Eine wählerische junge Lady - Catherine St.John - E-Book

Eine wählerische junge Lady E-Book

Catherine St.John

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Cecilia Herrion, aus alter und vornehmer Familie, sucht in London nach einem Ehemann, nachdem nun ihr Bruder (siehe: Familiengeheimnis) glücklich verheiratet ist. In den Ballsälen findet sie vor allem klatschsüchtige und zum Teil sehr amüsante Damen (vor allem die alte Lady Tenfield, siehe: Rätselhafte Nachbarschaft), die meisten jungen Gentlemen sind aber leider Langweiler, Verschwender oder Hohlköpfe. Cecilia zögert auch nicht, sich darüber sehr deutlich zu äußern, dabei hat sie den idealen Partner eigentlich immer in Reichweite, aber es dauert lange, bis ihr das klar wird - und sie muss bis dahin einige Gefahren überstehen.

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Seitenzahl: 378

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Imprint

Eine wählerische junge Lady. Historischer Roman

Catherine St.John

Published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.deCopyright: © 2019 R. John 85540 Haar

Cover: Edmund Blair Leighton, Yes or No?

ISBN 9783********

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 1

Aus der ersten Kutsche, die vor Herrion House in der Half Moon Street vorgefahren war, stiegen ein Herr und zwei Damen.

Der Herr stützte die kleinere der beiden Damen sehr fürsorglich, während die größere Dame, die alleine aus dem Wagen gesprungen war, beobachtete, wie drei weitere Kutschen in die Auffahrt einbogen. „Der reinste Umzug! Haben wir noch irgendetwas in Herrion zurückgelassen?“

„Sei nicht albern, Cec!“, tadelte ihr Bruder. „Was bitte hätten wir denn zurücklassen sollen? Paul? Seine Nanny? Sein Spielzeug? Eure Zofen? Meinen Diener? Das Gepäck?“

„Schon gut, Seb. Du hast ja Recht. Aber du musst zugeben, so aufwendig war eine Fahrt nach London noch nie.“

Im offenen Portal erschienen der weißhaarige, würdevolle Butler Morley und zwei Lakaien, die sich sofort des Gepäcks anzunehmen begannen.

„Euer Lordschaft, Euer Ladyschaft, Miss Herrion…“ Eine tiefe Verbeugung folgte. „Wir haben, so hoffen wir, alles zu Ihrer Zufriedenheit vorbereitet.“

„Morley, da habe ich keine Bedenken“, entgegnete Lord Hertwood munter. „Sie bereiten doch immer alles aufs Beste vor. Meine Gemahlin wird sich in den nächsten Tagen sicher selbst von Ihrer Vollkommenheit überzeugen können.“

Morley blinzelte, aber er kannte Seine Lordschaft lange genug, um seine Scherze gelassen anzuhören. Außerdem war er vollkommen, davon war er durchaus selbst überzeugt.

„Möchtest du dein Schlafzimmer inspizieren, Melinda?“, fragte Seine Lordschaft seine Gemahlin. Mylady nahm gerade ihren Hut ab und antwortete: „Ein wenig später, vielen Dank. Zunächst würde ich mich gerne etwas hier unten umsehen. Und etwas Tee wäre schön.“

Morley verneigte sich und gab diesen Wunsch durch das Heben einer Augenbraue an einen der Lakaien im Hintergrund der Halle weiter.

Ein anderer nahm die Hüte der Damen entgegen und Cecilia zog ihre Schwägerin zur ersten Tür. „Hier haben wir den Grünen Salon. Wie findest du ihn?“

Melinda sah sich um. „Sehr grün“, antwortete sie dann schwach. Cecilia kicherte. „Das hatte sich Mama seinerzeit so gewünscht. Der reinste Wald, nicht wahr?“

Die Wände waren mit lindgrüner Seide bespannt – und zwischen den Seidenbahnen befanden sich Pilaster aus dunkelgrünem Marmor. Am unteren Ende der Seidenbahnen, direkt über der Vertäfelung, befand sich eine Blumenborte in Grün, Weiß und Gelb. Melinda konnte nicht widerstehen und strich über diese Blumen. „Holzschnitzerei!“

„Offenbar war das vor zwanzig Jahren das Allerneueste. Na, es gibt Schlimmeres – immerhin haben wir hier keine ägyptischen oder chinesischen Salons. Nur irgendwo ein chinesisches Schränkchen. Ein fürchterliches Ding.“

„Über und über mit goldenen Drachen bedeckt“, ergänzte Sebastian, der mittlerweile sicher sein konnte, dass alles nach seinen Wünschen geregelt wurde. „Mein Großvater hat das Scheusal erworben. Übrigens habe ich den Tee in den Blauen Salon bestellt, er wirkt beruhigender auf das Auge.“

„Sehr vorausschauend“, lobte Cecilia und nahm von Morley einen Packen Briefe entgegen. „Dann machen wir es uns doch dort gemütlich!“

Tatsächlich fand auch Melinda den Blauen Salon sehr viel hübscher – zartblaue Bespannungen, weiße Säulen, keine geschnitzte Blumenwiese, sondern eine schmale antikisierende Schmuckleiste, passende Sofas und Sessel, interessanterweise in verschiedenen Blautönen, und frische Blumen auf den diversen Tischchen. Sie setzte sich zufrieden neben ihren Gemahl und beobachtete, wie Cecilia rasch – offenbar mit langjähriger Routine – die Briefe sortierte und ihr selbst zwei überreichte. Einen behielt sie sich selbst, den übrigen Packen erhielt Sebastian, der zunächst stirnrunzelnd die Wappen und Siegel studierte. „Was wollen die alle denn? Die Cassaways… die alte Lady Bridling… Sir William und Lady Malmesbury … Carew… Mrs. Ramsworth, oh!“ Er entfaltete das erste Schreiben und entdeckte freundliche Willkommenszeilen mit einer Einladung zu einem „kleinen“ Ball…

„Offenbar alles Einladungen… Cec, darum kümmerst du dich am besten – natürlich zusammen mit Melinda. Sucht aus, wohin wir am besten gehen sollen. Und überlegt euch, was wir tagsüber unternehmen könnten! Schließlich muss Melinda ja London kennenlernen!“

„Ich würde gerne in einer Buchhandlung stöbern“, verkündete Melinda, „vielleicht finde ich ja noch den einen oder anderen Roman mit vernünftigen Heldinnen!“

Cecilia lachte nicht ohne Schuldbewusstsein, da sie lange Zeit das Schauergenre bevorzugt hatte, nun aber kreischenden, halb wahnsinnigen oder ununterbrochen in Ohnmacht sinkenden Heldinnen auch nicht mehr gar so viel abzugewinnen vermochte.

„Oder etwas über die Rechte der Frauen“, fügte sie Melindas Vorschlag dann hinzu, „aber ich fürchte, bevor wir auf Bälle gehen können, müssen wir eine gute Schneiderin aufsuchen. Seb?“

Seine Lordschaft leugnete jegliche Kenntnis darüber, welche ateliers gerade à la mode waren. „Frag doch Tante Margaret! Sie wird ihrem jungen Schützling ja wohl etwas Garderobe spendiert haben?“

„Eine sehr gute Idee! Melinda, gleich morgen Vormittag sprechen wir in der South Audley Street vor. Wenn uns Tante Margaret überhaupt empfängt, nach dieser Affäre mit Mrs. Pilney!“

„Wahrscheinlich ist sie doch selbst heilfroh, die verrückte Person losgeworden zu sein“, kommentierte Melinda.

