Eine wirklich schräge, abgedrehte und definitiv auch verrückte Familie - Jan-Niklas Mürmann - E-Book

Eine wirklich schräge, abgedrehte und definitiv auch verrückte Familie E-Book

Jan-Niklas Mürmann

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Beschreibung

Marie wünscht sich ein eigenes Kind, nur findet sie dafür einfach nicht den passenden Partner. Auch in ihrem besten Freund Jakob erwacht plötzlich derselbe Wunsch. Der Haken bei ihm: Er steht grundsätzlich nicht auf Frauen.
Doch dann kommen die beiden auf eine geniale Idee: Warum bekommen sie kein Kind zusammen? Per Samenspende – versteht sich. Dass die meisten Menschen wenig von ihrer Familiengestaltung halten, schreckt sie nicht ab. Tatsächlich wird Marie schwanger und bekommt sogar Zwillinge. 
Nur in der Liebe warten sie weiterhin auf ihr Happy-End.
Ein wahres Chaos an Gefühlen, Wünschen, Träumen, Vorurteilen und natürlich Liebe sorgt dafür, dass alles irgendwie doch komplizierter wird, als eigentlich geplant war...

Jan-Niklas Mürmann wurde 1993 in Papenburg geboren. Nach seinem Abitur studierte er Betriebswirtschaftslehre und machte anschließend eine Ausbildung als Pferdewirt. Er ist bis heute noch als Bereiter aktiv. 
Schon immer hatte er eine große Begeisterung dafür, sich Geschichten auszudenken und vor einiger Zeit hat er auch angefangen, diese aufzuschreiben.

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Jan-Niklas Mürmann

Eine wirklich schräge, abgedrehte

und definitiv auch verrückte Familie

 

© 2023 Europa Buch | Berlin

www.europabuch.com | [email protected]

ISBN 9791220134996

Erstausgabe: April 2023

Gedruckt für Italien von Rotomail Italia

Stampato presso Rotomail Italia S.p.A. - Vignate (MI) Eine wirklich schräge, abgedrehte und definitiv auch

verrückte Familie

 

 

 

Ich erkläre ihm alles und darauf erwidert er: „Ich weiß, was du meinst. Ich habe den Eindruck, als gäbe es eine allgemeine tiefsitzende Grundüberzeugung, dass das,

was wir da tun, falsch ist“. „Ja genau. So als ob wir an den Grundfesten der Erde rütteln würden“, stimme ich ihm zu. „Zumindest an denen der Menschlichkeit“, ergänzt er, „die meisten sagen es nicht mal direkt – oh, die gibt es natürlich auch – aber alle denken es“.

 

Teil 1

Jakob, 20. Juni 2020

„Boah, du schläfst ja immer noch, Cosi!“, erweckt mich Marie von den Toten. Wobei, so richtig lebendig fühle ich mich noch nicht. Überhaupt nicht, um genau zu sein. „Was´n los?“, brumme ich und reibe mir den Schlaf aus den Augen. Sie fühlen sich an wie zugeklebt und das bisschen Licht, das in sie eindringt, brennt wie Hölle.

Eigentlich haben mir meine Eltern den Namen Jakob gegeben. So weit so gut, aber weil es dem Standard unserer Familie entspreche, musste ich auch noch zwei weitere Namen von irgendwelchen Verwandten hinten angehängt bekommen. Aus diesem Grund heiße ich jetzt Jakob Karl Friedrich! Wow! Weil dieser Name aber so wenig zu mir passt wie Einhörner und Dreck zusammen, nennt mich im Grunde niemand mehr so. Sie hatten wohl gehofft, dass aus mir mal ein anständiger Jakob K. F. wird, aber das hat irgendwie überhaupt nicht geklappt. „Wir sind gleich verabredet! Und zwar genau in einer viertel Stunde. Und wir fahren auch eine viertel Stunde, also sieh zu, dass du in einer Minute beim Auto bist“, fährt sie gnadenlos fort. Fuck! Das habe ich ganz vergessen.

Ich liege quer im Bett, meine Decke liegt auf dem Boden und ich habe noch meine Sachen von gestern Abend an. Inklusive Schuhe. Aber jetzt mal im Ernst: Wer kommt auf die Idee, sich Samstagmorgens um elf Uhr zu verabreden? Warum nicht zu einer menschenwürdigen Zeit? Ich bin noch überhaupt nicht in der Lage aufzustehen. Mein Kopf brummt wie verrückt und meine verdammten Augen wollen einfach nicht offen bleiben.

„Ich glaube, ich bin vergiftet worden, Mausi. Der letzte Sekt war garantiert schlecht“, behaupte ich. „Von wegen! Und weißt du was? Du tust mir überhaupt nicht leid. Du bist selber schuld. Du wusstest das ganz genau, aber musstest natürlich trotzdem feiern gehen. Als wäre es schlimm gewesen, wenn du mal einen Freitag ausgelassen hättest. Und wenn du nicht in zehn Sekunden aufgestanden bist, hole ich einen Eimer Wasser!“

Und leider weiß ich, dass sie das tatsächlich machen würde. Darf ich vorstellen: Meine beste Freundin. Also erhebe ich meinen Kadaver aus dem Bett und schaue mich Zombiemäßig im Spiegel an. Marie klimpert ungeduldig mit den Schlüsseln. „Gut, dass du schon angezogen bist“, sagt sie. Von wegen. Ich rieche kurz an meinem T-Shirt. Es riecht eindeutig nach Disko. Nach Qualm, Parfum, Schweiß und einem süßlich klebrigen Geruch, von dem ich gar nicht wissen möchte, wo er herkommt.

Ich ziehe es schnell aus, torkele ins Ankleidezimmer und ziehe das erstbeste Shirt an, das mir in die Hände fällt. „Du siehst gut aus“, sagt Marie und zieht mich an der Hand aus dem Zimmer heraus und bis zu ihrem Auto, wo ich mich erschöpft auf den Beifahrersitz fallen lasse. Augenblicklich fährt sie los. Sie fährt nie besonders schnell, aber immer so ruckartig. Das ist gar nicht gut für meinen Kopf und für meinen Magen ganz bestimmt auch nicht. Ich hatte nicht mal Zeit, ein wenig Katerpflege zu betreiben.

Und all das nur, weil wir zwei Freunde von uns besuchen wollen: Laura und Kai, um das neue Baby anzugucken. Das ist ein riesen Event, weil natürlich jeder aus dem Bekanntenkreis vorbeikommen muss, um die Kleine mal auf den Arm zu nehmen. Wir auch.

Kurze Zeit später hält Marie vor dem Haus der beiden an und ich bin heilfroh, diese Autofahrt hinter mich gebracht zu haben. Ich steige aus und atme die frische Luft ein. Mir geht es schon ein wenig besser. Als wir zur Tür laufen, fällt mir auf, dass an meiner einen Stiefelette und an meiner Hose noch Glitzer klebt. Irgendwer hatte gestern Glitzerspray dabei. Ich habe auch noch meine Lederarmbänder um und eine Kette, an der ein Haifischzahn hängt. Egal, ich kenne Laura schon eine Ewigkeit lang und sie mich auch. So, wie ich eben bin.

Marie klingelt und kurze Zeit später macht Kai die Tür auf. Er sieht müde aus. Nicht ansatzweise so krass wie ich, aber ein wenig. „Hi, daddy“, sage ich mit einem breiten Grinsen und nehme ihn kurz in den Arm. Marie stöhnt genervt auf. Ihr ist es manchmal ein wenig peinlich, wie ich mich benehme, aber nie wirklich. Sie rammt dann immer nur leicht ihren Ellenbogen in meine Seite, verdreht die Augen oder sagt: „Mensch Cosi, jetzt reiße dich mal zusammen“.

Wir kennen Kai erst, seit er mit Laura zusammen ist, aber das ist jetzt auch schon drei Jahre her. Am Anfang konnten er und ich uns nicht besonders leiden. Gut, das könnte daran gelegen haben, dass wir so unterschiedlich sind, wie es eben nur geht –naja, zumindest beinahe – aber das hat sich irgendwann gelegt. Aber ich bin da auch echt stumpf. Es schockiert mich nur äußerst selten, was andere über mich denken. Und Kai ist eigentlich doch ein ganz cooler Typ.

Wir gehen rein ins Wohnzimmer und da steht Laura mit dem Kind auf dem Arm. „Oh Hallo du kleine Prinzessin. Wir sind zwei sehr gute Freunde. Du wirst uns von jetzt an öfter sehen“, sage ich gleich mit Babystimme

– die gehört einfach dazu. Es gibt nicht mal eine kritische Bemerkung von Marie. Wir gehen um Laura herum und schauen uns die Kleine von vorne an. Oder von oben. Sie hat Babyspeck im Gesicht, freundliche Augen und ihr Mund ist zu einem leichten Grinsen verzogen. Wir sind sofort hin und weg. Moment mal – das heißt, ich auch?!

Ich schüttele unwillkürlich den Kopf und trete einen Schritt zurück. Wo kommen auf einmal diese Gefühle her? Ich gehe lieber rüber zu Kai. „Müsst ihr nachts oft aufstehen?“, frage ich ihn. „Nein, nein, das geht“, erwidert er. „Ja, aber nur, weil du meistens einfach weiter schläfst“, tadelt ihn Laura, wenn du erst mal schläfst, dann weckt dich so schnell keiner auf“. „Wie ein Murmeltier“, merke ich mit einem Grinsen an.

