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Bis Oktober 2021 ist für die Familie von Britta Rudnick die Welt mehr oder weniger in Ordnung. Dann aber, mitten im Corona-Lockdown, verschlechtert sich ihr Papas Zustand rapide. Im Winter 2021/22 reihen sich fünf Krankenhausaufenthalte aneinander. Draußen feiern die Menschen wieder, fahren und fliegen in den Urlaub, aber im Krankenhaus herrscht über Wochen ein striktes Besuchsverbot. Papa ist einsam, Ärzte geben widersprüchliche Auskünfte über seinen Gesundheitszustand und empfohlene Therapien. Die Mutter, die Schwestern und Britta fühlen sich ohnmächtig. Anfang März entscheidet die gesamte Familie, ihren Papa nach Hause zu holen. Ein kompetenter, empathischer Arzt empfiehlt eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Die Familie weiß nicht genau, was sie erwartet, wenn sie den schwer kranken Papa zu Hause bis zum Tode pflegt. Sie erlebt eine intensive Phase mit Unsicherheit, Überforderung und Erschöpfung, aber auch mit zauberhaften, innigen und manchmal sogar lustigen Momenten. Dieses Buch erzählt davon, wie Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung und Respekt es einer Familie ermöglichen, dem Vater seinen Wunsch zu erfüllen, zu Hause zu sterben. Es möchte Menschen in einer ähnlichen Situation helfen, indem es Wege aufzeigt, wie Familienangehörige auf ihrem letzten Weg liebevoll begleitet werden können und ein bewusstes Abschiednehmen ermöglicht wird. Im Anhang findet der Leser wertvolle Hinweise und Checklisten zur Vorsorge, Sterbebegleitung und für die Zeit nach dem Tod des Angehörigen.
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Seitenzahl: 263
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vorwort
11.08.2022
11.10.2021 – 15.10.2021 (1. Krankenhausaufenthalt)
3.11.2021 – 9.11.2021 (2. Krankenhausaufenthalt)
9.11.2021 – 03.12.2021 (zu Hause)
3.12.2021 – 10.12.2021 (3. Krankenhausaufenthalt)
10.12.2021 - 16.12.2021 (zu Hause)
16.12.2021 – 05.01.2022 (4. Krankenhausaufenthalt, jetzt: im Klinikum West)
05.01.2022 – 09.02.2022 (endlich wieder zu Hause)
Papa in früheren Zeiten
Es ist schwierig, einen Pflegedienst zu finden
09.02.2022 – 09.03.2022 (5. Krankenhausaufenthalt, jetzt: Klinikum Ost)
Überraschender Besuch im Krankenhaus
Ist Besuchsverbot wirklich sinnvoll?
Endlich ist die Herzklappen-OP
09.03.2022 – 17.05.2022 (zu Hause)
Tine kümmert sich
Häusliche Begebenheiten
Kathrin ist dran
Wir kontaktieren erstmalig den SAPV
Ich bin dran
Auseinandersetzung mit dem Thema Pflege und Sterben
Besuch auf dem Friedhof
Ausflug zu Papas Geburtshaus
Unser Alltag
Ein hilfreiches Hörbuch über das Thema Sterbebegleitung
Kathrin übernimmt wieder
Papa in früheren Zeiten
Ostern steht vor der Tür
Papa in der Tagespflege
Papa ist bei mir zu Hause
Es geht bergauf
furchtbare Tage
18.05.2022 – 17.06.2022
17.06.2022 bis heute (11.08.2022)
Ich habe mich die letzten Wochen mit vielen Freunden, Bekannten und Kollegen über die letzten Wochen vor dem Tod meines Papas unterhalten, auch über die Beerdigung und das Danach.
Bei den Gesprächen haben mir so viele gesagt, dass sie dies und jenes nicht wussten und dass es gut wäre, wenn ich mein Wissen weitergebe.
Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Es sind meine persönlichen Erfahrungen, über die ich berichte, ohne in der Medizin oder Pflege Kenntnisse zu haben.
Ich möchte Menschen helfen, die vielleicht in einer ähnlichen Situation sind, wie wir damals. Menschen, die auch damit hadern, was das Beste für ihre Lieben ist.
Wir wussten auch nicht genau, was uns zu Hause erwartet, wenn wir einen so schwer kranken Menschen wie unseren Papa zu Hause bis zum Tod pflegen. Seinen Wunsch, daheim zu sterben, konnten wir ihm aber erfüllen. Wahrscheinlich niemand möchte alleine ohne Angehörige in einem Krankenhaus oder Pflegeheim mit Notstand an gut ausgebildetem Pflegepersonal sterben, in denen keine Zeit für eine aufwändige Betreuung von Pflegebedürftigen ist. Aber leider sieht die Gegenwart gerade so aus, dass die meisten Menschen in diesen Einrichtungen und nicht zu Hause sterben. Ein Grund ist die Unsicherheit und Überforderung, die für Angehörige damit einhergeht. Im Gegensatz zu früheren Zeiten haben wir heute keine Erfahrungen mehr mit Tod und Sterben. Wir erleben dieses nicht und reden auch nicht darüber. Sowohl die Angehörigen als auch die Sterbenden haben oftmals Angst vor dem Tod. Wer wünscht sich nicht, im Schlaf zu sterben oder einfach tot umzufallen? Dieses war zum Beispiel im Mittelalter ganz anders. Ein plötzlicher Tod wurde als tragisch angesehen. Heutzutage beneidet man Sterbende darum.