Nach dem Lunch und einer kurzen Ruhephase suchte Cecilia, voller Drang, etwas zu unternehmen, noch einmal die Einladung von Mrs. Ramsworth heraus. „Eine sehr, sehr nette Dame, und absolut tonangebend. Auf diesen Ball würde ich auf jeden Fall gerne gehen! Ich sage ihr für uns drei gleich zu, einverstanden?“

Der Bote, den sie mit der Zusage – und der Frage nach der im Moment schicksten Schneiderin – losgeschickt hatte, kam umgehend zurück, ein charmantes kleines Schreiben in der Hand, in dem Mrs. Ramsworth sich über die Zusage freute und Madame Fleuron in der Bond Street empfahl.

„Ha! Melinda, komm, wir fahren gleich hin!“

„Wollen wir nicht erst einmal überlegen, was wir brauchen?“

„Wollen wir nicht erst einmal sehen, was sie uns empfehlen kann?“, spottete Cecilia.

Ihre Schwägerin seufzte. „Nun gut. Ich fühle mich freilich ein wenig müde…“

„Berge und Berge von den schönsten Seiden, glatt oder bestickt, Schleierstoffe, Goldstickereien und all diese Herrlichkeiten? Ich wette mit dir, dass du dort wieder munter wirst. Und Tanzschuhe“, fügte sie dann etwas rätselhaft hinzu. „Meinst du, die Mädchen aus Kent sind auch hier?“

„Die Wentworths vielleicht“, murmelte Melinda, gemütlich in die Kissen gelehnt, „sie haben immer noch vier Töchter anzubringen, auch wenn Hester wirklich John Horbury heiraten sollte.“

„So ist es“, verkündete Sebastian, der einen Brief von seinem Freund John gelesen hatte, „sie sind jetzt immerhin schon verlobt. Ach ja, und wenn sie heiraten, bin ich Trauzeuge.“

„Natürlich – John war doch auch dein Trauzeuge! Eine sehr nette Idee… wann ist es denn soweit?“

„Das haben Sie noch nicht festgelegt. Meine Lieben, wenn ihr jetzt in die Bond Street fahrt, werde ich einen Blick in den Club werfen, einverstanden?“

Seine liebende Gattin nickte freundlich, seine Schwester freilich murmelte: „Typisch! Wieso gibt es eigentlich keine Clubs für Damen?“

„Versuch doch, einen zu gründen!“, empfahl ihr Bruder im Abgehen mit einem Grinsen. Cecilia schnitt seinem Rücken eine Grimasse und läutete. Morley empfing den Auftrag, einen offenen Wagen anspannen zu lassen, und zog sich wieder zurück.

„Warum offen?“

„Damit man uns sieht, Schäfchen! Oh, die Herrions sind in der Stadt. Das ist wohl die junge Lady Hertwood? Ganz reizend, meinst du nicht, meine Liebe? Wir sollten sie einladen…“ Sie grinste Melinda an, die lachen musste, aber dann wieder ernst wurde. „Es könnte auch heißen Ach, schau doch, diese Herrions! Gab es da nicht eben erst einen Skandal? Etwas mit dem Vater der jungen Lady? Soll er nicht geradezu ein Betrüger gewesen sein? Ich weiß nicht, ob wir solche Leute auf unserem Ball sehen wollen, meine Liebe... Und dann?“

„Unsinn! Du kannst doch nichts für die Taten deines Vaters! Und hat Seb nicht erzählt, dass Benedict in der Gegend sehr gut aufgenommen worden ist? Keinerlei Ablehnung!“

„Benedict war ja auch das Opfer dieser Machenschaften“, argumentierte Melinda, die sich mittlerweile wieder erhoben hatte und insgeheim überlegte, ob sie sich umkleiden sollte.

„Na, du doch wohl auch? Er hat dich ja schandbar behandelt! Komm, wir lassen uns nur schnell Umhänge und Hüte bringen und machen uns auf den Weg.“

Melinda nickte ergeben: Gegen die Energie Cecilias war kein Ankommen.

Wenig später rollten sie in leichtem Trab durch die Straßen Mayfairs. Cecilia registrierte gelegentliches Winken von Damen aus entgegenkommenden Kutschen – das sie zu erwidern pflegte – und interessierte Blicke von Gentlemen auf der Straße, die natürlich vornehm ignoriert wurden. Immerhin trug der Wagen ja das Herrionsche Wappen mit der Eiche, also waren zudringliche Blicke eine Unverschämtheit, über die man am besten hinwegsah. Melinda lächelte, wenn Cecilia winkte, und staunte ansonsten über den Betrieb auf der Straße. Diese Mengen an Fahrzeugen aller Art, dazwischen Reiter auf zumeist nervösen Pferden – kein Wunder, wenn man an den Lärm allenthalben dachte!

Waren wurden aus- und eingeladen, Kohlen wurden geliefert, die Fußgänger drängten sich vor den eleganten Geschäften…

„Wollen wir hier wirklich aussteigen? In dieses Getümmel?“

„Wir können wohl nicht umhin“, war Cecilias trockene Antwort, „wenn wir nicht auf jedem Ball das gleiche alte Kleid tragen wollen. Was, glaubst du, wird man dann über uns klatschen?“

„Oh. Ja, dann hilft es wohl nichts…“

Der Wagen hielt vor Madame Fleurons Etablissement, der Lakai, der hinten aufgestanden war, sprang ab und öffnete mit tiefer Verbeugung den Schlag, zuerst für Lady Hertwood, dann für die Ehrenwerte Miss Herrion. Beide dankten mit gnädigem Kopfnicken und schritten auf das Atelier zu.

„Das war schon einmal ein sehr guter Auftritt“, murmelte Cecilia. „Wie zwei Herzoginnen.“

Madame Fleuron kam ihnen mit ausgestreckten Armen entgegen: „Mylady, Miss Herrion, herzlich willkommen! Die wunderbare Mrs. Ramsworth hat Sie bereits avisiert. Lassen Sie uns sehen, wie wir Sie ausstatten können…“

Es folgten mehrere zunächst vergnügliche, dann aber recht anstrengende Stunden, an deren Ende jede der Damen fünf Ballkleider und einen ganzen Berg Vormittags- und Nachmittagskleider, Ausfahrgarnituren und kleine Abendkleider für bescheidenere Einladungen ihr eigen nennen konnte. Und ein Großteil würde schon morgen oder doch gewiss in den nächsten Tagen geliefert werden!

„Ich brauche doch gar nicht so viel“, hatte Melly protestiert. „Ich bin schließlich schon verheiratet! Du suchst doch einen Gemahl!“

„Aber wir wollen ja elegant auftreten! Soll Sebastian sich schämen, wenn du immer wieder die gleiche Ballrobe trägst?“

„Du glaubst, das fiele ihm auf? Und soll er sich über den Verlust eines Vermögens grämen, das wir bei Madame Fleuron gelassen haben?“

„Aber Mylady“, hatte die Schneiderin versucht, die Wogen glätten, „Mylady haben doch eine so elegante Figur… Ihrer beider Auftreten könnte mir durchaus neue Kundinnen verschaffen…“

„Das sei Ihnen gewünscht“, antwortete Melinda mechanisch, ohne zu wissen, worauf die Fleuron hinaus wollte. Cecilia lächelte wissend.

