Sommer im Gutshof zum Glück - Dolores Mey - E-Book
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Sommer im Gutshof zum Glück E-Book

Dolores Mey

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Beschreibung

Ein idyllischer Gutshof, eine Sommerliebe und die Suche nach dem ganz großen Glück
Ein humorvoller Liebesroman, der zum Träumen einlädt

Sarah liegen die Männer zu Füßen. Doch genau davon hat sie gründlich die Nase voll! Sie will mehr sein als nur ein hübsches Vorführhäschen. In Daniel glaubt sie endlich den Mann gefunden zu haben, der das respektiert – bis er über ihren Kopf hinweg eine gemeinsame Zukunft im Ausland plant. Wütend und enttäuscht verlässt sie ihn und übernimmt kurzentschlossen für sechs Wochen den Job ihrer Freundin Rike auf einem Gutshof mit Ferienkindern. Eigentlich will sie in der Provinz zur Ruhe kommen, aber die Männer auf dem Land, allen voran der gutaussehende Hendrik von Freyenhof, sind alles andere als langweilig …

Alle Bände der Verliebt im Gutshof-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
„Eine einzigartige und warmherzige Geschichte zum Wohlfühlen.“
„Ein absolut lesenswerter Liebesroman mit unglaublich tollen Charakteren!“
„Dolores Meys Schreibstil ist sehr angenehm und ich kann dieses Buch nur weiterempfehlen.“
„Tolle Unterhaltung für die Couch oder den Strandkorb.“

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Seitenzahl: 572

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Über dieses E-Book

Sarah liegen die Männer zu Füßen. Doch genau davon hat sie gründlich die Nase voll! Sie will mehr sein als nur ein hübsches Vorführhäschen. In Daniel glaubt sie endlich den Mann gefunden zu haben, der das respektiert – bis er über ihren Kopf hinweg eine gemeinsame Zukunft im Ausland plant. Wütend und enttäuscht verlässt sie ihn und übernimmt kurzentschlossen für sechs Wochen den Job ihrer Freundin Rike auf einem Gutshof mit Ferienkindern. Eigentlich will sie in der Provinz zur Ruhe kommen, aber die Männer auf dem Land, allen voran der gutaussehende Hendrik von Freyenhof, sind alles andere als langweilig …

Alle Bände der Verliebt im Gutshof-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe August 2019

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-864-3 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-887-2

Copyright © 2014, Dolores Mey im Selfpublishing Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2014 bei Dolores Mey im Selfpublishing erschienenen Titels Sommergastspiel (ISBN: 978-3-98187-141-8).

Covergestaltung: Rose & Chili Design unter Verwendung von Motiven von © Chrislofotos /shutterstock.com, © Eric Isselee/shutterstock.com und © naKornCreate/shutterstock.com Korrektorat: SL Lektorat

E-Book-Version 16.01.2024, 19:35:46.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Sommer im Gutshof zum Glück

Als Du zur Welt kamst, regnete es.

Nicht weil es regnen sollte, sondern weil

der Himmel um den süßesten Stern weinte,

den er verloren hatte!

(Sesambrötchen)

1.

Der Koffer lag offen und bereits gut gefüllt auf dem Bett. Sarah Kunzmann stand an diesem sonnigen Junimorgen in ihrem WG-Zimmer vor dem Kleiderschrank und blickte unschlüssig auf die Reste ihrer überschaubaren Sommergarderobe. Sie zog ein buntes Shirt-Kleid aus dem Fach, was sie seit einer gefühlten Ewigkeit besaß. Mit dem Fuß gab sie der offenstehenden Zimmertür einen Schubs, sodass diese zufiel. Quadratische Spiegelkacheln kamen auf der Rückfront zum Vorschein. Mit skeptischer Miene ließ Sarah das Kleid vor der Brust nach unten fallen. Na ja, für den Strand würde es noch gehen. Ihr Blick wanderte zu den bereits eingepackten Sachen, wo obenauf der neue Bikini lag. Lächelnd legte sie das Kleid zur Seite und holte ihn wieder hervor. Herrje, wenn sie so weitermachte, würde sie nie mit dem Packen fertig werden. Ihre Finger fühlten das seidige Gewebe und sie dachte daran, wie angenehm es sich auf ihrer Haut angefühlt hatte. An den Preis mochte sie allerdings nicht mehr denken. Für ihre Verhältnisse war der Bikini mit fünfundneunzig Euro sündhaft teuer gewesen. Doch bei dem frechen Karo in Pink und Marine hatte sie einfach nicht widerstehen können. Bis heute war es ihr ein Rätsel, wie sie in das noble Wäschegeschäft geraten war. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit war sie an diesem Tag einen anderen Weg nach Hause gegangen. Warum, wusste sie schon gar nicht mehr. Nur, dass ihr das Glück aus allen Poren gekommen war, daran erinnerte sie sich noch gut. Es war am Tag nach der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse gewesen. Bestanden. Da durfte man doch auch mal unvernünftig sein, oder? Und dann hatte sie vor der Auslage gestanden. Bei schöner Wäsche wurde sie immer schwach. Egal, in welchem Laden. Eigentlich hatte sie sich nur mal kurz die Nase am Schaufenster plattdrücken wollen. Zweifellos kein Geschäft für junge Studentinnen. Eher für Professorengattinnen. Und trotzdem hatte sie nicht weitergehen können. Nach dem Preis fragen wird schließlich erlaubt sein, hatte sie gehofft. Sogar erwünscht, wie die nette Verkäuferin anschließend meinte, die so ganz anders war als das Personal in den Läden, wo sie sonst einkaufen ging. Die Dame um die fünfzig hatte sie hereingebeten und es überhaupt nicht merkwürdig gefunden, dass Sarah sich nur mal umsehen wollte. Nachdem sie wusste, was die junge Kundin interessierte, hatte sie Sarah eine Auswahl von Bademoden vorgelegt. Doch kein Bikini gefiel Sarah so gut wie der im Stil der 50er Jahre aus dem Schaufenster, bei dem sie am Ende doch geblieben war. Nach einer Anprobe, zu der sie die nette Verkäuferin ermuntert hatte, bestätigte sich ihre Auswahl. Leider. Insgeheim hatte sie gehofft – nachdem ihr das Preisschild aufgefallen war – er würde angezogen vielleicht doch nicht ganz so gut aussehen. Das Gegenteil war der Fall. Bei dieser Figur und mit etwas Bräune würde sie Personenschutz beantragen müssen, hatte die Verkäuferin augenzwinkernd gemeint. Sarah hatte die Aussage kommentarlos hingenommen. Schließlich war bekannt, dass in Verkaufsgesprächen gern übertrieben wurde, insbesondere bei diesem Preisniveau. Wirklich interessant war nur Daniels Reaktion. Dabei erwartete sie keine großen Komplimente, so ein Typ war er nun mal nicht. Mein Gott, sie sehnte sich so sehr nach ein bisschen mehr Spaß und Leichtigkeit in ihrem Leben. Die letzten Wochen waren von Prüfungsvorbereitungen und dem Job im Bistro beherrscht gewesen. Endlich lag das alles hinter ihr. Noch immer fiel es ihr schwer, das zu begreifen, träumte nachts von überfüllten Hörsälen und verpatzten Diplomarbeiten. Wenn jetzt noch eine der Schulen, an denen sie sich beworben hatte, eine Zusage schicken würde, wäre alles, na ja fast alles, perfekt. Sie betrachtete sich im Spiegel. Schluss jetzt! Sie wollte nicht schon wieder nur an Pflichten denken. Ob Daniel die gleichen Sehnsüchte hatte? Er redete nicht viel, schon gar nicht über Gefühle, doch wenn man ihn brauchte, war er da. Das schätzte Sarah sehr an ihm. Ach, es war so lange her, dass sie richtig Zeit füreinander gehabt hatten. Wäre es da nicht reizvoll, sich im Urlaub neu zu entdecken? Während Sarah über die Möglichkeiten, Daniel aus der Reserve zu locken, nachdachte, strich sie sich ihr volles, weizenblondes Haar zurück und band sich einen Zopf. Das Klingeln des Telefons unterbrach sie.

„Daniel, hi, was ist los? Um die Uhrzeit hast du ja noch nie angerufen. Geht’s dir gut?“

„Ja, ja, ich bin okay, aber ich muss dringend mit dir reden.“

Er machte eine bedeutungsvolle Pause und atmete tief aus, bevor er weitersprach.

„Sarah, ich hab ein Angebot von meinem Chef bekommen. Das kann ich unmöglich ausschlagen. Ich klettere die Karriereleiter gleich drei Stufen nach oben, wenn ich sofort für zwei Jahre in die USA gehe.“

„Oh, heißt das, wir fahren nicht nach Spanien?“

Sarah setzte sich aufs Bett. Ein leichter Druck kam aus der Magengegend. Enttäuscht sah sie auf den offenen Koffer neben sich. Seit Jahren hatte sie keinen richtigen Sommerurlaub mehr gemacht.

„Ja, leider. Ich muss nächste Woche schon hin. Es ist jemand ausgefallen. Herzinfarkt. Tut mir leid, ich habe auch erst gestern Abend davon erfahren.“ Daniel hielt kurz inne und sprach dann schnell und eindringlich weiter. „Schatz, ich möchte, dass du mitkommst. Es ist an der Ostküste, nicht in den Südstaaten. Es wird dir gefallen, ich habe schon Bilder gesehen, es ist wunderschön dort, nicht weit bis zum Atlantik. Du müsstest also nicht auf den Urlaub verzichten.“

Sarah schluckte, sollte sie ihm jetzt etwa dafür dankbar sein, dass er sich an ihre Abneigung gegen Schlangen und Skorpione erinnerte?

