Eines Tages in Paris - Juliet Blackwell - E-Book

Eines Tages in Paris E-Book

Juliet Blackwell

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Beschreibung

Als Claire nach Louisiana zurückkehrt, um ihrer sterbenden Großmutter beizustehen, findet sie in deren Nachlass ein altes Kunstwerk: Es ist die Totenmaske einer Frau, eingewickelt in einen rätselhaften Brief. Claire findet heraus, dass die Maske unter dem Namen »L’inconnue de la Seine« bekannt ist und vor über 100 Jahren in Paris gefertigt wurde. Fasziniert von dem Kunstwerk bricht Claire auf, um sich auf die Spuren der geheimnisvollen Schönen zu begeben. Ihre Recherchen führen sie aber nicht nur in die schillernde Welt der Belle Époque, sondern auch zum Beginn einer großen Liebe.

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Hanna Klimesch

 

Deutsche Erstausgabe

ISBN 978-3-492-97998-6

© Julie Goodson-Lawes 2016

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Letters from Paris«, Berkley, an imprint of Penguin Random House LCC, New York 2016

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2018

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Zitat

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6 – SABINE

Kapitel 7 – Paris

Kapitel 8

Kapitel 9 – SABINE

Kapitel 10

Kapitel 11 – PIERRE-GUILLAUME

Kapitel 12

Kapitel 13 – SABINE

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16 – SABINE

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20 – SABINE

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23 – SABINE

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28 – SABINE

Kapitel 29

Kapitel 30 – PIERRE-GUILLAUME

Kapitel 31

Kapitel 32 – SABINE

Kapitel 33

Kapitel 34 – SABINE

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37 – SABINE

Kapitel 38

Kapitel 39 – SABINE

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42 – SABINE

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45 – PIERRE-GUILLAUME

Kapitel 46

Kapitel 47 – SABINE

Kapitel 48

Kapitel 49 – SABINE

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52 – SABINE

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56 – SABINE

Kapitel 57

Kapitel 58 – SABINE

Kapitel 59

Anmerkung der Autorin

Danksagung

 

Für die Goodson Girls:

Minerva, Betty, Mem, Suzy und Jane.

Danke für die Freude, das Gumbo und die Prise Übermut.

 

Sie treffen mich bei der Arbeit an; entschuldigen Sie bitte

den Staub auf meiner Bluse. Ich behaue meinen Marmor selbst.

Camille Claudel

Prolog

SABINE

27. Februar 1898

Er schläft.

Sabine kriecht noch vor Anbruch der Dämmerung durch das Atelier und fleht die stummen Gesichter an, sie nicht zu verraten. Sie beobachten jede ihrer Bewegungen, stille Zeugen ihres Verbrechens.

Sie schlüpft durch die Tür und schreckt zusammen bei dem kreischenden Geräusch von Metall auf Metall. Nebel umschließt sie, der Dunst dringt durch ihre fadenscheinige Bluse, wie mit Nadeln sticht ihr die kalte Luft in die Haut.

Sabine denkt sehnsuchtsvoll an die zwei Kleider, die sie im Schrank zurückgelassen hat. Er hatte sie ihr gekauft. Es sind die feinsten Gewänder, die sie je getragen hat: eines blau, eines grün. Gefertigt aus geschmeidigem Batist, einem samtig weichen Material, so verlockend. Oft hatte sie den Rock gestreichelt und das Gefühl genossen, wenn der kostbare Stoff ihre Handflächen liebkoste. Er hatte sie damit aufgezogen.

Nimm nichts mit.

Sie trägt den schweren schwarzen Rock und die dünne graue Bluse, die sie trug, als sie einander auf der Place Pigalle kennengelernt hatten. Als sie noch dachte, er sei ihre Rettung. Vorher.

Ihre Füße stecken in alten schwarzen Stiefeln. Ihr einziger Schutz gegen die Kälte der Nacht ist der taubengraue Schal, den ihre Mutter ihr zu ihrem sechzehnten Weihnachtsfest geschenkt hatte. Sie trägt ihr Haar so, wie er es gerne hat: als altmodischen Dutt links und rechts am Kopf.

Als wäre sie einer anderen Zeit entsprungen.

