZ DER LIEBE FÜR DEN MILLIARDÄR
Tapfer wagt Ophelia einen Neuanfang als Designerin in Artem Drakes Schmuckimperium. Er ist von ihren Entwürfen begeistert und umwirbt sie sogar! Doch niemals darf er erfahren, welch grausames Schicksal sie gezwungen hat, ihre Karriere als gefeierte Ballerina aufzugeben …

PRINZESSIN - VERLIEBEN VERBOTEN
Einen Fremden heiraten? Niemals! Überstürzt flieht Prinzessin Aurélie nach New York. Hofjuwelier Dalton Drake soll ihr das normale Leben zeigen, nach dem sie sich so sehnt. Doch der attraktive Einzelgänger weckt in ihr noch ein ganz anderes Verlangen …

EIN DIAMANT IST ERST DER ANFANG
Das heiße Werbeplakat am Times Square beweist es deutlich: Zwischen Diana und dem argentinischen Polospieler Franco Andrade knistert es gewaltig! Steht etwa eine Verlobung der reichen Erbin mit dem Playboy an? Niemand ahnt etwas von dem geheimen Plan dahinter …

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Seitenzahl: 515

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Teri Wilson

Drake Diamonds - Geschwister, Diamanten und die große Liebe (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Tanz der Liebe für den Milliardär erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Teri Wilson Originaltitel: „His Ballerina Bride“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 66 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Patrick Hansen

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733716578

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Diamonds are a girl’s best friends. Jedenfalls wurde das behauptet. Ophelia fand allerdings nicht, dass Diamanten ihre besten Freundinnen waren. Absolut nicht.

Nicht dass sie etwas gegen Diamanten an sich hatte. Im Gegenteil, sie liebte sie. Erst vor zwei Monaten hatte sie mit Diamanten ihren College-Abschluss gemacht. In Edelsteinkunde, um genau zu sein. Jedes Schmuckstück, das sie für ihr Projekt entworfen hatte, enthielt einen Diamanten. Diese waren so etwas wie ihre Lieblingssteine. Deshalb hatte sie mit der Arbeit bei Drake Diamonds ihren Traumjob gefunden – nun, da sie ihr altes Leben endgültig hinter sich gelassen hatte.

Nun, da sie ganz von vorn hatte anfangen müssen.

Sie liebte Diamanten noch immer. Nur bestimmte Diamanten gingen ihr in letzter Zeit auf die Nerven. Genauer gesagt: Diamanten in Verlobungsringen. Der Stress, den die winzigen Steinchen ihr bereiteten, stellte ihren Status als beste Freundinnen infrage.

Ophelia setzte ein Lächeln auf und konzentrierte sich auf die glitzernden Juwelen in der Vitrine. Atme. Atme einfach tief durch.

„Das ist er. Prinzessinnenschliff. Er ist perfekt für dich …“ Der Mann, der Ophelia gegenübersaß, streifte einen 2.3-Karat-Solitär auf den Ringfinger der Frau neben ihm. „Prinzessin.“

„Oh, hör auf. Du bringst mich wieder zum Weinen“, sagte seine Verlobte, den Blick auf den Diamanten an ihrer Hand gerichtet. Prompt rann eine einzelne Träne über ihre Wange.

Ophelia schob ihr eine Schachtel mit nach Rosen duftenden Papiertüchern hin.

An einem normalen Arbeitstag verbrauchte ihre Kundschaft mindestens zwei Schachteln davon. Am Wochenende doppelt so viel, zusammen mit zahllosen Gläsern Champagner und Dutzenden Petits Fours, die aussahen wie die blauen Geschenketuis mit der weißen Schleife, die es bei Drake Diamonds gab. Denn bei Drake Diamonds einen Verlobungsring auszusuchen war seit 1830 ein luxuriöses Erlebnis.

Ihre aktuellen Kunden achteten nicht darauf. Ihre Gläser waren noch gefüllt, die Petits Fours unberührt. Ophelia war sich ziemlich sicher, dass die beiden nur einander verschlingen wollten.

Ihr wurde weh ums Herz.

Seit Ophelias Diagnose waren sechs Monate vergangen. Ein halbes Jahr, um sich mit dem Schicksal abzufinden und sich in ihrer neuen Realität einzurichten. Sie würde niemals das Mädchen mit dem Diamanten am Finger sein. Niemals die glückliche Braut. Multiple Sklerose war eine ernste chronische Erkrankung, die jeden Aspekt ihrer Existenz veränderte. Es war schwer genug gewesen, dieses Schicksal für sich anzunehmen. Und sie würde nicht zulassen, dass es auch noch das Leben eines anderen auf den Kopf stellte. Wenigstens das konnte sie verhindern.

Es gab wenige Dinge, die sie in ihrem neuen Dasein unter Kontrolle hatte. Aber ihr Status als Single gehörte dazu. Sie hatte reichlich damit zu tun, Geld zu verdienen, im Tierheim auszuhelfen und so gesund wie möglich zu bleiben. Und mit dem fertig zu werden, was sie hinter sich gelassen hatte.

Trotzdem.

Jeden Tag daran erinnert zu werden, was sie nie bekommen würde, kostete Kraft.

„Kaum zu glauben. Er passt perfekt.“ Sie strahlte das junge Paar an und musste schlucken. „Soll ich ihn für Sie einpacken?“

„Ja, bitte.“ Der Mann ließ seine Freundin nicht aus den Augen. „In eines der edlen blauen Etuis?“

Ophelia nickte. „Natürlich. Es ist mir ein Vergnügen.“

Sie nahm den Ring und die Petits Fours – von denen die Braut behauptete, dass sie sich nicht mit ihrer Hochzeitsdiät vereinbaren ließen – und brachte sie nach hinten, um sie einpacken zu lassen. Dann ging sie in die Küche und warf die Süßigkeiten weg.

Sie blieb am Tresen stehen und starrte auf die endlosen Reihen von Silbertellern und Champagnergläsern. Sobald ihre jetzigen Kunden gegangen waren, würde sie die nächsten zwei Petits Fours ausgeben. Und die nächsten zwei Champagnergläser. An ein bis über beide Ohren verliebtes Paar.

Ich kann so nicht weitermachen.

Das hier war nicht geplant gewesen. Sie hatte als Schmuckdesignerin arbeiten und die edlen Stücke in den Vitrinen entwerfen und anfertigen wollen. Verliebte Paare zu betreuen war nicht der Plan gewesen.

Aber sie wusste, dass sie dankbar sein sollte. Irgendwo musste sie schließlich anfangen, und beim Verkaufspersonal war der Job im zehnten Stock bei den Verlobungsringen am begehrtesten. Sie musste sich Zeit lassen. Irgendwann würde sie der Geschäftsleitung zeigen, was sie konnte, und sich zum Schmuckdesign versetzen lassen.

Einen Tag nach dem anderen. Ich schaffe es.

Sie musste nur noch eine Weile durchhalten. Aber vielleicht wären all die glücklich verlobten Paare mit einem kleinen Kuchen im Bauch leichter zu ertragen.

Warum nicht? Niemand sah sie. Alle anderen waren im Verkaufsraum.

Ophelia war keine Rebellin. Sie hatte noch nie gegen irgendwelche Regeln verstoßen. Und was hatte es ihr eingebracht, dass sie immer ein braves Mädchen gewesen war? Das Leben war ungerecht. Das hätte sie längst lernen müssen.

Sie schloss die Augen und biss in ein Petit Four. Als es im Mund schmolz, dachte sie an die heilenden Kräfte des Zuckers und der Glasur. Ein Kuchen war vielleicht nicht das Beste für ihren Körper, aber er tat ihrer geschundenen Seele gut.

Endlich hatte sie etwas Positives daran gefunden, keine professionelle Balletttänzerin mehr zu sein: Kuchen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt etwas Süßes gegessen hatte. Nicht einmal an ihrem Geburtstag.

„Mein Gott, wo bist du mein ganzes Leben gewesen?“, flüsterte sie.

„Entschuldigen Sie meine Verspätung“, erwiderte eine sinnliche Männerstimme.

O Gott.

Ophelia riss die Augen auf.

Zu ihrem Entsetzen war die amüsierte Antwort nicht von dem Kuchen gekommen, sondern von ihrem Chef. Artem Drake höchstpersönlich. Ein Playboy im Smoking.

„Mr. Drake.“

Was tat er hier? Niemand hatte ihn zu Gesicht bekommen, seit er Drake Diamonds von seinem Vater geerbt hatte. Es sei denn, die Fotos in Page Six zählten.

Du meine Güte. In Wirklichkeit war er tausendmal aufregender als im Internet. Wie war das möglich?

Ophelia betrachtete das kantige Kinn, den wissenden Blick aus den dunklen Augen und die Andeutung eines Grübchens an der linken Wange. Ihre Knie wurden weich. Sein Smoking saß tadellos. Aber es war sein Gesichtsausdruck, der ihr unter die Haut ging. Wie die Katze, die die Sahne entdeckt hatte.

Der Mann war die personifizierte Dekadenz.

Sie schluckte. Mühsam. „Es ist nicht so, wie es aussieht.“

Sie durfte sich nicht dabei erwischen lassen, wie sie ein Petit Four aß. Die waren für Kunden, nicht für Mitarbeiter. Sie ließ den Kuchen fallen wie eine heiße Kartoffel. Er landete zwischen ihnen auf dem Fußboden, und ein Krümel hüpfte auf einen von Artems auf Hochglanz polierten Schuhen.

Was um alles auf der Welt fiel ihr ein?