„Und was ist mit dir? Du musst doch arbeiten, oder?“

„Ja leider, ähm, es geht nicht anders. Deswegen bekomme ich ja diese Chance, verstehst du? So eine Möglichkeit kommt so schnell nicht wieder.“

Natürlich konnte sie ihn einerseits verstehen, aber andererseits, würde das jemals aufhören? Seit sie Daniel kannte, bestimmte der Job sein Leben. Sicher wäre es reizvoll, für ein paar Wochen die Ostküste der USA zu bereisen. Aber nicht so. Sie schüttelte den Kopf. Nein, ihr Traumurlaub mit Daniel sah anders aus.

„Und wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa allein in einer fremden Wohnung im Ausland Urlaub machen, während du den ganzen Tag arbeitest und dann spät abends erschöpft aus dem Büro kommst? Tolle Vorstellung. Und wie lange soll das gehen? Du weißt doch, wie wichtig mir das ist, dass ich Ende August in einer Schule mein Lehramt antreten kann und damit endlich auf eigenen Füßen stehe.“

„Natürlich, aber manchmal ändern sich die Dinge eben. Du kannst dich doch auf mich verlassen.“

„Ja, aber … Moment mal …“

„Nein, kein aber! Ich finde, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um zu heiraten, damit du siehst, wie ernst mir das ist“, unterbrach er sie.

Sarah stöhnte innerlich auf. Besonders romantisch war Daniel nie gewesen, aber dass er ihr einen Heiratsantrag am Telefon machen würde, hätte sie ihm dann doch nicht zugetraut.

„Daniel, was ist mit dir los? Spinnst du? Wir müssen doch erst mal zusammenziehen, um zu testen, ob das mit uns überhaupt funktioniert.“

„Ich war noch nie so klar. Das passt, das weiß ich auch so. Sarah, du bist 28 Jahre und im besten Alter für Kinder. Dein Beruf läuft dir doch nicht weg, du kannst auch später wieder einsteigen.“

Sarah glaubte, nicht richtig zu hören und lachte schrill auf.

„Wie bitte? Darüber hast du noch nie mit mir gesprochen. Vielleicht kannst du dir mal kurz ins Gedächtnis rufen, dass man, um Kinder zu kriegen, Sex haben muss. Ich kann mich an das letzte Mal kaum erinnern.“

„Äh, ja, das ändert sich, das wirst du sehen.“

Sarah wurde es zu bunt. Energisch schnitt sie ihm das Wort ab.

„Du machst dir was vor, Daniel! Du lebst für deinen Job. Das ist okay, aber ich habe auch nicht nur zum Spaß studiert. Ich kann nicht all meine Zukunftspläne komplett über den Haufen schmeißen und sie so einfach gegen neue ersetzen. Das musst du verstehen. Das würdest du umgekehrt auch nicht tun.“

„Und, wie soll es dann weitergehen?“

„Fahr doch erst mal hin und schau, wie es für dich ist, dann werden wir sehen.“

„Tja“, Daniel räusperte sich, „ich hab die Tickets und das Hotelzimmer aber schon gebucht.“

„Wiiie?" Sarah holte tief Luft, um die Übelkeit zu unterdrücken, die in ihr hochkam. „Ohne mich vorher zu fragen?“

„Ich bin davon ausgegangen, dass du dich darüber freust.“

Sarah stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Sie öffnete das Fenster und die Tür zum Flur. Sie kam sich vor, als hätte sie Fieber. Wie ein Flächenbrand breitete sich Wut in ihr aus. Wieder nahm sie einen tiefen Atemzug und spürte, wie die Entrüstung einer tiefen Traurigkeit wich.

„Bist du noch da?“, rief Daniel in den Hörer.

„Natürlich! Wo soll ich denn schon sein?“, fuhr sie ihn gereizt an. Noch einmal holte sie tief Luft. Sich gegenseitig anzuschreien brachte schließlich auch nichts. Sie zwang sich zu einem ruhigeren Ton. „Daniel, ich mag keine Entscheidungen, die über meinen Kopf hinweg gefällt werden. Ich dachte, das wüsstest du. Wann haben wir das letzte Mal über uns gesprochen? Ich fühle mich total übergangen von dir.“

„Willst du es beenden?“

„Eigentlich wollte ich mit dir in den Urlaub fahren und unsere Beziehung auffrischen. Oder findest du das, was wir in den letzten Monaten hatten, normal?“

„Na ja, es war nicht unbedingt optimal, das gebe ich zu, aber für mich gibt es nur dich. Nur, dass du da nicht auf falsche Gedanken kommst.“

„Das macht es jetzt auch nicht besser. Du machst es dir zu einfach. Ich hatte in den letzten Tagen viel Zeit zum Nachdenken und bin mir nicht mehr so sicher, ob ich einen Mann will, der nie Zeit für mich hat. Ich hatte gehofft, dir in unserem Urlaub wieder etwas näherzukommen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du mich überhaupt nicht brauchst.“

„So einen Quatsch hab ich lange nicht gehört“, rief er dazwischen.

„Doch“, ließ sich Sarah nicht beirren. „Du willst doch nur deshalb eine Beziehung, weil es zu deinem Lebensplan gehört, eine zu haben. Du vermisst mich ja nicht mal, wenn wir uns nicht sehen können.“

„Und woher willst du das wissen?“, rief Daniel empört. „Du tust gerade so, als ob du meine Gedanken lesen könntest. Ich hab dir gesagt, es wird sich ändern, und dann ist das auch so.“

„Woher ich das weiß?“ Sarah wurde nun doch laut. „Möchtest du wirklich, dass ich dir all die Wochenenden aufzähle, an denen du wegen deiner Termine und Geschäftsreisen keine Zeit für mich hattest? Oder die Abende, an denen du frühzeitig gegangen bist, weil dir dein Schlaf wichtiger war als neben mir aufzuwachen? Für manche Antworten braucht man keine Beweise. Das fühlt man einfach. Füüühlen, Daniel. Und versuch jetzt nicht, mir was zu versprechen, was du sowieso nicht halten kannst. Denk mal darüber nach, dann kommst du zum gleichen Schluss.“

Für einen Moment herrschte Schweigen.

„Ich kann dich nicht umstimmen, oder?“

„Nein. Ich brauche Zeit.“

Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sie den roten Knopf gedrückt. Erschöpft legte sie sich aufs Bett und schloss die Augen. Das Gefühl einer großen Leere durchflutete sie. Wieso fühlte sie keinen Schmerz und warum kamen keine Tränen? War sie etwa gefühlskalt?

Das Telefon klingelte erneut. Daniels Nummer blinkte im Display. Sarah ließ es klingeln. Es war alles gesagt.

Der Schlüssel drehte sich im Türschloss. Rike, ihre Freundin und Mitbewohnerin, kam nach Hause. Sie teilten sich die kleine Zweizimmerwohnung und kamen bestens miteinander aus. Auch Rike studierte Lehramt, hatte aber noch zwei Jahre vor sich, bevor sie ebenfalls ins Referendariat gehen konnte. Seit Kurzem schwebte sie im siebten Himmel, weil sie in einen jungen Polizisten namens Sebastian verliebt war.

„Hi, bin wieder da“, rief sie. Mit wenigen Schritten stand sie in der offenen Tür von Sarahs Zimmer und grinste über das ganze Gesicht. Sarah setzte sich auf und blickte suchend an ihrer Freundin vorbei.

„Bist du allein?“

Seit Tagen machte Rike keinen Schritt ohne Sebastian.

„Ja, Basti muss in die Spätschicht und ich brauche unbedingt eine große Portion Schlaf.“ Sie deutete auf das Telefon, das nach wie vor blinkend und klingelnd auf dem Nachttisch lag. „Willst du nicht rangehen?“

„Nee, lass es bimmeln! Das ist Daniel, wir haben eben genug geredet.“

Das Telefon schwieg.

Rike runzelte die Stirn und kam näher.

„Ihr habt gestritten?“ Sie wirkte ehrlich überrascht. „Wahnsinn! Das habe ich ja noch nie erlebt.“

Stimmt, dachte Sarah ironisch, wie auch, wenn man sich so fremd war.

„Streiten kann man das nicht nennen. Ich würde eher sagen, das war’s.“

Sarah berichtete ihrer Freundin von dem Gespräch mit Daniel und ging mit ihr in die Küche, um Kaffee zu brühen.

„Was hast du jetzt vor? Fährst du trotzdem nach Spanien?“

Rike holte die Milch aus dem Kühlschrank.

„Nee, auf gar keinen Fall. Erstens hat Daniel alles gebucht und außerdem kann ich mir das allein nicht leisten.“ Sie stutzte.

„Mist, jetzt hab ich den Job im Bistro schon gekündigt. Aber, ach, da will ich auch nicht mehr hin.“

Rike nickte verständnisvoll und setzte sich Sarah gegenüber an den kleinen Tisch.

