Wir und die Anderen - Albert Helber - E-Book

Wir und die Anderen E-Book

Albert Helber

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Beschreibung

Eine Mentalgeschichte des Menschen orientiert sich an menschlichem Verhalten und an einem in zwei Millionen Jahren Evolution entstandenen doppelten Erbeaus "emotionaler- und kognitiver Intelligenz". Dieses doppelte Erbe bestimmt unsere Individualentwicklung und führt im Kompromiss zu Entwicklung-stufen in der Individualentwicklung, die sich wiederum in unserer Mentalgeschichte offenbaren. Sie beginnt vor 100 000 Jahren mit einer handwerklich orientierten "zivilisatorischen Wende", verwandelt sich um 10 000 v. Chr. in eine Ideengeschichte aus Magie, Mythen und religiösen Ritualen, führt um 2000 v. Chr.zu Theorien der Welterklärung und entwirft in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende in China (Konfuzius), in Indien (Buddha), in Palästina (Jesus), in Griechenland (Aristoteles) eine sich an emotionaler- und kognitiver Intelligenz orientierende Ethik der "Achsenzeit". Mit dem Sprung in die christliche Transzendenz entstehtein Schisma: Eine sicham Heiligen Geist und göttlicher Führung, schließlich an Idealismus, Rationalismus und kognitiver Intelligenzallein sich orientierende Geschichte des christlichen Abendlandes führt zu missionarischem Eifer, zu kolonialer Welteroberung, rassistischer Ausgrenzung und schließlich zu wirtschaftlicher Dominanz. Die heilsgeschichtlicheInstrumentalisierung des jüdischen Rationalisten und Humanisten Jesus ließ seine sich an emotionaler- und kognitiver Intelligenz des Menschen orientierende humane Ethik vergessen.Als Fazit halte ich fest: Von sinnlichen Erfahrungen oderemotionaler Intelligenz unkontrollierte Religionen, Ideen oder Ideologien führen zu historischen Irrtümern und Entfremdungen: Die Gewalt des Mittelalters und die Eroberungslust der europäischen Moderne sind warnende Beispiele.

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Seitenzahl: 513

Veröffentlichungsjahr: 2019

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WIR UND DIE ANDEREN

oder

Impressum:

Text:            Copyright Albert Helber

Umschlag:  Copyright Anna Bejenke, [email protected]

Verlag:        Albert Helber in Zusammenarbeit mit Neobooks

mailto:        [email protected]

Druck:         epubli fürNeobooks.com/Rowohlt

 

Buch 2 zur mentalen Evolution.

 

 

 

 

 

 

 

                         Für Helga,

                         für Heike und Tim

                         für Marc, Sylvie, Emile und

                         Lisette.

Inhaltsverzeichnis.

Einführung.                                                                        

Teil I: Mentale Evolution und der frühe Weg

            In menschliche Geschichte.                            

Kapitel 1: Mentale Evolution schafft

                           Menschliches Verhalten.                             

1. Von der materialen- zur mentalen Evolution.            

2. Mentale Evolution: Vom nichtmenschlichen

Primaten zum Homo sapiens.                                          

Das menschliche Erbe von nichtmenschlichen

        Primaten.

        Der Steinzeitmensch und seine Gefühle.                             

        Der Homo sapiens denkt und plant.                                     

        Von der zivilisatorischen Wende zum

        gedanklichen Aufbruch der „Achsenzeit“.

3. Emotionale- und kognitive Intelligenz:

Notwendiger Kompromiss oder Ursache

von Entfremdung.                                                                

Die Individualentwicklung des Menschen: Ein

         Spiegel der Evolution und Kompromiss aus

         emotionaler und kognitiver Intelligenz.

         Zwei Seelen müssen zusammen finden.

         Introspektion und Extrospektion.

         Dialektik als Stimulans und Entfremdung als

         Warnung.

         Der Januskopf mentaler Erwerbungen.

         Offene Fragen.

Kapitel 2: Vom Gedanken zur Idee.                          

                             Von der „zivilisatorischen Wende“ zu

                             Kosmogonien oder Theogonien.

                             Wie Magisches Denken eine erste

                             Ideengeschichte erfindet.        

„Zivilisatorische Wende“                                               

Magie und Mythen erklären die

Entstehung der Welt.                                                      

      Entstehungsmythen: Eine Auswahl                                              

      Entstehungsmythen benutzen reale

      menschliche Erfahrungen.                                                                                                      

      Von Magie zur Abstraktion oder von

      Kosmogonie zur Theogonie.                                                                                                  

Kapitel 3: Von der Idee zur humanen Ethik.

                               Von Magie und Religion zur

                               Philosophie und zum Humanismus

                               Der „Achsenzeit“.                                       

1. Laotse und Konfuzius oder ein philosophischer

Weg in China.                                                                   117                                                                                                                                       

2. Veden, Upanischaden und Buddha oder ein

 indischer Weg zur Hindu-Kultur.                                              

3. Von Mose zu Jesus oder die mosaische

Verpflichtung der Juden auf den einen Gott.         

4. Die Philosophie der Frühzeit: Eine gleichartige

Reformbewegung in China, in Indien und in Palästina.                                                                          

Teil II. Die Erfindung von Transzendenz

oder

              Ein von der europäischen Moderne

              unvollständig korrigiertes Schisma.       

Kapitel 4: Transzendenz und ihre Folgen.           

1. Der Weg in die Transzendenz.                                   

2. Christliche Transzendenz und ihre Folgen.                    

a. Die Priorisierung des Geistes oder

Kognitive Dominanz.                                           

b. Das Vergessen von Entwicklung und

Geschichte.                                                             

c. Die Institutionalisierung klerikaler

Einführung.

Als unbekannter Autor fühle ich mich verpflichtet meinem eventuellen Leser zu begründen, warum ich es wage „Eine Mentalgeschichte des Menschen“ zu schreiben, diese von „Kulturgeschichten“ abgrenze und ein Schisma erkenne zwischen dem christlichen Abendland und dem Rest der Welt. Ein erster Grund waren Erfahrungen und Erlebnisse als Entwicklungshelfer in Afrika: Mehrere Jahre durfte ich an der Universität von Butare in Ruanda junge Ärzte ausbilden und Land und Leute kennen lernen. Wer in Afrika als Entwicklungshelfer auftaucht will mithelfen „Rückständigkeit“ zu beheben. „Rückständigkeit“ aber ist ein belasteter Begriff. Er moralisiert und wertet. Die Menschen in Ruanda sind arm, leben auf ihren Hügeln von ihrer kleinen Landwirtschaft und sind mit der Aufarbeitung einer Spaltung der Gesellschaft durch einen Genozid als kolonialem Erbe beschäftigt. Diese Menschen sind vielleicht ökonomisch noch nicht konkurrenzfähig, aber „rückständig“ sind sie nicht. Sie haben andere Prioritäten. Wo wir im Westen planen und spekulieren, mit Wissen argumentieren, Fortschritt und Wachstum fordern und die Zeit zum Kostenfaktor erklären, ist man in der ruandischen Gesellschaft geduldig. Wichtig ist, was jetzt geschieht. Man setzt auf Spontaneität und Improvisation. „On se débrouille“. Die Menschen gestikulieren, argumentieren gefühlsbetont und suchen mehr das Gegenüber als dessen Überzeugung. „Riez sainement, toujours sérieux n`est pas sérieux“ ist eine afrikanische Weisheit. Die in Ruanda erlebte Spontaneität und Improvisationslust, ihre Fähigkeit trotz Not und erlebter Geschichte das Lachen nicht zu verlieren, sind zutiefst menschliche Werte. Sie machen das Leben menschlich und liebenswert. Eine solche Gesellschaft als „rückständig“ oder „entwicklungsbedürftig“ einzuschätzen ist gemessen an ihren menschlichen Qualitäten eine unzulässige Beleidigung. Als Entwicklungshelfer kam ich ins Land und wollte Lehren. Als Lernender habe ich das Land verlassen.

Nach den Jahren in der Entwicklungshilfe und beruflicher Entpflichtung werden schließlich unsere Enkelkinder zum Mittelpunkt meines Lebens. Was ich durch berufliches Engagement und Streben mit meinen Kindern verpasste durfte ich mit unseren Enkelkindern Tim, Emile und Lisette erleben. Tims Erlebnisse, Träume und Gedanken in der Pubertät und anschließender Adoleszenz frischten eigene Erinnerungen an diese Jahre auf. Zu einer neuen Beobachtung aber wird die frühe Kindheit von Emile und Lisette, zumal die physiologische Amnesie eigene Erinnerungen an diese Zeit verhindert. Jeder ihrer neuen Lernschritte wird von Gefühlen begleitet: Sie freuen sich, wenn das Vorhaben klappt und sind traurig wenn nicht. Kindheit ist die dichteste, aber nicht von Wissen, sondern von Gefühlen begleitete Lernzeit des Menschen. Aufrechtes Gehen, Greifen, Sprechen, Schreiben, Denken und soziales Zusammenleben wird in der Kindheit im überschaubaren Milieu von Familie, von Freunden und Nachbarschaft gelernt und Gefühle lenken das Lernen. 

Kindheit, dann Pubertät und Adoleszenz sind Perioden einer menschlichen Entwicklung, die auf ein unter-schiedliches mentales Erbe zurückgreifen. Von Gefühlen begleitetes Lernen bestimmt die Kindheit, von Gedanken gelenktes Streben die Pubertät und die Adoleszenz. Ich begann mich zu fragen: Sind die ersten dreißig Jahre der geistig seelischen- oder mentalen Entwicklung des Menschen eine Wiederholung seiner mentalen Evolution? Wie sind Gefühl und Geist des Menschen in der mentalen Evolution entstanden? Wie bedeutsam ist ihr Zusammenspiel für das menschliche Verhalten und für menschliche Geschichte? Wenn ein doppeltes mentales Erbe, wenn emotionale- und kognitive Intelligenz gemeinsam das menschliche Verhalten und sogar die menschliche Geschichte bestimmen, wie kann dann erklärt werden, warum in unserem westlichen- oder christlich geprägten Kulturkreis Gefühlen eine viel geringere Bedeutung zugemessen wird als dem Denken und dem rationalen Verstand. Wo wir ganz überwiegend Ideen und Wissen betonen pflegt man in anderen Regionen unserer Erde und auch in unserer Kindheit das von Gefühlen geprägte Miteinander als ein wichtiges mentales Erbteil. Ich suche Erklärungen.