„Und deshalb, Mylady, Miss Herrion, kann ich Ihnen im Preis durchaus ein wenig entgegenkommen…“ Sie schrieb eine nicht unbeträchtlich niedrigere Summe auf ein Täfelchen und hielt es aufgrund ihrer reichen Erfahrung nicht der jungen Lady, sondern Ihrer etwas weltgewandteren Schwägerin hin. Cecilia nickte gnädig. „Das gefällt uns, nicht wahr, Melinda?“

Melinda stimmte hastig zu, obwohl sie die Summe immer noch exorbitant fand. „Du musst dafür nicht dein Nadelgeld drangeben“, murmelte Cecilia ihr zu. „Dafür ist Sebastian zuständig, er wollte doch nach London!“

„Du auch!“, zischelte Melinda zurück. „Ich wäre auf Herrion durchaus zufrieden gewesen!“

Cecilia kicherte und bat darum, die Rechnung an Seine Lordschaft zu schicken und alles, was sie gleich mitnehmen konnten, zum Wagen bringen zu lassen.

Madame Fleuron versprach, dass alles Übrige so rasch als möglich geliefert werde.

„Ich hoffe, es geht nicht so aufwendig weiter“, sagte Melinda, als sie wieder im Wagen saßen, Hutschachteln und Päckchen zu ihren Füßen.

„Keine Sorge, das war schon fast alles. Naja, bis auf Kleinigkeiten. Aber da gibt es auch so hinreißende Etablissements wie den Pantheon Bazaar. Den musst du gesehen haben! Als ich mein Debüt hatte, war er noch geschlossen, er wurde erst vor vier Jahren wiedereröffnet und ich habe gehört, er sei aufregender denn je.“

„Unbedingt – nur nicht mehr heute“, seufzte Melinda. „Ich bin so etwas nicht gewöhnt, hab etwas Geduld mit mir.“

Cecilia tätschelte ihr die Hand. „Schon recht, wir werden dich langsam an die Hindernisse heranführen.“

„Wie ein Pferd? Herzlichen Dank.“

„Morgen Vormittag besuchen wir den Bazaar – und nachmittags zeigen wir uns im Hyde Park. Um fünf, das ist elegant. Ich bin sicher, dann kommen noch mehr Einladungen und wir können uns die besten aussuchen.“

„Bei den vornehmsten Gastgebern?“

„Und mit den interessantesten Gästen“, erklärte Cecilia.

„Woher kann man das vorher wissen?“

„Seb wird es wissen, er weiß genau, wer mit wem verkehrt und wer wen kennt. Auf jeden Fall werden wir zuallererst zu Mrs. Ramsworth gehen, das ist ein sehr guter Anfang. Und jetzt, denke ich, braucht du eine kleine Ruhepause.“

„Oh ja“, seufzte Melinda, während ihr aus dem Wagen geholfen wurde, „ich weiß auch nicht, warum ich so schnell ermüde. Vielleicht ist es die Stadtluft…“

Cecilia schnupperte. „Du könntest Recht haben. Sogar in den vornehmen Vierteln ist der Geruch etwas unerfreulich. Von der Themse halten wir uns wohl besser fern, darin treibt einfach zu viel Unrat, von Schlimmerem gar nicht zu reden.“

Melinda drehte sich um und rümpfte die Nase. Cecilia hüpfte aus dem Wagen und lachte. „Du hast ja Recht – aber denk doch mal an die armen Menschen, die im Osten der Stadt in den Armenvierteln leben – oder nahe der Themse! Es müsste wirklich Bestrebungen geben, dort die Verhältnisse zu verbessern!“

„Ich fürchte, wenn du das zu deinem Konversationsthema machst, wirst du unverlobt nach Berkshire zurückkehren“, warnte Melinda, reichte Hut, Schal und Handschuhe einem Lakaien und steuerte den Blauen Salon an. Morley eilte sogleich herbei und wurde beauftragt, Tee zu bringen.

„Das glaube ich gar nicht unbedingt“, meinte Cecilia dann, neben Melinda bequem auf einem der Sofas installiert. „Ich könnte dieses Thema doch als Test verwenden, ob ein Gentleman modern denkt und sich um die wichtigen Fragen der Zeit kümmert. Oder ob er einer der zahlreichen Hohlköpfe ist, die hier die Ballsäle bevölkern.“

„Ich werde deine Erfolge beobachten“, spöttelte Melinda und schloss ermattet die Augen.

„Was ist dir, meine Liebe?“, fragte daraufhin eine Männerstimme und sie riss die Augen wieder auf. „Oh, Sebastian – mir fehlt nichts, ich bin nur etwas erschöpft.“

„Also hat Cec dich durch alle Modegeschäfte der Stadt gezerrt? Cec, du bist wirklich furchtbar!“

„Wir waren gerade einmal bei Madame Fleuron, aber Melly hat Angst wegen der Rechnung“, verwahrte Cecilia sich.

Sebastian setzte sich neben seine Frau und zog sie zärtlich an sich. „Das musst du nicht, meine Liebe. Ich möchte doch, dass ihr alle beide so elegant wie möglich auftretet. Und ich weiß, was schöne Ballkleider kosten.“

„Ach ja – und woher wissen Sie das so genau, Mylord?“, gab sie sofort zurück.

Er küsste sie rasch auf die Nase. „Von Cecilia natürlich. Was dachtest du denn?“

„Hattest du nie eine Mätresse?“

„Bevor ich dich gefunden habe – natürlich. Aber die Dame kümmerte sich selbst um ihre Garderobe. Ich habe nur ihre Wohnung finanziert und ihr gelegentlich ein Schmuckstück überreicht.“

„Oh!“ Melinda schien diese Antwort nicht zu freuen.

„Melly, sei nicht albern“, mischte sich Cecilia ein, „was hast du erwartet?“

„Ja, das weiß ich doch! Werde ich diese Dame auf Bällen womöglich treffen?“

„Unwahrscheinlich“, behauptete Sebastian. „Sie ist eine recht gut gestellte Witwe, aber in unseren Kreisen bewegt sie sich nicht. Vielleicht treffen wir uns im Park, aber wahrscheinlich wird sie uns nicht grüßen.“

Das schien Melinda einigermaßen zufrieden zu stellen, jedenfalls verzichtete sie darauf, nach dem Namen der Dame zu fragen.

In diesem Moment kam der Tee.

Sebastian sah besorgt drein, denn Melinda trank zwar gleich zwei Tassen, wollte aber nichts weiter zu sich nehmen und behauptete, sie sei nicht hungrig, nur eben etwas müde.

„Du wirst uns doch nicht krank werden?“, zeigte sich Cecilia besorgt und auch Sebastian betrachtete seine Gemahlin mit sorgenvoll gerunzelter Stirn.

„Nicht doch! Vielleicht war es nur die Reise… und diese Fülle an neuen Eindrücken. Vergesst nicht, ich war doch noch nie in London.“

Sebastian zog seine Frau wieder an sich. „Natürlich. Das vergessen wir ja nur allzu leicht. London kann durchaus überwältigend wirken. In den nächsten Tagen werden wir für verträglichere Portionen an Londoner Eindrücken sorgen.“

„Das wäre reizend. Cecilia hat schon etwas von einem Park erwähnt, in dem man sich nachmittags sehen lassen muss.“

„Morgen fahre ich mit euch in den Hyde Park aus“, versprach Sebastian. „Die frische Luft wird dir gut tun, meine Liebe.“

„Na, frisch?“, spottete Cecilia. „Melinda hat schon angemerkt, dass es hier doch ein wenig – nun – eigentümlich duftet.“

„Es ist eben keine Landluft“, merkte Melinda friedlich und etwas träge an. „Ich werde mich schon daran gewöhnen. Auf den Park morgen freue ich mich schon. Und vormittags in diesen Bazaar?“

„Nicht zu lange, Cec!“, mahnte Sebastian, der wieder einmal feststellte, dass seine Frau eben doch noch sehr jung und so gar nicht stadterfahren war. Man durfte sie auch nicht überfordern – und sie schon gar nicht aus den Augen lassen!