„Das ist bei Cosi auch nicht anders, aber erst ab zwei

Promille“, sagt jetzt Marie. „Mimimi“, erwidere ich bloß. Aber dann passiert es: Laura gibt die kleine Lea an Marie weiter. Sie schaukelt sie leicht im Arm mit einem verträumten Gesichtsausdruck. Dann sieht sie mich an und das ist der Moment, der alles verändert! Für uns beide. Für immer!

Okay, bei Marie überrascht es mich nicht besonders. Sie ist ja eine normale Frau – ach Quatsch: Sie ist eine hinreißend tolle Frau. Die beste, die es überhaupt gibt, und naja, ihre Zeit ist irgendwie gekommen. Aber bei mir? In meinen Augen und in meinen Gedanken kann man gerade das gleiche lesen wie bei ihr und das ist echt spooky!

Ich meine, mir ist schätzungsweise seit meinem fünfzehnten Lebensjahr im Grunde klar, dass ich nie ein eigenes Kind bekommen werde und das war bisher auch nie ein Problem für mich. Aber jetzt?

Gerade eben hatte ich ganz kurz ein Bild vor Augen von mir mit meiner Tochter oder meinem Sohn auf dem Arm. Ich ziehe die Stirn in Falten. Vielleicht sind es nur der furchtbare Kater und die Müdigkeit, die mir diese Gedanken in den Kopf treiben? Ich bin echt zu alt für diesen Scheiß! Ich meine damit nicht nur die Feierei gestern, sondern eher die Tatsache, dass ich so langsam verstehe, dass das Leben keine einzige große Party ist. Es gibt andere Dinge, die wichtiger sind und die einen glücklicher machen als ein bisschen kurzzeitiger Spaß. Zum Beispiel genau diese Sache hier, die sich gerade auf teuflische Art und Weise in mein Gehirn zu brennen scheint. Na großartig!       

Marie,26.6.20

Ich schalte den Motor aus und steige aus. Upsi, ich blockiere mal wieder zwei Parkplätze, aber das macht nichts, das kennen sie schon. Ich komme gerade nach Hause von meinem Treffen mit ein paar alten Freundinnen. Ich muss zugeben, dort nur noch aus Pflichtgefühl hinzugehen. Ich fühle mich immer wie E.T. unter den anderen. Sie sind mittlerweile alle verheiratet, haben mindestens ein Kind und dementsprechend wird auch nur noch darüber gesprochen: Was das Kind schon wieder alles gelernt hat, welche Filme es am liebsten sieht oder dass sich der Durchfall schon wieder gelegt hat. Für mich ist das nicht besonders interessant, sondern ziemlich frustrierend, weil es mir immer wieder deutlich macht, dass auch meine biologische Uhr tickt. Und sie tickt immer lauter.

Ich bin erst einunddreißig, also definitiv noch nicht zu alt, aber es ist auch nicht absehbar, dass sich an dieser Tatsache in absehbarer Zeit etwas verändern könnte. Und wer ist schuld daran? Diese nichtsnutzigen Männer! Ich habe einfach immer Pech. Da gibt es diesen einen Kerl: Lukas Bachmann. Wir sind immer mal wieder zusammen und dann wieder nicht. Wir sind wohl das perfekte Beispiel für eine on-off-Beziehung.

Ich kann ihn einfach nicht richtig vergessen und jedes Mal, wenn wir wieder zusammen kommen, denke ich mir: Diesmal klappt es, wir haben uns verändert. Nur um dann nach wenigen Tagen festzustellen, dass sich gar nichts verändert hat.

Lukas ist Fußballprofi, aber kein besonders guter. Er kann sich damit über Wasser halten, vielmehr nicht. Manchmal hat er einen besseren Vertrag, dann läuft es wieder schlechter. Er ist der Inbegriff von Unzuverlässigkeit und damit definitiv nicht der Typ für ein Kind.

Ich schließe die Tür auf und trete in die Wohnung. Es ist Freitagabend, also bin ich bestimmt alleine. Cosi ist mit Sicherheit wieder unterwegs. Wie immer. Im Gegensatz zu meinen Freundinnen, die schon unglaublich früh in die Kinder-kriegen-heiraten-und-Häuser-kaufenSchiene gegangen sind, ist er irgendwie kurz nach der Pubertät stehen geblieben. Und ich weiß manchmal nicht, was ich besser finde. Andererseits ist er auch mein kleiner, verrückter Glückskeks. Mit ihm zusammen kann man einfach keine schlechte Laune haben. Ich brauche ihn einfach. Er ist eben der Allerbeste! Und er ist auch noch zwei Jahre jünger als ich. Zugegeben: In den letzten Jahren hat es bei ihm keinen wirklichen Entwicklungssprung gegeben und doch habe ich den Eindruck, dass sich da im Moment etwas zusammenbraut.

Ich ziehe bequeme Sachen an und binde meine Haare zu einem einfachen Knoten zurück. Kurzhaarige sagen ja gerne: „Ich finde offene Haare am schönsten“. Mag sein, aber ihr wisst auch nicht, wie Haare manchmal nerven können, wenn sie einem im Gesicht rumbaumeln! Anschließend lege ich mich erschöpft aufs Sofa, öffne eine Flasche Sekt und schalte wild durch die Fernsehkanäle. Nach einer Weile höre ich plötzlich das Geräusch von Schlüsseln im Türschloss. Komisch.

Coco öffnet die Tür und kommt rein. Er hat Turnschuhe an und Sportsachen. Dunkle Hose und Jacke mit einem neongelben Streifen. Außerdem trägt er Kopfhörer und singt leise mit. Seine Haare sind etwas nass vom Regen und er schüttelt sie aus. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber sie liegen immer noch gut. Das kriege ich mit meinen nicht mal nach einer halben Stunde Styling so gut hin.

Er sieht mich und nimmt die Stöpsel aus seinen Ohren.

„Hi Mariechen. Hast du dir einen Gammel-Abend gemacht? Nein, du warst doch vorhin beim Strick und Tupper-Dosen Club“. „Jaja“, erwidere ich nur, aber muss schon ein bisschen grinsen, „und du? Hast du vergessen, dass heute Freitag ist?“ „Wie könnte ich? Natürlich nicht. Ich heiße sogar nach diesem Tag“, sagt er und zieht seine Schuhe aus, „nein, aber die anderen wollen heute ins Bleezer gehen und da treiben mich keine zehn Pferde rein. Und alleine losziehen wollte ich heute auch nicht. Außerdem musste ich dringend was für meine Figur tun. Ich werde sonst noch dick“, und dazu klopft er sich auf den Bauch, der ganz sicher nicht dick ist. „Blödsinn! Dein Körperfettanteil ist nochmal wie hoch? Zwölf Prozent?“, erwidere ich. Das hätte ich auch gerne! Er grinst nur und setzt sich aufs Sofa. „Wow, wie lange ist es her, dass wir mal Freitagabend gemeinsam zu Hause waren?“ „Keine Ahnung“, antworte ich. „Und dann bist du auch noch betrunkener als ich. Das ist ja noch länger her“, sagt er und deutet auf mein Sektglas. „Dann musst du wohl aufholen“, erwidere ich und halte ihm mein Glas hin. „Ich muss erst duschen“, antwortet er. Dann schauen wir uns an, grinsen und sagen gleichzeitig: „Sektdusche“. Cosi steht auf, nimmt das Glas mit und läuft zum Badezimmer. „Aber du wartest hier auf mich“. Na klar, das kriege ich hin.

Ich fühle mich schon wieder deutlich munterer als vorhin. Kurz darauf kommt er wieder und setzt sich zu mir. Er hat jetzt auch eine Jogginghose an, aber anders als bei mir, sieht es trotzdem noch gut aus. „So, jetzt möchte ich alle Baby- und Ehemännerprobleme hören“, fordert er. „Blödsinn“, widerspreche ich, „darüber brauchen wir uns ja keine Gedanken zu machen. „Warum nicht?“, fragt er, „komm schon, du wolltest doch immer ein Kind haben“. „Wo soll es her kommen?“, frage ich verzweifelt und strecke die Arme aus. „Auf die Männer ist einfach kein Verlass und dabei habe ich meine Ansprüche schon dramatisch gesenkt. Über Lukas brauche ich nichts mehr zu sagen. Egal, wie oft wir es noch miteinander probieren sollten, es würde eh nicht lange halten. Und davor?

Kannst du dich noch an Anton erinnern?“ Coco bekommt einen Lachanfall. „Ich habe immer gedacht: Jetzt sind wir schon ein halbes Jahr zusammen und er hat sogar an meinen Geburtstag gedacht – gut, erst am Abend – aber immerhin. Von daher dachte ich: Vielleicht wird das ja so eine Kinder-heiraten-Haus-bauen-Sache, aber nein!“ „Oh ja“, japst er dann, „ich habe dir gleich gesagt, dass das ein Idiot ist. Und außerdem muss es: Heiraten-KindSache heißen und nicht andersherum. Bloß kein uneheliches!“

„Ja schon, aber das sagst du bei allen“, halte ich dagegen, „und den mochtest du nur nicht, weil dir sein Bart nicht gefiel“. „Nicht nur“, widerspricht er, „aber der ist auch immer länger geworden und irgendwann sah er einfach aus wie Räuber-Hotzenplotz!“, und dann muss er wieder lachen. Ich auch. Stimmt irgendwie. „Kurz um: Ich werde nie jemanden finden“.