„Wegen Martin? Hat er immer noch nicht kapiert, dass er nicht bei dir landen kann?“

„Das kapiert der nie“, winkte Sarah ab. „Egal, dann suche ich eben was anderes. Ich werde verrückt, wenn ich mir sechs Wochen lang einen Kopf wegen meines verkorksten Lebens machen soll, ohne was tun zu können …“

„Sechs Wochen!“ Rike riss die Augen auf und hielt für einen Moment die Luft an, bevor sie japsend weitersprach. „Das ist mein Stichwort! Mensch Sarah, das gibt’s nicht. Du bist meine Rettung!“, rief sie und riss die Arme in die Luft, so als hätte sie gerade den Weltrekord im Hochgeschwindigkeitsdenken gebrochen. Sarah konnte ihre Mitbewohnerin nur erstaunt ansehen. Doch dann dämmerte es ihr. Rikes begeisterte Berichte über das Waldecker Hofgut fielen ihr wieder ein. Seit der Teenagerzeit half sie jedes Jahr während der Ferienzeit auf einem Reiterhof im Waldecker Land aus. Sozusagen als Mädchen für alles, aber im Besonderen sorgte sie für die Verpflegung der kleinen Gäste. Als Arbeit konnte man die Betreuung von Kindern und Jugendlichen kaum bezeichnen. Die Beschäftigung als Küchenhilfe und Zimmermädchen war überschaubar und wurde gut bezahlt. Rikes Familie kam aus dem kleinen Ort in der Nähe des Edersees. Schon ihre Mutter hatte hin und wieder auf dem Gut ausgeholfen. Es war also nicht ganz einfach für sie, diesen Einsatz so kurzfristig und kommentarlos zu streichen. Doch Rike wollte um jeden Preis die Ferien mit Sebastian verbringen. Sie glaubte, ihrer großen Liebe begegnet zu sein.

Augenblicklich sprang sie auf und lief in die Diele, wo ihre Tasche stand, kam mit dem Handy zurück und umarmte Sarah.

„Was bin ich froh. Seit Tagen wähle ich mir die Finger wund. Keine Chance, dass irgendjemand Zeit hatte, mich zu vertreten. Yippie! Ich könnte die ganze Welt umarmen.“

Erschrocken hielt Rike inne und schlug sich die Hand vor den Mund.

„Entschuldige! Ich bin taktlos, schließlich hast du gerade eine Trennung hinter dir und ich denke nur an mich.“

Sarah zuckte mit den Schultern und winkte verständnisvoll ab.

„Halb so wild, ich wundere mich selber, wie cool ich bin, aber dich hat’s ja ganz schön erwischt.“

Rikes Gesichtsausdruck wandelte sich von zerknirscht auf verwundert. „War das am Anfang mit Daniel und dir nicht auch so?“

„Du meinst, ob wir tagelang nicht aus dem Bett gekommen sind und so?“

„Zum Beispiel.“

„Nein, nicht wirklich.“ Sarah runzelte die Stirn und zuckte abermals mit den Schultern. „Daniel ist nicht so triebhaft. Es war natürlich mehr als in den letzten Monaten, aber so wie bei euch war es nicht.“

„Und du hast nichts vermisst?“ Rike schüttelte fassungslos den Kopf. „Ein Glück, dass der nach Amerika muss“, murmelte sie und sprach dann wieder lauter. „So nüchtern, wie du über Sex mit Daniel redest, könnte man meinen, ihr hättet eine wissenschaftliche Studie darüber verfasst. Was du brauchst, ist ein anständiger Kerl, ein guter Lover. Verstehst du?“ Rike sah sie beschwörend an. „Damit du weißt, wovon ich rede. Du hast ja keine Ahnung, was du verpasst.“

„Wenn du meinst?“ Sarah nickte nur, war jedoch unentschlossen. Ihrer Meinung nach war ihr nichts entgangen. Sehr viele Vergleiche konnte sie allerdings auch nicht vorbringen. Nach Rikes Schilderungen zu urteilen, konnte der Sex mit Daniel also nicht besonders spektakulär gewesen sein, sinnierte sie. Anscheinend waren sie über die Mittelmäßigkeit nicht hinausgekommen. Bestimmt war Rike einfach nur ein viel heißblütigerer Typ, mutmaßte Sarah und starrte in ihre Kaffeetasse. Aber woran erkannte man, ob jemand leidenschaftlich war? Tatsächlich zeigte Rike, wenn es um Sebastian ging, ganz neue Seiten, denn ansonsten war sie eine eher bodenständige und realistische Person. Im letzten Sommer, konnte sich Sarah erinnern, war ein Tobias der erklärte Favorit ihrer Freundin gewesen, was den Job auf dem Reiterhof aber nicht infrage gestellt hatte. Ein Danach gab es nicht mehr, weil Tobias keine kalten Betten mochte. Rike hatte das mit Fassung aufgenommen. Seltsam. Bei Sebastian schien jetzt alles anders zu sein. Sarah betrachtete Rike eindringlich und schüttelte dann über die eigenen Gedanken den Kopf. Schluss damit, es gab Wichtigeres, als über Beziehungen und Sex nachzudenken.

Unterdessen tippte Rike eine Nummer in die Tastatur ihres Mobiltelefons. Kurz darauf begrüßte sie erfreut eine Maritta. Mit wenigen Worten erklärte sie die Situation und schilderte Sarahs Küchenfertigkeiten sowie ihren Werdegang. Im Nu war alles geklärt.

„Samstag um 10 musst du da sein.“

2.

Hendrik von Freyenhof bog mit dem Jeep auf den Zufahrtsweg zum Gut ein, als sein Handy am Armaturenbrett in der Freisprechhalterung klingelte. Bounty, die Bordercolliehündin seines Vaters, die er für die Zeit seines Reha-Aufenthaltes in Obhut hatte, begann sofort aufgeregt zu bellen und sprang wie wild hin und her.

„Ruhig jetzt, Bounty. Aus.“

Im Display las er Hannelore, den Namen seiner Mutter. Hendrik verzog ärgerlich das Gesicht. Was war denn jetzt wieder? Seit sein Vater vor drei Tagen mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus gekommen war, ging das schon so. 

„Mama, was gibt’s? Ich bin gleich da, stehe sozusagen schon vor der Tür.“

„Gut, ich wollte nur sichergehen, dass du unsere Besprechung nicht vergisst.“

„Nein, natürlich nicht. Wie auch? Es ist heute das dritte Mal, dass du mich daran erinnerst.“

„Entschuldige, aber ich weiß doch, an was du alles denken musst“, versuchte sie, sich zu rechtfertigen.

„Es gab im Sägewerk noch Probleme mit der Hebebühne, deshalb bin ich etwas später.“

„Gut. Wir sind im Arbeitszimmer. Bis gleich.“

Hendrik, der inzwischen das Gelände des Hofes erreicht hatte, parkte und ließ Bounty aus dem Jeep springen, bevor er die wenigen Treppenstufen des Haupthauses hinaufeilte. Eine Besprechung. Bisher hatte man Familienangelegenheiten beim gemeinsamen Essen, das an den meisten Tagen abends eingenommen wurde, besprochen. Als wenn dafür jetzt Zeit wäre. Hendriks Blick streifte flüchtig das u-förmig angelegte, weitflächige Anwesen mit seinen altehrwürdigen Fachwerkgebäuden, deren Mauern teilweise bis in das 17. Jahrhundert zurückreichten. Gut Freyenhof zählte zu den größten in der ganzen Region. Einst galt es, insgesamt 750 Hektar Wald- und Freiflächen zu bewirtschaften. Mittlerweile waren Teile der Ländereien verpachtet oder auch verkauft. Die Forstwirtschaft stellte die größte Einnahmequelle dar. Doch das reichte nicht, um das Familienerbe zu bewahren. Schon in den 1980er Jahren hatte sein Vater Hans-Hermann, mit Zustimmung seines Großvaters Wilhelm-Konrad, die unrentable Landwirtschaft in weiten Teilen aufgegeben und den Betrieb umstrukturiert. Die alten Gemäuer wurden modernisiert und zu einem Gestüt mit Reiter- und Ferienhof aus- und umgebaut. Ein weiteres, stattliches Haus, das etwas außerhalb des Hofgebäudes stand und früher als Gesindehaus diente, wurde bereits in den 1950er Jahren zu einem Hotel mit Restaurant umfunktioniert. Und nun stand Hendrik seit dem Abschluss seines Studiums vor einem Jahr seinem Vater im Betrieb voll zur Seite, wobei sein Hauptaugenmerk auf der Bewirtschaftung des Waldes mit dem dazugehörigen Sägewerk lag, denn das hatte er studiert.

Er betrat das nach westfälischer Art erbaute Herrenhaus. Das Gebäude beeindruckte allein schon wegen seiner Größe. Rechteckig, geradlinig, schnörkellos und trotzdem imposant. Aus jeder Ritze sprach Geschichte. Eilig durchquerte er die großzügige Diele und betrat das Büro seines Vaters. Bounty immer vorweg. In dem mit Eichenholz ausgestatteten Raum fühlte man sich zurückversetzt in eine längst vergangene Zeit. Der schwere Schreibtisch aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts beherrschte den Raum ebenso wie die mit Büchern und Akten gefüllten Regale an den Wänden. Das einzige Zugeständnis an die Neuzeit war der Computer, gefolgt vom Faxgerät, Kopierer und Drucker. Dem gegenüber stand ein Ledercouchensemble im englischen Stil mit passendem Tisch. Durch das Fenster konnte man die Pferdeweiden sehen. Bounty, die sofort schwanzwedelnd auf Eike zulief, der mit Dorit auf der bequemen Couch saß, wollte sich ihre Streicheleinheiten abholen. Vor Dorits Füßen rollte sie sich schließlich zufrieden zusammen und verfolgte das Geschehen um sie herum mit wachsamen Blicken. An den Wänden hingen Urkunden, Auszeichnungen und Ölgemälde, auf denen vor allem Pferde zu sehen waren. Einmal mehr eine Veranschaulichung der langen Tradition des Gestüts. Hannelore, die ihn hereinkommen sah, legte den Telefonhörer aus der Hand und kam auf Hendrik zu.