Auch das goldene Armband hat sie aufgegeben, es liegt noch in dem Nest aus weichem schwarzen Samt, in einer blauen Schachtel auf ihrem Nachtkästchen. Und ihren Kamm aus Schildpatt. Ihren kleinen Handspiegel. Die Kerzenstumpen und das kleine Büchlein mit den Sonetten, ihr Skizzenbuch und die Kohle. Sogar ihren Kissenbezug hat sie zurückgelassen, in den sie ihre wenigen Habseligkeiten gepackt hatte, als sie vor so langer Zeit ihrem Zuhause auf dem Land entflohen war.

Vor Paris. Bevor sie das Modell eines Künstlers wurde. Vor Maurice.

Vorher.

Die kalte Luft sticht ihr in die Wangen. Das trübe Licht der Gaslaternen wirft einen gelben Schein auf das Kopfsteinpflaster und blitzt in den Regenpfützen auf.

Eine Warnung scheint in ihnen aufzuleuchten: Damit wirst du nicht davonkommen. Damit wirst du niemals davonkommen!

Sabine hält den Kopf gesenkt und geht, so schnell sie sich getraut. Sie lauscht. Sie hört Wasser aus einem Wasserspeier an der Seite der Kirche herunterplätschern. Ein oder zwei Blocks entfernt wiehert ein Pferd. Ein Hund jault auf. Ihre Stiefel klackern auf dem Kopfsteinpflaster, ein Widerhall ihres Herzschlags.

Ihr hektischer Atem ist das lauteste Geräusch.

Und … noch etwas anderes?

Sie erstarrt. Hält den Atem an. Lauscht.

Schritte.

Sabine rennt. Rennt um ihr Leben.

Sie schafft es bis zum Quai du Louvre. Bis zum Pont Neuf.

Bis zur Brücke über die Seine.

 1

Das war wahrscheinlich ein Fehler, dachte Claire, als sie ihren Gepäckwagen durch den Ausgang des Flughafens von New Orleans bugsierte. Warum musste sie auch ausgerechnet immer den erwischen, bei dem ein Rad klemmte? Die Glastür glitt hinter ihr zu und schnitt sie von der unnatürlichen Kälte im Terminal ab. Mit einem Mal stand sie knietief in der drückenden Juli-Schwüle Louisianas.

Louisiana. Claire kam in den Sinn, dass sie noch mit verbundenen Augen und zugehaltenen Ohren genau wüsste, wo sie war. Sie konnte es fühlen, es lag eine schmerzhaft vertraute Note in der Luft. Die Hitze streckte die feuchten Finger nach ihr aus und umschlang sie. Die Schwüle wisperte auf ihrer Haut, begrüßte sie wie ein vertrauter Liebhaber.

Ein Liebhaber, den sie vor Jahren mit einer Mischung aus Bedauern und Erleichterung verlassen hatte, einer abstrakten Zuneigung, gepaart mit dem fieberhaften Wunsch weiterzuziehen.

Claire atmete die heiße, feuchte Luft tief ein und blies sie langsam wieder aus, während sie die Autos absuchte, die draußen vor der Gepäckausgabe um Parkplätze in der ersten Reihe konkurrierten. Als sie das Darlehen für den neuesten Wagen ihres Cousins Ty mitunterzeichnet hatte, hatte er gesagt, dass der »riesig, schwarz und glänzend« sei. Das war ein Vorteil, dass sie in Plaquemines Parish mehr Cousins hatte, als sie zählen konnte: Es gab immer jemanden, der sie vom Flughafen abholen konnte.

Eine kleine Gruppe angetrunkener Touristen Mitte zwanzig rempelte Claire auf dem feuchtfröhlichen Gang zum Taxistand zur Seite. Anscheinend waren sie auf der Suche nach den berühmten Mardi-Gras-Feiern – außerhalb der Saison. Sie schaffte es gerade noch, ihre Laptoptasche aufzufangen, die ihr von der Schulter rutschte. Ein Schweißtropfen lief ihr den Rücken herunter. Da stand sie nun, mit einer Hand am Gepäck. Die zwei großen Koffer, der Seesack und die Handtasche waren alles, was sie auf der Welt besaß, abgesehen von den wenigen Kartons mit Büchern und Erinnerungen, die sie mit der Post vorausgeschickt hatte. Die restlichen Dinge hatte sie weggegeben, bevor sie Chicago verlassen hatte.