Wir müssen wieder lernen, unangenehme und schwierige Gespräche rund um den Tod zu führen. Wir sollten darüber sprechen, wie wir sterben wollen und welche Vorkehrungen vor dem Tod wichtig sind. Hiermit meine ich unter anderem den Abschluss einer Patientenverfügung und Vollmacht, die Frage nach lebensverlängernden Maßnahmen, wo und wie man beerdigt werden möchte, wo man sterben möchte.
Dadurch ist es möglich, sich auf den traurigen Fall vorzubereiten und im Sinne des Verstorbenen fast alles arrangieren zu können. Dieses tröstet ungemein. Wenn wir uns bewusst mit dem Thema „Sterben“ auseinandersetzen, können wir mit dem Tod besser umgehen und fühlen uns nicht mehr so ohnmächtig bzw. unsicher. So fällt es uns vielleicht auch leichter, für einen lieben Angehörigen die letzten Wochen in seinem Leben sterbebegleitend da zu sein, sich um ihn zu kümmern. Auch wenn es nur für eine kurze und auch schwere Zeit ist, ist diese so intensiv, dass sie uns beim Bewältigen des Abschieds hilft. Wir können dem Sterbenden noch so nah sein, ihn wahrnehmen und ihm bis zu seinem Tod respektvoll begegnen.
Ich weiß, wir hatten bei allem Unglück auch viel Glück. Wir hatten Zeit und damit die Möglichkeit, die letzten Wochen mit meinem Vater zusammen zu sein. Es waren so wichtige Wochen. Nicht jeder kann sich das einrichten und sollte in gar keinem Fall dann Schuldgefühle haben müssen, wenn er es nicht leisten kann.
Ich denke, man kann aus meinem Buch erlesen, welchen Prozess unsere Familie die ganzen Monate durchlebt hat. Wahrscheinlich musste alles so sein, denn so war es uns tatsächlich möglich, Papa in Frieden gehen zu lassen.
Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Ärzte die Angehörigen davon in Kenntnis setzen, dass es die Möglichkeit des SAPV gibt. Auch hier sind wir dem Oberarzt des Klinikums Ost noch sehr dankbar für diesen Hinweis.
Es gibt Menschen und Einrichtungen, die einem helfen in der Not. Man muss nicht allein sein. Man muss nur wissen, dass und wo es Hilfe gibt.
Es ist 6:55 Uhr morgens und ich sitze an deinem Grab. Seit Tagen ist es so heiß bei uns, dass es morgens am erträglichsten und auch am schönsten ist, rauszugehen.
Es ist ganz leise hier und so friedlich. Vereinzelt zwitschern irgendwo Vögel, die Sonnenstrahlen funkeln durch die umstehenden Bäume.
Eine Bank steht direkt an deinem Grab. Es ist nicht so, dass ich nicht stehen mag, aber eine Bank an einem Grab stehend lädt zum Verweilen, Nachdenken und Träumen ein. Ich bin froh, dass niemand da ist, der hört, dass ich mit dir spreche, Papa.
Ich muss dir doch alles mitteilen. Von unserem Urlaub habe ich dir ja letzte Woche schon berichtet. Dieses Mal erzähle ich dir von den Kindern, was sie in den Ferien so unternehmen, dass es wieder Probleme mit deinem Mietshaus gibt und dass wir am Wochenende mit Freunden grillen wollen.
Dein Grab ist so schön gelegen auf diesem stillen, hübschen Friedhof in Bad Doberan.
Allein der Weg zum Grab durch die schöne Baumallee ist einmalig. Es sieht alles so malerisch aus. Jedes Mal, wenn ich dich auf dem Friedhof besuche, kommt mir dieser Gedanke, was für ein schöner Ort das hier ist.
Ich habe mich in der Vergangenheit nie um das Aussehen von Friedhöfen geschert. Sicher, es gibt Leute, die spazieren gerne auf Friedhöfen oder besichtigen auch im Urlaub welche, aber zu diesen Leuten gehöre ich nicht. Eher machte ich einen Bogen um sie, fand sie bisher auch ein wenig suspekt, was vielleicht auch daran liegt, dass ich mit Friedhöfen nie etwas Positives verband.
Friedhof habe ich stets im Zusammenhang mit Tod gesehen und der ist ja grundsätzlich nicht schön, eher traurig. Ich habe aber auch keine Erfahrungen, da ich außer deiner Mutti, also Oma, kaum Menschen persönlich kenne, die gestorben sind.
Dein Urnengrab ist (zurzeit noch provisorisch) von uns mit Eisbegonien, Nelken, Lavendel, Sonnenhut und Geranien angelegt. Die Farben Gelb, Lila und Rosa harmonieren und sehen fröhlich aus.
Es sieht hübsch aus, da alles schön blüht.
