EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN? - Albert Helber - E-Book

EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN? E-Book

Albert Helber

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Beschreibung

Ausgangspunkt des Buches ist eine Analyse der mentalen Evolution des Menschen: Ein Zusammenspiel von emotionaler- und kognitiver Intelligenz (Gefühle, Resonanz, Empathie, gedankliche Introspektion) bestimmt menschliches Verhalten und gesellschaftliche Leitlinien der tausendjährigen Geschichten in China und Indien. Ideen oder kognitive Dominanz führt im christl. Abendland zu Transzendenz, zu Religion oder Ideologien. Schöpfertum, aber auch narzisstische Selbstgerechtigkeit und koloniale Gewalt sind die Folge und spalten die Geschichte. Aus der Philosophie von Laos und Konfuzius wird in China eine gesellschaftliche Leitidee. In Indien bewirken Veden, Upanishaden und Buddhas Philosophie ein spirituelles Leitbild der Toleranz. In Palästina wird aus dem Humanisten und Religionskritiker Jesus durch die paulinische Theologie die göttliche Figur Christus. Sie wird zum Leitbild im christl. Abendland. Die Auswirkungen dieser geschichtlichen Leitbilder auf den Menschen werden beschrieben. Sie bestimmen bis heute den Menschen in diesen Regionen und sind Ursachen für politische Spannungen.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis
Inhalt
EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?
Impressum
Widmung
Bücher des Autors zum Thema „Evolution und Geschichte“
Aus gegebenem Anlass, ein vorgezogenes Nachwort
Einführung
Teil 1 MENTALE EVOLUTION ODER WIE MENSCHLICHES VERHALTEN ENTSTEHT.
1A: UNTERSCHEIDUNG, EIN BIOLOGISCHES ERBE.
1. Aus Urknall wird „Ursache und Wirkung“.
2. Aus „Irritation und Reaktion“ werden Pflanzen und „Triebe“.
3. Von der Pflanze zum „Trieb“, vom Tier zum „Instinkt“.
4. Die Intelligenz der Unterscheidung:
5. Strategien sensorischer Intelligenz.
6. Ich fasse zusammen
1B: VOM AUFRECHTEN GANG ZUR PSYCHOLOGIE.
1. Der Anfang der menschlichen Linie bleibt verborgen.
2. Menschliche Linie ist nur rückwärts deutbar.
3. Vom Unterscheiden zum Lernen.
4. Wie Lernen funktioniert.
5. Vom Gourmet zum Allesfresser.
6. Nachahmung oder soziales Lernen.
7. Emotionen: Vom Instinkt zu Gefühlen.
8. Gefühle: Soziale-, aber nicht technologische Veränderung.
9. Das bisher Erreichte und seine Bedeutung.
1C: SAPIENS: Vom Reagieren zum Handeln.
1. Gefühle und Bewusstsein: Ein untrennbares Miteinander.
2. Gefühle: Ein Orientierungszentrum des Menschen.
3. Bewusstsein: Ein Sturm der Gefühle.
4. Aus Gefühl und Bewusstsein werden Intentionen.
5. Gefühle und Intentionen schaffen Typen.
6. Der Mensch will zugehören und auch mitbestimmen.
7. Gedanken und der „homo faber“.
8. Grammatikalische Sprache und Symbole.
9. Zivilisatorische Wende: Das Umfeld wird verwaltet.
10. Ideen, Magie und Götter: Die Spaltung beginnt.
11. Achsenzeit: Gedanklicher Aufbruch und Verantwortung.
12. Das Sapiens-Erbe: Eine Zusammenfassung.
Teil 2 EINE ERLEBTE GESCHICHTE DES MENSCHEN UND WAS DER MENSCH AUS SEINEM ERBE MACHT.
1. Mentalgeschichte oder Kulturgeschichte.
2. China: Kooperation und Koexistenz.
3. Indien: Individualität, spirituelle Vielfalt und Toleranz.
4. Christliches Abendland: Von Religion zu Ideologien.
5. Gemeinsames und Unterschiedliches in Geschichten.
Teil 3 WAS WIR MENSCHEN AUS EVOLUTION UND GESCHICHTE LERNEN SOLLTEN.
1. Genetisches Erbe und erlebte Geschichte.
2. „Ein dem Menschen angeborenes Streben nach dem Leben in Gemeinschaft“ (Aristoteles).
3. Säkularität/Immanenz oder Sakralität/Transzendenz formen die menschliche Geschichte.
4. Vom biologischen Geschöpf zum „Gotteskind“.
5. Vom Artenschutz zum Artensterben.
Epilog: Auf der Suche nach Antworten zu Konflikten der europäischen Moderne.
1. Geschichte des Menschen offenbart ein evolutionäres Erbe.
2. Ein nicht immer schlüssiger Blick auf Geschichte.
3. Ein europ. Konflikt: Von religiöser Sakralität zu säkularem Individualismus.
4. Mentales Erbe: Kulturelle Vielfalt und soziales Wesen.
5. Kann ein verführbarer Mensch ein Souverän sein?
6. Eine neue Menschenrechtscharta wird gebraucht.
7. Drei Anliegen hat dieses Buch:
Benutzte Literatur
Nachsatz

EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN? 

Wie das christliche Abendland das evolutionäre Erbe ignoriert, die Geschichte spaltet und koloniale Gewalt entsteht.

Albert Helber

Impressum

Text: Copyright: Albert Helber

Umschlag,Cover: Jan Biedermann, www.kopieren-drucken de.

Druck und Vertrieb: Neobooks, Service der Neopubli GmbH, Berlin

E-Book Programmierung: Dr. Bernd Floßmann https://www.ihrtraumvombuch.de

Widmung

HELGA

Danke für 60 gemeinsame Jahre. 

Sie führten uns an viele Orte und zu interessanten Menschen.

Bücher des Autors zum Thema „Evolution und Geschichte“

„Zwei Seelen“ und ein Kompromiss. (2016)

Wer wir sind und wie wir wurden. (2019)

Wir und die Anderen: Eine Mentalgeschichte des Menschen und ein Schisma durch christliche Transzendenz. (2020)

Aus gegebenem Anlass, ein vorgezogenes Nachwort

Wie lange noch wollen wir die Welt verbessern? Wie lange noch wollen wir Andere belehren, wie sie ihr Zusammenleben organisieren- und eine politische Führung bestimmen sollen? Wie viele Vietnams, wie viele Iraks oder Afghanistans wollen wir noch missbrauchen, um die Welt humaner und gerechter zu machen? „Wer das Unterscheiden betont“, schreibt der weise Laozi aus China, „wird alles verlieren“. „Kennt ein Jeder das Gute, so ist das Böse geboren“. Da unsere religiöse-, politische- und publizistische Prominenz nie aufhörte zu glauben, zu den Guten und Wissenden zu gehören und das Unterscheiden betont, haben wir allzuviel Böses hinterlassen. Wann werden wir Bürger des christlichen Abenlandes endlich begreifen, dass ein selbstgerechtes Wertesystem v.a. Kriege und Verwüstung hinterlassen ?

Früh schon begannen wir, die Welt zu verbessern: Ein Versprechen der christlichen Botschaft des Paulus im Neuen Testament der Bibel wird, von kirchlicher Hierarchie usurpiert, zur Verführung in Europa: Die irdische Heimat wird für uns „Gotteskinder“ „entfremdet“ und eine neue Heimat im Himmel versprochen. Fremde und Ungläubige werden zu Heiden oder „Gottesfeinden“. Sie werden missioniert und nicht selten auch bekämpft. Als einige unter uns schließlich die Magie der christlichen Botschaft begreifen, verspricht uns die europäische Aufklärung eine Optimierung des Menschen durch Geist und Vernunft. An Stelle des Himmels wird uns „Gotteskindern“ eine glänzende Zukunft und Optimierung versprochen, so wir Vernunft und Wissen vertrauen und zu Verkündern von Zukunft und Weitsicht werden. Die Nation und deren Machtstreben wird dann zu unserer Zukunft: In Südamerika, in Afrika und in Asien wird missioniert und erobert. Unseren religiösen Versprechen-, dann selbstverfügten Werten folgend und Eroberungen genießend, werden wir zu Sklavenhändlern, zu Kolonialisten und auch zu Rassisten. Auf Vernunft und Wissen bauend enden wir, von angstbetonter Resonanz ungerührt und von Achtsamkeit und Empathie unkontrolliert, schließlich in zwei großen Kriegen und einem schrecklichen Genozid an den Juden.

Auf eine neue Besinnlichkeit und ein Lernen aus der Geschichte hoffend, geschieht, was geschehen musste: Geschichte wird nicht durch Revolutionen oder plötzliche Wenden bestimmt. Bisher Erlebtes und Erfahrenes wird nur langsam transformiert: Aus im Kriege Verbündeten machen die Koalitionen aus NATO und Warschauer Pakt einen „kalten Krieg“ mit nicht selten „heißen“ Schauplätzen. Danach erfahren wir in Huntingtons „Kampf der Kulturen“: Der Streit wird sich auf viele Schauplätze ausweiten. Ein Systemstreit von Kulturen und Zivilisationen beginnt und wir, die Vernünftigen und Wissenden des christlichen Abenlandes, werden zu Verkündern und Verteidigern der Menschenrechte. Dass Menschenrechte für einen Großteil der Menschen unserer Erde v.a. Nahrung und Wasser, ein Dach über dem Kopf und gesundheitliche Versorgung bedeuten, vergessen die Initiatoren und Sieger des 2. Weltkrieges und fordern 1948 ein Selbstbestimmungsrecht. Es schenkt den schon materiell Versorgten Freiheit und Selbstbestimmung und auch das Recht auf Besitz und mit Besitz zu spekulieren. Als unabhängig gewordene Kolonien sich für eigene Führerfiguren entscheiden, entstehen aus früheren Machtstrukturen Verteidigungskoalitionen zur Wahrung der Menschenrechte und der Wahrung des eigenen Besitzes. Wer an Stelle von Kooperation auch für Menschenrechte Koalitionen beschließt hat immer einen Gegner im Blick. Er wird Gegenwehr-, wird ein „Zeitalter des Zorns“- und auch eine Fortsetzung von Streit und Kriegen auslösen.

