Eine Frage der Wahrheit - Kathryn Cushman - E-Book

Eine Frage der Wahrheit E-Book

Kathryn Cushman

4,8

Beschreibung

Als Alisa eines Morgens einem Kommissar die Tür öffnet, erwartet sie das Schlimmste: Dass ihr Sohn Kurt tot ist, umgebracht von Drogen und einem Leben auf der Straße. Kurt aber wird nur als Zeuge eines Mordes gesucht, mehr noch: Er meldet sich aus dem Entzug und kehrt zu seiner Familie zurück. Alisas Gebete wurden erhört. Doch dann stößt sie auf Beweise, die Kurt mit dem Mord in Verbindung bringen und sie steht vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens: Soll sie schweigen oder alles für die Wahrheit opfern?

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Bestell-Nr. 395.350

ISBN 978-3-7751-7101-4 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5350-8 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2012SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title: Leaving YesterdayCopyright © 2009 by Kathryn J. CushmanPublished in English by Bethany House, a division of Baker Publishing Group,Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A.Cover design by Dan Thornberg, Design Source Creativ ServicesAll rights reserved.

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen: Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Übersetzung: Dr. Friedemann LuxUmschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, Schweiz; www.oha-werbeagentur.chSatz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Für Melanie Cushman –Ich habe erlebt, wie du dich durch Dinge,die die meisten Menschen zu Tränen der Verzweiflung bringen würden, hindurchgelächelt hast.Dein Mut bedeutet mir mehr, als ich ausdrücken kann.

1

Mein Sohn war tot. Ich wusste es in dem Moment, als das schwarzweiße Polizeiauto am Straßenrand vor meinem Haus anhielt.

So wie ich war, mit der Pflanzerde, die in Klumpen an meinen Handschuhen klebte, so wie die Trümmer der letzten Jahre an meinem Leben, drehte ich mich auf dem Absatz um, stieg die paar Stufen zu der Eingangsveranda hoch, öffnete die Haustür, ging hinein und schloss die Tür hinter mir. Ein vernünftiger Mensch hätte mir sagen können, dass das Geräusch des Türschlosses nichts an der Nachricht ändern konnte, die ich gleich hören würde. Aber zeigen Sie mir die Mutter, die vernünftig denkt, wenn sie vor der Nachricht steht, dass der einzige Sohn, den sie noch hat, tot ist.

Ich ging in die Küche und warf die Handschuhe auf die Küchentheke, dass die schwarze Erde über die makellos saubere Arbeitsplatte aus Granit flog. Ich holte ein Glas vom Regal und presste es mit solcher Gewalt gegen den Wasserspender in der Kühlschranktür, dass ich mich wunderte, dass es nicht zerbrach. Das kalte Wasser lief hinein, füllte es fast bis zum Rand. Ich gönnte mir eine kleine Pause, das war alles. Der Polizist dort draußen hatte sich in der Straße geirrt. Bestimmt hatte er seinen Fehler inzwischen bemerkt und war wieder weg.

Ich setzte mich an den Küchentisch und schlug den Haus- und Gartenkatalog auf, der zuoberst auf dem Poststapel lag. Ich begann, achtlos zu blättern, bis eines der Bilder mich abrupt packte und seine Finger um meine Kehle legte. Die beiden Jungs auf dem Bild sahen Nicolas und Kurt überhaupt nicht ähnlich, außer dass meine Söhne auch einmal in dem Alter gewesen waren, der eine acht, der andere zehn, aber ich musste unwillkürlich an sie denken. Der lächelnde Vater, der neben dem halb fertigen Baumhaus stand, hielt stolz den neuesten Schlagbohrer in der Hand, die ebenfalls lächelnde Mutter stand auf der brandneuen Leiter. Selbst der goldbraune Labrador ganz unten in dem Bild schien die beiden Jungen anzulächeln, die neben den Latten und Stangen standen. Eine Welt voll Sonne und Zukunft.

Wie früher einmal unsere.

Die Türklingel holte mich in die Gegenwart zurück. Und in die Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die ich nicht wahrhaben wollte, aber musste. Es war so weit.