                                            ________________

Dieses Buch will dazu aufrufen den Menschen als ein Produkt der belebten Evolution zu begreifen und eine menschliche Mentalität aus Gefühlen und Verstand als ein von der  biologischen Evolution entworfenes Geschenk zu erkennen. Wer mit den Sinnen wahr-nimmt und Gefühle entwickelt macht das Umfeld zum Mittelpunkt seines Erlebens. Er wird von einer blühenden Wiese oder einem singenden Vogel verzaubert, wird von seinen Kopf-schmerzen beherrscht oder fühlt sich von Gefahren bedroht. Gefühle erfahren wir und weil wir sie auch in Anderen erkennen, werden diese für uns zu glücklichen- oder leidenden-, zu sympathischen- oder traurigen-, zu geliebten und manchmal auch zu gehassten Menschen. Über seine Gefühle erst wird der Mitmensch zum Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Dies ändert sich wenn wir nachdenklich werden. Wir suchen nach Erklärungen, entwickeln Wünsche und beginnen zu planen. Wir ziehen uns in eine gedankliche Innenwelt zurück und entfernen uns aus einer Welt des zugehörenden Erfahrens in eine Innenwelt des Denkens, des Analysierens, des Alleinseins. Für ein gelingendes Miteinander brauchen wir Gefühle und Verstand: Treffen wir Fremde oder Fremdes so reagieren wir oft  emotional und sind verunsichert, denken dann nach und finden keine Erklärung. Eine gedankliche Korrektur erst wird die Verunsicherung überwinden. Dann wieder werten wir Andere wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer nationalen- oder religiösen Zugehörigkeit. Halt ruft dann eine innere Stimme oder Emotion und widerspricht. Im ersten Beispiel hat der Verstand eine unsinnige Emotion korrigiert. Im zweiten Beispiel korrigiert eine emotionale Erregung eine gedankliche Verirrung. Gefühle und Verstand, emotionale- und kognitive Intelligenz sind in uns jene Opponenten, die zusammen das menschliche Verhalten lenken.

In Wirklichkeit lenken viele Eigenschaften das menschliche Verhalten. Wer nur eine Eigenschaft oder eine Idee zur Charakterisierung des Menschen missbraucht macht aus dem Menschen ein Produkt der Spekulation und sich selbst zum Ideologen. Wer im Menschen nur ein egoistisches Wesen oder einen „homo homini lupus“1 sieht, wird aus dem Menschen eine Bestie machen. Wer beschreibt, dass „Selbstlosigkeit in der Evolution siegt“2, aus dem Menschen einen „homo empathicus“ macht und die „empathische Zivilisation“ besingt, wird eine „Geschichte, die nie erzählt wurde“3 erzählen. Auch diese Geschichte konnte nicht stimmig sein, weil Empathie zwar eine wichtige Eigenschaft des Menschen, aber nicht die allein ihn charakterisierende Eigenschaft ist. Der Mensch ist altruistisch und egoistisch und wird von vielen Eigenschaften gelenkt. Menschliche Geschichte wird zum Objekt von Spekulation und Interpretation wenn ein Gedanke oder eine Vorstellung deren Analyse leitet. Natur und Geschichte werden zu einem religiösen-, zu einem philosophischen-, zu einem „reflexiven Produkt“4. Für den sich an der biblischen Schöpfungsgeschichte orientierenden Christen beginnt dann die Menschheitsgeschichte vor 6000 Jahren. Wer allein in menschlichem Verstand und in menschlicher Rationalität den Motor der Geschichte sieht wird vom menschlichen Geist entwickelte Events in eine Kulturgeschichte verwandeln. Er lässt diese vor 70 000 Jahren beginnen5 und wird, Spekulationen folgend, mit einer „Geschichte von Morgen“6 enden. Menschlicher Geist und Verstand sind ein wichtiger Teil menschlicher Mentalität und schaffen menschliche Kultur. Menschliches Verhalten aber wird von einem mentalen Erbe, von menschlicher Mentalität gesteuert, die mehr ist als Geist und Verstand. Mentale Vielfalt kontrolliert den menschlichen Verstand, korrigiert gedankliche Irrtümer oder „Verrücktheiten“, wie auch der Verstand Emotionen korrigiert. Mentalität ist das Produkt einer langen mentalen Evolution und steuert das menschliche Verhalten. Eine Mentalgeschichte wird sich deshalb von einer Kulturgeschichte des Menschen unterscheiden müssen, wird menschliches Verhalten analysieren und wird eine andere Geschichte des Menschen beschreiben. Diese Mentalgeschichte zu beschreiben ist Ziel dieses Buches.

Tatsächlich beginnt die Mentalgeschichte des Menschen vor zwei bis drei Millionen Jahren mit seiner „mentalen Evolution“7. Sie ist die Basis, von der alles ausging. In Stufen ist uns ein die Primatenintelligenz ergänzendes Erbe aus „emotionaler Intelligenz“ und schließlich „kognitiver Intelligenz“ zugewachsen, deren unterschiedliche Betonung in der Geschichte zu Magie und Mythos, zu Religionen und Ideologien, dann zu Wissen und Theorien führt und schließlich ein menschenmögliches Verhalten oder eine humane Ethik zum Ziel der Geschichte erklärt. Ein kontinuierlich wachsender Zugewinn an Freiheitsgraden des Menschen ist das evolutionäre Ergebnis. Doch wird das freie Entscheiden des Menschen auch wieder kontrolliert von Trieben und Instinkten, von natürlichen- und erworbenen Bedürfnissen, von unbewussten- und geäußerten Wünschen, von erreichbaren- oder neurotisch verfehlten Zielen, schließlich von Gefühlen und Verstand oder einer emotionalen- und kognitiven Intelligenz.  Evolutionär entstandene Mentalität wird die gewonnene Entscheidungsfreiheit des Menschen vor gedanklichen Irrtümern bewahren und die Zugehörigkeit des Menschen zu seinem irdischen Umfeld durch unsere Sinne und unsere Gefühle absichern.

Aus der Integration von emotionaler- und kognitiver Intelligenz wird in der Individualentwicklung des Menschen ein von Emotionen geleitetes, aber auch manipulatives Spielkind, daraus ein magische Helden schaffender Träumer, dann ein Ideen produzierender Streber und schließlich ein selbstbewusster Kritiker, der neben seinem gedanklichen Schaffen auch seine Gefühle entdeckt. Diese Individualentwicklung des Menschen liefert schließlich die Matrize für eine Mentalgeschichte des Menschen, in welcher ein von emotionaler- und kognitiver Intelligenz bestimmtes menschliches Verhalten die Geschichte lenkt und nach „zivilisatorischer Wende“, nach einer Epoche von Magie und Mythen, von Religion und Welterklärung noch vor der Zeitenwende in einer von Konfuzius, von Buddha und von Jesus vorgelegten Analyse des menschlichen Verhaltens, in einer humanen Ethik endet. Dieser frühe Weg in die Menschheits-geschichte ist Thema des ersten Teils dieses Buches.

Nach der Zeitenwende wird der bisherige Kompromiss des Menschen aus emotionaler und kognitiver Intelligenz im christlichen Abendland aufgekündigt. Der Sprung in die Transzendenz durch die christliche Religion und eine Ideologisierung von Vernunft und Geist durch die europäische Aufklärung macht aus einer Mentalgeschichte menschlichen Verhaltens eine Kulturgeschichte des menschlichen Geistes. Im christlichen Abendland entsteht eine Kulturgeschichte, in welcher der Rest der Welt nur allzu oft vergessen- oder vernachlässigt wird. Dies wird uns im 2. Teil des Buches beschäftigen.

Spät erst beginnt die europäische Moderne sich einem transzendenten Denken zu verweigern, sich auf ein doppeltes evolutionäres mentales Erbe zu besinnen. Es wird uns helfen zu bewahren, was wir haben und zu korrigieren, was an Risiken geschaffen wurde. Evolutionäres Wissen wird eine Unheil stiftende gedankliche Selbstüberhöhung oder Selbstgerechtigkeit des Menschen korrigieren, die über fast zwei Tausend Jahre die Menschen des christlichen Abendlandes verführte und noch immer verführt.

                                     ____________________

Anthropologie ist eine multidisziplinäre Wissenschaft, ist Archäologie, ist Genetik, Verhaltensforschung, Hirnforschung, Psychologie und Geschichte. Wer menschliche Entwicklung und menschliche Geschichte zu beschreiben versucht braucht die Hilfe von Wissenschaftlern und Publizisten, die über ihre Disziplin berichten. Die von mir beschriebene Reise durch zwei Millionen Jahre mentaler Evolution7 und die jetzige Reise durch eine Mentalgeschichte des Menschen fasst zusammen was Viele  erarbeitet haben. Unter ihnen treffe ich eine persönliche Auswahl. Ihnen fühle ich mich verpflichtet und dankbar und entschuldige mich bei Jenen, die wichtige Ergebnisse erarbeitet haben und nicht genannt sind.

Teil I

MENTALE EVOLUTION

und

Der Weg in die frühe menschliche

                      Geschichte.

   Kapitel 1

 

    

MENTALE EVOLUTION UND DER WEG ZU

           MENSCHLICHEM VERHALTEN.

 

 

 

 

1.Von der materialen- zur mentalen Evolution.

 

                                            _______________

 

 

Auch die biologische Evolution wird vom Gesetz der Kausalität bestimmt. Was immer an neuen Strukturen, Formen und Funktionen entsteht hat eine Ursache, schafft eine neue Abhängigkeit und bringt schließlich jene biologische Vielfalt hervor, die wir bewundern und bestaunen. Wie Vielfalt im evolutionären Prozess der Biologie möglich wird hat erstmals Charles Darwin beschrieben: In „Origin of Species“ formuliert er 1859, dass Organismen eine gemeinsame Abstammung haben, dass Evolution die Aufspaltung einer vorbestehenden Art in zwei neue Arten bedeutet, dass dieser Prozess langsam und kontinuierlich abläuft und vom Umfeld kontrolliert wird7, 8, 9, 10,. Das dem Umfeld  angepasste biologische Wesen überlebt und pflanzt sich fort. Was Darwin noch nicht wissen konnte war, wer oder was die Aufspaltung zu unterschiedlichen Arten einleitet. Dazu brauchte es das in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erarbeitete Wissen einer genetischen Steuerung aller biologischen Strukturen, Formen und Funktionen. Aus Darwins Abstammungs-lehre wurde eine genetisch gesteuerte biologische Evolution.