Wann endlich werden wir uns zu „Kooperation“ und „Koexistenz“ entschließen? Kooperation gibt eigenes Wissen, eigene Fähigkeiten und eigenen Besitz weiter und wird diese auch von Anderen zurück bekommen. Ein jeder profitiert und unser menschliches Zusammenleben wird friedlicher werden. Dies aber nur dann, wenn wir auch Koexistenz üben, eine gewordene Eigenheit anderer Gesellschaften oder Nationen respektieren, achten und auf Ermahnungen verzichten. Wer Veränderungen einklagt und gar Sanktionen ausspricht versündigt sich gegen einen Gedanken der Koexistenz und macht aus Kooperation ein vergebliches-, weil egoistisches Verhalten.

Wer seit 2000 Jahren Andersgläubige, Andersdenkende oder Andershandelnde zu Gegnern oder Konkurrenten erklärt, muss unser evolutionäres Erbe falsch verstanden haben. Evolutionäres Werden endet immer in Vielfalt und Diversität und auch der Mensch hat in seiner Geschichte unterschiedliche Kulturen und Zivilisationen entwickelt. In der westlichen Welt wird ein „kognitiver Aufbruch des Homo sapiens“ zum alleinigen mentalen Erbe des Menschen. Ein göttliches Versprechen, dann Zukunft, Wissen und der schöpferische Aufbruch von Individuen formen die historische Orientierung. Schon die großen Philosophen der Achsenzeit - Konfuzius, Buddha, Jesus und Aristoteles - sprechen nie von einem kognitiven Aufbruch. Sie machen sich schon vor der Zeitenwende Gedanken zum „Verhalten“ des Menschen. Menschliches Verhalten wird weder damals noch heute vom rationalen Verstand des Menschen bestimmt. Der rationale Verstand ist vielleicht schöpferisch, doch wird das Verhalten des Menschen von seinen Gefühlen bestimmt. Sie verbinden den Menschen mit seinem Umfeld und den Mitmenschen. Ein Zusammenspiel aus emotionaler- und kognitiver Intelligenz bestimmt das menschliche Verhalten. Dass Emotionen und Gefühle schon lange vor dem Auftauchen des Homo sapiens zu unserem Erbe wurden, ist für die Verhaltensforschung an Säugetieren und Primaten heute eine Selbstverständlichkeit. Über das evolutionäre mentale Erbe des Menschen muss deshalb im Westen neu nach gedacht werden, weil v.a. Gefühle und Gedanken, aber nicht Ideen das Orientierungszentrum des menschlichen Verhaltens sind. Als Reaktion auf seine Gefühle entwickelt der Homo sapiens soziale Intentionen, Gedanken und Ideen. Soziale Intentionen und Gedanken orientieren sich am menschlichen Umfeld und an Mitmenschen und suchen nach Erklärungen für aufkommende Gefühle. Ideen tragen für den Menschen die Gefahr in sich, sich diesem Umfeld zu entziehen.

Als Arzt, an Geschichte und Anthropologie interessiert, beschäftigt mich das mentale Erbe des Menschen und dessen Offenbarung in der menschlichen Geschichte. Herausgekommen ist eine Mentalgeschichte, die das evolutionäre und mentale Erbe des Menschen (Teil 1) mit den Geschichten der Menschen in China, in Indien und im christlichen Abendland (Teil 2) verbindet. Ich wählte diese drei, weil von ihnen wichtige- und dokumentierte Kenntnisse zur Historie überliefert sind. Aus der Zusammenschau (Teil 3) von mentaler Evolution des Menschen und seiner Geschichte versuche ich heraus zu finden, wo und wieviel im historischen Leitbild dieser Regionen vom evolutionären mentalen Erbe erkennbar wird oder wo und warum sich die menschliche Geschichte von ihrem evolutionären Erbe entfernte. Vergleiche ich die Geschichten von China und Indien, so hat sich unser mentales evolutionäres Erbe in der Geschichte und im Verhalten des Menschen bewährt. Der Missbrauch dieses mentalen Erbes durch Kognition allein, hat der Geschichte des christlichen Abendlandes nicht gut getan.

Einführung

Wer menschliches Verhalten zu analysieren versucht muss wissen, wo wir herkommen. Er muss die anthropologische Evolution befragen. Sie schuf ein in unseren Genen verankertes Fundament, das menschliches Verhalten lenkt, Lernen ermöglicht und Nachdenklichkeit schafft. Entstanden ist ein in unterschiedlichen evolutionären Epochen geprägtes komplexes Erbe, das in der menschlichen Geschichte im Kompromiss unser Handeln lenkt oder zu Entfremdungen führt, so der Kompromiss misslingt. Wer den Menschen nur mit einer Eigenschaft oder einem Teil unseres genetischen Erbe zu charakterisieren versucht macht aus ihm eine Spekulation. Wer im Menschen nur den Egoisten sieht macht aus ihm eine Bestie. Wer menschlichen Verstand und menschliche Vernunft allein betont macht aus dem Menschen ein „reflexives Produkt“ 1 undmitunter gar ein göttliches Wesen. Der Mensch ist weder Bestie noch ist er Gott. Er ist ein evolutionäres Produkt mit vielen Eigenschaften, die zusammen nur sein bisheriges Überleben sicherten und dieses auch weiterhin sichern sollen.

Die Geschichte des Menschen beginnt nicht, wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte beschrieben, vor 6000 Jahren als Gott „den Menschen ihm zum Bilde (1. Mose 1, 17) aus einem Erdenkloß schuf“ (1. Mose 2, 7). Sie beginnt auch nicht vor 70 000 Jahren weil der Mensch anfängt seinen handwerklichen Verstand zu benutzen und in der „Zivilisatorischen Wende“ eine kognitive Revolte 2 einleitet, in welcher der Jäger und Sammler zum Tierhalter und Landwirt wird und mit kognitiver Intelligenz „eine Geschichte von Morgen“ einleitet 3. Viel früher schon sind dem Menschen und seinen hominiden Vorfahren Großtaten gelungen: Er überlebt in einem gefährlichen Umfeld, weil er sich anzupassen versteht und die Fähigkeit zu Überleben in sich erkennt. Er benutzt sein biologisches Erbe, lernt und passt sich seinem Umfeld an. Bevor der Mensch sich anschickt, sich an seinem Umfeld zu vergehen und dieses zu manipulieren, richtet er seine Sinne und seine Intentionen an die Natur, lernt sie zu verstehen und sichert sich sein Überleben. Menschliches Verhalten wird von einem Erbe gesteuert, das mit der biologischen Evolution vor ca. 3,5 Milliarden Jahren beginnt und als früheste Eigenschaft des Lebens aus „Irritation und Reaktion“ das Prinzip der „Unterscheidung“ erfindet. Dieses Prinzip wird in der Evolution vielfach variiert und schafft in den letzten 2 - 3 Millionen Jahren einen Sonderweg des Menschen durch die Entwicklung menschlicher Mentalität.

Im christlichen Abendland wird der Mensch zunächst zum Objekt der Spekulation. Für Christen ist der Mensch ein Sünder, zumal eine natürliche Mentalität sein Verhalten lenkt und göttliche Gebote dies verändern sollen. Für Christen ist der Mensch auch ein göttliches Geschöpf, ist Teil einer göttlichen Familie. Mit dem Versprechen einer göttlichen Gnade muss der Christ sein Leben fristen und auf sein Ende warten. Für Idealisten ist der Mensch mit Verstand und Vernunft geadelt, ist zur Vervollkommnung und zur Herrschaft über seine Natur aufgerufen. Nicht das vom Menschen Erreichbare ist Ziel der Idealisten. Ihr Ziel ist eine schöpferische Kreativität, mit welcher der Mensch sich über seine Möglichkeiten erhebt und zum „Homo Deus“ wird 3 und sein Umfeld verändert. Seit Darwins Evolutionslehre aus dem Jahre 1856 erst wird im christlichen Abendland der Mensch zum Objekt einer evolutions-historischen Forschung 4,5. Ausgangspunkt für jede biologische Entwicklung und auch die Entwicklung zum Menschen ist eine von Charles Darwin beschriebene „evolutionäre Intelligenz“. Evolutionäre Intelligenz vollzieht sich ohne Anleitung oder Führung, orientiert sich an den in stetem Wandel sich einstellenden Gegebenheiten und ist ohne Ziel. Evolutionäre Intelligenz übernimmt das mit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren aufgekommene Gesetz von „Ursache und Wirkung“ und macht daraus ein biologisches Gesetz von „Reiz und Reaktion“. Es lenkt bis heute die biologische Evolution. Wie es zum Urknall kam und wie das Leben auf unserer Erde entstand, wissen wir nicht. Was aber entstanden ist und existiert hat Eigenschaften und Qualitäten. Aus Existenz wird Essenz, die als Kosmologie, mit dem Beginn des Lebens als Biologie, mit der Entwicklung mentaler Eigenschaften als mentale Evolution des Menschen wissenschaftlich beschreibbar wird. Evolutionäre Intelligenz entwickelt sich aus einem dialektischen Zusammenspiel von Umwelt und biologischem Akteur. Klimatische-, vulkanologische- oder Plattenbewegungen verändern das Umfeld, in welchem ein biologischer Akteur lebt und durch genetische Mutationen verändert wird. Zusammen schaffen Umwelt und biologischer Akteur eine biologische Divergenz und eine kaum noch überschaubare Artenvielfalt als Konsequenz von Dialektik oder „evolutionärer Intelligenz“. Evolutionäre Intelligenz ist ein Dreiklang aus Reproduktion, aus Distanzierung und Veränderung und schließlich aus Einpassung:

Jedes Lebewesen entsteht aus einer „Reproduktion“ des vorher Bestehenden und pflanzt sich wiederum durch Selbstreproduktion fort. Das Junge entsteht, das Alte stirbt. Alt und Jung, Jahrmillionen alte- oder frühe Geschöpfe der Evolution existieren neben Mutanten der jüngsten Zeit und alle reproduzieren sich. Reproduktion stabilisiert eine mögliche Art und stabilisiert das Leben.

Neben einer „Wiederkehr des Gleichen“ durch Reproduktion wird Evolution durch „Distanzierung“ und „Veränderung“ bestimmt. Genetische Mutationen bewirken Veränderung und schaffen Differenzierung und auch das Umfeld unterliegt einem fortwährenden Wandel. Veränderung und Spezialisierung biologischer Akteure in einem sich verändernden Umfeld werden zum Motor des Wandels und diversifizieren das Leben in eine Vielfalt einzigartiger Geschöpfe.

Dies aber nur, wenn die „Einpassung“ gelingt, wenn das Veränderte oder Neue die Arterhaltung und die Überlebenschancen verbessert. Was bisher Bestand hatte wird vom Angepassteren ersetzt. Der Nutzen des Neuen für die Einpassung ins Umfeld entscheidet über die Geschwindigkeit der Evolution.