„Jetzt beschwere dich nicht, dass es so schwer ist, den richtigen Mann für dein Kind zu finden. Was soll ich denn sagen?“ „Jetzt höre mal auf damit, Cosi. Dass du schwul bist, kannst du nicht als Ausrede für alles benutzen“, halte ich dagegen. Echt, das benutzt er andauernd. „Meistens klappt das aber ganz gut“, lacht er, „aber in diesem Fall ist es mal keine Ausrede!“

„Ja gut, du hast Recht, aber im Endeffekt sind meine Chancen auch nicht größer. Überleg mal“, ich zähle an den Fingern ab: „Räuber-Hotzenplotz; die beiden, die gleich panisch wurden, wenn man engere Bindung nur angedeutet hat; Alexander, der plötzlich einfach weg war und nach Australien ausgewandert ist und erinnerst du dich noch an Bernie, bei dem sich irgendwann herausgestellt hat, dass er eigentlich verheiratet war?“ Coco ist vor Lachen vom Sofa gefallen und kringelt sich jetzt auf dem

Fußboden. „Okay“, bringt er dann hervor, „wir sind einfach beide beziehungsunfähig“. Und dabei hat er sogar so etwas wie eine Beziehung oder eine Freundschaft plus. Gut, so richtig ernst ist es ihm nicht. Ehrlich gesagt ist er ein ziemliches Luder.

„Was soll ich denn noch tun?“, frage ich. „Nichts“, sagt er, „ich verstehe ja, dass du dir ein Kind wünschst, Mäuschen, aber du willst es doch auch nicht von irgendeinem Idioten bekommen“. Er hat sich hingehockt und hält meine Hände sanft in seinen. In meinem Kopf macht es irgendwie Klick und er beginnt damit, einen großen

Plan zu entwerfen, den ich aber noch nicht verstehe. „Das willst du doch nicht, oder?“, fragt er. „Nein, natürlich nicht“, antworte ich mechanisch und dann habe ich es.

„Aber mit dir!“ Er sieht mich verblüfft an, zieht dann die Augenbrauen hoch und sagt langsam: „Tut mir leid, Schätzchen, aber ich fürchte, das wird nichts. Auch wenn ich grundsätzlich behaupten würde, in dieser Sache durchaus flexibel zu sein, aber du bist immer noch eine Frau und das geht echt nicht“. Er verzieht entschuldigend den Mund.

„Du Dummerchen, wir leben doch im einundzwanzigsten Jahrhundert“, erwidere ich. „Wenn du auf eine unbefleckte Empfängnis hoffst, musst du ihn fragen“, er deutet nach oben, „und nicht mich“. „Coco du kannst so ein Idiot sein“, merke ich jetzt genervt an, „das ist eigentlich nicht so schwer zu verstehen!“ Er schaut mich verplant an, aber dann versteinert sein Gesicht für einen Moment. Na also, er hat es auch gecheckt! „Du meinst…“, sagt er. „Ja genau, über eine Samenspende“, bringe ich seinen Satz zu Ende.

Er guckt wie ein Auto, aber ist dabei immer noch wahnsinnig süß. „Das ist doch die perfekte Lösung für uns“, sage ich euphorisiert. Echt mal, warum bin ich da vorher nicht drauf gekommen? Obwohl früher wäre er dafür nicht zu gewinnen gewesen. Aber jetzt? Ich glaube im Übrigen, dass auch Männer eine biologische Uhr besitzen und ihre Zeit auch nicht größer ist als für uns Frauen. Erst sind sie ewig lange selber noch Kinder, dann kommt ihre Zeit und danach können sie vielleicht noch Kinder zeugen, aber eigentlich ist es ihnen dann schon viel zu anstrengend, sich um sie zu kümmern und sie großzuziehen.

„Ja, aber …“, fängt er planlos an. „Aber was? Sag mir einen guten Grund, der dagegen spricht und ich gebe mich geschlagen“, biete ich an. Er wird keinen finden. Es gibt keinen. „Was werden die Leute sagen?“, sagt er dann nur. Ich schnaube. „Als würde es uns interessieren, was die Leute sagen. Das sagst gerade du!“, wische ich diesen unbedeutenden Punkt beiseite. Er macht den Mund auf und wieder zu und wieder auf und wieder zu. „Scheiß auf die Leute“, sagt er leise. Dann schaut er mich mit seinem Bambi-Blick an. „Warum ausgerechnet mit mir? Mit mir?“, fragt er. „Ich würde mit niemandem lieber ein Kind bekommen als mit dir“. Und es stimmt. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben und wird es auch immer bleiben. Und das Kind natürlich.

Cosi hockt sich vor mir auf den Boden: „Liebste Marie, du möchtest also allen Ernstes mit mir so eine abgedrehte schräge verrückte Familie gründen?“ „Nichts lieber als das“, antworte ich. Dann springen wir beide auf, nehmen uns ganz fest in den Arm und er schleudert mich durch die Gegend. Oh mein Gott: Wir machen es tatsächlich! Es ist so unfassbar, krass, seltsam, großartig, abgedreht, gespenstisch, wundervoll, unheimlich und einfach weltverändernd!

      

Jakob,4.8.20

Wir haben entschieden beschlossen, aus unser ungewöhnlichen Familienkonstellation später kein Geheimnis zu machen –sollen die Leute doch denken, was sie wollen – aber fürs Erste sagen wir nichts. Wir wissen ja noch nicht, ob es klappt. Marie musste in den letzten Wochen fleißig Hormontabletten schlucken, was ihren ohnehin schon verwirrten Hormonhaushalt noch weiter durcheinander gewirbelt hat, auch wenn sie das vehement abstreitet. Außerdem musste sie regelmäßig zu Ultraschalluntersuchungen gehen, um den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen. Heute soll es geschehen. Aber zuerst: Mein Einsatz.

Die Arzthelferin hinter dem Tresen drückt mir ein kleines Plastikgefäß in die Hand. „Geben sie ihr Sperma da hinein, schließen es anschließend wieder und bringen es zu mir zurück. Sie können die Nummer zwei nehmen.

Hier um die Ecke“, sie zeigt auf den nächsten Flur. Ich hätte nie gedacht, dass eine Frau mal diesen Satz zu mir sagen würde und dann auch noch eine im weißen Kittel. Es ist total skurril. „Alles klar, Cherie“, sage ich und folge ihrer Wegbeschreibung.

Warum kriege ich die Nummer zwei? War die eins nicht mehr frei? Ich öffne die Tür und trete ein. Das ist er also: Der Spermaraum. Besonders schön ist er ja nicht. Eher kalt und abweisend, so wie ein gewöhnliches Arztzimmer. Da hätten sie sich mal ein bisschen mehr Mühe geben können. Ich schaue den Plastikbecher an. Na, dann mal los. Aber die ganze Situation ist total absurd. Es ist ungefähr so, als ob jemand einen während einer schwierigen Klausur ansprechen würde: „Jetzt lache mal tüchtig“. Ungefähr so fühle ich mich im Moment.

Dann sehe ich, dass sie sogar entsprechende Zeitschriften ausgelegt haben. Ich blättere sie kurz durch, dann gebe ich es auf. Überall nur nackte Frauen, wie soll ich da bitte einen hoch bekommen? Ich setze mich hin und versuche alle Gedanken über Spritzen, Ultraschallgeräte und Eisprünge aus meinem Kopf zu verdrängen. Nach kurzem klappt es dann doch und ich erledige meinen Job.

Als ich den durchsichtigen Plastikbecher zum Empfangstresen trage, beobachte ich seinen Inhalt. Konsistenz, Geruch und Geschmack dieser Flüssigkeit kenne ich zur Genüge, aber ich habe mir vorher nie viele Gedanken darüber gemacht. Es sind schließlich Miniversionen von mir selbst. Wenn ich jetzt daran denke, was sie gleich damit anstellen werden, bekomme ich beinahe ein schlechtes Gewissen. Ich habe mir nicht alles gemerkt, was sie gesagt haben, aber es wird auf jeden Fall zentrifugiert und das hört sich äußerst ungemütlich an.

Macht es gut Jungs, denke ich mir, als ich die Büchse der Pandora der Frau in die Hand gebe. „Seien sie vorsichtig mit ihnen. Das ist Hochleistungssperma“, bitte ich sie noch, aber sie lacht nur. Ich überlege kurz, ob ich noch was dazu sage, aber dann drehe ich mich um und verlasse die Station. Das wäre geschafft. Ich bin immer noch ein bisschen verwirrt, als ich Marie anrufe.

„Cosi-Schatz, hat alles geklappt?“, begrüßt sie mich vorsichtig. „Klar doch“, sage ich, „aber ich fühle mich ein wenig beleidigt, dass du daran gezweifelt hast, dass ich diesen Job nicht hinbekommen könnte“. „Männer“, und ein hundertprozentiges Augenverdrehen klingen aus dem Telefon. „Mach ruhig weiter damit“, erwidere ich, „den Vortrag muss ich mir nicht allzu oft anhören, aber ich bin gespannt, wie er weiter geht“. „Tut mir leid Hase, wenn ich gemein war“, entschuldigt sie sich. „Ach Blödsinn“, antworte ich, „war doch bloß ein Witz. Wann geht es jetzt für dich weiter? Ich begleite dich natürlich“.