Er schaute nach unten und zog eine Augenbraue hoch. In Ophelias Bauch stiegen Schmetterlinge auf. Toll. Sie hatte sich schon zur Idiotin gemacht, und jetzt brachte sie eine einzelne Braue aus der Fassung. Die Augenbraue ihres Chefs.

„Oh, gut“, sagte er und klang, als würde er ein Lachen unterdrücken. „Danke, dass Sie das aufgeklärt haben. Ich dachte schon, ich hätte eine meiner Angestellten dabei ertappt, wie sie eine der speziell für uns angefertigten, fünfzehn Dollar teuren Süßigkeiten isst, die wir unseren Kunden servieren.“

Die Petits Fours kosteten fünfzehn Dollar pro Stück? Wahnsinn, selbst für Drake Diamonds. Sie waren lecker, aber nicht so lecker.

Ophelia warf einen Blick auf den Kuchen zu ihren Füßen, und ihr Magen knurrte. Okay, vielleicht waren sie doch ihr Geld wert. „Ich …“

„Und? Was wollen Sie mir jetzt erzählen? Sind Sie eine weggelaufene Verlobte, die sich in meiner Küche versteckt?“ Er schaute wieder nach unten. „Haben Sie kalte Füße bekommen? Hübsche, kalte Füße?“

„Eine Verlobte? Ich? Nein, ganz bestimmt nicht.“ Früher einmal, ja. Aber wie so viele Dinge hatte auch das sich geändert. „Ich meine, nein. Einfach … nein.“

Halt den Mund. Sie machte es nur noch schlimmer, aber irgendwie schien sie nicht mehr klar denken zu können.

Hübsche, kalte Füße …

„Sie arbeiten also für mich?“ Er verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Theke, das perfekte Abbild eleganter Lässigkeit.

Wieso trug er um zehn Uhr vormittags einen Smoking? Noch dazu an einem Werktag? War das bei Milliardären so üblich?

Wahrscheinlich.

Sie dachte an die zahllosen Fotos, auf denen junge, hübsche Frauen an seinem Arm gelehnt hatten. Manchmal zwei oder drei gleichzeitig.

„Ja.“ Das Heiratswort. Ihr wurde heiß. Sie räusperte sich. „Ich bin in der Abteilung für Verlobungsringe.“

Sein Mundwinkel zuckte. Das fand er also komisch. „Und Sie heißen?“

„Ophelia.“ Sie zögerte. „Ophelia Rose.“ Wenigstens hatte sie ihm ihren richtigen Nachnamen genannt, nicht den Künstlernamen, den sie die letzten acht Jahre benutzt hatte. Sich nicht mehr Ophelia Baronova zu nennen war ihr am schwersten gefallen. Als würde sie damit diese Person auslöschen.

Sie existiert nicht mehr.

Ophelia biss sich auf die Lippe. „Dann bin ich Ihr Chef“, sagte Artem Drake.

Die Situation wurde immer eigenartiger.

„Kommen Sie, Ophelia Rose. Schauen Sie nicht so traurig drein. Ich werde Sie nicht feuern, weil Sie einer Versuchung nachgegeben haben.“ Er lächelte.

Zweifellos kannte er sich mit Versuchungen aus. Wie konnte ein Mann so unglaublich sexy aussehen?

„Gut.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. Auf die Idee, dass er sie feuern könnte, war sie gar nicht gekommen. Es fiel ihr einfach nur schwer, Artem ernst zu nehmen, denn seit sie hier arbeitete, hatte sie ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Wenn er glaubte, dass sie Angst vor ihm hatte, dann war das eben so. Ihr war das recht. Sie hatte nicht vor, ihren Arbeitgeber in ihre kaputte Seele blicken zu lassen.

Ihr Arbeitgeber …

Wann würde sich ihr wieder die Gelegenheit bieten, unter vier Augen mit Artem Drake zu reden? Wahrscheinlich nie. Sie würde so schnell nicht wieder in die Küche gehen. Sie musste diese Chance nutzen. Wenn nicht, würde sie es bereuen, sobald sie im Verkaufsraum vor dem nächsten Verlobungspaar stand.

Jetzt oder nie.

Aber vielleicht sollte sie erst den Kuchen aufsammeln.

Artem Drake konnte noch nicht fassen, dass die wunderschöne Frau, die gerade vor ihm auf die Knie fiel, für ihn arbeitete. Irgendwie erschien es ihm noch immer geradezu lachhaft, dass jemand in dieser ehrwürdigen Institution an der Fifth Avenue sich vor ihm rechtfertigen musste.

Zugegeben, sein Name stand an der Vorderfront des Gebäudes. Und auf den Geschenktüten. Und den legendären blauen Etuis. Aber mit der Leitung des Geschäfts hatte er nie viel zu tun gehabt. Darum hatte sein Vater sich gekümmert. Und jetzt, wo sein Vater nicht mehr da war, sollte die Verantwortung eigentlich auf den Schultern seines älteren Bruders lasten. Dalton verbrachte hier so viel Zeit, dass er ein Klappsofa in seinem Büro hatte. Verdammt. Artem hatte nicht mal ein Büro.

Oder eine Vorstellung davon, wie viel diese albernen kleinen Kuchen kosteten. Er hatte sich einfach einen Preis ausgedacht. Und diese hübsche junge Frau fast zum Weinen gebracht. Vielleicht war er doch dazu bestimmt, den Laden zu führen. Sein Vater hatte es geliebt, Menschen zum Weinen zu bringen.

Die Frau vor ihm hatte etwas Zartes an sich. Etwas unglaublich Anmutiges. Ihr Hals war wie geschaffen für Diamanten.

„Stehen Sie auf“, sagte Artem strenger, als er beabsichtigt hatte. Aber wenn sie weiter vor ihm kniete, würde er gleich jede Professionalität verlieren.

Sie wischte die letzten Krümel mit einer Serviette auf und erhob sich so grazil, dass die Luft um sie herum zu tanzen schien. „Ja, Sir.“

Das Sir gefiel ihm. Aber er hatte hier andere Dinge zu tun und sollte schleunigst wieder verschwinden. Er stieß sich von der Theke ab und zupfte an seinen Ärmeln. Seit dem Gala-Sinfoniekonzert gestern Abend vermisste er einen seiner Manschettenknöpfe. Vielleicht würde er sich auf dem Weg nach draußen ein neues Paar besorgen. Nachdem er bei seinem Bruder kapituliert hatte.

Er räusperte sich. „Das hier war sehr interessant, aber jetzt habe ich etwas zu erledigen. Und bestimmt müssen Sie auch wieder an die Arbeit.“

Konnte man noch lächerlicher klingen? Ich habe etwas zu erledigen. Und bestimmt müssen Sie auch wieder an die Arbeit. So etwas hatte er noch nie im Leben von sich gegeben. Dalton dagegen tat es dauernd. Vermutlich redete er so auch mit seinen Freundinnen.

„Warten sie“, platzte Ophelia heraus, als er zur Tür ging. „Bitte, Mr. Drake. Sir.“

Er drehte sich um. „Ja, Miss Rose?“

„Ich hätte gern einen Termin bei Ihnen. Sobald es Ihnen passt, natürlich.“ Sie hob das Kinn, und ihr Hals schien länger zu werden.

Du meine Güte, dieser Hals. Artem ließ seinen Blick an ihm hinabwandern, bis zum zarten Grübchen darunter. Genau dort, auf der makellosen Porzellanhaut, würde ein Diamant perfekt aussehen. Artem hatte noch nie einen so schönen Teint gesehen. Sie sah fast aus, als hätte sie noch nie einen Fuß vor die Tür gesetzt. Als wäre sie aus dem reinsten, hellsten Marmor. Als gehörte sie nicht hierher, sondern in ein Museum. Was um Himmels willen hatte sie hinter einem Verkaufstresen in einem Juweliergeschäft verloren?

Er sah ihr wieder ins Gesicht, und ihre Wangen verfärbten sich. „Einen Termin? Bei mir?“

Es hatte schon schlimmere Ideen gegeben.

„Ja. Einen geschäftlichen Termin. Ich habe ein paar Entwürfe, die ich Ihnen zeigen möchte. Ich weiß, im Moment arbeite ich im Verkauf, aber ich bin ausgebildete Edelsteinkundlerin.“

Artem wusste nicht, warum er das so überraschend fand. Dabei schafften es nur wenige Menschen, ihn zu überraschen. Er wünschte, es käme häufiger vor. Ophelia Rose erschien ihm von Minute zu Minute rätselhafter.

Außerdem war sie seine Angestellte, jedenfalls für die nächsten zehn Minuten oder so. Ihr Hals hatte ihn nicht zu interessieren. Oder die sanften Hügel ihrer Brüste unter dem altmodischen elfenbeinfarbenen Oberteil ihres Kleids. Oder wie sich ihr kleiner Po an seinen Handflächen anfühlen würde. An all das durfte er auf keinen Fall denken.

„Edelsteinkundlerin? Wirklich?“, fragte er, den Blick auf ihrem Gesicht. Um Himmels willen, für seine Selbstbeherrschung hatte er einen Orden verdient.

Sie nickte. „Ich habe einen Abschluss an der New York School of Design gemacht. Mit Auszeichnung.“

„Oh, dann muss ich Ihnen gratulieren. Sie hätten vielleicht sogar eine Feier verdient.“ Er konnte nicht anders. „Mit Kuchen.“

Sie errötete noch mehr. „Ehrlich gesagt, ich hätte lieber den Termin. Nur eine halbe Stunde, um Ihnen meine Entwürfe zu zeigen. Mehr brauche ich nicht.“

Sie war hartnäckig, das musste er ihr lassen. Hartnäckig und sehr ernst.