Unterschiedliche Geschichten werden beschrieben: Charles Darwin beschreibt eine Geschichte des Entstehens, beschreibt eine „Evolutionsgeschichte“, aus der auch der Mensch mit seiner anthropologischen Evolution hervorgeht. In unserer abendländischen Vorstellung ist kognitive Intelligenz das uns vom Homo sapiens überlassene- und uns Menschen charakterisierende Erbe. Es macht uns Menschen zu etwas Besonderem in der biologischen Evolution. Die Weitergabe von Gedanken und Ideen von Mensch zu Mensch schafft eine zweite-, eine Kulturgeschichte des Menschen. Ist Hararis „Kurze Geschichte der Menschheit“ 2 eine Kulturgeschichte, zumal eine „kognitive Revolution“ diese Geschichte einleitet? „Kognitive Intelligenz“, Gedanken und Ideen bewirken die schöpferische Intelligenz des Menschen. Bestimmen schöpferische Intelligenz, bestimmen Gedanken und Ideen aber auch das menschliche Verhalten? Zweifel sind angebracht: Der Homo sapiens steht am Ende einer biologischen Entwicklungsreihe und beschenkt uns mit Gedanken und Ideen, deren eventuelle Auswirkungen auf die menschliche Geschichte wir heute erst erahnen. Zuvor haben die Hominiden in Millionen Jahren ein Verhalten entwickelt, das ihnen ein Überleben in einem wechselnden Umfeld ermöglicht. Eine Analyse der Entwicklung des menschlichen Verhaltens, eine „mentale Evolution“ des Menschen und deren Auswirkungen auf seine Geschichte versuche ich in einer „Mentalgeschichte des Menschen“ zu analysieren. „Evolutionsgeschichte“, „Kulturgeschichte“ und „Mentalgeschichte“ haben einen jeweils anderen Ausgangspunkt und auch eine unterschiedliche Zielorientierung.

Seit Darwins Evolutionslehre wird der Mensch zu einem Objekt der archäologischen Anthropologie. In vielen Regionen unserer Erde werden unterschiedlich erhalten gebliebene Schädel- und Skelettreste von Hominiden oder vom Homo sapiens ausgegraben. Erstmals werden Entwicklungslinien des Menschen diskutiert. Aus Veränderungen der Schädelform oder anderer Skelettreste erstellt die archäologische Forschung einen Stammbaum des Menschen, vom vierfüßigen Primaten ausgehend, über den auf zwei Beinen gehenden aufrechten Australopithecus und den hominiden Greifern Homo habilis oder Homo erectus schließlich zum Homo sapiens führend. Auch beobachten die Archäologen immer wieder Skelettreste, die sich der angesprochenen Entwicklungsreihe entziehen, zu Seitenlinien führen und aus der historischen Forschung unzugänglichen Gründen verschwinden. Dass auf der Erde lebende Tierarten oder Hominiden untergehen und für immer verschwinden können ist ein Ergebnis archäologischer Forschung. 

Bestätigt wird der archäologisch entwickelte Stammbaum zum Homo sapiens schließlich durch eine in den letzten Jahrzehnten möglich gewordene Altersbestimmung entdeckter Skelettreste. Das Alter der Schädel- und Skelettreste wird mit deren formalen Veränderungen verglichen und so ein Stammbaum erstellt. Aus archäologischen Befunderhebungen und deren zeitlicher Einordnung entsteht so der Stammbaum des modernen Menschen, oder jener Stammbaum, wie er den heutigen Vorstellungen der Wissenschaft entspricht. Was dieser Stammbaum nicht liefern kann sind historisch gesicherte Hinweise auf ein unterschiedliches Verhalten der Zwischenglieder des menschlichen Stammbaums und dessen Lenkung durch mentale Fähigkeiten. Die Archäologie kann aus der Zunahme des Schädelumfanges oder aus der Ausweitung des Schädelinnenraumes ein kontinuierlich größer werdendes Gehirn vom nichtmenschlichen Primaten zum Homo sapiens erkennen oder kann diese Zunahme der Hirngröße durch vergleichende Untersuchungen an Tier und Mensch bestätigen. Sie kann aber nicht auf mentale Fähigkeiten oder mentale Entwicklungsschritte der Zwischenglieder des menschlichen Stammbaums verweisen.

Archäologische Spurensuche des Menschen ist eine wichtige Spezialität der Anthropologie, doch ist moderne Anthropologie eine interdisziplinär-, v.a. eine multidisziplinäre Wissenschaft. Jede wissenschaftliche Disziplin liefert ihren Beitrag und erst in der Zusammenschau entsteht ein reales Bild der Menschwerdung: Die Archäologie liefert mit ihren Befunden einen frühen Beweis für die Evolution des Menschen und mit ihren Befunden an unterschiedlichen Orten unserer Erde Beweise für frühe Wanderungen des Menschen. Die Verhaltensforschung an Tieren6 und an nichtmenschlichen Primaten 7,8,9,10,11,12 offenbart jenes biologische Fundament an mentalen Fähigkeiten, auf denen der Sonderweg zum Homo sapiens beginnt und sich fortsetzt. Während die Verhaltensforschung an Tieren einen Ausgangspunkt der mentalen Evolution zum Menschen analysiert, liefern Verhaltensanalysen des Menschen deren Endpunkt. Die Entwicklungspsychologie von Individuen beobachtet, wie sich evolutionäre Entwicklungsschritte in der individualpsychologischen Entwicklung in rascher Folge wiederholen. Schließlich beschreibt die Ethnologie das Leben indigener-, von der Moderne noch wenig veränderter Gruppen. Heutige indigene Gruppen sind zwar Sapiens-Menschen, doch sind ihre Gemeinsamkeiten ein wichtiger Hinweis auf genetisch erworbene-, von Kultur noch unbeeinflusste Verhaltensweisen. Auch die Genetik liefert mit der Entwicklung der biologischen Uhr im mitochondrialen Genom für die Evolution wichtige Befunde13 . Für im Genom feststellbare Veränderungen wird eine zeitliche Zuordnung möglich. Am Leipziger Forschungsinstitut für Anthropologie ist aus Knochenmaterial erstmals ein Neandertal-Genom analysiert worden 14. Der Autor dieses wichtigen Unternehmens Päabo aber schränkt ein: „Genetische Analysen an noch älteren Skelettresten werden immer schwieriger“ und genetische Aussagen für menschliches Verhalten sind unsicher: „Wir wissen so gut wie nichts darüber, wie ein Genom in die Besonderheiten eines werdenden Individuums umgesetzt wird“. Schließlich liefert die Neurophysiologie über vergleichende Analysen des Gehirns an unterschiedlichen Primaten oder an Untersuchungen an Neugeborenen bis ins Alter wichtige Entdeckungen zur Entwicklung, zumal die Embryonalentwicklung des Menschen diesen mit seiner biologischen Evolution verbindet15. Der Mensch ist ein Produkt der Evolution. Für diese Erkenntnis erhielten am 10. Dezember 1973 die Ethologen Konrad Lorenz, Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Physiologie und Medizin. Für ihre Studien an Vögeln, an Bienen und an Fischen wurden Verhaltensforscher von Tieren geehrt, deren Ergebnisse weitreichende Parallelen zu menschlichem Verhalten offenbarten. Es wurden Verhaltensforscher gewürdigt, die eine neue Wissenschaft der „Ethologie“ begründeten 6. Ihr Ziel ist die biologische Grundausstattung menschlicher Psychologie zu betonen: Für Ethologen ist der Mensch in seinem Verhalten genetisch gelenkt, doch ermöglichen ihm auch biologisch entstandene Strukturen zu lernen und zu variieren. Für Ethologen ist die Darwinsche Theorie der Evolution die Basis, mit welcher allein das menschliche Verhalten erklärt werden kann. Der Mensch ist ein der biologischen Evolution entsprungenes-, ein über Jahrmillionen werdendes Wesen, ist genetisch gelenkt und, von Genetik ausgestattet, fähig zu lernen und zu entscheiden.

Biologische Fähigkeiten der Energie-, der Stoffwechsel-oder der Fortpflanzungskontrolle hat der Mensch alle von seinen biologischen Vorfahren der Säuger übernommen. Auch seine mentalen Fähigkeiten sind Produkte der biologischen Evolution. Was den Menschen zum Homo sapiens macht sind schließlich mentale Fähigkeiten, die er von Primaten übernimmt und in der Evolution vom nichtmenschlichen Primaten zum Homo sapiens weiterentwickelt. Viele Schritte mentaler Fähigkeiten - vom Reagieren zum Handeln, vom Kurz- zum Langzeitgedächtnis, von der Neugier zur Aufmerksamkeit, von Emotion zum Gefühl, vom Gefühl zum Verstand, von Gedanken zu Ideen, von der Zugehörigkeit zur Gruppe zum individuellen Selbst, von emotionaler- zu kognitiver Intelligenz und schließlich vom Nichtbewusstsein zum Bewusstsein - haben diese mentale Evolution geformt. Sie übernimmt Funktionen von evolutionären Ahnen, verändert sie und entwickelt Neues. Viele aufeinander aufbauende Stufen der Entwicklung menschlicher Mentalität münden schließlich in ein Verhalten, das den Sapiens-Menschen lenkt, unsere individuelle Entwicklung und schließlich menschliche Geschichte formt. Diese Entwicklung nach zu zeichnen ist eine Herausforderung, zumal die Evolution zum Menschen, v.a. seine mentale Evolution, jene Basis liefert, die heute unser Verhalten lenkt. 

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse von Verhaltensforschern an Tieren oder nichtmenschlichen Primaten, von gemeinsamen ethnologischen Befunden an über die Erde verteilten indigenen Gruppen, von Befunden aus Neurophysiologie, aus Genetik und aus Archäologie liefert eine Menge an Daten, die eine Analyse der mentalen Evolution des Menschen ermöglichen. Die Ethologie der letzten 50 Jahre beweist eine schrittweise Entwicklung menschlicher Mentalität ausgehend von Trieben und Instinkten, über zusätzliches Lernen von Emotionen bis zu einer emotionalen- und schließlich einer kognitiven Intelligenz. Diese mentale Evolution spiegelt sich wiederum in der Individualentwicklung des Menschen 16, wozu uns die Entwicklungspsychologie interessante Einblicke vermittelt. Alle mit dem Menschen sich beschäftigenden Wissenschaften beweisen, wie sehr wir Menschen Geschöpfe der biologischen Evolution sind. 

