Vornehme Geschwister - Catherine St.John - E-Book

Vornehme Geschwister E-Book

Catherine St.John

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Beschreibung

Die vier Kinder des Herzogs von Gaveston verstehen sich untereinander nicht wirklich gut. Die beiden älteren, Horace, Marquess of Vilmont, und seine bildschöne Schwester Lady Diane, fühlen sich ihrer hohen Abstammung verpflichtet und führen ein entsprechendes Leben, was natürlich an ihren Mitteln zehrt und die (unvornehme, arg bürgerliche) Kritik der beiden jüngeren, Lord Vergil und Lady Cora, hervorruft. Während Diane auf Bällen nach einem sehr reichen und sehr vornehmen Ehemann sucht, ohne dabei selbst wirklich aktiv zu werden, und der Marquis vornehmlich in zweifelhaften Etablissements beim Trinken und Spielen anzutreffen ist, versucht Vergil verzweifelt, die Reste des Familienvermögens zusammenzuhalten, und Cora macht die Bekanntschaft des einflussreichen Politikers Viscount Hartford, mit dem sie interessante Gespräche führt und zu dem sie sich immer mehr hingezogen fühlt. Und dann treibt es der Marquis schließlich zu weit, so dass sich die Familie inmitten eines Skandals um eine Leiche in der Themse wiederfindet. Wird Cora in dieser Situation noch ihr Glück finden können?

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Catherine St. John

Vornehme Geschwister

Historischer Roman

Imprint

Vornehme Geschwister. Historischer Roman

Catherine St.John

Published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.deCopyright: © 2020 R. John 85540 Haar

Cover: Edmund Blair Leighton: Sweet Solitude

ISBN 978-3-752950-77-9

Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23

Kapitel 1

Diane stand im rosa Salon auf Gave Court und zupfte ihre Stirnlöckchen vor dem Spiegel über dem Kamin zurecht, leise vor sich hin murrend.

Cora, die an einem Stück Stoff stichelte, sah auf und fragte: „Was missfällt dir denn jetzt wieder?“

Diane drehte sich um und Cora musste neidlos anerkennen, dass sie wirklich wie eine griechische Göttin aussah, von den nachtschwarzen Locken über das elegante Profil bis hin zu der göttlichen Figur, wie es nicht nur ein Verehrer etwas allzu deutlich formuliert hatte.

„Hier ist es langweilig!“

„Das finde ich gar nicht. Man kann lesen, nähen, versuchen, das Leben der Bauern zu verbessern… die junge Mrs. Gardener hat Zwillinge bekommen! So entzückende Kinder, ganz klein… ich habe ihr gestern einige Hemdchen gebracht und etwas Kräftigendes für sie selbst. Und ich durfte beide Winzlinge auf den Arm nehmen.“

„Pah! Warum sollte ich mich für Bauerngören begeistern? Ich will auf Bälle gehen, tanzen, in den Park ausfahren, neue Roben machen lassen -!“

„Jetzt ist doch in London gar nichts geboten? Beginnt die Saison nicht erst wieder im neuen Jahr?“

„Es gibt immerhin die kleine Saison. So ganz leer ist London eigentlich nie, höchstens im August. Dann muss es dort einfach zu heiß sein.“

„Und stell dir vor, wie die Themse erst riecht, wenn sie sich in der Sonne erwärmt…“, spottete Cora und schloss eine Naht mit hauchfeinen Stichen.

„Wie ekelhaft! Das ist doch wieder typisch für dich. Und was nähst du da eigentlich?“

„Wie ekelhaft muss der Gestank erst für die armen Leute sein, die immer in London leben müssen! Man müsste sich da wirklich einmal eine Lösung einfallen lassen, das ist doch bestimmt ungesund? Solche Dämpfe?“

„Was geht das uns an? Warum leben die denn in London, wenn es ihnen dort nicht gefällt?“

„Wo sollen sie denn hingehen? Sie müssen da leben, wo sie Arbeit finden können. Schlecht bezahlte Arbeit zumeist.“

„Dann sollen sie sich eben eine bessere Arbeit suchen. Das ist doch nicht unser Problem!“

„Nein, dein Problem ist die Langeweile, nicht wahr? Du erinnerst mich an die Königin Marie Antoinette.“

„Wer ist das?“, fragte Diane zerstreut und zupfte die goldgestickten Schleifen an ihrer hohen Taille zurecht.

„Eine Königin?“ Dies wurde im Tonfall erschöpfter Nachsicht mit so viel Ahnungslosigkeit vorgetragen, so deutlich, dass Diane ärgerlich errötete.

Leider sah sie damit noch lieblicher aus.

„Das weiß ich auch!“

Ach, wirklich?

„Nur nicht welche. Königinnen gibt es doch überall!“

„Die letzte Königin Frankreichs vor der Revolution. Als die hungernden Massen vor dem Schloss protestiert haben, soll sie gesagt haben: Wenn die Menschen kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen!“

Diane blinzelte. Das bedeutete, dass sie die Pointe nicht verstanden hatte, wie Cora aus langjähriger Erfahrung wusste. Taktvoll verzichtete sie darauf, ihrer wunderschönen, aber geistig nur mäßig bestückten Schwester die Parallele zu erklären. Stattdessen seufzte sie leise: Wenig Scharfsinn, dafür umso mehr Standesbewusstsein! War das mittlerweile nicht ein wenig unzeitgemäß?

Bevor sie sich entschieden hatte, ob sie überhaupt etwas sagen wollte, wurde die zweiflügelige Tür geöffnet und Ihre Gnaden, die Herzogin von Gaveston, rauschte herein.

„Guten Morgen, Mama“, grüßte Cora höflich, aber ohne sonderliche Wärme.

Die Herzogin nickte ihr zu und wandte sich dann an Diane. „Ich denke, wir sollten doch für ein paar Wochen nach London fahren. Es gibt auch jetzt einige Bälle und andere Gelegenheiten, um – nun – Ausschau zu halten.“

„Sehr schön! Nur wir beide?“

„Das ist kaum möglich. Immerhin hat deine Schwester ja schon debütiert, wie sollten wir dann begründen, warum sie auf dem Land bleiben muss?“

„Das verstehe ich nicht! Sie ist doch ohnehin lieber hier und besucht diese Bauern.“

„Von deren Arbeit wir übrigens leben“, erklang eine scharfe Männerstimme. „Guten Morgen, Mama. Cora, Diane…“

„Solltest du mich nicht zuerst nennen, Vergil? Immerhin bin ich die Ältere!“

„Das, liebe Schwester“, lächelte Cora, „solltest du lieber nicht so betonen!“

„Du Biest!“

Cora kicherte kurz und senkte dann den Blick wieder fromm auf ihre Näharbeit.

„Gut leben wir nicht von diesen Bauern“, warf die Herzogin ein und studierte ihre Frisur im Spiegel über dem Kamin.