Es ist gar nicht so lange her, dass ich mit dir selbst ganz in der Nähe hier stand. Wir suchten das Grab von deinem Abiturfreund Peter B.. Da das Friedhofsgelände ein bisschen holprig ist und mit deinem Rollstuhl nicht überall befahrbar war, habe ich dich gleich hier in der Nähe „geparkt“ und das Grab von Peter B. alleine gesucht und endlich auch gefunden. Es befindet sich ca. 20 m von deinem Grab entfernt. Ich teilte dir das mit und ging auf dich zu, als du zufrieden in deinem Rollstuhl zu mir sagtest, dass dies doch ein schöner Platz wäre.
Der Steinmetz braucht fünf Monate für die Fertigstellung deiner Grabplatte und des Grabsteins. Darauf warten wir alle noch.
Dein Name mit Geburts- und Sterbedatum steht bis dahin auf einem Holzkreuz. Irgendjemand muss hier gewesen sein, denn es wurde eine Vase mit Blumen neben dein Kreuz gestellt. Wahrscheinlich deine Schwester Irmtraud, denke ich bei mir.
Ich muss grinsen. Vor deinem Kreuz liegt ein Apfel. Den hat Kathrin am Sonntag dort hingelegt. Mit Äpfeln verband dich und letztendlich auch uns als Familie sehr viel …
Apropos meine Familie:
Kathrin ist meine älteste Schwester, ist verheiratet mit Arne, hat zwei Söhne namens Jan und Hannes und wohnt in Berlin. Sie ist 57 Jahre alt, hat eine eigene Steuerberatungskanzlei in Berlin, arbeitet gefühlt rund um die Uhr, gerne auch bis 2:00 Uhr nachts und ist immer für die Familie da. Sie und auch Arne haben sich in den letzten Jahren am meisten um unsere Eltern gekümmert, sei es, dass sie Reparaturen in unserm Elternhaus ausgeführt, Steuererklärungen und sonstigen Schriftkram erledigt haben.
Kathrin alias Katschebum wird auch liebevoll von uns als „Paparazzi der Familie“ bezeichnet. Egal wo sie ist, sie fotografiert und filmt alles. Kathrin toppt jeden asiatischen Touristen. Bei den vielen Fotos, die unsere Familie dabei regelmäßig von ihr erhält, sind aber wirklich sehr schöne Aufnahmen dabei. Sie hat tatsächlich ein Händchen für gute Motive.
So oft haben Kristina und ich schon zu ihr gesagt, dass sie ihren Beruf aufgeben, Fotograf werden könnte oder zumindest Fotokalender erstellen lassen sollte.
Kathrin liebt die Farbe Rot und Klatschmohn. So manches Kleidungsstück trägt sie in dieser Farbe oder mit diesem Motiv. Sie ist ca. 1,72 m groß, nicht mehr ganz schlank, aber auch nicht dick und lässt sich ihre schulterlangen Haare regelmäßig dunkel färben.
Kristina ist meine zweite Schwester. Wir nennen sie alle nur Tine. Sie ist verheiratet mit Arnaud und hat ebenfalls zwei Söhne namens Karl und Edouard. Sie ist 53 Jahre alt und wohnt in Paris.
Dadurch ist es ihr nicht so oft möglich, unsere Eltern zu besuchen. Sie hat aber jeden Sonntag feste Telefonzeiten mit unseren Eltern bzw. mit meiner Mutti, wo sie dann stundenlang die Leitung blockieren.
Vor kurzem hat sie ein Studium der Innenarchitektur abgeschlossen und ist darin nun selbständig tätig. Zuvor hat sie jahrelang bei einem renommierten Automobilkonzern in Paris als Wirtschaftsingenieurin gearbeitet.
Tine kann fast alles. Sie ist nicht nur technisch begabt, sondern eben auch kreativ und hat einen richtig guten Geschmack. Tine ist auch ca. 1,72 m groß, nicht dünn, aber auch nicht dick und ist eher elegant gekleidet. Sie lässt ihre Haare gerade grau durchwachsen und bindet diese meist zu einem kleinen Zopf zusammen.
Meine Mutti ist dieses Jahr 80 Jahre alt geworden und ist für ihr Alter recht fit und unternehmungslustig. Sie ist ein eher sportlicher Typ mit kurzen grauen Haaren, die gerne Jeans trägt und recht modern für ihr Alter gekleidet ist. Sie versucht fast alle erforderlichen Besorgungen, wie Einkaufen, Erledigungen bei der Bank oder Friseurbesuche mit ihrem E-Bike zurückzulegen. Sie macht in ihrer Freizeit viel Sport, achtet auf gesunde Ernährung und hat deshalb eine gute Figur. So mancher Jugendlicher heutzutage kann sich an meiner Mutter ein Beispiel nehmen. Sie ist ein richtiges Arbeitstier. Stundenlang kann sie im Garten rumwühlen, kochen oder den Haushalt auf Vordermann bringen.
Kein Kochrezept in einer Zeitung ist vor ihr sicher. Alles wird herausgeschnitten und in einen der zahlreichen Ordner dafür abgelegt.
Ich kenne außer meiner Mutter keinen Menschen, der alle sechs Wochen seine Fenster putzt.
Sie verwöhnt uns gerne mit neu ausprobierten Gerichten und Kuchen und achtet meistens auch darauf, dass die Zutaten frisch, möglichst aus dem Garten, sind.