Das war wahrscheinlich ein Fehler, dachte Claire wieder. Der Satz war so etwas wie ein Mantra geworden, seit ihre Cousine Jessica sie letzte Woche angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass ihre Großmutter wohl bald sterben würde.

»Mammaw braucht dich jetzt, Chance«, hatte Jessica gesagt. Claires Verwandte nannten sie Chance; ihre Großmutter war Mammaw. »Sie redet Cajun. Niemand versteht sie außer Onkel Remy. Und du weißt ja, wie er ist.«

Als Claire den Anruf erhalten hatte, saß sie gerade in ihrem klimatisierten Büro in Chicago und fragte sich, was sie in die Oper anziehen sollte. War ihr normales schwarzes Bürokostüm gut genug für den Abend? Vielleicht wenn sie es ein bisschen aufhübschte, mit einer auffälligen Ethnokette oder einem bunten Tuch. Oder verlangte der Anlass eher nach Glitzer und Seide? Von ihrem Schreibtisch aus sah sie auf endlose Flure hinab, mit beigem Teppichboden, ein Gewirr aus kleinen Bürowaben und alten Fabrikmauern aus Ziegelsteinen, die für ihren Arbeitgeber No-Miss Systems, ein Softwareunternehmen, aufwendig renoviert und mit Oberlichtern und Trennwänden aus Stahl und Glas ausgestattet worden waren. Sie ließ ihren Blick über die stumme Bürolandschaft gleiten, stellte sich Mammaws Haus vor und dachte: Wenn Jessica eine Stimme aus der Vergangenheit ist, was ist dann meine Zukunft? Ein Abend in der Oper? Wirklich?

Du bist deinen kurzen Hosen wohl allmählich entwachsen, Chance Broussard.

Wie ihr frischgebackener Exfreund Sean sagen würde: »Da ist Claire mal wieder ein klitzekleines bisschen indifferent.«

Dann entdeckte Claire Tys Wagen, der sich riesig und neu seinen Weg durch ein Meer von kleineren Autos und verbeulten Pick-ups bahnte. Er ignorierte das Hupen, parkte in zweiter Reihe, sprang aus dem Auto und schloss Claire in die Arme. Dann warf er ihre schweren Taschen auf die Ladefläche, als wären sie federleicht.

Ty fuhr in Richtung des kleinen Städtchens in Plaquemines Parish, wo sie aufgewachsen waren. Sie plauderten über das Leben in der Großstadt, über sein neues Auto, die Jobsituation auf den Ölbohrplattformen, Mammaws heiklen Gesundheitszustand, bis das Gespräch im Sande verlief. Claires Verwandte arbeiteten hart, verachteten Wehleidigkeit, grüßten die Flagge und liebten Football. Wenn sie Alkohol tranken, schlugen die jungen Männer manchmal über die Stränge und die älteren Leute erzählten komplizierte Geschichten, in denen Fakten und Fiktion, Geschichte und Fantasie ineinandergriffen. Doch wenn ihre Cousins nicht in Erzählstimmung waren, dann schwiegen sie stoisch. Ihre Gedanken, Hoffnungen und Träume verstauten sie unter schweißgetränkten Baseballcaps der New Orleans Saints oder der Ragin’ Cajuns.

Claire sah grübelnd in die Landschaft hinaus, die sich flach, bedeckt von Dickicht und niedrigen Bäumen, durchzogen von Bächen und Flussarmen, vor ihr ausstreckte.

Nachdem Claire das Telefonat mit Jessica beendet hatte, hatte sie ihre Arbeit erledigt, mit ihrem Abteilungsleiter gesprochen und war zu einem Treffen mit Sean in einer angesagten Lounge gehastet, einer ehemaligen Surfbar, die nun ironisch im Stil der Fünfzigerjahre à la Frank Sinatra und Rat Pack dekoriert war. Sie bestellten Craft-Cocktails aus Produkten aus der Umgebung, für deren Zubereitung der bärtige Barkeeper jeweils etwa zehn Minuten brauchte und die mindestens das Vierfache von dem kosteten, was sie in der alten Bar dafür ausgegeben hätten.

Als die Cocktails fertig waren, setzten sie sich an einen Tisch und Claire erzählte Sean, dass sie bei No-Miss gekündigt hatte und nach Hause fahren würde, um sich um ihre Großmutter zu kümmern.