Und mutig. Schließlich hatte er sie gerade dabei erwischt, wie sie sich einen Kuchen in den Mund schob. Kuchen, der für Liebespaare vorgesehen war, die tausend Dollar für einen Drake-Diamanten ausgaben. Und sexy war sie auch noch.

Artem fragte sich, wie viel sie verdiente. Er hatte keine Ahnung. „Es tut mir leid, aber das geht nicht.“

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, und ihr Duft stieg ihm in die Nase. Warm und süß. Vanille vielleicht. Sie duftete wie ein Dessert, was ihm irgendwie ganz natürlich vorkam. „Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?“

Er zuckte mit den Schultern. „Beides, nehme ich an.“

Sie öffnete den hübschen Mund, um zu protestieren, und er hob eine Hand. „Miss Rose, bevor Sie noch mehr Ihrer wertvollen Zeit verschwenden, sollten Sie etwas wissen: Ich trete als Vorstandsvorsitzender zurück.“

Sie schwieg einen Herzschlag lang, und er fragte sich, warum er einer Wildfremden seine Pläne verriet, bevor er sie mit seinem Bruder besprach. Vermutlich lag es daran, dass er gestern Abend zu viel getrunken hatte. Oder an dem traurigen, gehetzten Ausdruck in Ophelias blauen Augen. Augen in der Farbe von Kaschmir-Saphiren.

Er durfte sie nicht glauben lassen, dass er etwas für sie tun konnte. Nicht, wenn er sie nie wiedersehen würde.

„Zurücktreten?“ Sie runzelte die Stirn. „Das können Sie nicht. Das hier ist Drake Diamonds, und Sie sind ein Drake.“

Nicht der richtige Drake. „Ich verlasse die Firma, nicht die Familie.“ Obwohl er eigentlich nie dazugehört hatte. Nicht so wie Dalton. Oder ihre Schwester Diana.

„Aber Ihr Vater hat Ihnen das Kommando übergeben.“ Ihre Stimme klang so zart wie eine Feder. Ja, genau daran erinnerte sie ihn. An einen Vogel. Einen Schwan. Ein wunderschöner, strahlend weißer Schwan. „Und danach müssen Sie handeln.“

Er schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, wovon er sprach, und er hatte nicht vor, es ihr zu erklären. Er hatte bereits zu viel gesagt. Außerdem ging es sie nichts an. „Ich versichere Ihnen, es ist besser so. Und vertraulich.“

„Oh, ich erzähle es nicht weiter.“

„Ich weiß.“ Er zeigte auf das Petit Four, das sie vom Fußboden gekratzt hatte. „Sie bewahren mein Geheimnis, und ich Ihres. Klingt das fair, Prinzessin?“

Seine Neuigkeit würde ohnehin nicht lange geheim bleiben. Daltons Büro war nur ein paar Schritte entfernt. Hätte Artem nicht Ophelias sinnliche Ode an den Kuchen gehört und einen kurzen Umweg gemacht, wäre die Entscheidung längst gefallen.

Vielleicht sollte er sich mit ihr verabreden. Vielleicht sollte er seinem Bruder von ihr erzählen. Ich trete zurück. Und bevor ich es vergesse, eine unserer Verkäuferinnen möchte unsere nächste Kollektion entwerfen …

Besser nicht.

„Na gut. Es war nett, Sie kennenzulernen, Mr. Drake.“ Sie gab ihm ihre freie Hand, und er schüttelte sie. „Und mein herzlichstes Beileid.“

Die letzten Worte sprach sie leise und atemlos aus, und Artem ahnte, dass Ophelia Rose mit den traurigen Saphir-Augen selbst einen Verlust erlitten hatte.

„Danke.“ Ihre Hand fühlte sich in seiner klein an. Klein und unglaublich zart.

Dann zog sie die Hand zurück und straffte die Schultern. „Eins noch, Mr. Drake.“

Er unterdrückte ein Lächeln. „Ja?“

„Nennen Sie mich nicht Prinzessin.“

2. KAPITEL

„Also wirklich, Artem.“ Dalton warf einen abschätzigen Blick auf Artems offenen Kragen und die gelöste Fliege. „Dein Penthouse liegt keine drei Blocks entfernt. Ist es zu viel verlangt, dass du nach Hause gehst und dich umziehst, bevor du zur Arbeit kommst?“

Artem zuckte mit den Schultern und ließ sich in einen der antiken Sessel vor Daltons Schreibtisch fallen. „Lass es gut sein. Ich bin hier, oder?“

Körperlich jedenfalls. Seine Gedanken – und seine Libido – waren noch immer bei der rätselhaften Miss Rose in der Küche.

„Endlich. Es ist zwei Monate her, dass unser Dad gestorben ist. Welcher Tatsache verdanken wir die Ehre deiner Anwesenheit?“ Dalton drehte seinen edlen Füllfederhalter zwischen den Fingern. Mit so einem hatte auch ihr Vater immer geschrieben. Vielleicht war es sogar derselbe. Es wäre ein passendes Vermächtnis.

Jedenfalls passender, als Artem dieses Geschäft zu hinterlassen, in dem er bisher nur Schecks ausgegeben und an Wohltätigkeitsgalas teilgenommen hatte. Die einzige Drake, die in diesem Gebäude weniger Zeit verbrachte als er, war ihre Schwester Diana. Sie trainierte gerade mit ihrem Pferd, das natürlich Diamond hieß, für die Teilnahme an den Olympischen Spielen.

Artem kniff die Augen zusammen. „Ich war beschäftigt.“

„Beschäftigt“, wiederholte Dalton verächtlich. „Richtig. Ich glaube, ich habe in Page Six etwas darüber gelesen.“

„Und ich dachte, du liest nur die Wirtschaftsseiten. Erzähl mir nicht, dass du dich dazu herablässt, die Klatschpresse zu lesen.“

„Das muss ich doch, oder? Woher soll ich sonst wissen, was du gerade treibst?“ Daltons Lächeln wirkte angespannt.

Hinter Artems Schläfen begann es dumpf zu pochen, und ihm wurde bewusst, warum er dieses Treffen so lange hinausgeschoben hatte. Dalton und er hatten sich nie nahegestanden, aber wenigstens waren sie herzlich miteinander umgegangen, solange ihr Vater gelebt hatte. Das war jetzt offenbar vorbei.

Eigentlich konnte er Dalton verstehen. Sein älterer Bruder hatte bestimmt gehofft, die Firma zu übernehmen. Jeder hatte damit gerechnet.

Aber Dalton tat ihm nicht leid, schließlich bekam er genau das, was er wollte. Außerdem wollte Artem sich nicht die gute Laune verderben lassen. Er hatte einen angenehmen Gala-Abend hinter sich, der zu einem sexuell noch angenehmeren Morgen geführt hatte.

Seltsamerweise war es die unerwartete Begegnung mit Ophelia Rose, die diesen Tag perfekt machte. Er fand sie interessant. Und attraktiv. Sie hätte es ihm erträglich gemacht, jeden Tag zur Arbeit zu gehen, wenn er es vorgehabt hätte. Aber das hatte er nicht.

„Findest du nicht, dass es gute PR ist, den Namen Drake in den Zeitungen zu lesen?“, fragte Artem unbekümmert.

„PR? So nennt man das heutzutage?“ Dalton verdrehte die Augen.

Artem musste sich beherrschen, um nicht darauf hinzuweisen, wie dringend sein Bruder Sex brauchte. „Ich bin nicht hier, um über mein Privatleben zu diskutieren, Dalton. Auch wenn du es nicht glaubst, ich möchte mit dir übers Geschäft reden.“

Dalton nickte. Langsam. „Das freut mich zu hören. Sehr sogar.“

Er würde sich noch mehr freuen, wenn er wusste, weshalb Artem gekommen war. Genau wie Artem selbst. Er hatte nicht das Bedürfnis, solche Gespräche täglich zu führen. Er war ein erwachsener Mann. Ihm war egal, was sein Bruder von seinem Lebensstil hielt. Und auf keinen Fall wollte er an einem Ort arbeiten, an dem er zu Lebzeiten seines Vaters nie willkommen gewesen war.

Von den Anwälten wusste er, dass sein Vater das Testament weniger als eine Woche vor seinem Tod geändert hatte. Und zwar nicht, weil er senil gewesen war. Nein, sein Vater war viel zu stur gewesen, um den Verstand zu verlieren. Gerissen. Eiskalt. Bis zu dem Tag, an dem er gestorben war.

„Hör zu“, begann Artem. „Ich weiß nicht, warum Dad mich zu seinem Nachfolger gemacht hat. Es ist mir ebenso schleierhaft wie dir.“

„Lass es.“ Dalton schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle mehr. Es ist so, wie es ist. Du bist hier. Das ist ein Anfang. Ich habe Dads Büro ausräumen lassen. Es gehört jetzt dir.“

Artem erstarrte. „Was?“

Dalton hob eine Schulter. „Wo willst du sonst arbeiten?“

Darauf hatte Artem keine Antwort.

„Du wirst ein paar Tage brauchen, um dich hier zurechtzufinden. Aber es gibt eine Angelegenheit, die nicht warten kann. Wenn du bis zum Wochenende nicht aufgetaucht wärst, hätte ich deine Tür im Plaza eingetreten, um mit dir zu sprechen.“

Was immer das für eine Angelegenheit war, Artem wollte nichts davon hören. Wozu auch? Es war nicht sein Problem. Die Vorstellung, dass er die Firma leitete, war lächerlich.