Ich begann, zur Haustür zu gehen. Dies waren also die letzten Schritte, die ich in meinem Leben machte, ohne die furchtbare Gewissheit zu haben, dass Kurt tot war. Ich musste ihn so lange auskosten, diesen Augenblick, wie es ging, musste mir jeden Schritt ins Gedächtnis einprägen. Eins, zwei, drei … Mit dem zehnten war ich an der Haustür.

Ich holte tief Luft. Meine Hand, noch dreckverschmiert von meinem nutzlosen Versuch, diesen Augenblick auszusperren, legte sich um die Messingklinke. Obwohl ich es nicht wollte, schob sich der Türriegel unter meinen Fingern zur Seite. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich zog an der Tür – ich staunte, wie schwer sie sich anfühlte – und vor mir, keinen Schritt entfernt, stand mein schlimmster Alptraum. Aber er sah ganz anders aus, als ich es erwartet hatte.

Wie dieser Polizeibeamte aussah, überraschte mich. Keine vor Gram und Alter herabhängenden Wangen, keine düstere Bestattungsunternehmermiene. Wenigstens eine gehörige Portion Unbehagen hätte er doch ausstrahlen können, dieser Unglückliche, der solch eine Schreckensbotschaft überbringen musste. Stattdessen war sein Blick angenehm, fast schon liebenswürdig. Das rötliche Haar und die jugendlichen Sommersprossen erinnerten mich an eine Erwachsenenausgabe von Opie aus der Andy Griffith Show1. »Alisa Stewart?«

Ich hielt mich an dem Türgriff fest, wartete auf den Schlag, der gleich kommen würde. »Ja.«

»Ich bin Kriminalkommissar Bruce Thompson von der Polizei Santa Barbara.« Mehr sagte er nicht. Wollte er mir eine Gelegenheit geben, eine Bemerkung über das Wetter zu machen? Oder ihn nach dem Grund seines Besuches zu fragen?

Ich schwieg.

Was hätte ich ihm sagen sollen? Wir wussten doch beide, was jetzt kommen würde. Warum sollte ich das Schicksal auch noch mit einer Frage willkommen heißen? Und so starrte ich ihn an und wartete.

Er trat auf den anderen Fuß, ebenfalls abwartend. Dann schaute er auf den kleinen Notizblock, den er in seiner rechten Hand hielt. »Sie sind die Mutter von Kurt Stewart. Ist das richtig?«

»Ja.«

Er wartete wieder. Sein soldatenmäßiger Bürstenhaarschnitt schien strammzustehen, als ob selbst seine Haare gespannt auf meine Antwort waren. Was erwartete er? Ich hatte seine Frage beantwortet, das war doch wohl mehr als genug. Fand ich.

Schließlich fragte er: »Wissen Sie, wo wir ihn erreichen können?«

»Was?« Der Türrahmen neben mir schien zu schwanken. Ich packte ihn instinktiv mit meiner linken Hand. »Dann sind Sie nicht gekommen, um … Sie suchen ihn?«

Meine Antwort schien ihn geradeso perplex zu machen wie seine Frage mich. »Ja. Ist er hier?«

Ich drehte mich zur Seite, mit dem Rücken zum Türrahmen, und rutschte auf den Boden. Kommissar Thompson kniete sich neben mich. »Ist Ihnen nicht gut?«

»Danke … es geht schon. Ich hatte nur gedacht, Sie wollten mir sagen, dass er …« Ich legte den Kopf auf meine Knie und holte tief, tief Luft.

Mein Sohn lebte noch.

Mit bemerkenswertem Takt, ohne unbeholfene Versuche, den helfenden Ritter zu spielen, wartete Kommissar Thompson dort neben mir, bis ich mich gefasst hatte. Ich sah ihn schließlich an, zuckte die Achseln und sagte: »Ich dachte, Sie wollten mir sagen, dass Sie … dass Sie seine Leiche gefunden haben.« Seit wie vielen Jahren hatte ich Angst vor dieser Nachricht? Für die Mutter eines Drogensüchtigen gehörte diese Angst genauso, ja oft noch mehr zum Alltag wie der dünne Faden der Hoffnung.