„Setz dich, ich will euch von eurem Vater berichten. Ich war heute Morgen im Krankenhaus und habe eben nochmal mit der Stationsschwester telefoniert.“

Wortlos setzte er sich zu seinem Bruder und dessen Frau, während Hannelore auf und ab ging, bis sie abrupt stehenblieb.

„Gott sei Dank.“ Sie presste eine Hand auf ihr Dekolleté und holte tief Luft. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass es eurem Vater schon wieder viel besser geht. Er hat nicht, wie anfangs vermutet wurde, einen Herzinfarkt, sondern nur Angina Pectoris, was eine Art Verkrampfung des Herzens ist.“

„Ach wie schön.“ Dorit umarmte ihre Schwiegermutter. „Darauf haben wir gehofft. Aber wie geht’s jetzt weiter?“

Auch die Brüder waren aufgestanden und drückten ihre Mutter liebevoll.

„Danke Kinder, ich weiß, dass ihr euch genauso viele Sorgen gemacht habt wie ich. Euer Vater geht morgen für mindestens drei Wochen nach Rotenburg zur Reha. Wie ihr euch vorstellen könnt, kommt sein Zustand nicht von ungefähr. Die vielen Verpflichtungen und Termine. Ja, und ich weiß auch, was ihr dazu sagen wollt, er wollte ja auch nicht kürzertreten. Gut, das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Die Ärzte haben ihm gehörig den Marsch geblasen. Doch nun müssen wir mit den Aufgaben, die anstehen, ohne ihn fertig werden.“

Hendrik, Eike und Dorit setzten sich wieder und Hannelore nahm ihnen gegenüber Platz. Sie holte tief Luft und jeder wusste, woran sie dachte. Wie jedes Jahr um diese Zeit stand das Springturnier mit Auktion an. Außerdem musste die erste Welle von Ferienkindern bewältigt werden, die am Sonntag anreisen würden.

Hans-Hermann von Freyenhof war ein leidenschaftlicher Reiter und Pferdezüchter. Als junger Mann war er so erfolgreich gewesen, dass er es sogar bis in die Reihen der Olympioniken geschafft hatte. Doch besonders stolz war er auf das über die Grenzen des Landes hinaus bekannte, internationale Springturnier, das jährlich auf dem Gut stattfand.

„Die Unterbringung und Bewirtung ist bereits in trockenen Tüchern“, meldete sich Eike zu Wort. „Das zusätzliche Personal ist schon angeheuert. Also für meinen Teil kann ich sagen, wir sind gerüstet.“

Hendrik betrachtete die beiden neben sich, die so zufrieden wirkten. Eike, mit seinen dreiunddreißig Jahren vier Jahre älter als er, wusste seit seiner Jugend, dass er Sternekoch werden wollte. Nach der Ausbildung in einem Spitzenrestaurant in Kassel absolvierte er weitere Schulungen fürs Hotelmanagement, wo er dann die Konditorin Dorit kennen- und lieben lernte. Die beiden waren seit vier Jahren ein Paar und hatten im vergangenen September geheiratet. Von Anfang an stand für seine Eltern fest, dass damit die Zuständigkeiten auf dem Gut klar geregelt waren. Hendrik dagegen sprang überall mal ein, selbst im Hotel half er hin und wieder aus, wenn Not am Mann war.

Ein wenig über die Selbstzufriedenheit seiner Bruders verärgert, zog er die Augenbrauen hoch und räusperte sich. „Ja, leider kann ich das von mir noch nicht sagen. Mir war klar, dass das jetzt alles auf mich zukommt. Aber es ist schließlich das erste Mal, dass ich mich um die Organisation kümmern muss. Bisher habe ich Vater nur dabei geholfen, wenn es zeitlich mit meinem Studium passte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mit Uwe Ritter habe ich schon gesprochen. Er wird das Sägewerk für die nächsten drei Wochen weitgehend ohne mich leiten. Die Waldarbeiter wissen auch Bescheid.“

„So war das doch nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, dass ich für das, was in meiner Verantwortung liegt, vorbereitet bin.“ – Eike hob beschwichtigend die Hand. „Ich habe vom Turnier keine Ahnung und wüsste gar nicht, wie ich dir dabei helfen könnte.“

Hannelore sah die Brüder eindringlich an und Eike schwieg.

„Bitte, keine Diskussionen jetzt. Das Letzte, was wir brauchen können, ist Streit.“ Sie wandte sich Hendrik zu. „Ich habe mir darüber auch meine Gedanken gemacht. Wir müssen uns nichts vormachen. Selbst wenn euer Vater jetzt zurückkäme, könnte er nicht da weitermachen, wo er aufgehört hat. Das wird wahrscheinlich in dieser Form gar nicht mehr möglich sein. Außerdem werde ich es nicht zulassen, dass er seine Gesundheit noch einmal so gefährdet. Hendrik, es verlangt niemand von dir, dass du alle Aufgaben deines Vaters eins zu eins übernehmen sollst. Das ist unmöglich.“ Hannelores Lippen umspielte ein Lächeln. „Tja, und weil das so ist, habe ich Gesine angerufen und sie um Hilfe gebeten." Sie machte ein zufriedenes Gesicht, als sie weitersprach. „Gesine ist wirklich ein sehr nettes Mädchen, pardon, eine junge Frau, und sie war sofort einverstanden. Sie hat mir versprochen, überall einzuspringen, wo Not am Mann ist. So, das ist meine Überraschung. Nun müssen wir alle Aufgaben nur noch neu verteilen.“

Die Brüder sahen sich entgeistert an. Und Dorit, die das beobachtete, hob fragend die Augenbrauen und sah ihren Mann vielsagend an.

„Hältst du das wirklich für notwendig?“ Hendrik, der nicht länger die Ruhe hatte, auf dem Sessel auszuharren, stellte sich vor seine Mutter. „Hat sie nicht mit ihrem Job schon genug zu tun?“, rief er um Beherrschung bemüht. „Soviel ich weiß, greift sie ihrem Vater bei der Büroarbeit unter die Arme. Ich bin sicher, wir kriegen das auch ohne sie hin.“

Entschlossen sah Hannelore zu ihrem Jüngsten auf. Hendrik bemerkte die Falte, die sich über ihrer Nasenwurzel bildete. Ein sicheres Zeichen, dass sie keinen seiner Einwände gelten lassen würde. Wie immer hatte sie bereits entschieden. Resigniert suchte er nach der Hündin und wandte sich zum Gehen.

Eike und Dorit, die die Szene schweigend beobachtet hatten, erhoben sich und gingen zur Tür. Eike hob die Hand. „Die Arbeit wartet, oder war noch was Wichtiges?“

„Nein, das war’s fürs Erste. Wir sehen uns später.“ Hendrik, der bereits die Klinke der noch offenen Tür in der Hand hielt und hinter den beiden hergehen wollte, wurde von seiner Mutter aufgehalten.

„Warte. Mach noch mal zu. Ich merke doch, dass du ein Problem mit Gesine hast.“

Einen Seufzer unterdrückend schloss er die Tür und musterte seine Mutter kühl. „Ich hab gar kein Problem mit ihr, dafür ist sie mir nicht wichtig genug. Ich bin nur der Meinung, dass Fremde keinen Einblick in unsere Interna haben sollten, das ist alles.“

„Aber sie ist doch keine Fremde. Unsere Familien sind seit Ewigkeiten miteinander befreundet. Das weißt du doch. Warum bist du so misstrauisch?“

Er ignorierte die Frage, weil er keine Lust hatte, das Gespräch unnötig in die Länge zu sehen. „Das sehe ich anders. Wir brauchen ihre Hilfe nicht, genauso wenig, wie sie die unsere brauchen. Als Onkel Friedrich vor zwei Jahren so schwer erkrankt war, wurde da einer von uns um Hilfe gebeten? Oder, viel wichtiger, hast du schon Einsicht in ihre Bücher bekommen? Nein, weil sie es allein geregelt haben und genau das sollten wir auch tun.“

„Gut, ich verstehe deine Bedenken. Ich werde darüber nachdenken, aber sie ist bereits auf dem Weg hierher, und wenn sie sich nützlich machen will, freue ich mich und das solltest du auch. Ich versichere dir, sie wird nur den Einblick bekommen, den ich ihr gewähre.“

3.

„Wie fühlst du dich?“ Rike, die Sebastians Golf Richtung Reiterhof steuert, sah sie kurz von der Seite an.