„Vor dem Herzinfarkt …“ Daltons Stimme verlor etwas von ihrer Schärfe.

Die Verwandlung war fast unmerklich, aber Artem entging sie nicht. Eigentlich hatte er mit mehr Enttäuschung gerechnet. Schließlich war Dalton das Juwel in der Krone ihres Vaters gewesen. Ein richtiger Sohn. Artem dagegen war während seiner ersten fünf Lebensjahre ein Fremder für die Drakes gewesen.

„… hat Dad in eine neue Mine in Australien investiert. Ich habe es erst letzte Woche erfahren.“ Dalton sah ihn erwartungsvoll an.

Artem lachte. „Du glaubst doch nicht etwa, dass er mir davon erzählt hat.“

Sein Bruder seufzte. „Wahrscheinlich nicht, obwohl ich wünschte, er hätte es getan. Ich wünschte, jemand hätte ihn davon abgehalten. Aber egal, es ist nun mal passiert. Die Mine war ein Reinfall. Sie ist wertlos, und jetzt steht die Firma am Rande eines Bankrotts.“

„Bankrott? Wie viel Geld hat er für die Mine ausgegeben?“

Dalton ließ sich mit der Antwort Zeit. Er atmete tief durch. „Drei Milliarden.“

„Drei Milliarden Dollar.“ Artem blinzelte. Das war eine Menge Geld. Eine astronomische Summe, selbst für jemanden, der im achten Stock des Plaza wohnte und seine eigene Boeing flog, allerdings mehr zum Vergnügen als geschäftlich. „Die Firma ist Milliarden wert, wenn nicht Billionen.“

„Ja, aber wir haben das Geld nicht flüssig. Mit dem Verlust aus der Mine haben wir ein Defizit in Höhe von fünfundzwanzig Millionen Dollar. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.“

Wir. Seit wann gehörte er zu den Drakes?

Eigentlich sollte er aufstehen und Daltons Büro verlassen. Er war den Drakes nichts schuldig.

Aus irgendeinem Grund blieb er sitzen. „Was ist mit dem Diamanten?“

„Dem Diamanten? Dem Drake-Diamanten?“ Dalton schüttelte den Kopf. „Ich werde so tun, als hätte ich das nicht gehört. Ich weiß, du bist kein sentimentaler Mensch, aber selbst du schlägst doch wohl nicht vor, dass wir den Drake-Diamanten verkaufen.“

Doch, das tat er. „Es ist ein Stein, Dalton. Ein hübscher Stein, aber eben nur ein Stein.“

Dalton schüttelte so heftig den Kopf, dass Artem Angst um seine Nackenwirbel hatte. „Es ist ein Stück Geschichte. Unser Familienname gründet auf dem Stein.“

Unser Familienname. Klar.

Artem räusperte sich. „Wie viel ist er wert?“

„Das spielt keine Rolle, denn wir verkaufen ihn nicht.“

„Wie viel, Dalton? Als dein Vorgesetzter verlange ich eine Antwort.“ Es war ein Tiefschlag, und Artem wollte sich nicht darüber freuen, dass er Dalton gegenüber den Chef herauskehrte, aber er tat es. Und wenn schon.

„Fünfzig Millionen Dollar“, sagte Dalton. „Aber ich wiederhole, er ist nicht zu verkaufen und wird es nie sein.“

Nie.

Seit er bei den Drakes „willkommen“ geheißen worden war, hatte er eines gelernt – nie war ein starkes Wort. „Das ist nicht deine Entscheidung, oder?“

Kurz entschlossen schaute Ophelia auf dem Heimweg im Tierheim vorbei. Obwohl sie in dieser Woche schon dreimal dort ausgeholfen hatte. Vielleicht sogar viermal. Sie hatte den Überblick verloren.

Aber sie konnte noch nicht nach Hause fahren. Nicht nach diesem Tag. Mit all den glücklich verlobten Paaren umzugehen war schlimm genug, aber sie gewöhnte sich langsam daran. Was blieb ihr auch anderes übrig? Aber die unerwartete Begegnung mit Artem Drake hatte sie komplett aus der Bahn geworfen.

Es war nicht nur die Peinlichkeit, dass sie dabei erwischt worden war, wie sie einen Fünfzehn-Dollar-Kuchen aß. Es war der Mann selbst. Artem.

Mr. Drake. Nicht Artem. Er ist dein Chef, nicht dein Freund. Oder sonst irgendetwas.

Eigentlich war er nicht mal mehr ihr Chef. Zum Glück. Sie hatte nicht gerade einen großartigen ersten Eindruck auf ihn gemacht. Jetzt konnte sie bei seinem Nachfolger von vorn anfangen. Also gab es keinen logischen Grund für die Enttäuschung, die seine Rücktrittspläne bei ihr ausgelöst hatten. Überhaupt keinen.

Es gab auch keinen logischen Grund dafür, dass sie den ganzen Nachmittag nach ihm Ausschau gehalten hatte. Oder dafür, dass ihr Herz schneller schlug, als sie nach Schichtende hinter der sich schließenden Fahrstuhltür ein Bein im Smoking sah. Zumal es gar nicht Artem war.

Was war bloß los mit ihr? Artem war nicht er erste attraktive Mann, dem sie begegnet war. Aber er sah nicht nur gut aus, er war auch charmant.

Zu charmant. Gefährlich charmant.

Ophelia hatte sich in seiner Nähe ungewöhnlich verletzlich gefühlt. Ausgeliefert. Und ihr war schmerzhaft bewusst gewesen, was sie alles nie haben würde.

Sie konnte nicht nach Hause in das Apartment fahren, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Sie wollte nicht noch einen Abend damit verbringen, die Sachen ihrer Großmutter durchzugehen – die körnigen Schwarz-Weiß-Fotos, die zertanzten Spitzenschuhe. Ihre Großmutter war seit Ophelias zweitem Lebensjahr und nach dem Tod ihrer Eltern ihre einzige Angehörige gewesen. Natalia Baronova war mehr als eine Großmutter gewesen. Sie war Ophelias Welt gewesen. Ihre Mutterfigur, ihre beste Freundin und ihre Ballettlehrerin.

Sie war eine Woche vor Ophelias Diagnose verstorben. Sosehr Ophelia in jenen dunklen Tagen jemanden gebraucht hätte, auf den sie sich stützen konnte, sie war froh gewesen, dass die große Natalia Baronova, Primaballerina des Ballet Russe de Monte Carlo in den 1940ern und 1950ern, nicht mehr erfahren hatte, dass ihre geliebte Enkelin nie wieder tanzen würde.

„Ophelia?“ Beth, die Tierheimleiterin, schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Seiten, als Ophelia ihren Mantel aufhängte. „Schon wieder? Du stehst nicht auf der Liste für heute.“

„Ich dachte mir, ihr könntet zwei zusätzliche Hände gebrauchen.“ Ophelia blätterte im Notizbuch mit den Fütterungsplänen.

„Natürlich können wir das, aber an einem Freitagabend hast du doch bestimmt etwas anderes vor.“

Nein, nichts. „Du weißt doch, wie gern ich bei den Tieren bin.“ Außerdem kümmerte sich das Heim gerade um acht drei Wochen alte Kätzchen, die alle drei Stunden mit der Flasche gefüttert werden mussten. Das ehrenamtliche Personal kam kaum hinterher, zumal Schnee gefallen war und mancher lieber zu Hause blieb.

Beth nickte. „Ich weiß, Liebes. Aber sei vorsichtig. Es wäre schrecklich, wenn du dein hübsches Kleid ruinierst.“

Das Kleid hatte Ophelias Großmutter gehört. Außer unzähligen Erinnerungstücken hatte sie ihre komplette Ballettgarderobe hinterlassen. Wie das Apartment war das ein Geschenk des Himmels. Als Tänzerin hatte Ophelia praktisch in Trikots und Strumpfhosen gelebt. Meistens war sie darin auch zur Hochschule gegangen, weil sie meistens von der Probe zur New York School of Design gefahren war. Aber bei Drake Diamonds konnte sie schlecht in Kapuzenpullover, pinkfarbenen Leggings und Stulpen auftauchen.

Sie konnte auch nicht einfach losgehen und sich neue Sachen für die Arbeit kaufen. Angesichts der Studienkredite, die sie zurückzahlen musste, und der Kosten für die vierzehntägigen Injektionen gegen ihre MS musste sie mit jedem Cent rechnen. Hinzu kamen die Krankenhausrechnungen von dem ersten, schlimmen Anfall, bevor sie überhaupt gewusst hatte, warum die Sehkraft des linken Auges nachließ und ihre Finger ab und zu taub wurden. Manchmal war sie nach der Probe so erschöpft, dass sie das Gefühl hatte, durch Wackelpudding zu laufen. Sie hatte es auf den Stress zurückgeführt, den die Krankheit ihrer Großmutter mit sich brachte. Und auf die anstrengende Solorolle, die sie in Giselle tanzen sollte. Aber meistens ignorierte sie die Symptome einfach, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass sie ernsthaft krank war.

Eines Abends war sie bei einer Pirouette gestürzt, auf der Bühne, mitten während der Aufführung. Sie hatte einfach aufstehen wollen, es aber nicht gekonnt.

Und jetzt würde sie nie wieder tanzen.

Manchmal, wenn sie unbeobachtet war, streckte Ophelia das Bein und bewegte es, als würde sie ein Rond de jambe ausführen. Dann schloss sie die Augen und hörte das dumpfe Geräusch, mit dem sie auf den hölzernen Bühnenboden geprallt war. Sie erinnerte sich an die mitleidigen Gesichter der anderen Tänzer und daran, wie der Vorhang sich leise rauschend schloss. Ihre Karriere, ihr Leben, alles, wofür sie gearbeitet hatte, war mit dem Flüstern von rotem Samt zu Ende gegangen.