„Das liegt vielleicht auch daran, dass Einkommen und Ausgaben nicht im Einklang miteinander stehen?“, schlug Vergil vor.

„Wie meinst du das?“, fragte seine Mutter stirnrunzelnd.

„Sie geben zu viel aus, ganz einfach. Sie alle, außer Cora und mir.“

„Wir sind eine herzogliche Familie, wir müssen doch einen gewissen Standard wahren!“, entrüstete sich die Herzogin.

„Ja, vor allem so wie Horace, was? Wetten, spielen, sau-“

„Vergil!!“

„Ist doch wahr“, murrte der Gescholtene leise.

„Wir fahren nach London, dann musst du dich nicht über uns entrüsten“, beschied ihn Diane mit strahlendem Lächeln.

„Was, schon wieder? Das heißt wahrscheinlich haufenweise neue Roben, obwohl die vorhandenen doch keiner in London schon kennt.“

Diane hatte schon den Mund geöffnet, um ihrem sparsamen Bruder das unerfreuliche Prädikat „von der letzten Saison“ zu erläutern, als Cora fragte: „Muss ich denn wirklich mit nach London?“

„Undankbares Mädchen! Du fährst mit, das sieht wirklich besser aus.“

Cora wandte sich zu Vergil und verdrehte recht deutlich die Augen zur bemalten Decke. Er grinste sie in stillem Einverständnis an und verließ den Salon wieder. Sie tat es ihm gleich, von Mutter und Schwester unbeachtet, die bereits über die Roben diskutierten, mit deren Hilfe Diane nun endlich einen passenden Ehemann finden sollte.

Für sie würde kein neues Ballkleid abfallen, aber das störte sie nicht. Diane trat vorzugsweise in Weiß auf, Schneeweiß als Kontrast zu ihren rabenschwarzen Locken, den leuchtend himmelblauen Augen und dem zartrosigen Teint. Cora mit den braunen Locken und den dunkelblauen Augen fand weiße Roben etwas langweilig. Raffiniert platzierte Farbakzente gefielen ihr besser – und sie war schließlich geschickt genug, das auch gekonnt in die Tat umzusetzen.

Auf dem Dachboden konnte man die wunderbarsten Kleider aus den letzten beiden Jahrhunderten finden. Zielsicher steuerte sie eine Truhe in der hintersten Ecke an, die sie und Lizzie die „Anna-Truhe“ getauft hatten. Anna, die Gemahlin des zweiten Herzogs, hatte kurz vor der Rückkehr zur Monarchie geheiratet und sich häufig bei Hofe aufgehalten. Immerhin hatte sie die beiden Erben zur Welt gebracht, bevor das abenteuerlustige Auge Charles´ II auf sie gefallen war, zunächst wohl vor allem auf ihre rote Haarpracht…

Wer der Vater der beiden kleinen Mädchen war, die sie in den mittleren Sechzigern des 17. Jahrhunderts geboren hatte, war unklar; dem zweiten Herzog, der selbst noch einige Kinder mit seiner Geliebten hatte, schien es gleichgültig gewesen zu sein. Ein sehr gelassenes Zeitalter, fand Cora. Und zwei hübsche Herzogstöchter, die vielleicht sogar Töchter des Königs waren und eine durchaus ansehnliche Mitgift bekamen, ließen sich doch allemal gut verheiraten!

Anna hatte mit Rücksicht auf die kupferfarbene Mähne vorzugsweise silbergrau, blassgrün und hellblau getragen, ab und an auch ein kräftigeres Saphirblau, dunkles Waldgrün, Violett oder Sonnengelb. Womit hatte man damals bloß die Stoffe gefärbt? Und die Farben waren immer noch so kräftig leuchtend! Vielleicht hatten sie in der Truhe auch wenig Gelegenheit gehabt, auszubleichen…

Cora sah die üppigen Abendkleider durch, durchwegs auf absurd breiten Reifröcken zu tragen, und entschied sich für ein saphirblaues Exemplar mit silberner Stickerei. In der Kiste der vierten Herzogin, Sophia, gab es, wie sie wusste, ganze Stapel von wunderschöner Nachtwäsche, Musselin, Seide, Samt und vor allem die herrlichsten Spitzenborten. Sie fand ein Negligé aus cremefarbenem Musselin und ein leider verschossenes Nachthemd aus Seide, das aber mit immerhin unversehrten Brüsseler Spitzen besetzt war. Sofort nahmen zwei Abendroben in ihrem Kopf Gestalt an; sie raffte ihre Beute zusammen und trug sie nach unten. Vor ihrem Zimmer traf sie mit Diane zusammen, die hämisch grinste. „Also ich bekomme neue Abendroben! Puh, wie die Sachen schon riechen!“

„Sie werden ja noch gewaschen und gelüftet. Und aus einem von diesen gewaltigen Gewändern kann man heute mindestens zwei machen. Sei froh, dass alles Geld für deine Ausstattung bleibt.“

„Das gehört sich ja wohl auch so!“

„Richtig“, konnte Cora nicht unterdrücken, „du bist ja wohl auch der dringendere Fall, nicht wahr?“

Diane blinzelte kurz, dann schien die Botschaft in ihrem Hirn angekommen zu sein, denn sie fauchte und verschwand türenknallend in ihren Räumen.

Cora schaffte die Beute in ihr Zimmer, wo sie auch schon Lizzie antraf, die frisch Gewaschenes und Gebügeltes in ihren Schrank schichtete und jetzt knickste.

„Oh, Lady Cora! Welch herrliche Farbe! Und diese Spitzen! So kostbar…!“

„Eben, Lizzie! Du kennst doch mein Weißes mit der silbernen Stickerei am Ausschnitt und diesem faden hellrosa Unterkleid. Was meinst du, wenn wir ein Unterkleid aus diesem blauen Rock anfertigen? Diese silbernen Bögen am Saum dürften passen.“

Lizzie überlegt und nickte dann. „Ja, das dürfte gut aussehen – aber dürfen Sie schon ein so kräftiges Blau tragen, Lady Cora? Hat Ihre Gnaden Ihnen das gestattet?“

Cora lächelte spitzbübisch. „Ich habe sie einmal gefragt, aber da hat sie nur belästigt abgewinkt, wahrscheinlich waren Diane und Horace wieder einmal viel wichtiger. Mein Glück! Und vermutlich sieht sie gar nicht, was ich trage. Komm, wir machen uns an die Arbeit!“

Sie drückte Lizzie die Nachtwäsche zur Reinigung in die Hand; die blauseidene Pracht hätte bei einer Wäsche wohl sehr gelitten, da half nur Ausbürsten und Lüften, was auch genügen musste. Also hängte sie die bauschigen Seidenwogen an den Schrank und ging mit einer winzigen Schere vorsichtig daran, die Nähte aufzutrennen.

Genügend Nadelgeld für blaue Seidenslipper hatte sie noch und an Schals, Haarbändern und Handschuhen war wirklich genug vorhanden. Einen neuen blauen Schal konnte man vielleicht auch aus den Resten des blauen Rocks… nein, das Material eignete sich nicht.