Jedes Buch über menschliches Verhalten muss die mentale Evolution als Ausgangspunkt des Menschen aufgreifen. Nur unsere evolutionäre Herkunft kann den Menschen und sein Verhalten erklären. In einer Entstehungsgeschichte menschlicher Psychologie muss erkennbar werden, wie v.a. menschliche Gefühle den Bezug zur Welt bestimmen und wie von ihnen ausgehende Gedanken oder Ideen nur dann ihre Wichtigkeit behalten, so sie durch unsere Gefühle, unsere soziale Zugehörigkeit und unsere Abhängigkeit von Natur und Umfeld ihre Berechtigung erfahren. Jede neue mentale- oder psychologische Erwerbung benutzt im evolutionären Ablauf die Vorausgehende als Orientierung, setzt diese fort, ergänzt sie oder optimiert sie. Durch genetische Mutationen erzeugte Veränderungen können sich nur dann durchsetzen, wenn sie das Vorhandene nicht verdrängen, sondern dieses allenfalls ergänzen und das Neue anpassbar oder flexibel gestalten. Ein menschliches Verhalten, das sich nur an Verstand und Wissen orientiert und die zuvor schon entstandenen- und gestaltenden Gefühle vernachlässigt, wie dies im christlichen Abendland geschah, konnte nicht gut gehen und musste korrigiert werden. Hoffen wir nur, dass die Korrektur nicht zu spät kommt.

Evolutionäre Intelligenz, ein dialektisches Zusammenspiel zweier sich laufend verändernder Pole aus Umwelt und biologischem Akteur, entwickelt biologische Diversität und schafft einzigartige Geschöpfe und hoch spezialisierte Arten: Sie lösen Staunen und Bewunderung aus und lassen in uns Menschen auch Demut aufkommen, denn jedes biologische Geschöpf, jede Pflanze und jedes Tier hat eine besondere-, eine eigene Entwicklungsgeschichte, die ein weltweites Überleben oder ein Dasein in der Nische möglich macht. Evolutionäre Intelligenz schafft für jedes biologische Geschöpf jene optimale Funktion, die sein Überleben und seine Fortpflanzung sichert. Jede Art ist einzigartig und jedes Glied ist wichtig im Zusammenspiel des Lebens auf der Erde. Beim Menschen führt diese Entwicklung zu einer „mentalen Intelligenz“. Sie ist eine durch evolutionäre Intelligenz erzeugte „mentale Intelligenz“, mit welcher wir Menschen unser Überleben sichern. Evolutionäre Intelligenz qualifiziert nicht: Was sich mit der mentalen Intelligenz des Menschen im Vergleich zur evolutionären Intelligenz verändert ist allenfalls eine neu aufgekommene Zielorientierung: Orientiert sich die „evolutionäre Intelligenz“ ausschließlich am jetzt Gegebenen, so orientiert sich eine von Gefühlen gelenkte „mentale Intelligenz des Menschen“ an der Vergangenheit und an der Gegenwart, doch hat sie, — wichtig ja, aber vielleicht gefährlich —, auch die Zukunft im Blick. Mentale Intelligenz ist ausgerichtet und hat Ziele. Die mentale Intelligenz will zuerst das Überleben des Menschen sichern, doch will sie gleichzeitig jenes Scheitern verhindern, das die „evolutionäre Intelligenz“ akzeptiert: Wer sich in ein gegebenes Umfeld nicht einzupassen versteht wird scheitern, untergehen und verschwinden. Nur weil ein potentielles Scheitern von Individuen oder Arten von der „evolutionären Intelligenz“ akzeptiert wird, kann jene Vielfalt einer biologischen Welt entstehen, die wir bewundern. Dies Scheitern muss einer zielorientierten-, von Gefühlen, von Gedanken und Ideen gelenkten mentalen Intelligenz des Menschen nicht widerfahren, doch sind deren Konsequenzen noch offen und nicht beantwortet. Wird mentale Intelligenz das Überleben des Menschen sichern oder wird sie, wie der Gigantismus der Dinosaurier, zur Bedrohung werden?

Der Mensch ist ein von evolutionärer Intelligenz erschaffenes biologisches Geschöpf mit mentalen Funktionen, deren Entstehung ich im 1. Teil dieses Buches zu beschreiben versuche. Ein von der biologischen- und mentalen Evolution gestaltetes Menschenbild entsteht und grenzt sich ab von philosophischen- oder religiösen Alternativen. Der eigentliche Anlass dieses Buches aber ist eine Verbindung von mentaler Evolution des Menschen mit seiner Geschichte. Werden evolutionär entstandene Fähigkeiten des Menschen im geschichtlichen Ablauf verwendet oder werden diese von kulturellen Erkenntnissen ergänzt oder gar ersetzt? Was hat der Mensch in seiner Geschichte aus seinen evolutionär erworbenen Fähigkeiten gemacht? Hat er sie genützt oder hat er sie sogar verachtet, weil er in eine von Gott erschaffene Welt entführt wurde und der Evolution misstraute? In Teil 2 analysiere ich deshalb die mehrere Tausend Jahre alten Geschichten von China, von Indien und vom christlichen Abendland. Es sind die bevölkerungs-reichsten Regionen unserer Erde. Alle drei verfügen über eine Jahrtausende alte- und durch Erzählungen und Schriften kommunizierte Geschichte von Ethik und menschlichem Verhalten. Auch spielen alle drei Regionen in der derzeitigen Politik eine wichtige Rolle und sind wirtschaftlich vernetzt. In allen drei Regionen wird schon lange vor der christlichen Zeitenwende eine gesellschaftliche Orientierung angestoßen mit unterschiedlichem Bezug zur mentalen Evolution des Menschen. Nicht einzelne historische Events interessieren in der Geschichte dieser Regionen, sondern ihre früh schon angelegten gesellschaftlichen Leitbilder, die bis heute ihre Geschichte bestimmt haben und noch immer bestimmen. Eine von mentalen Leitbildern geformte Geschichte-, eine Mentalgeschichte als Verbindung von Evolution und Geschichte, eine Geschichte menschlichen Verhaltens und nicht die Kulturgeschichte dieser Länder interessiert. Obgleich alle Menschen auf unserer Erde über ein gemeinsames evolutionäres Erbe verfügen, offenbaren die Geschichten von China, von Indien und vom christlichen Abendland erhebliche Unterschiede. Wie sind diese historischen Unterschiede entstanden, wenn wir Menschen alle das gleiche genetische Erbe in uns tragen? 

Geschichte ist bisher fast immer eine Abfolge von Kulturen, die aufblühen und wieder verschwinden. Sie entspringen Mythen, religiösen Vorstellungen oder Ideen einzelner Menschen und werden wieder verschwinden. Wenn Oswald Spengler in seinem Jahrhundertbuch über verschwundene Kulturen vom „Untergang des Abendlandes“133 spricht, so prognostiziert er nicht den Untergang des Abendlandes, sondern das Verschwinden einer abendländischen-, von menschlichen Ideen entworfenen Kultur. Nicht ohne Grund erwähne ich dieses Beispiel einer abendländischen Kultur: Geschichte ist zwar auch eine Abfolge von Kulturen, doch wird menschliche Geschichte nachhaltig und langfristig vom menschlichen Verhalten und vom mentalen Erbe des Menschen gelenkt. In der Evolution überlebt nur, wenn einem evolutionären Erbe die Einpassung in ein gegebenes Umfeld gelingt. In der menschlichen Geschichte werden das Verhalten des Menschen und nicht ideelle Entwürfe sein Überleben bestimmen.

In einer Zusammenschau von mentaler Evolution und Geschichten in China, in Indien und im christlichen Abendland vergleiche ich in Teil 3 dieser Analyse die gemachten historischen Erfahrungen und suche nach Erklärungen. Ein gleiches evolutionäres- oder genetisches Erbe, aber unterschiedlich verlaufende-, sich an unterschiedlichen Leitbildern orientierende Langzeitgeschichten dieser Länder, müssen eine von kulturellen Unterschieden nicht erklärbare-, genetische Ursache haben. Warum entwickeln sich in einer Geschichte Verhaltensformen, die in anderen Geschichten nicht in gleicher Weise zu finden sind? Eine Antwort müsste uns Menschen helfen, in einer globalisierten Welt der Zukunft ein friedlicheres Zusammenleben und eine Bewahrung von Natur erreichen zu können.

Teil 1 MENTALE EVOLUTION ODER WIE MENSCHLICHES VERHALTEN ENTSTEHT.

1A: UNTERSCHEIDUNG, EIN BIOLOGISCHES ERBE.

1. Aus Urknall wird „Ursache und Wirkung“.

Vor ca. 5,6 Milliarden Jahren beginnt die biologische Evolution, beginnt die Evolution biologischer Organismen, beginnt Leben. Wie das Leben entstand dafür haben wir allenfalls Vermutungen. Ist das Leben durch einen Einschlag von Meteoriten auf die Erde gekommen, in der Tiefe der Meere in der Nachbarschaft heißer- und schwefelhaltiger vulkanischer Aktivität oder durch Blitzeinschlag entstanden: Wir wissen es nicht. Was wir jedoch aus der Evolution lernen können sind Erscheinungen, sind Qualitäten und Funktionen, die sie hervorbringt. Das Existieren, das Aufkommen von All und Leben bleiben ein Rätsel. Über die Essenz von All und Leben, über deren Entwicklung, Struktur und Funktion können wir nachdenken und forschen. Lebende Organismen haben eine Struktur. Deren Aufbau braucht Energie, mit der Strukturen und Funktionen entstehen, erhalten und stabilisiert werden müssen. Nicht weniger wichtig sind Information und Wissen, mit welchen ein Organismus über seine körperliche Homöostase und über von außen kommende Einflüsse erfährt. Zwei Funktionen stehen am Anfang einer biologischen Evolution, in welcher das Leben strukturierter Organismen beginnt: Energie und deren Verwertung muss Leben ermöglichen und Information muss das Überleben sichern.