„Nein, nein – nur ein paar Kleinigkeiten. Und vielleicht treffen wir dort ja einige der wichtigeren Ladies?“

Kapitel 2

Der nächste Morgen sah Lady Hertwood tatsächlich etwas erholter; mit rosigen Wangen und mutwillig funkelnden Augen saß sie ihrem Gemahl bei einem ausgedehnten Frühstück gegenüber. Cecilia stellte fest, dass auch ihr Bruder so rosig und verschmitzt wirkte, und überlegte, dass sich zwischen Eheleuten des Nachts doch recht angenehme Dinge abzuspielen schienen, wenn sie dann morgens so zufrieden wirkten.

Nun ja, sollte sie einen einigermaßen klugen, vornehmen und vermögenden Gemahl finden, würde sie ja wohl herausfinden können, was genau diese rosigen Wangen und das Funkeln der Augen hervorrief… vielleicht Küsse…?

Einige Stunden später sahen sie sich im Pantheon Bazaar um, beide mit großen Augen, denn auch Cecilia hatte ja dieses Etablissement noch nie mit eigenen Augen gesehen – diese Fülle, dieser Reichtum an allem Möglichen, womit man sich hochmodisch aufputzen konnte!

Und zwischen den Tischen und Verkaufsständen bewegten sich zahlreiche vornehme Damen, zumeist mit einer Zofe im Schlepptau, der man die Päckchen dann überreichen konnte. Nun, Melinda hatte ja ihre Hazel auch dabei – ausgesprochen praktisch!

Ein Tisch mit hübschen Schals aus federleichtem Kaschmirgarn zog sie magisch an, auch wenn Melinda sie diskret darauf verwies, dass sie doch schon eine ganze Schublade voller Schals habe.

„Mit einem Schal kann man jedes Kleid verändern“, argumentierte Cecilia und trat an den Stand heran, um sich rosa Schals vorlegen zu lassen. Der Verkäufer verneigte sich und präsentierte die passenden Stücke, nicht ohne Hazel interessierte Blicke zuzuwerfen. Melinda registrierte Hazels Erröten und versuchte dann, ebenfalls Interesse für die Schals zu entwickeln. Sie besaß einen in zartem Blau, einen in einem kühlen Rosaton (noch von Mrs. Reilly in Ascot) und einen in einem Cremeton, der einen bestickten Rand in verschiedenen Grautönen aufwies.

„Vielleicht in einem Lavendelton“, überlegte sie dann halblaut.

„Gewiss, Ma´am. Sofort, Ma´am.“

„Mylady!“, rügte Hazel sofort.

„Oh, ich bitte Euer Ladyschaft um Vergebung! In Lavendel – eine ausgezeichnete Wahl, Mylady! – hätte ich hier eine recht schöne Auswahl…“ Er öffnete eine kunstvoll bemalte Schachtel und zupfte die Schals heraus, um sie auf der Theke auszubreiten.

„Dieser, Mylady!“, rief Hazel sofort und zog einen Schal zu sich heran, der auf dem naturgemäß blasslila Fond zarte weiße Stickereien aufwies. „Eine sehr hübsche Arbeit. Und so zartes Material!“

Cecilia favorisierte dagegen ein Modell mit feinen weißen und violetten Streifen auf lavendelfarbenem Grund und so sah sich Melinda in ein Dilemma gestürzt. Beide gefielen ihr ausgezeichnet – und passten nicht nur zu weißen, sondern auch zu blassblauen und grauen Gewändern! – und beide sollten auch das gleiche kosten, nämlich neun Guineas. Viel Geld, fand sie in Erinnerung an ihre karge Jugend, aber sie wusste, dass Cecilia darüber nur lachen würde. Wahrscheinlich lachte ihre kleine Schwester Jane mittlerweile auch darüber, nachdem auf Lynet nun ein neuer, großzügigerer Wind wehte…

Sie entschloss sich zu einer noblen, einer Lady Hertwood angemessenen Geste und verkündete: „Ich werde sie beide nehmen!“

„Eine ausgezeichnete Idee, Mylady!“ Das kam zweistimmig – von Hazel und dem Verkäufer, der sofort eine Hilfskraft herbeiwinkte, damit sie ein hübsches Päckchen aus den beiden Schals verfertigte.

Cecilia lachte zufrieden: Melinda fügte sich wirklich von Tag zu Tag besser in ihre neue Position als Lady Hertwood!

Zugleich spürte sie in diesem Moment, dass ein forschender Blick auf sie gerichtet war. Sie sah sich um und entdeckte schräg gegenüber, an einem Verkaufstisch für Pelzwaren, eine Dame in mittleren Jahren, die sie durch ein Lorgnon betrachtete und sich dann naserümpfend abwandte.

Was fiel dieser Person denn nur ein? Sie betrachtete die Dame, eine eher kleine und recht rundliche Person in nichtssagendem Grau, etwas diskreter als diese es soeben getan hatte, und überlegte, wer sie sein konnte. Erneut hob die Dame ihr Lorgnon, ein schweres goldenes Gerät mit Rubinen rund um das Glas… das kannte sie doch noch von ihrer Saison damals? Lady Ruby, hatte sie jemand getauft, sie hörte das spöttische Geflüster noch, das in irgendeinem Ballsaal an ihr Ohr gedrungen war… Lady Ruby… Lady Sasson, genau! Die Gemahlin von Sir Ambrose Sasson, einem steinreichen Wollhändler, den König George wegen seiner Verdienste um die britische Wirtschaft in den Adelstand erhoben hatte. Sasson war den Gerüchten zufolge reich wie Krösus. So reich, dass zum Beispiel Sebastian, aber auch Benedict de Lys sich daneben nur verstecken konnten.

Ben… er wusste bestimmt Einzelheiten! Schade, dass er wohl auf Lynet nach dem Rechten sah. Nach dem, was Sebastian erzählte, schien der Besitz es auch noch immer bitter nötig zu haben.

Lady Sasson seufzte weithin hörbar, ließ das Lorgnon an Cecilias Gruppe entlang wandern und schnaubte schließlich naserümpfend. Was hatte diese dahergelaufene Person denn bitte? Cecilia spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. Die Frau eines gerade erst geadelten Wollhändlers – eines Wollhändlers! – schwang sich zur Richterin über Gemahlin und Schwester des elften Barons Hertwood auf? Wobei obendrein die Damen sehr viel dezenter und geschmackvoller gekleidet waren als diese dubiose Lady Sasson: War diese düstere Kleidung etwa noch mit Jettperlen bestickt? Nun, vielleicht war sie in Trauer? Aber dann so viel Schmuck? Und bei der Pelzauswahl im Pantheon Bazaar anzutreffen statt in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Heims?

Sehr, sehr seltsam… Sie gönnte der Dame ein kühles Nicken und drehte sich dann wieder zu Melinda und ihrer Zofe, die über einen zartgelben Schal mit langen Fransen diskutierten und schließlich davon abkamen. „Recht hast du: Gelb passt nicht zu blonden Haaren – aber mir könnte er gut stehen!“

Hazel drapierte ihn ihr eilfertig, der Verkäufer brach in Begeisterungsrufe aus, wie nicht anders zu erwarten, und Melinda nickte nach kurzer Musterung. „Ja, für dich ist er das Richtige. Wen hast du vorhin so lange beobachtet?“

„Später.“ Cecilia nickte dem Verkäufer zu, der sofort auch diesen Schal hübsch verpacken ließ.