Meine Mutti war Lehrerin, was man auch heute noch spürt. Sie hat eigentlich immer recht, zumindest meint sie es zu haben . Aufgrund ihrer jahrelangen Tätigkeit als Lehrerin wedelt sie auch heute noch gerne mit dem Zeigefinger, wenn sie sich in Rage redet.
Sie sagt, was sie denkt. Das ist für uns und vor allem für Leute, die sie nicht richtig kennen, nicht immer einfach. Manchmal kommt es verletzend rüber, was sie sagt. Wir haben sie schon oft darauf hingewiesen, aber da ist nichts zu machen.
Sie hat ihr Herz am richtigen Fleck. Und wirklich. Für ihre 80 Jahre ist sie richtig cool drauf, sagen zumindest auch alle Enkelkinder. Sie ist auch echt hart im Nehmen,
Im Oktober 2020 wurde bei meiner Mutter festgestellt, dass sie eine Bluterkrankung hat, welche seitdem medikamentös behandelt wird. Die Tabletten haben insofern geholfen, als ihre Blutwerte besser geworden sind und die Krankheit somit aufgehalten wurde. Trotzdem muss sie regelmäßig zur ärztlichen Kontrolle und ihre Werte überprüfen lassen.
Seit dieser Zeit klagt meine Mutter eigentlich auch über Rückenschmerzen. Arthrose, Osteoporose und Skoliose kamen, wahrscheinlich altersbedingt, als Krankheiten hinzu. Ich kenne meine Mutter mittlerweile nur noch mit einer Hand auf ihrem Rücken. Wärmekissen oder -pflaster, Physiotherapie und anderes helfen so gut wie gar nicht bei ihr. Die Rückenschmerzen hat sie meistens zu Hause, nicht im Urlaub, was darauf schließen lässt, dass sie einfach körperlich zu viel arbeitet oder dass es psychisch bedingt ist.
Über ihre Krankheiten redet meine Mutter wenig.
Meine Mutti wohnt auf einem Dorf in der Nähe einer größeren Stadt, circa dreißig Autofahrminuten von meinem Haus entfernt. Sie wuppt derzeit ein sehr großes Haus und einen noch viel größeren Garten, in dem alles wächst, was man sich so vorstellen kann.
Um meinen Papa geht es in diesem Buch.
Er ist 84 Jahre alt geworden. Nach vierzig Jahren abwechslungsreichem Arbeitsleben ist mein Papa mit 65 Jahren in Rente gegangen. Er hat immer gerne gearbeitet. Als Rentner hat er sich voll dem Garten, dem eigenen Heim und seinem Mietshaus gewidmet. Er liebte es, alles Mögliche an Pflanzen und Bäumen aufwachsen zu sehen und zu ernten. Irgendwie hat mein Papa aber dabei vergessen, dass wir drei Kinder zum Verzehren seines vielen Obstes und Gemüses nicht mehr im Haus lebten. Und somit war eigentlich immer alles von allem zu viel.
Auch körperlich hat mein Vater bis ins hohe Alter schwer gearbeitet. Mit 80 Jahren ist er noch auf das Dach seines recht hohen Mietshauses gestiegen und hat Dachrinnen gesäubert. Dabei hat er sich nur mit einem Strick am Schornstein festgebunden. Mir wird heute noch schwindelig, wenn ich daran denke.
Er hat armdicke Äste von sehr großen Bäumen abgesägt, schwere Rasenmäher aus einem Pkw-Anhänger rein- und rausgehoben und Apfelkisten geschleppt.
Leider kamen mit Papas Rentenalter auch Krankheiten wie Alterszucker, später Parkinson neben einer schon länger vorhandenen Herzinsuffizienz hinzu. Kurz nach Papas 80. Geburtstag machten auch seine Beine nicht mehr richtig mit, so dass er zeitweise im Rollstuhl saß. Nach einer Kur erholte er sich aber insoweit, dass er mit einem Gehstock oder Rollator laufen konnte.
Mein Papa war in früheren Jahren ca. 1,78 m groß, muskulös, hatte ein markantes Gesicht, nicht mehr ganz so viele Haare auf dem Kopf und war meiner Meinung nach immer eine sehr beeindruckende Erscheinung. Er strahlte immer etwas Liebes und Positives aus, schaute nie griesgrämig oder böse wie manche älteren Leute.
In den letzten Monaten wirkte er jedoch recht gealtert und in sich gefallen, was daran lag, dass er nicht mehr so gut laufen konnte und sich sein ganzer Körper irgendwie veränderte und kleiner wurde.
Nun zu mir - Britta:
Ich bin dieses Jahr 50 Jahre alt geworden, verheiratet, habe zwei Töchter namens Henrikje (alle nennen sie nur Ricky) und Alina. Mein Mann heißt Mario und ist auch Steuerberater. Wir treiben gerne Sport. Der Traum meines Mannes ist die Teilnahme an einem IronMan auf Hawaii.
Ich arbeite als Betriebsprüfer beim Finanzamt, weshalb man mich lieber von hinten als von vorne oder gar nicht sieht .