„Alles okay. Vielleicht ein bisschen müde. Ich kann im Moment nicht so gut schlafen. Aber das gibt sich wieder.“

„Bist du sicher? Ich meine, schließlich habe ich dich ziemlich überrumpelt. Wenn ich es mir recht überlege, hast du gar nicht richtig ja dazu gesagt, dass du den Job übernehmen willst." Rike machte ein zerknirschtes Gesicht. „Es ist nur … ich bin so froh, dass du für mich einspringst.“

Sarah, die sich sehr wohl an ihre Zustimmung erinnerte, konnte sich nicht verkneifen, Rike ein wenig zu foppen. Sie legte den Finger an die Stirn und verdrehte die Augen. „Ja richtig, jetzt wo du’s sagst … eigentlich bin ich mir nun doch nicht mehr so sicher, was ich will. Nach so einer Trennung, da kann man schon mal ein bisschen verwirrt sein.“ Sarah grinste von einem Ohr zum anderen, als sie das erschrockene Gesicht ihrer Freundin betrachtete.

„Oh du …“, Rike klatschte Sarah freundschaftlich aufs Bein.

„Au! Geht man so mit Menschen um, die einem aus der Patsche helfen? Klar will ich dahin“, rief Sarah. „Ich bin froh, dass ich zu Hause rauskomme. Natürlich wäre ich jetzt lieber auf dem Weg zum Flughafen, aber … ach, was soll’s. Ist dann jetzt eben so, gibt Schlimmeres.“

Rike stieß erleichtert die Luft aus. „Genau, so will ich dich hören.“

Kurze Zeit später bogen sie in die Hofeinfahrt von Gut Freyenhof ein. Nachdem sie sich herzlich von Rike verabschiedet hatte, blieb Sarah kurz stehen und sah sie um. Staunend, wie riesig sich das Gehöft präsentierte. Vor einem pyramidenförmigen Treppenaufgang ließ sie Reisetasche und Rucksack auf den Boden fallen. Wow, sie musste an die Bilder denken, die ihr durch den Kopf geflogen waren, als Rike ihr von dem ‚Hof‘ erzählt hatte. Die konnte sie jetzt getrost alle vergessen. Das hier war mindestens drei Nummern größer und erinnerte sie an alte Filme, in denen es hochherrschaftlich zuging. Sie drehte sich noch einmal kurz zu Rike um, die bereits zur Straße fuhr.

Sarah schnappte sich ihr Gepäck und ging weiter. Der Geruch von Pferdemist kroch ihr in die Nase und sie beobachtete, wie einige der edlen Vierbeiner ihre Köpfe aus den halboffenen Stalltüren steckten. In der Mitte der zum Teil gepflasterten Fläche des Innenhofes machte Sarah ein ovales Rasenstück mit einer mächtigen Eiche aus. Eine steinerne Bank und ein Brunnen unterstrichen die ländliche Idylle perfekt. Vor den Ställen beobachtete sie, wie drei Mädchen im Teenageralter Ponys striegelten. Sicher konnten die ihr helfen, den Weg ins Personalbüro zu finden. In der Eile hatte Rike versäumt, ihr zu erklären, wo sie hin musste. Doch bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte, hörte sie: „Hallo, du musst Sarah sein!“ Sarah drehte sich überrascht um und blickte auf eine sympathisch wirkende Frau mit brünetter Kurzhaarfrisur, die aus der Tür direkt neben dem Hauptgebäude gekommen zu sein schien.

„Ja, die bin ich, dann sind Sie bestimmt Maritta, oder?“

Die Frau streckte ihr die Hand entgegen und unterzog Sarah einer schnellen Musterung. „Ja, ich bin Maritta Ritter.“ Sie machte eine kurze Pause, so, als wollte sie Sarahs Reaktion auf ihren Namen abwarten. Dabei fiel Sarah auf, dass ihr Gegenüber das R in einer Form aussprach, nämlich intensiv rollte, wie es die Nordhessen üblicherweise nicht taten. Dennoch ließ sie sich nichts anmerken und lächelte weiter höflich.

„Klingt ein bisschen schräg, ich weiß.“ Maritta zuckte mit den Schultern. „Aber die Männer wählt man nun mal nicht nach dem Namen aus. Und bitte, du musst mich nicht siezen. Wir werden die nächsten Wochen hoffentlich gut zusammenarbeiten und da ist das Du einfach besser.“

Rike hatte nicht zu viel versprochen. Maritta schien in Ordnung zu sein. Sarah betrachtete ihr Gegenüber genauer. Eine Frau, die gleich auf den Punkt kam. Sie war drahtig, ein bisschen burschikos und anscheinend kam sie nicht von hier. Sarah ließ Marittas Hand wieder los.

„Ich soll dir schöne Grüße von Rike ausrichten. Sie hatte leider keine Zeit mehr, um dich zu begrüßen.“ Sarah warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „In knapp zwei Stunden fährt ihr Zug, der sie nach Sylt bringt.“

„Danke. Schade, ich hätte sie gern mal wieder getroffen, aber das ergibt sich bei Gelegenheit. So, dann will ich dir mal alles zeigen.“

Maritta deutete auf Sarahs Gepäck. „Am besten wird sein, wenn wir erst mal deine Sachen wegbringen. Komm mit.“

Maritta schnappte sich den Rucksack und ging voraus. Sarah folgte ihr mit der Reisetasche und betrat das Gebäude neben dem Haupthaus. Der Weg führte durch einen großen Raum mit vielen Tischen, Stühlen und Bänken. In den Regalen an den Wänden sah man Spiele, Bücher und Bastelutensilien, also alles, was Kinderherzen höher schlagen ließ. Durch die großen, im westfälischen Bauernstil gehaltenen Fenster, die mit einem typischen Holzkreuz versehen waren, kam jede Menge Licht herein, was den Raum freundlich wirken ließ. Gleich nebenan befand sich die riesige Wohnküche. Sarah registrierte erleichtert, dass es auch neben einer modernen Küchenausstattung auch zwei Industriespülmaschinen gab. Wie schon im Speisesaal konnte man von hier aus in den Innenhof sehen.

Maritta blieb stehen. „Das ist für die nächsten Wochen dein Reich. Wir bereiten hier Frühstück, Nachmittagskaffee und Abendbrot für die Ferienkinder zu. Das Mittagessen kriegen wir in Wärmebehältern aus dem Hotel gebracht. Der Raum, durch den wir zuerst gekommen sind, ist Speisesaal und Aufenthaltsraum zugleich. Letzteres nur für die Stunden, in denen die Kinder nicht beim Reiten sind oder wenn es regnet. Abends um halb zehn müssen alle in den Betten sein. Ausnahme ist der letzte Abend, dann findet ein Abschiedsfest statt. Du bist also fast rund um die Uhr im Einsatz, ich hoffe, Rike hat dich darüber informiert?“

„Ja, natürlich. Sie hat es erwähnt. Das ist kein Problem für mich. Ich habe keine anderen Pläne und außerdem bin ich gern mit Kindern zusammen.“

„Schön, alles andere würde auch keinen Sinn ergeben, weil sie dich voll in Beschlag nehmen werden. Es ist gut, wenn du darauf eingestellt bist. Komm, es gibt noch mehr zu sehen.“

Maritta führte Sarah in die Vorratskammer. In hohen Metallregalen, die hintereinander in Reihen aufgestellt waren, befanden sich Töpfe, Brotkörbe und Küchentücher sowie Konserven und Lebensmittel, die nicht gekühlt werden mussten. Zudem gab es noch mehrere Kühltruhen.

Maritta deutete auf das Gestell des mittleren Regals, auf dem obenauf eine riesige Pfanne stand. „Hier musst du aufpassen. Die Regalgestänge sind im Boden und in der Decke verankert. Bei diesem hier hat sich die obere Halterung gelöst. Uwe hat mir seit Längerem versprochen, sie zu reparieren, aber bis jetzt ist er noch nicht dazu gekommen. Sei also vorsichtig … wenn dir das Ungetüm auf den Kopf fällt, hast du eine Gehirnerschütterung.“

„Ich versuche, daran zu denken.“

Maritta winkte sie weiter. Sie liefen durch die Wohnküche, von der aus eine weitere Tür zu einem kleinen Flur mit Treppenhaus führte. Mein Gott, wie groß das alles hier ist, ging es Sarah durch den Sinn. Nach einem Blick aus einem schmalen Fenster erkannte sie, dass sie sich nun im hinteren Teil des Gebäudes befinden mussten, denn sie entdeckte einige Pferde, die auf einer Weide grasten. Maritta öffnete eine von zwei Türen und dirigierte Sarah in ein kleines Zimmer, in dem ein Bett, Nachttisch, Stuhl und Schrank standen. Sarah wusste sofort, dass dies ihre Herberge für die nächsten sechs Wochen sein würde. Ein bisschen erinnerte das Mobiliar an eine Gefängniszelle. Doch wozu hätte man den Raum noch komfortabler ausstatten sollen? Sie würde sich sowieso kaum hier aufhalten. Der Blick nach draußen entschädigte allerdings für die karge Einrichtung. Wieder erwartete sie eine Aussicht auf satte Wiesen, auf denen prachtvolle Pferde weideten.

„Das ist dein Zimmer. Eine Tür weiter findest du eine Dusche mit Toilette, aber das zeige ich dir gleich noch. Am besten, du lässt dein Gepäck hier stehen. Du kannst es später auspacken.“ Maritta ging vor ihr zurück in den Flur und zeigte auf eine Treppe. „Oben sind die Zimmer der Mädchen. Sie haben ihre eigenen Bäder.“

Sarah verschloss die Tür mit dem Schlüssel, den sie von Maritta bekommen hatte. „Es kommen also nur Mädchen? Die Jungs haben am Reiten wohl nicht so das Interesse, was?“

Maritta nickte. „Ja, so könnte man sagen. Aber es ist auch ein logistisches Problem.“

Sarah runzelte die Stirn.