Auf dem Weg zu weiteren Verkaufstischen teilte Cecilia Melinda kurz mit, wie sich Lady Sasson benommen hatte – und prompt ließ Melinda wieder einmal den Kopf hängen: „Wahrscheinlich ist es wegen des Skandals um Lynet.“

„Ja, mag sein. Aber der ist nicht deine Schuld – und was die Frau eines erst kürzlich geadelten Wollhändlers von uns hält, kann uns wirklich egal sein. Krittelsüchtige alte Weiber gibt es in London reichlich und wenn es nichts zu klatschen gibt, erfinden sie eben etwas. Du machst alles richtig – und ich habe die alte Fregatte nur sehr kühl gegrüßt.“

„Und wenn wir auf einen Ball gehen und man schneidet uns?“

„Großer Gott, keinesfalls! Ich bitte dich, Lady Hertwood und Miss Herrion? Vornehm, wohlhabend und gut aussehend – auch wenn ich das von mir selbst wohl nicht sagen sollte? Die alte Sasson hat zu solchen Bällen auch bestimmt keinen Zutritt.“

„Ein schwacher Trost… oh, sieh nur: Schmucknadeln!“

Die nächste Viertelstunde verging wie im Fluge, denn die Nadeln – teils für die Frisur, teils, um sie ans Kleid zu stecken – waren ausgesprochen reizend, mit Steinen oder mit kleinen Seidenblumen besetzt, zum Teil auch mit einem Stoff bezogen, der wiederum mit funkelnden Perlchen bestickt war. Und es gab sie in allen nur erdenklichen Farben!

Von Hazel kundig beraten, erwarben beide Damen eine beträchtliche Anzahl dieser Nadeln und schenkten auch Hazel einige als Honorar für ihre Beratung.

Als sie weitergehen wollten, schwankte Melinda und musste sich auf einer der Sitzgelegenheiten niederlassen. „Was ist dir?“ Cecilia setzte sich sofort neben sie.

„Ich weiß es nicht, plötzlich wurde mir schwindelig. Wärst du sehr böse, wenn ich für heute genug hätte?“

„Nicht doch, wir können doch jederzeit wieder hierher kommen – und wir haben doch schon recht hübsche Beute gemacht, nicht wahr? Aber wir könnten auf dem Rückweg noch bei Gunter´s vorbeifahren…“

„Noch mehr Putz?“, fragte Melinda schwächlich.

„Nein, ich hätte eher an etwas Eis gedacht“, war Cecilias heitere Antwort. „Das könnte dich wieder munter machen, meinst du nicht?“

„Ja, das gefällt mir.“

„Und heute Nachmittag wird Seb mit uns in den Park fahren, damit alle wissen, dass wir wieder da sind.“

„Ach ja!“, machte Melinda beklommen, ließ sich von Hazel aufhelfen und zum Ausgang führen.

Bei Gunter´s gefiel es ihr sichtlich gut, und das Eis mit dem Geschmack nach italienischen Zitronen mundete ihr so gut, dass sie schon mit dem Gedanken an eine zweite Portion spielte. Cecilia lobte diesen Plan, aber dann wollte Melinda doch lieber nach Hause und ein wenig ruhen.

Sobald Melinda in ihrem Schlafzimmer untergebracht war, zog sich Cecilia, die ihre Einkäufe ihrer eigenen Zofe Florette übergeben hatte, in den Salon zurück und sah noch einmal die Einladungen durch, die sie bereits erhalten hatten. Da Melinda in London ohnehin niemanden kannte und Sebastian keine Vorlieben geäußert hatte, konnte sie wohl selbst entscheiden, wohin sie gehen sollten.

Zuerst tatsächlich zu Mrs. Ramsworth, die einfach eine reizende Person war. Ein kleiner Ball, nur sehr ausgewählte Gäste, das wäre auch genau das Richtige für Melinda, die doch wohl noch nie einen echten Ball mitgemacht hatte.

Und als nächstes… die Prestons? Sir Michael und Lady Preston, die immer vergnügte Laura, waren entzückende Gastgeber, daran erinnerte sie sich noch von ihrer Saison her. Und ihr Bekanntenkreis war erstklassig, man konnte alles bei ihnen antreffen, was Rang und Namen hatte.

Oder sollten sie den Ball in Pole House besuchen? Beim Earl und der Countess of Pole? Nein, dort waren bekanntermaßen die Musik und der Champagner schlecht – Pole war vornehm und reich, aber geizig, sagte man. Dazu wusste Sebastian bestimmt Genaueres! Nein, lieber zu den Prestons.

Sie sortierte weitere goldgeränderte Karten durch. Die verwitwete Countess of Milton… sehr vornehm, sehr angesehene Bekannte, aber auch viele krittelsüchtige alte Damen… aber bei der dritten derartigen Veranstaltung sollte Melinda damit schon zurechtkommen können.

Vielleicht veranstalteten die jungen Claremonts auch einen Ball? Rupert Claremont war mit Ben de Lys befreundet, soweit sie wusste. Eine Einladung gab es noch nicht… andererseits kannten die Claremonts die Herrions kaum, warum sollten sie sie also einladen?

Oh, hier, die Harringtons am Grosvenor Square! Damals hatten sie zwei wundervolle Bälle veranstaltet, um ihre Tochter Maria zu präsentieren, die sich auch prompt Lord Kilburn geangelt hatte und nun eine angesehene Viscountess war. Sie könnte sie besuchen, wenigstens Karten hinterlassen…

Andererseits hatten sie sich damals nicht ausstehen können, wenn auch der Austausch von persönlichen Spitzen und kleinen Gemeinheiten durchaus amüsant gewesen war. Nein, keine Karten… sie wollte lieber abwarten, ob sich im Park etwas ergab.

Das genügte erst einmal, fand sie: Ramsworth und Prestons … diese Manie, an einem Abend drei bis vier Bälle zu besuchen und überall gerade einmal einen Ländler, einen Walzer und einen Kotillon zu tanzen, bevor man sich zum nächsten Stadtpalais aufmachte, fand sie albern. Und Melinda wäre damit bestimmt auch überfordert; sie war ja schon nach einem kurzen Besuch im Pantheon Bazaar erschöpft!

Vielleicht kein Wunder, wenn sie noch nie in London gewesen war – der Lärm, die vielen Menschen, die vielen Gerüche (um nicht zu sagen: der Gestank in manchen Gegenden und am Fluss), der Verkehr auf den Straßen - all dies konnte sie schon überfordern. Deshalb würden sie es langsam angehen, die Saison dauerte schließlich viele Wochen!

Sie selbst wollte zwar gerne einen Ehemann finden, aber sie war ja ausgesprochen wählerisch, also würde sie wahrscheinlich ohnehin keinen Erfolg haben….

Nach dem Lunch, zu dem Melinda einigermaßen erholt erschien und bei dem sie mit recht gutem Appetit aß, präsentierte Cecilia Bruder und Schwägerin ihre kleine Auswahl an Balleinladungen und traf auf Billigung.

Sebastian verkündete, er werde seinen Freund Ben aufsuchen und sich nach weiteren netten und angesehenen Familien erkundigen. Dies hielt Cecilia, die sich freute, dass Ben doch nicht auf Lynet weilte, für eine ausgezeichnete Idee und wies gleich auf die Claremonts hin.