Wir wohnen im schönen Bad Doberan, lieben es, Fernreisen zu machen, gehen gerne tanzen und treffen uns mit Freunden. Ich bin schlank, ca. 1,68 groß und trage lange, blond gefärbte Haare.
Kurzum, ich würde unsere Familien als recht tough und „im Leben stehend“ bezeichnen. Wir alle haben das Rüstzeug, um die vielen großen und kleinen Herausforderungen im Leben zu meistern, packen es an und haben keine Angst vor diesen. Wir haben nicht immer die gleiche Meinung zu bestimmten Themen, akzeptieren uns aber eigentlich so, wie wir sind.
Bis letztes Jahr Oktober war für uns alle die Welt mehr oder weniger in Ordnung. Die Folgezeit sollte uns aber lehren, dass es Herausforderungen gibt, die auch unsere Familien belastet und teilweise auch überfordert haben.
Meine Eltern waren im September noch für eine Woche auf der Insel Hiddensee, wohin Tine sie sowohl gebracht als auch zurückgeholt hatte. Mein Papa war mit seinem Handstock nicht besonders gut zu Wege. Das war keine Überraschung für uns, da er seit ungefähr drei Jahren mit dem rechten Bein Probleme hatte. Oftmals knickte er weg. Nach dem Hinweis von einem Arzt auf einer Kur in Prerow legte Papa sich einen Rollator zu. Diesen besorgte ihm Kathrin.
Mein Vater war mächtig stolz auf diesen Rollator, denn er ging mit dem Ferrari unter den Rollatoren, nämlich einen nur fünf Kilogramm leichten Carbon-Rollator, der nicht nur leicht, sondern wirklich funktional, sicher und laufergonomisch war.
Schon das gesamte Jahr 2021 hat mein Vater gehustet. Während des Sprechens waren seine Hustenattacken besonders heftig. Weil es immer schlimmer wurde, baten wir meinen Vater, den Husten von seinem Hausarzt Dr. Oswald abklären zu lassen.
Im Oktober überweist Dr. Oswald meinen Vater in ein Krankenhaus. Dort wird Wasser aus der Lunge punktiert. Nach 5 Tagen kann mein Papa das Krankenhaus verlassen.
Nur vierzehn Tage später werden die Hustenanfälle meines Vaters und jetzt auch die Atemnot so stark, dass Herr Dr. Oswald ihn ein weiteres Mal ins Krankenhaus überweist. Ich fahre meinen Vater ins Krankenhaus, aber zuvor will er unbedingt noch Folgendes erledigen: seine Äpfel aus dem Garten zur Mosterei nach Satow bringen.
Es ist bereits jährliche Tradition, die eher schlechten Äpfel zum allgemeinen Mosten zu bringen und von den „guten“ Äpfeln eigenen Most für zu Hause produzieren zu lassen. Der „Mosttermin“ und vor allem das gemeinsame familiäre „Äpfel-im-Garten-Pflücken“ sind für meinen Vater das herbstliche Highlight. Wochenlang wird vorher abgestimmt, wer wann Zeit zum Äpfelpflücken hat. Es freut meinen Vater immer wieder, wenn alle, Kinder und Enkelkinder, um ihn herum wuseln und er bestimmen kann, welcher Apfel in welche Kiste kommt und welcher Apfel als Winterapfel ins Gartenhaus gebracht werden muss. Anschließend werden diese Kisten von ihm beschriftet.
Nach jedem Besuch im Elternhaus bekommen wir Äpfel von ihm für zu Hause mit. Allerdings sind diese dann nicht frisch, sondern schon ein wenig pappig. Die knackigen Äpfel werden so lange gelagert und vor uns zurückgehalten, bis sie dann auch wieder schön pappig sind. Wir haben sein System nie richtig verstanden, dafür aber oftmals darüber gelacht. Vor allem die Schwiegersöhne, die alle in der Großstadt aufgewachsen sind und bis zur Heirat mit einer von uns Schwestern nur Äpfel aus dem Supermarkt kannten. Auch sie müssen die Äpfel unseres Vaters brav essen, und wehe, es hat einer gemurrt. Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Mann sich heimlich manchmal Äpfel kauft und isst.
In der Mosterei jedenfalls will mein Vater unbedingt auch noch den frisch gepressten, noch heißen Apfelsaft von seinen Äpfeln verkosten. So viel Zeit muss doch vor dem Krankenhaus noch sein.
Ich habe noch immer dieses Bild vor Augen, wie selig er dabei aussieht.
Auf dem Weg ins Krankenhaus hustet mein Vater dann so stark, dass ich schon denke, dass er im Auto erstickt. Er ist mit einem Mal sehr traurig und meint, er will nicht schon wieder ins Krankenhaus.
Ich habe vor, meinen Vater auf die Station zu bringen, muss mich aber wegen der Corona-Regelungen schon am Eingang von ihm verabschieden. Ein Krankenpfleger holt meinen Vater mit dem Rollstuhl von dort ab. Es tut mir sehr weh, meinen Vater so geknickt wegfahren zu sehen. Er mag keine Krankenhäuser.
Auch während dieses Krankenhausaufenthaltes wird bei meinem Vater Wasser aus der Lunge punktiert. Dieses Mal wird er auch ans EKG angeschlossen und es wird festgestellt, dass die Wassereinlagerungen mit seiner Herzschwäche zusammenhängen.
