Eine Prise Glück - Dolores Mey - E-Book
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Eine Prise Glück E-Book

Dolores Mey

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Beschreibung

Zwei Herzen und ein Geheimnis – Das perfekte Rezept für ein Liebeschaos
Die humorvolle Feel-Good-Romance mit unerwartetem Twist

Enttäuscht von den Männern schwört Lena der Liebe ab, um sich stattdessen zusammen mit ihrer Patentante Ellen ganz auf die baldige Neueröffnung ihres Gasthauses zu konzentrieren. Als Lena aber bei einer Einkaufsreise nach Südtirol ausgerechnet den charmanten Max aus dem Straßengraben rettet, löst dieser prompt ihre Personalsorgen. Dabei verschweigt der talentierte Koch allerdings, dass er in größter Gefahr schwebt und auf der Flucht ist, weshalb er sein Glück kaum fassen kann bei Lena als einfache Küchenhilfe unterzutauchen. Als sich Max und Lena trotz ihrer Umstände und den Geheimissen zwischen ihnen ineinander verlieben, verschwindet er plötzlich über Nacht. Gibt es noch eine Chance für ihre Liebe?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Einmal Menü mit Kuss, bitte.

Erste Leser:innenstimmen
„Ein absoluter Wohlfühlroman, den ich regelrecht verschlungen habe.“
„Romantik, Humor und Spannung – für mich ein rundum gelungenes E-Book!“
„Der Schreibstil von Dolores Mey ist sehr lebendig und unterhaltsam. Nur zu empfehlen!“
„Besonders gut hat mir gefallen, dass neben der Liebesgeschichte auch spannende Elemente vorhanden waren."
„Lena und Max schließt man direkt ins Herz und fiebert mit ihnen mit. Ein wundervoller Liebesroman!“

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Seitenzahl: 692

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Über dieses E-Book

Enttäuscht von den Männern schwört Lena der Liebe ab, um sich stattdessen zusammen mit ihrer Patentante Ellen ganz auf die baldige Neueröffnung ihres Gasthauses zu konzentrieren. Als Lena aber bei einer Einkaufsreise nach Südtirol ausgerechnet den charmanten Max aus dem Straßengraben rettet, löst dieser prompt ihre Personalsorgen. Dabei verschweigt der talentierte Koch allerdings, dass er in größter Gefahr schwebt und auf der Flucht ist, weshalb er sein Glück kaum fassen kann bei Lena als einfache Küchenhilfe unterzutauchen. Als sich Max und Lena trotz ihrer Umstände und den Geheimissen zwischen ihnen ineinander verlieben, verschwindet er plötzlich über Nacht. Gibt es noch eine Chance für ihre Liebe?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Einmal Menü mit Kuss, bitte.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juli 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-751-9 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-748-9

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH

Dies ist eine Neuausgabe des bereits 2020 beim dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH, erschienenen Titels Einmal Menü mit Kuss, bitte (ISBN: 978-3-96087-974-9).

Copyright © 2015, Dolores Mey Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2015 bei Dolores Mey erschienenen Titels Fundsachen (ISBN: 978-3-98187-142-5).

Covergestaltung: Jasmin Kreilmann unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © upetrovic.hotmail.com, © belchonock, © Pixavril, © tiler84, © zatletic, © Tverdohlib.com, © marisha5, © Tridsanu shutterstock.com: © Beny1 Lektorat: Astrid Rahlfs

E-Book-Version 12.07.2023, 13:00:04.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Eine Prise Glück

1

Ende Juni stand die Sonne hoch im Südtiroler Land und die charakteristischen Berge und Täler der beliebten Reiseregion Trentino zeigten sich von ihrer schönsten Seite. Lediglich ein paar dünne Schleierwolken durchbrachen das strahlende Blau des Äthers.

Abgeschieden vom restlichen Ortskern des Städtchens Terlan, unweit von Bozen, schmiegte sich die im typisch alpenländischen Stil erbaute Villa Randoni in die reizvolle Lage, zu der zwischen Weinhängen und Apfelbaumplantagen ein schmaler Privatweg führte.

Unbeeindruckt von der traumhaften Natur seiner Heimat bereitete Alois Maximilian Hofer wie jeden Mittag das Menü für seinen Chef und dessen Familie zu. Dass er das an diesem Tag ein letztes Mal tun würde, konnte er in dem Moment, als er den Vorspeisensalat ins Esszimmer trug, noch nicht ahnen. Dabei arbeitete er gerade erst drei Monate in dem Privathaushalt des reichen Geschäftsmannes aus Udine, der sein Domizil in dem idyllischen Weinanbaugebiet an der Etsch unterhielt. Alois, der sich inzwischen zu einem hervorragenden Koch hochgearbeitet hatte, verkaufte sein berufliches Können damit weit unter seinem Niveau. Üblicherweise stellte er seine Kochkünste in Fünf-Sterne-Lokalen oder auf Kreuzfahrtschiffen der Luxusklasse unter Beweis, doch die Krankheit seiner Mutter zwang ihn dazu, einen Zwischenstopp in seiner Heimat einzulegen. Er wollte – so lange, bis sie wieder gesund war – vor Ort sein, gleichzeitig aber weiter Geld verdienen, denn noch hatte er sein Ziel, Chef im eigenen Restaurant zu sein, nicht erreicht. Dafür sparte er jeden Cent.

Durch eine Kleinanzeige in der hiesigen Tageszeitung war Alois auf die Stelle im Privathaushalt Randoni gestoßen. Er könne sofort anfangen, hatte es geheißen und dass er nur für kurze Zeit bleiben wolle, stelle dabei kein Hindernis dar. Dankbar für diese Lösung hatte er die Stellung angenommen.

Die Möglichkeit, bei seinem älteren Bruder Sepp und dessen Frau Rosel in deren Almgaststätte auszuhelfen, hatte er erst gar nicht in Erwägung gezogen. Rosel kochte noch genauso wie vor fünfzig Jahren. Nicht nur, dass sie für Neuerungen keinen Sinn hatte, auch mochte sie es nicht, wenn man ihr Anregungen gab. Mit so viel Ignoranz kam Alois nicht klar.

Er betrat das Esszimmer seines Arbeitgebers. Hier, wie im ganzen Haus, bestand die Einrichtung aus hochwertigen Antiquitäten, edlen Lampen und kostbaren Teppichen. Jeder Quadratzentimeter strahlte Reichtum aus.

Antonio Randoni, seine Frau Lucia sowie die zwanzigjährige Tochter Pamela saßen gemeinsam um den eingedeckten Tisch. Alois servierte dem Hausherrn routinemäßig zuletzt den Vorspeisensalat. Außerdem befand sich Pepe, die rechte Hand Randonis, noch im Raum. Der stets wie aus dem Ei gepellte Süditaliener stand neben einer Anrichte, auf der Gläser und Getränke bereitstanden, und rührte sich nicht vom Fleck. Alois wunderte sich nicht, dass Pamela ihn mit herausfordernden Blicken durchbohrte. Er wusste, dass sie ihn reizen wollte – nicht das erste Mal – doch an diesem Tag trug sie eine besonders großzügig ausgeschnittene Bluse. Für einen Moment irritierte ihn das, weshalb er beim Abstellen des Tellers – ausgerechnet vor seinem Chef – unglücklicherweise das gut gefüllte Rotweinglas streifte. Antonio griff geistesgegenwärtig zu und verhinderte damit, dass sich der Wein über das weiße Damasttischtuch ergoss. Doch dafür schwamm nun der Salat darin.

„Entschuldigen Sie bitte!“

„Madonna mio! Passen Sie doch auf!“

„Ich bereite Ihnen sofort einen neuen zu“, beeilte sich Alois zu sagen.

Randoni hasste es, wenn nicht alle gleichzeitig ihr Essen bekamen.

Ohne ein Wort zu sagen, verschwand Alois durch die Schwingtür in die Küche – dicht gefolgt von Pepe. Derartige Hektik brachte ihn nicht aus dem Konzept. In einer Großküche gehörte das zur Tagesordnung, weshalb er Randonis Gezeter gelassen nahm. Für ihn nicht der Rede wert, obwohl seine Schwester Maria darüber ganz anders dachte. Sie wurde nicht müde, ihn vor Familie Randoni zu warnen. Konkrete Gründe konnte sie allerdings nicht nennen. Nur, dass die Leute im Ort mit vorgehaltener Hand tuschelten. Alois hatte das mit einem Achselzucken abgetan. Er hatte nicht vor, hier Wurzeln zu schlagen. Lediglich die Zeit zu überbrücken, bis es seiner Mutter wieder besserging.

Wenn er das Bedienstetenzimmer in der Villa nicht nutzte, wohnte er bei Maria. Sie war das Älteste von fünf Kindern und bewohnte mit ihrem Mann und den beiden Töchtern das ehemalige Elternhaus, in dem auch ihre Mutter noch ihren Wohnsitz in Anspruch nahm.

Verwundert über die eigene Tollpatschigkeit schüttelte Alois den Kopf, denn er konnte sich nicht erinnern, wann ihm je so ein Ungeschick passiert wäre. Selbst während der Ausbildung nicht. Man kannte ihn für seine besonnene Arbeitsweise und die stoische Ruhe, die er ausstrahlte, wenn er sich auf seine Aufgaben besann. Und er war konzentriert gewesen. Pamela interessierte ihn nicht, weshalb sie ihn auch nicht aus dem Konzept bringen konnte. Genervt darüber, dass Randonis Assistent wie ein Schatten an seinen Fersen hing, schob Alois den Teller mit der missglückten Vorspeise achtlos auf den vorderen Rand der mit Küchengeräten überfüllten Arbeitsplatte. Zu spät bemerkte er, dass er anstatt des festen Untergrunds, den Stiel eines Kochlöffels getroffen hatte, weshalb der Teller kippte, sich der Wein über den Rand ergoss und am Schrank herunterlief.