„Wir haben oben vier Zimmer mit je vier Betten“, erklärte Maritta, „und dazu zwei Bäder mit jeweils drei Duschen und sechs Toiletten. Wenn wir Jungs aufnehmen, was auch schon vorgekommen ist, müssen es pro Ferienwoche mindestens vier sein, damit wir einen Raum vollkriegen und ein Bad für sie reservieren können, ansonsten ergibt es keinen Sinn.“

„Hm, verstehe. Und wie viele Mädchen kommen morgen?“

„Wir sind die ganzen Ferien ausgebucht. Jeden Sonntag kommen sechzehn Mädchen zwischen acht und fünfzehn Jahren. Freitagabend ist Abschiedsfeier und Samstag ist Abreisetag. Das ist der anstrengendste Tag. Betten ab- und aufziehen, sauber machen und was sonst noch so anfällt.“

„Wer kauft die Lebensmittel ein?“

„Ich. Meistens mache ich das mittwochs. Du wirst dabei sein. Ich fahre dann nämlich nach Kassel in einen Großmarkt. Du hast keine Ahnung, was die Mädchen für einen Appetit entwickeln, wenn sie den ganzen Tag an der frischen Luft sind.“

Mit zügigen Schritten erklomm Maritta die hölzerne Treppe, die kaum hörbar unter dem Gewicht ächzte.

„Die Zimmer sind in unterschiedlichen Farben gehalten“, erklärte sie weiter, als sie im Obergeschoss angelangt waren. „So finden sich die Kinder besser zurecht. Wir teilen sie nach dem Alter ein, das hat sich bewährt. Hast du schon mal mit Kindern gearbeitet?“

Maritta blieb vor einer offenen Zimmertür stehen und Sarah schlüpfte an ihr vorbei, um den Raum zu betreten, der ganz in Sonnengelb gehalten war.

„Ich habe einige berufsbedingte Praktika im Kinder- und Jugendbereich gemacht. Außerdem habe ich meine Referendarzeit bereits hinter mir.“

Sarah strich über die gelb-weiß gepunktete Bettwäsche. Sie lächelte wehmütig. „So hätte ich als Kind auch gern mal Ferien gemacht. Na ja, schön, dass ich das wenigstens als Erwachsene mal erlebe“, sie sah kurz auf und lächelte. „Hat dir Rike erzählt, dass ich im August eine Stelle als Lehrerin antrete? Vorgestern habe ich die Zusage gekriegt.“

„Nein.“ Maritta war sichtlich überrascht. „Sie hat mir nur erzählt, dass du lange Zeit in einem Bistro gearbeitet hast und deshalb auch mit dieser Arbeit kein Problem haben würdest. Aber viel Zeit zum Reden blieb uns ja leider nicht. Dieser Sebastian muss schon was ganz Besonderes sein, wenn sie für ihn den Job hier sausen lässt.“

„Ja, Sebastian ist ein Schatz und ziemlich sexy dazu, aber vor allem ist er sehr in Rike verliebt. Das könnte richtig ernst werden mit den beiden.“

„Das freut mich für sie. Ich vertraue ihrem Urteil, wenn sie uns jemanden schickt. Vor zwei Jahren hatte sie eine andere Freundin zum Helfen mitgebracht und das klappte auch recht gut. Sonst hätte ich nicht so einfach zugestimmt. Du wirst schon noch sehen, wie anstrengend das hier werden kann.“

Die beiden Frauen gingen den langen Flur entlang, vorbei an weiteren Zimmern in Himmelblau, Moosgrün und Erdbeerrot, um dann zum Treppenhaus zurückzukommen, das sie wieder nach unten zum Aufenthaltsraum führte. Sarah, die hinter Maritta herlief, hatte Mühe, sich all die Türen und Gänge zu merken. Wieder draußen auf dem Hof, begaben sie sich direkt zum Haupthaus.

„So, und jetzt zeige ich dir, wie du zum Büro kommst. Schließlich müssen wir den Freyenhofs sagen, dass du offiziell angekommen bist. Du bekommst einen Arbeitsvertrag und musst natürlich auch versichert werden.“

„Ähm, ich denke, ich sollte dir noch etwas sagen“, zögerte Sarah, als sie hinter Maritta herging.

„Und das wäre?“ Maritta blieb abwartend am Brunnen stehen.

„Ich kann nicht reiten. Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen. Noch nicht mal auf dem Jahrmarkt im Kreis herum", gab Sarah zu bedenken.

Maritta lachte erleichtert auf. „Wenn’s weiter nichts ist. Für die Reitstunden der Kinder haben wir mehrere Mädchen aus dem Dorf. Die sind alle sattelfest. Und bereits alte Hasen im Umgang mit den Kindern. Drei von ihnen konntest du eben schon bei den Ställen sehen. Meine Tochter Saskia wird auch dabei sein. Sie reitet wie der Teufel. Mach dir also deshalb keine Gedanken. Hauptsache, du kommst klar, wenn die Bande im Haus und beim Essen ist.“

„Und ob, darauf kannst du dich verlassen.“

„Siehst du, Probleme werden hier sofort gelöst. Komm! Bringen wir den formellen Teil hinter uns.“

***

Maritta lief mit drahtigen Schritten vor Sarah die pyramidenförmige Treppe zum Haupthaus empor. Die dunkelgrüne Doppeltür aus massivem Holz mit kleinen Scheiben im oberen Bereich und antiken Messinggriffen war unverschlossen.

„Sie wird erst abends verschlossen“, beantwortete Maritta Sarahs wortlose Frage, „das ist einfacher so. Hier ist einfach zu viel los. In die Privaträume der Familie kommt man aber nicht so leicht.“

Sarah konnte nur erstaunt nicken und fand sich in der Eingangshalle wieder. Erinnerungen an Museumsbesuche wurden wach. Beherrscht wurde der Raum von der Treppe, die rechts und links mit gedrechseltem Eichenholzgeländer nach oben führte. Der etwas abgetretene, schwarz-weiß gekachelte Steinfußboden wirkte wie ein riesiges Schachbrett und passte gut zu dem dunklen Innenfachwerk. Eine schwere Eichentruhe stand mit ihren aufwendigen Schnitzereien vor weiß verputzten Wänden. Ernst blickende Ahnen in Öl, die einen mit ihren Blicken zu verfolgen schienen, wechselten sich mit Hirschgeweihen und verschnörkelten Wandleuchten ab. Alles wirkte gediegen, fast hoheitsvoll. Ein bisschen wie bei Königs daheim, sinnierte Sarah nicht ohne Ironie. In der Mitte führte ein Flur zu weiteren Türen, zu denen Maritta sie jetzt dirigierte. In dem Moment, als sie die erste öffnen wollte, wurde sie von innen von einem jungen und ziemlich drahtigen Kerl aufgestoßen, während sich gleichzeitig ein schwarz-weiß gefleckter Hund an ihren Beinen vorbei drängte und sich sofort an Maritta schmiegte. Der Kerl fing an zu lachen, was Sarah veranlasste, zu ihm aufsehen. Manche Menschen schafften es einfach, von der ersten Sekunde an zu beeindrucken, musste sie sich neidlos eingestehen. Verstohlen betrachtete sie den zerzausten dunkelblonden Haarschopf, der aussah, als wäre er gerade mit allen fünf Fingern hindurchgefahren. Seiner Anziehungskraft tat das allerdings keinen Abbruch. Das volle Haar mit dem modern gehaltenen Kurzhaarschnitt verstärkte die jungenhafte und dennoch sehr männliche Ausstrahlung höchsten noch.

„Irgendwann bringt sie mich noch zu Fall, das wirst du sehen!“, quietschte Maritta und machte hastig einen Schritt zur Seite. 

Er zuckte nur lapidar mit den Schultern und verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen, was ihn gleich noch attraktiver machte. „Was soll ich machen? Sie mag dich halt“, lachte er und nahm Sarah in Augenschein. Während er sie aus grau-grünen Augen wachsam fixierte, änderte sich seine Miene schlagartig. Das sympathische Lächeln verschwand.

„Ich sie auch.“ Maritta strich der Hündin lächelnd über den Kopf und deutete auf Sarah. „Darf ich dir Sarah Kunzmann vorstellen? Sie springt für Rike ein.“

Hendrik von Freyenhof streckte ihr die Hand entgegen. „Herzlich willkommen auf Gut Freyenhof“, begrüßte er sie mit dunkler Stimme höflich distanziert. „Die Formalitäten erledigt meine Mutter. Sie wird Ihnen alles Weitere erklären. Ansonsten wenden Sie sich an Maritta.“ Er verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken in Richtung Marittas und folgte der Hündin, die bereits in der Halle schwanzwedelnd auf ihn wartete. Wie ein Bauer sah er jedenfalls nicht aus, registrierte Sarah, die ihm irritiert nachstarrte. Über seine vornehme Abstammung konnten weder die derben Schuhe noch die abgewetzten Jeans und auch das verwaschene karierte Hemd nicht hinwegtäuschen. Diese Art von arroganter Gelassenheit bekam man in die Wiege gelegt.