Mit solchen Gedanken und Tätigkeiten war sie bis zum Lunch auf das Netteste beschäftigt und erst, als sie ihren Vater hörte, wie er jemanden anbrüllte, erkannte sie, dass auch Horace sich eingefunden haben musste. Ach, wie ärgerlich!

Horace war unangenehm, fand sie. Sicher, Mama und Diane waren anstrengend, aber doch im Kern sympathisch – aber Horace? Horace schien zu glauben, alle anderen seien zu seiner Bedienung oder seinem Vergnügen da. Als kleines Mädchen hatte sie ihn sehr hübsch gefunden, obwohl er sie nie beachtet hatte, aber mittlerweile sah er bleich und teigig aus, die Augen waren oft blutunterlaufen und die Nase hatte ihm einmal jemand gebrochen. Wer und warum, wusste sie nicht, aber wie sie Horace kannte, hatte er es redlich verdient.

Nun, dann musste sie sich wohl zum Lunch einfinden! Lizzie frischte ihre Frisur auf und versprach, die bezeichneten Nähte weiter aufzutrennen, bevor das Personal seinen Lunch einnahm.

Tatsächlich saß Horace schon am Tisch, als sie eintrat. Sie schenkte ihm einen knappen Knicks und setzte sich. Bei ihm reichte es nur für einen müden Blick.

Die Herzogin zeigte Besorgnis. „Mein lieber Junge, fühlst du dich nicht wohl? Du siehst sehr blass aus, du wirst doch wohl nicht krank werden? Gegen die Pocken seid ihr ja alle geimpft, glücklicherweise, abervielleicht hast du dich auf der Reise erkältet? Cora, fühle doch bitte, ob der liebe Horace Fieber hat!“

„Ganz gewiss nicht!“, verwahrte sich Cora, denn Horace machte ganz den Eindruck, als habe er sich seit Tagen nicht mehr gewaschen.

„Nein, Mirabella, das ginge dann doch wirklich zu weit!“, verfügte der Herzog.

„Ich bin sicher, Horace hat nur einen ordentlichen Kater“, stellte Vergil fest und grinste seinen älteren Bruder etwas hämisch an.

„Einen Kater?“ Die Herzogin sah verblüfft aus. „Horace? Aber nicht doch!“

Vergil und sein Vater husteten kurz. Diane verarbeitete offenbar das Gehörte noch und Cora hüllte sich in Schweigen. Der Geruch nach schalem Alkohol drang bis zu ihrem Platz und verdarb ihr den Appetit.

Immerhin aß sie von jedem Gang einige Bissen und alles, was ihr als Dessert präsentiert wurde, um sich für die Näharbeiten zu stärken.

„Ich brauche Geld“, verkündete Horace dann in dem schleppenden Ton, den er offenbar für elegant hielt, und schob sein Schokoladentörtchen auf dem Teller hin und her.

„Du weißt ja, was wir vereinbart haben“, antwortete sein Vater, der mit gutem Appetit aß. „Du bist der Marquess of Vilmont und verfügst über die Einkünfte aus deinem Marquisat. Solltest du wieder Spielschulden bei Stafford haben – oder andere Schulden – finanzierst du das gefälligst aus deinen eigenen Einkünften!“

„Stafford!“, schnaubte Horace, nun eher ungeziert. „Wenn es nur das wäre!“

„Dann lass das Spielen.“

„Vor allem, wenn man so ungeschickt spielt wie du“, konnte Vergil sich nicht zurückhalten.

„Wenn du so hohe Einkünfte hast, dann leih mir zweitausend Pfund“, schlug Horace seinem Bruder vor.

„Ganz gewiss nicht“, wiederholte dieser Coras Ausspruch von vorhin, „meine Einkünfte investiere ich in meinen eigenen Besitz. Deiner ist sehr viel größer – und zweitausend Pfund? Davon könnten mehrere Familien bequem ein Jahr lang leben!“

„Bauernfamilien!“, warf die Herzogin ein. „Unsereiner hat doch wohl die Verpflichtung, einen etwas repräsentativeren Lebensstil zu pflegen.“

„Wenn unsereiner die Mittel dafür hat, sollten Sie hinzufügen, liebe Mirabella“, widersprach der Herzog und winkte einem Diener, dass er ihm nachschenke.

 

„Ansonsten sollte auch unsereiner seinen Lebensstil nach seinen Einkünften einrichten. Und daran fehlt es in dieser Familie noch weit.“ Der Herzog warf Horace und Diane einen strengen Blick zu, der aber nicht weiter registriert wurde. Cora bezähmte sich und sah die beiden nicht an, Vergil dagegen lachte auf und Horace wandte sich ärgerlich an seinen Vater: „Ich möchte wissen, was das jetzt plötzlich zu bedeuten hat, Sir. Sie spielen doch auch? Und das nicht gerade erfolgreich?“

Man sah dem Herzog an, dass er diesen Vorwurf als unverschämt empfand, aber er zwang sich zu einer ruhigen Antwort: „Ich habe das Spiel schon sehr eingeschränkt, weil Gaveston solche Ausgaben nicht mehr tragen kann. Und ich habe stets nur in wirklich angesehenen Clubs gespielt und um sehr mäßige Einsätze. Kannst du das von dir auch sagen?“

Horace brummte etwas Unverständliches; Cora glaubte allerdings, das Wort langweilig gehört zu haben.

Nach dem Essen, bei dem er dem Wein sehr zugesprochen hatte, verkündete Horace, er werde nach London zurückkehren. „Hier gibt es ja nichts zu tun und ich muss versuchen, in London Geld aufzutreiben.“

Der Herzog hob eine mahnende Hand. „Du denkst daran, dass Vilmont zum Fideikommiss gehört? Du kannst es weder verkaufen noch beleihen. Und es auch nicht als Sicherheit einsetzen. Ansonsten machst du dich des Betrugs schuldig.“

„Na und? Ich bin doch nicht irgendwer!“

„Nein“, antwortete Vergil, „du bist der berüchtigste Tunichtgut der Londoner Gesellschaft. Wirklich ein vornehmes Prädikat!“

Horace grinste etwas verschwommen. „Dein kleines Gut gehört nicht zum Fideikommiss, oder?“

Vergil fuhr so auf, dass sein Stuhl umfiel. Im nächsten Moment hatte er Horace an der Kehle gepackt, sodass dessen Halstuch unrettbar ruiniert war. „Wenn du meinen Besitz antastest, bringe ich dich um. Oder“, er legte eine dramatische Pause ein, „ich setze in alle wichtigen Zeitungen eine Annonce, dass mein bankrotter Bruder weder Gaveston noch Vilmont noch Thurston Grange beleihen oder verkaufen kann. Dann musst du dich London nicht mehr blicken lassen!“

Horace schnappte nach Luft und sah hilfesuchend zum Herzog, aber der hatte sich zurückgelehnt und nahm gerade, das Schauspiel interessiert betrachtend, zierlich eine Prise.