Im Entlassungsbericht des ersten und zweiten Krankenhausaufenthaltes wird auf seine bekannte chronische Herzinsuffizienz mit höhergradigen Klappenvitien1 verwiesen. Die Aufnahme ins Krankenhaus war aufgrund kardialer Dekompensation erforderlich. Für zu Hause wird ihm nun täglich die Einnahme einer Wassertablette (Torasemid 10 mg) morgens empfohlen.
Da pro Tag nur ein Besuch bei meinem Vater im Krankenhaus erlaubt ist, wechseln meine Mutti und ich uns mit den Besuchen ab. Wir bringen ihm seine Tageszeitung, frisch gepresste Säfte und Obst vorbei. Zweimal helfen wir meinem Vater beim Duschen. Im Bad steht ein Schild: „Nicht mit dem Leitungswasser Zähne putzen“. Auf dem Waschbecken stehen Trinkwasserflaschen hierfür bereit. Ich finde das schon irgendwie beunruhigend und für ein Krankenhaus bitter. Ungewöhnlich ist auch, dass die Haken, an die man Kleidungsstücke aufhängen kann, so niedrig angebracht sind, dass z. B. der Bademantel unten auf dem Fußboden aufliegt. Aber wahrscheinlich hat man dabei daran gedacht, dass auch Patienten, die im Rollstuhl sitzen, an den Haken herankommen müssen. Papa hat einen Fensterplatz „erwischt“ und guckt die meiste Zeit in den umliegenden Park des Krankenhauses. Aufgrund der großen Fensterscheiben sind die Zimmer recht hell, was einen freundlichen Eindruck macht. Leider lassen sich die Fenster nicht richtig öffnen, so dass bei vier Patienten im Zimmer die Luft ziemlich verbraucht ist. Zusammen mit dem typischen Krankenhausgeruch nach Desinfektionsmitteln ist dieser Umstand für den Besucher unangenehm.
Meinem Vater geht es im Krankenhaus von Tag zu Tag besser. Wenn ich ihn besuche, hat er immer eine Liste fertig mit Aufgaben, die ich abzuarbeiten habe. Meistens handelt es sich dabei um Dinge, die mit seinem Mietshaus in Verbindung stehen. Mein Vater wartet jeden Tag sehnsüchtig auf unseren Besuch. Sobald er sich eigenständig bewegen kann, geht er zum Fenster des Krankenhausflurs und guckt heraus, um zu schauen, wann wir kommen. Wir spüren bei jedem Besuch, wie wichtig es ist, dass wir ihn täglich besuchen. Er mag von sich aus nicht mit den anderen Patienten in seinem Zimmer kommunizieren, ist aber recht redselig, wenn wir dann bei ihm sind. Die Klinik hat auf jeder Etage ein Besucherzimmer, in dem man verweilen kann. Darin ist es sogar nett eingerichtet mit Bildern, Büchern, Tischdecken und Dekoration, so dass man sich fast ein bisschen heimisch fühlt. Ich begrüße diesen Umstand, da ich Krankenhäuser eigentlich nicht mag.
Meine Mutti und ich sind froh, meinen Vater noch besuchen zu dürfen. Auf zwei Stationen sind Coronafälle aufgetreten. Eine Woche später gilt dann komplettes Besuchsverbot im Krankenhaus.
Kathrin und Tine fragen tagtäglich bei uns nach, wie es Papa geht. Mein Vater hat ein kleines, rotes Handy, über das man ihn anrufen kann. Warum auch immer, wir wissen es bis heute nicht genau, ist das Dreißig-Euro-Guthaben nach drei Tagen immer aufgebraucht. Mit meinem Vater zu telefonieren, ist nicht immer einfach, da er seine Hörgeräte im Krankenhaus selten ins Ohr nimmt. Entweder verheddert er sich mit der Sauerstoffmaske, die er oftmals auf dem Kopf hat, oder sie sind nicht aufgeladen. Insofern tun mir Kathrin und Tine immer leid, wenn sie über die Telefonate mit Papa klagen.
1 Klappenvitien ist in der Medizin der Oberbegriff für angeborene oder erworbene Funktionsstörungen einer oder mehrerer Herzklappen.
Mein Papa wird am 9.11.2021 in die Häuslichkeit entlassen.
Papa ist so glücklich, als er nach sechs Tagen wieder nach Hause kann. Es geht ihm gut. Er hustet zwar noch immer, aber er bekommt Luft und kann sich mit Rollator oder Gehstock alleine fortbewegen. Mein Papa und wir hoffen, dass nun alles wieder gut wird bzw. dieser Krankenhausaufenthalt ein wenig länger vorhalten würde. Wenn das Wasser nun regelmäßig aus seiner Lunge punktiert werden muss, so denken wir, dann müssten er bzw. wir uns wohl damit arrangieren.
Auf Empfehlung der Ärzte soll mein Papa zu Hause sportliche Übungen machen und möglichst viel in Bewegung bleiben.