Alois fuhr selten aus der Haut, aber jetzt stand er kurz davor. Wütend über sich selbst holte er einen neuen Teller aus dem Schrank und versuchte, Pepe, der ihm viel zu dicht auf die Pelle gerückt war, zu ignorieren.

„Wenn du was brauchst, musst du dich gedulden“, fühlte er sich genötigt zu sagen und bereitete eilig einen zweiten Salat für den Chef zu. So bemerkte er auch erst kurz darauf, wie Pepe den im Wein schwimmenden Salat begutachtete, als müsste er ein Referat über die Zutaten halten.

Vielleicht sollte man ihm die Lupe reichen? Verärgert presste Alois die Lippen zusammen. Sein Bauchgefühl riet ihm jedoch, besser nicht zu sagen, was er dachte.

„Gib her!“ Pepe riss ihm den fertigen Salat regelrecht aus der Hand. „Es ist besser, ich bringe Signor Randoni den Salat, bevor noch mal etwas schiefgeht.“

Na, jetzt drehte der aber völlig durch!

Doch Alois ließ sich abermals nicht anmerken, was er dachte, sondern zuckte lediglich gleichmütig mit den Schultern. Er wusste nicht viel über den aalglatten, undurchsichtigen Pepe, auch nicht, ob das sein richtiger Name war, doch er hatte schnell durchschaut, dass es die rechte Hand des Chefs liebte, sich dramatisch in Szene zu setzen. Wichtigtuer! Außerdem trat er nach unten und buckelte nach oben. Genau deshalb verachtete Alois ihn.

Schluss jetzt! Er wollte sich nicht länger mit Pepe beschäftigen. Schnell den Wein vom Boden wischen und dann …

Alois erstarrte in der Bewegung, als er registrierte, was da im Wein auf dem Boden schwamm.

Körner! Wo kamen die denn her?

Der Fußboden – bis eben hätte man noch davon essen können – zeigte auch jetzt noch keine Veränderung. Er hob nacheinander seine Füße und nahm seine Schuhsohlen in Augenschein. Nichts! Ihm ging ein Licht auf. Deswegen hatte der Wichtigtuer also das Gesicht so verzogen.

Mit zwei Schritten war Alois mit dem Teller bei der Spüle. So gut es ging, schüttete er den restlichen Rotwein in den Ausguss und inspizierte den Salat genauer. Neben Rucola, Gurkenscheiben und Tomatenspalten lagen noch Oliven und rote Zwiebelstückchen auf dem Teller. So weit – so bekannt. Doch wo kamen die winzigen Klümpchen her? Bei genauerer Betrachtung entpuppten sie sich als seltsam aussehende Samenkörner, die aussahen wie kleine Käfer. Einfach nur eklig. Alois runzelte die Stirn. Wie kam das in seine, mit Liebe zubereitete Salatvorspeise? Ein leises, blubberndes Geräusch holte ihn aus seiner Grübelei und ließ ihn aufschrecken.

Die Suppe.

Himmel Herrgott! Was für ein Tag.

Schnell entsorgte er den verdorbenen Salat und ging zum Herd, um die Zucchinicremesuppe mit einem Schuss Sahne und frischen Kräutern abzuschmecken.

Während er seine Hände an der Kochschürze abwischte, warf er noch einen Blick in den Backofen und atmete hörbar aus. Wenigstens war der Auflauf zur Hauptspeise nicht in Gefahr. Er richtete ein Tablett mit drei vorgewärmten Suppentassen an und sah auf die Uhr. Er hatte noch einen Moment, bis er den nächsten Gang servieren musste. Auch dafür gab es ein klares Ritual. Erst wenn der Herr des Hauses mit einem kleinen Glöckchen läutete, durfte der Tisch abgeräumt werden.

Die Küchentür klappte leise. Als Alois sich umdrehte und in Pepes wachsame Augen blickte, runzelte er die Stirn. Was wollte der denn jetzt schon wieder? Es kam äußerst selten vor, dass sich Signor Etepetete in die Küche verirrte, einen Bereich, wo man Gefahr lief, schmutzige Kleidung zu bekommen. Und dann gleich zweimal hintereinander.

„Hast du was vergessen?“

„Nein.“ Pepe schüttelte den Kopf und ging ohne ein weiteres Wort wieder hinaus.

Der Garten der Villa lag an einem nach Süden ausgerichteten Hang, von wo aus man einen weiten Blick über das Etschtal hatte. Am Nachmittag sammelte Alois im mit Obstbäumen und Sträuchern dichtbewachsenen Nutzgarten der Villa Rosmarin, Kerbel, Zitronenmelisse und Borretsch. Kräuter, die er brauchte, um sein beliebtes Salatöl neu anzusetzen. Er war bereits auf dem Rückweg zur Küche, als er unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs zwischen Pepe und seinem Cousin Franco wurde. Zuerst hörte er nur ein Murmeln. Die beiden Männer kamen von dem hauseigenen Gärtner Franz Leitner, einem versierten Botaniker der Region, der in einem einzeln stehenden Haus am Rande des Grundstücks wohnte. Auch er gehörte zum erweiterten Mitarbeiterstab Randonis. Es war also nichts Besondereres, dass Pepe und Franco Leitner einen Besuch abstatteten. Eigentlich hatte Franco, ein bärbeißiger verschlossener Mann, nur wenig mit seinem Cousin Pepe gemein. Man wurde aus ihm nicht schlau. Einerseits wirkte er einfältig und andererseits verschlagen.

Als die beiden Männer näherkamen und der Name Loui fiel – so wurde er von vielen gerufen – horchte Alois auf und duckte sich hinter die üppigen Ziersträucher. „Und? Was hab ich dir gesagt? Verstehst du jetzt, warum ich dich dabeihaben wollte?“, hörte Alois Pepe sagen.

„Tja, schon klar“, nickte Franco. „Hm, so viel Raffinesse hätte ich unserem kleinen Loui gar nicht zugetraut. Rizin? Vorher noch nie was von gehört. Und das Zeug ist wirklich so giftig?“

Alois lugte zwischen den Blättern hindurch. Wovon redeten die eigentlich? Er beobachtete, wie Pepe heftig mit dem Kopf nickte und erklärte:

„Innerhalb weniger Stunden bist du hin und keiner kann dir mehr helfen. Täusch dich nicht in unserem Kleinen. Überleg mal, wo der schon alles in der Welt rumgekommen ist. Da hast du noch nicht hingespuckt.“

Franco strich sich fahrig mit der Hand über die hohe Stirn.

„Wir müssen was unternehmen“, raunte Pepe und redete weiter auf seinen Cousin ein, „bevor er Lunte riecht und abhaut.“

„Aber warum hat er dem Alten dann den Wein drübergekippt?“ Franco war noch nicht überzeugt.

„Weil er noch frisch im Geschäft ist. Du hättest sehen müssen, wie nervös der war. Das war sein erstes großes Ding.“

„Aber für wen arbeitet er? Soweit ich weiß, hat der Boss sich die gesamte Konkurrenz vom Hals geschafft.“

Den Atem anhaltend bewegte Alois seine verkrampften Gliedmaßen, die in der unnatürlich gebückten Haltung zu schmerzen begannen, und blinzelte durch das Laub. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Männer hielten sich jetzt genau vor dem Busch auf, unter dem er sich inzwischen hingehockt hatte. Das, was er hörte, machte überhaupt keinen Sinn. Wieso sollte er abhauen? Und von welcher Konkurrenz redeten die beiden? Als er die Stelle vor drei Monaten angenommen hatte, hatte es außer ihm keine weiteren Bewerber gegeben. So zumindest die Aussage von Lucia Randoni, die ihn eingestellt hatte. Nein, das konnte es also nicht sein, worüber die beiden sprachen. Unmöglich.

Franco sah Pepe jetzt mit einem fiesen Ausdruck in den Augen an. „Da gibt’s nur eine Lösung. Ich …“, er machte eine bedeutungsvolle Pause und tippte sich energisch auf die Brust, um das Gesagte zu unterstreichen, „… ich bin verantwortlich, dass unserem Boss nichts passiert. Noch mal mache ich nicht denselben Fehler. Damals bei der Sache mit den Rumänen habe ich zu lange gewartet. Und …“, er verzog seine vernarbte Visage zu einer erbarmungswürdigen Miene und holte tief Luft, „… wenn Randoni nicht so großzügig gewesen wäre … dann würde ich heute nicht mehr hier stehen.“

Pepes Gesichtsausdruck, mit dem er in den Himmel sah, stand Francos in nichts nach. „Gut, aber da konnte doch auch gar nichts passieren, nachdem Gregori sich eingeschaltet hatte. Deswegen wundert’s mich auch nicht, dass du mit einem blauen Auge davongekommen bist. Trotzdem, wir müssen auf jeden Fall zuerst mit dem Boss reden. Ich mache auch nichts ohne sein Okay! Er will wissen, wer für ihn arbeitet.“

„Aber dann …“, knurrte Franco und fuhr sich mit der flachgestreckten Hand schnell am Hals entlang, um zu demonstrieren, was dann geschehen würde.