Kriminalkommissar Thompson rieb sich über die Stirn. »Das tut mir wirklich leid. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich Ihnen als Erstes gesagt, dass nichts Schlimmes passiert ist.«

Was war das da drüben auf der anderen Straßenseite? Eine Frau, die mit ihrem Labrador an der Leine den Bürgersteig entlangging. Sie schaute zu uns herüber, und es brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was für ein Leckerbissen dies für die Klatschzungen in dem Viertel werden konnte. Ich rappelte mich hoch und machte eine müde Geste nach innen. »Möchten Sie reinkommen?«

Er nickte und folgte mir ins Haus. Ich wusste immer noch nicht, was er von mir wollte, aber das war egal. Mein Sohn lebte. »Darf ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten?«

Wir setzten uns an den Küchentisch. Der Gartenkatalog zeigte nach wie vor die Idylle mit dem Familienbaumhaus. Ich strich mit dem Finger über das Gesicht des kleineren Jungen, plötzlich dankbar, dass er dort war.

»Also, zurück zu meiner Frage. Ist Ihr Sohn Kurt hier oder wissen Sie, wo ich ihn erreichen kann?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn seit über einem Jahr nicht mehr gesehen.« Ich nahm einen Schluck von dem Wasser. Ich spürte, wie es kalt meine Kehle hinunterlief. »Wir haben eine kleine Tochter, und mein Mann meint …« Ich schaute zu dem hinteren Fenster hinaus. In der großen Eiche hinter dem Zaun saßen ein paar Krähen. Was für ein unkompliziertes Leben diese Vögel hatten. Ich beneidete sie. »Tja, irgendwann muss man als Vater oder Mutter konsequent werden. Liebe heißt nicht, immer nur Ja sagen, Sie wissen schon.« Ich sah ihn an. Was dachte so ein Kriminalbeamter über Liebe, die hart sein konnte? Hielt er sie für grausam und herzlos? Oder wie Rick für eine Notwendigkeit? Als Mutter war ich hin- und hergerissen zwischen dem, was mein Kopf mir sagte und was mein Herz dagegenhielt.

»Das verstehe ich.« Es war eine Feststellung, nicht mehr. Keine Zustimmung, keine Ablehnung. Er wusste, was ich meinte, Punkt. »Sie wissen also nicht, wo ich ihn erreichen kann?«

»Nein. Als ich das letzte Mal von ihm hörte, machte er Gelegenheitsarbeiten auf Baustellen in der Stadt, aber das ist schon lange her.« Ich merkte, wie an die Stelle der Angst, dass Kurt tot war, eine andere Angst trat, die unerbittlich lauter wurde. »Warum suchen Sie ihn?«

»Wir führen eine Routinebefragung durch.« Er blätterte in seinem Block.

Ich schob meine Hand über den Tisch und packte seine. Er schaute hoch, seine Augen weiteten sich überrascht.

»Kommissar Thompson, wissen Sie, was ich in den letzten Jahren durchgemacht habe? Der eine Sohn Knall auf Fall tot, der andere haltlos süchtig. Vor Kurzem hat mein Mann mich verlassen, und ich nehme jeden Tag meine letzten Kräfte zusammen, um das Leben zu schaffen und für meine Tochter da zu sein. Ich kann mir keine Ahnungslosigkeit im Leben erlauben; ich muss wissen, was los ist und wie ernst es ist.«

Er zog seine Hand zurück und musterte mein Gesicht. Ein vernehmungserfahrener Kriminalbeamter sah bestimmt mit einem Blick, wie verzweifelt ich war. Und dass ich die Wahrheit sagte. Nach einem Augenblick zuckte er die Achseln und sagte: »Letztes Wochenende ist in der Innenstadt ein Drogendealer ermordet worden. Jetzt führen wir Befragungen durch.«

»Und warum wollen Sie Kurt befragen?«

Wieder musterte er mein Gesicht, bevor er antwortete. »Wissen Sie, was eine Schuldnerliste ist?«

»Nein.«

»Das ist eine Liste, die Drogenhändler führen, auf der die Leute stehen, die ihnen Geld schulden. In dieser Branche schuldet einem immer irgendjemand Geld.«