Vergil ließ seinen Bruder los, nicht ohne ihm genügend Schwung zu verpassen, dass er, rückwärts stürzend, auf dem Hinterteil durch das halbe Speisezimmer rutschte. „Das wirst du bereuen!“, fauchte dieser kurz vor der Tür, rappelte sich ungelenk auf und verschwand türenknallend.

„Dann sollte ich dieses Schreiben wohl aufsetzen“, verkündete Vergil. „Sie werden die Briefe freimachen, Sir?“

„Gewiss. Du würdest deinem Bruder aber doch kein Leid zufügen?“

Vergil grinste. „So dumm, ihn zu erschießen, bin ich nicht, dafür würde ich ja in Newgate gehängt!“

„Das beruhigt mich. Aber mit Horace wird es noch ein übles Ende nehmen…“

Kapitel 2

„Wirklich, Gabriel“, wiederholte die verwitwete Viscountess Hartford, entspannt auf dem blausamtenen Sofa im türkischen Salon ihres Stadthauses am Berkeley Square sitzend.

Der so Angesprochene seufzte und sah sich in der blaugoldenen Pracht um, bevor er gepeinigt kurz die Augen schloss. „Liebe Honoria, hast du eigentlich auch einen Salon, der für den menschlichen Aufenthalt geeignet ist? Dieser hier ist nur geringfügig weniger furchtbar als das chinesische Horrorkabinett. Was hast du gegen zurückhaltende Farben und klassische Formen einzuwenden?“

Seine Stiefmutter ging darauf nicht weiter ein, sondern verfolgte ihren eigenen Gedankengang weiter: „Du bist jetzt achtunddreißig! Andere haben in diesem Alter längst die nötigen Kinder – und du? Du hast noch nicht einmal eine passende Frau ins Auge gefasst! Ich weiß ja auch, dass zurzeit nicht viele Veranstaltungen geboten sind, aber auch diese kleine Saison kann eine Möglichkeit sein. Geh doch wenigstens auf einige Bälle und sieh dich ein wenig um! Und wenn du das um deiner Zukunft willen nicht tun willst, dann tu es um meinetwillen. Ich mache mir doch Sorgen!“

„Immerhin habe ich doch einen Titel, Grundbesitz und ein beträchtliches Vermögen zu vererben? Das wolltest du doch als Nächstes sagen?“ Gabriel Woodley, Viscount Hartford, grinste seine Stiefmutter frech an. „Schließlich ist das ja nicht erste derartige Predigt!“

„Gegen die wiederholten Predigten gibt es ein ganz einfaches Mittel!“ Die alte Witwe grinste mindestens genauso frech. „Heirate und du hast deine Ruhe!“

„Ob wohl jemals jemand aus diesem abwegigen Grund geheiratet hat? Hast du vielleicht auch schon eine passende Frau für mich im Auge, Honoria?“

Diese schnaubte. „Ich denke nicht daran! Natürlich weiß ich, wie die richtige Frau für dich aussehen müsste, aber suchen darfst du sie gerne selbst.“

Hartford zog die Augenbrauen hoch. „Wie außerordentlich interessant. Wenn du gestattest, werde ich mir, um den Genuss dieser Beschreibung noch zu steigern, einen Brandy gönnen. Du auch einen?“

„Einen kleinen Sherry, bitte.“

Als sie ihr Glas hatte und der Viscount sich, einen größeren Brandy in der Hand, wieder bequem in seinen Sessel gesetzt hatte, begann sie: „Nicht zu jung. Kein Gänschen aus dem Schulzimmer. Irgendetwas zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Vernünftig. Eine kluge Gesprächspartnerin.“ Sie grinste. „Ein Hauch von Frauenrechtlerin würde nicht schaden, das hält dich jung und frisch. Aus guter Familie, aber niemand, der dauernd auf seinen Rang pocht. Sie sollte das Landleben ebenso schätzen wie Aufenthalte in der Stadt und imstande sein, einem großen Haushalt vorzustehen. Mitfühlend, aber nicht naiv. Möglichst keine zu unangenehmen Verwandten, aber denen könnte man notfalls aus dem Weg gehen.“

Hartford trank einen großen Schluck. „Ein Fabelwesen! Du glaubst nicht ernsthaft, dass es eine solche Frau gibt?“

„Warum nicht? Annabelle Norton ist - nun, besser gesagt, wird - eines Tages eine solche Frau sein.“

„Aber sie ist schon verheiratet, das ist ein Minuspunkt. Und ganz ehrlich, sie ist reizend, aber sie könnte meine Leidenschaft nicht wecken.“

„Umso besser, denk nur an Stephen Norton. Ich meine nur, solche Frauen gibt es. Du musst nur suchen. Und fang damit an, bevor du ein kauziger Tattergreis bist!“

„Deutliche Worte, meine liebe böse Stiefmutter!“ Er trank sein Glas aus und erhob sich, um ihr die Wange zu küssen. „ich werde jetzt gehen und über deine weisen Worte nachdenken. Wann ist denn der nächste geeignete Ball?“

Lady Hartford lächelte triumphierend. „Übermorgen – und sogar bei Amelia Ramsworth!“

„Oh, das ist nun wirklich eine reizende Frau. Leider nach deinen Kriterien zu alt, nicht wahr?“

Ohne seiner Stiefmutter Gelegenheit zu geben, dies zu kommentieren, eilte erhinaus.

*

Tatsächlich kam ihm, als er nach Hause zurückkehrte, sein elegantes Stadthaus in der South Audley Street auf eine undefinierbare Weise leer vor, obwohl er von seinem Butler Murray, seinem Kammerdiener Grisley und einem ganzen Heer von weiblichen Bedienten - von Mrs. Adams, der Köchin, abwärts - auf das Beste umsorgt wurde.

Mit einem weiteren Brandy saß er in der Bibliothek, starrte ins Feuer und überlegte, ob es wirklich Zeit war, zu heiraten. Irgendeine passende Frau… Honoria, die alte Nervensäge, hatte seine Idealfrau gar nicht so schlecht beschrieben – aber eine solche Frau gab es doch gar nicht!

Wenn Honoria nicht irgendein perfektes, nur leider verarmtes Mädchen aus dem Ärmel schütteln konnte – nein.

Er war zwar ein harter und zuweilen hochmütiger Mann, nicht ohne politischen Einfluss und sehr aktiv, wenn es um die industrielle Entwicklung Englands ging, aber im Inneren war er wohl doch so etwas wie ein Romantiker – er wollte eine Frau auch lieben können.

Damit rechnete Honoria bestimmt nicht. Damit rechnete wohl niemand!

Und mit dieser Wunschliste sollte er auf Bälle gehen und das Angebot an jungen Gänschen studieren?