Alois erstarrte. Meinten die ihn? Wieso sollten sie ihn umbringen wollen? Und wenn an Marias Unkenrufen nun doch etwas dran war? Randoni sei ein Mafioso, hatte sie gemeint. Und die Mafia war bekannt für diskrete Lösungen. Außer seiner Familie würde ihn niemand vermissen, dafür war er in den letzten Jahren zu oft fernab seiner Heimat gewesen.

Die Stimmen der beiden wurden leiser, denn sie entfernten sich in Richtung Villa. Zwar begriff Alois nicht im Geringsten, worum es in dem Gespräch tatsächlich gegangen war, doch das, was er deutlich verstand, war, dass sie ihm, nach dem Leben trachteten. Aber wieso?

Alois hielt die Luft an. Der Salat!

Er ließ den Atem langsam wieder ausströmen. Es musste etwas mit den seltsamen Körnern darin zu tun haben. Was hatte Pepe eben gesagt? Alois hatte nur das Wort Rizin aufgeschnappt und dass dieses Zeug, das wie kleine Käfer aussah, hochgiftig sei.

Seine Gedanken rasten und überschlugen sich.

Der Anschlag hatte Randoni gegolten! Ganz klar. Er war in der Reihenfolge bei Tisch dran gewesen. So wie der Ablauf Tag für Tag, immer und immer wieder war. Kein Geheimnis. Das wussten viele.

Aber wie konnte das Rizin in den Salat gekommen sein, wenn er es nicht hineingetan hatte? Und wo hatte man es untergemischt? In der Küche? Unmöglich. Er war doch die ganze Zeit dagewesen.

Viel wichtiger schien doch die Frage: Wer hatte ein Interesse daran, dass Randoni starb und warum?

Alois lugte zwischen den Sträuchern hindurch. Die beiden Männer waren fort. In seinem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit, während er noch immer wie erstarrt unter dem Strauch hockte. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Er wusste, wenn ihm sein Leben lieb war, konnte er keine Sekunde länger in der Villa bleiben. Zwar rebellierte sein Verstand gegen diese vorschnelle Reaktion, doch seine Intuition drängte ihn zum Handeln.

Er ließ die gesammelten Kräuter fallen, sah sich um und lief unauffällig zum Personaltrakt, wo sein Bedienstetenzimmer im Souterrain des Gebäudes lag. In Windeseile zog er sich um und warf seine wenigen Sachen in die Reisetasche. Obendrauf verstaute er den wertvollen Messerkoffer, den er nirgends zurückließ.

Um nicht aufzufallen, verließ er im Schlendergang das imposante Anwesen, ohne sich noch mal umzusehen. Tausend Dinge gingen ihm dabei durch den Kopf, wobei ihm zuerst sein Mobiltelefon einfiel. Jetzt musste es auch ohne gehen. Schnellentschlossen zertrat er das Gerät, für das er nur eine Prepaidkarte benutzte, und entsorgte es im Müll. Bevor er das Grundstück verließ, sah er sich noch einmal um, doch weder in der Zufahrt noch im Vorgarten war eine Menschenseele zu sehen.

Glück gehabt.

2

„So, jetzt will ich aber wirklich los, sonst muss ich mir am Ende noch ein Zimmer für die Nacht bei Ihnen mieten.“ Lena lächelte und erhob sich.

Uiuiui, trotz des guten Essens waren ihr die zwei Obstbrände zu Kopf gestiegen. Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte ihren Kreislauf zu stabilisieren, dem das lange Sitzen samt leckerem Essen und Alkohol offensichtlich nicht so gut bekam. Aber wahrscheinlicher schien, dass ihr Körper streikte, weil sie sich in letzter Zeit wenig Ruhe gönnte. Sie griff nach ihrer Tasche. Franz Pichler richtete sich ebenfalls auf, schob den Stuhl zurück und reichte ihr die Hand.

„Für mich kein Problem, Frau Maschke, nur wenn Sie morgen früh abfahren wollen, ist es besser, Sie kommen zeitig zur Ruhe.“

„Ja“, Lena ließ seine Hand los und lächelte den freundlichen Biobauern an, „ich war ja nicht das letzte Mal da. Hierher zu kommen – wenn auch nur wegen der Einkäufe – ist wie Kurzurlaub für mich. Fühlen sich die Einheimischen nicht immer wie in den Ferien?“

Franz Pichler zeigte sich erfreut über das Lob für seine Heimat.

„Ja, ein bisschen wahrscheinlich schon, aber wie das halt überall so ist: Auch das Schöne wird irgendwann selbstverständlich. Und Sorgen und Nöte haben die Menschen auf der ganzen Welt.“

Lena nickte und wandte sich zur Tür. Sie ließ ihren Blick durch den gemütlichen Hofladen wandern, der aufgrund der geschickten Einrichtung und Gestaltung längst nicht so groß wirkte, wie er tatsächlich war. Ein Grund dafür waren die vielen Produkte, die in Körben, Holzkisten und auf Tischen im Raum standen und so die Fläche in einzelne Bereiche teilten, in denen Biofleisch, Käse, Obst, Kartoffeln und Nudeln verkauft wurden. Wenn sie nicht schon Kunde gewesen wäre, wäre sie’s gern geworden, so ansprechend präsentierte Familie Pichler ihre Waren. Ein Sinnbild fürs Schlaraffenland hätte nicht besser aussehen können. Selbstgebrannte Schnäpse, Weine und Liköre aus der Region rundeten das Sortiment ab.

Lena ging über den gepflasterten Hof nach draußen zu ihrem roten Kleinbus. In geschwungener gelber Schrift prangte quer über den fensterlosen Seitenflächen „Im Brunnenhof“. Dagegen konnte man durch die Heckscheibe auf die mit Kartons und Päckchen vollbepackte Ladefläche sehen, in denen die Delikatessen vom Pichlerhof standen.

„Gute Fahrt morgen“, rief ihr der Biobauer nach, als sie mit offenem Fenster und einem Winken davonfuhr.

Langsam rollte sie die wenig befahrene Bergstraße hinunter. Eine höhere Geschwindigkeit wäre bei dem Panorama eine Sünde, fand Lena, denn die warmen Strahlen der Abendsonne tauchten die beeindruckende Aussicht der Südtiroler Berglandschaft in ein romantisches Licht. Sie konnte sich einfach nicht daran sattsehen. Gern wäre sie länger geblieben, doch das war angesichts des straffen Zeitplans für die nächsten zwei Wochen unmöglich. Der Gedanke an all die Dinge, die bis zur Neueröffnung ihres kleinen Restaurants und des dazugehörigen Feinkostladens noch erledigt werden mussten, ließen keine Muße zu. Doch wirklich Sorgen machte ihr das nicht. Bisher war es ihr noch immer gelungen, gesetzte Ziele zu erreichen. Zumindest, was die beruflichen Belange in ihrem Leben betraf, konnte sie das behaupten. Mit Ellen Jäger und Uschi Stölzer hatte sie außerdem Personal im Rücken, auf das sie sich absolut verlassen konnte. Lena musste grinsen. Die drei Weiber vom Brunnenhof. So schnell brachte die nichts aus dem Konzept.

Lenas Küchenchefin Ellen, Ende vierzig und ein Gourmet vor dem Herrn, konnte sich getrost eine begnadete Köchin nennen. Am Herd und in der Speisekammer des Brunnenhofes hielt sie jetzt das Zepter in der Hand. Lena kümmerte sich dagegen um das Sortiment des Ladens und um den Servicebereich des Restaurants. Ellen war eigentlich gelernte Buchhalterin, doch diesen Beruf übte sie schon viele Jahre nicht mehr aus. Lena hatte das Hotelfach von der Pike auf gelernt. Zuerst im heimischen Betrieb bei der Mutter und dann durch eine solide Ausbildung in einem angesehenen Hotel in München.

Lena schluckte und ihre Augen wurden feucht. Wie immer, wenn sie an ihre Mutter dachte, übermannte sie die Trauer. Obwohl der plötzliche Unfalltod ihrer Mutter nun schon dreizehn Monate zurücklag, überfielen sie Wehmut und Jammer wie aus dem Nichts. Es verging kein einziger Tag, an dem sie ihre Mutter nicht vermisste. Der Anblick der atemberaubend schönen Berge im Abendlicht verdeutlichte den Verlust nur noch mehr. Heike hatte Südtirol geliebt. So sehr, dass sie jedes Jahr ein paar Tage Urlaub hier verbracht hatte. Von diesen Kontakten profitierte Lena nun.

Nach dem Tod der Großeltern vor vier Jahren hatten Mutter und Tochter begonnen, Pläne für die Umgestaltung des geerbten Gastbetriebes zu schmieden. Aus dem alteingesessenen Gasthof mit landwirtschaftlichen Gebäuden sollte ein Gourmetrestaurant mit Feinkostladen werden. Mitten in der Umsetzungsphase war dann der Unfall passiert und von einem auf den anderen Tag stand Lenas Leben – sie war zu dem Zeitpunkt fünfundzwanzig Jahre alt – auf dem Kopf. Ihr Vater, der damals bereits die meiste Zeit des Jahres auf Mallorca lebte, konnte ihr nur wenig behilflich sein. Seine gastronomischen Kenntnisse hielten sich eher in Grenzen, obwohl er in seinem Metier – einem Online-Werkzeughandel – ein erfolgreicher Geschäftsmann war.