Trotzdem hatte sie allen Grund, dankbar zu sein. Sie hatte eine schöne Wohnung in Manhattan. Sie hatte genug zum Anziehen und einen Job. Sie war ausgebildete Edelsteinkundlerin, weil sie noch als Tänzerin ein Studium begonnen hatte. Denn sie hatte gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem sie ihren Lebensunterhalt nicht länger auf der Bühne verdienen konnte. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass er so schnell kommen würde. Sie hatte geglaubt, Zeit zu haben. So viel Zeit. Zeit zu tanzen, Zeit zu lieben, Zeit zu träumen.

Sie hatte sich nie vorgestellt, ihre Freitagabende mit hungrigen Kätzchen in einem Tierheim zu verbringen, aber sie beklagte sich nicht. Sie genoss es sogar etwas.

„Ich passe auf, Beth. Versprochen.“ Ophelia drapierte ein Handtuch über ihr Kleid und nahm eine Flasche und eine Dose mit Welpenfutter aus dem Schrank. Als sie die Flasche füllte, schaute sie zum Käfig in der Ecke hinüber. Er war leer.

„Wo ist das kleine weiße Kätzchen?“, fragte sie mit einem Kloß im Hals.

„Es ist nicht adoptiert worden, falls du das meinst.“ Beth warf ihr einen wissenden Blick zu. „Es wird für irgendeine Charity-Geschichte fotografiert.“

„Oh.“ Ophelia ärgerte sich über ihre Erleichterung. Das Ziel des Tierheims war es, alle Schützlinge irgendwo unterzubringen. Jeder verdiente ein Zuhause. Und Liebe. Und Zuneigung.

Der Kloß in ihrem Hals wurde größer. „Das ist schade.“

„Ist es das?“ Beth zog eine Augenbraue hoch.

Ophelia schraubte die Flasche zu und hob ein zappelndes Kätzchen aus dem Käfig. „Natürlich.“ Sie wich Beths Blick aus.

„Ich weiß wirklich nicht, warum du es nicht selbst aufnimmst. Versteh mich nicht falsch – ich weiß deine Hilfe zu schätzen. Aber ich habe den Verdacht, dass du heute Abend vor allem deshalb hergekommen bist, um deine flauschige Freundin zu besuchen. Du liebst die Kleine.“

„Und du übertreibst.“ Als das orangefarbene Kätzchen in Ophelias Hand laut miaute, legte sie sich das arme Ding an die Brust, und sofort nuckelte es an der Flasche. „Ich habe dir doch erzählt, dass ich kein Haustier halten kann. Das ist in meiner Wohnung verboten.“

Das war eine schamlose Lüge. In Wahrheit hätte sie die weiße Persermischung sehr gern zu sich genommen. Dann könnte sie sie am Fußende ihres Betts schlafen lassen und mit Gourmet-Futter aus der Dose verwöhnen …

Aber es ging nicht. In ihrem Zustand durfte sie niemanden von sich abhängig machen. Nicht einmal ein Tier. Sie war eine tickende Zeitbombe, von der niemand wusste, wann sie detonieren würde.

Bevor Beth mit ihrem Überredungsversuch weitermachen konnte, wurden sie ausgerechnet von dem weißen Kätzchen selbst unterbrochen. Es lag in den Armen einer hochgewachsenen Frau in einem glitzernden, mit Pailetten besetzten langen Kleid.

Der Anblick einer Frau in einem Abendkleid in einem Tierheim verblüffte Ophelia so sehr, dass sie erst beim zweiten Hinsehen registrierte, wer der Begleiter der Glitzerbarbie war. Es war Artem Drake.

Höchstselbst.

Schon wieder? Konnte das wirklich sein?

Sie traute ihren Augen nicht. Was um alles in der Welt tat er hier?

Aus irgendeinem albernen Grund war Ophelia versucht, sich zu verstecken. Sie wollte ihn nicht wiedersehen. Schon gar nicht hier. Und erst recht nicht, wenn er ein glamouröses Supermodel am Arm hatte, während sie mit einem fleckigen Handtuch auf der Brust in einem Plastikstuhl saß und einen jaulenden Tabby-Welpen fütterte. Und dann trug er auch noch einen tadellos sitzenden Smoking. War der Mann in einem zur Welt gekommen?

Sie fragte sich, wie er in verwaschenen Jeans aussehen würde. Und ohne Hemd. Bevor das Bild in ihrem Kopf Konturen annehmen konnte, fragte sie sich, warum sie sich so etwas fragte.

„Wen haben wir denn da?“ Artem neigte den Kopf.

„Ich …“ Sie suchte nach Worten, als sein Blick auf ihre Brust fiel. Ihr Atem ging schneller, bis sie begriff, dass er nicht ihre Brüste, sondern das Kätzchen betrachtete. Natürlich.

Wäre sie doch bloß nach der Arbeit gleich nach Hause gefahren.

Er sah ihr in die Augen. „Miss Rose, so sehen wir uns wieder.“

„Ihr kennt euch?“, fragte Beth überrascht.

Ophelia schüttelte den Kopf und konzentrierte sich voll und ganz auf das orangefarbene Kätzchen, das an ihrer Brust zappelte. „Nein, nicht wirklich.“

„Ja, wir kennen uns“, sagte Artem gleichzeitig.

Sein Lächeln war anzüglich. Vielleicht war es auch sein normaler Gesichtsausdruck. Ein Playboy auf der Lauer.

Zu ihrem Entsetzen wurde ihr warm. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so etwas wie Verlangen empfunden hatte.

Beth runzelte die Stirn. Artems Begleiterin zog eine Braue hoch.

Ophelia griff ein, bevor Miss Supermodel einen falschen Eindruck bekam und sie für eine seiner gewiss zahlreichen Eroberungen hielt. „Wir sind uns begegnet. Aber wir kennen uns nicht.“ Überhaupt nicht.

Artem drehte sich zu Beth. „Miss Rose arbeitet für mich.“

Arbeitete. Vergangenheitsform. Schließlich war er aus dem Familienunternehmen ausgeschieden. Wer tat so etwas?

„Bei Drake Diamonds.“ Beth nickte. „Natürlich. Ophelia hat es mir erzählt. Ich muss Ihnen ja wohl nicht sagen, was für eine großartige Mitarbeiterin Sie in ihr gefunden haben. Sie ist eine unserer besten Helferinnen. Sehr fleißig.“

„Sehr fleißig“, wiederholte Artem mit einem leisen Anflug von Sarkasmus in der Stimme und zwinkerte Ophelia zu. „Allerdings.“

Er flirtet nicht mit dir. Er neckt dich. Das war ein Unterschied. Oder nicht?

Beth ließ sich nicht bremsen. „Ich weiß nicht, was wir ohne sie tun würden. Sie liebt unsere Katzen und ist fast jeden Abend hier. Sogar am Wochenende.“

Das hörte sich an, als wäre sie eine vereinsamte Katzenfreundin. Toll. „Beth, bestimmt ist Mr. Drake nicht wegen meiner ehrenamtlichen Arbeit hier.“ Warum dann?

„Oh, tut mir leid. Natürlich nicht. Mr. Drake, vielen Dank für die großzügige Spende im Namen Ihrer Familie und dafür, dass Sie sich mit einem unserer Schützlinge haben fotografieren lassen. Das wird viel Interesse an unserer Arbeit wecken.“ Beth strahlte ihn an.

Also hatte er dem Tierheim etwas gespendet. Großzügig gespendet. Ausgerechnet jetzt, da Ophelia nach einem Grund suchte, ihn weniger attraktiv zu finden. Zum Glück würde sie ihm nicht mehr über den Weg laufen. Er war zu … zu viel.

„Es war mir ein Vergnügen“, erwiderte Artem und streichelte das weiße Kätzchen, das noch immer in den Armen seiner Begleiterin lag.

Ophelias Kätzchen.

Na ja, eigentlich nicht. Absolut nicht. Trotzdem tat es weh, dass jemand anderes es an sich drückte. Und nicht nur irgendjemand. Jemand, der ganz offenbar mit Artem Drake ausging.

Es sollte ihr nichts ausmachen. Aber das tat es. Sehr viel sogar.

„Das ist übrigens Ophelias Lieblingskatze.“ Beth lächelte.

„Sie ist sehr süß“, säuselte Artems Begleiterin.

Ophelia wurde übel. Was, wenn Artems Freundin sie adoptierte? Ihre Katze? Sie holte tief Luft und wehrte sich gegen das Bild, das ihr durch den Kopf ging – die Frau und Artem auf dem Rücksitz einer Stretchlimousine mit dem weißen Kätzchen zwischen ihnen. Musste das Leben immer so unfair sein?

„Ist sie das?“ Artem sah Ophelia an. „Ihr Liebling?“

Sie nickte. Wozu sollte sie es leugnen? Zumal sie wieder das Gefühl hatte, dass er direkt in ihr Herz schauen konnte.

„Ich sage immer, Ophelia soll sie adoptieren.“ Beth lächelte verlegen. Artems Begleiterin hatte das Kätzchen noch immer fest im Griff. Offenbar wollte Beth, dass Ophelia hier und jetzt Anspruch auf das Tier erhob oder für immer darauf verzichtete.

Ich muss raus hier, dachte Ophelia, bevor ich eine Riesendummheit begehe und dem Supermodel das Kätzchen entreiße.