Ganz bestimmt nicht! Noch einen Brandy? Nein, er würde gegen acht zu Abend essen und dann ruhig in der Bibliothek sitzen, bis es Zeit war, sich früh zur Ruhe zu begeben.

Er verzog spöttisch das Gesicht: Offenbar wurde er wirklich schon alt!

Gut, er würde übermorgen auf Amelia Ramsworths Ball gehen. Das war keine zu schreckliche Massenveranstaltung, bei der man beinahe zu Tode gedrückt wurde, sondern ein eleganter Ball mit überschaubaren Mengen an Gästen. Und im Allgemeinen wählte sie diese Gäste auch sehr sorgfältig aus. Dort konnte man als alternder konservativer Politiker durchaus auftauchen! Und Amelia Ramsworth würde sich über seine Anwesenheit freuen…

Kapitel 3

„Aber Mrs. Ramsworth ist doch gar nicht von Adel?“, fragte Diane etwas mürrisch, als sie in der Schlange vor dem eleganten Stadthaus der Gastgeberin standen.

„Du bist ein dummes Wesen“, zischte ihre Mutter, sehr pompös in violetten Samt mit passendem Turban gekleidet und zu ihrem eigenen Missvergnügen mit einer aufwendigen Amethyst-Garnitur geschmückt, weil sie das berühmte Thurston-Smaragdcollier nicht hatte finden können.

Diane, in mädchenhaftem Weiß mit viel Spitze und goldenen Bändern, eine große weiß-goldene Schleife im Haar und Topase um den Hals, schob die Unterlippe vor. „Wenn sie so vornehm ist, warum ist sie dann nicht Lady Ramsworth?“

„Ich dachte, wir hätten dir die Grundbegriffe des englischen Adels beigebracht“, seufzte die Herzogin.

„Beigebracht reicht offenbar nicht“, konnte Cora sich nicht bezähmen, „regelmäßige Wiederholungen hätten vielleicht mehr geholfen.“

„Ach? Du weißt also, warum diese Person so vornehm sein soll?“

„Vielleicht noch etwas lauter?“, zischelte Cora. „Wenn das jemand hört, werden wir hier nie wieder eingeladen!“

„Mrs. Ramsworth hat die besten Verbindungen, auch wenn ihr Mann nur der jüngere Enkel eines Herzogs war“, flüsterte Ihre Gnaden, denn man war dem Portal schon gefährlich nahegekommen, man sah schon die Treppe, auf deren Absatz die Gastgeberin stand.

Cora erkannte schon auf diese Entfernung, dass diese eine wunderbare Robe trug, mit der sich der übertrieben mädchenhafte Kram Dianes ebenso wenig messen konnte wie die violette Pracht, die ihre Mutter nur blass und kränklich wirken ließ.

Tiefes, warmes Dunkelgrün in bestem Samt, der sanft schimmerte und mit wenigen Seidenbändern in etwas hellerem Grün an der hohen Taille und am Saum abgesetzt war. Dazu diskreter Goldschmuck…

„Ich hätte doch die Smaragde tragen sollen“, murrte die Herzogin leise. „Nicht zu Violett!“, widersprach Cora ebenso leise. „Und die Smaragde müssten einmal gereinigt werden. Sie hätten sie mitbringen können und sie bei Rundell & Bridge reinigen lassen. Dann hätten sie wieder ihr altes Feuer.“

„Da hast du Recht, Cora, aber ich habe sie wirklich nicht finden können, ich kann das gar nicht verstehen…“

Cora antwortete nicht; zum einen standen sie mittlerweile auf der untersten Treppenstufe und zum anderen verstand sie schon, warum ihre Mutter die Familiensmaragde nicht finden konnte: Die Herzogin war so unordentlich, dass selbst ihre Zofe Doris das Chaos nicht bändigen konnte – was ihre Herrin auch gar nicht erwartete. Die Zimmerflucht Ihrer Gnaden bestand auf Gave Court aus vier großzügig dimensionierten Räumen, ineinander übergehend und übersät mit Kleidern, Schmuck, modischem Aufputz, Retiküls und Handschuhen in allen Farben. Über jede Sessellehne waren Negligés geworfen, aufregende Romane waren zwanglos über allem verteilt und Doris war froh, wenn sie die gebrauchten Schokoladentassen und Gebäckteller rechtzeitig fand und in die Küche zurückschaffen konnte.

Da ließ sich ein Smaragdcollier, auch wenn es von bombastischer Hässlichkeit war, schon einmal übersehen.

„Duchess“, sagte Mrs. Ramsworth und knickste nicht allzu ehrerbietig, „wie schön! Sie sind bei guter Gesundheit?“

Cora verbiss sich ein Lächeln – jaja, das Violett…

„Und ihre reizenden Töchter…?“

„Lady Diane und Lady Cora.“

Cora knickste höflich, Diane stand stocksteif da. Gerade, dass sie nicht den Kopf in den Nacken warf.

Mrs. Ramsworth zog ganz leicht die Augenbrauen hoch und lächelte freundlich, dann sagte sie aber doch: „Lady Cora, Sie sind das Leben selbst. Und eine sehr attraktive Robe!“

Cora knickste noch einmal. „Vielen Dank, Mrs. Ramsworth!“

„Nun, ich wünsche Ihnen allen viel Vergnügen auf dem Ball…“

Damit waren sie entlassen, stiegen die zweite Halbtreppe hinauf und erreichten den Ballsaal.

„Warum hat sie nur dich gelobt?“, zischelte Diane. „Ich bin die Ältere, also bin ich wichtiger!“

„Das glaubst auch nur du“, zischelte Cora zurück. „Du warst arrogant und sie hat sich über dich geärgert.“

„Streitet nicht schon wieder“, mahnte die Herzogin, „aber ich muss schon sagen, Diane, du warst nicht höflich. Ein leichter Knicks hätte dir besser zu Gesicht gestanden.“

„Aber sie hat doch vor dir geknickst!“

„Du lernst es auch nicht mehr“, murmelte Cora. „Mama ist eine Herzogin und außerdem fast zwanzig Jahre älter als Mrs. Ramsworth. Du bist ein junges Gör und bloß eine Herzogstochter.“

„Du doch auch“, fauchte Diane prompt.

„Ja, ich auch. Aber ich benehme mich ja auch entsprechend!“

„Du dumme -“

„Diane! Nicht in einem Ballsaal!“

Tatsächlich warfen einige Gäste, die an den Streitenden vorbeikamen, den beiden etwas befremdete Blicke zu, was Diane dazu brachte, das Kinn unmutig zu heben und diese Gäste von oben herab zu mustern.

Groß genug war sie dafür ja, dachte Cora etwas missmutig und beschloss dann, den Ball zu genießen, auch wenn das in Gegenwart ihrer überheblichen Schwester nicht ganz leicht war.