 

Die biologische Vielfalt einer genetisch gesteuerten Evolution hat wiederum zwei Gründe, die Evolution möglich machen: Eine genetische Mutation lässt eine neue Art entstehen und das Umfeld entscheidet, ob diese überleben und sich fortpflanzen kann. Wem die Einpassung nicht gelingt wird zugrunde gehen und ver-schwinden. Drei Phänomene charakterisieren das ziellose Spiel der Evolution:

 

   ° In der belebten Natur gilt das Prinzip von Zugehörigkeit. Jedes Lebewesen entsteht als Reproduktion des vorher Bestehenden und pflanzt sich wiederum durch Selbstreproduktion fort. Das Junge entsteht, das Alte stirbt. In einer „Wiederkehr des Gleichen“ existiert das jugendlich Kraftvolle neben schon Verbrauchtem und Abgängigem. Kinder und Greise leben zusammen, aber auch Geschöpfe aus Milliarden Jahren der Evolution. Alt und Jung, Jahrmillionen alte Geschöpfe der Evolution existieren neben Mutanten aus jüngster Zeit. Alle sind Glieder einer Art und reproduzieren sich selbst. Reproduktion gewährleistet den Erhalt der Art und auch des Lebens.

    ° Neben einer Wiederkehr des Gleichen wird die Evolution durch Abgrenzung, durch Distanzierung und durch Veränderung bestimmt. Zufällig ausgelöste genetische Mutationen schaffen Neues und bewirken Veränderung. Differenzierung und Spezialisierung eröffnen neue Wege. Distanzierung und Veränderung werden zum Motor des Wandels in der Evolution und schaffen die Vielfalt des Lebendigen.

    °  Allerdings nur dann, wenn die „Einpassung“ gelingt und sich eine ökologische Nische für das Neue findet oder das Neue die Überlebens-sicherung verbessert. Überlebensvorteile in einem gegebenen Umfeld sorgen für die Fortentwicklung des Neuen. Was bisher Bestand hatte wird vom Besseren ersetzt. Der Fortpflanzungsvorteil entscheidet über die Geschwindigkeit des evolutionären Prozesses.

 

Biologisch-genetisch veranlasste Entwicklungsschritte entstehen aus einer Abfolge von Distinktion und Integration, von  Unter-scheidung und Akzeptanz. Das Neue muss integriert werden, wenn es nachhaltig sein soll. Biologische Evolution ist ein dialektischer Prozess zwischen Distanzierung und Reproduktion, zwischen Andersartigkeit und Gleichheit. Nur was Überleben möglich macht wird akzeptiert und durch Reproduktion weiter gereicht. Weil das Umfeld sich laufend verändert muss auch der Anpassungsprozess sich kontinuierlich fortsetzen. Genetische Mutationen biologischer Individuen und Veränderungen in ihrem Lebensumfeld sind schließlich die Determinanten einer fort-währenden biologischen Evolution. Beide Veränderungen sind nicht geplant. Die biologische Evolution ist ein Prozess ohne Ziel.

                                   

Darwins Theorie beschreibt einen Prozess der Evolution, der in Individuen beginnt: Ein Vorteil im Überlebenskampf wird deren Reproduktionsfähigkeit verbessern. Darwins Theorie formuliert, wie dieser Prozess abläuft. Obwohl er die Mendel-Gesetze der Vererbung noch nicht kannte und genetisches Wissen noch fern war hat sein vergleichendes Genie erschlossen: Vergangenes ist stets die Ausgangsbasis für das, was wir heute vorfinden. Die Evolution kennt zwar keine Ziele, doch baut sie auf Geschichte. Sie lässt Vergangenes nicht verschwinden. Das Vergangene ist in der Embryogenese erkennbar. Sie dokumentiert, wo wir herkommen. Aus Fischen werden Landtiere, aus Fischflossen werden Extremitäten oder die Flügel der Vögel.  Im biologischen Phänomen der Metamorphose wird Embryogenese sichtbar. Sie demonstriert, wie Neues aus Vorbestehendem hervorgeht. In der Metamorphose von Tieren ist der Ausgang bereits eine biologische Art. Unter unseren Augen vollzieht sich Evolution: Eine „Lebenszeituhr“ lässt Arten nicht nur wachsen. Sie verwandelt diese in zwei ungleiche Wesen. Aus einer im Wasser lebenden Kaulquappe wird ein Frosch als Landbewohner. Aus einer am Boden kriechenden Larve wird ein fliegender Schmetterling. Nicht nur Größe und Gestalt, auch Funktionen verändern sich und verbessern die Lebenschancen. Aus Jahrmillionen als Larven existierenden Tieren werden schließlich Larven, die sich in Schmetterlinge verwandeln. Tatsächlich ist die in der Metamorphose von Tieren erkennbare Evolution eine Sonderform der Evolution an sich: Was sich in der Embryogenese verbirgt entfaltet sich in der Meta-morphose vor unseren Augen. Die Vielfalt des Lebens, wo Jahrmillionen alte Geschöpfe neben im Evolutionsprozess jungen Geschöpfen existieren, die Entdeckungen der Embryogenese und schließlich das Phänomen der Metamorphose dokumentieren die biologische Evolution, wie sie Darwin beschreibt: Alle Organismen haben einen gemeinsamen Ursprung.

 

In der materialen- oder vorbiologischen Evolution sind Masse und Energie die unbelebten Akteure. Energie verändert Masse und diese wiederum die Energie. Ein Gleichgewicht bleibt erhalten und bestimmt die Welt, in der wir leben. Auch die biologische Evolution kennt zwei Akteure. Das Veränderungen unterworfene Umfeld legt fest, welche Organismen überleben. Die biologische Welt der Pflanzen und Tiere muss durch Wandlung Überleben ermöglichen. Wird die materiale Welt von physikalischen Gesetzen gesteuert, so unterliegt die biologische Welt einer genetischen Steuerung. Ein im Zeitablauf regel-mäßiges Aufkommen von genetischen Veränderungen oder Mutationen schafft neue Pflanzen und Tiere die ihren Platz im Umfeld finden müssen oder untergehen. Die biologische Vielfalt demonstriert, wie eine genetische Steuerung sehr unterschiedliche Verfahren der Lebens-sicherung im Umfeld findet. Die Genetik entwirft einen Überschuss oder ein zu Viel an Möglichkeiten der Entfaltung, die vom zweiten Akteur Umfeld zum Teil verworfen oder akzeptiert werden.

 

Umfeld und Genetik entscheiden, welche biologischen Geschöpfe überleben. Alle müssen sich ernähren, um leben oder wachsen zu können. Dafür ersinnt die biologische Evolution zwei Möglichkeiten. Verortung und Wurzeln lassen Pflanzen und Bäume überleben. Ortsverlagerung oder Beweglichkeit erlauben den Tieren jene Nahrung zu suchen, die sie mögen oder brauchen. Auf diese Weise entstehen nach den Pflanzen auch Tiere. Unter den Pflanzen unterscheidet man wiederum die langsam wachsenden, tief verwurzelten, stämmigen und großen Bäume von Blumen oder Gräsern, die schnell wachsend und flexibel, aber auch dem jahreszeitlichen Wechsel unterworfen und verletzlich sind. Jagende Tiere sind klein, sind schnell und zum Springen ausgerüstet. Der Pflanzen fressende Elefant bewegt sich langsam und gemächlich. Er hat Zeit seine Pflanzen zu finden. Weil er auch kräftig ist, muss er Feinde nicht fürchten. In der belebten Natur sind Verwurzelung, langsames Wachstum, Standfestigkeit, Ausdauer und Kraft eine Möglichkeit des Überlebens. Ortsverlagerung, Wendigkeit, Flexibilität und rasches Wachstum sind das Kontrastprogramm. Beide Muster einer Überlebenssicherung sind in der Vielfalt des Lebendigen auf Kompromisse angewiesen. Sie werden in der Evolution vielfach entwickelt. Auch der Kompromiss ist eine Erfindung der Evolution.

 

Wer in der biologischen Welt überleben will muss reagieren können. Er muss auf Gefahren adäquat und angepasst antworten. In etwas mehr als fünf Milliarden Jahren entwickelt die biologische Evolution eine unbegrenzte Zahl von angepassten Reaktionen, die ein Individuum oder eine Art so lange zum Überlebenden macht, bis neue Formen des Reagierens einen besser Angepassten hervorbringen. In der biologischen Evolution sind die eine Art schützenden Reaktionen festgelegt oder, wie intelligentere Wesen später definierten, „instinktiv“ verankert. Auch Instinkte enthalten im Fortgang der Evolution bereits ein Verhaltensmuster aus Warnung vor Gefahr, aus Rückzug oder Angriff, aus individueller- oder Rudelstrategie. Noch immer aber sind instinktgeleitete Verhaltensweisen biologisch festgelegte Algorithmen und sind angeboren. Über das angelegte Muster der Instinkthandlung hinaus sind Variationen im Umgang mit Bedrohung oder eine Strategiewahl nicht möglich.