Meine Mutti und ich wechseln uns als Vorturner für meinen Vater immer ab. Er muss auf den Crosstrainer, muss die Hanteln stemmen, die Beine abwechselnd hoch und zur Seite schwingen. Meine Mutter hat mittlerweile ein ganzes Repertoire an kleinen sportlichen Geräten und Terrabändern und Bällen. Sie macht fast täglich ihre Übungen damit und bindet meinen Vater mit ein.
Ich mache meistens Musik dabei an, um ihn zu motivieren. Mein Vater macht alle Übungen so leidlich mit. Man sieht ihm an, dass es wirklich nicht sein Ding ist, solche gymnastischen Verrenkungen zu machen, aber er lässt alles immer brav über sich ergehen und meckert nie. Sobald man aber sich von ihm abwendet oder kurz den Raum verlässt, stellt er sämtliche Bewegungen ein.
Ich komme mir vor wie eine Aerobic-Trainerin und zähle jede Übung von 10 rückwärts bis 1 mit. Am liebsten mag mein Vater Hantelübungen für die Arme. Es sieht motorisch manchmal nicht so erstklassig aus, aber man kann sehen, dass Bi- und Trizeps noch bei ihm vorhanden sind.
Wenn ich ihn nach diesen Übungen dann immer lobe, freut er sich und weist jedes Mal darauf hin, dass er früher so harte und muskulöse Oberarme hatte, dass ihm so manches Oberhemd nicht passte oder sogar gerissen ist. Er sagt dies fast jedes Mal, wenn er die Hanteln wuchtet und strahlt dabei.
Wir haben bei diesen Übungen auch viel Spaß miteinander. Papa hat bei manchen Bewegungen koordinativ Probleme. Er staunt über die unterschiedlichen Übungen und wir diskutieren darüber, welche Muskeln gerade beansprucht werden. Sein rechtes Bein lässt ihn immer wieder bei den Übungen im Stich. Auf dem Crosstrainer ist Papa recht schnell aus der Puste. Ich sehe es ihm sofort an, wann ich mit meinen Übungen zu weit gehe. Eine bestimmte Ader an seinem Kopf tritt dann besonders hervor. Unsere „Sporteinheit“ führen wir aber nie länger als fünfzehn Minuten durch. Danach ruht sich Papa meist aus. Mir wird bewusst, wie wichtig tägliche Gymnastik- und Konditionsübungen für ältere Menschen sind. Und wie schwer es ihnen fällt, diese zu machen. Papa hätte auch viel früher altersgerechte Übungen täglich machen sollen. Nur Gartenarbeit allein reicht für die Gesundheit im Alter wohl nicht aus.
Am 03.12.2021 abends, mein Mann und ich sitzen gerade gemütlich am Kamin und lesen Bücher, ruft meine Mutter mich völlig aufgelöst und beunruhigt an und teilt mit, dass es meinem Papa sehr schlecht gehe. Er sehe verfärbt im Gesicht aus und sei nicht richtig ansprechbar, meint sie und will wissen, was sie machen soll. Da mein Vater Diabetiker ist, dachte sie, dass es am Zucker bei ihm liegt und gab ihm Cola und Dextrose.
Ich rate ihr, die „112“ anzurufen. Gleichzeitig mache ich mich auch auf den Weg zu meinen Eltern. Die Ersthelfer sind schon vor Ort, als ich ankomme.
Mein Vater ist mittlerweile an den Ohren und im Gesicht blau angelaufen und kaum ansprechbar. Er hat sichtlich Atemnot. Die Augen hat er geöffnet, kann aber nichts sagen. Die Ersthelfer stülpen ihm eine Sauerstoffmaske über das Gesicht und versorgen ihn.
Ich sehe meinen Vater das erste Mal in meinem Leben so dermaßen hilflos. Er tut mir unendlich leid, weil er so sehr nach Luft ringt. Es sieht so panisch aus.
Nach einer Weile kommt der Notarzt mit einem weiteren Krankenhelfer. Meinem Vater geht es aufgrund der Erstversorgung schon ein wenig besser. Hinter der Maske, die der Arzt trägt, kann man sein Gesicht nicht genau sehen, aber er ist sehr jung und spricht mit bayrischem Akzent.
Als er das Schlafzimmer meiner Eltern betritt, vergewissert er sich, was gemacht worden ist. Dann wendet er sich meinem Vater zu und fragt ihn, ob er eine Patientenverfügung hat. Mein Vater kann wegen der Atemmaske nicht selbst antworten, nickt aber und guckt den Mann mit der Maske mit großen Augen an.
Meine Mutter und ich starren den jungen Arzt ebenfalls an. Wir stehen am Bett meines Papas und sind nicht in der Lage, etwas zu sagen, weil wir über diese Frage an erster Stelle und direkt an meinen Vater gerichtet so entsetzt sind. Warum fragt er nicht in Abwesenheit meines Vaters uns, schießt es mir durch den Kopf? Warum stellt er diese Frage an meinen Vater direkt?
Ich finde dies dermaßen pietätlos vom Arzt, dass ich bis heute kein Verständnis dafür aufbringen kann, auch wenn ich mittlerweile weiß, dass es Vorschrift ist, dass die Ärzte diese Frage als erstes den Patienten selbst stellen müssen. Ich hätte es vielleicht noch verstanden, wenn der Arzt meinen Vater begrüßt und ein paar Worte vorab mit ihm ausgetauscht hätte, aber diese Frage als erstes zu stellen, wenn man gerade erst den Raum betreten hat, verschlägt mir die Sprache und macht mich sogar ein wenig wütend auf den Arzt.