»Kann schon sein, ja.« Ich hielt meinen Blick auf mein Wasserglas geheftet. Die Eiswürfel wurden langsam immer kleiner, geradeso wie ich. »Soll das also heißen, dass auf dieser – wie sagten Sie noch mal – Schuldnerliste von diesem Drogendealer Kurts Name steht?«

»So ist es.«

»Und damit ist er also verdächtig.« Es war keine Frage, sondern eine resignierte Feststellung. In den letzten paar Jahren war ich eine kleine Meisterin im Annehmen von unangenehmen Wahrheiten geworden. Es war eine meiner Stärken, wenn man das so nennen will.

»Der Name Ihres Sohnes war auf dieser Liste, neben mehr als einem Dutzend anderen Namen. Nein, wir verdächtigen ihn nicht, wir führen nur ein paar Routinebefragungen durch. Es könnte ja sein, dass Ihr Sohn uns weiterhelfen kann.«

Der Name meines Sohnes auf der Schuldnerliste eines Drogenhändlers. Klar, was sonst? So tief war er gesunken seit dem Tod seines Bruders. Aber dass er so tief sank, dass er – nein, unmöglich, ich kannte meinen Sohn. »Kommissar Thompson, mein Sohn ist vielleicht rauschgiftsüchtig, aber er ist kein Mörder.«

»Da haben Sie sicher recht. Es sind über ein Dutzend Namen auf der Liste, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass einer von ihnen den Mann getötet hat. Vielleicht war es jemand von der Konkurrenz, aus einer anderen Bande. Oder ein anderer Drogendealer oder … wer auch immer. Im Augenblick sind wir erst einmal dabei, die Stücke des Puzzles zusammenzusetzen.«

Erleichterung. Sie verdächtigten Kurt also nicht. Wie auch? »Also, es tut mir leid, wenn ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann.«

»Danke für das Wasser.« Er zog eine Karte aus seiner Jackentasche. »Könnten Sie mich bitte benachrichtigen, falls Ihr Sohn Sie in den nächsten Tagen anruft oder besucht?«

Würde ich das machen? Ich wusste es nicht, aber dafür wusste ich, dass mein Sohn mich weder anrufen noch besuchen würde. Dafür hatte sein Vater damals gesorgt. Ich würde mir nichts vergeben mit meiner Antwort. »Natürlich, gerne.« Ich nahm die Karte, ging zur Haustür und öffnete sie. »Äh … Kommissar Thompson, falls Sie ihn vor mir sehen, könnten Sie ihm dann bitte sagen …«

Er wartete auf das Ende meines Satzes. Ja, was sollte er Kurt ausrichten? Dass er dabei war, mir das Herz aus dem Leib zu reißen? Dass ich unbedingt wissen musste, dass es ihm gut ging? »Sagen Sie ihm, dass seine Mutter ihn liebt.«

Er nickte lächelnd. »Gerne.«

2

Es war keine schwere Entscheidung, niemand etwas von Kommissar Thompsons Besuch zu sagen. Rick würde erst in ein paar Tagen wieder kommen, um Caroline abzuholen, und ich sah keinen Grund, ihn vorher anzurufen und zu informieren. Außerdem wusste ich genau, wie er reagieren würde: mit einer fünfminütigen Schimpfkanonade, was für ein absoluter Nichtsnutz unser Sohn geworden war. Für Rick war der Grund für Kurts Probleme seit Jahr und Tag sonnenklar: Wir waren zu lasch mit ihm gewesen. »Wir haben ihn auf Rosen gebettet.« – »Er hat nie gelernt, Verantwortung zu übernehmen.« Und so weiter und so fort. Ich wusste schon nicht mehr, wie oft ich das gehört hatte. Und wie oft ich Rick daran erinnert hatte, dass Kurt doch ein exzellenter Schüler und Sportler gewesen war, dass er nebenher gearbeitet hatte, um seinen Gebrauchtwagen selbst bezahlen zu können, und hunderte Stunden gemeinnützige Arbeit geleistet hatte. Die Antwort war immer die gleiche: Wir waren als Eltern zu lasch gewesen.