                                     __________________

 

 

Dies ändert sich mit der mentalen Evolution, die mit der Entwicklungsstufe der Primaten vor allem beginnt und schließlich die Entwicklung der Hominiden lenkt. Mentalität beschreibt, wie ich als Subjekt auf ein Geschehen blicke, auf mein Umfeld reagiere und dieses zum Objekt meines Handelns mache. An der Mentalität sind Sensorik, sind Neugier und Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Erinnerung, sind Fühlen und Denken und unbewusst gewordene- oder bewusste Erfahrungen beteiligt. Die Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Funktionen bestimmt das Verhalten eines Individuums in der Auseinandersetzung mit seinem Umfeld und wird im Begriff „Mentalität“ zusammengefasst. Mentalität beschreibt eine bewusste und auch unbewusste Steuerung des Primatenverhaltens. Sie orientiert sich an subjektiv festgelegten Zielen, führt zu ausgewählten Entscheidungen und variablen Intentionen. Wo Tiere von unbewussten Instinkthandlungen geleitet werden, lenkt Mentalität das Verhalten der nicht-menschlichen Primaten und schließlich der Hominiden. Wo in der biologischen Evolution der Übergang zwischen Instinkt-handlungen oder mental gesteuertem Verhalten anzusetzen ist oder wo und wie dieser Übergang zu definieren ist, wird in der Verhaltensforschung mit Primaten noch immer diskutiert. Evolution ist ein langsamer-, aber kontinuierlicher Prozess, dessen Ergebnis sich erst in der Rückschau als neue Art oder neue Gruppe zu erkennen gibt. In der Entwicklung vom Instinkt zur bewusst gesteuerten Mentalität sind sehr komplexe Funktionen beteiligt. Eine naturwissenschaftlich begründbare Unterscheidung wo Instinkte enden und Mentalität beginnt wird kaum gelingen. Wird diese Unterscheidung trotzdem versucht, so gelingt dies nur mit abstrakter Definition.

 

Auch mentale Evolution ist eine biologische Evolution und unterscheidet sich von dieser durch den Wechsel von einem instinktgesteuerten- in ein auch bewusst gesteuertes Verhalten von Individuen. Mentales Verhalten ist nicht mehr festgelegt. Es wird, von den subjektiven Zielen eines Individuums gesteuert und variiert. Ein unterschiedliches Bewusstsein verschafft den nichtmenschlichen Primaten, dann den Hominiden und schließlich dem Homo sapiens jenen Vorteil, der ihnen eine Überlegenheit gegenüber ihren Vorfahren sichert. Die organische Basis der mentalen Evolution oder eines Bewusstseins der Primaten ist eine Vergrößerung des Gehirns als neuronales Steuerungssystem. Neuronale Steuerung aber ist in der biologischen Evolution ein sehr früh entstandenes Prinzip der Daseinsvorsorge tierischer  Geschöpfe. Neuronale Schaltkreise steuern Organe, steuern Beweglichkeit und Instinktverhalten. Dazu braucht es kein Bewusstsein. In der Primatenreihe und v.a. bei den Hominiden führt eine neuronale Fortentwicklung zu einer Hirnvergrößerung, zu einem im Überlebenskampf variablen und auf Herausforderungen reagierenden Verhalten und schließlich auch zu Bewusstsein. Die Fortentwicklung zum Menschen aus der Primatenreihe ist eine neuronale Fortentwicklung mit Entstehung eines Bewusstseins. Aus Instinktverhalten wird ein vom Bewusstsein koordiniertes mentales Verhalten. Allein diese mentale Entwicklung unterscheidet den Menschen von seinen tierischen Vorfahren. Biologisch gelten für den Menschen Gesetze, wie sie mit Variation im Tierreich nachweisbar sind. „Biologisch sind wir zwar auch Steinzeitmenschen“11, doch ist der Mensch biologisch betrachtet eher ein aufrechter Primat oder ein Säuger auf zwei Beinen. Der Steinzeitmensch ist v.a. mental an der menschlichen Entwicklung beteiligt.

 

Mentales Verhalten ist jedoch nicht auf einmal oder plötzlich entstanden. Auch mentales Verhalten unterliegt einer Entwicklung, für die ich den Ausdruck „mentale Evolution“ wähle. Sie macht aus einer artspezifischen Fremdbestimmung durch das Umfeld eine neue Form der Selbstbestimmung durch eine mentale Variation des Verhaltens. Auch die mentale Evolution vollzieht sich in Schritten und begleitet die anthropologische Evolution, wie sie in aller Kürze etwa so zu beschreiben ist:

 

Mit den Australopithecinen kommt vor ca. 5 - 6 Millionen Jahren der „aufrechte Gang“ ins Spiel welcher den noch kleinhirnigen Primaten in ein aufgerichtetes Wesen, in ein Wesen zwischen Affe und Mensch verändert. Arme und Hände bekommen eine Greif- und Haltefunktion. Der erste Hominide hat als Homo habilis vor 1.8 bis 2 Millionen Jahren bereits eine Hirngröße von 500 bis 800 cm3. Der Homo erectus als nächster Nachfahre ist 1.5 Millionen Jahre alt mit einem Hirnvolumen von 700 bis 1300 cm3. Er verlässt vor ca. einer Million Jahren erstmals Afrika, taucht als Java-Mensch in Asien auf, kommt als Homo heidelbergensis nach Europa und entwickelt sich als Neandertal-Mensch zum europäischen Homo erectus mit einem Hirnvolumen von bis zu 1500 cm3. Das Hirnvolumen des Neandertal-Menschen ist größer als das des späteren Sapiens-Menschen. Trotzdem verschwindet der Neandertal-Mensch auf bisher nicht  geklärte Weise vor ca. 30 000 Jahren aus Europa. Er wird vom neuen-, vor etwa 200 000 Jahren in Afrika auftauchenden, Menschentyp, dem Homo sapiens abgelöst oder verdrängt. Dieser besiedelt in den letzten 40 000 bis 50 000 Jahren allein die gesamte Erde.

 

In einer evolutionär kurzen Zeit von weniger als 2 Millionen Jahren entwickelt sich aus dem Primatengehirn der Australopithecinen mit einem Volumen von 400 bis 500 cm3 ein Gehirn von der Größe des heutigen Menschen. Die Hirngrößenzunahme ist die organische Basis der mentalen Evolution zum Menschen. Im Gehirn wird Mentalität erzeugt. Sie v.a. interessiert. Zum Menschen wurden wir durch ein mental gesteuertes Handeln das sowohl emotionale Zugehörigkeit zu unserem Umfeld wie auch gedankliche Abstraktion und Planung von Zukunft bedeutet. Diese divergent ausgerichtete Mentalität ist das bereits angesprochene duale Prinzip, das den Menschen auch dann lenkt, wenn er zum Akteur seiner Geschichte wird. Wie dieses mentale Erbe sich entwickeln wird, soll uns jetzt beschäftigen.

 

 

2.Mentale Evolution: Vom nichtmenschlichen

     Primaten zum Homo sapiens.

In einer früheren Publikation7 ist die mentale Evolution in aller Ausführlichkeit beschrieben, sodass ich mich an dieser Stelle mit einer Kurzfassung beschränke. Mentale Evolution ist eine Entwicklung unter Primaten und geht aus von der Intelligenz nichtmenschlicher Primaten. Aus einer artspezifischen Fremdbestimmung durch das Umfeld wird bei den Primaten eine neue Art der Selbstbe-stimmung durch mentale Variation des Verhaltens. Konsequenz ist eine durch biologische Evolution möglich gewordene zweite- oder mental gesteuerte kulturelle Evolution des Menschen, die nicht mehr von Generation zu Generation sondern direkt von Mensch zu Mensch weiter gegeben wird. Nachahmung, Übung und Lernen, dann Anleitung und Lehre und schließlich Zusammenarbeit12, 13 prägen diese kulturelle Evolution, während genetische Mutationen und deren Akzeptanz im Umfeld auch weiterhin die biologische Evolution leiten. Mit Abgrenzung, Distanzierung und Veränderung wird sowohl die biologische-, wie auch die kulturelle Evolution angestoßen und eine ewige Wiederkehr des Gleichen verhindert. Biologische Evolution und kulturelle Entwicklung sind beide ein dialektisches Spiel von Reproduktion und Distanzierung oder Akzeptanz und Ablehnung. Sie unterscheiden sich allein durch die Schnelligkeit von Entwicklung.

 

Komplexe Phänomene wie Bewusstsein, wie Verhalten, Intelligenz oder Gedächtnis machen viele Entwicklungs-schritte notwendig. Sie werden erst dann das Verhalten einer Gruppe lenken, wenn sie in der Mehrheit der eine Gruppe bildenden Individuen verankert sind. Die Zahl der dafür notwendigen Generationen ist unterschiedlich, wird vom Fortpflanzungsnutzen einer neuen Erwerbung bestimmt, erklärt die Langsamkeit der biologischen Evolution und auch die oft lange Latenz zwischen einer genetischen Mutation in einem Individuum und dem nach Generationen sich einstellenden Wandel einer Gesell-schaft. Evolution beginnt immer mit einer Mutation im Erbgut eines Individuums. Sie bestimmt, so sie Vorteile verschafft, nach vielen Generationen das Verhalten einer Gesellschaft.

 

Das menschliche Erbe von nichtmenschlichen Primaten.

Ausgangspunkt der mentalen Evolution der Hominiden sind mentale Fähigkeiten nichtmenschlicher Primaten, wie sie von vielen Verhaltensforscher14,15, 16, 17, 18, 19, 20, ermittelt wurden und weiter ermittelt werden. Menschenaffen zeigen Eigennutz, Machtgehabe, Aggressivität, auch Gewalt und Unterwürfigkeit. Sie suchen Verbündete und schaffen Verlierer. Sie ahmen nach, sind lernfähig und lernen von Eltern und Geschwistern. Sie sind ängstlich und erschrecken, aber lassen auch Freude und Zufriedenheit erkennen. Sie zeigen Emotionen, die wiederum von anderen miterlitten oder mitbejubelt werden. Menschen-affen reagieren empathisch und zeigen Sympathie. Sie trösten Besiegte und Unterlegene. Sie teilen, indem sie Andere am Verzehr teilhaben lassen und aktiv abgeben. Sie handeln altruistisch. Sie warnen ihre Gruppenmitglieder vor Gefahren. Wer tröstet, Andere beteiligt oder sie vor Gefahren warnt beabsichtigt etwas. Er handelt „intentional“19. Sexualität ist bei Bonobos nicht mehr nur biologisch geregelt. Sie ist auch eine Form von Zuneigung. „Nichts von dem, was wir (moderne Menschen) tun, ist wahrhaftig einzigartig“ schreibt Frans de Waal und bestätigt, was Charles Darwin bereits 1874 in „Abstammung des Menschen“ feststellt: „Ich beabsichtige... zu zeigen, dass zwischen den Menschen und den höheren Säugetieren (nichtmenschliche Primaten) kein fundamentaler Unterschied in Bezug auf ihre geistige Fähigkeit besteht“7.