So in Gedanken versunken bemerkte Lena den im Graben liegenden Mann erst, als sie fast an ihm vorbeigefahren war. Auf der abschüssigen Straßenseite, die nach Süden gerichtet war, standen Bäume und Büsche in unterschiedlichen Höhen und verbargen eine dahinter liegende Obstplantage. Auf der anderen Seite ragte ein Abhang, nur durch eine breite Furche mit Grünstreifen von der Fahrbahn getrennt, als sie den Mann anhand seines weißen T-Shirts im Gebüsch bemerkte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kauerte er zusammengesunken neben einer Reisetasche und hielt sich den Arm.

Im Bruchteil einer Sekunde entschied Lena zu helfen. Ruckartig trat sie aufs Bremspedal, lenkte den Wagen auf den Grünstreifen und brachte ihn zum Stehen. Vor lauter Aufregung vergaß sie, die Kupplung zu treten, um den Gang herauszunehmen, sodass der Kleinbus mit einem ächzenden Geräusch ausging.

Das Erste, was ihr an dem Mann auffiel, waren seine braunen, vor Überraschung weit aufgerissenen Augen. Er war jung, schätzungsweise genauso alt wie sie, und wirkte irgendwie verstört. Das schulterlange, fast schwarze Haar trug er zu einem dicken Zopf gebunden, aus dem sich einige Strähnen gelöst hatten. Ein gepflegter dichter Vollbart verdeckte die untere Hälfte seines schmalen Gesichts und ließ ihn wie einen Rocker aussehen. Automatisch ging ihr Blick zu seinen kräftigen Armen, die unbedeckt unter dem Halbarmshirt hervorlugten. Doch eine Tätowierung fand sie nicht. Lena hatte im Lauf ihrer Berufsjahre einen Blick für Menschen entwickelt. Eine Art Scanner-System, mit dem sie ihr Gegenüber zuordnete. In der Gastronomie und besonders als Frau in dieser Branche, war das kein Zeitvertreib, sondern eher ein notwendiges Muss. Auch jetzt registrierte sie in kürzester Zeit, wen sie vor sich hatte. Sein von Natur aus dunkler Teint wirkte blass und ließ darauf schließen, dass er die meiste Zeit in Räumen verbrachte. Das passte auch zu seinen Händen, die nicht so aussahen, als seien sie grobe Arbeit gewohnt. Ihr Blick blieb an einer Kratzwunde an der Stirn hängen, aus der Blut tropfte. Er presste ein Taschentuch auf seinen linken Ellenbogen und versuchte, damit eine große Schürfwunde notdürftig abzutupfen. Die Jeans zeigte einen langen Riss und war genau wie das T-Shirt mit Erd- und Grasflecken übersät. Überall, in den Haaren und auf der Kleidung, hingen die Reste von Moos, Blättern und kleinen Ästen. Seine Füße steckten in Turnschuhen, weshalb er kaum von einer Wanderung kommen konnte.

„Kann ich Ihnen helfen?“, rief Lena besorgt. „Soll ich Sie ins Krankenhaus fahren?“

Noch im selben Moment wusste sie, dass das nicht möglich war. Sie konnte sich glücklich schätzen, wenn sie unbehelligt zurück in ihre Ferienwohnung kam. Bei der Verkostung waren es nicht nur die zwei Obstbrände gewesen. Dazu hatte sie noch mindestens vier verschiedene Weine probiert. Zwar nur immer einen Schluck, aber immerhin. Lena hatte es einfach nicht fertiggebracht, die guten Tropfen wieder auszuspucken. Wie hätte sie auch ahnen können, in welche Situation sie an diesem Tag noch kommen würde?

„Nein“, hörte sie ihn zu ihrer Erleichterung mit angenehm tiefer Stimme sagen, „das ist nicht nötig. Es ist nichts Schlimmes. Ich bin nur am Hang abgerutscht. Wenn Sie mich nur mit in den Ort nehmen würden.“ Er bemühte sich, hochdeutsch zu sprechen, doch der Einschlag des hiesigen Dialekts ließ sich nicht leugnen.

„Natürlich. Aber vorher verarzte ich Ihre Wunden.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, lief sie rasch zum Wagen. „Ich habe alles, was wir brauchen, im Verbandskasten.“

Der Fremde betrachtete skeptisch seine offene Schramme.

„Danke, das ist nett. Aber es sieht schlimmer aus, als es ist.“ Er verzog den Mund zu einem Lächeln. „Es muss nur aufhören zu bluten“.

Wow, dachte Lena und ihr Herz machte einen Hüpfer. Was ein Lächeln doch ausmachen konnte. Weiße, gerade Zähne, die zwischen vollen Lippen aufblitzten, ließen seine Attraktivität pfeilartig in die Höhe schießen.

„Trotzdem. Das muss sein.“

Sie strich ihm vorsichtig die losen Strähnen aus der Stirn, was er reglos über sich ergehen ließ, und kam ihm dabei zwangsläufig so nahe, dass sie den Duft von herber Seife riechen konnte. Er roch angenehm. Verführerisch angenehm sogar. In Lenas Kopf blinkte eine Warnleuchte auf. Nein, stopp! Falscher Zeitpunkt und falscher Gedanke. Sofort konzentrierte sie sich wieder auf seine Wunden.

„Fertig.“

„Danke“, murmelte er und wirkte etwas verlegen.

Beide wichen dem Blick des anderen aus. Lena räusperte sich und trug das Verbandszeug zum Auto, während er nach seiner Reisetasche griff, die neben ihm im Graben lag, und sich geschmeidig zu voller Größe aufrichtete. Lena schluckte. Meine Herren, was für ein beeindruckendes Mannsbild. Drahtig, mit schmalen Hüften und breiten Schultern, wirkte er wie aus einer Werbung für … ihr fiel nichts Konkretes ein. Auf jeden Fall irgendetwas, was Männern Spaß machte: Bäume fällen, Bagger fahren, irgend so was eben. Sie musste den Kopf leicht anheben, um ihm in die braunen Augen sehen zu können. Dabei war sie mit ihren 1,70 auch nicht gerade klein. Ein knackendes Geräusch um Unterholz, ließ ihn zusammenschrecken. Dabei war es nur ein Vogel, der mit dem Schnabel im Unterholz scharrte.

„Steigen Sie ein.“ Sie deutete auf die Beifahrertür und ging um den Kleinbus herum, um sich hinters Steuer zu setzen. Seine Hände zitterten, als er sich neben ihr auf den Beifahrersitz setzte. Bestimmt stand er noch unter Schock, weil er den Hang runtergepurzelt war, vermutete Lena.

Vor der Ferienwohnung am Stadtrand von Bozen angekommen parkte sie den Wagen und sah ihn besorgt an. Während der Fahrt hatte er keinen Ton gesagt.

„Sind Sie sicher, dass ich nicht doch noch etwas für Sie tun kann?“

Wie versteinert schüttelte er nur den Kopf. „Nein. Danke. Ich komme schon klar.“

Er stieg aus und umschlang unschlüssig das Gepäck, bevor er Lena noch einmal ansah.

„Soll ich helfen, die Sachen ins Haus zu tragen?“

Jetzt schüttelte Lena den Kopf.

„Nein. Ich fahre morgen früh sowieso zurück nach Deutschland. Es wäre also sinnlos. “

Das einzeln stehende kleine Haus im bäuerlichen Stil, in dem Lena sich eingemietet hatte, besaß einen Garten und eine Terrasse, welche man mitbenutzen konnte. Es lag inmitten einer Ansiedlung von Häusern, die alle gleich aussahen. Die meisten davon wurden als Ferienhäuser genutzt. Natürlich war es für sie allein viel zu groß. Doch so lange sie denken konnte, war dieses Häuschen ihr Domizil in Südtirol gewesen und so sollte es auch bleiben.

Während sie zur Eingangstür ging, sah sie sich noch einmal besorgt nach dem Fremden um. Doch er hatte ihr bereits den Rücken zugekehrt.

Mehr als ihm Hilfe anbieten, konnte sie nicht. Und wenn er das nicht wollte … dann eben nicht. Sie dachte an die Aufgaben, die vor ihr lagen, und beschloss, sich nicht weiter um ihn zu kümmern.

Unterdessen lief Alois orientierungslos durch die schmalen Straßen der Ferienhaussiedlung. Sein Kopf schmerzte, die Haut am Oberarm brannte und sein Hintern fühlte sich an, als wäre er ohne Schlitten den Berg hinuntergerodelt. Aber am schlimmsten fand er das Chaos, das in seinem Kopf herrschte. Immer wieder liefen die letzten Stunden vor seinem inneren Auge ab. Und mit jeder Minute, die er länger darüber nachdachte, wurde ihm die Situation unverständlicher. Was war an diesem Mittag anders gewesen als sonst? Der Weinhändler hatte während der Mittagszeit eine Nachlieferung gebracht. Das machte er sonst nie, weil er genau wusste, dass Randoni Störungen zu den Mahlzeiten nicht wünschte.

Ansonsten war alles so wie immer gewesen. Alois hatte das Essen in derselben Ordnung wie immer serviert. Außer ihm hatte sich nur noch Pepe im Raum befunden. Auch nichts Ungewöhnliches. Pepe leistete der Familie oft Gesellschaft und aß dann auch meistens mit. Doch heute hatte er mit der Begründung abgelehnt, unter einer Magenverstimmung zu leiden, als Lucia ihn zu Tisch gebeten hatte. Der Salat war so für einen Moment unbeaufsichtigt geblieben, weil Alois die Weinlieferung entgegengenommen und den Lieferschein hatte quittieren müssen. Nicht einmal fünf Minuten konnte das gedauert haben. Randoni hasste es, zu warten.