Was war das für ein Mord, von dem der Kriminalbeamte gesprochen hatte? Ich suchte in der Altpapierkiste, bis ich den Zeitungsartikel fand:

Am frühen Sonntagmorgen entdeckten Passanten bei der De La Guerra Plaza die Leiche eines zu Tode geprügelten Mannes. Aufgrund der Schwere der Verletzungen war die Identifizierung schwierig, doch inzwischen ist klar, dass es sich bei dem Toten um Rudy Prince handelt.

Mr. Prince war als kleiner Drogendealer polizeibekannt gewesen, mit zahlreichen Verhaftungen und drei Verurteilungen wegen schwerer Körperverletzung. Die Polizei geht davon aus, dass die Mordwaffe Mr. Princes eigener Baseballschläger, Marke Louisville Slugger, war, in dessen Griff er angeblich für jedes Opfer, das er mit ihm verprügelt hatte, eine Kerbe ritzte. Der Baseballschläger ist zurzeit verschwunden. Personen, die Hinweise auf den Verbleib des Schlägers geben können, werden gebeten, die kostenlose Hotline der Polizei anzurufen.

Diesem Mann also schuldete mein Sohn Geld! Dem Mann, der einen Baseballschläger mit eingeritzter Strichliste bei sich getragen hatte. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. In was für eine Welt war mein Sohn da geraten? Was mochte er noch alles erleben? Wie hatte es so weit kommen können?

Die Tür flog auf. Es war Caroline, die von der Schule zurückkam. Ihre Wangen waren begeistert gerötet. »Hallo, Mama, bekommen wir einen Welpen? Holly Jeters Mutter hat ihren heute zur Schule mitgebracht, und er war sooo süß! Wir brauchen einen Welpen, unbedingt!«

Wie einfach das Leben mit zehn Jahren ist. Ein neuer Hund, und alle Probleme sind gelöst. Ich küsste Carolines rotblonden Schopf und lächelte. »Und was meinst du, wie Boots das finden würde?«

Sie schielte zu unserer schlafenden Katze hin, die an ihrem Stammplatz vor dem Heizkörper in der Ecke lag. Sie ging zu ihr und vergrub ihr Gesicht in ihrem Fell. »Du würdest das prima finden, nicht wahr, alter Junge? Du hättest gerne einen Hundebruder, nicht?«

Boots hob seinen Kopf und funkelte Caroline an, dann streckte er sich und zeigte seine Krallen.

»Siehst du, Mama, er hätte nichts dagegen. Und Papa ist ja nicht mehr da. Da brauchen wir jemand, der uns beschützt. Einen Schutzhund halt.«

»Hmm. Jetzt setz dich und iss erst einmal was.«

Sie holte sich eine Portion Eis aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Küchentisch. Ich warf die Zeitung zurück in die Altpapierkiste und musste zum x-ten Mal denken, dass Caroline wie eine jüngere, weibliche Version von Kurt aussah. Die beiden waren einander in so vielen Dingen ähnlich, dass man sie fast für Zwillinge halten konnte. Zwillinge, die elf Jahre auseinander waren.

Sie schob den ersten Löffel Eis in ihren Mund, dann den zweiten, ohne dazwischen etwas zu sagen. Das war höchst ungewöhnlich. Dann merkte ich, dass sie die ganze Zeit die Haustür anstarrte, als ob das dunkle Mahagoniholz oder die glänzende Messingklinke sie magisch anzog.

Ich hatte die Blumenerde von vorhin abgewischt. Oder doch nicht ganz? Ich versuchte, Carolines Blick zu folgen, konnte aber nichts Besonderes entdecken. »Warum schaust du so zu der Tür?«

»Ich warte auf Kurt.« Sie sagte das mit einer so nüchternen Miene, dass es mir das Herz brach.

»Auf Kurt? Warum?«

»Weil ich letzte Nacht geträumt habe, dass er zurückkam. Jenny hat gesagt, Träume werden manchmal wahr. Also warte ich halt.«

Der Mann, auf den sie da wartete, hatte bestimmt das gewinnende Lächeln und unbefangene Lachen, das einst so typisch für Kurt gewesen war. Sicher sah sie seine im Takt seiner Gitarrenmusik tanzenden rotblonden Locken vor ihren inneren Augen. Oder spürte das Kitzeln in ihren Rippen von der geschwisterlichen Rangelei. Für sie war er immer noch der liebe, fröhliche, gesunde Bruder von damals, nur dass er nicht mehr da war.