„Ich muss los.“ Ophelia stand auf und setzte den winzigen orangefarbenen Welpen wieder in den Käfig mit der Wärmelampe. „Es war nett, Sie wiederzusehen, Mr. Drake. Beth.“

Sie nickte Artems Begleiterin zu, deren Namen sie noch immer nicht kannte, und blickte zu Boden, damit sie das schnurrende Kätzchen in ihren Armen nicht sehen musste.

Artem ignorierte ihre Verabschiedung und schaute an ihr vorbei zu Beth. „Wie viel kostet das Kätzchen? Ich möchte es für Miss Rose kaufen.“

Was?

„Das freut mich sehr, Mr. Drake. Die Adoptionsgebühr beträgt fünfzig Dollar, aber natürlich erlassen wir sie einem unserer großzügigsten Spender.“ Beth strahlte wieder.

Artem nahm der Frau das Kätzchen ab. Sie ließ es sofort los, aber ihre andere Hand legte sich fest um Artems Bizeps. Ophelia war versucht, sie zu beruhigen. Keine Sorge, er gehört ganz dir. Ihr Ex-Chef war für sie tabu.

Genau wie das Kätzchen. „Mr. Drake, ich muss kurz mit Ihnen reden. Allein.“

Beth zog Artems Begleiterin mit sich. „Kommen Sie mit, Liebes. Ich führe Sie einmal bei uns herum.“

Beth zwinkerte Ophelia zu, bevor sie die Frau durch die Tür zu den großen Zwingern schob. Sie hatte doch wohl nicht vor, sie mit ihm zu verkuppeln. Was für eine absurde Vorstellung. Aber alles an dieser Situation war absurd.

Ophelia verschränkte die Arme und funkelte Artem an. „Was soll das?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich kaufe Ihnen eine Katze. Sehen Sie es als verfrühten Weihnachtsbonus an. Gern geschehen, übrigens.“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf.

Hatte er den Verstand verloren? Und musste er so dastehen, so unglaublich attraktiv in seinem Smoking, während er das Kätzchen streichelte?

„Nein?“ Sein Blick aus blauen Augen wurde kühl. Mit Sicherheit hatte er das Wort noch nie aus dem Mund einer Frau gehört.

„Nein. Danke. Es ist eine großzügige Geste, aber …“ Sie schaute auf das Kätzchen. Großer Fehler. Die zierliche Nase zitterte. Es sah unglaublich hilflos und winzig an Artems breiter Brust aus. Wie konnte sie so ein Geschenk zurückweisen? Sie räusperte sich. „… nein.“

Seine Miene verfinsterte sich.

Sollte er doch zornig sein. Ophelia würde ihn nie wiedersehen. Aber das hast du heute Vormittag auch gedacht. Sie hob das Kinn. „Ich muss jetzt wirklich gehen. Und Sie sollten sich um Ihre Freundin kümmern.“

„Meine Freundin?“ Er lächelte vielsagend, und sie spürte ein Kribbeln im Bauch. Verdammt. „Darum geht es also? Sie sind doch nicht etwa eifersüchtig, Miss Rose?“

Sie verdrehte die Augen. „Wohl kaum.“

„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das glaube.“

Ophelia seufzte. „Warum tun Sie das?“

„Was genau tue ich denn?“

„Nett sein.“ Sie schluckte. Plötzlich war sie den Tränen nahe. Aber sie durfte nicht weinen. Vielleicht würde sie nicht mehr aufhören können. „Versuchen, mir eine Katze zu kaufen.“

Wieder zuckte er mit den Achseln. „Die Katze braucht ein Zuhause, und Sie mögen sie. Warum sollten Sie sie nicht bekommen?“

Es gab so viele Gründe, dass Ophelia gar nicht gewusst hätte, wo sie anfangen sollte. „Ich kann nicht.“

Er neigte den Kopf. „Können oder wollen nicht?“

Genau das hatte sie bei Drake Diamonds zu ihm gesagt, und sie unterdrückte ein Lächeln. „Mr. Drake, so gern ich es täte, ich kann die Katze nicht adoptieren.“

Er machte einen Schritt auf sie zu und stand so dicht vor ihr, dass ihr das Atmen schwerfiel und ihr kein überzeugendes Gegenargument mehr einfiel. Dann nahm er ihre Hand und legte sie behutsam auf das Kätzchen.

Es miaute zufrieden, und Artem strich mit ihren Händen über das seidige Fell. Ophelia musste sich auf die Lippe beißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Warum tat er das? Warum war es ihm wichtig?

„Es mag Sie“, sagte er und fuhr fort, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Etwas verrät mir, dass ihr beide einander braucht. Sie kommen fast jeden Tag her. Sie lieben dieses Kätzchen. Sie brauchen es, aber Sie erlauben sich nicht, es zu sich zu holen. Warum nicht?“

Was sollte aus dem Tier werden, falls Ophelia wieder einen Schub erlitt?

Nein, nicht falls. Ihre Krankheit hieß offiziell schubförmig remittierende MS, für die vorübergehend auftretende Schübe mit zunehmenden neurologischen Störungen typisch waren. Ophelia wusste nie, wann der nächste kam. In einem Jahr? Einen Monat? Einem Tag? Was sollte sie mit der Katze machen, wenn sie zu krank war, um sich um sie zu kümmern?

Das Kätzchen schnurrte, und sie fühlte es in ihrer Hand, auf der noch immer Artems lag. Was für eine Folter. Sie zog die Hand zurück. „Mr. Drake, ich …“

„Ich adoptiere die Katze“, unterbrach er sie. „Sie kümmern sich für mich um sie. Und Sie bekommen Ihren Termin.“

Seine Stimme klang wütend, als hätte sie ihn dazu gezwungen.

„Meinen Termin?“ Sie schluckte. Zum Glück war das nicht mehr möglich. „Wie wollen Sie den arrangieren, wenn Sie nicht länger bei Drake Diamonds arbeiten?“

„Ich bin ein Drake, schon vergessen?“ Als könnte sie das. „Und meine Pläne haben sich geändert. Ich arbeite noch dort.“

„Oh. Ich verstehe nicht.“

Er erklärte es nicht, sondern reichte ihr nur das Kätzchen.

Ohne zu überlegen streckte sie die Arme danach aus. Was ging hier vor? Sie hatte seinen lächerlichen Vorschlag doch nicht angenommen, oder? „Warten Sie. Sie sind nicht zurückgetreten? Was genau bedeutet das?“

„Dass ich noch Ihr Chef bin.“ Er drehte sich um und ging an ihr vorbei zu den Zwingern. Er ließ sie stehen? Einfach so? Mit der Hand am Türgriff zögerte er. „Nehmen Sie die Katze mit nach Hause, Miss Rose. Ich nehme an, wir sehen uns morgen in meinem Büro?“

Sie durfte sich nicht von ihm manipulieren lassen. Es war im besten Fall unprofessionell. Im schlimmsten … na ja, darüber wollte sie gar nicht erst nachdenken. Sie konnte das Kätzchen nicht mitnehmen, sosehr sie es auch wollte. Nicht einmal vorübergehend. Sie konnte nicht Artem Drakes Katzensitterin sein. Auf gar keinen Fall.

Er stand da und starrte sie mit durchdringendem Blick an, als wäre es irgendein erotischer Wettbewerb.

Einer, den Ophelia unmöglich gewinnen konnte.

„Einverstanden.“

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen stellte Artem einen persönlichen Rekord auf, indem er schon vor der Ladenöffnung bei Drake Diamonds eintraf. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so früh dort gewesen war. Wenn überhaupt.

Für Dalton dagegen war es immer normal gewesen, so früh zur Arbeit zu erscheinen. Aber irgendwann einmal, als er noch kein Workaholic gewesen war, hatte Dalton sich mitten in der Nacht mitten im Verkaufsraum im ersten Stock mit einem Mädchen erwischen lassen. In flagranti.

Das war noch heute Artems Lieblingsgeschichte über seinen Bruder, auch wenn er dadurch herausgefunden hatte, dass Dalton der einzige Drake-Erbe war, der schon als Schüler einen Schlüssel zum Geschäft gehabt hatte.

Artem selbst hatte keine Lust gehabt, im Laden an der Fifth Avenue abzuhängen. Für die anderen Drakes war es ein Heiligtum, für die Welt eine historische Institution. Drake Diamonds gehörte zu Manhattan wie die Freiheitsstatue. Für den jungen Artem war es einfach nur der Arbeitsplatz seines Vaters gewesen.

Und jetzt war es seiner. Dasselbe Gebäude, dasselbe Büro, derselbe verdammte Schreibtisch.

Was wollte er hier? Dalton brauchte ihn nicht. Nicht wirklich. War sein Bruder nicht viel besser geeignet, die Firma zu retten? Dalton kannte sich hier aus wie kein Zweiter. Sein Schlafzimmer in Lennox Hills war vermutlich mit Bilanzen tapeziert.

Sein ganzes Leben hindurch hatte er seine Position als Drake wie eine Krone getragen, für Artem hatte sie sich wie eine Zwangsjacke angefühlt. Jetzt, wo sein Vater tot war, gab es keinen Grund, sie nicht einfach abzulegen. Außer dem neuen Job hatte er auch ein beträchtliches Vermögen geerbt. So beträchtlich, dass er jederzeit aus der Firma aussteigen konnte und sich nie wieder bei irgendeinem langweiligen Auftritt fotografieren lassen musste. Er hatte es absolut nicht nötig, im Morgengrauen aufzustehen, damit er zum Laden fahren und sich hinter den Schreibtisch seines Vaters setzen konnte.