Meine Mutti und ich sollen anschließend besagte Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Krankenkassenkarte und die Anschrift vom Hausarzt kopieren und dem Arzt übergeben.
Da mein Vater sehr ordentlich ist, finde ich die KK-Karte schnell in seinem Büro im Portemonnaie, und die Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind im Notfallordner abgelegt. Kathrin hat dafür gesorgt, dass meine Eltern einen solchen Ordner haben, und ich bin ihr in diesem Moment unsagbar dankbar dafür.
Kathrin ist es auch gewesen, die SOS-Notfall-Aufkleber am Spiegel im Eingangsflur und am Kühlschrank angebracht hat, auf welchem darauf hingewiesen wird, dass es SOS-Info-Dosen im Kühlschrank gibt. Dieses sind kenntlich gemachte Dosen, worin sich z. B. der Medikamentenplan meiner Eltern befindet. Für meinen Vater als Diabetiker mit Herzschwäche und Parkinson konnte es durchaus einmal lebenswichtig sein, dass ein herbeieilender Arzt weiß, welche Medikamente er in welcher Dosis einzunehmen hat.
Ich habe bis dato immer diesen Aufkleber und die Dosen belächelt, da ich meine Schwester nicht nur für den Paparazzi der Familie halte, sondern auch ein wenig hypochondrisch veranlagt finde. Aber letztendlich muss ich eingestehen, dass diese Vorsichtsmaßnahmen hilfreich sind.
Der Arzt entscheidet, dass mein Vater wieder ins Krankenhaus muss. Auf unser Bitten hin, dass er dieses Mal doch bitte in ein anderes Krankenhaus verlegt werden soll, wird nur entgegnet, dass alle Krankenhäuser ja wohl gleich gut versorgen würden und dass man kein Wahlrecht hat.
Meinem Vater ging es mittlerweile besser und er bekommt mit, dass er wieder ins Krankenhaus muss. Er wird fast panisch und will partout nicht. Er schüttelt mit dem Kopf und macht Handbewegungen, dass er nicht möchte. Meine Mutti und ich reden meinem Vater gut zu, dass er ins Krankenhaus muss, da wir ihm zu Hause nicht helfen könnten und er zwingend Sauerstoff benötige.
Letztendlich willigt mein Papa ein. Er wird in eine Trage, die auch wärmend vor Unterkühlung schützt, gelegt und zum Rettungstransporter mit Blaulicht gebracht.
Meine Mutti und ich stehen traurig draußen und können die letzte Stunde so gar nicht fassen. Schon wieder muss Papa in dieses Krankenhaus. Bis heute habe ich noch Bilder von seinem blau angelaufenen Gesicht und seinen verängstigten Augen im Kopf. Die Bilder verblassen mehr und mehr, aber sie sind immer noch da.
Nachdem mein Vater einen Tag auf der Intensivstation liegt, wird er auf die Innere Station verlegt. Bei diesem Krankenhausaufenthalt wird die Dosierung der Wassertabletten und der Tabletten gegen Herz-Rhythmus-Störungen verändert und in den weiteren Tagen die Reaktion des Körpers darauf beobachtet. Wir dürfen Papa besuchen, immer abwechselnd und mit ausgestelltem Corona-Test. Während meiner Besuche versuche ich mit Papa immer eine kleine Runde über die Flure zu gehen. Es fällt ihm sichtlich schwer, so dass er nur nach wenigen Metern oftmals schon aus der Puste ist. Er genießt es trotzdem, sich zu bewegen bzw. einfach nur mal den Körper durchzustrecken und nicht immer nur zu liegen. Er ärgert sich über sich selbst, dass er so wenig mobil ist.
Kurz vor seiner Entlassung wird die Lunge meines Vaters geröntgt. Dann wird mein Vater wieder in die Häuslichkeit entlassen. Nach Rücksprache mit der Ärztin empfiehlt diese uns, dass mein Vater möglichst häufig die Beine hochlegen soll, um das Herz zu entlasten, dass er sich zu Hause aber gleichzeitig auch viel bewegen müsse und dass wir eine Pflegestufe für meinen Vater beantragen sollen. Des Weiteren bestätigt sie uns auch, dass die Wassereinlagerungen mit anschließender Atemnot wieder auftreten können.
Meinem Vater geht es bei der Entlassung sichtlich nicht gut: Er bekommt bis zum Schluss Sauerstoffzufuhr.
In unserer Familien-WhatsApp-Gruppe, bestehend aus Mutti, Kathrin, Tine und meiner Person tauschen wir uns regelmäßig über alles aus:
08.12.21, 18:28:21] Britta: Liebe Grüße von Papa. Er wird Freitag entlassen, obwohl er noch sehr hustet und sich die Sauerstoff-Stöpsel in die Nase steckt. Er ist sehr wackelig auf den Beinen. Wie er zu Hause genesen soll, ist mir schleierhaft. Küssi