Die Herzogin segelte mit leutseliger Miene wie eine Königin, die sich unter ihre Untertanen begibt, auf einen günstigen Platz am Rand der Tanzfläche zu und winkte dann gebieterisch ihren Töchtern. Cora sah sich noch interessiert um, während Diane weiterhin versuchte, erhaben zu wirken, und ihr bezauberndes Profil, leider in Verbindung mit einer recht mürrischen Miene, zur Schau stellte.

Als sie sich setzte und die weißen Spitzenwogen zurechtzupfte, ertönte nicht allzu leises Kichern, aber es war nicht auszumachen, woher es kam. Cora konnte das gut verstehen und flüsterte leise: „Sei nicht so albern, du bist hier nicht der Ehrengast!“

„Du auch nicht!“

Lieber Himmel!

„Das weiß ich doch. Deshalb benehme ich mich auch nicht so affig.“

„Affig??“

„Cora, bitte!“ Mama zog eine strenge Miene, die sich aber offenbar auch auf Diane zu beziehen schien.

Cora zuckte die Achseln und sah sich lieber im Saal um, der sich schon recht gut gefüllt hatte, denn Mutter und Schwester und deren spezielle Seltsamkeiten kannte sie ja wohl zur Genüge, herzlichen Dank!

Viele sehr junge und ausgesprochen unbedeutende Männer, zwar aufwendig gekleidet, aber manchmal doch so, als müssten sie in ihre eleganten Fräcke erst noch hineinwachsen. Die Frisuren waren freilich stellenweise recht erheiternd, kühne Windstoßfrisuren waren die große Mode und manche Jünglinge versuchten, Backenbärte zu züchten, die leider noch nicht so recht wachsen wollten.

Gab es hier auch erwachsene Männer? Ohne unkleidsame Barttrachten?

Sie sah Viscount Lynet, der offensichtlich ohne seine Braut unterwegs war. Ein hübscher Mann, aber schonvergeben. Ob sich seine Miss Herrion wohl darüber ärgern würde, wenn sie davon wüsste?

Würde sie sich über so etwas ärgern? Vielleicht… ob sie Anlagen zur Eifersucht hatte, hatte sie sich noch nie überlegt. Vielleicht mangels einer geeigneten Situation… ein rascher Seitenblick überzeugte sie, dass Diane immer noch als jungfräuliche Göttin neben ihr saß. Wie die Göttin Diana – wusste sie denn überhaupt, wer die gewesen war?

Bei solchen Gedanken fand sie sich selbst arrogant. Sie sollte lieber Mitgefühl mit Dianes eher schlichten Geistesgaben haben, nahm sie sich vor und setzte unwillkürlich die dazu passende Miene auf.

War Diane wirklich etwas dumm oder nur etwas – nun – geistig unbeweglich? Und an Bildung nicht übermäßig interessiert? Sie warf ihr einen prüfenden Blick zu und zuckte leicht die Achseln.

Viscount Hartford, der sich gerade mit seinem guten Bekannten Lynet über ein neues Kanalbauprojekt unterhielt, hatte Cora einen Moment lang beobachtet und fand ihr rasch wechselndes Mienenspiel recht amüsant.

Während sie die Frage diskutierten, ob diese Kanalgesellschaft wohl genügend Kapital hatte und ob die Tatsache, dass der Kanal um einen kleinen Berg herumgeführt werden musste, die Kosten nicht beträchtlich erhöhen müsste, tranken sie in kleinen Schlucken Champagner und Gabriels Blick schweifte immer wieder hinüber. Amüsantes Mädchen – vielleicht.

Benedict de Lys folgte seinem Blick und sagte halblaut: „Ach herrje! Ist die auch wieder da…“

„Wer?“

„Die weiße Göttin dort drüben. Ich habe mich ein, zwei Male mit ihr unterhalten und auch getanzt, aber nur, um Cecilia ein bisschen eifersüchtig zu machen.“ Er grinste. „Viel genützt hatte es damals freilich noch nicht…“

„Und die Dame in Weiß hat Ihnen nicht zugesagt?“

„Gewiss nicht. Sie ist bildschön, aber sehr von sich eingenommen, recht arrogant und – mit Verlaub – ein arges Dummerchen. Kennen Sie Vilmont?“

„Diesen jungen Nichtsnutz? Kennt nur Spielen und Trinken? Sein Ruf ist schon in ganz London herum!“

„Seine Schwester.“

„Oh! Und die andere? Die in dem Kleid in Silber und Dunkelblau, die ein so lebhaftes Mienenspiel hat? Sie sieht aus, als führte sie ein stummes Selbstgespräch!“

„Ich kenne sie nicht, aber ich möchte vermuten, dass es sich um die jüngere Schwester, Lady Ca- nein, Cora handelt. Über sie habe ich noch nichts gehört.“

„Sie ist nicht so schön wie die andere, aber sie wirkt lebhafter. Und sie ist viel origineller gekleidet“, stellte Gabriel fest. „Vielleicht werde ich einmal mit ihr tanzen.“

Benedict nickte. „Lassen Sie nur die Finger von der anderen. Und hüten Sie sich vor Vilmont. Er ist der Typ, der bei einem Duell vor dem Signal feuert.“

„Amoralisch? Ich verstehe. Sagen Sie, ging nicht einmal das Gerücht, jemand habe Vilmont die Nase gebrochen? Sie wissen nicht zufällig Näheres?“

Lynet ließ seine Schnupftabaksdose aufspringen und nahm eine winzige Prise. Ihm gefiel die Geste, leider mochte er den Tabak gar nicht so besonders. „Leider nicht“, sagte er dann und lächelte entschuldigend. Hartford zog die Augenbrauen hoch und nickte. „Ich verstehe.“

„Tatsächlich?“

Sie lächelten sich komplizenhaft an, dann ging jeder seiner Wege, Lynet zu den Herren in der Nähe des Kartenzimmers, um Gespräche über Investitionen und einen Grauschimmel zu führen, den er als Zuchthengst einsetzen wollte – und Hartford steuerte auf Lady Cora zu. Thurston war der Familienname, fiel ihm ein.

Die Herzogin unterhielt sich etwas gönnerhaft mit ihrer Nachbarin, Lady Diane sah sich um, als sei sie unter den Pöbel geraten und Lady Cora lächelte gerade einem sehr jungen Mädchen einige Plätze neben ihr zu.

Als Hartford sich der Gruppe näherte, richtete Lady Diane sich interessiert auf und sank mit mürrischer Miene in sich zusammen, als dieser attraktive Gentleman ihre jüngere Schwester um deren Tanzkarte bat und sich einen Walzer reservierte.

Danach verbeugte er sich etwas nachlässig vor der Herzogin, die ihm ein gnädiges Nicken schenkte, und entfernte sich wieder.

„Oh!“ Diane war empört. „Was fällt diesem Kerl denn ein, mich zu ignorieren?“

„Vielleicht bist du nicht sein Geschmack?“, spottete Cora.