 

Für die Weitergabe von Fähigkeiten nichtmenschlicher Primaten an die Hominiden sind Entwicklungstrends innerhalb der Primatengruppen vom ältesten Orang-Utan über Gorillas bis zu evolutionär jüngeren Schimpansen und Bonobos von Interesse. Sie v.a. werden an Hominiden weitergegeben. Solche Entwicklungstrends der Primaten sind:

 

Die Primaten entwickeln sich von einem im Wald und auf den Bäumen lebenden Einzelgänger wie dem Orang-Utan zu sozialen Wesen welche zunächst in Familien zusammen leben und schließlich Gruppen aus mehreren Familien bilden.

Von anderen Gruppen grenzen sich Primatengruppen ab. Sie bekämpfen sich, wenn der gruppeneigene Lebensraum nicht respektiert wird. Einzig Bonobos agieren auch gruppenübergreifend.

Bei Menschenaffen nehmen von den Orang-Utans über Gorillas, über Schimpansen bis zu den Bonobos die Gruppengröße und deren verwandtschaftliche Heterogenität zu. Aus verwandtschaftlicher Identität wird eine Gruppenidentität und bei Bonobos sogar eine Art von gruppenübergreifender Identität.

Innerhalb der Gruppen reduzieren sich hierarchische Strukturen von den Gorillas über die Schimpansen zu den Bonobos. Hierarchische Strukturen werden durchlässiger, wenn die Gruppengröße zunimmt und die Gruppenstruktur wird egalitärer.

Die geschlechtliche Differenzierung zwischen Männern und Frauen nimmt von den Orang-Utans über Gorillas, Schimpansen und Bonobos kontinuierlich ab, sowohl die körperliche Größendifferenz betreffend, wie auch beim Geschlechterverhalten in der Gruppe. Bonobofrauen haben schließlich ein hohes Maß an Gleichstellung erreicht.

 

Diese Entwicklungstendenzen der Primatenfamilie werden sich bei den Hominiden fortsetzen, denn sie überleben als Spezies und verbreiten sich über weite Regionen unserer Erde.

                                

 

Der Steinzeitmensch und seine Gefühle.

Von nichtmenschlichen Primaten übernehmen die Hominiden, zuerst der Homo habilis vor 1,8 bis 2 Millionen Jahren aufkommend und der vor etwa 1,5 Millionen Jahren folgende Homo erectus, das Zusammenleben in der Gruppe. Ohne den Schutz durch die Gruppe hätten allein lebende Hominiden wohl kaum überleben oder gar die Erde bevölkern können. Der älteste nichtmenschliche Primat Orang-Utan ist ein Einzelgänger und heute vom Aussterben bedroht. Die später folgenden Gorillas, Schimpansen oder Bonobos leben schon in größer werdenden Gruppen, ein Trend, der sich offenbar bei den Hominiden fort-setzt. Die Forschungsgruppe um Robin Dunbar beschreibt eine enge Beziehung zwischen der mittleren Zahl von Individuen einer Gruppe unter-schiedlicher Primaten und der relativen Größe ihres Neocortex zum Gesamthirn. Das Zusammenleben in der Gruppe erfordert eine neue Intelligenz: „Der Strudel des sozialen Lebens“ bedeutet Evolutionsdruck. Zusammen-halt in der Gruppe wird zum Überlebensvorteil. Wird die angesprochene Beziehung zwischen Gruppengröße und Neocortex-Entfaltung auf den Menschen extrapoliert, so bestünde eine den nichtmenschlichen Primaten vergleichbare Gruppe von Hominiden aus ca. 150 Personen, eine Zahl, welche als „Dunbar number“ bekannt wurde. In weltweit verstreuten indigenen Volksgruppen, Clans oder „domestic groups“, so der Ethnologe Sahlins21, wurden Gruppengrößen zwischen 50 bis 350 Menschen beschrieben. Sie leben zusammen ohne persönlichen Besitz, ohne Formen von Organisation. Interpersonaler Austausch allein festigt den Zusammenhalt. Die Gruppengrößen von Homo habilis oder Homo erectus kennen wir nicht, doch dürfte ihre Gruppengröße sich in zwei Millionen Jahren jener noch heute lebender indigener Gruppen angenähert haben.

 

Die Zunahme der Gruppengröße von den Orang-Utans zu den Bonobos macht aus Familien eine verwandtschaftliche Heterogenität und führt bei den Bonobos in eine den familiären Zusammenhalt übergreifende Gruppen-identität. In Primatengruppen wird ein andere Gruppen ausschließendes, aber innerhalb der Gruppe inklusives Verhalten beobachtet. Der Kontakt mit fremden Gruppen wird gemieden. Die eigene Gruppe wird gestärkt. Dass Menschenaffen bereits Sozialverhalten, Solidarität und Empathie erkennen lassen ist bekannt. Wo familiäre Verwandtschaft weniger wird muss Empathie oder Sympathie die Gruppe zusammen halten. Gegenseitige von Sympathie geleitete Hilfen werden in einer größer werdenden Gruppe wichtiger als Kraft und Größe. Die amerikanische Anthropologin Sarah Bluffer Hrdy22 sieht in der Mithilfe von „Allomüttern“ –Großmutter, Vater, Tante, Onkel, Freunde- bei der Kinderaufzucht ein wesentliches Element der Überlebenssicherung früher Hominiden. Die bei Gorillas und Schimpansen noch intensive biologische Bindung der Kinder an die Mutter  wird für das Kind gefährlich, wenn die Mutter stirbt. Wird eine natürliche- oder hormonell gesteuerte Bindung durch eine neue-, eine emotionale Bindung ergänzt, so kann auch eine länger werdende Aufzucht der Kinder geleistet werden. Die Überlebenswahrscheinlichkeit der Kinder beim Tod der Mutter wird verbessert. Gruppenzusammenhalt durch Empathie und von Sympathie gesteuerte Allomütter-Bereitschaft werden für die Hominiden zu Eigenschaften, die ihr Überleben fördern. Auch in der Sexualwahl werden Empathie oder Sympathie Vorteile bedeuten und durch Fortpflanzung zu einer Gruppeneigenschaft der Hominiden werden.

 

Sympathie ist eine erste Emotion der Hominiden, welche den Zusammenhalt stärkt und Gruppenidentität bewirkt. Emotionen werden schließlich zu bewussten Gefühlen, die das Handeln der Hominiden lenken. Für den amerikanischen Hirnforscher A.R. Damasio sind Emotionen eine noch unbewusste Vorstufe bewusst erlebter Gefühle23, 24. Emotionen sind unbewusst bleibende aber variable Reaktionen der Primatenfamilie auf Herausforderungen oder Irritationen. Im evolutions-biologischen Geschehen sind sie eine Fortentwicklung tierischer Instinkte und unterscheiden sich von diesen durch ihre an Herausforderungen angepasste Variabilität. Wo Instinkte genetisch programmiert sind, reagieren Primaten mit ihren Emotionen variabel. Emotionen sind im menschlichen Hirnstamm entstehende physiologische Aktionen, welche die Homöostase eines Organismus bei Irritationen durch Umweltreize aufrecht erhalten. Sie spiegeln die körperliche Verfassung eines Individuums in der Auseinandersetzung mit dem Umfeld. Jeder sinnliche Kontakt ist entweder angenehm oder störend. Das Individuum fühlt sich wohl und genießt oder es fühlt sich bedrängt und wehrt ab. Ein empathisches Gegenüber nimmt diese Emotionen wahr und erkennt, wie der Andere reagiert. Es hat die Fähigkeit des „emotionalen Ver-stehens“ entwickelt. Empathisches Verhalten wird sich bei den Hominiden zuerst in ein „emotionales-, dann in ein „intentionales Verstehen“ weiter entwickeln, wenn aus noch unbewussten Emotionen bewusste Emotionen oder Gefühle werden und gedankliche Erwägungen hinzu kommen. Wie Emotionen offenbaren auch unsere Gefühle einen Gegensatz von Akzeptanz oder Abwehr, von Lust oder Unlust, von Wohlsein oder Sorge und sind ein wichtiger Teil des mentalen Erbes des Menschen. Der moderne Mensch unterscheidet die wohltuenden Gefühle wie Freude, Lust, Liebe, Hoffnung, Zuversicht, Geborgen-heit von einer Ablehnung demonstrierenden Gruppe wie Angst, Wut, Zorn, Hass, Scham oder Ekel. Zwei Gruppen noch unbewusster Emotionen oder bewusster Gefühle, deren gegenseitiges Verstehen und ein von Emotionen oder Gefühlen gelenktes Handeln schaffen eine erste, eine „emotionale Intelligenz“25, 26 des Menschen. Sie ist eine wichtige Form menschlicher Intelligenz und ein von Steinzeit-menschen oder Hominiden geprägtes Erbe. Irgendwann wurden in den zwei Millionen Jahren der mentalen Entwicklung von Hominiden aus unbewussten Emotionen bewusste Gefühle und schaffen ein „Primäres Bewusstsein“, das der Neurologe Damasio vom später aufkommenden „erweiterten Bewusstsein abgrenzt24. Das „primäre Bewusstsein“ ist auf direkten und inter-personalen Austausch ausgerichtet. Es stärkt den Zusammenhalt in der Gruppe und die Zugehörigkeit zur Gruppe, ist aber irritiert und verunsichert, so Fremdes oder Ungewohntes auftaucht. Das Gruppeninteresse ist für die Hominiden wichtiger als ein Individualinteresse und wird bei den afrikanischen Xhosa noch immer betont: „Ubuntu“ ist für sie eine wichtige Weisheit und bedeutet: „Ich bin, weil wir sind“. Das primäre Bewusstsein fördert auch heute noch den persönlichen Zusammenhalt von Familien, Freunden und Vereinen und hält Gruppen zusammen, die sich eine eigene-, eine besondere Identität zuschreiben. Das primäre Bewusstsein hat uns modernen Menschen aber auch eine Irritation in der Begegnung mit Fremdem und Ungewohntem hinterlassen. Moderne Fremdenfeindlichkeit ist ein frühes mentales Erbe des Menschen.