Sie nennt mir die Uhrzeit und dann verabschieden wir uns. Sie ist ganz schön nervös, das höre ich ihr an. Aber ich auch. Ohne Spaß jetzt! Bis fünf Uhr habe ich nun Zeit, aber bis dahin nichts zu tun, nur Hummeln im Hintern. Kurzum halte ich unterwegs bei meinem Fitnessstudio an und trainiere eine Weile. Weil mich aber auch das noch nicht wirklich beruhigt, bummele ich danach noch durch meine Lieblingsgeschäfte und kaufe zwei T-Shirts, einen Gürtel und ein paar Schuhe. Danach geht es mir schon etwas besser. Ich setze mich noch kurz in ein Café und trinke einen Latte Macchiato, danach fahre ich zum Arzt.

Marie steht schon vor der Tür. „Alles klar bei dir, Mäuschen?“, frage ich. Sie nickt. „Wollen wir reingehen?“ Sie nickt wieder. Ich nehme sie an die Hand und melde uns an. Danach setzen wir uns ins Wartezimmer. Es ist komisch: Außer uns sind noch zwei weitere Paare hier – wozu auch immer – und wir fallen überhaupt nicht auf. Wir sehen genauso aus wie sie. Nun ja, zumindest wenn man nicht genauer hinsieht. Natürlich sehen wir besser aus. Und besser angezogen. Aber ansonsten? Und das ist für den Moment auch mal ganz angenehm.

Wir müssen trotz Termin noch eine ganze Weile warten. Ich habe immer geglaubt, das wäre ein Trick der Hausärzte, damit man sich im Wartezimmer noch schön mit Grippe oder Magen-Darm ansteckt und sie nicht arbeitslos werden. Und das kann ich ja gar nicht: Still herumsitzen und warten. Gerade wenn ich angespannt bin! Irgendwann wird Marie dann aber aufgerufen. Sie steht auf. „Du kannst ruhig hierbleiben Cosi“, sagt sie. „Ich kann auch mitkommen, wenn dir das hilft“, biete ich natürlich an, aber sie schüttelt den Kopf. „Das kriege ich schon hin“.

Als ich nach einer Weile der einzige im Wartezimmer bin, stehe ich auf und laufe hin und her. Dann bastele ich aus den alten Zeitschriften, die herumliegen, Papierflieger. Ich lasse gerade einen von ihnen starten, als eine Arzthelferin ins Zimmer gelaufen kommt und den Flieger voll vor die Brust bekommt. „Oh Entschuldigung, tut mir total leid“, sage ich schnell verlegen, „bin so furchtbar nervös“. Sie lächelt. „Das kann ich verstehen, aber es ist alles gut gegangen, sie und ihre Frau können jetzt gehen“. „Okay“, ich nicke und folge ihr dann auf den Flur. Marie sieht ein wenig geschafft aus, aber ansonsten in Ordnung. Ich nehme sie schnell in den Arm und dann verlassen wir die Praxis.

„Ist alles gut bei dir? War er vorsichtig mit dir? War er nett?“, frage ich sogleich. „Jaja, alles in Ordnung mit mir. Jetzt beruhige dich mal“, sagt sie. Ich grinse verlegen. Marie ist mit dem Bus gekommen, also kann ich sie mitnehmen. Ich fahre stolz einen ungezähmten Mustang. Meine Einkaufstaschen stehen noch auf dem Beifahrersitz. Marie nimmt sie auf den Schoß und schaut rein. „Bist du wirklich so nervös gewesen Cosi?“, fragt sie. Ich schaue etwas verwirrt. „Ich kenne dich – besser als mich selbst wahrscheinlich – und Shoppen beruhigt dich von allem am meisten“. Ich lache ein bisschen und die Anspannung fällt so langsam von mir ab. „Ich habe mir halt Sorgen um dich gemacht“, sage ich. „Das ist süß von dir“, antwortet sie und kneift mir sanft in die Wange.

      

Marie,18.8.20

„Wann ist dieses Haus nochmal gebaut worden?“, fragt die Frau, für die ich gerade versuche, ein Haus zu finden. „Es ist schon 1931 errichtet worden. Dieser alte Charme ist wirklich wundervoll, nicht wahr?“, erkläre ich, aber ich kann ihrem Blick schon entnehmen, dass sie

‚wundervoll‘ anders definiert. Sie hat einen angepissten Blick aufgesetzt und es würde mich nicht wundern, wenn sie gleich mit ihrem Finger über die Möbel fahren würde, um sie auf Staub zu überprüfen. Ihr Mann hingegen konzentriert seinen Blick auf andere Dinge. Mein Dekolleté zum Beispiel, was echt lästig ist.

„Nein, ich glaube, das ist uns doch zu alt“, sagt sie dann, ohne ihren Mann auch nur zu fragen. Ich seufze frustriert, leider zu laut, dass sie es nicht hören. Egal, ich verschwende hier eh meine Zeit. „Okay“, sage ich, „es gibt noch zwei Häuser, die für sie in Frage kommen könnten“. „Ach, können wir das nicht auf morgen verschieben? Oder was meinst du Harald?“, Harald antwortet aber nicht, weil er mal wieder abgelenkt ist. „Harald!“ Jetzt reißt er erschrocken den Kopf hoch. „Was hast du gesagt, Liebling?“ „Ach vergiss es! Wir schauen uns die

Häuser morgen an“, sagt sie dann an mich gerichtet.

Wir laufen zu den Autos zurück und sie steigt gleich ein. Harald bleibt noch bei mir stehen. „Ich gebe ihnen mal meine Handynummer“, sagt er in geschäftsmäßigem Ton, „falls mal was ist“, und dann fügt er deutlich schleimiger hinzu, „Sie können mich jederzeit erreichen“, und zwinkert. Mir läuft es kalt den Rücken herunter. Uäh! Ganz bestimmt nicht!

Ich setze mich ins Auto und fahre nach Hause. Wenn irgendwer behauptet, Makler sein wie Zecken, weil sie bei jedem Hausverkauf kräftig mitverdienen, aber im Grunde nur die Immobilien auf ihren Seiten anbieten und den Käufern zeigen würden, könnte ich jedes Mal ausrasten! Wie viel Zeit habe ich jetzt schon mit diesen beiden verbracht ohne Ergebnis? Und ich bin mir im Übrigen sicher, dass sie so oder so nichts kaufen werden. Aber was soll´s?

Als ich nach Hause komme, merke ich gleich, dass wir Besuch haben. Obwohl man es kaum als Besuch bezeichnen kann, weil unsere Wohnung im Grunde Tag wie Nacht für alle Personen, die irgendwie zum Freundeskreis zählen, geöffnet ist. Und unser Freundeskreis, besonders der von Cosi, ist extrem groß.

Kevin, Dingo und Cora liegen auf dem Sofa und diskutieren irgendwas. „Hi Leute, ist Cosi nicht da?“, frage ich. Sie schütteln den Kopf und Kevin antwortet: „Ne, der wollte noch in die Stadt fahren“.

Wow, das ist echt das Beste an dieser ganzen Geschichte: Wenn die Leute Cosi besuchen und einfach da bleiben, auch wenn er geht und sich ganz wie zu Hause fühlen. So langsam nervt mich das ein bisschen. Wir sind schließlich keine zwanzig mehr und leben in einer Hippie-Studenten-WG. Aber er braucht das irgendwie. Wenn man ihn besonders hart foltern möchte, dann braucht man keine fiesen Instrumente, sondern muss ihn bloß irgendwo alleine einsperren.

Ich gehe gleich duschen und ziehe danach meinen mega-Hoodie mit Marienkäfern drauf an. Der ist einfach wahnsinnig kuschelig. Als ich wieder nach unten gehe, sehe ich, dass die anderen gegangen sind. Na also. In der Küche versuche ich mich an das Rezept für einen bestimmten Cocktail zu erinnern, als Coco nach Hause kommt. Er hat sich heute richtig schick angezogen. Das ist ohnehin eines seiner wundersamen Talente. Er kann in unserem heiligen Ankleidezimmer verschwinden und man weiß nie, als was er wieder daraus hervorkommt. Er kann einfach alles tragen und er trägt auch alles. Das einzige, dessen man sich sicher sein kann ist, dass es irgendwie gut aussieht.

Jetzt trägt er einen grauen Cashmere-Pullover und dazu einen braunen Schal oder eine Art Halstuch mit einem Anker drauf, wo an einer Seite zwei helle Bänder mit einem Knoten heraus kommen. „Wo hast du das denn her?“, frage ich, „das kenne ich noch gar nicht“. Er grinst. „Du bist einfach nicht up-to-date Mäuschen. In der Altstadt gibt es seit ein paar Tagen ein kleines Geschäft, die verkaufen dort handgearbeitete Sachen. Da musst du unbedingt mal hingehen“. „Was hast du denn in der Altstadt gemacht?“, frage ich neugierig. „Musste noch was anderes besorgen“, antwortet er und hält eine Plastiktüte hoch. „Was ist das?“ „Naja“, sagt er etwas verlegen, „es ist doch jetzt Zeit, dass wir einen Schwangerschaftstest machen, oder?“ Ich muss kurz rechnen, dann nicke ich, sage aber: „Wir?“ „Nun, wir sind doch beide schwanger, auch wenn das Kind in deinem Bauch wächst“. Ich muss ein bisschen lachen. Stimmt irgendwie. Und ich bin ziemlich beeindruckt, dass er sich so darum sorgt und auch so nervös deswegen ist, obwohl er meistens eher unorganisiert und verplant ist. Der Inbegriff von Spontanität. Ich glaube, ich liege richtig mit meiner Vermutung. Umso besser.