Sebastian nickte. „Rupert ist ein guter Kerl und seine Frau eine sehr lustige Person. Sollten die beiden wirklich einen Ball veranstalten, könnte es sehr amüsant werden. Übrigens könnten wir ja auch einmal Vauxhall Gardens besuchen… etwas halbseiden in manchen Winkeln, aber wenn ich bei euch bin, kann ich schließlich auf euch aufpassen. Und sollten wir dort einen Gentleman sehen, der sich unangemessen verhält, bist du wenigstens gleich gewarnt, Cec.“

„Herzlichen Dank. Ich denke, wir werden ein wenig mit Paul spielen und gegen fünf in den Park fahren, nicht wahr? Seb, du begleitest uns doch?“

Das habe er gestern doch versprochen, erinnerte er sie.

Der kleine Paul freute sich über den hohen Besuch im Kinderzimmer, erlaubte den Tanten großzügig, ihm einem größeren Bauprojekt behilflich zu sein und verkündete schließlich, das Ergebnis sei das Schloss des Königs.

„Ach ja?“, fragte Melinda. „Nun, das Schloss wird dem König bestimmt sehr gefallen. Weißt du denn, was ein König ist?“

Paul überlegte. „Der hat eine Krone. Nanny hat mir ein Bild gezeigt. Und da ist noch einer, der hat ein ganz dickes Gesicht…“

Cecilia prustete dezent und tauschte mit Nanny in ihrem Schaukelstuhl einen amüsierten Blick.

„Welcher gefällt dir denn besser?“, fragte Melinda.

Paul überlegte, wobei er kurz den Daumen in den Mund steckte, dies aber auf ein Räuspern seiner Nanny schnell wieder ließ. „Der mit der Krone“, sagte er dann. „Die is aus Gold, nicht?“

„Richtig. Nanny, haben wir irgendwo buntes Papier und eine Schere?“

Nanny holte die Bastelkiste und Melinda schnitt eine schöne Krone mit Zacken rundherum aus, faltete sie zu einem Kreis und setzte sie auf das Schloss aus Bauklötzen. „So?“

Paul klatschte in die Händchen und kletterte auf Melindas Schoß, um zuzuhören, wie Cecilia eine Geschichte vorlas. Darin kam allerdings kein König vor, sondern ein Riese, der auf der Spitze einer Bohnenranke wohnte.

„Paul ist wirklich ein schlaues Kerlchen“, fand Melinda, als sie später auf dem Weg zu Melindas Zimmer waren, um zu überlegen, was sie bei dem Ausflug in den Park tragen sollte. Etwas aus Ascot musste es wohl sein, denn bis auf zwei Nachmittagskleider hatte Madame Fleuron naturgemäß noch nichts liefern können.

Cecilia sah die Garderobe ihrer Schwägerin stirnrunzelnd durch, von Hazel eifrig und von Melinda etwas bedrückt beobachtet, und zog schließlich ein blassbraunes Ausfahrkleid aus dem Schrank. „Dies wäre gut geeignet… hast du einen blauen Umhang?“

Hazel eilte, ihn herauszusuchen. „Und einen passenden Hut… am besten diese Strohschute, die ist ja auch blassblau aufgeputzt.“

Unaufgefordert legte Hazel auch blaue Handschuhe bereit und ein paar hellbraune Stiefelchen standen dann auch vor dem Schrank.

„Nun?“ Cecilia wandte sich zu Melinda, die lächelte. „Was täte ich ohne dich und Hazel? Meinst du, ich werde einen guten Eindruck machen?“

„Aber gewiss! Schau, es hat sich doch herumgesprochen, wie rasch ihr geheiratet habt, das macht die Leute natürlich ganz besonders neugierig. Sie wollen wissen, was dahinter steckt – und das werden wir ihnen natürlich nicht erzählen. Übe schon mal ein geheimnisvolles Lächeln, während ich mich umkleide!“

Damit eilte sie davon und Melinda ließ sich befehlsgemäß ausstatten und frisieren, so dass sie schließlich recht zufrieden mit sich in die Halle herunterkam, wo Sebastian schon wartete und auf den offenen Wagen hinwies, der vor dem geöffneten Portal zu sehen war.

Auch Cecilia fand sich pünktlich ein, in warmes Rosa gewandet, mit einem zartgrauen Umhang, einem grauen Hütchen, rosa aufgeputzt, und grauen Handschuhen.

„Ihr habt euch recht ähnlich gekleidet“, fand Sebastian. Cecilia lächelte ihrem Bruder übermütig zu: „Absicht, lieber Bruder! Du musst das strategisch sehen.“

„Aha… Na, dann kommt!“

Als sie durchs Tor rollten, herrschte im Park bereits lebhaftes Treiben; Spaziergänger (zumeist Herren), Reiter (darunter auch einige kühne Damen) und Wagen (vor allem mit Damen besetzt) bevölkerten die Wege, vor allem die mit Blick auf den Serpentine Lake.

„Hier gibt es einen See?“, staunte Melinda auch prompt. „Wie schön es hier ist! Wie heißt dieses Gebäude dort hinten?“ Sie zeigte nach Osten.

„Das ist Kensington Palace“, erklärte Sebastian sofort. „Früher war er recht prunkvoll, aber nun wird er kaum noch genutzt.“

Melinda wollte dies gerade kommentieren – so eine Verschwendung! -, als ihnen ein Wagen entgegenkam, in dem zwei Herren und eine Dame saßen. Beide Wagen hielten an; die Herren zogen ihre Hüte, die Dame rief: „Das ist doch Cecilia Herrion? Was führt Sie denn wieder einmal nach London?“

„Die Saison!“, rief Cecilia vergnügt, wenn auch wenig überraschend zurück. „Wie ist das Befinden, Lady Celia?“

Lady Celia Walby, die mit ihren beiden Brüdern, Lord Henry, dem Earl of Gowan, und Lord Leonard Walby, unterwegs war, strahlte. „Empfangen Sie morgen Nachmittag, Cecilia? Dann komme ich vorbei und erzähle Ihnen das Neueste. Und wer ist die Dame neben Ihnen?“

„Meine Gemahlin, Lady Hertwood“, mischte sich Sebastian ein. „Wir wollen sie mit London bekannt machen.“

„Lady Hertwood…“

Melinda winkte fröhlich zurück. „Lady Celia… wir freuen uns auf Ihren Besuch!“ Dafür gab es eine freundliche Geste mit einem bei diesem Wetter entbehrlichen, aber sehr niedlichen Sonnenschirm und zwei gezogene Hüte.

Die Pferde zogen wieder an.

„Lady Celia macht einen sehr freundlichen Eindruck“, merkte Melinda vorsichtig an. „Aber ja, sie ist reizend. Auch die Brüder sind nett.“

„Aha?“, machte Melinda und erlaubte sich ein wissendes Lächeln.

„Nein, Gowan, der Ältere, ist bereits verheiratet – und Len, der Jüngere, erbt nur einen ganz geringen Anteil am Familienvermögen. Also hat er sich mit der Tochter eines wirklich reichen Kaufherrn verlobt, soweit ich weiß.“

Sebastian grinste. „Sind deine Quellen so schlecht informiert? Wie heißt sie, wie sieht sie aus, was bekommt sie in die Ehe mit?“

„Viel, vermutlich. Sie ist das einzige Kind. Der Vater ist etwas sehr Wichtiges an den Docks. Mehr weiß ich noch nicht…“

„Und Lady Celia?“, erkundigte sich Melinda.

„Hat den perfekten Gemahl noch nicht gefunden.“

„Genauso wie du.“

„Da hast du Recht. Nun, wer weiß, was diese Saison bringt…“

Ihnen kam eine sehr elegante, allerdings nicht mehr ganz neue Barouche entgegen, mit elfenbeinfarbener Seide und schokoladenbraunem Leder ausgeschlagen, darin ein ausgesprochen gut aussehendes Paar. Er zog seinen Zylinder, die Dame winkte, allerdings nicht gerade überschwänglich.