Woher verdammt, war also das verfluchte Rizin gekommen? Harmlos konnte das Zeug nicht sein. Sonst wären Pepe und Franco nicht beim Gärtner gewesen. Giftig sei es, hatte Pepe Franco im Garten erklärt oder Franco Pepe. Aber das war ja jetzt auch egal. Auf jeden Fall lebensbedrohlich giftig. Wieder musste er an das denken, was ihm seine Schwester Maria erzählt hatte. Ob Randoni tatsächlich zur Mafia gehörte? Alois liebte Krimis und hatte schon einige gelesen, in denen es um die Mafia-Szene ging. Auch ohne dieses Halbwissen wusste er, dass er sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen musste. Aber wohin? Und wie sollte er irgendetwas zur Klärung herausfinden, wenn er sich nirgends mehr blicken lassen durfte? Zu seiner Schwester konnte er nicht zurück. Bei ihr würde man ihn zuerst suchen.

Er blieb stehen. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Die Tatsache, dass er keine Unterkunft hatte, drang ihm ins Bewusstsein. Aber wo sollte er bleiben? Wenigstens ein bisschen Schutz, war alles, was er bis zum Morgengrauen brauchte. Vorher ließ sich sowieso keine Entscheidung treffen.

Ohne genau zu wissen warum, drehte er sich um und lief zurück zu dem Haus, in dem sich die junge Frau eingemietet hatte. Er ging am Zaun entlang, sah den Kleintransporter in der Einfahrt stehen und versuchte im schummrigen Licht der Laterne herauszufinden, ob es dort eine Möglichkeit gab, sich zu verstecken.

Er entdeckte einen Weg zwischen Einfahrt und Haus, der zum Garten dahinter führte. Zur Straßenseite hin waren alle Fenster dunkel. Er sah sich um. Zwei Häuser weiter brannte Licht im Wohnzimmer, doch die beiden rechts und links direkt danebenliegenden Gebäude schienen unbewohnt zu sein. Weder brannte Licht, noch stand ein Fahrzeug davor. Er schlich sich an dem roten Kleinbus vorbei, tastete sich an der Hausmauer entlang und blieb vor einem hölzernen Gartentor stehen. Der eiserne Riegel, den er durch den schwachen Schein der Straßenlaterne erkennen konnte, ließ sich mühelos aufziehen. Doch beim Aufschieben quietsche das Tor und Alois sah sich vorsichtig um. Schwein gehabt. Niemand hatte ihn bemerkt. Vorsichtig schloss er es wieder und tastete sich dann wie ein Blinder weiter vor. Der grelle Lichtschein, der die Terrasse und den kleinen Garten dahinter erleuchtete, kam so überraschend für ihn, dass er sich die Hand vor die Augen halten musste. Das Licht drang durch die geschlossenen Scheiben der Verandatüren, die zum Freisitz führten. Er lief weiter und hoffte, irgendeine brauchbare Unterlage zu finden. An der Grenze zum Nachbargarten machte er schließlich einen hölzernen Unterstand aus, wo er neben Gartenmöbeln und Blumenkübeln eine gepolsterte Sonnenliege fand, die lediglich mit einer Folie bedeckt war. Alois konnte sein Glück kaum fassen. Wenn das kein gutes Omen an diesem schrecklichen Tag war.

Immer auf der Hut behielt er das Zimmer, aus dem der Lichtschein kam, im Auge. Drinnen, hinter der gardinenlosen Fensterscheibe, lief seine Retterin rastlos hin und her. Alois blinzelte, als er registrierte, wie sie sich präsentierte. Zweifellos entschädigte ihn dieser Anblick ein wenig für das, was ihm an diesem Tag widerfahren war. Lediglich mit BH und Höschen bekleidet, räumte sie Päckchen in einen Korb, verstaute Kleidung in einer Reisetasche und schrieb Notizen auf einen Zettel. Nebenher nippte sie immer mal wieder an einem Glas Rotwein. Alois ertappte sich dabei, dass er sie wie ein Voyeur anstarrte, was glücklicherweise im Schutz der Dunkelheit keiner sehen konnte. Das deutsche Fräulein konnte man getrost als eine echte Augenweide bezeichnen. Gute Proportionen, dachte er anerkennend. Er mochte es, wenn Frauen nicht zu dünn waren. Doch erst ihr herzförmiges Gesicht mit der kecken kleinen Nase, auf der sich winzige Sommersprossen tummelten und ihre wachen, seegrünen Augen, mit denen sie ihn so intensiv angesehen hatte, machten sie zu einer wirklich schönen Frau. Die vollen rostroten Haare, die sie noch immer zu einem Knoten gesteckt trug, waren nur noch das i-Tüpfelchen.

Alois schüttelte über sich selbst den Kopf.

Als ob er keine anderen Sorgen hätte!

Resigniert wandte er sich vom faszinierenden Anblick seiner rothaarigen Retterin ab und versuchte zu schlafen.

3

Es roch nach Reinigungsmitteln und Desinfektion. Alois hasste diesen Geruch, weil er ihn immer wieder an die schreckliche Geschichte mit seinem Vater erinnerte. So, als wäre es gestern gewesen, wurden die Stunden, die die Familie hier auf dem Flur gesessen und um sein Leben gebangt hatte, wieder gegenwärtig. Nach unendlich langen drei Tagen des Leidens war Anton Hofer dann an den Folgen einer akuten Blutvergiftung verstorben. Viel zu spät war er mit seiner Wunde, die er sich bei Holzfällerarbeiten im Wald zugezogen hatte, zum Arzt gegangen. Bis zum heutigen Tag konnte seine Mutter den Verlust nicht verwinden. Auch wenn sie nicht viel darüber sprach. Und nun lag sie selbst hier. Das Regulieren der Herzklappentätigkeit sei nur eine routinemäßige Operation, hatte der behandelnde Arzt gemeint und dennoch wurde Alois das beklemmende Gefühl der Angst nicht los. Er musste sie noch mal sehen, bevor er sich aus Pepes Dunstkreis entfernte.

Ganz früh am Morgen war er aus dem Garten geschlichen, um sich in der Dämmerung zu Fuß auf den Weg zum wenige Kilometer entfernten Spital aufzumachen. Nun stand er in der Eingangshalle und studierte eine riesige Anzeigentafel, um herauszufinden, auf welcher Station seine Mutter lag. Leider vergebens, weshalb er einfach drauflos lief. Von Zimmertür zu Zimmertür, bis ihn eine junge Schwester, die das beobachtete, energisch ansprach.

„Entschuldigen Sie! Suchen Sie jemanden Bestimmtes? Sie wissen aber schon, dass Sie außerhalb der Besuchszeit hier sind! Wir haben gleich Visite.“

Alois räusperte sich und bemerkte erst jetzt die vielen Schwestern, die geschäftig umherliefen. Es war Frühstückszeit und er wusste, dass er ungelegen kam. Doch das interessierte ihn nicht.

„Ich suche meine Mutter – Katharina Hofer. Ich muss zu ihr. Es dauert auch nicht lange. Können Sie mir bitte sagen, wo ich sie finde?“

Die Schwester musterte ihn mit prüfendem Blick. „Ja.“

Alois schluckte, weil ihm in diesem Moment sein Aufzug bewusst wurde. Garantiert steckte sie ihn jetzt in die Schublade für Penner. Aber auch seine Mutter würde sich über sein Aussehen wundern, denn in einem solchen Aufzug kannte sie ihn nicht. Kurzentschlossen stellte er die Tasche auf den Boden, holte eine dünne Regenjacke heraus und streifte sie sich vor den Augen der verdutzten Schwester über. Den Reißverschluss zog er bis zum Anschlag zu, womit das ramponierte T-Shirt unsichtbar wurde und er keine unnötigen Fragen zu befürchten hatte.

„Ihre Mutter liegt auf der Intensivstation“, erklärte die kleine, rundliche Person. „Es gab unvorhergesehene Komplikationen.“ Sie stockte, als sie bemerkte, wie bestürzt er auf ihre Aussage reagierte.

„Nein“, sprach sie nun schnell und berührte ihn tröstend am Arm, „es ist nicht so schlimm, wie Sie denken. Inzwischen ist alles wieder in Ordnung. Sie liegt nur noch zur Beobachtung da. Kommen Sie“, winkte sie ihn mit sich, „Sie müssen sich umziehen und die Hände waschen, bevor Sie zu ihr können.“

Mit klopfendem Herzen folgte Alois der jungen Frau, wusch sich die Hände und schlüpfte in einen grünen Kittel und in ein Paar unförmige Schuhe. Wenig später stand er vor dem Bett seiner Mutter, die bei vollem Bewusstsein war und sich freute, als sie ihn erkannte.

„Alois, mein Junge, um Himmels willen, was machst du denn schon so früh hier?“

Unendlich erleichtert ergriff er ihre Hand, küsste sie auf die Wange und war überglücklich, dass es ihr offensichtlich schon wieder besserging.

„Ich habe frei und wollte dich sehen. Aber was ist passiert, dass du auf der Intensivstation liegst? Die OP hat doch noch gar nicht stattgefunden.“

„Es gibt Probleme mit einer Medikamentenunverträglichkeit“, erklärte Katharina ihrem Sohn, „es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, mehr nicht … sag du mir lieber, warum du wirklich da bist.“

Alois holte tief Luft. Hatte er wirklich geglaubt, er könnte einer Frau, die fünf Kinder großgezogen hatte, etwas vormachen?

„Ich hab ein gutes Angebot gekriegt und will heute noch los“, schwindelte er.