„Und was hast du noch gekauft?“, frage ich. Seine Tüte sieht ziemlich voll aus. Er guckt überrascht.

„Nichts“. „Wie viele hast du denn gekauft?“, frage ich danach. „Ähm naja, die sind ja auch alle ungenau und deswegen habe ich von jeder Sorte einen gekauft“. „Mensch Cosi du Clown. Findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?“ Ich schaue in die Tüte. Es sind acht Packungen. „Nö“, antwortet er nur und grinst. „Okay, gib mir einen“, sage ich und greife nach der Tüte. Coco zieht sie schnell an sich. „Noch nicht. Besser morgen früh“. „Wieso morgen früh?“, frage ich. „Weil sich das Morgenurin am besten eignet“, erklärt er, als ob das selbstverständlich wäre. „Was du alles weißt“, staune ich. „Habe mich eben informiert“. Jetzt bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Das hätte ich auch tun können.

„Gut, ich werde dich morgen früh daran erinnern. Ich muss mich umziehen, ich muss gleich noch weg. Kevin hat doch heute Geburtstag. Du könntest doch mitkommen!“, schlägt er vor. Oh shit, und ich habe ihm gerade gar nicht gratuliert! Ich schüttele nur den Kopf. Das muss echt nicht sein. Kevin ist der Freund von Coco, auch wenn ich ihre Beziehung eher als ‚was Lockeres‘ bezeichnen würde. Ich habe ihm gleich gesagt: „muss es unbedingt ein Kevin sein?“ Und er hat nur geantwortet: „Hast du was gegen ihn?“ Habe ich nicht. Er ist okay. Nicht mehr, nicht weniger. Kevin studiert irgendwas. Ich glaube im vierten Jahr im dritten Semester. Wie auch immer, ich will jedenfalls nicht zu dieser Party gehen. Dafür bin ich irgendwie zu alt.

„Gut, dann bis morgen irgendwann. Viel Spaß“, verabschiede ich ihn. Keine Ahnung, wann er dann hier auftaucht. „Bis morgen früh“, sagt er bestimmt, „ich will natürlich dabei sein!“ „Wir werden sehen“, antworte ich bloß. Er drückt mich fest und verschwindet dann im Ankleidezimmer. Mal sehen, als was er wieder hervorkommt. Ich wende mich wieder meinem Cocktail zu – natürlich ohne Alkohol! – und rühre einfach alles Mögliche zusammen. Kurze Zeit später taucht Cosi wieder auf. Cashmere-Pullover und Halstuch hat er gegen ein ärmelloses T-Shirt, eine Kette mit einem Metallanhänger, einen Ohrring, eine abgewetzte Jeans und Sneakers getauscht. Er dreht sich. „Kann ich so gehen?“, fragt er.

Ich muss lachen. „Natürlich“.

Ich mache mir einen gemütlichen Abend. Irgendwie fühle ich mich komisch. Weiß auch nicht. Ist das gut oder schlecht? Na gut, morgen früh werde ich vielleicht etwas schlauer sein.

      

Marie, next day

Am nächsten Morgen werde ich unsanft geweckt. Nicht von meinem Wecker, sondern von meiner Blase. Ich stehe auf und dackele ins Badezimmer. Kurz vor der Tür bleibe ich stehen und starre unschlüssig auf die Tüte, die auf dem Boden steht. Na gut, wenn nicht jetzt, wann dann? Also schnappe ich mir einen Test, packe ihn aus und setze mich auf die Toilette. Man soll ihn eine viertel Stunde liegen lassen, also schaue ich auf meine Uhr und warte.

Plötzlich höre ich hektisches Getrippel auf dem Flur, ein Rutschen und dann kracht etwas unsanft gegen die Tür. „Mariechen?“ Es ist Cosi, der vorsichtig gegen die Tür klopft, fast schon ängstlich. Warum ist uns das auf einmal so wichtig? Bis vor kurzem haben wir daran nicht einmal im Traum gedacht und jetzt? Es war doch eigentlich nur eine verrückte Idee von mir. Aus einer Verzweiflung heraus geboren und doch so genial.

Ich öffne ihm die Tür. Er sieht gespenstisch aus. Verschlafen und mit roten Augen. Er trägt nur eine kurze Schlafanzugshose und komischerweise Socken. Er schaut mich fragend an. Ich sage: „Dauert noch zehn Minuten“. Er nickt. „Und die anderen?“ „Ich habe nur einen Test gemacht. Das wird doch erst mal reichen“. „Wir sollten besser alle probieren“, meint er. „Du kannst gerne auf die anderen pinkeln. Ich bin leer“, erkläre ich entschlossen. Cosi schaut nachdenklich. Dann nickt er, setzt sich neben mich auf den Boden und legt seinen Arm um mich. „Wonach riechst du?“, frage ich ihn. Er zuckt die Schultern. „Seifenblasen“. „Seifenblasen?“, frage ich und verdrehe die Augen. Dann lege ich meinen Kopf auf seine Schulter und wir warten gemeinsam.

„Was ist mit Kevin?“, frage ich. „Der liegt in meinem Bett und schläft“, erklärt Cosi, „der wacht so schnell nicht auf. Keine Sorge“. Dann ist die Zeit um. „Eine viertel Stunde ist um“, sage ich nervös. Wir schauen uns an, nach oben zum Test, der neben dem Waschbecken liegt, wieder uns an und dann wieder zum Test. Schließlich steht er auf und schaut drauf. Zehn Sekunden lang, dann zwanzig und dann wirft er einen Blick auf die Verpackung. „Und?“, frage ich. Jetzt will ich es aber wissen!

„Ich bin mir noch nicht sicher“, sagt er, guckt wieder auf den Test und dann auf die Packung. „Was steht denn drauf?“, frage ich. So schwer kann das ja nicht sein.

„Schwanger“, sagt er, „aber heißt das...“. Ich springe hoch und reiße ihm den Test aus der Hand. „Natürlich heißt es das!“ Wir starren uns einen Moment lang verwirrt und überwältigt an, dann grinsen wir beide und nehmen uns in Arm.

„Ich hätte nicht geglaubt, dass es gleich beim ersten Mal klappen würde“, gebe ich zu. „Muss wohl an mir gelegen haben“, sagt Cosi, „meine Spermien waren einfach zu geil, um ihr Ziel zu verpassen“. Ich gebe ihm einen Klaps auf den Kopf. Das war so typisch! „Komm, lass uns was frühstücken gehen“.

Er zieht meinen Mega-Hoodie an, der ihm natürlich auch viel zu groß ist, bis auf die Arme, die sind viel zu kurz. „Ich sehe aus wie ein behinderter Marienkäfer“, meint er. „Stimmt, aber wie ein süßer behinderter Käfer. Kannst du schon was essen?“, frage ich. „Klar. Ich habe sämtlichen Alkohol gerade ausgeschwitzt“, behauptet er. Ich verdrehe die Augen: „Man schwitzt Alkohol doch nicht aus“. „Warum nicht? Ist doch auch Flüssigkeit“. Ich sage nichts mehr. Mit Coco kann man einfach nicht diskutieren. Er macht sich die Welt eh immer so, wie sie ihm gefällt, also hat er auch immer Recht. Aber ich jetzt auch, denke ich glücklich und lege unauffällig eine Hand auf meinen Bauch. Ich jetzt auch!

      

Jakob, 27.10.20

Marie und ich sitzen mal wieder im Wartezimmer beim Arzt. Zwölf Wochen sind jetzt vergangen und das heißt, heute bekommen wir endlich Gewissheit. Bis jetzt wiegt uns ja lediglich der Schwangerschaftstest in trügerischer Sicherheit, um uns dann vielleicht gleich den Dolch in den Rücken zu rammen.

Blödsinn! Ich versuche mich auf etwas anderes zu konzentrieren und mache ein Bild von meinen Schuhen, das ich gleich poste. ‚Wenn deine Schuhe sogar das Wartezimmer verschönern‘ schreibe ich dazu und verlinke den Hersteller. Mit dem habe ich seit kurzem einen Deal, dass ich für meine Posts die Schuhe zum halben Preis kaufen kann. Wie mega ist das bitte? Als wir in diesem Moment aufgerufen werden, falle ich vor Schreck beinahe vom Stuhl.

Marie muss sich auf einen Stuhl setzen beziehungsweise legen und der Arzt holt sein Ultraschallgerät. Sie zieht ihr T-Shirt hoch und er schüttelt die Flüssigkeit, die er gleich auf ihren Bauch schmieren wird. Ich schnappe mir schnell ihre Hand. Sie hat eine Phobie gegen alles, was glitschig und klebrig ist. Ich ja überhaupt nicht. Ich frage mich, wie sie… Egal, das ist jetzt nicht das Thema, obwohl ich weiß, dass sie es tut.