„Carew“, grüßte Sebastian freundlich, aber auch nicht gerade enthusiastisch. „Lady Eloise…“

„Herrion. Wieder einmal in der Stadt? Und…?“

Sebastian entsann sich seiner Manieren und stellte seine Gemahlin und seine Schwester vor. Lady Eloise stellte ebenfalls sofort einen Nachmittagsbesuch in Aussicht und stellte fest, sie würden gewiss gute Freundinnen werden. Dies belohnte Cecilia mit einem würdevoll-freundlichen Nicken.

„Du schätzt sie nicht sehr?“, fragte Melinda, sobald sie außer Hörweite gerollt waren.

„Ach, sie war immer schon recht amüsant und kennt den neuesten Klatsch“, wich Cecilia ein wenig aus.

„Und das ist ja sehr wichtig für dich, nicht wahr?“, neckte Sebastian seine Schwester.

„Wenn man über diese Dinge nichts weiß, sind Ballsäle ein gefährlicher Ort“, entgegnete Cecilia. „Man sagt schnell das Falsche oder spricht mit den falschen Leuten. Oder man ist so vorsichtig, dass man als ungemein langweilig gilt. Das ist auch nicht gerade erstrebenswert.“

„Aber wirklich sympathisch ist dir Lady Eloise nicht?“

Cecilia zuckte die Achseln. „Ich weiß es gar nicht recht. Sie ist ein wenig zu eifrig auf der Suche nach einem Ehemann. Dabei ist sie, glaube ich, zwei Jahre jünger als ich – und ich suche doch auch nicht verbissen nach einem geeigneten Kandidaten!“

„Wenn sie unbedingt heiraten will, ist das aber doch verständlich? Du kannst dir auch ein Leben als wohlhabende, vornehme unverheiratete Dame vorstellen, aber sie wohl nicht?“

„Na, eigentlich wäre ich auch ganz gerne verheiratet. Mit einem wirklich netten und passenden Mann. Das wird nicht ganz einfach, glaube ich. Es gibt hier zu viele Hohlköpfe, Mitgiftjäger und Männer ohne Rang und Verbindungen.“

Sebastian hörte dem Gespräch seiner beiden Damen mit stillem Amüsement zu und konnte seiner Schwester eigentlich nur Recht geben, was die Qualitäten der aktuellen Londoner Junggesellen betraf.

Aber einige vernünftige Männer in passendem Alter, mit genügend Vermögen und tadellosem gesellschaftlichem Ansehen musste es doch geben?

„Wie wäre es mit Carew?“, schlug er also vor.

„Dann wäre Eloise meine Schwägerin“, überlegte Cecilia ohne Begeisterung. „Nein, lieber nicht.“

„Aber er hat dich vorhin sehr interessiert betrachtet“, steuerte Melinda bei.

„Ich heirate nicht den Erstbesten, der ein wenig Interesse zeigt“, murrte Cecilia.

„Das musst du auch nicht. Wir haben bis jetzt noch keinen einzigen Ball besucht und gerade einmal mit den Insassen zweier Wagen kurz geplaudert“, versuchte Sebastian sie zu besänftigen.

„Vielleicht lernst du ja doch noch den einen oder anderen Gentleman kennen“, fügte Melinda hinzu, verschmitzt zwinkernd.

Tatsächlich tauchte schon der nächste auf – sehr elegant auf einem schimmernd schwarzen Wallach den Weg entlang trabend. Neben dem Wagen der Herrions hielt er an, zog den Hut und rief vergnügt: „Hertwood! Stell mich doch bitte vor!“

Sebastian seufzte. „Stephen Latymer, Lord Bolton. Meine Gemahlin, Lady Hertwood, meine Schwester, die Ehrenwerte Miss Herrion.“

Erneut wurde der Hut gezogen. „Mylady… Miss Herrion…“ Bei Cecilias Namen beschrieb der Hut einen deutlich schwungvolleren Kreis.

Cecilia lachte. „Mylord… Ihre gute Laune wirkt ansteckend.“

„Soll ich angesichts so reizender Damen nicht guter Stimmung sein? Und der Beginn der Saison ist doch immer der Höhepunkt des Jahres!“

„Dann wird man sich ja vielleicht bei einigen Anlässen wieder sehen“, stellte Cecilia vage in Aussicht und nickte Bolton gnädig zu, während der Wagen wieder zu rollen begann. Melinda lächelte und senkte den Kopf.

„Und?“, fragte Cecilia, sobald sie außer Hörweite waren. „Ist er so amüsant, wie es den Anschein hatte?“

Sebastian grinste. „Du solltest die Erfahrung selbst machen, er wird bei der ersten Gelegenheit in deinem Salon auftauchen. So viel immerhin: Warnen muss ich dich nicht vor ihm.“

„Also kein schräger Vogel?“

„Cecilia! Möchtest du hier als Wildfang gelten? In deinem Alter wird dir das nicht mehr so leicht verziehen!“

„Ja, Mama. Er ist schlimmer als eine Anstandsdame“, wandte sie sich zu Melinda, die nur kicherte.

„Ich war viel öfter in London als du, ich weiß, was hier noch als amüsant gilt und was als ausgesprochen unerzogen.“

„Warst du auf so vielen Bällen? Ich denke, wenn du dich in Herrenclubs aufhältst, erfährst du nicht, worüber sich die alten Damen erbosen.“

„Das wüsstest du wohl gerne?“

Sebastian feixte regelrecht, als er Cecilias zornrote Wangen betrachtete. Zwei Damen kamen ihnen entgegen, die eine in nahezu mittleren Jahren, die andere noch etwas zu jung für ein Debüt.

„Oh! Cecilia Herrion, nicht wahr?“

„Lady Franklyn, wie geht es Ihnen? Und das ist gewiss Miss Franklyn?“

„Meine Älteste, Mirabelle.“

Mirabelle knickste leicht, murmelte etwas und blickte dann zu Boden.

„Und wer ist die Dame neben Ihnen, Miss Herrion?“

„Meine Schwägerin, Lady Hertwood. Meinen Bruder Hertwood kennen Sie, nehme ich an?“

„Oh ja!“ Mirabelle knickste auf einen Puff ihrer Mutter hin erneut.

„Es gingen schon Gerüchte herum, Sie hätten recht überraschend geheiratet. Darf ich fragen, Lady Hertwood, woher Sie stammen?“

Melinda richtete sich noch etwas steifer auf. „Aus Kent. Mein Vater war der jüngst verstorbene Viscount Lynet.“

„Lynet…“, murmelte Lady Forthhurst und runzelte dabei die Stirn, als sei sie noch nicht faltig genug, „Lynet – darüber habe ich doch erst vor kurzem etwas gehört?“

Melinda lächelte nicht ohne Anstrengung freundlich. „Mein Onkel hat den Titel von meinem verstorbenen Vater geerbt, wahrscheinlich ist diese Nachricht tatsächlich bis hierher gedrungen.“

Cecilia nickte zufrieden: Melinda bewahrte bewunderungswürdig die Fassung!

„Richtig, so war es. Auch Provinzereignisse finden ihren Weg in die Hauptstadt.“

Sebastian grinste breit. „Die Provinz ist schließlich das Rückgrat des Landes, nicht wahr?“

Das trug ihm nur ein verkniffenes Lächeln und ein steifes Nicken ein, dann schritten die Damen davon.