„Ach so.“ Katharina schien beruhigt. „Dann fährst du doch sicher zu deinem Bruder nach Hamburg, oder?“

Er nickte und begriff eine Sekunde später, wovon sie wirklich sprach. Das, was bis eben nur ein vager Gedanke gewesen war, nahm plötzlich Gestalt an. Durch die Aufregung der letzten Stunden hatte er eine Anheuerung auf einem Schiff noch gar nicht in Erwägung gezogen. Dass er da nicht schon früher drauf gekommen war! Auf hoher See könnten sie ihn nicht so leicht ausfindig machen.

„Ja, sicher“, beeilte er sich zu sagen.

„Dann richte dem Toni doch bitte aus, dass er sich keine Sorgen machen muss und nicht extra herkommen soll.“

Alois lächelte und tätschelte ihre Hand. Wie immer dachte sie zuerst an andere. Toni, einer seiner Brüder, lebte seit geraumer Zeit in Hamburg und es war nichts Ungewöhnliches, dass Alois ihn, wenn er auf einem Kreuzfahrtdampfer anheuerte, besuchte.

„Mach du dir auch keine Sorgen. Ich werde es ihm ausrichten. Aber ich bin sicher, er weiß das alles schon von Maria. Sie kommt doch jeden Tag, oder?“

„Ja, sicher. Sie kommt am Nachmittag und bringt die Mädchen mit.“

Beruhigt verabschiedete Alois sich und versprach, sich so bald wie möglich zu melden. Auf dem Weg zum Ausgang fiel ihm eine Behindertentoilette auf. Höchste Zeit, die Kleidung zu wechseln. Er fühlte sich mehr als unwohl in der am Oberschenkel aufgerissenen Jeans und dem mit Erd- und Grasflecken beschmutzten Shirt. Seine beiden Brüder hänselten ihn noch heute gerne wegen seines, wie sie sagten, Sauberkeitsfimmels. Nannten ihn nicht Loui, sondern Louise, weil er sich schon als kleiner Bub nur ungern schmutzig gemacht hatte und schon damals sorgfältig mit seiner Garderobe umgegangen war.

Er horchte auf, weil ein paar Türen weiter Stimmen ertönten, die aus einem offen stehenden Raum zu kommen schienen. Wahrscheinlich waren das Krankenschwestern, die sich auf die Visite vorbereiteten. Blitzschnell peilte er die Lage. Gott sei Dank, weit und breit kein Personal, das dumme Fragen stellen konnte. Er drückte die Klinke der Toilettentür. Wunderbar – unverschlossen. Als er sie von innen verriegelte, atmete er erleichtert aus, öffnete die Tasche und zog eilig eine saubere Jeans und ein kurzärmeliges kariertes Hemd hervor. Jetzt schätzte er sich glücklich, dass er stets Kleidung zum Wechseln mit zur Arbeit genommen hatte. In Rekordzeit machte er sich frisch, zog sich um und warf die getragene Kleidung in den Müll.

Geschafft.

So konnte er sich auch wieder unters Volk mischen und eine Mitfahrgelegenheit suchen.

Eins stand fest, er musste irgendwie nach Deutschland kommen, am besten nach Hamburg zu seinem Bruder.

Vorsichtig öffnete er die Tür und lugte in den Flur. Keiner da. Er schlich auf Zehenspitzen an den Fahrstühlen vorbei zum Treppenhaus, das sich am Ende des Flures befand. Im Galopp rannte er die Treppen hinunter und versuchte dabei, die Hinweisschilder zu entziffern.

Derart beschäftigt bemerkte er zu spät, dass er im Erdgeschoss den Ausgang verpasst hatte und stattdessen nun im Keller des Krankenhauses gelandet war. Ein langer Flur, durch den ein kühler Windzug wehte, ließ eine Außentür erahnen. Immer darauf bedacht, so unauffällig wie möglich zu bleiben, folgte er dem Luftzug und hörte nebenan die typischen Geräusche einer Großküche genauso wie knatternde Motorengeräusche eines laufenden LKWs, die von draußen hereindrangen. Als ihm zwei Küchenmitarbeiter entgegenkamen, tat Alois, als würde er zum Krankenhauspersonal gehören und ging so gelassen wie möglich an mit Schmutzwäsche gefüllten Wäschecontainern vorbei. Zwei Frauen im Kittel, die offensichtlich zum Reinigungspersonal gehörten, kamen ihm entgegen.

„Entschuldigung, ich habe mich verlaufen“, sprach er sie an, „komme ich hier zum Ausgang?“

„Ja“, nickte die dickere von beiden, die ihn argwöhnisch beäugte, „zur Laderampe kommen Sie da vorn. Wenn Sie raus wollen, müssen Sie meinem Kollegen am Rolltor Bescheid sagen, dann macht er Ihnen auf.“

Alois nickte nur und wäre beinahe mit einem stämmigen blonden Mann im Arbeitskittel zusammengestoßen, der mit gesenktem Kopf an ihm vorbeirannte und eine ellenlange Liste studierte. Endlich im Außenbereich angekommen, stach ihm die grellbunte Werbeaufschrift eines Wäschereifahrzeuges, das mit offenen Hecktüren im Hinterhof parkte, ins Auge. Das gleiche Logo, das der Mann mit der Liste auf seinem Kittel gehabt hatte. Eine Wäscherei am Stadtrand von Bozen. Wenn der Kerl ihn mitnehmen könnte, wäre das eine Gelegenheit, zur Autobahn zu kommen, überlegte Alois.

Jepp, der Plan war gut. Als hätte er den Fahrer gerufen, kam er ihm auch schon wieder entgegen. Diesmal kämpfte der Mann mit einem vollbeladenen Rollwagen, den er nur mühselig vor sich herschob. Ein Rad klemmte, quietschte und bremste ihn so aus, dass das hohe, bis an den Rand mit Schmutzwäsche vollgestopfte Gefährt ins Kippen kam. Leise vor sich hin fluchend stemmte er sich dagegen und versuchte, das Schlimmste zu verhindern. Alois reagierte sofort, stellte seine Tasche zur Seite und griff nach dem Gestänge. Zu zweit ließ sich der Container problemlos befördern. Über die unverhoffte Hilfe sichtlich verwundert, bedankte sich der Fahrer und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Keine Ursache“, winkte Alois ab, „aber ich hätte eine Bitte … kann ich mit dir zurück in die Stadt fahren?“

„Von mir aus. Aber bevor ich nach Bozen fahre, habe ich noch eine Tour zur Autobahnraststätte Brixen – Handtücher und Kittel. Wenn dir das nichts ausmacht …“

Alois konnte sein Glück kaum fassen. „Ganz im Gegenteil, das passt noch besser. Ich muss zur Autobahn.“

Am nächsten Morgen war Pepe schon früh auf den Beinen. Früher als sonst. Das lag vor allem an der unruhig verbrachten Nacht. Denn er spürte, dass die Dinge keinen guten Lauf nahmen. Die Rastlosigkeit trieb ihn zu dem Trakt der Villa, in dem das Personal untergebracht war. Sein Verdacht bestätigte sich, als er Alois’ Zimmer leer vorfand.

Eine halbe Stunde später fuhr er mit Franco auf dem Hoferschen Bauernhof vor. Dort, wo Maria, Alois’ Schwester, wohnte. Ohne lange Umschweife baute Pepe sich vor Maria auf und verlangte, Alois zu sprechen.

„Der ist nicht hier“, erklärte Maria sichtlich überrascht, angesichts der barschen Art, mit der die beiden seltsam wirkenden Männer auftraten. Mit den dunklen Haaren und den ebenmäßigen Gesichtszügen zeigte sie viel Ähnlichkeit mit ihrem Bruder.

„Warum suchen Sie ihn hier? Er wohnt unter der Woche in der Villa Randoni und kommt nur nach Hause, wenn er frei hat.“

Ohne Maria eine schlüssige Antwort auf ihre Frage zu geben, hasteten die beiden zum Auto und fuhren mit quietschenden Reifen vom Hof.

„Dann hat er Lunte gerochen“, knurrte Pepe, als sie mit dem Wagen wieder auf der Straße waren.

„Wieso?“ Franco runzelte die Stirn. „Nur weil er nicht bei seiner Familie ist? Vielleicht ist er ja auch bei irgendeiner Schnalle.“

„Merda!“, fluchte Pepe und starrte mit finsterer Miene auf die Straße. „Wir müssen uns was überlegen, wie wir das dem Alten beibringen“.

„Wie meinst du das?“

Pepe verdrehte die Augen. Franco konnte wirklich blöde Fragen stellen. „Wie ich das meine?“ Pepe sah seinen Cousin an, als könne der keine Kuh vom Pferd unterscheiden. „Unser kleiner Loui weiß jetzt, dass wir wissen, dass er weiß.“

Diese Aussage war nun ganz und gar zu viel für Francos Horizont. „Hä?“

Pepe atmete laut aus und musste sich zusammenreißen, um nicht ausfallend zu werden.

„Er ist abgehauen. Hat ’nen langen Schuh gemacht. Ist über alle Berge. Kapierst du’s jetzt? Ich hab auch keine Ahnung, wieso der was mitgekriegt hat.“

„Hm …“ Franco kratzte sich an der Stirn. „Das müssen wir dem Boss sagen. Ich mache nichts ohne seine Anweisung. Das ist mir zu heiß. Außerdem muss er wissen, mit wem er’s zu tun hat.“

Pepe biss die Zähne zusammen. „Ist mir auch klar“, presste er hervor. „Das hast du mir gestern übrigens schon mal erzählt. Am besten, wir bringen es gleich hinter uns.“

4

Lena zog die Bustür zu und ging in Gedanken noch mal alles durch. Die Ferienwohnung war leergeräumt, sämtliche Einkäufe lagerten sicher verpackt und verstaut auf der Ladefläche. Tasche, Geldbeutel und Handy lagen griffbereit auf dem Beifahrersitz. Lena starrte bedauernd in den strahlend blauen Himmel. Sie fühlte sich übernächtigt, was auch mit der Rettungsaktion des Fremden zusammenhing. Wie gern würde sie sich jetzt mit einem unterhaltsamen Buch auf einer Sonnenliege verkrümeln. Doch ein Blick auf die Digitalanzeige des Cockpits ernüchterte sie augenblicklich. Allerhöchste Zeit, loszufahren.