»Einfach so?«, fragte Sean, wobei sich ein erstaunter Ausdruck in sein hübsches Gesicht schlich und der bittere Grapefruitcocktail auf halbem Weg zu seinem Mund in der Luft verharrte.

»Sobald sie in der Firma einen Ersatz für mich gefunden haben.«

»Aber … was ist mit mir? Was ist mit uns?«

»Ich …« Claire sprach nicht weiter. Die traurige Wahrheit war, dass sie nicht über Seans Reaktion auf ihre Neuigkeiten nachgedacht hatte.

Natürlich war er ihr wichtig. Ihr lag etwas an Sean. Viel sogar. Sie hatten sich kurz nach dem College kennengelernt, und Sean, der aus Evanston kam, hatte Claire in die Wunder der großen Stadt eingeführt. Er hatte sie in schicke Restaurants und auf Cocktailpartys mitgenommen, hatte ihr gezeigt, wie man ein Taxi heranwinkte oder sich in der U-Bahn zurechtfand und wie man durch das Museum of Art schlenderte und dabei elaborierte Kommentare fallen ließ. Mit Sean an ihrer Seite hatte Claire Geschmack an thailändischer und äthiopischer Küche gefunden. Sie gewöhnte sich auch daran, in dem schicken Eckcafé in der Nähe der Arbeit für eine Tasse French Roast so viel zu zahlen wie zu Hause für ein komplettes Frühstück. Sie waren jung, verdienten gut, und sie hatten Spaß.

Aber in letzter Zeit hatte Sean das nicht mehr gereicht. Ihre Freunde heirateten, kauften Häuser und bekamen Kinder. Claire mochte Sean und genoss seine Gesellschaft. Aber es fehlte etwas.

Jahrelang war sie eine Getriebene gewesen: wollte aus ihrer Heimatstadt wegkommen, dann das College beenden, dann einen Job ergattern, dann mehr Geld verdienen. Und jetzt? Sie saß zehn Stunden pro Tag über einer Tastatur, am Wochenende ging sie in edle Klubs, konnte sich eine schöne Wohnung und neue Klamotten leisten … Aber war es das, wofür sie so hart gearbeitet hatte? Claire ging in ihrer Arbeit auf: programmieren, Betatests durchführen, Fehler beheben. Aber sie fragte sich: War irgendetwas davon langfristig von Bedeutung? War das schon alles?

Und wenn sie sich vorstellte, wie sie sich mit Sean irgendwo niederließ und eine Familie gründete, dann hatte sie das Gefühl, die Wogen würden über ihrem Kopf zusammenschlagen und sie vergeblich nach Luft schnappen.

»Was ist denn los, Claire?« Sean nahm ihre Hand und drückte sie sanft. »Du bekommst einen Anruf und willst plötzlich dein komplettes Leben hier in Chicago aufgeben? Es tut mir leid, dass es deiner Großmutter nicht gut geht, aber sie ist auch nicht mehr die Jüngste, nicht wahr? Es kommt also nicht wirklich unerwartet, oder täusche ich mich? Könntest du sie nicht einfach besuchen, wie …?«

Wie jeder andere auch, beendete Claire seinen Satz in Gedanken. Doch wie sehr sie die teuren Cocktails auch genießen mochte, so hatte sie sich in der Stadt doch nie heimisch gefühlt.

Als sie damals an der Universität von Chicago angekommen war, mit einem Stipendium in der Tasche, da war sie aus der Menge herausgestochen wie ein Fremdkörper. Sie trug die falsche Kleidung und eine krause Dauerwelle, die schon seit zwei Jahrzehnten aus der Mode war, wenn man ihrer wenig diplomatischen Zimmergenossin Zoey Glauben schenkte, die aus New York City stammte und sich mit so etwas auskannte. Sie sprach mit einem Akzent, der über ihren Sätzen hing wie ein Mückenschwarm an einem warmen Sommerabend über den Sümpfen.

Anfangs fand sie alles einschüchternd – die geschwätzigen Studenten, die gelehrten Professoren, den Stadtverkehr. Genau wie zu Hause verschanzte sie sich am Abend in ihrem Zimmer oder lernte in der Bibliothek.