Auch die Biologie arbeitet mit dem ältesten und ersten kosmologischen Gesetz von „Ursache und Wirkung“. Dieses Gesetz entsteht in der Vorstellung heutiger Wissenschaft durch den „Urknall“ vor 13, 7 Milliarden Jahren und schafft mit Masse und Energie zwei äquipotente Qualitäten, die hinfort die Materie, dann die biologische Welt und schließlich auch die menschliche Entwicklung lenken. Das Gesetz wird die Kausalität begründen, welche die materiale- und die biologische Welt lenkt. „Urknall“ ist wissenschaftliche Bezeichnung für einen Anfang, den wir kaum verstehen und noch weniger begreifen können, ist ein Anfang der Welt und des Kosmos, den wir zu beschreiben versuchen, aber nicht erklären können. Durch historische-, biologisch-physikalische- und astronomische Forschung wissend geworden, vergleichen wir physikalische Explosionen im Weltall mit einem „Urknall“ und benutzen ihn als Metapher des Anfangs unserer Welt. Durch beobachtbare physikalische Gesetze sind wir heute in der Lage, eine zeitliche Aussage zum Urknall zu machen. Da wir den „Urknall“ nicht erklären können oder allenfalls Vorstellungen entwickeln, sind wir in einer kaum besseren Situation als jene frühgeschichtlichen Menschen, die in Kosmogonien oder Theogonien das Entstehen der Welt beschreiben. In der Geschichte des Menschen führt dessen Nachdenklichkeit zu magischen Gedanken und Ideen. „Zuerst erklären Mythen oder Religionen dem Menschen die Welt. Sie stellen die gleichen Fragen wie wir heute; inzwischen hat die Wissenschaft diese Rolle übernommen“ schreibt Thomas Sedlarzek 17. Wissen wir zum Anfang unserer Welt heute mehr oder glauben wir nur mehr zu wissen? Ist für uns naturwissenschaftlich gebildete Menschen die Entstehung des Urknalls vor 13,7 Milliarden Jahren besser vorstellbar als das Auftauchen des Gottes Atun aus einem formlosen Chaos für die frühen Ägypter? Auch Urknall ist nur ein modernes Bild, jenen Bildern frühhistorischer Menschen vergleichbar, mit denen sie sich die Entstehung der Welt erklärten. Ausgangspunkt für frühe Kosmogonien ist eine Welt aus „unstrukturierter Masse“, aus „Chaos“, aus „Schattenenergie“, ist eine „präexistene Welt“ oder ein „Ozean der Ursachen“, aus welchen, Metamorphosen vergleichbar, eine strukturierte Masse wird. In Theogonien sind Götter jene Gestalter die nicht Erklärbares zu erklären versuchen und eine Welt nach ihrer Vorstellung entstehen lassen. Wir sprechen vom Urknall, Religionen sprechen von Schöpfung: Religiöse Menschen haben in der Zwischenzeit das kosmologische Gesetz von Ursache und Wirkung verinnerlicht und können nicht anders als anzunehmen: Die Ursache des Urknalls war eine göttliche Tat des Schöpfers. Sie übersehen dabei allerdings, dass das kosmische Gesetz von Ursache und Wirkung erst durch den Urknall in die Welt kam und Gott kann nicht zugleich „Urknall“ und dessen auslösende Ursache sein. Der Agnostiker gibt sich zufrieden: Er kennt keine Ursache für den Urknall und akzeptiert dies. Er weiß aber, dass des Urknalls Wirkung die Welt bestimmt.

In unserer Frühgeschichte haben Magie und Mythen den Menschen die Welt erklärt. Heute hat die Wissenschaft diese Rolle übernommen 17. Tatsächlich hören wir erstaunliche Ergebnisse der kosmologischen Forschung. Wir wissen viel über die biologische Evolution, über das Leben von Pflanzen und Tieren und wir lernen, wie Gefühle und Gedanken den Menschen lenken. Unser Wissen beschäftigt sich nur mit den Folgen eines „Anfangs“, die der „Urknall“ auslöste. Aber können wir diesen „Urknall“ verstehen? Wie unsere Welt funktioniert und auch wie sie entstanden sein könnte, dazu machten sich Menschen auch schon vor 4000 - 2000 Jahren v. Chr. In Ägypten, in Griechenland, in Indien und in China Gedanken. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Hermes Trismegistos. Er wurde als „Meister aller Meister“ verehrt, als Mischung aus dem griechischen Gott Hermes Verfasser der „hermetischen Schriften“. Er muss ein großartiger Beobachter von Natur und Welt gewesen sein, denn er ist der Autor der „7 hermetischen Gesetze“, mit denen er erklärt, wie Kosmos, Biologie und auch der Mensch funktionieren und physikalischen- und mentalen Gesetzen unterliegen. Als erster Mensch spricht er in seinem 6. Gesetz das oben bereits genannte Gesetz von „Ursache und Wirkung“ an. Seit wir Menschen denken können argumentieren wir mit diesem vor 3 bis 5 Tausend Jahren entdeckten Gesetz. „Ursache und Wirkung“ ist für uns heute selbstverständliche Normalität, doch musste es erstmals erkannt und aufgeschrieben werden. Es sagt aus, dass „Zufälle“ nicht existieren und was wir heute als „Zufall“ erklären immer eine, wenn auch oft nicht erkannte, Ursache hat. Hermes Trimegistos hat recht behalten, was weitgehend auch für seine 6 weiteren hermetischen Gesetze gilt: Es gilt für sein „Gesetz der Entsprechung oder der Resonanz“, für sein Gesetz „Schwingung“ (nichts ruht, alles bewegt sich), für sein Gesetz der „Polarität oder der Gegensätze“, für sein Gesetz von „Rhythmus und Kreislauf“ (alles fließt aus und ein, alles hebt sich und fällt). Alle von Hermes Trimegistos ausgerufenen Gesetze, mit denen er den Zusammenhalt von Welt und Kosmos erklärt, haben sich wissenschaftlich weitgehend bestätigt. Dabei war er nur ein großer Beobachter und hatte kein Wissen von Physik und Biologie. Da Hermes Trismegistos viel darüber nachdachte wie Welt und Kosmos funktionieren, nachdem sie entstanden sind, wollte er schließlich auch wissen, wie alles entstand. Dafür entwickelte er sein erstes der sieben hermetischen Gesetze und nannte dieses Gesetz „Prinzip der Schöpfung“ oder „Prinzip von Mentalität“. Eine Welt, so seine Deutung, die von sechs Prinzipien oder Gesetzen gestaltet und gelenkt wird, muss von einem „Prinzip von Schöpfung“ oder einem „Prinzip von Mentalität“, in jedem Falle von einer Kraft ausgehen, die er noch nicht kannte und wir heute als „evolutionäre Intelligenz“ oder „Gott“ bezeichnen. Was man noch nicht kannte wurde zur Zeit des Hermes Trimegistos durch eine göttliche Macht erklärt. Man kann diesen Anfang als Gott, als YHWE, als Allah, als Brahman oder als Urknall bezeichnen. Von allen wissen wir nicht wer oder was sie sind. Wir wissen allein, dass sie sich in ein Gesetz von „Ursache und Wirkung“ verwandelten, in einen materiellen- und geistigen Funken verwandeln, der in allen Existenzen unserer irdischen Welt deren Erhalt und Entwicklung lenkt. In China ist dieser Funken Yin und Yang, in Indien purusha und pakriti, in Darwins Evolution Reproduktion und Veränderung und beim Menschen Gefühl und Geist.

Mit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren entstehen mit Masse und Energie zwei äquipotente Qualitäten, welche im Zusammenspiel von Ursache und Wirkung die Kausalität begründen und Expansion und Retraktion oder Fliehkraft und Anziehung entwickeln. Deren dialektisches Zusammenspiel wird in immer wieder neuer Form und neuer Beschreibung den Weltraum, den Mikrokosmos, die Welt der Pflanzen, der Tiere und auch des Menschen am Laufen halten und die Evolution lenken. Ursache und Wirkung, Information und Aktion sind äquivalente Kräfte. Jede Ursache und jede Information hatte selbst eine Ursache oder einen Auslöser und jede Wirkung, jede Reaktion und jede Aktion wird wiederum zum Auslöser. Die von der menschlichen Philosophie in die Diskussion gebrachte Unterscheidung von „Subjekt“ als handelndem Prinzip und „Objekt“ als reagierendem Prinzip und deren mit dieser Unterscheidung aufgekommene unterschiedliche Wertigkeit und Wichtigkeit existiert in der natürlichen Welt der Evolution nicht. Im Netzwerk der Evolution sind Alle oder Alles einmal Handelnde oder Subjekte, dann wieder Reagierende oder Objekte. „Während wir handeln wird gleichzeitig an uns gehandelt“ sagt der schottische Philosoph und Aufklärer Hume (1711-1776) im 18. Jahrhundert und bestätigt, was schon 2000 Jahre früher in Indien und in China als ein Gesetz des Lebens verkündet wurde: Im Karma sieht der Inder jene in Natur und Mensch wirksamen Kräfte von Körper und Geist, von pakriti und purusha, die im Zusammenspiel das Dharma oder das Schicksal des Menschen bestimmen. In China wird zu gleicher Zeit das indische Dharma zum chinesischen DAO und wird von Yin und Yang gestaltet. Das Zusammenspiel von Ursache und Wirkung, von Irritation und Reaktion, von pakriti und purusha, von Yin und Yang wird schließlich in Darwins Theorie der Evolution zu Distinktion und Integration. Dialektik lenkt Materie, das biologische Leben, die Entwicklung menschlicher Mentalität und schließlich auch menschliche Kultur.

2. Aus „Irritation und Reaktion“ werden Pflanzen und „Triebe“.

Bis zur Entstehung von Leben durch Pflanzen und Tiere werden Milliarden Jahre vergehen, in denen ein kosmologisches Gesetz von Ursache und Wirkung regiert. In der Welt der Biologie, einer Welt der Pflanzen und der Tiere, sind sensorische Reize oder Irritationen die Information und Energie führt zu Reaktion oder Aktion. Das bisherige Gesetz von Ursache und Wirkung, von Information und Aktion wird zu einem Leben schaffenden Gesetz von Reiz und Reaktion, zu einem das Leben erhaltenden dialektischen Prinzip, zu einer Grundstruktur der Biologie. Sie wird die biologische Evolution und deren Vielfalt und auch die mentale Evolution bis heute bestimmen. Konsequenz eines jeden biologischen Organismus ist eine „arterhaltende Zweckmäßigkeit“ schreibt Konrad Lorenz 18. Jeder Organismus will sich selbst erhalten, dann seine Art erhalten und sich fortpflanzen. Dazu braucht er eine optimale Verwertung seiner Energie und er braucht Wissen oder Informationen über sein körperliches Befinden und über seine Situation in einem gegebenen Umfeld. Energie und Information sind die Grundvoraussetzungen des Lebens und dessen Evolution. Drohen in einem sich verändernden Umfeld Gefahren, so muss ein Organismus besser, stärker, wiederständiger werden. Er braucht mehr Energie und mehr Information. Energieverbrauch und Informations-menge müssen in Relation zueinander wachsen, wenn Evolution möglich sein soll.