„Schau jetzt einfach nicht hin“, sage ich, „es ist kein Honig“. Damit kann man sie echt jagen. Sie grinst und dann geht es los. Wie gebannt starre ich auf den Bildschirm, aber kann nichts erkennen. Das einzige, was ich mittlerweile weiß ist, dass Weiß meistens Flüssigkeit darstellt.

„So. Hmm hmm. Oh“, sagt der Arzt. Was denn? Was ist los? Marie drückt meine Hand fester. Sie weiß genau, dass ich kurz davor bin, den Arzt anzupampen. Also gut, dann lasse ich ihn mal seine Arbeit machen. Gefühlt eine

Stunde später dreht er sich dann zu uns um und sagt: „So. Ich habe zwei positive Nachrichten für sie“. „Positiv ist immer gut“, sage ich angespannt. Na und? Jetzt komm mal in den Quark!

„Sie bekommen Zwillinge“. Ich starre ihn verblüfft an, dann Marie, dann den Bildschirm, dann Maries Bauch und dann wieder ihr Gesicht. „Wahnsinn“, sage ich, beziehungsweise es kommt irgendwie aus meinem Mund heraus, aber ich bin gar nicht in der Lage, meine Gefühle in Worte zu fassen. Es ist so krass überwältigend. Es haut mich einfach um. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Einen Augenblick später schlage ich meine Augen wieder auf. Ich sitze auf einem Stuhl in der Ecke des Raumes. „Das passiert hier manchmal. Machen Sie sich keine Sorgen“, sagt der Arzt und lächelt. „Wollen Sie einen Schluck trinken?“, fragt die Assistentin und hält mir ein Glas mit Wasser entgegen. Ich trinke einen Schluck. In der Zeit druckt der Arzt das Ultraschallfoto aus und gibt es Marie. Ich will es auch sehen und springe auf. Eindeutig zu schnell. Ich schwanke und muss mich am Stuhl festhalten, aber nach einer Weile geht es wieder.

Ich schaue gespannt auf das Foto, kann aber immer noch nicht viel erkennen. Brauche ich auch nicht, weil ich weiß, was es ist. Die beiden besten Kinder der Welt!

Wir verabschieden uns und verlassen beide schwankend die Praxis. Einen Augenblick später habe ich diese Phase aber schon überstanden und wechsele in die aufgedrehte, hibbelige Phase. „Ich kann es gar nicht glauben“, sagt Marie. „Und ich erst!“, erwidere ich, „du musst es doch gespürt haben“. „Dafür, dass du normalerweise unverschämt clever bist, kannst du manchmal ganz schönen Unsinn reden“, sagt sie tadelnd, aber nicht unfreundlich. „Die beiden“, wir müssen beide grinsen, „sind noch so klein, dass ich sie natürlich nicht spüre“. „Außer der Kotzerei“, merke ich an und grinse unverschämt. „Wie konnte ich das vergessen“, erwidert sieironisch.

„Das ist doch echt ätzend! Wer hat sich das bloß überlegt? Und warum? Wenn man krank ist, kann ich es verstehen oder wenn man zu viel getrunken hat. Dann muss der Scheiß eben wieder raus. Das macht Sinn, aber wenn man schwanger ist? Wo ist da der Sinn? Das muss ein Evolutionsfehler sein“, ereifert sie sich.

„Wenn es möglich wäre, würde ich es auch mit dir teilen“, biete ich an und bin doch froh, dass ich es nicht muss. Wir kommen an einem Spielplatz vorbei und ich muss einfach einmal die Rutsche hochklettern und runterrutschen, auch wenn mich die Kinder verwirrt angucken, so nach dem Motto: „Erwachsene tun so etwas nicht“. Doch, tun sie!

„Kann ich dich zu einem Kaffee überreden?“, frage ich Marie. Sie tut so, als ob sie nachdenken würde und sagt dann – ganz überraschend: „Okay, überredet“.

Als wir das Café betreten schaut uns der Wirt an und sagt dann: „Schön, dass ihr mal wieder hier seid“. Keine Ahnung, warum mich immer alle Menschen wiedererkennen. Muss wohl an meiner besonderen Ausstrahlung liegen. Wir setzen uns an die Heizung und ziehen unsere Mäntel aus.

„Was kann ich Ihnen bringen?“, fragt einer der Kellner. „Für mich besser keinen Kaffee“, antworte ich, „ich bin schon aufgedreht genug. Ich nehme eine heiße Zitrone“. „Aber ich brauche jetzt einen Kaffee“, sagt Marie. „Besser nicht“, fahre ich dazwischen. Sie schaut mich fragend an. „Naja, das ist bestimmt nicht so gut für die Kinder“, fahre ich fort. „Warum nicht?“ „Mit dem ganzen Koffein! Lieber nicht“.

Ich schaue den Kellner an. „Wir bekommen nämlich Zwillinge“, erkläre ich stolz. „Nun, ich glaube nicht, dass Kaffee schlecht für sie ist“, behauptet er. „Sind sie Arzt?“, frage ich spitz. Er schüttelt natürlich den Kopf, aber sagt dann ganz frech: „Sie denn?“ „Nein, aber ich bin der Vater“. Damit wäre ja wohl alles geklärt. Marie lacht mich aus. „Schon gut, schon gut, dann nehme ich einen Tee“. Na also, wer sagt´s denn.

Wir hängen beide unseren Gedanken nach, aber dann sagt Marie: „Dann wird es wohl Zeit, dass wir es den anderen sagen“. Ich schaue sie einen Augenblick lang nachdenklich an und nicke dann. „Stimmt“. Das wird ein Spaß! Obwohl ich zugeben muss, gespannt darauf zu sein, wie sie reagieren werden. Bei einigen kann ich es mir denken, aber es gibt auch einige Fragezeichen. Kevin zum Beispiel.

Er liegt gerade neben mir auf dem Sofa bei uns und spielt mit seinem Handy. Marie sitzt mir gegenüber. Ich glaube, es wäre besser, wenn wir dabei alleine sind. Ich schaue sie an und setze meine Telepathie ein. Und schwups steht sie auf. „Ich muss noch arbeiten“, behauptet sie, „gute Nacht, Jungs“. Sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn und verschwindet nach oben.

„Ich muss dir noch was Wichtiges erzählen, Kev“, sage ich. „Hmm? Was denn?“, brummt er und guckt weiter auf sein Handy. „Marie ist schwanger“. „Ach, echt jetzt? One-night-stand oder was?“ Er macht den Eindruck, als hätte ich ihm gerade gesagt, dass es morgen regnen soll. „Weiß man denn, wer der Vater ist?“ „Ja, ich!“, antworte ich rundheraus. Endlich dreht er sich um und schaut mich an. Er hat wirklich unverschämt schöne Augen. Da stehe ich ja total drauf, aber leider ist das auch seine größte Stärke.

„Bitte?“ Ich nicke. „Wir bekommen Zwillinge“. Er hockt sich hin und scheint darauf zu warten, dass ich gleich lache. Als das nicht passiert sagt er: „Was zur Hölle? Wie konnte das passieren?“ Ich glaube, er ist echt sauer. „Naja wir beide wollten eins bekommen und bei ihr hat es einfach nie mit den Freunden geklappt und bei uns... naja, du weißt selber, dass es nicht geht“. Er sieht jetzt ziemlich angewidert aus. „Es war aber nicht so, wie du jetzt denkst“, sage ich schnell, „es ist über künstliche Befruchtung passiert“. Falls ich geglaubt habe, dass ihn das jetzt beruhigt, lag ich wohl daneben. Er springt auf und starrt mich an.

„Aber warum?“, fragt er. „Kinder springen nun Mal nicht einfach aus Erdlöchern“, antworte ich jetzt ebenfalls erhitzt. „Aber seit wann willst du eins haben? Ach, weißt du was? Das ist auch egal. Aber nicht mit mir. Darauf habe ich keinen Bock!“ Ich will gerade was sagen, zum Beispiel, dass er mit der Sache eigentlich wenig zu tun hat, aber er unterbricht mich gleich. „Ne Cosi, vergiss es! Du willst so eine abgedrehte Familie gründen? Dann tue es, aber ohne mich“, und dann rennt er einfach weg. Die Tür knallt und ich mache meinen Mund geräuschvoll zu. Irgendwas wollte ich noch sagen, aber es hätte auch keinen Unterschied gemacht. „Idiot“, schreie ich und trete gegen ein Kissen, das daraufhin durchs Wohnzimmer fliegt.

Marie kommt die Treppe heruntergerauscht. Wahrscheinlich hat sie die ganze Zeit oben gestanden und gelauscht. „Ach Cosimäuschen, das tut mir leid“, sagt sie und nimmt mich in den Arm, was ich irgendwie gerade nicht will, aber eigentlich doch. „Der war einfach überrascht. Der beruhigt sich schon wieder“, sagt sie. „Blödsinn. Das war eindeutig“, erwidere ich, „ist aber auch egal“.

Hätte ich ihn vorher fragen sollen? Aber hätte es einen Unterschied gemacht, wenn ich gewusst hätte, dass er es nicht will und mich dann verlassen würde? Ehrlich gesagt nicht. Marie und die Kinder sind mir viel wichtiger.