Trotzdem war er hier und stieg an der Ecke Fifth Avenue und Fifty-seventh Street aus seiner schwarzen Limousine.

Er sagte sich, dass seine Entscheidung, weiterhin an der Spitze von Drake Diamonds zu bleiben, nichts mit Ophelia zu tun hatte. Denn das wäre grotesk.

Sicher, sie war hübsch. Mehr als hübsch, mit ihren unergründlichen Augen, dem Haar wie gesponnenes Gold und ihrem anmutigen, fließenden Gang. Und ja, er hatte sich viel zu oft vorgestellt, wie sie ihre hinreißenden Beine um seine Taille schlang, während er sich in ihr vergrub.

Selbst ihre schlichtesten Gesten faszinierten ihn. Unschuldige Bewegungen wie die Drehung eines Handgelenks brachten ihn zum Träumen. Er malte sich aus, wie er ihre Arme über ihrem Kopf auf die Matratze drückte und mit der Zunge ihren grazilen Hals erkundete. Artem war Leidenschaft nicht fremd, aber ein solches Verlangen hatte er noch nie empfunden. Nicht annähernd.

Er fand es frustrierend. Und ziemlich verwirrend. Er tat Dinge, die er noch nie getan hatte. Er saß hinter einem Schreibtisch, adoptierte Tiere und sagte ein durchaus reizvolles Date ab, um nach Hause zu fahren und vor Mitternacht zu Bett zu gehen. Allein.

Hinter seinen Schläfen pochte es, als er aus dem Wagen stieg und sein Spiegelbild im Schaufenster sah. Er trug einen Business-Anzug von Tom Ford und eine Seidenkrawatte in dem schrecklichen Drake-Diamond-Blau. Wer bist du?

„Guten Morgen, Mr. Drake.“ Der Türsteher des Geschäfts begrüßte ihn lächelnd und hob seinen Zylinder kurz an. Inmitten der wirbelnden Schneeflocken in einem altmodischen Mantel mit Drake-blauem Schal sah der Mann aus wie alle seine Vorgänger seit viktorianischen Zeiten. Bei Drake Diamonds wurde Tradition groß geschrieben.

„Guten Morgen.“ Artem nickte ihm zu und betrat den Laden.

Er ging zum Fahrstuhl auf der anderen Seite des dunklen Verkaufsraums. Seine Schritte hallten auf den glänzenden Fliesen wider. Dann fiel sein Blick auf die von einem Spotlight erhellte Vitrine – in der der berühmte Drake-Diamant funkelte.

Artem blieb stehen. Der Diamant schien auf dem schwarzen Samt zu schweben. Ein leuchtender Stern selbst in der dunkelsten Nacht.

Langsam ging er hinüber und betrachtete den gelben, von einer Halskette aus weißen Diamanten umgebenen Stein. Bei seinem Fund Ende des 19. Jahrhunderts in einer südafrikanischen Mine war er der drittgrößte gelbe Diamant der Welt gewesen. Artems Urururururgroßvater hatte ihn auf Kredit gekauft, noch bevor er geschliffen worden war. Dann hatte er ihn in Paris – natürlich in einer Tiara – fassen lassen und in seinem neuen Juweliergeschäft in New York ausgestellt. Von überall her waren die Menschen gekommen, um ihn zu bewundern. Ein einzelner Stein hatte den Ruhm seines kleinen Geschäfts begründet.

Wäre es wirklich so schlimm, ihn zu verkaufen? Drake Diamonds war längst weltbekannt. Sicher, noch immer drängten sich Touristen vor dem Schaufenster, um einen Blick auf den legendären Diamanten zu erhaschen. Aber was würde sich ändern, wenn er nicht länger hier wäre?

Er schaute auf die Plakette an der Vitrine. Sie erzählte die Geschichte des Diamanten, seiner verschiedenen Fassungen und der Handvoll Gelegenheiten, zu denen er getragen worden war. Der letzte Satz beschrieb ihn als leuchtenden Stern in der Familienkrone der Drakes.

Artem schluckte und sah wieder auf den Stein.

Ophelias Gesicht nahm vor ihm Gestalt an. Goldenes Haar, Augen wie Saphire und der Schwanenhals … mit dem Diamanten genau dort, wo ihr Puls schlug.

Er blinzelte. Bestimmt spielte seine Fantasie ihm einen Streich. Eine Art Fata Morgana, wie bei einem Durstigen, der mitten in der Wüste eine Oase mit frischem Wasser sah.

Aber es war keine Sinnestäuschung. Es war sie selbst.

Sie stand hinter ihm, nur Zentimeter entfernt, und ihr Gesicht spiegelte sich im Glas der Vitrine. Und der Diamant sah aus wie für sie geschaffen. Millionen Jahre lang hatte er in der Erde geruht und darauf gewartet, dass jemand ihn fand und ihr um den bezaubernden Hals legte.

„Wunderschön, nicht wahr?“ Ihre blauen Augen glitzerten in dem Licht, das Edelsteine zum Leuchten und Funkeln bringen sollte. Irgendwie überstrahlte sie alles.

Ja, wunderschön.

„Stimmt“, erwiderte Artem.

Sie stellte sich neben ihn, und ihr Spiegelbild löste sich von der Halskette. „Manchmal komme ich her und betrachte ihn, bevor all die Kunden kommen und die Leute sich vor dem Schaufenster drängen. Dann denke ich daran, wie es gewesen sein muss, so etwas zu tragen. Eigentlich ist es schade, dass er nur noch ein Ausstellungstück ist, finden Sie nicht auch?“

„Ja, das finde ich auch.“ Im Moment erschien es ihm fast kriminell, dass der Diamant nicht ihren Porzellanhals schmückte. Er sah sie vor sich, mit der Kette und sonst nichts. Er stellte sich vor, wie der unbezahlbare Diamant zwischen ihren Brüsten funkelte.

Hastig schob er die Hände in die Taschen, bevor er Ophelia gegen die Vitrine drücken konnte, um sie hier und jetzt zu nehmen, bis der Edelstein von seinem Sockel rutschte und zu Diamantstaub zerfiel. Allein die Vorstellung ließ ihn schneller atmen.

Und in dem Moment wurde es ihm bewusst: Seine Entscheidung, an der Spitze von Drake Diamonds zu bleiben, hatte etwas mit Ophelia zu tun. Vielleicht hatte es sogar ausschließlich mit ihr zu tun.

Er biss die Zähne zusammen und starrte sie an. Es gefiel ihm nicht, die Kontrolle zu verlieren. Über gar nichts, aber am wenigsten über seine Libido. Artem war ein besserer Mensch als sein Vater, daran musste er fest glauben.

Ophelias Blick wurde melancholisch. „Ist es wahr, dass er bisher nur von drei Frauen getragen wurde? Oder ist das nur eine Legende?“

„Doch, das ist wahr.“ Er nickte. Von einem Hollywoodstar, einer Ballerina in den 1940ern und Diana Kincaid Drake. Es waren nur drei gewesen.

Mit verträumten Augen betrachtete sie den Diamanten und sah fast so aus, als wollte sie hinein, ins Herz des Steins schauen. Auf seine Geschichte.

Dann blinzelte sie, kehrte dem Schmuck den Rücken zu und konzentrierte sich auf Artem. „Was unsere Besprechung angeht …“

„Ach ja, unsere Besprechung.“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dalton durch die Drehtür des Geschäfts kam. Er senkte die Stimme. Warum eigentlich? Er hatte nichts zu verbergen. „Darf ich annehmen, dass mein Kätzchen sich bei Ihnen zu Hause wohlfühlt, Miss Rose?“

„Ja.“ Ihre Wangen röteten sich, und sie lächelte zaghaft.

Also hatte er recht gehabt. Sie hatte das Kätzchen gewollt. Es gebraucht und nur so getan, als würde er es ihr aufzwingen.

Er hatte richtig gehandelt. Endlich einmal.

Sie räusperte sich. „Soll ich mir bei Ihrer Assistentin einen Termin holen, an dem ich Ihnen meine Entwürfe zeigen kann?“

„Wie haben Sie sie getauft?“, fragte er.

Ophelia blinzelte wieder. „Wie bitte?“

„Das Kätzchen.“ Artem bemerkte den neugierigen Ausdruck auf dem Gesicht seines Bruders und ignorierte ihn. „Haben Sie ihm schon einen Namen gegeben?“

„Oh. Es heißt Jewel.“

Aus irgendeinem Grund besänftigte ihn ihre Antwort. Was überhaupt keinen Sinn ergab. „Dann haben wir beide wohl etwas zu besprechen, Miss Rose. Meine Assistentin meldet sich bei Ihnen.“ Er nickte ihr zu und ging zum Fahrstuhl, wo sein Bruder wartete. Und ihn beobachtete.

Irgendwie hatte er das Gefühl, dass auch ihr Vater zusah.

Ophelia stand auf der Terrasse aus schwarzem und weißem Marmor und zögerte, obwohl der frostige Wind ihr Schneeflocken ins Gesicht trieb.

„Willkommen im Plaza, Miss.“ Ein Portier in Uniform, komplett mit goldenen Schulterstücken, verbeugte sich leicht und öffnete ihr die Tür.

Ein Hotel. Artem Drake hatte sie in ein Hotel bestellt. Zugegeben, das Plaza war das exklusivste Hotel Manhattans, wenn nicht der ganzen Welt, aber trotzdem.

Ein Hotel.

Erwartete er, dass sie mit ihm schlief? Bestimmt nicht. Sie machte sich unnötig Sorgen. Vermutlich wartete er im Café auf sie. Oder sonstwo.