„Dumme Pute“, verkündete Cecilia, sobald sie außer Hörweite gerollt waren. „Was geht es diese Person bitte an, was auf Lynet vor sich geht?“

„Nichts“, stimmte Melinda friedlich zu. „Lass sie doch, wenn sie es nötig hat, ihre Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken. Mama hat geschrieben, es geht ihnen gut und Benedict ist damit beschäftigt, das Gut wieder instand zu setzen. Er hat gesagt, erst kommen die Felder und die Cottages und dann das Herrenhaus – solange es da nicht durchregnet. Aber sie haben neue Kleider bekommen und es gibt genug zu essen. Und Benedict hat zwei Lakaien eingestellt, um den alten Walters zu entlasten. Damit bin ich schon sehr zufrieden.“

Sebastian tätschelte seiner Frau die Hand. „Du hast Recht. Wir könnten die drei aber für einige Tage nach London einladen. Deine Mutter könnte mit uns auf Bälle gehen und tagsüber zeigen wir Janey die Sehenswürdigkeiten. Und Benedict weiß sich hier ja ohnehin schon zu beschäftigen.“

Cecilia lachte. „Als neuer Viscount Lynet wird er in den Ballsälen auch hoch willkommen sein. Er geht doch auf Bälle?“

„Gewiss. Jetzt wollen doch alle den neuen Viscount sehen. Und eine Partie ist er schließlich auch. Wie wäre es denn mit ihm, Cecilia?“

Cecilia gab ein nicht ganz damenhaftes Geräusch von sich.

Melinda sah sie erstaunt an. „Aber du hast dich doch mit ihm recht gut verstanden, als ich so wütend auf ihn war? Warum sollte er jetzt nicht in Frage kommen?“

„Ich weiß nicht. Ich denke nur, es müsste sich noch etwas Interessanteres finden lassen. Eine Saison mitzumachen und dann sozusagen einen Verwandten heiraten – das erscheint mir doch recht unromantisch.“

„Wir werden nach Ruinen mit wahnsinnigen Mönchen Ausschau halten“, versprach Sebastian. „Wäre das nach deinem Geschmack?“

„Nein“, murrte Cecilia, die sich natürlich auf den Arm genommen fühlte, „was soll ich mit einem Katholiken, der überhaupt nicht heiraten darf und wer weiß woher stammt? Einmal davon abgesehen, stelle ich mir einen wahnsinnigen Ehemann auch nicht sehr amüsant vor.“

„Gut erkannt. Romantik sollte man also auch nicht überbewerten, meinst du nicht?“

„Spiel hier nicht den großen Bruder, Sebastian, sag mir lieber, wer der Gentleman auf diesem riesigen Schimmel ist!“

Sebastian spähte in die angegebene Richtung. „Du lieber Himmel, Sir Archibald! Reitet er auf seinen Kutschpferden aus? Was ist denn das für ein schreckliches Vieh?“

Sir Archibald verneigte sich, sobald er nahe genug heran gekommen war, höflich aus seiner erhabenen Position, stellte sich selbst vor und wünschte den Damen einen angenehmen Nachmittag. Die Damen erwiderten diesen Wunsch anmutig und ignorierten dabei tapfer die beginnenden Nackenschmerzen; Sir Archibalds Anerbieten, ihnen die Geschichte des Hyde Parks zu erläutern, lehnten sie allerdings höflich ab, wobei Sebastian ihnen beisprang und darauf hinwies, dass man die Pferde nicht so lange stehen lassen dürfe, schließlich gebe es den Park schon seit dem Mittelalter.

„Vielleicht besuchen Sie uns einmal und berichten uns dann die Einzelheiten“, schlug Melinda schließlich freundlich vor. Diese Einladung wurde sehr enthusiastisch aufgenommen.

„Puh, ich glaube, dieser Sir Archibald ist ein ziemlicher Langweiler“, vermutete Cecilia einige Minuten später, sich den Nacken reibend.

„Ein wahres Ungeheuer von einem Gaul“, bestätigte Sebastian. „Und er ist kein Langweiler, er belehrt nur gerne andere Leute. Ihr werdet euch sehr jung fühlen, wenn er seinen Besuch macht, so, als wärt ihr noch im Schulzimmer.“

„Schrecklich“, fand Cecilia.

„Ich kann mir das recht nett vorstellen“, wandte Melinda ein, „ich habe doch im Schulzimmer auf Lynet so wenig gelernt.“

Cecilia staunte: „Du willst wirklich etwas über die Geschichte des Hyde Parks wissen? Wozu?“

„Vielleicht erfahre ich dann etwas Interessantes über die Geschichte Londons – oder gleich Englands?“

Cecilia schnaufte abfällig.

„Ich glaube, die ersten Wagen verlassen den Park“, lenkte Sebastian ab, „wir sollten auch nach Hause fahren, damit es nicht aussieht, als könnten wir uns gar nicht losreißen. Immerhin, einige Kontakte haben wir wieder geknüpft – und viele andere haben zur Kenntnis genommen, dass die Herrions in der Stadt sind.“

„Wir haben also unser Ziel erreicht?“, antwortete seine Frau.

„So könnte man es nennen. Übermorgen ist der Empfang bei Mrs. Ramsworth, nicht wahr, Cecilia?“

„Oh ja. Darauf freue ich mich schon. Mrs. Ramsworth ist eine so nette und zugleich so einflussreiche Frau. Sie wird dir gefallen, Melinda!“

Kapitel 3

Der Mittwoch brachte als ersten Höhepunkt Sebastians Eröffnung, er habe eine Loge im Covent-Garden-Theater gemietet, und zwar für die ganze Saison. Gleich an einem der nächsten Abende gebe es eine amüsante Komödie.

Melinda, die noch nie im Theater gewesen war, war sprachlos vor Entzücken; Cecilia kommentierte die Nachricht nur mit „Oh, sehr gut!“ und überlegte weiter, was sie am heutigen Abend tragen wollte.

Sebastian schlug weiterhin vor, eine kleine Ausfahrt zum St. James Palace und nach Whitehall zu unternehmen und anschließend ein wenig im St. James Park zu promenieren.

Dies wurde dann auch nach dem Lunch in die Tat umgesetzt, wobei Cecilia allerdings bemängelte, dass sich kaum Spaziergänger in dem Park befanden, der von einem Kanal durchquert wurde und in der einen Richtung auf den recht renovierungsbedürftigen Buckingham Palace, in der anderen auf die Kaserne der berittenen Wachregimenter zeigte.

Melinda dagegen gefielen besonders die Kühe, die im Park gemolken wurden, so dass die Passanten ein Glas kuhwarmer Milch trinken konnten.

„Es gibt, so habe ich gehört, Überlegungen, den Park etwas gefälliger zu gestalten. Nun, vielleicht wird sich Nash dieser Sache eines Tages annehmen, er ist ja sehr darum bemüht, die Stadt etwas zeitgemäßer umzugestalten und auch neue Häuser und neue Wohnungen zu schaffen. Schließlich wächst London unaufhaltsam!“

„Aber Nash interessiert sich wohl kaum für Wohnungen für die Armen, oder?“, kritisierte Cecilia, die immer noch etwas gereizt wirkte.

„Das wohl weniger“, gab Sebastian zu, „ich denke, es geht ihm um repräsentative Straßen und Gebäude, die unserem Zeitgeschmack entsprechen. Man muss ja leider sagen, dass manche Bezirke Londons ausgesprochen deprimierend wirken.“

„Vor allem Whitechapel, nach dem, was man so hört“, ließ sich Cecilia vernehmen.

„Ja, dort müsste tatsächlich etwas geschehen. Aber es gibt durchaus Privatinitiativen, die sich für eine Verbesserung der Verhältnisse einsetzen. Du solltest dich darüber einmal mit Ben unterhalten, er kennt einige dieser Wohltäter.“