                                        

Gefühle prägen das „primäre Bewusstsein“ der Hominiden. Sie  sind in der mentalen Evolution des Menschen eine erste bewusste Reaktion auf vom Umfeld ausgelöste Irritationen. Gefühle sind in der Positronen-Emissions-Topographie (PET) in der menschlichen Großhirnrinde lokalisiert. Sie sind den Wahrnehmungszentren für Sehen, für Hören oder Fühlen benachbart. Diese hirnstrukturelle Nähe der Gefühlszentren zu sensorischen Wahrnehmungs-zentren belegt, wie in der mentalen Evolution zum Menschen Gefühle als Reaktion auf sensorische Wahr-nehmungen entstehen und als erste seelische Funktion bewusst werden. Ein von Gefühlen bestimmtes „primäres Bewusstsein“ lenkt für fast zwei Millionen Jahre das Verhalten der Hominiden: Sie leben in Gruppen und pflegen den persönlichen Kontakt. Diese Interaktion ist eine Mischung aus von nicht-menschlichen Primaten übernommener Körperlichkeit oder „social grooming“, aus Mimik, aus Gesten, aus Lauten und wohl auch einzelnen Worten. Mimik spielt in einem von Gefühlen geprägten Verhalten eine große Rolle. Sie demonstriert dem empathischen Gegenüber was in einem vorgeht. Die Gestik in Form von ironischen- oder Zeigegesten beflügelt Nachahmung, stärkt das Miteinander und begleitet auch heute noch jede Ansprache. Zu lautlichen Warn- oder Weckrufen waren die Hominiden in der Lage, wohl auch zu einzelnen Worten, zumal der menschliche Sprechapparat mit den Hominiden in der menschlichen Evolution entstand28. Ob die Hominiden oder der Neandertaler als europäischer Homo erectus bereits eine Art Sprache kannten, wird in der anthropologischen Forschung diskutiert. Da das Sprechen wie jede Form von Kommunikation als emotionale Mitreaktion beginnt ist anzunehmen, dass sie eine eigene Form von Sprache oder Unterhaltung kannten.

                                               

Ein von Gefühlen gelenktes „primäres Bewusstsein“ ist nicht schöpferisch. Es reagiert nur und verzichtet auf Wandel. Man ahmt nach was Alte oder Erfahrene vorleben. Man ist Jäger und Sammler und richtet seine Bedürfnisse auf das Erreichbare oder Jagdbare aus. Alle beteiligen sich. Vorsorge wird nicht betrieben, weil eine Vorstellung von Zukunft in ihrem Bewusstsein nicht existiert. Die Gegenwart bestimmt das Handeln. „Jäger und Sammler sind Nichtökonomen“ schreibt Sahlins21: „Ihre Bedürfnisse richten sich an die zur Verfügung stehenden Mittel..., sie sammeln was sie brauchen“. Wenn Nahrungsressourcen erschöpft sind wandert die Gruppe weiter und die Heimat zieht mit. Verlegen sie ihren Lebensmittelpunkt nur um 10 Meter pro Jahr, so tauchen ihre Nachfahren eine Million Jahre später in 10 000 km Abstand vom afrikanischen Ursprung in China, in Europa auf. Ein erster Exodus der Hominiden aus Afrika fand vor etwa einer Million Jahren statt. Der China-Mensch war ein Homo erectus, wie später auch der Neandertaler.

 

Zwei Millionen Jahre Evolution der Hominiden oder Steinzeitmenschen werden von der Anthropologie an Hand von gefundenen Steinwerkzeugen in ein Altpaläolithicum (2 500 000 – 200 000 Jahre), in ein Mittelpaläolithicum (200 000 – 40 000 Jahre) und ein Jungpaläolithicum (40 000 – 10 000 Jahre) eingeteilt28. Im Alt- und Mittelpaläolithicum verwenden die Hominiden Faustkeulen, die vor 1,7 Millionen Jahren erstmals auftauchen und dann über 1,5 Millionen Jahre allenfalls marginale Veränderungen zeigen. In 180 000 Jahre alten archäologischen Fundstätten in Ostafrika werden noch immer die früheren Faustkeulen gefunden. Sie sind scharfkantig, stabil und griffig. Wurden sie nur gefunden und aufgelesen oder wurden sie produziert oder zugerichtet? Eine planerische- oder kreative Fähigkeit kann ich an diesen Faustkeulen nicht erkennen und finde eine Bestätigung beim Entdecker der Evolution: Charles Darwin schreibt: „Mir scheint viel Wahres (darin) zu liegen, dass, als die Urmenschen zuerst Feuersteine zu irgend welchen Zwecken benutzten, sie diese zufällig zerschlagen und dann die scharfen Bruchstücke benutzt haben werden... . Indessen dürfte der letzte Fortschritt sehr lange Zeit bedurft haben... , welche verging, ehe ein Mensch... begann, seine Werkzeuge zu schleifen und zu polieren“7.

                                        

Ein von Gefühlen bestimmtes „primäres Bewusstsein“ ist nicht schöpferisch, doch half es den Hominiden zu überleben. Ein von Gefühlen bestimmtes „primäres Bewusstsein“ sicherte ihr Überleben und bedeutet für uns moderne Menschen noch immer so etwas wie Heimat, Familie, Freundschaft. Auch ohne schöpferische Kreativität konnten sie sich als Gruppe über die Erde ausbreiten. Ihre Bedürfnislosigkeit bot die Chance zu Überleben. Was dieses von Hominiden stammende frühe mentale Erbe für uns heute bedeutet, lässt sich in etwa so zusammen-fassen:

 

        ° Zusammenhalt braucht persönliche Beziehung,

           gestützt auf Kommunikation in Form körperlicher

           Zuwendung, Mimik und Gestik. Zusammenhalt braucht

           Empathie und Gefühle, braucht emotionale Intentionen und

           emotionale Intelligenz.

         ° Zugehörigkeit zu einer Gruppe, der man vertraut, ist

           ein von den Hominiden überkommenes

           menschliches Bedürfnis.

         ° Menschliche Bedürfnisse sind steuerbar durch das,

            was das Umfeld bieten kann. Bedürfnisse können

            gelenkt werden und sich anpassen.

         ° Gleichberechtigte Teilhabe des Menschen als

            moderne Forderung ist ein von Hominiden

            erarbeitetes Erbe.

         ° In der Natur, mit ihr und von ihr zu leben, dieses

            menschliche Bedürfnis ist ein uns von Hominiden

            hinterlassenes Erbe.

                                     

Über zwei Millionen Jahre entwickeln die Hominiden eine auf personalen Austausch und emotionaler Intelligenz gegründete Gruppenidentität und begnügen sich mit dem was das Umfeld beim Sammeln und Jagen hergibt. Sie überleben, verlassen Afrika entlang den Küsten und kommen schließlich nach Europa und in Asien bis nach China. Zu ergründen wie sie lebten oder wie sie sich fühlten aber bleibt ein gedankliches Experiment, durch welches sich die beschriebene emotionale Intelligenz oder ein primäres Bewusstsein der Hominiden erschließen lässt.

Von der Verhaltensforschung an nichtmenschlichen Primaten erfahren wir, was Hominiden übernehmen konnten und von Ethnologen lernen wir, was sie an noch existierende indigene Gruppen weitergaben.

                                             

 

Der Homo sapiens denkt und plant.

Beim Homo sapiens, dem bisher letzten Glied in der Reihe der Hominiden, ist die Situation eine ganz andere. Er taucht, mit der genetischen Uhr am mitochondrialen Genom (mtDNA) oder dem Y-Chromosom (Y-DNA) ermittelt, vor 150 bis 200 Tausend Jahren in Afrika auf30, 31. In Äthiopien wird der Herto-Schädel, das 160 000 Jahre alte und älteste Fossil eines Schädels des modernen Menschen entdeckt. Weitere 100 Tausend Jahre werden vergehen, bis eine neue mentale Funktion des Homo sapiens erkennbar wird. Neues Verhalten taucht dann auf, wenn der neue Mensch oder Homo sapiens die Mehrheit in der Gesellschaft stellen wird. „Wenn eine Mutante auf Grund eines Vorteils nur ein Prozent mehr Nachkommen hervorbringt als ihre Konkurrenten, steigt ihr Anteil in der Population in knapp 400 Generationen von 0,1% auf 99,9% an“, so lese ich bei Steven Pinker31. Wie bestimmend die Homo-sapiens Mutanten für deren Fortpflanzungspotenz waren, wissen wir nicht. Dass viele Generationen notwendig sind, eine neue Mutante zum Besitz einer Bevölkerungsmehrheit zu machen ist offensichtlich. So erklärt sich die Latenz zwischen der Entdeckung einer neuen Art mit Hilfe der genetischen Uhr und der Entwicklung eines neuen Verhaltens. Wurden im Alt- oder Mittelpaläolithicum noch immer nur leicht veränderte Steingeräte bis zum Faustkeil verwendet, so kommt es zum Ende der mittleren Steinzeit (200 000 bis 40 000 Jahre), v.a. aber in der Jungsteinzeit (40 000 bis 10 000 Jahre) zu einer  Zunahme handwerklicher Mannig-faltigkeit. Mit deren Aufkommen offenbart sich eine die emotionale Intelligenz ergänzende „kognitive oder gedankliche Intelligenz“, die Neues schafft und schöpferisch aktiv ist.