„Aber du vielleicht? Das glaubst du doch nicht ernsthaft! Ich bin die Beauté der Familie, das weiß doch jeder!“

„Geht das wieder los!“, stöhnte Cora. „Ist dir immer noch nicht klar geworden, dass Schönheit nicht alles ist?“

„Streitet euch nicht, ihr zieht schon die Aufmerksamkeit der Leute auf euch!“, mahnte ihre Mutter.

„Cora drängt sich in den Vordergrund, das kommt ihr nicht zu!“, petzte Diane sofort.

„Unsinn, das tut sie nicht. Nun lass sie doch auch einmal tanzen! Du hast doch wirklich keinen Grund, ausgerechnet auf Cora eifersüchtig zu sein.“ Die Herzogin tätschelte Dianes Hand.

Ausgerechnet auf Cora? Was sollte das denn bitte heißen? Cora schwieg beleidigt und beschäftigte sich angelegentlich mit ihrer Tanzkarte. Fünf Tänze hatte sie bis jetzt vergeben, zumeist an Herren, deren Namen und Aussehen sie schon wieder vergessen hatte. Vielleicht kamen später ganz andere, um sie zum Tanz zu führen? Auffallen würde es ihr nicht… Sie lächelte bei dem Gedanken.

„Gefällt es Ihnen hier?“

Das junge Mädchen war einige Plätze näher gerückt.

Cora lächelte auch ihr zu. „Oh ja! Nicht, dass ich mich nach einem Leben in London verzehrte, aber ein Ball in einem so reizvollen Saal ist auf jeden Fall ein Erlebnis. Es heißt ja, dass Mrs. Ramsworth immer sehr elegante Unterhaltungen veranstaltet.“

Das Mädchen nickte etwas bedrückt. „Alle sind hier so vornehm! Ich bin ganz eingeschüchtert. Wahrscheinlich werde ich beim Tanzen über meine eigenen Füße stolpern oder meinen Tanzpartner treten. Oh, Verzeihung, mein Name ist Selina Lancourt.“

„Cora Thurston. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Selina. Aber Sie sind doch gewiss nicht alleine hier?“

„Nicht doch!“ Miss Selina erlaubte sich ein winziges Kichern. „Meine Mama steht dort hinten und unterhält sich mit einem sehr dicken Herrn.“

Cora reckte so unauffällig wie möglich den Kopf und sah gerade noch eine spiegelblanke Glatze, die durch einen üppigen weißen Backenbart mehr als ausreichend ausgeglichen wurde. Nun ja – wohl nicht viel mehr als dreimal so alt wie die vielleicht siebzehnjährige Selina. Vielleicht war er ein reizender Mensch?

Oder ein lüsterner Greis, so etwas hatte Cora bei ihrem Debüt schon erlebt und sich sehr handgreiflich zur Wehr gesetzt. Ob Selina das auch wagen würde? Sie beschloss, das Mädchen ein wenig im Auge zu behalten, soweit das möglich war, denn sie würden ja wohl nicht ewig in London bleiben.

Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie überlegte, dass sie vielleicht bleiben würden, bis Diane einen Mann gefunden hatte. Nun, das konntedauern…

Die Musik setzte nach einigen eher misstönenden Stimmversuchen ein und ein junger Mann mit blondem Tituskopf und einer sehr aufregenden Weste holte Cora zum Tanz. Selina wurde von einem etwas gesetzteren Herrn aufgefordert, der nur durch eine sehr streng gebundene Krawatte auffiel. Ein ehemaliger Militär vielleicht?

Amüsanterweise fanden sie sich im selben Karrée wieder und lächelten sich gelegentlich zu, wenn sie sich gemessenen Schrittes umeinanderdrehten, bevor sie zu ihren Herren zurückkehrten. Miss Selinas Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht, sie tanzte noch ein wenig steif, aber tadellos und ohne über eigene oder fremde Füße zu stolpern.

Dazwischen gab es ein ständig unterbrochenes Gespräch mit dem blonden Jüngling, der sich als Sir Harold vorgestellt und gleich verkündet hatte, er hasse Lord Byron einfach, weil ihn seit Childe Harold jedermann auf seinen Namen ansprach. Cora war daraufhin recht froh, dass sie den albernen Witz nicht auch angebracht hatte.

Der korrekte Offizier und Miss Selina lächelten sich gelegentlich zu und wechselten wenige Worte – und dann verklang die Musik auch schon wieder.

Den Ländler ließ Cora bereitwillig aus; es hatte seine Vorteile, wenn man nicht alle Tänze vergeben hatte!

Ihre Mutter unterhielt sich immer noch mit ihrer Nachbarin, Diane war nirgendwo zu sehen, tanzte aber auch nicht. Miss Selina stand mit ihrem Tänzer vor dem Buffet und nippte an einem Glas, was Cora sehr zufrieden stellte.

Aber wo war Diane? So dumm, nach draußen zu gehen, war sie keinesfalls. Gut, wenn es darum ging, einen Herzog einzufangen – darunter täte sie es ja doch nicht, überlegte Cora und kräuselte dabei unwillkürlich die Mundwinkel.

Kannte sie hier eigentlich jemanden?

Sich umzusehen war ja recht nett, aber allmählich bereute sie, dass sie keinen kleinen Roman in ihrem Retikül mitgebracht hatte.

„Lady Cora! Man sieht Sie ja eher selten in der Stadt!“

Sie sah hastig auf und erhob sich ehrerbietig – die Gastgeberin persönlich ließ sich herab!

„Mrs. Ramsworth… ja, meistens bin ich auf Gave Court. Zunächst sollte ja wohl meine Schwester eine Partie finden, nicht wahr?“

„Das dürfte sich etwas hinziehen“, kommentierte Mrs. Ramsworth versonnen und lächelte Cora verschmitzt zu. „ich könnte mir vorstellen, dass Sie die größeren Chancen haben, Lady Cora. Im Übrigen kann ich Ihr raffiniertes Kleid nur bewundern! Wo haben Sie es machen lassen?“

„Wenn ich ganz ehrlich bin – nirgendwo. Ich nähe leidenschaftlich gerne und verwerte gerne kostbare alte Stoffe.“ Sie stockte und sah Mrs. Ramsworth nervös an, was ihr ein Armtätscheln eintrug. „Keine Sorge, Lady Cora, ich werde schweigen. Aber noch einmal: Respekt vor dieser Leistung! Oh, und mir scheint, da kommt ihr nächster Tänzer. Einer, der absolut kein Hohlkopf ist – wie leider so manche hier im Ballsaal.“

„Eine wertvolle Information, Mrs. Ramsworth. Herzlichen Dank“, erwiderte Cora trocken. Die Gastgeberin lachte auf, tätschelte ihr noch einmal den Arm und erhob sich elegant. „Dann also viel Vergnügen beim Walzer!“

Einen Moment später verbeugte sich der Mann, über den sich Diane so geärgert hatte, vor ihr, während das Orchester einen Walzer präludierte.

Cora lächelte höflich und ließ sich auf die Tanzfläche führen.