Kaum, dass sie sich nicht mehr zu sehr auf den Verkehr konzentrieren musste, ertappte sie sich dabei, wie sie wieder an ihn dachte. Irgendetwas rührte er in ihr an, was sie selbst nicht verstand. Eigentlich war er viel zu zugewachsen, um ihr gefallen zu können. Lena mochte bei einem Mann weder lange Haare noch Räuber Hotzenplotz-Bärte, doch sein Körper, der hatte ihr schon gefallen. Drahtig, sportlich und im richtigen Maß muskulös.

Missbilligend verzog sie die vollen Lippen. Das Thema ist ja nun wirklich gerade gar keins, Frau Maschke, ging sie mit sich selbst ins Gericht. Drei gescheiterte Beziehungen sollten genug sein. Besonders die letzte, die mit Lukas, der sie vor knapp einem Jahr wegen einer anderen hatte sitzen lassen, lag ihr noch quer im Magen. Gerade da, wo sie ihn am meisten gebraucht hatte – nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Mutter – war er gegangen. Nur bei dem Gedanken an ihn überkamen sie Gefühle der Enttäuschung und Ohnmacht. Nein. Sie wollte sich so nicht mehr fühlen. Nie mehr! Denn sie brauchte ihre ganze Kraft und Energie für die Ziele, die sie zusammen mit ihrer Mutter gesteckt hatte und die sie nun allein verfolgen musste. Zur Bekräftigung hob sie den Zeigefinger. Der Mensch hatte seinen Verstand schließlich dazu bekommen, aus dem Erlebten zu lernen. Und die Erfahrung hatte nun mal gezeigt, dass es besser war, zukünftig auf Männer zu verzichten.

Ein wenig Trauer empfand sie schon bei dem Gedanken, keinen Mann mehr in ihr Leben zu lassen. Aber die wenigen schönen Momente, in denen es mit den Männern gut lief, wogen die negativen Seiten bei Weitem nicht auf. Wie konnte sie überhaupt nur noch einen Gedanken daran verschwenden? Nur weil sie einem Fremden in der Not geholfen hatte?

Aber hatte sie ihm auch wirklich genug Hilfe gegeben? Schließlich hatte sie ihn in der Nacht allein gelassen, obwohl er verletzt und offensichtlich ohne Plan war, wo er hinsollte.

Womöglich hatte er innere Verletzungen gehabt …

Aber welche vernünftige Frau würde einen wildfremden Mann bei sich aufnehmen, um ihn zu pflegen? Einen, der aus dem Nichts kam? Schließlich könnte er ein Mörder auf der Flucht sein.

Nein. Sie hatte richtig gehandelt. Es gab keinen Grund, das zu bezweifeln. Außerdem hatte er jede Hilfe abgelehnt – mehrfach. Sie seufzte. Solche Grübeleien waren genau das, was sie an diesem Morgen brauchte. In zwei Wochen sollte ihr Geschäft nach einer größeren Umbaumaßnahme neu eröffnet werden. Sie wusste vor lauter Arbeit nicht, wo ihr der Kopf stand und hatte nichts Besseres zu tun, als sich über einen Menschen Gedanken zu machen, den sie in ihrem Leben nie wieder sehen würde.

Bravo Lena, du bist einfach unverbesserlich!

Die Schilder zur Autobahn tauchten am Straßenrand auf und die männliche Stimme aus dem Navi ermahnte sie, die Auffahrt Richtung Brenner zu nehmen.

Gerade in dem Moment, als sie die Abfahrt nahm und beschleunigte, um einen Lkw zu überholen, klingelte das Mobiltelefon. Lena vermutete, dass Ellen sich erkundigen wollte, ob sie alles hatte erledigen können, und nahm das Gespräch an.

„Hallo, ich bin schon auf dem Weg nach Hause.“

„Frau Maschke“, hörte sie zu ihrer Überraschung Herrn Pichler, den Biobauern, rufen. „Wir müssen noch mal reden. Sie haben etwas vergessen.“

In dem Augenblick, als er es aussprach, wusste Lena, was er meinte. „Hallo Herr Pichler. Ich bin auf der Autobahn. Es ist ziemlich viel Verkehr. Ich fahre an der nächsten Raststätte ab und melde mich. Okay?“

„Ja, natürlich. Bis gleich.“

Nach einigen Kilometern folgte sie den Hinweisschilder für die Autobahnraststätte Brixen, fuhr an der Tankstelle vorbei und parkte direkt neben dem Shop. Mit Pichler vereinbarte sie, um nicht unnötig Zeit zu verlieren, dass er ihr das zurückgelassene Paket auf dem Frachtweg hinterherschickte, weil umkehren keine Option war.

Nun harrte sie schwer seufzend hinter dem Lenkrad und starrte auf das Schaufenster des Shops, an dem ein großes Schild für Speiseeis prangte. Süßigkeiten – Lenas größte Schwachstelle. Ein unbändiger Heißhunger überfiel sie. Ganz klar Nervennahrung. Das brauchte sie jetzt, um die lange Fahrt nach Hause zu überstehen. Normalerweise machte ihr das nichts aus. Aber bei genauerer Überlegung war es das erste Mal, dass sie diese Reise allein antreten musste. Wenn doch wenigstens Ellen bei ihr wäre. Die wurde jedoch dringend auf dem Brunnenhof gebraucht. Lena wusste, dass ihr das Belohnungszentrum in ihrem Kopf gerade einen raffinierten Streich spielte. Denn in solchen stressigen Situationen, griff sie leider gerne nach etwas Süßem. Sie schlug die Bustür zu und lugte durch die Glasscheibe des Schaufensters. Eiscreme war definitiv zu unpraktisch, aber Schokolade, Riegel und, Fruchtgummis wären kein Problem. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Belohnungszentrum hin oder her: Die Zeit war reif für Nervennahrung. Schlafmangel, Konzentrationsschwäche und seltsame Gedanken konnte man durchaus als Notsituation bezeichnen, rechtfertigte sie sich vor sich selbst.

Einfach nur fatal, sich so einen Wahnsinn zu erlauben, dachte sie anschließend, als sie mit einer Plastiktüte voller Süßigkeiten aus dem Laden kam. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie mitunter zum Übertreiben neigte. Die Ansicht vertrat jedenfalls ihr Vater. Doch nun lag der Süßkram, wie er sagen würde, in der Tüte. Und gekauft war gekauft. Basta. Auf dem Weg zum Bus zurück blieb sie abrupt stehen, weil sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. Auf dem Rand eines steinernen Blumenkastens, in dem die Bepflanzung fehlte, saß Mister Hotzenplotz höchstpersönlich. Unverkennbar ‒ mit Vollbart und Zopf.

Aber er hatte die Kleidung gewechselt. Die ausgewaschene Jeans, das grün-karierte Hemd und das weiße T-Shirt darunter waren sauber, doch über dem Kratzer an der Stirn klebte noch immer das Pflaster, das sie ihm draufgetan hatte, genauso wie am Arm. Vornüber gebeugt saß er in Richtung Gehweg und schrieb in aller Seelenruhe mit einem Edding ein großes D auf ein Stück Pappe.

Er wollte weg – nach Deutschland?

Als wenn sie das was anginge.

Ruckartig drehte sie den Kopf zur Seite und beschloss, an ihm vorbeizugehen. Schließlich hatte sie keine Zeit mehr zu verlieren, war ohnehin zu spät dran. Just in diesem Moment sah er auf – und erkannte sie natürlich wieder. Sichtlich erfreut lächelte er ihr zu. Wie schon beim letzten Mal. Attraktivität um mindestens hundertfünfzig Prozent gesteigert. Wie würde der erst aussehen, wenn Haare und Bart …

„Servus“, rief er, „na, das ist ja ein Zufall. Ich dachte, du bist längst weg.“

„Ja, das sollte ich auch sein, aber …“ Sie sah auf die Uhr und erschrak. Schon wieder eine Dreiviertelstunde um.

„Tut mir leid, aber ich hab jetzt absolut keine Zeit mehr. Wie ich sehe, geht es dir ja recht gut. Wirklich, ich bin mindestens anderthalb Stunden im Verzug. Also dann, ich wünsch dir was. Beim nächsten Mal trinken wir einen Kaffee zusammen, aber jetzt …“ Sie hob die freie Hand und wollte weiter.

„Nein, warte. Bitte!“

Was hatte der denn jetzt für einen Blick drauf? Und erst der Ton. Es klang so dringend.

„Ja?“ Lena sah erneut auf die Uhr und atmete dabei hörbar aus.