In der „thermophylen Welt“ 19 im Übergang der Materie in eine belebte Welt bestimmen unterschiedliche Formen von Bakterien die Entwicklung. In Milliarden Jahren entwickeln sie in einem von der heutigen Erde völlig unterschiedlichen Milieu aus Schwefel und Hitze chemische Bausteine, die zu Informanten werden und Reaktionen auslösen. Nach diesen Milliarden Jahren einer Existenz im Wasser wagen zunächst Pflanzen, dann Tiere vor etwa einer Milliarde Jahren den Übergang aufs Land und formen eine neue Welt des Lebens. Dem kosmologischen Gesetz von „Ursache und Wirkung“ folgt ein biologisches Gesetz von „Irritation und Reaktion“. Die Pflanzen machen den Anfang. Ein Kampf um Fortpflanzungsfähigkeit beginnt. In einer Vorläuferzelle entsteht durch chemische Reaktion das Chlorophyll. Durch Symbiose wird Chlorophyll zum bleibenden Besitz einer aufnehmenden Zelle. Diese von Chloroplasten profitierenden Eukaryocyten wagen vor ca. einer Milliarde Jahre den Landgang und werden auf unserer Erde eine Welt der Pflanzen begründen. Chlorophyll wird zum Ort der Photosynthese, mit welcher die Lichtenergie der Sonne aus gasförmigem CO2 und Wasser Kohlenstoff als Baustein des Lebens und Sauerstoff als „Abfallprodukt“ schafft. Pflanzen begründen eine eigene Lebenswelt: Sie entnehmen die Energie dem Licht der Sonne und bekommen den Kohlenstoff als Baustein. In einer energetisch vom Sonnenlicht abhängigen Welt der Pflanzen streben diese der Sonne entgegen. Aus einem im Boden existierenden Netz aus Wurzeln werden dem Licht zugewandte Stängel oder Stämme, die als Sprossachse Stabilität bedeuten, Nährsubstanzen und Wasser transportieren oder im Blattwerk den Wasseraustausch mit dem Umfeld regulieren und die Photosynthese bewältigen. Der Sonne zustrebend bilden Blüten oder Baumkronen schließlich das obere Ende des Wachstums. Ihre Farbenpracht und ihre Duftwolken sorgen für die Fortpflanzung, indem Wind und Insekten den Pollen weiter tragen. Ortsständigkeit wird zur Lebensgrundlage der Pflanzen: 1800 Jahre alte Baobabs, aber auch rasch wachsende, im Winde sich biegende Kräuter schaffen es zu überleben, ohne ihren Platz zu wechseln. Wer nicht beweglich ist wird untergehen, so das Licht der Sonne schwächer wird, so Wurzeln die Versorgung nicht mehr leisten können, die Lebenssäfte ausbleiben oder das Alter ein pflanzliches Leben beendet. Aus sterbenden Pflanzen und Wäldern werden Fossile wie Torf, wie Kohle, Erdöl und Gas. In ihnen ist jener Kohlenstoff gebunkert, der, von Sonnenenergie gestützt, aus CO2 und Wasser entsteht und zur Bausubstanz der Pflanzen und bald auch der Tiere werden sollte. Milliarden oder Millionen Jahre später beobachten Menschen wie aus verbranntem Holz und etwas später auch aus verbrannter Kohle oder Erdöl Wärme entsteht. In unserer Zeit erst entdecken die Menschen wie beim Verbrennen von Kohle und Öl zwar jene Lichtenergie freigesetzt wird, die in der Evolution aus CO2 und Wasser den Kohlenstoff schuf, bis nochmals später die Menschen schließlich realisieren, dass beim Verbrennen von fossilen Ablagerungen nicht nur Energie, sondern auch das in der Evolution benutzte CO2 wieder freigesetzt wird. Heute erleben wir, wie beim Verbrennen von fossilen Substanzen das frei werdende CO2 unsere Atmosphäre verdichtet, die Reflexion der Lichtstrahlen der Sonne erschwert wird und ein Treibhausklima entstehen lässt. Es wird langfristig in einem lebensfeindlichen Klima auf unserer Erde enden, wie es vor der Landnahme von Pflanzen und Tieren schon bestand. Ein evolutionäres Gesetz bestätigt sich: Was einmal von Nutzen war und die Lebenswelt von Pflanzen und Tieren ermöglichte kann in neuem Gewand oder im maßlosen Gebrauch der von Pflanzen und Tieren hinterlassenen fossilen Brennstoffe jene Situation wieder herbeiführen, die Cyanobakterien oder ihre Schwefel konsumierenden Vorfahren in der Tiefe unserer Meere wird überleben lassen, aber das Überleben von Pflanzen und Tieren, zu denen auch der Mensch gehört, auf der Erde bedrohen kann. Die Evolution bestätigt eine buddhistische Weisheit: „Was böse war kann Gutes schaffen, aber aus Gutem wird nicht selten auch Böses“. In einer dialektischen Welt der Evolution werden Umfeld und auch die in diesem lebenden Geschöpfe zu Gestaltern. Die Wünsche und die Bedürfnisse aber der von der Evolution erschaffenen Gestalter verändern sich mit der Zeit. Sie haben sich mit der Entstehung des Menschen verändert: Umweltschäden und Erderwärmung sind die aktuellen vom Menschen erzeugten Folgen.

Für ortsständige Pflanzen gilt: Die Kopplung von Reiz und Reaktion führt stets zu einer gleichartig ausgerichteten Reaktion. Die Pflanze braucht das Licht der Sonne und jeder Reiz treibt die Pflanze der Sonne entgegen. Sie allein ist das Ziel der Pflanze. Jeder „Trieb“ einer Pflanze ist an die Sonne gerichtet und sucht vom Licht der Sonne Erfüllung. Wurde mit ortsständigen Pflanzen erstmals ein „triebhaftes Reagieren“ entwickelt, ohne eine Möglichkeit des Unterscheidens? Wird, wer nur einem Ziel zustrebt und nur von diesem Ziel Erfüllung erreichen kann, ein Getriebener, ein von Trieben Gesteuerter? Tatsächlich wird das Licht der Sonne zur ausschließlichen Orientierung für Pflanzen. Wo dieses Licht ausbleibt oder schwächer wird müssen Pflanzen absterben und zu fossilen Ablagerungen werden. Dieser der Sonne zugewandte „Trieb“ hat jedoch eine Pflanzenwelt erschaffen, die heute nach den Aussagen des italienischen Pflanzenexperten Mancuso 39 etwa 8o% der gesamten Biomasse unserer Erde bestimmt. Ohne Pflanzen könnten 7,5 Milliarden Menschen oder 0,01% der Biomasse auf der Erde nicht existieren. Die Pflanzen produzieren für Tier und Mensch den Sauerstoff und schaffen seit 1-2 Milliarden Jahren eine Energieressource aus Holz, aus Kohle und Öl. Doch sind dies nicht die einzigen Fähigkeiten von Pflanzen. Wie wir heute wissen kommunizieren die Pflanzen über ihr Wurzelgeflecht mit dem Umfeld und über ihre Blüten auch mit uns Menschen. Sie bewegen sich, indem ein wachsendes Wurzelnetzwerk Pflanzen miteinander verbindet. Schließlich leiden sie und demonstrieren dies mit einem Sterben des Waldes. Ortsständig zwar und dem Trieb zur Sonne folgend, haben Pflanzen all jene Fähigkeiten entwickelt, die wir bisher nur den Tieren zuschreiben: Triebe, Nützlichkeit, Bewegung, Kommunikation und schließlich auch Leiden sind Eigenschaften aller biologischen Geschöpfe.

Triebe gehören auch zu den Eigenschaften von uns Menschen: Die Kopplung von Reiz mit einer stets gleichartig ausgerichteten Reaktion ist die Ursache eines triebhaften Verhaltens: TRIEBE sind ausgerichtetes Reagieren auf physiologisch ausgelöstes Verlangen. In der ethologischen Wissenschaft ist Trieb eine von evolutionärer Intelligenz entwickelte-, genetisch festgelegte- und automatisch ablaufende Handlung, die der Lebenserhaltung und auch der Arterhaltung dient. Dieses triebhafte Verhalten von evolutionärer Intelligenz wird erstmals von ortsständigen Pflanzen benutzt. Ein im Körper entstehender Reiz entwickelt ein körperliches- und irgendwann auch mentales Verlangen, einen Drang, einen Triebdruck, der zur Triebbefriedigung drängt. Wer Hunger hat wird sich Nahrung besorgen. Wer bedroht wird wird sich wehren. Wer einen sexuellen Drang verspürt wird sich einen Partner suchen. In dieser Form dient der Triebdruck einer gelingenden Triebbefriedigung und schafft Befriedigung auf Kosten Anderer. Hunger, Durst, Gefahr und sexuelle Lust sind die im Körper oder in der Vorstellung entstehenden Reize, die Handlungen auslösen, mit welchen Hunger und Durst beendet, Gefahren abgewendet oder eine sexuelle Lust befriedigt werden. Der auslösende Reiz wird befriedigt und dient der Lebens- und der Arterhaltung.