Ihre kindliche Unschuld schien die schlimmen Erinnerungen der letzten Jahre, bevor er verschwunden war, auszublenden. Ihr Traum hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können als heute, wo der Kriminalbeamte mich besucht hatte. Ich war froh, dass sie nicht da gewesen war, als er kam. Wenigstens das war ihr erspart geblieben.

»Sollen wir beide einmal einen Spaziergang machen? Vielleicht gehen wir zu Holly, und du zeigst mir ihren neuen Welpen.«

»Jippie! Ich wusste es doch!« Sie sprang auf und warf ihre Arme um meinen Hals. »Warte nur, bis du ihn siehst, dann willst du auch einen neuen Welpen, bestimmt!«

Mir graute vor den Welpen-Bettelwochen, die dieser Besuch mit sich bringen würde, aber Hauptsache, sie brachten Caroline auf andere Gedanken, weg von den Spekulationen, dass Kurt wiederkommen würde. Hollys Welpen konnte sie besuchen, streicheln, in den Arm nehmen – lauter Dinge, die bei Kurt nicht möglich waren.

Am Abend, als ich sie zu Bett brachte, drückte ich sie extra lange, so dass meine Augen nass wurden. Sie kniete sich zum Nachtgebet hin und begann ohne Umschweife: »Bitte, Gott, zeige uns den richtigen Welpen für unsere Familie. Hilf Mama, zu sehen, wie sehr wir einen brauchen.« Als sie zu ihrem üblichen »Und bitte segne Kurt« kam, musste ich nicht wie sonst immer denken, dass niemand Kurt mehr helfen konnte, auch nicht Gott, sondern fiel stumm in die Bitte ein. Ja, Gott, bitte, bitte …

Ich ging aus ihrem Zimmer und kniete mich vor mein eigenes Bett, um zu beten. »Vater im Himmel, hilf ihm. Vater, hilf ihm.« Was konnte ich mehr sagen, wenn es um Kurt ging?

3

Am nächsten Tag ging ich über die Straße zu Lacey Scatterfield, zu unserem üblichen Dienstagfrühstückstreff. Lacey war eine Witwe in den Sechzigern, die vor ungefähr fünf Jahren in unser verschlafenes kleines Viertel gezogen war und die Klatschzungen in Bewegung gebracht hatte. In unserer Straße wohnten lauter Leute zwischen vierzig und fünfzig, in Häusern, die, obwohl nicht extravagant, ziemlich teuer waren, weil sie in dem besten Schulbezirk lagen. Warum zahlte eine ältere alleinstehende Frau diesen Schul-Bonus? Und eine pensionierte Rechtsanwältin war sie auch – oder auch nicht pensioniert, sondern aus der Anwaltskammer ausgeschlossen, wie man sich zuraunte. Genau wusste das niemand, aber die meisten glaubten dem Gerücht. Ich war Laceys einzige Freundin in der Straße und stellte ihr keine Fragen. Es hilft einem, die Privatsphäre seiner Nachbarn zu achten, wenn man einen Sohn hat, der drogensüchtig ist.

Die Fassade ihres Hauses war von dem Vorbesitzer in modern-minimalistischem Weiß und Grau neu gestaltet worden, aber drinnen herrschte die viktorianische Ära, mit Spitze, Leinendecken und dunklen Hölzern. Lacey selbst war eine undefinierbare Mischung von allem und jedem. Sie trug tagaus, tagein Trainingsanzüge (anders kannte ich sie nicht) in grellen Neon-Schockfarben. Heute trug sie Zitronengelb, mit einem passenden paillettenbesetzten Stirnband, das ihr schulterlanges graues Haar bändigte. »Komm herein«, begrüßte sie mich. »Ich habe gerade die Brötchen aus dem Backofen geholt. Oder möchtest du lieber Biscotti?«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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