„Äh … ja, ich will’s kurz machen … würdest du mich mitnehmen? Ich meine … nach Deutschland. Ich beteilige mich auch an den Benzinkosten.“

Lena betrachtete ihn skeptisch und lachte schließlich ironisch auf. „Das ist ja mal was ganz Neues. Ein Tramper, der sich an den Spritkosten beteiligen will.“

„Ich trampe sonst nicht … okay, ich verstehe dich …“

Lena zog die Stirn in Falten. „Ist das so?“ Sie sah ihn provokant an. „Glaubst du tatsächlich, ihr Männer könntet in so einem Fall eine Frau verstehen? Das bezweifle ich. Du bist eine völlig fremde Person für mich. Ich weiß gar nichts von dir. Gestern lagst du verletzt im Graben. Heute willst von hier weg und mit mir nach Deutschland fahren. Was hat das zu bedeuten und wie bist du überhaupt an den Straßengraben gekommen? So weit ab von jeglicher Zivilisation. Und erzähl mir jetzt nicht, du wärst mit Turnschuhen gewandert. Ich bin schon einige Male hier gewesen. Und ich kenne keinen einzigen Einheimischen, der sich mit solchen Tretern auf einen Trip in die Berge machen würde. Woher soll ich also wissen, dass du mir nichts Schlechtes willst? Vielleicht wirst du ja sogar polizeilich gesucht.“

Lena holte tief Luft und nahm die Tüte von einer Hand in die andere. „Ach, das ist mir jetzt alles zu stressig. Ich hoffe, das kannst du verstehen?“

Alois trat einen Schritt zurück. Er sah kurz in den Himmel, um sie dann wieder anzuschauen.

„Klar … deine Reaktion ist absolut verständlich, aber …“, er bemühte sich um sein bestes Hochdeutsch. „… vielleicht hilft’s dir, wenn ich dir meinen Ausweis oder den Führerschein zeige?“ Er fasste sich an die Brust. „Warte, ich hab noch eine bessere Idee.“

Es lag an seinen Augen. Sie hatten so etwas Flehendes. Obwohl Lena, keine einzige logische Begründung dafür finden konnte, wusste sie, dass von ihm keine Gefahr ausging. Dennoch wollte sie es ihm nicht zu leicht machen. Das verlangte ihr Verstand, der allzu viel Vertrauensseligkeit nicht so einfach dulden konnte.

„Und die wäre?“

„Ruf irgendjemanden an, dem du erzählst, wo du bist, was du jetzt vorhast und wen du mitnimmst. Bitte! So kannst du sicher sein, dass unsere gemeinsame Fahrt nach Deutschland kein Geheimnis bleibt. Was hältst du davon?“

„Vielleicht verrätst du mir erst mal, wie du heißt?“

„Al… äh, Maximilian Hofer. Nenn mich einfach Max.“

Und so wurde aus Alois Max.

„Und weiter?“

„Was weiter?“

„Das Übliche eben. Adresse, Familienstand und so.“

„Ich komme hier aus der Gegend. Der Ort heißt Terlan. Ich wohne bei meiner Familie, Rosenstraße 6, bin aber selten daheim. Und ich bin ledig.“

„Gut. Ich bin Lena – Lena Maschke und komme aus Hessen.“ Sie holte ihr Smartphone aus der Tasche, checkte die Adresse und fand heraus, dass Max’ Schwester Maria hieß und mit einem Guido Vogler verheiratet war. Beruhigt wählte sie Ellens Nummer, erklärte ihr in wenigen Sätzen die Situation und wandte sich wieder Max zu, der ihren Kleinbus bereits ausgemacht hatte und langsam darauf zuging.

„Das mit dem Telefonat war wirklich eine gute Idee. Ich fühle mich wohler damit, wenn ich weiß, wo du herkommst. Klingt vielleicht blöd, ist aber so.“

„Und wer hatte die Idee?“ Er klang ziemlich erleichtert, als er einstieg.

„Okay, hätten wir das auch geklärt.“ Sie warf den Beutel mit Süßigkeiten auf den Rücksitz und setzte sich hinters Lenkrad. Seltsamerweise war ihr Heißhunger auf Süßes wie weggeblasen. Was so ein Kerl doch vermochte, ärgerte sie sich ein wenig über sich selbst. Und dann auch noch so ein Zugewachsener. Wie um sich das Gegenteil zu beweisen, zog sie die Tüte wieder hinter dem Sitz hervor und kramte darin herum. Max, der es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich gemacht hatte, schnallte sich an und sah ihr gelassen dabei zu.

„Wir fahren gleich“, erklärte Lena und nahm sich einen Kokosriegel, bevor sie Max die Tüte reichte. „Hier. Falls du Lust auf was Süßes hast. Ich brauch das jetzt.“

Während Max sich einen Erdnussriegel nahm, fuhr sie kauend los.

Drei Stunden später erreichten sie die Stadtgrenze von München. Es war bereits früher Nachmittag und Lena bekam Hunger. Max schien es nicht anders zu gehen. Er deutete mit dem Daumen nach hinten.

„Darf man fragen, für wen die vielen Lebensmittel sind? Damit kannst du ja eine ganze Kompanie verköstigen.“

Lena lachte. „Du hast Hunger, stimmt’s? Ich auch. Lass uns was suchen, wo wir essen gehen können, dann erkläre ich es dir.“

„Okay. Aber wenn’s geht, keine Autobahnraststätte, da ist das Essen viel zu teuer und außerdem grottenschlecht.“

„Na, du bist mir vielleicht ein Held. Leider fehlt mir die Zeit dafür, noch eine kleine Stadttour dranzuhängen. So schön München auch ist.“

„So war das nicht gemeint.“ Max räusperte sich. „Es ist ganz in der Nähe. Ich kenne mich aus. Meine Schwester wohnt hier, Magdalena Hofer. Sie wird genau wie du nur Lena gerufen.“

Ein Lächeln flog über sein Gesicht, als er zum Fenster hinaussah. „Außerdem hab ich schon als Saisonarbeiter auf dem Oktoberfest gearbeitet.“

„Ich kenne München auch recht gut. Hab hier meine Ausbildung gemacht. Also, wenn du hier raus willst, um deine Schwester zu besuchen … kein Problem, ich halte an, aber dann muss ich weiter.“

„Nein, das hast du wirklich völlig falsch verstanden. Ich wollte damit nur sagen, dass ich in der Nähe ein gutes Lokal kenne. Die Lena ist tagsüber gar nicht da, sie ist Erzieherin und kommt erst abends heim. Wenn du die nächste Abfahrt nimmst, sind es nur noch drei Straßen bis zu der kleinen Gaststätte. Da kriegen wir was richtig Gutes zu essen. Glaub mir. Ich lade dich ein und ich verspreche dir, dass wir hinterher ganz schnell wieder zurück auf der Autobahn sind.“

Lena stimmte zu und Max hielt sein Versprechen, weshalb sie anderthalb Stunden später wieder auf der Autobahn waren.

Während Max das Gefühl hatte, dass die Stimmung zwischen ihm und seiner Retterin von Minute zu Minute freundschaftlicher wurde, glich seine eigene einer Fahrt auf der Achterbahn. Ihm war bewusst, wie viel Glück im Unglück er gehabt hatte. Schließlich saß er jetzt nicht irgendwo ausweglos im Wald, sondern neben einer sympathischen und noch dazu attraktiven Frau im Auto – auf dem Weg nach Deutschland, doch das war nicht das, was ihm für seine Zukunft vorschwebte. Erst vor wenigen Tagen hatte er bei einem Kassensturz feststellen können, dass sein Ziel, ein eigenes Restaurant zu eröffnen, in greifbare Nähe rückte. Und nun das. Es war, als würden sich all seine Zukunftspläne ins Endlose verschieben. Wie lange würde er diesen Albtraum ertragen müssen? Max konnte den Zustand des Nichtstuns nur schwer aushalten. Er war ein Macher. In einer Familie mit fünf Kindern lernte man früh, sich zu rühren, wenn man ein Stück vom Kuchen wollte. Sein Elternhaus hatte ihm ein behagliches Nest mit viel Liebe geboten, doch für teure Ausbildungen war kein Geld da gewesen. Vielmehr hatten ihn seine Eltern dazu angehalten, sich schnellstmöglich auf eigene Füße zu stellen.

Als Lena einen neuen Radiosender einstellte und anschließend bei einem Ohrwurm von Michael Bublé mitsummte, holte sie ihn aus seinen Gedanken. Ohne den Blick von der Fahrbahn zu wenden, griff sie suchend nach der Plastiktüte, worauf Max sie ihr grinsend reichte. „Was soll ich dir geben?“

„Da muss Duplo drin sein. Nimm dir auch was.“

„Nein danke, ich bin satt … wir haben doch grad erst gegessen.“

„Ja, aber wir hatten keinen Nachtisch.“ Sie zog eine Grimasse. „Ich liebe Duplo. Das schmeckt genau wie Nutella.“

Max reichte ihr den Riegel, verstaute die Tüte hinter dem Sitz und nahm ihr den Schokoriegel wieder ab, um das Papier teilweise zu entfernen. Jedoch nur so weit, dass sie sich keine Schokoladenfinger dabei holte, registrierte Lena staunend. „Danke.“

„Gerne.“

„Du hast mir überhaupt noch nicht gesagt, wo du in Deutschland hinwillst?“

„Ich will zu meinem Bruder. Er lebt in Hamburg. Dann seh ich weiter.“

„Hm. Lebst du immer so in den Tag hinein?“

Max schluckte. Damit hatte sie definitiv seinen wunden Punkt getroffen, doch er konnte ihr schlecht die Wahrheit erzählen. Normalerweise war es nicht seine Art, jemanden zu täuschen, doch in der momentanen Situation, wo er selbst noch nicht wusste, wo die Reise hinging, war es besser, er ließ sie in dem Glauben.