Was passiert, wenn aus ganz unterschiedlichen Gründen eine Bedürfnis- oder Triebbefriedigung nicht gelingen kann? Dem hungernden fehlt Nahrung, dem Durstenden das Wasser, dem sexuell Angeregten die Partnerin. Für diese Situationen entwickelten Konrad Lorenz einen an der ethologischen Triebtheorie orientierten „Aggressionstrieb“18 und Sigmund Freud einen „Sexualtrieb“20 auch beim Menschen. Lorenz und Freud wissen, dass der Mensch ein biologisches Erbe hat, aber durch eine Millionen Jahre dauernde mentale Evolution zu einem psychologischen Wesen wurde und psychologische Einflüsse einen Aggressionstrieb oder einen Sexualtrieb beim Menschen beeinflussen und verändern können. Sie wussten aber auch, dass Geist und Vernunft des Menschen dessen Handeln nicht immer korrigieren können und Aggression und Sexualität beim Menschen nicht selten ein die „Beziehungsebene“ des Menschen störendes Eigenleben entwickeln. Wie jede Reaktion oder Aktion eines biologischen Wesens ist ein triebhaftes Geschehen ausgelöst: Wenn ein Mensch Hunger oder Durst hat kann er deren Befriedigung aufschieben, bis sie zum Tode führt oder aber so unerträglich wird, dass sie sich als Aggressivität entlädt. In der biologischen Welt der Tiere sind es Duftstoffe, die den Partner oder die Partnerin anlocken. Beim Menschen führen Sympathie, Aussehen oder Berechnung zu sexueller Lust und deren Befriedigung, doch ist Nichtbefriedigung auch ein Auslöser für Aggressivität. Dass Aggression und Sexualität beim Menschen nicht selten ein störendes Eigenleben und ein Triebverhalten entwickeln ist eine Erfahrung. Dass Aggressionsbereitschaft und auch ein Sexualtrieb in uns als biologisches Erbe angelegt sind, dies allein wollten Lorenz und Freud beschreiben und mussten viel Kritik erfahren. Wo immer Naturforscher oder Psychologen wie Charles Darwin, wie Konrad Lorenz oder Sigmund Freud die biologischen Wurzeln des Menschen ansprechen, werden sie von Kulturschaffenden oder von der Kirche kritisiert. Dass der Mensch als biologisches Wesen durch seine mentale Evolution nicht nur ein existierendes Geschöpf, sondern auch ein psychologisch agierendes Wesen ist und biologische Zwänge durch psychologische Einflussnahme zu korrigieren in der Lage ist, hätten Darwin, Lorenz oder Freud nie bezweifelt. Aggressionsbereitschaft oder sexuelle Übergriffe werden aber nicht dadurch abgeschafft, weil wir die biologischen Wurzeln von Aggressivität oder Sexualität in Frage stellen. Die Psychologie des Menschen wurde auch deshalb von der evolutionären Intelligenz entwickelt, um für triebhafte Zwänge des Menschen einen menschenmöglichen- oder humanen Umgang zu ermöglichen. Religiöses- oder idealistisches Träumen kann unsere evolutionäre Entwicklung nicht ersetzen und muss die evolutionäre Herkunft des Menschen akzeptieren.

3. Von der Pflanze zum „Trieb“, vom Tier zum „Instinkt“.

Schon in der Lebenswelt der Pflanzen kündigt sich an: Wer seine lebenswichtigen Substanzen nicht aus tiefen Wurzeln sichern kann, muss eine neue Form der Nahrungssuche organisieren. Er sucht sich was er braucht. Ein bisheriges „senso-metabolisches Reagieren“ mit Nutzung des Lichtes als Energiequelle wird durch ein „senso-motorisches Reagieren“ ergänzt. Bewegung oder Mobilität wird zur Überlebensstrategie der Tiere. Der Sauerstoff als „Abfallprodukt der Photosynthese der Pflanzen“ wird zum Brennstoff der Mobilität, mit welcher sich Tier und Mensch jener Substanzen ermächtigen, die sie für Wachstum und Kraft brauchen. Sauerstoff muss zu Energie werden: Wiederum entwickelt eine Vorläuferzelle vor Milliarden Jahren das aus Eiweiß hervorgehende ATP, welches die Verarbeitung des Sauerstoffs möglich macht. Diese ATP liefernde Vorläuferzelle wird durch Symbiose zum Besitz eines Eukaryocyten, wird zu den Energie liefernden Mitochondrien in den Zellen von Tier und Mensch. Was immer Tier und Mensch an Nahrung aufnehmen werden Mitochondrien zu Energie machen.Wichtig bleibt allein die notwendige Nahrung durch eine aufkommende Mobilität zu besorgen. „Senso-motorisches Reagieren oder Agieren“ wird zur Lebensgrundlage von Tier und Mensch und lässt sie bis heute überleben. 

In der biologischen Evolution von Tier und Mensch und auch in ihrer Individualentwicklung steht das senso-motorische Reagieren am Anfang der Entwicklung. Die amöboide Zelle entwickelt Pseudopodien oder Scheinfüßchen durch das Gelieren eines Teils ihres flüssigen Plasmas. Andere Einzeller oder Bakterien drücken sich mit Polstern von der Unterlage weg und lassen sich einem Ziel zutreiben. Wieder Andere entwickeln Flagellen, deren Drehbewegungen die Bakterien fortbewegen und Schlangenbewegungen zum Ziel führen. Flagellen sind erste Organe, die Mobilität sichtbar machen, ausgelöst und zielgerichtet sind und schließlich zu Füßen werden. Mobilität wird für Tiere zu jener Funktion, mit der sie ihre Nahrung finden oder sich vor Schaden schützen. Eine neue Form von Mobilität wird auch zum Gründungs-mythos des Menschen oder zum Beginn der menschlichen Entwicklung. Aus vierfüßig sich bewegenden Primaten werden vor ca. 3 - 6 Millionen Jahren auf zwei Beinen rennende Australopitheci. Ihre Gehirne sind nur unwesentlich größer als jene nichtmenschlicher Primaten, doch können sie auf zwei Beinen längere Strecken überwinden, benötigen, wie wir heute wissen, auch weniger Energie und bekommen die Arme frei zum Greifen. Was schon Tiere beweisen bestätigt sich in der Mensch-werdung: Der Anfang einer jeden evolutionären Entwicklung von Tieren und Menschen wird von Mobilität, von körperlicher Aktivität, vom Handeln bestimmt. Was die Evolution uns lehrt bestätigt sich in der Individualentwicklung des Menschen: Beim Menschen führen schon im Uterus Irritationen der Mutter zu Stoßbewegungen des Kindes, die wir als früheste Lebenszeichen des Kindes realisieren. Wer nach der Geburt von der Luft der neuen Umgebung irritiert wird beginnt zu atmen. Wenn das Kind die mütterliche Brust wahrnimmt beginnt es zu saugen. Wer Hunger hat ruft oder strampelt. Wie alle Tiere agiert und bewegt sich auch der Mensch bevor er Bewusstsein, Gefühle und Geist entwickelt.

Dieses älteste- Tier und Mensch gemeinsame „senso-motorische Reagieren“ ist ein Erbe der biologischen Evolution, ein Erbe, das wie alles in der Evolution, vielfache Variationen erfahren wird. Senso-motorisches Reagieren beginnt als spontane Antwort und wird in der Evolution und auch in der Individualentwicklung von Tier und Mensch eine breite Vielfalt aus genetisch gelenkten Reaktionen und schließlich auch aus erlernten-, überlegten- und geplanten Aktionen entwickeln. Früheste Aktionen wie das erste Atmen nach der Geburt oder das Saugen an der mütterlichen Brust sind gezielte- und genetisch programmierte Antworten auf Irritationen. Schon das Strampeln mit Armen und Beinen aber ist ein Indiz dafür, dass senso-motorisches Reagieren in unserem genetischen Erbe zwar angelegt ist, doch muss Lernen und Üben hinzukommen, wenn wir auf zwei Beinen stehen und gehen wollen, mit unseren Händen greifen oder mit Lauten, Stimmen oder Worten uns verständlich machen wollen. Im ausreifenden Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Muskeln entstehen Handlungen, Augenbewegungen oder Sprache, die durch Wiederholung und Übung erst stabilisiert und erlernt werden müssen, um jene Sicherheit zu geben, die Mensch und Tier in einer mobilen Welt benötigen. „Intelligenz“, so der Neurobiologe Gerhard Neuweiler21 „beginnt als senso-motorische Intelligenz“ durch das Üben senso-motorischer Aktionen. Intelligenz beginnt als unbewusstes Lernen und Üben gezielter Bewegungen, für welche die biologische Evolution in den Neuronen tierischer und menschlicher Gehirne die Voraussetzungen schuf. In sensorischem Austausch mit der Peripherie des eigenen Körpers müssen im Gehirn Beugemuskeln und Stecker aktiviert oder inaktiviert werden. Auch muss für eine zuverlässige- und gezielte Bewegung eine präzise Zeitrelation unterschiedlicher Muskelgruppen gegeben sein. Senso-motorisches Reagieren, die dafür nötigen sensorischen Organe und die ausführende Muskulatur sind genetisch angelegt, doch sind Feinabstimmung oder Optimierungen von Bewegung und Handlungen durch Übungen und durch Lernen erworbene Fähigkeiten. Senso-motorisches Reagieren wird, wie alle weiteren Fähigkeiten von Tier und Mensch von Trieben, von Instinkten, von Erlerntem, von Gefühlen und schließlich von Erdachtem gesteuert.

Bewegung und Mobilität sind für Tier und Mensch Voraussetzungen auf der Suche nach Nahrung und auf der Partnersuche, um Fortpflanzung möglich zu machen. Bewegung und Mobilität sind Existenz sichernde und in der Evolution früh auftauchende Fähigkeiten. Der Drang Mobilität zu optimieren und sie zu beschleunigen ist offenbar ein evolutionäres Phänomen. Er macht, ich wiederhole mich, aus einem vierfüßigen Primaten einen auf zwei Beinen gehenden-, längere Strecken überwindenden- und Energie einsparenden Australopithecus. Der nachkommende Erectus-Hominide taucht schon vor einer Million Jahre und 10 000 km von Afrika entfernt als China-Mensch in Asien auf. Dessen Nachfahre oder Homo sapiens erschließt sich in nur 50 000 Jahren den gesamten Erdball. In den im Gilgamesh-Epos zusammen gefassten-, 5000 bis 3000 Jahre v. Chr. aufgekommenen Erzählungen werden erstmals Schiffe erwähnt, mit denen die Küsten befahren werden. In der eurasischen Steppe werden in der Jungsteinzeit der Jahre 6000 bis 3000 v. Chr. Pferde domestiziert, auf deren Rücken der Mensch seine Mobilität beschleunigt. Auch wird vor ca. 4000 Jahren in der numerischen Kultur das Rad erfunden und werden Wagen konstruiert, mit denen der Mensch schneller transportieren kann, was er benötigt und später sich selbst auch schneller macht. Pferde, Wagen und vom Wind getriebene Schiffe bleiben dann für mehrere Tausend Jahre für den Menschen jene Helfer, mit denen er arbeitet, mit denen er weiterzieht oder Kriege führt, bis Technik aufkommt und menschliche Mobilität weiter beschleunigt: 1769 erfindet James Watt die Dampfmaschine. 1817 stellt Karl Drais seine einspurige Laufmaschine oder Draisine als Prototyp eines Fahrrades vor. 1825 fährt die erste Eisenbahn in England. 1885 erfindet Karl Benz das Auto. 1903 gelingt den Gebrüder Wright erstmals ein Motorflug mit einem Flugzeug. Im 2. Weltkrieg werden Raketen getestet, mit denen 1969 der Mond erreicht wird und neuerdings wird der Mars zum Ziel. Mobilität hat die Evolution und auch die Entwicklung zum Menschen möglich gemacht, doch hat der Mensch aus der Mobilität eine Beschleunigungsmaschinerie entwickelt, die zur Gefahr wird. Die moderne Mobilität des Menschen wird mit fossiler Energie betrieben, die beim Verbrennen CO2 freisetzt und unseren Lebensraum gefährdet. Durch die Ausbeutung fossiler Energie hat sich der Mensch in Gefahr gebraucht, weil ihm seine Mobilität auf zwei Beinen nicht genügen- und er immer schneller werden wollte. Wieder bestätigt sich ein dialektisches Gesetz der Evolution: Was einmal gut war kann später auch Böses bewirken.