„Danke.“ Höflich nickte sie dem Portier zu. Sollte sie ihm ein Trinkgeld geben? Sie hatte keine Ahnung.

Als sie die große Hotelhalle betrat, fühlte sie sich in eine andere Welt versetzt. Eine andere Zeit. Wie in einem Roman von F. Scott Fitzgerald. Die Einrichtung war opulent, mit einem Hauch von Art déco, der an Jay Gatsby erinnerte.

Ophelia fand alles atemberaubend schön. Hätte sie gewusst, dass es weniger als eine Meile von ihrem Arbeitsplatz entfernt einen solchen Ort gab, wäre sie jeden Nachmittag mit ihrem Zeichenblock hergekommen, um Ideen festzuhalten. Zum Beispiel geometrische Schmuckstücke mit gezickzackten Reihen von Edelsteinen wie in den glitzernden Kronleuchtern und den goldenen Intarsien in den glänzenden Bodenfliesen.

Vielleicht würde sie genau solche Entwürfe anfertigen. Wenn das Treffen mit Artem Drake so gut verlief, wie sie hoffte, würde sie vielleicht sogar einen Job in der Design-Abteilung bekommen. Dann könnte sie herkommen und nach Herzenslust zeichnen. Und vielleicht würden ihre Entwürfe umgesetzt werden, anstatt nur in ihrer Mappe Platz einzunehmen.

Sie festigte den Griff um die schlanke Ledermappe. Sie war von Louis Vuitton. Ein Klassiker. Noch ein Schatz, den sie in den Sachen ihrer Großmutter entdeckt hatte, bis zum Bersten gefüllt mit Fotos aus Natalia Baronovas Zeit beim Ballet de Russe de Monte Carlo. Tagelang hatte sie diese Aufnahmen betrachtet, nachdem sie von ihrem Aufenthalt im Krankenhaus nach Hause gekommen war.

Während der Stunden, in denen sie früher bei Proben getanzt hatte, bis ihre Gelenke schmerzten, hatte sie die legendäre Karriere ihrer Großmutter noch einmal durchlebt. Die Zeitungsausschnitte und die verblassten Fotos mit den mit Bleistift geschriebenen Notizen ihrer Großmutter auf der Rückseite hatten ihr die Kraft zum Durchhalten gegeben. Sie hatte ihre Gesundheit, ihre Familie, ihren Beruf verloren. Ihr gewohntes Leben. Ihr waren nur noch das Studium und die Erinnerungen ihrer Großmutter geblieben.

Ophelia hatte sich an diese Erinnerungen geklammert und die Bilder betrachtet, bis sie Teil ihrer Entwürfe wurden. Das Ergebnis war eine inspirierte Kollektion, von der sie wusste, dass sie ein Erfolg werden würde … wenn nur jemand ihr eine Chance gab und sie sich ansah.

Sie atmete tief durch. Wenn es Gerechtigkeit in dieser Welt gab, würde das hier ihr großer Moment sein. Und jemand würde Artem Drake sein.

„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“ Ein Mann in weißem Dinnerjacket und Smokinghose lächelte ihr vom Empfangstresen aus zu.

„Ja, danke. Ich bin mit jemandem verabredet. Artem Drake.“ Sie schaute zum Atrium in der Mitte der Lobby, wo die Gäste unter Palmwedeln an Champagnergläsern und Teetassen nippten. Artem war nirgendwo in Sicht.

Sie wehrte sich gegen das mulmige Gefühl. Das muss nichts bedeuten. Vielleicht verspätet er sich nur.

„Mr. Drake ist im Penthouse Nummer neun. Mit diesem Schlüssel können Sie den Fahrstuhl zum achtzehnten Stock nehmen.“ Der Concierge übergab ihr diskret eine schwarze Schlüsselkarte.

Ophelia starrte sie an. Noch nie war sie so bitter enttäuscht worden. Endlich, endlich hatte sie geglaubt, Licht am Ende des sehr dunklen Tunnels zu sehen, zu dem ihr Leben geworden war. Aber nein. Kein Licht. Nur noch mehr Dunkelheit. Und ein Mann, der annahm, dass sie sich in ihrer Mittagspause in einem Hotel mit ihm treffen würde, um beruflich voranzukommen.

Ironischerweise hatte jeder in ihrer Truppe genau das gedacht, als sie mit Jeremy, dem Direktor, ausgegangen war. Die anderen Tänzer hatten die Augen verdreht, wenn sie mal wieder eine Hauptrolle bekommen hatte. Als hätte sie sich das nicht auch so verdient. Als hätte sie nicht jeden Tag bis zur völligen Erschöpfung getanzt.

Aber so war es nicht gewesen. Sie hatte etwas für Jeremy empfunden. Und er für sie. Jedenfalls hatte sie das geglaubt.

„Miss?“ Der Concierge runzelte die Stirn. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

Ja. Sie können mir versichern, dass ich mich irre.

„Nein.“ Mechanisch schüttelte sie den Kopf. „Danke für Ihre Hilfe.“

Als sie zum Fahrstuhl ging, hallten ihre Absätze von den Wänden der luxuriösen Lobby wider. Sie wusste nicht, warum sie so aufgebracht war. Oder überrascht. Sie hatte all die Zeitungsfotos von Artem gesehen, jeden Abend mit einer anderen Frau am Arm. Natürlich hatte er angenommen, dass sie mit ihm schlafen wollte. Vermutlich war sie die einzige Frau in Manhattan, die es nicht wollte.

Aber irgendwie stimmte das nicht so ganz.

Wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie zugeben, dass es keine abstoßende Vorstellung war, mit Artem Drake Sex zu haben. Im Gegenteil.

Natürlich würde sie es nicht tun. Nicht jetzt. Erst recht nicht jetzt. Niemals. Es fiel ihr einfach nur schwer, an Artem zu denken, ohne an Sex zu denken. Er brauchte sie nur anzusehen, und schon wurden ihre Knie weich. Seine Augen schienen sie zu durchschauen und ihr heimliches Verlangen zu erkennen. DieserSchlafzimmerblick. Und jetzt war sie auf dem Weg zu ihm. In sein Schlafzimmer.

Bett oder kein Bett, sie würde nicht ihm schlafen.

Der Fahrstuhl hielt im obersten Stockwerk. Sie straffte die Schultern, verließ die Kabine und hielt nach Penthouse Nummer neun Ausschau.

Sie brauchte nicht lange zu suchen. Es war die einzige Tür im gesamten Stockwerk.

Er hatte ein Hotelzimmer gemietet, das die komplette Ebene einnahm? Sie fragte sich, ob all seine Dates eine so königliche Behandlung bekamen. Aber das hier war ja kein Date, sondern eine geschäftliche Besprechung.

Wäre sie vernünftig, würde sie jetzt kehrtmachen und zu Drake Diamonds zurücklaufen. Aber bevor sie sich dazu entschließen konnte, wurde die Tür geöffnet, und sie sah sich Mr. Schlafzimmerblick persönlich gegenüber.

„Mr. Drake.“ Sie rang sich ein Lächeln ab, das hoffentlich professionell wirkte und nicht verriet, wie atemlos sie plötzlich war.

„Entschuldigen Sie, Miss Rose. Ich telefoniere gerade.“ Er winkte sie herein.

Ophelia hatte noch nie ein so großes Hotelzimmer gesehen. Ihre Wohnung hätte gleich drei Mal hineingepasst, und mit kühlen grauen und blauen Farbtönen und sachlichen, modernen Möbeln war es einfach atemberaubend. Aber das Spektakulärste war der Blick auf den Central Park. Kutschen standen am Rand der schneebedeckten Landschaft, und in der Ferne glitten Schlittschuhläufer über den zugefrorenen Teich.

Ophelia ging ans Fenster und schaute auf die Straßen von Manhattan hinab. Alles war so winzig. Die gelben Taxis sahen aus wie Spielzeugautos, und die Menschen, die in dunklen Mänteln und mit wehenden Schals die Bürgersteige bevölkerten, waren von hier oben kaum zu erkennen. Flocken tanzten vor der Scheibe und legten sich wie ein weißes Tuch auf die City. Es war, als würde sie in einer Schneekugel stehen. Absolut faszinierend.

„Ja, ich verstehe“, murmelte Artem. Er stand ein paar Schritte hinter ihr, das Handy am Ohr.

Ophelia drehte sich um und sah, dass er sie beobachtete.

Er klang alles andere als begeistert, ließ sie aber während des Telefonats nicht aus den Augen. „Obwohl mir das ein eher … fragwürdiger Zeitpunkt für so eine Spende zu sein scheint, müssen wir uns an unsere Zusage halten. Ich weiß, du beschäftigst dich ungern mit der Presse, Dalton, aber denk an die Schlagzeilen für den Fall, dass wir einen Rückzieher machen. Außerdem wäre es mein Foto, das sie dazu abdrucken würden. Also finde dich mit meiner Entscheidung ab.“

Er telefonierte mit seinem Bruder. Ophelia wollte nicht zuhören und wandte den Blick ab – und er fiel auf das riesige Bett, das hinter Artem zum Vorschein kam.

Du meine Güte, was für ein Koloss.

So ein großes Bett hatte sie noch nie gesehen. Sie schätze, dass etwa zwölf Personen hineinpassten.

Ihr Gesicht brannte, und hastig schaute sie wieder fort. Doch während Artem das Gespräch beendete, kehrte ihr Blick wie von selbst zum Bett und den blütenweißen Laken zurück.

„Nochmals Entschuldigung“, sagte Artem und warf das Handy auf ein Sofa. „Bitte lassen Sie mich Ihren Mantel nehmen. Machen Sie es sich bequem.“