„Aber er hatte so schöne Augen“, sage ich schwermütig. Marie lacht mich aus. „Aber danach kannst du doch deine Freunde nicht aussuchen“, sagt sie. „Sagt die Richtige. Du Beziehungsexpertin. Ich sage nur Hotzenplotz“. Sie fängt an, mich zu kitzeln, aber ich halte ihre Hände fest.

„Okay, ich habe Lust, mich richtig aufzubrezeln, ins Sunshine zu gehen und Karaoke zu singen“, schlägt Marie vor. Ich grinse breit. „Da bin ich sowas von dabei“, und dann gehen wir ins Heiligtum, um uns fertig zu machen. Das Heiligtum ist ein Raum, der ungefähr genauso groß ist wie unser Wohnzimmer. An der einen langen Seite stehen überall Schränke, die voll sind mit T-Shirts, Hemden, Blusen, Pullovern und Hosen. Auf der anderen Seite hängen an Regalen und Kleiderständern Jacken, Mäntel, Kleider, Mützen, Hüte und alles, was man sonst noch aufhängen muss. An der einen kurzen Seite ist ein Regal, das voll mit Schuhen und Stiefeln ist und an der anderen hängen große Spiegel. In der Mitte steht eine Bank zum Hinsetzen. Es ist einfach großartig! Und ich muss zugeben, seit ich diesen Deal mit meinem Lieblingsschuhhersteller habe, ist unser Bestand an Schuhen nochmal deutlich gestiegen, weil ich für uns beide zum halben Preis einkaufen kann. Sie sind im Grunde immer noch teuer, aber gleichzeitig auch echte Schnäppchen, weil man ja die Hälfte gespart hat.

Das Anziehen dauert mindestens eine Stunde, weil wir immer diverse verschiedene Outfits ausprobieren und uns anschließend bewerten. Es ist fast wie verkleiden. Als wir uns dann entschieden haben, wie wir losgehen, haben wir nebenbei schon eine Flasche alkoholfreien Sekt geleert, der echt eklig ist. Jetzt sind wir bereit! Marie trägt einen hellen Blaser und einen großen dazu passenden Hut. Sie sieht genauso aus wie Rose am Anfang von Titanic. Es ist einfach hinreißend! Ich hingegen bin lange für ein Hawaii-Outfit gewesen, aber dann haben wir entschieden, dass wir besser zusammen passen sollten. Also trage ich nun einen altmodischen schwarzen Frack, ein weißes Hemd und dazu eine große weiße Fliege. Außerdem habe ich meine Haare streng zurückgegelt, sodass sie jetzt am Kopf anliegen.

In der Stadt hat sich Marie bei mir eingehakt und wir stolzieren mit hoch erhobenen Nasen durch die Gassen. Immer diese Passagiere aus der dritten Klasse! Meine Schuhe klappern laut auf dem Kopfsteinpflaster. Vor der Bar müssen wir uns leider anstellen und ich klappere mit meiner Fußspitze ungeduldig auf dem Boden. „Hey Coco! Mariechen“, ruft uns plötzlich der Türsteher. „Habe euch nicht gleich erkannt. Was habt ihr denn vor?“ Wir drängeln uns einfach vor und Marie hält ihm ihre Hand hin wie zum Handkuss – was einfach zu ihrem Kostüm passt – aber er schnallt es nicht. Ist nicht gerade die hellste Kerze, aber nett. Und so schleust er uns einfach direkt hinein.

Natürlich treffen wir gleich Freunde von uns und setzen uns zu ihnen. Danach singen wir „It´s a sin“ von den Pet Shop Boys und „Bonnie und Clyde“ von den Toten Hosen. Wir sind einfach krass und das Leben ist sehr viel einfacher, wenn man nicht viel darauf gibt, was andere von einem denken. Abgesehen davon sind wir auch einfach gut.

Kurze Zeit später steht plötzlich Kevin vor mir. Wir schauen uns einen Moment lang überrascht an, dann sage ich: „Hi“, und er sagt: „Hey“, und dann: „du siehst echt scharf aus“. Ich muss grinsen. „Ich weiß. Du nicht“. „Blödmann“, erwidert er. „Selber Blödmann“. Und damit haben wir das geklärt und es ist alles ganz normal; so als wäre nichts gewesen. Ich glaube, wir sind jetzt Freunde oder sowas.

Zum Glück fragt niemand, warum Marie keinen Alkohol trinkt und ehrlich gesagt bin ich darüber ganz froh. Wir werden mit ihnen darüber sprechen – mit allen – aber nicht heute. Morgen ist auch noch ein Tag.

      

Marie, 7.11.20

Meine Mutter rennt an mir vorbei durchs Zimmer und wirft einige Sachen unstrukturiert in den Koffer. Sie wusste genau, dass ich sie heute besuchen würde, aber hat es einfach vergessen, ihre Sachen vorher einzupacken, obwohl sie genug Zeit hatte. Schon in ein paar Stunden geht ihr Flieger, also muss sie sich jetzt beeilen.

Als ich geboren wurde, war sie noch sehr jung und ich war gewiss kein Wunschkind. Kurz darauf hat sie sich von meinem Vater getrennt, der jetzt am anderen Ende des Landes wohnt und den ich früher gelegentlich in den Schulferien besucht habe. Im Grunde mag ich ihn gerne, aber es war trotzdem immer wahnsinnig langweilig bei ihm. Er spricht nur wenig und ist ganz sicher für keine abenteuerlichen Sachen zu begeistern gewesen.

Meine Mutter ist ganz sicher nicht der mütterliche Typ und sie musste nach meiner Geburt auf viele Sachen verzichten, die sie gerne gemacht hätte, aber sie hat sich zusammengerissen und mich vernünftig großgezogen. Das rechne ich ihr hoch an. Wir hatten eigentlich keine schlechte Zeit damals.

Ich glaube, sie versucht vieles von dem nachzuholen und hat jetzt jemanden gefunden, der dafür zu begeistern ist. Das freut mich für sie. Mit Frank ist sie andauernd auf irgendwelchen Reisen und erkundet den Erdball. Trotzdem scheint sie noch keine Routine im Kofferpacken entwickelt zu haben. Ich will sie auch nicht weiter dabei stören, aber ich will ihr noch kurz von der Kindersache erzählen. Bei ihr mache ich mir keine großen Sorgen. Sie ist eigentlich total offen für alles und überhaupt nicht verklemmt. Außerdem mag sie Coco total gerne.

„Ich muss dir noch kurz was erzählen“, unterbreche ich ihren Arbeitsfluss und sie schaut verwirrt vom Koffer zu mir hoch. „Ja, Liebes?“ „Ich bin schwanger“, erkläre ich, „es werden Zwillinge“. Meine Mutter sieht überrascht, ein bisschen verwirrt, glücklich und zugleich besorgt aus – und ja: Man kann so viele Gefühle auf einmal haben.

„Oh, okay. Und wolltest du es bekommen?“, fragt sie einfach so direkt, wie sie nun eben ist. Die Feinfühligste war sie noch nie. Aber es ist irgendwie eine lustige Frage, wenn man bedenkt, wie sie gezeugt wurden. „Oh ja, absolut“, antworte ich. Meine Mutter hockt immer noch hinter dem überfüllten Koffer, der so oder so nicht mehr zugehen wird. „Du weißt doch, dass ich schon seit längerem eins bekommen will“. „Nun ja, ich habe gedacht, dass wäre eher so etwas wie Gruppenzwang, weil so viele von deinen Freundinnen eins bekommen haben“, antwortet sie. Ich fasse es nicht, dass sie das gerade gesagt hat!

„Ganz sicher nicht“, erwidere ich angefressen. Sie sieht ein bisschen verlegen aus, aber nicht viel. „Und der Vater?“, fragt sie dann. „Oh, das ist Coco“. Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Das verstehe ich nicht“. „Naja wir wollten beide eins bekommen, aber es war aus unterschiedlichen Gründen eben nicht möglich und da haben wir uns gedacht: Machen wir es doch einfach gemeinsam“. Sie will schon etwas erwidern, aber ich hebe abwehrend die Hände. „Bevor du fragst: Wir haben es über eine Samenspende gemacht und es hat unglaublicher Weise gleich beim ersten Versuch geklappt“. Ich strahle. Ich kann es immer noch nicht so richtig glauben. Meine Mutter sieht nicht so glücklich aus.

„Was ist los?“, frage ich. „Wie seid ihr denn auf so eine Idee gekommen?“, will sie wissen und ist aufgestanden und läuft durchs Zimmer – beziehungsweise klettert, denn überall auf dem Boden liegen Sachen verstreut, die möglicherweise noch in den Koffer sollen, obwohl der schon mehr als voll ist. „Das ist doch perfekt!“, antworte ich, „wo ist dein Problem? Du stehst doch total auf Cosi“.

„Tue ich auch“, sagt sie, „aber als Vater?“

Jetzt bin ich doch ein wenig sauer geworden. „Ja, warum denn nicht? Er ist nett, total liebevoll, er sorgt sich schon jetzt um die beiden, außerdem ist er lustig und schlau und schon ewig mein absolut bester Freund und…“, keine Ahnung, was ich noch alles sagen soll. „Eben. Dein bester Freund“, erwidert meine Mutter, so als wäre das ein Gegenargument, „egal! Eure Sache. Tut einfach, was ihr für richtig haltet“, bricht sie dann aber ab.