In der biologischen Welt führen Reize zu einer physiologischen Reaktion und diese wiederum zu einer arteigenen-, genetisch festgelegten Bewegungskoordination als Antwort. Der Verhaltens-forscher Konrad Lorenz unterscheidet bei Trieben eine stets auf das Ziel ausgerichtete gleichartige Reaktion, während bei Instinkten auf einen Reiz eine „topische“ und eine „phobische“ Antwort gegeben wird: Beide sind genetisch festgelegte Bewegungskoordinationen als Antwort auf Reize. Die „topische Reaktionsform“ wählt, genetisch programmiert, ein Ziel und sucht dieses Ziel. Die „phobische Reaktionsform“ meidet, durch einen Reiz informiert, wiederum genetisch fixiert, die Gefahr und flieht. Bei triebhaftem Verlangen oder bei Trieben allgemein ist die genetisch festgelegte Aktion eine allein „topisch“ ausgerichtete-, vom Triebdruck ausgelöste-, zur Befriedigung führende Koordination von Handlungen. Dieses biologische Triebverhalten ist auch ein im Menschen noch zu beobachtendes biologisches Erbe. 

„Irritation und Reaktion“ oder „senso-motorisches Reagieren“ sind auch die Basis für „Instinkte“, doch benutzen sie eine doppelte Intelligenz. Instinkte müssen Chancen erkennen und auf Gefahren reagieren: Wer überleben und seine Gene weiter geben will muss Gefahren erkennen, die ihn bedrohen oder Chancen erspähen, die ihm nützen. Die Evolution hat Tier und Mensch eine erste Fähigkeit des Unterscheidens geschenkt: Sie können „topisch“ und „phobisch“ reagieren. Sie müssen kämpfen oder fliehen, müssen sich präsentieren oder sich davon machen. Um dieses Miteinander möglich zu machen entwickelte die evolutionäre Intelligenz nach topischer Aktion der Getriebenen eine weitere mentale Funktion zur Lenkung des Verhaltens von Tier und Mensch. Sie entwickelte Instinkte, mit denen Tier und Mensch ihr Überleben sichern, indem sie „topisch“ und „phobisch“ reagieren. Triebe und Instinkte sind Verhaltensweisen, die bei frühen Tiergruppen der biologischen Evolution durch eine direkte Kopplung von sensorischem Input und motorischer Aktion entstehen. Direkte Kopplung von Reiz und Antwort sind frühe evolutionäre Anpassungen. Beim Trieb ist die Antwort direkt oder topisch an das Triebziel gerichtet, während der Instinkt sowohl topisch und auch phobisch reagiert. Beide aber, Triebe und Instinkte, sind genetisch festgelegte und biologisch frühe Entwicklungen.

 

Das Instinktverhalten ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal biologischer Klassifizierung von Arten. Instinkte sind assoziative Reaktionen oder zu Algorithmen verbundene Assoziationen. Sie sind durch Erfahrung nicht veränderbar oder ersetzbar. Ein in Instinkten programmiertes Verhalten ist starr, zumal drohende Gefahren oder sich bietende Chancen bereits in der evolutionären Genese des Instinktes berücksichtigt und eingearbeitet wurden. Wenn Gnus, ihrem Herdinstinkt folgend, sich in den Mara-Fluß stürzen werden sie nicht selten zu Opfern der Krokodile. Ihr Herdinstinkt hilft ihnen eine wichtige Weide zu finden, doch zwingt sie dieser Instinkt gelegentlich auch in den Tod durch Krokodile. Auch wenn sie Krokodile im Fluss sehen folgen sie ihrer Herde. Wenn die Maus instinktiv nach jedem Fleischhappen greift, wird sie irgendwann in der Mausefalle landen. Wer sich wie die Kinder von Schimpansen ausschließlich an der Mutter und nicht auch an Ersatzmüttern oder Vätern orientiert wird nicht selten auch sterben, so der Mutter etwas zustößt. Instinkte sind großartig entworfene- und komplex aufgebaute-, das eigene Leben schützende Verhaltensweisen von Tier und Mensch, doch fehlt ihnen jede Form von Improvisation. Ist ein Instinkt ausgelöst, so wird er einem gegebenen Muster folgen und manchmal auch zur Todesfalle werden. Instinkt-geleitete Tiere halten an ihrem Verhalten fest, auch wenn sich das Umfeld oder das Klima ändert. Vor ca. 65 Millionen Jahren kam es in Yucatan im heutigen Mexiko zu einem Einschlag eines Meteoriten, der weite Gebiete unserer Erde mit einem Regen aus Asche und Hitze überzog und mit einem Staub aus Schwefel, Kohlendioxyd und Gips die Atmosphäre veränderte. Schon vor diesem Ereignis, so die Forschung heute, wurde ein Schwund der Population der Saurier angenommen, dessen Ursache man nicht kennt. Der Meteorit aber versetzte einer schwindenden- und instinktgeleiteten Population von Saurierriesen den letzten Todesstoß. Übergroße- und zu einem Rückzug in schützende Regionen unfähige Dinos mussten sterben. Kleine und sich in Erdlöchern verkriechende Dinosaurier überlebten und wurden schließlich zum Ursprung unserer prächtigen Vogelwelt. Von der Evolution entwickelte Größe kann Kraft, aber mitunter auch den Tod bedeuten und gleiches gilt für alle genetisch verankerten Verhaltens-weisen in Instinkten.

Wenn wir von Trieben oder Instinkten sprechen, so denken wir v.a. an Verhaltensweisen von Tieren und vergessen, dass auch menschliches Überleben durch Instinkte erst möglich wird. Wer zu atmen beginnt, weil er von der Kühle der Luft seines kurzen Daseins nach der Geburt irritiert wird, rettet sich, indem er zu atmen beginnt. Wer an der Brust der Mutter zu saugen beginnt folgt einem genetisch vorgegebenen Plan, einem Trieb oder einem Instinkt. Und wer sich in Notwehr sein Leben schützt hat keine Zeit zu überlegen. Ihm hilft der Trieb oder sein Instinkt, mit denen er sich schützt. Menschliche Mentalität beginnt früh in der biologischen Evolution und Triebe oder Instinkte gehören dazu.

4. Die Intelligenz der Unterscheidung: 

Im Wandel von der grünen Welt verwurzelter Pflanzen zur mobilen Welt der Tiere offenbart sich Entwicklung oder Evolution. Entwicklung aber ist mit „Irritation und Reaktion“ noch nicht erklärt. Wer sich in einem gegebenen Umfeld wohl fühlt wird Veränderungen nicht anstreben. Ein zweites Prinzip muss hinzu kommen, die biologische Evolution zu erklären. Dieses zweite Prinzip bedeutet: Auf Irritationen wird nicht nur reagiert. Auf „Irritationen wird unterschiedlich reagiert“, wird mit den Worten der Ethologie „topisch“ oder „phobisch“ reagiert. Irritationen sind angenehm, vermitteln Wohlgefühl, Zustimmung und werden akzeptiert oder sie sind störend, schmerzhaft, bedeuten Gefahr und werden abgelehnt. Die ersteren werden akzeptiert. Auf die letzteren reagiert man mit Ablehnung und Abwehr, sie werden phobisch beantwortet. In der Ethologie spricht man von „topischer Reaktion“, wenn das Tier „ohne Versuch und Irrtum die günstigste Raumrichtung“ anpeilt, während eine „phobische Reaktion“ auf eine Information folgt, die eine Richtung anzeigt, in die sich das Tier nicht bewegen soll. Jede sensorische Wahrnehmung muss entscheiden, welche Reaktion dem evolutionären Akteur Tier und Mensch nützt oder schadet. Eine sensorische Intelligenz muss die richtige Entscheidung treffen. 

Eine Intelligenz der Unterscheidung sichert bei Tier und Mensch das Überleben und bestimmt die tierische Evolution. Mit „, senso-motorischer Intelligenz“, mit dieser für Tier und Mensch wichtigen Grundlage, beginnt die beschriebene mentale Entwicklungslinie zum Menschen. Sie beginnt vor Milliarden Jahren, macht Tiere und Menschen lebensfähig und erhält schließlich auch den Menschen am Leben. Reagieren beschreibt jedoch nur eine Hälfte des senso-motorischen Prozesses. Das Reagieren muss gerichtet sein und muss das Nutzlose oder Gefährliche vom Angenehmen, vom Wohltuenden oder Nützlichen unterscheiden. Eine Intelligenz der Unterscheidung, eine intelligente Analyse der Situation muss hinzu kommen, in der ich mich in einem gegebenen Umfeld befinde. Um intelligent-, lebensförderlich- oder lebenserhaltend reagieren zu können muss ein Tier die Möglichkeit haben mit seinen Sinnen eine Strategie zu entwerfen. Diese intelligente Strategie musste im evolutionären Begehr des Überlebens für Tier und Mensch gefunden werden und wurde auch gefunden. Im Vordergrund der Entscheidung steht der Zugriff auf Nahrung und Wasser, die Wahl eines Sexualpartners oder die Vermeidung von Gefahr. Sie können nur sicher gestellt werden, wenn eine zweite-, eine „sensorische Intelligenz“ hinzu kommt, mit welcher Tiere und Menschen unterscheiden können, was für sie wichtig oder unwichtig, nützlich oder schädigend, lebensförderlich oder gefährlich ist. Die Evolution tierischen und menschlichen Verhaltens ist in hohem Maße von der Entwicklung der „sensorischen Intelligenz“ und deren angepasster Variation abhängig.