Mit Formalitäten und überschwänglicher Freundlichkeit hielt sich auch die Baronin nicht auf. Genau wie ihr Sohn begrüßte Hannelore von Freyenhof die neue Aushilfe mit kühler Höflichkeit und nahm sie dabei dezent unter die Lupe.

Ob man sich in diesen Kreisen so verhalten musste?

Obwohl es dafür keinen konkreten Anlass gab, wurde Sarah das Gefühl nicht los, dass die Hofherrin sie nicht mochte. Ach, was soll’s, in sechs Wochen ist es vorbei. Schließlich sollte sie sich mit allen Belangen an Maritta wenden und die, so schien es zumindest, kam mit den Herrschaften doch sehr gut zurecht. Wozu sich also Gedanken machen.

***

Auf dem Weg nach draußen atmete Hendrik erleichtert auf. Allmählich fühlte er sich sicherer mit den neuen Aufgaben und spürte, dass er gut im Zeitplan lag. Die Vorbereitungen für Auktion und Turnier nahmen Gestalt an. Sein Vater würde stolz auf sein Personal sein. Besonders auf Dennis. Mit seiner Erfahrung, die er sich während der Ausbildung zum Pferdewirt und den inzwischen fünf Jahren Gesellenarbeit auf dem Gut angeeignet hatte, entlastete er Hendrik sehr. Es verging kein Abend, an dem Hendrik nicht mit Hans-Hermann telefonierte und war froh, wenn er Positives berichten konnte. Sicher würde es die Genesung seines Vaters schneller vorantreiben, wenn er erfuhr, wie gut Dennis den jungen Warmbluthengst Arthur für die Körung in Form brachte. Gedanklich schon bei seinem nächsten Termin, den er im Sägewerk hatte, trat Hendrik aus dem Schatten der Scheune und beobachtete, wie Maritta mit Sarah die Treppe am Haupthaus herunterkam. Wie wohl seine Mutter auf Sarah Kunzmann reagiert hatte? Sie mochte keine Überraschungen und schon gar keine, die aussahen wie dieses Mädel. Warum auch immer … blonde Frauen hatten es bei Hannelore noch nie leicht gehabt. Außer Cora. An der hatte seine Mutter aus unerklärlichen Gründen einen Narren gefressen.

Natürlich war Hendrik nicht entgangen, wie attraktiv der Ersatz für Rike war, doch von solchen Äußerlichkeiten wollte er sich nicht mehr blenden lassen. Jetzt nicht und zukünftig auch nicht. Als müsste er sich das selbst beweisen, wandte er ruckartig den Blick von ihr ab und beäugte stattdessen den Parkplatz, wo sein Jeep stand. Er schätzte sich glücklich, dass der Trennungsschmerz, den Cora ihm zugefügt hatte, endlich verheilt war. Die Narben juckten zwar noch ein wenig, aber er war über den Berg und darüber war er mehr als froh. Wie von einem Magnet angezogen, wanderten seine Blicke erneut zu den beiden Frauen, die – als würden sie sich bereits ewig kennen – schwatzend über den Hof liefen und dabei so unbeschwert wirkten, dass man neidisch werden konnte. An wen erinnerte ihn diese Sarah nur? Irgendeine Prominente. Wie hieß die fotogene Model-Holländerin noch gleich? Blonde, lange Haare, blaue Augen und eine Figur, die jeden Mann zum Träumen brachte. Sarah war schön. Das ließ sich nicht verleugnen. Zu schön. Und es ärgerte ihn verdammt noch mal, dass er ihretwegen an den größten Fehler seines Lebens erinnert wurde. Egal. Er würde sich für keine Frau der Welt mehr zum Affen machen. Da konnte sie so schön sein, wie sie wollte. Basta!

Während die beiden Frauen den Weg zum Kinderhaus einschlugen – so wurde das Gebäude direkt neben dem Haupthaus genannt, das sich in einer Flucht seitlich daran anreihte – kam Hendrik bei seinem Wagen an. In dem Moment, als er den Schlüssel aus seiner Jeans zog, fuhr ein ihm unbekannter schwarzer Audi TT mit Bravour vor, bremste abrupt ab und stellte sich so vor seinen Jeep, dass es ihm unmöglich wurde, wegzufahren. Hendrik, der nicht glauben konnte, was er sah, schnappte empört nach Luft und Bounty, den das Bremsgeräusch aufgeschreckt hatte, fing lautstark an zu bellen. Schon erstaunlich, was sich manche rausnahmen. Zeit, sich aufzuregen, blieb ihm allerdings nicht. Mit Verwunderung beobachtete er, wie eine junge Frau die Tür des Sportwagens aufstieß, heraussprang und ihm ohne Vorwarnung die Arme um den Hals schlang. Jetzt wurde Bounty erst richtig wütend. Wie wild sprang sie bellend hin und her.

„Hallo Hendrik, da staunst du, was?“, rief die Frau außer Atem und lachte ihn aus großen, hellblauen Augen an. „Kannst du bitte mal den Hund zurückpfeifen? Man versteht ja sein eigenes Wort nicht!“, forderte sie mit einem Zwinkern. Noch immer perplex, nahm Hendrik die Aussage wortlos zur Kenntnis, obwohl er sich doch über diese anmaßende Selbstverständlichkeit wunderte.

„Hey! Freust du dich gar nicht?“, sprudelte es weiter aus ihr heraus. „Ich konnte mich schon einen Tag früher von meiner Arbeit daheim loseisen.“

Aber wie! Hendrik, dem nun klar war, wer ihn da viel zu fest umschlungen hielt, musste einen genervten Seufzer unterdrücken. 

Gesine Baumbach! Bestimmt zehn Kilo leichter und mit neuer Frisur. Da passte auch das Fahrverhalten. Mit einem demonstrativen Blick auf Bounty nahm er ihre Arme von seinem Hals und trat einen Schritt zurück. Besänftigend streichelte er über den Kopf der Hündin, die daraufhin Ruhe gab und überlegte dabei, wann er Gesine das letzte Mal gesehen hatte. Es musste mindestens ein Jahr her sein. „Entschuldige, dass ich dich so überfalle. Du bist auf dem Sprung, wie ich sehe. Da kannst du sicher verstehen, dass ich dich wenigstens noch begrüßen wollte, bevor du fährst. Wir haben uns so lange nicht gesehen.“

„Gesine“, räusperte sich Hendrik, „schon gut, ich bin nur etwas überrascht. Ich hab dich nicht sofort erkannt. Wolltest du nicht erst nächste Woche herkommen?“ Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass er von Maritta und Sarah beobachtet wurde, die vor dem Kinderhaus standen und zu ihm herübersahen. Augenblicklich rückte er noch weiter von Gesine ab.

„Deine Mutter weiß Bescheid, ich hab vorhin mit ihr telefoniert. Sie hat mir das Gästezimmer schon hergerichtet. Ich freue mich doch so, wenn ich helfen kann.“

„Ja, das ist nett, dass du uns unterstützen willst … obwohl es ehrlich gesagt nicht zwingend notwendig ist …“ Hendrik vermied es, sie anzusehen. Er war über den Alleingang seiner Mutter noch immer verärgert. „Allerdings hab ich im Moment keine Zeit, dir das zu erklären. Uwe wartet schon im Sägewerk auf mich. Lass uns heute Abend bei Eike im Lokal was trinken, dann können wir reden. Ich bin sicher, das Abendessen hat Hannelore schon verplant, oder?“

Ob Gesine ihm zustimmte, konnte er nicht sehen, weil er auf seine Armbanduhr sah. Er wusste aber auch so, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Schließlich kannte er seine Mutter. 

4.

„So, jetzt wo wir den offiziellen Teil hinter uns haben, zeige ich dir den Hof.” Maritta marschierte vor Sarah über den Hof und deutete auf einen der schmalen Wege, die zwischen den Gebäuden zu den Weiden führte. „Es ist wichtig, dass du dich auskennst, wenn mal wieder eins von den Mädchen ausgebüxt ist.“

„Kommt das öfter vor?“

„Na ja, kommt darauf an. Die Mädels können manchmal ganz schön zickig sein, besonders die in der Pubertät.“

„Hm, verstehe.“

Während Maritta sie durch die Ställe, die Scheune und am Springreitplatz mit Reithalle vorbeiführte, konnte Sarah nur sprachlos staunen. Aber als sie den künstlich angelegten Schwimmteich, der eingebettet zwischen alten Laubbäumen lag, entdeckte, stieß sie ein verzücktes Seufzen aus.

„Oh Gott, ist das schön hier.“

In dem tropfenförmigen Teich, der in etwa die Größe eines Tennisplatzes hatte, spiegelte sich idyllisch die Nachmittagssonne mit ein paar vereinzelten Wolken. Im hinteren Uferbereich wuchsen sehr anschaulich Schilf und Seerosen, während man von vorne über einen Sandstrand hineinwaten oder seitlich sogar von einem Steg hineinspringen konnte. Einfach fantastisch. Eine offene Holzhütte und ein fest integrierter Grillplatz rundeten das Bild perfekt ab.

„Wahnsinn, da kannst du dir locker den Urlaub im Süden sparen, wenn das Wetter stimmt“, rief Sarah, als sie die Sprache wiedergefunden hatte. „Das ist ja alles riesig hier.“

Sie sah über das Gelände zu den Pferdeweiden, die sich ringsherum ausmachen ließen.

Maritta lächelte wissend. Sie schien diese Reaktion gewohnt zu sein.