Total unbefriedigendes Ende der Diskussion, aber so ist sie eben, meine Mutter. Macht doch, was ihr wollt. Und im Grunde ist das auch nicht die schlechteste Lebenseinstellung. Kurz darauf verabschiede ich mich und fahre nach Hause. Ich habe damit gerechnet, dass viele Menschen angefressen auf unsere Familiengestaltung reagieren werden, aber von meiner Mutter hätte ich das nicht gedacht! Ich dachte, sie freut sich. Nun gut, andererseits ist sie nie in die ich-will-Enkel-Phase gekommen, wie so viele andere Eltern, also war das vielleicht zu viel der Erwartung gewesen. Aber egal, jetzt kriegt sie trotzdem welche und zwar gleich zwei auf einmal!

Als ich irgendwann zu Hause bin, höre ich laute Musik aus Cocos Zimmer dröhnen. Er hat sie aufgedreht, spielt auf seiner Gitarre und singt dazu. René liegt auf seinem Bett und Alex sitzt auf dem Boden und klopft im Rhythmus auf den Fußboden. Cosi sieht mich, zwinkert einmal und spielt dann das Stück noch zu Ende. Dann dreht er alles aus. „Hi Mausi, habe dich gar nicht kommen hören“. Ich muss lachen. „Was ein Wunder“. Wir nehmen uns lange in den Arm und ich frage mich, was ich ohne diese Momente machen würde. Das brauche ich irgendwie.

Leider kommt René auf die Idee, dasselbe zu tun und nimmt mich in den Arm. Sehr eng in den Arm. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er auf mich steht, auch wenn ich immer noch glaube, dass er in Wahrheit auch schwul ist. Das würde irgendwie besser zu ihm passen.

„Was macht Mutti?“, fragt Cosi dann. „Fährt schon wieder in den Urlaub. Nach Madagaskar!“ Er grinst. „Das hört sich spannend an. Und was sagt sie zu unseren Kindern?“ Ich zucke mit den Schultern. „Macht doch, was ihr wollt“. „Ich mag deine Mutter“. „Ja“, sage ich, „aber sie hätte sich auch einfach freuen können. Das tun Eltern doch normalerweise, wenn man ihnen erzählt, dass sie bald Großeltern werden. Wenn man ihnen sagt: ‚Wir wollten das Kind eigentlich gar nicht, aber es ist leider passiert. Jetzt müssen wir damit leben‘, sagen sie: ‚Das ist doch trotzdem toll. Da freuen wir uns‘. Aber wenn man ihnen sagt, dass wir beide so gerne eins haben wollten, dass wir es aufgrund der Umstände mit künstlicher Befruchtung gemacht haben, dann ist das blöd. Irgendwie unanständig! Das tut man doch nicht!“

Er nimmt mich nochmal in den Arm und sagt: „Scheiß auf die Leute“. „Echt mal!“, bestärkt ihn René. Was für ein brillanter Kommentar. Ich nicke. „Ja, du hast Recht“. „Komm, wir machen uns jetzt eine Moorpackung heiß und dazu eine Gesichtsmaske und danach essen wir

Schokoeis“, schlägt er vor. Das ist eine ausgezeichnete Idee! Genau das brauche ich jetzt! „Außerdem, denke daran, dass ich morgen zu meiner Familie muss zum alljährlichen Adventsbrunch. Das Großereignis des Jahres“.

Oh shit, das habe ich ganz vergessen. Armer Cosi.

      

Jakob, 8.11.20

Nach einem kleinen Frühstück stehe ich auf. „So, ich mache mich dann mal fertig“. Marie grinst: „Aber denk daran: Hemdenpflicht“. „Ich werde mich daran halten“, antworte ich und grinse verschwörerisch zurück. Das Ganze basiert darauf, dass mich mein Vater im letzten Jahr angeschnauzt hat. Ich sollte doch wenigstens ein Hemd anziehen, sonst bräuchte ich nicht mehr wiederzukommen. Also gut, kann er haben.

Ich wähle ein gelb-weiß kariertes, dazu eine enge Jeans mit Flicken und braune Cowboystiefel. Außerdem eine Kette mit einem Mustang-Anhänger (passend zu meinem Auto) und die richtigen Ohrringe. Ich habe auch einen passenden Hut, aber den brauche ich im Haus nicht zu tragen. Ich gehe hinaus auf den Flur, wo mich Marie skeptisch mustert. „Du siehst aus wie ein Cowboy“, sagt sie. „Ja, aber wie ein scharfer Cowboy“, ergänze ich. Sie lacht ein bisschen. „Cosi, du siehst immer scharf aus, aber kannst du nicht heute vielleicht ein bisschen normaler-scharf aussehen?“ „Warum sollte ich? Er ist doch selber schuld, wenn er immer an mir herumnörgelt!“, erwidere ich angefressen. „Herrgott! Wenn ihr euch immer gegenseitig provozieren müsst, wird das nie was“, hält Marie entgegen, aber es ist mir egal. „Und wenn schon? Ich habe damit nicht angefangen. Er hat irgendwann einfach beschlossen, dass ich ein nichtsnutziger, verkommener und blöder Sohn bin. Ich bin nun mal ich, das allein ist mein Verbrechen, aber da kann ich nichts dafür“, bleibe ich trotzig. Sie gibt es auf und ich gehe los.

Meine Familie ist eine altehrwürdige Unternehmerfamilie. So sieht sie sich zumindest selbst. Zurzeit betreibt sie diverse Kaufhäuser. Altehrwürdig – ich würde eher sagen ultra konservativ, spießig, verklemmt und ohne jeglichen Sinn für Humor! Ich parke mein Auto und laufe hinüber zum Haus. Wenn ich dieses Gebäude schon sehe, bekomme ich augenblicklich den Impuls umzudrehen und zu verschwinden.

Vor der Tür stehen mein Onkel Reinhard und Erwin und unterhalten sich. Beide tragen einen furchtbaren Opa-Anzug mit Einstecktuch. „Hallo Onkel und hallo Erwin“, grüße ich sie freundlich und gebe ihnen die Hand. Sie schütteln sie, aber schauen mich mit einem Gesichtsausdruck an, der ungefähr so aussieht wie meiner, wenn ich faules Obst betrachte, das ich gleich in die Hand nehmen und in den Müll schmeißen muss. „Guten Morgen

Jakob“, sagt Reinhard unfreundlich. „Wow, du hast mich sofort wiedererkannt. Das ist ja toll“, sage ich und grinse breit. Beide arbeiten im Unternehmen von meinem Vater, so wie fast alle hier. Wie ich diese ganze Bagage hasse!

Der große Flur ist voll mit Menschen, die herumstehen und sich leise unterhalten. Keiner lacht oder macht irgendwas Verrücktes. Es läuft noch nicht mal irgendwo Musik. Es ist wie bei einer Beerdigung. Ich glaube, ich kann mich gar nicht so leise verhalten. Meine Stiefel klappern leise auf dem Fußboden und ich pfeife irgendeine Melodie. Dann entdecke ich Sandra, meine jüngste Cousine und die einzige hier, die ich mag. Sie hat tolle schwarze Locken, die allerdings durch einen Haarreifen viel zu streng zurück gehalten werden. Sie ist im Grunde ziemlich cool, aber einfach in diese Rolle hineingezwängt worden und traut sich nicht, daraus hervorzubrechen. Keine einfache Sache, aber es lohnt sich. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe es nie bereut. „Hi Sandraschätzchen, wie geht es dir?“, frage ich sie. Sie grinst mich an. Ich glaube, dass ist das einzige Lächeln, dass ich hier heute sehen werde. „Gut“, antwortet sie, auch wenn ich an ihrem Gesicht ablesen kann, dass ‚gut‘ nicht der Wahrheit entspricht. „Freust du dich auch schon auf ein fröhliches Beisammensein ganz im Zeichen des Fests der Liebe?“, frage ich und zwinkere. Sie lächelt ein wenig, aber gleichzeitig ist es ihr auch unangenehm. Sie hat Angst, dass jemand mitbekommt, wie sehr ihr dieser ganze Mist hier auf den Sack geht.

„Ach da bist du ja, Sandra“, sagt ihre Mutter, die plötzlich hinter ihr auftaucht und ihr eine Hand auf die Schulter legt. Sie schaut mich an und versucht zumindest zu lächeln. „Hallo Klara“, begrüße ich sie, „das ist aber eine schöne Kette. Sie passt so gut zu deinen Augen“. „Oh danke“, antwortet sie verlegen. Ich bin mir sicher, dass sie sich darüber freut. Von ihrem Mann hat sie bestimmt noch nie ein Kompliment bekommen. Gleichzeitig ist es ihr aber auch unangenehm, weil es von mir kommt, denn ich bin schließlich das schwarze Schaf in dieser Herde. Oder besser gesagt: Das bunte Schaf in einer Herde voller grauer Tiere.

Kurz darauf werden wir zu Tisch gebeten. Es gibt natürlich eine strenge Sitzordnung. Ich bin ans hintere Ende abgeschoben worden. Neben mir sitz nur noch Alwin, der schon fast taub ist. Am Tisch wird nur gepflegte Konversation betrieben, mit reden hat das nicht viel zu tun. Ich glaube, es wird nur gesprochen, damit es nicht vollkommen still ist. Aber egal, das Essen ist wenigstens gut.