Zum Ende der mittleren Steinzeit, v.a. aber in der Jungsteinzeit erhalten die Steingeräte schärfere Kanten nach Art der Levallois-Technik. Neue Materialien wie Knochen, Elfenbein oder Horn von Mammuts, Bisons oder Nashörnern werden verwendet. Knochen- oder Elfenbein-spitzen auf Holz oder Bambusstöcke fixiert, werden zu Wurfspießen. Handwerkliche Produkte entstehen. Zahl und Vielfalt archäologischer  Funde nimmt zu in der Jungsteinzeit. Schmuck aus Knochen, aus Zähnen, Muscheln oder Schnecken, dann aus Obsidian wird gefunden. In Höhlen wie Altamira oder Lascaux werden Silhouetten von Mammuts oder Rotwild an die Wände gemalt. In Dolni Vestice werden aus der Jungsteinzeit stammende Hüttenreste entdeckt. Siedlungen sind Ausdruck einer beginnenden Sesshaftigkeit. Keramik und Ton kommen zum Einsatz und vor 6500 Jahren wird erstmals Kupfer verwendet. Ein unterschiedlicher Gebrauch von Materialien, die Konstruktion von Werkzeugen, Abbildungen von Tieren an Höhlenwänden und  Siedlungen führen zu einem ersten, handwerklich-technologisch ausgerichteten Höhepunkt der Sapiens-gesellschaft: Die Archäologie spricht von einer „neolithischen Wende“ oder einer „zivilisatorischen Revolution“ der Jahre 10 000 bis 6000 v. Chr. In diesen 4 000 Jahren, so lese ich in Hansjürgen Müller-Becks „Steinzeit“28 sei der Mensch „erstmals durch Kultivierung von Pflanzen und Domestikation von Tieren selbst zum Neugestalter der von ihm benutzten Ökosysteme“ geworden. Der „Ertrag der Scholle“ und der „Reichtum an Vieh“ seien die Grundlage menschlicher Kultur“.

„Ertrag der Scholle“ oder „Reichtum an Vieh“ sind nicht die Grundlage, sondern Ergebnisse menschlicher Kultur. Deren „Grundlage“ ist der neue- und schöpferische Geist des Menschen. Mit der zivilisatorischen Wende der menschlichen Frühgeschichte wird deutlich, wie in nur kurzer Zeit ein Wandel entsteht. Die Neues schaffenden Heroen  wirken noch im vorgeschichtlichen Dunkel. Sie bleiben unbekannt oder verbergen sich hinter mythischen Figuren. Was diese namenlosen Helden hervorbringen lässt sich nur in der Rückschau erkennen: Schon vor mehreren 10 000 Jahren malt ein namenloser Künstler in einer Höhle sein erstes Bild. Er malt nicht nur ein Bild. Er wird zum Begründer von Kunst und niemand wird jemals von ihm erfahren. Ein Anderer bemalt die geritzten Umrisse der Tiere mit Farben gepresster Pflanzen oder Früchten und schafft so Bilder, die uns bis heute erhalten bleiben. Ohne dass ein gemeinschaftlicher Nutzen sichtbar wird, führen die Beobachtungsgabe eines Beerensammlers und die Freude über ein gejagtes Tier zu Bildern in Altamira oder Lascaux in Europa und an vielen anderen Orten in Afrika, Asien und Australien. Die Bilder werden dort gefunden, wo historische Forschung betrieben wird. Ein nicht von Not-wendigkeit getriebener, sondern von Lust oder Langeweile gedrängter Künstler hat erste Bilder, hat die Kunst erschaffen.

Ein Anderer beobachtet und schließt: Was an beliebiger Stelle heranwächst, kann ich auch in der Nachbarschaft meines Lagerplatzes wachsen lassen. Er streut Körner und sieht Getreide wachsen. Nicht eine Not, sondern Interesse und Neugier hat den Sammler geleitet. Als namenloser Held wird er zum Begründer des Ackerbaues. Sein Freund ist Jäger. Er trägt eine von der Herde zurückgelassene junge Ziege zum Lagerplatz und beobachtet wie diese sich an ihn gewöhnt und größer werdend nicht mehr von seiner Seite weichen will. Er beobachtet, wie ein junges Tier sich an den Menschen gewöhnt und schließlich nicht mehr weg rennt. Er hat eine Ziege domestiziert, nicht weil die Not ihn treibt, sondern weil sein Mitleid und eine dadurch entfachte Nachdenklichkeit sein Interesse weckt. Von Gefühlen ausgehende Nachdenklichkeit macht aus dem Jäger einen Hirten und Viehzüchter und die Neugier macht aus einem Sammler einen Pflanzer und Ackerbauer.

Nicht die „Verknappung wild wachsender Nahrung“, die „zunehmende Verbreitung domestizierter Wildpflanzen“, die „Entwicklung von Techniken zum Ernten, zum Verarbeiten und Lagern“ oder die „Wechselbeziehung zwischen dem Anstieg der Bevölkerungsdichte und der aufkommenden Landwirtschaft“ haben die Domestikation von Pflanzen und Tieren bewirkt, wie Jared Diamond32 beschreibt. Möglich gemacht wird die Domestikation von Pflanzen und Tieren allein durch die Intelligenz eines modernen Menschen, eines fühlenden und jetzt nachdenklich gewordenen Individuums. Gedankliche Intelligenz zieht aus Beobachtungen weitreichende Folgerungen. Die durch Ackerbau und Viehzucht entstehenden Folgen von Sesshaftigkeit, von zunehmender Bevölkerungsdichte, von beruflicher Spezialisierung, von Formen der Organisation und Gründung von Städten, von Besitz und von Hierarchie konnten jene großartigen Jäger und Sammler nicht vorhersehen. Sie verwirklichten nur eine Idee: Sie waren die geistreichen Erfinder, die aus einer Beobachtung richtige Schlüsse zogen. Für die Folgen ihrer Entdeckung sind Andere verantwortlich. Diese Erfahrungen sollten sich in der menschlichen Gesellschaft noch oft wiederholen.

Man kann die „neolithische Wende“ als einen ersten Höhepunkt der schöpferischen Aktivität des Sapiens-Menschen bezeichnen. Begonnen haben dessen Erfindungen aber schon viel früher. Die „zivilisatorische Wende“ hatte eine lange Vorlaufzeit. Dies schreibt auch der australische Archäologe Gordon Childe, der den Ausdruck „neolithische Revolution“ prägte: „Das Vorspiel zu der neolithischen Wende muss sehr viel länger gedauert haben, und es ist auch weniger leicht zu entscheiden, was man genau als ihren Höhepunkt bezeichnen sollte“33. Die neolithische Wende begann vor 50 000 bis 100 000 Jahren und ist auch kein auf Vorderasien lokalisiertes Phänomen. Sie findet weltweit statt. Erste Groß-siedlungen entstehen nicht nur in Ägypten oder im Vorderen Orient. Zu gleicher Zeit entstehen Großsiedlungen und erste Reiche an unterschiedlichen Regionen in China oder im Tal des Ganges in Indien.

Mit der in der neolithischen Wende offenbar werdenden technologischen Mannigfaltigkeit, mit Entwicklung von Tierzucht und Landwirtschaft, mit der Herstellung von Schmuck und Bildern zeigt sich eine neue Intelligenz des Homo sapiens: Er benutzt sein Umfeld, gestaltet dieses und verändert. Es ist der Beginn schöpferischer Intelligenz. Wer gestaltet und verändert wird zur Sesshaftigkeit gezwungen weil Landwirtschaft und Geräte oder Vieh binden. Wer ortsgebunden ist, wird aber bald die Weite als neues Ziel entdecken: Fremdheit ist für den Hominiden zwar eine angstbelastete Bedrohung. Für den Homo sapiens aber wird Fremdheit zur gesuchten Heraus-forderung. Er ist neugierig und will wissen, was sich jenseits der eigenen Behausung verbirgt. Während die Hominiden sich an der Küste vortastend, 11/2 bis 2 Millionen Jahre brauchten, um fern von Afrika aufzutauchen, erschließt sich der Homo sapiens die Erde in nur 50 000 Jahren und überwindet  schwierigste Klimazonen. In „Die Wege der Menschheit“30 beschreibt Spencer Wells mit Hilfe der genetischen Uhr die Reisewege des Homo sapiens: Vor etwa 80 000 bis 60 000 Jahren verlässt er Afrika, erreicht auf einer Südroute schon vor etwa 40 000 Jahren Australien, kommt vor 35 000 Jahren nach Zentralasien, von dort nach China und Europa und betritt vor etwa 20 000 Jahren über Sibirien und die Beringstraße den amerikanischen Kontinent. In Patagonien, an der Südspitze Südamerikas gefundene archäologische Funde zum Homo sapiens sind etwa 10 000 Jahre alt.