„Ja, und jetzt kommt die gute Nachricht. In deiner freien Zeit darfst du die Anlage nutzen, und natürlich auch, wenn du mit den Kindern hier bist. Hinter der Hütte, in einem Schuppen, befinden sich Liegen und Strohmatten. Aber“, Maritta machte eine bedeutungsvolle Pause, „jetzt kommt die schlechte Nachricht: Du hast leider kaum freie Zeit, eigentlich nur samstags, wenn die Bande abgereist ist. Doch vorher müssen die Zimmer und die Bäder gereinigt und die Betten frisch bezogen sein.“

„Ganz klar, erst die Arbeit und dann das Vergnügen.“

„Ich sehe, wir verstehen uns. Behalte einfach immer nur im Hinterkopf, dass wir den Kindern hier einen 5-Sterne-Urlaub bieten. Dafür bezahlen ihre Eltern nicht wenig Geld." Maritta sah auf ihre Armbanduhr. „So, ich glaube, für heute reicht der Rundgang auf dem Gut, du hast bestimmt Hunger, oder?“

„Wenn du mich so fragst, ja, ich könnte jetzt was essen. Das Frühstücksbrötchen von heute Morgen acht Uhr ist verbraucht.“

„Gut. Gehen wir. Ich möchte, dass du bei Kräften bleibst. Aber scheu dich nicht zu fragen, wenn du was wissen willst. Das Gut ist quasi unser zweites Zuhause.“

„Unser?“

„Ja, damit meine ich meinen Mann Uwe, der im Sägewerk arbeitet, unsere fünfzehnjährige Tochter Saskia – ich glaube, die habe ich bereits erwähnt – und unseren dreizehnjährigen Sohn Manuel. Er hilft Dennis oft bei den Pferden.“

„Dann ist das also ein richtiger Familienbetrieb“, stellte Sarah mehr für sich selbst fest.

„Könnte man so sagen, denn auch alle von Freyenhofs sind im Einsatz. Ansonsten wäre das hier nicht zu schaffen.“

Maritta lächelte Sarah aufmunternd zu und ging voraus Richtung Hof. Sarah folgte ihr mit langsamen Schritten. Sie konnte sich einfach nicht sattsehen an so viel Natur, weshalb sie auch nicht bemerkte, dass Maritta einen anderen Weg als den Hinweg wählte. Das Hofgut bot eine Vielfalt an Wegen, die an den Ställen und die Scheunen vorbei zum Hof führten. Irritiert sah Sarah sich suchend um und erblickt die Reithalle, aus der dumpfes Hufgestampfe herüberdrang. Liebe Zeit, dass ein Hof so groß sein konnte. An diese Entfernungen musste sie sich erst noch gewöhnen. Über die halbhohe Mauer der offenen Halle konnte sie eine Frau beobachten, die einen Schimmel longierte, der elegant im Kreis trabte. Fasziniert betrachtete sie die Wölkchen, die aus Sägemehlstaub vor den Hufen des Pferdes aufstiegen. So in Gedanken verloren und ohne nach vorn zu sehen, nahm sie erst durch die warme Atemluft, die ihre Stirn streifte, das riesige Pferd wahr, das plötzlich viel zu nah schnaubend vor ihr stand. Zu Tode erschrocken wich sie keuchend zurück. Noch nie war sie freiwillig einem so großen Tier so nahe gekommen.

„Nur keine Panik, die macht nichts. Bleiben Sie ruhig, damit sie nicht nervös wird.“

Die Stimme gehörte einem Mann ihres Alters in Reithosen, der neben dem gesattelten Pferd auftauchte. Sarah stieß die angehaltene Luft aus.

„Entschuldigung“, stammelte sie, „ich bin wohl in die falsche Richtung gegangen. Eigentlich wollte ich mit Maritta wieder zum Hof zurück.“

Seine blauen Augen blitzten bewundernd auf, als er sie mit unverhohlenem Interesse betrachtete. „Ah, verstehe, du bist der Ersatz für Rike. Hi, ich bin Dennis.“

An Selbstbewusstsein mangelt es dir jedenfalls nicht, dachte Sarah, die seine durchtrainierte Gestalt und die kantigen Gesichtszüge mit den blonden, kurz geschnittenen Haaren registrierte.

„Gut erkannt.“

Anstatt ihr zu antworten, starrte er ihr auf den Busen. „Äh … ja … war nicht so schwer, wenn du Maritta erwähnst.“

„Ah … okay. Ich bin Sarah und danke, dass du das Pferd festhältst.“

„Du hast doch nicht etwa Angst, oder? Das musst du nicht. Das ist Mira und sie ist eine ganz Liebe. Sie hat sich nur erschrocken, genau wie du.“

„Hier bist du!" Maritta kam auf sie zu. „Ich habe dich schon vermisst.“

„Entschuldige", Sarah hob hilflos die Arme und deutete mit einer kreisenden Handbewegung auf ihre Umgebung, „ich war so mit den neuen Eindrücken beschäftigt, dass ich überhaupt nicht bemerkt habe, dass du einen anderen Weg genommen hast.“

„Wenn ich hier bin, muss sich keiner Sorgen machen, da kann nichts passieren“, tönte Dennis selbstbewusst und lächelte Sarah dabei gewinnend an. Augenblicklich sprang ihr Frühwarnsystem für aufdringliche Männer an. Er konnte ja nicht ahnen, dass diese Masche bei ihr auf wenig Gegenliebe stieß. Dennoch wollte sie kein Spielverderber sein.

„Ich werde dich heute Abend in mein Nachtgebet einbeziehen, zum Dank für deine aufopfernde Hilfe“, entgegnete sie trocken und hoffte, dass er die ironische Botschaft verstand.

Maritta fasste Sarah am Arm und zog sie mit sich.

„Ich bin etwas in Eile, weil ich meiner Familie Kaffee und Kuchen versprochen habe. Wir müssen uns also ein bisschen sputen! Die warten bestimmt schon.“

Sicherheitshalber ließ Sarah Maritta auf dem Weg zurück nicht mehr aus den Augen. Gleich darauf betraten sie die Küche im Kinderhaus. Mit ernstem Blick deutete Maritta Sarah an, sich mit ihr an den Personaltisch zu setzen.

„Hör zu, ich möchte dich nicht bevormunden, deshalb versteh das jetzt nicht falsch. Dennis ist ein wichtiger und guter Mitarbeiter und auch ein netter Kollege, aber als Mann noch sehr unreif.“

Sarah verstand. Deswegen der Vorwand mit der wartenden Familie.

„Danke für die Warnung“, winkte sie ab. „Von meiner Seite besteht da absolut keine Gefahr. Mein Bedarf an Männern ist fürs Erste gedeckt, das kannst du mir glauben. Und noch etwas: Ich bin wirklich froh, dass ich hier sein kann. Das setze ich nicht aufs Spiel.“

Maritta hob den Kopf. „Das hört sich nach Problemen an.“

„Nicht mehr.“

„Aha, du bist also solo. Wer hat es beendet?“

„Ich.“

„In den nächsten Wochen hastt du genug Gelegenheit, dich abzulenken.“

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mir das gefällt. Ich bin voll belastbar und selbst überrascht, wie gut ich mit der Trennung klarkomme. Es bestätigt mir nur, dass meine Entscheidung nicht so falsch war.“

„Dann kann’s nicht der Richtige gewesen sein, sonst würdest du’s nicht so leicht nehmen.“ Maritta zog eine Grimasse, die ihr Bedauern ausdrückte. „Komm, lass uns Kaffee kochen. Der Kuchen steht hinten in der Kammer. Kannst du backen? Das wäre gut. Die Kinder lieben Kuchen am Nachmittag.“

Sarah wurde nachdenklich. Rike hatte die Situation ähnlich eingeschätzt. „Ja“, beeilte sie sich zu sagen, „ich kann backen. Sogar sehr gerne.“

„Hm, ich liebe Schokoladenkuchen“, rief sie, als sie mit dem Gugelhupf aus der Vorratskammer kam. „Ich werde die Tage mal den leckeren Nusskuchen meiner Oma backen. Muss mir nur das Rezept von ihr organisieren.“

„Prima. Rezepte kann man nicht genug haben, wenn man jeden Tag backen muss. Aber in der Schublade, vorn im Küchenschrank neben der Spüle, liegen noch mehr Rezepte, die sich schon bei den Kindern bewährt haben. Da kannst du den Nusskuchen mit dazu schreiben.“

***

Der Gaststube Zum edlen Ross sah man auf den ersten Blick nicht an, dass es sich um ein 3-Sterne-Restaurant handelte. Das ehemalige Gesindehaus hatte seine erste Umwandlung zum Landgasthof bereits vor knapp fünfzig Jahren erlebt. Doch Eike und seine Frau hatten mehr aus dem ansehnlichen Gebäude herausholen wollen und es nach ihren Vorstellung renoviert und zu einem Hotel umgewandelt. Das edle Ross durfte nun den Namen ‚Romantikhotel‘ tragen, da es über einen luxuriösen Wellnessbereich bereichert worden war, dem es an nichts fehlte. Über allem lag die Gediegenheit des Gutshofes und des Landadels. Man fühlte sich regelrecht zurückversetzt in die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Trotz des Charmes im Stil der guten alten Zeit mangelte es natürlich nicht an modernem Komfort, auf den anspruchsvolle Gäste in einem Hotel dieser Art Wert legten.