Im Stillen ärgerte sie sich über sich selbst: ein so gutaussehender Tänzer und Mrs. Ramsworth zufolge auch ein kluger Mann – warum hatte sie seinen Namen vergessen?

„Lady Cora, Sie tanzen ausgezeichnet“, lobte er nach zwei, drei Drehungen.

„Danke schön. Ich kann das Kompliment nur erwidern“, antwortete sie höflich, aber wahrheitsgemäß. Eleganz war die Eigenschaft, die einem bei ihm einfiel.

Sie nahm ihren Mut zusammen. „Es tut mir leid, Sir, aber ich war länger nicht mehr in London, deshalb sind mir nahezu alle Personen hier unbekannt.“

Sie überlegte, wie sie besonders vorsichtig weiterformulieren sollte, aber er lächelte nachsichtig. „Sie können sich nicht mehr auf meinen Namen besinnen? Das ist doch auf diesen Bällen ganz natürlich. Ich bin Hartford.“

„Viscount Hartford? Dann, glaube ich, hat mein Bruder, einmal von Ihnen erzählt. Ging es nicht um einen Plan zur Verbesserung des Getreidetransports?“

„Oh! Ich bin beeindruckt.“

Sie sah mit hochgezogenen Brauen zu ihm auf. „Dass ein weibliches Wesen sich so schwierige Sachverhalte merken kann?“

Er zog sie in eine besonders schwungvolle Drehung und antwortete amüsiert: „Eine Frauenrechtlerin? Interessant – aber ich hatte mich nur gewundert, weil ich - ehrlich gesagt - Vilmont eine Neigung zur Wirtschaftspolitik gar nicht zugetraut hätte.“

Cora lachte schallend. „N-nein, da haben Sie auch ganz Recht. Vilmonts Interessen liegen ganz woanders. Ich habe noch einen Bruder, Vergil, und er istein begeisterter Landwirt und kennt seine Verantwortung.“

„Das, Lady Cora, hört man natürlich gerne.“

„Woher kannten Sie denn eigentlich meinen Namen, Mylord?“

„Ich kenne jeden, Mylady.“

Er studierte kurz ihr sicherlich verdutztes Gesicht, dann lachte er auf. „Nein, natürlich nicht. Ich habe Lynet gefragt.“

„Viscount Lynet? Eigenartig. Ich wusste gar nicht, dass er mich kennt!“

„Ich glaube, er hat einmal Ihre Schwester und Vilmont kennengelernt.“

„Dann sind Sie ein mutiger Mann, Mylord.“

„Ach ja?“

„Nun, hat Viscount Lynet Ihnen nicht energisch abgeraten? Diese Thurstons?“

„Sind denn alle Thurstons gleich? Ich habe schon aus der Entfernung feststellen können, dass Sie sich zumindest von Ihrer Schwester zu unterscheiden scheinen. Über Vilmont kenne ich nur Gerüchte, und ihren anderen Bruder – Vergil? – habe ich noch nie getroffen. Leider, sollte ich wohl sagen?“

„Was Vilmont betrifft – seien Sie froh, auch wenn das recht unschwesterlich klingt. Vergil dagegen ist wirklich ein netter Bruder.“

Der Walzer verklang und Hartford küsste Cora formvollendet die Hand. „Ich habe mich lange nicht mehr so nett während eines Walzers unterhalten. Vielleicht wiederholen wir das bei Gelegenheit?“

„Gerne“, antwortete Cora und knickste anmutig, bevor sie sich zu ihrem Platz zurückführen ließ.

„War das Hartford?“, fragte ihre Mutter. Cora bejahte. „Man kann sich gut mit ihm unterhalten.“

„Das ist doch nicht wichtig! Glaubst du, er wäre etwas für Diane? Zur Not, meine ich?“

„Was bitte meinen Sie mit zur Not, Mama?“

„Nun, ein Viscount ist ja eigentlich schon von vergleichsweise niedrigem Adel. Aber ob Diane noch die große Auswahl hat…“ Ein tiefer Seufzer folgte.

„Ich fürchte, Hartford schätzt Diane nicht so recht. Er hat mir das Kompliment gemacht, ich sei ganz anders als Diane. Außerdem scheint er auch allerlei Gerüchte über Horace gehört zu haben.“

„Horace…!“ Ein mütterliches Lächeln erschien auf dem eher strengen Gesicht der Herzogin. „So ein eleganter junger Gentleman… unser ganzer Stolz, nicht wahr?“

„Nun ja… ich fürchte, sein Ruf ist tatsächlich nicht der Beste.“

„Woher willst du das denn wissen? Das ist auch gar kein Thema für eine unschuldige junge Lady.“

„Ich mag ja unschuldig sein, aber ich bin doch nicht dumm! Die Gerüchte sind sogar bis Gave Court gedrungen. Aber wo ist eigentlich Diane?“

„Diane?“ Die Herzogin sah sich um, als müsse sie neben ihr sitzen.

„Sie tanzt vermutlich.“

„Nein, sie tanzt nicht, denn die Musiker machen vor der nächsten Runde eine Pause.“ Cora unterdrückte den Wunsch, hinzuzufügen wie man deutlich hören kann.

„Dann steht sie bestimmt bei den Erfrischungen und plaudert mit ihren Verehrern.“

„Also, ich kann sie dort auch nicht entdecken. Sie wird doch nicht etwa nach draußen gegangen sein?“

„Cora, ich bitte dich! Diane weiß in jedem Fall, was sie ihrer Familie schuldig ist! Wie kommst du nur auf solche Ideen?“

Cora schwieg leicht beleidigt. Ihrer Mutter zu erklären, dass Diane schon seit geraumer Zeit abgängig war, wäre ihr ja doch nur – wie immer - als Missgunst ausgelegt worden! Abgesehen von dem kurzen Moment des Realismus vorhin hielt Ihre Gnaden immer noch an der Idee fest, dass ihre wunderschöne Älteste unter ihren zahllosen vornehmen Verehrern nur zu wählen brauchte. Widerspruch war da genauso zwecklos wie bei ihrer Überzeugung, dass der verkommene und verrufene Horace der bewunderte Mittelpunkt der Gesellschaft war.

Vor kurzem hatte ihm ja jemand eins auf die Nase gegeben, so dass sie seitdem etwas schief stand. Es hätte seine liebende Schwester schon sehr interessiert, was er da wieder angestellt hatte, aber Horace hatte nur mürrisch geschwiegen und sich so schnell wie möglich nach Vilmont verzogen. Wahrscheinlich nur für die Zeit, in der er einen Verband über der Nase trug.

War es wohl unchristlich, zwei der Geschwister nicht zu mögen? Immerhin hatten sie als Kinder miteinander gespielt!

Nein, das war auch kein erfreulicher Gedanke; Horace war zwar glücklicherweise die meiste Zeit in der Schule gewesen, aber wenn er auf Gave Court weilte, war sein Lieblingsspiel Ich bin der Herzog und ihr müsst vor mir knien