Unbezweifelbar haben geographische- oder klimatische Hindernisse und gelegentlich auch aufgekommener Bevölkerungs-druck die „Wege der Menschheit“ mitbestimmt. „Wir wissen“, schreibt Wells30 „dass der Homo erectus sich in Ostasien ungefähr eine Million Jahre lang nicht nennenswert veränderte, vielleicht weil der Selektionsdruck im wesentlichen gleich blieb... und Kontinuität begünstigt hat“. Einen mentalen Unterschied zwischen dem Homo erectus und dem Homo sapiens erwähnt er nicht. Genau dieser auf genetischer Basis entstandene Unterschied aber macht vor 150 000 oder 200 000 Jahren aus einem gefühlsorientierten und gegenwartsbezogenen Gruppenwesen des Homo erectus einen von Verstand und Geist geleiteten und der Zukunft gegenüber offenen Homo sapiens. Wie alle genetischen Neuerungen vollzieht sich diese mentale Verwandlung ohne Mitwirkung von klimatischen- oder geographischen Schranken. Diese mentale Verwandlung hat den modernen Menschen „biologisch dazu angepasst sich anzupassen“. Nicht der Selektionsdruck ist für die Erectus-Hominiden ein anderer als für die Sapiens-Menschen. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden ist ihre unterschiedliche Mentalität: Wo es ungemütlich wird weichen die Hominiden mit ihren Gruppen aus. Ihre Bedürfnisse orientieren sich ausschließlich an den Gegebenheiten, welche Natur und Umfeld bieten. Der Homo sapiens aber weicht nicht. Er verändert. Er besorgt und erschafft sich Hilfsmittel, mit welchen er auch höchsten Herausforderungen trotzen kann. Sein Interesse und gelegentlich auch der Druck des Hungers veranlasst ihn, entfernte Regionen auf zu suchen. Nicht ein Selektionsdruck hat sich in den letzten zwei Millionen Jahren verändert, sondern die mentalen Voraussetzungen, einem Selektionsdruck Stand zu halten, haben sich verbessert. Allein die mentalen Veränderungen des Homo sapiens können erklären, warum der moderne Mensch in gerade mal 50 000 Jahren jeden entfernten Winkel unserer Erde bevölkert, während der Homo erectus sich nur in jenen Zonen festsetzt, wo sein Überleben gesichert ist. Dass der Homo sapiens diese Besiedlung in, evolutionär betrachtet, Minimalzeit schafft, dafür sind die Gestaltungs-fähigkeit, die Offenheit für Zukünftiges und Unbekanntes von wagemutigen Individualisten verantwortlich. Der Homo sapiens wird immer schon von seiner Neugier getrieben. Dies war früher so und ist es bis heute geblieben: Immer wird das Neue von wenigen geistigen Giganten erschaffen. Wie Ackerbau und Viehzucht durch eine einmalige Idee oder Beobachtung entstanden sind, habe ich anzudeuten versucht. Dass danach beide zu einer Aufgabe von Vielen werden, ist eine gängige Folge von allen wichtigen Erfindungen. Für die Besiedlung der Erde gelten gleichartige Bedingungen: Niemand wird unter den Bedingungen der Frühzeit auf Grund eines Bevölkerungs-druckes gezwungen, die asiatische Steppe zu verlassen und sich in den Westen nach Europa oder ostwärts in den winterlichen Norden Sibiriens und nach Alaska zu wagen. Trotzdem werden diese Abenteuer von Wenigen unter-nommen. Sie werden von der Neugier auf bisher Unbekanntes angezogen. Sie tun das was später Kolumbus tut: Auch ihn trieb nicht die Not aufs Meer sondern seine Neugier auf bisher Unbekanntes. Dass seine Erkundungs-reise dann zu einem Seeweg für viele wird, ist eine bekannte Folge von Entdeckungen und Erfindungen. Auch die Polarforscher Amundsen und Scott oder der Berg-steiger Hillary mussten nicht den Südpol oder die Spitze des Mount Everest erreichen. Sie mussten nicht, sie wollten. Sie wollten ihre Neugier und ihren Forschergeist befriedigen. Dass Mond oder Mars zu einem modernen Fernziel für Wenige geworden sind, ist ein aktuelles Beispiel dafür, was für den Homo sapiens schon immer gilt: Einzelne wenige geistige Giganten oder Individuen lockt das Unbekannte und Unerforschte. Sie bereiten das Terrain, auf welchem Viele folgen. Aus einem erreichten Ziel von Wenigen wird eine Sehnsucht für Viele. Der Homo sapiens erschließt sich den Erdball nicht weil er dazu gezwungen wurde, sondern weil er neugierig war. Er hatte das Neugier-Gen in sich, das Kolumbus nach Amerika, Amundsen und Scott an den Südpol und Hillary mit seinem Sherpa auf den Mount Everest führte.

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Zum Ende der mittleren Steinzeit oder der Jungsteinzeit verfügen die Hominiden über eine Kommunikation mit einfacher Laut- oder vielleicht auch einer frühen Einwortsprache. Sie hilft beim Sammeln und Jagen und belebt den „Klatsch und Tratsch“17 am Lagerfeuer. Dass die Hominiden in den Jahrmillionen ihrer Entwicklung sprechfähig werden, zeigen paläoanthropologische Befunde28: Der Sprechapparat der Hominiden kann eine Vielzahl von Phonemen oder Vokalisierungen erzeugen und er kann diese auch hören und wohl auch unter-scheiden. Wie fortgeschritten diese neue-, Mimik und Gestik ergänzende-, Laut- oder stimmliche Sprache bei den Hominiden war, ist Spekulation. Sprachen hinterlassen keine Spuren. Stimmen und Laute sind noch keine Sprache. Sie bestätigen allein das Vorhandensein eines Sprech-apparates oder einer Sprachfähigkeit. In einer sesshaften- und von Hierarchie oder von einer neuen Ordnung bestimmten Gesellschaft aber muss sich Sprache verändern. Aus einer gestisch begleiteten Laut- oder Einwortsprache am Lagerfeuer muss eine von Vielen verstehbare grammatikalische Ansprache werden.

Ist die menschliche Sprache mit ihren Wortsymbolen und grammatikalischen Hilfen eine Fort- oder Weiter-entwicklung früherer in der Evolution angelegter Formen von Kommunikation? Oder ist die menschliche Sprache in einem einmaligen oder revolutionären Akt der Evolution entstanden? In der Vorstellung heutiger Sprachforscher wird die grammatikalische Sprache als eine Weiter-entwicklung von Hominiden-Kommunikation gedeutet. Andererseits ist der Übergang von der Einwortsprache in eine grammatikalische Sprache ein wirklich revolutionärer Schritt. Die mit dem Homo sapiens aufgekommene gedankliche- oder kognitive Intelligenz braucht kein spezielles Sprachmodul. Sie kann neue Begriffe konstruieren, kann Vergangenheit, Gegenwart und jetzt auch Zukunft, kann Eigenschaften, ein- oder Mehrzahl und Vergleiche sprachlich verdeutlichen und Worte durch grammatikalische Hilfen zu gedanklichen Aussagen optimieren. Eine grammatikalische Sprache zu entwickeln braucht die kreative Intelligenz des Homo sapiens. Die Fähigkeit zu abstrahieren ist gefordert.

Schließlich macht die Fähigkeit der Abstraktion aus einer Bilderschrift eine Buchstabenschrift35: In der Bilderschrift vermitteln Bilder, was ich zu sagen versuche. Dann aber hatte wiederum ein unbekannter „Hero“ die geniale Idee mit abstrahierten Bildern der Keilschrift nicht mehr Bilder sprechen zu lassen, sondern sie zu Buchstaben zu machen, die unter-schiedliche Laute oder Phoneme repräsentieren. Die Buchstabenschrift als Sprachäquivalent wurde geboren. Wie der aus nur vier Aminosäuren entstandene genetische Code eine unendliche Zahl von biologischen Wesen schaffen kann, schafft es die Buchstabenschrift aus wenigen Buchstaben eines Alphabetes eine unendliche Zahl von Worten und Schriften entstehen zu lassen. Als kulturelle Errungen-schaft folgt die Schrift den biologischen Vorgaben des Genoms.

Bei der Schriftentwicklung wird zunächst Bildern eine Bedeutung zugesprochen und die Bilderschrift entsteht. Dann erzwingen Materialien, auf welchen geschrieben wird, besondere Stilformen. Wer sein Bild in Ton ritzen muss, wird seine Bilder vereinfachen. Abstraktionen des ursprünglichen Bildes entstehen. Der schließlich entscheidende Schritt in die Buchstabenschrift aber kommt noch: Aus Bildern entstandene Abstraktionen werden nicht mehr mit ihrer früheren Bildbedeutung assoziiert, sondern mit zunächst bedeutungslosen Lauten der menschlichen Stimme. Die geleistete Genialität besteht in der Zuordnung eines abstrahierten Bildes oder der späteren Buchstaben zu unter-schiedlichen Lauten. Aus gehörten Lauten werden geschriebene Buchstaben und daraus Worte.

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Ist das Leben der Hominiden von Empathie und Gefühlen bestimmt, von Gefahrenerkennung, von Gefahren-vermeidung und von solidarischem Verhalten in der Gruppe geprägt, das dem Lebenserhalt geschuldet war, so entsteht mit dem Homo sapiens ein zweites mentales Erbe, das die bisherigen sinnlichen Erfahrungen und Gefühle der Hominiden mit einem gedanklichen Rückzug beantwortet. Rationale Analyse, Planung, schöpferisches Gestalten und zukünftige Entwürfe werden zu einer zweiten menschlichen Option. Das mentale menschliche Erbe der Hominiden wird durch einen Homo sapiens-Anteil ergänzt. Der Homo sapiens

        ° ergänzt das empathische Mitfühlen der Hominiden durch

            rationale Kontrolle.

        °  ergänzt das Wahrgenommene durch Abstraktionen: Wo

           Wahrgenommenes einem Denkprozess unterzogen wird,

            wird daraus eine gedanklich definierte Abstraktion.

        °  macht aus Gruppenidentität Individualität:

           Gruppenidentität stiftende Gefühle werden gedanklich

           analysiert. Negative Gefühle, Sorgen und Angst sollen

           rational begründet und überwunden werden.

        °  ergänzt das sensorische Reagieren durch schöpferische

           Kreativität: Wer die Zukunft in seine Gedankenwelt

            integriert wird planen, will Neues entdecken und Grenzen

            überwinden.

        °  ist kreativ. Die schöpferische Kreativität von

            Individuen aber ist immer auch eine Ursache für

            gesellschaftliche Ungleichheit und schafft

            Machtoptionen, welche eine Gesellschaft spalten.

  3. Emotionale und kognitive Intelligenz:

     Notwendiger Kompromiss oder Ursache für

     Entfremdung?

Zwei Millionen Jahre mentaler Evolution hinterlassen uns Menschen ein doppeltes Erbe. Wir suchen die emotionale Nähe, den persönlichen Kontakt zu Familie, zu Nachbarn undFreunden und wollen zugehören, wie die Hominiden dies in ihren Gruppen vorlebten. Dann aber wollen wir uns auch unterscheiden, mit gedanklichem Rückzug Wissen erwerben und einen persönlichen Weg finden. Wir wollen planen, Eigenes schaffen und uns selbst erfinden, wie viele Sapiens-Menschen dies vor uns taten. Wir wollen sein wie alle Anderen, aber auch tun dürfen, was wir wollen. Wir passen uns an, doch wollen wir uns auch unter-scheiden. Wir ahmen nach, aber wir spekulieren auch. Wir spielen zusammen und lieben trotzdem den Wettkampf. Wir sind extrovertierte Gefühlsmenschen, die geliebt werden wollen, aber auch introvertierte Denktypen, die den Abstand und das Allein-sein suchen. Ein divergent ausgerichtetes Streben ist unser mentales menschliches Erbe. Evolution entsteht im dialektischen Miteinander zweier Pole. Dieses duale Prinzip der Evolution ist Voraussetzung für Entwicklung. Es wurde auch an den Menschen weiter gegeben und lenkt menschliches Verhalten. Die Metamorphose vom Kind zum Adoleszenten ergänzt eine emotionale- durch eine kognitive Intelligenz. Deren Miteinander lenkt schließlich uns Menschen und auch unsere Geschichte.