Aber nach ein paar einsamen Wochen traf Claire eine Entscheidung. Schließlich hatte sie sich nicht aus Plaquemines Parish herausgekämpft, um ihr Leben an sich vorbeiziehen zu lassen. Also setzte sie ihre hervorragende Lernkompetenz ein, um das Verhalten der anderen Mädchen zu studieren: ihre Kleidung, ihren Tonfall, die Art, wie sie kicherten und über Jungs Witze machten. Wie leicht sie Versprechen brachen, wie sie Ja sagten, wenn sie Nein meinten, und Nein, wenn sie Ja meinten. Wie sie sich per se nicht setzten, um eine Mahlzeit zu sich zu nehmen, und an einem Tag nur Selleriestangen mit Erdnussbutter und am nächsten dafür riesige Schüsseln mit Eis aßen.

Immer häufiger stellte sie sich in der Zeit als Claire vor, nicht mehr als Chance. Und sie lernte zu trinken und zu rauchen, zu flirten und »Party zu machen«. Sie erzählte lange und wilde Geschichten über ihre Heimatstadt, die ihre Freunde unglaublich witzig fanden, und kultivierte ihren merkwürdigen Bayou-Akzent. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Claire sozial und akademisch Erfolg. Dem armen kleinen Cajunmädchen gelang es, Freunde zu gewinnen, auf Jungs verführerisch zu wirken und trotzdem ihr Studium cum laude abzuschließen. Sie fand einen guten Job als Softwareentwicklerin in Chicago, und ihr Einstiegsgehalt überstieg all ihre Erwartungen und war gemessen an den Standards von Plaquemines Parish ein kleines Vermögen. Zu Hause würden sie sagen: »Also, diese Chance! Seht sie euch nur an! Sie verkörpert den amerikanischen Traum – kommt aus dem Nichts und hat etwas aus sich gemacht.«

Doch das lag nun schon einige Jahre zurück, und Claire hatte nicht mehr das Gefühl, den amerikanischen Traum zu leben.

Früher hatte sie wissen wollen, warum sie nicht gemeinsam mit ihrer Mutter gestorben war, als Lizzie Broussards zehn Jahre alter Ford von der Straße abgekommen war und mit dem Dach nach unten im Bayou landete. Mammaw hatte darauf stets geantwortet: »Gott hat etwas ganz Besonderes mit dir vor, du wirst sehen. Die Stimme deiner Mutter hat sich aus dem Sumpf erhoben, damit du gerettet wirst – es war ein Wunder!«

Doch inzwischen fragte Claire sich: Abgesehen von dem Gehaltsscheck, ging es ihr heute wirklich besser, besser als wenn sie damals direkt nach der Schule den Job in der Raffinerie angenommen und nach der Arbeit mit der Clique bei Charlie Bob’s ein Bier getrunken hätte.

Claire wusste, Seans Antwort darauf wäre ein entschiedenes Ja.

Und doch …

»Mammaw ist nicht einfach nur meine Großmutter«, erwiderte Claire. Sie versuchte, ihren Standpunkt klarzumachen. »Sie hat mich großgezogen. Sie hat mir das Leben gerettet.«

»Ich weiß, wie wichtig sie für dich ist«, sagte er mit weicher Stimme. »Und du solltest unbedingt zu ihr fahren. Nimm dir ein paar Wochen frei, sag, du brauchst Zeit für deine Familie. Ich könnte dich begleiten.«

Sean war ein netter Mann, umgänglich und rücksichtsvoll. Aber er war es gewöhnt, dass Claire seinen Wünschen entsprach. Claire war es egal, ob sie in ein klassisches Konzert oder in die Oper gingen, ob sie beim Vietnamesen oder beim Thailänder aßen. Aber diesmal war es anders.

»Ich bin in Chicago nicht glücklich, Sean. Irgendwie ist mir das alles nicht genug. Es ist schwierig, es zu erklären, aber … Ich will etwas anderes.«

»Du willst also zurück nach Plaquemines Parish ziehen?« Er presste die Lippen zusammen, und seine Worte hatten einen schnippischen Klang. »Du hasst es dort. Wie oft hast du mir erzählt, dass du nie richtig dazugehört hast, dass du mehr vom Leben willst? Du hast so hart daran gearbeitet, dem Ganzen zu entkommen. Wie kannst du auch nur daran denken, wieder zurückzugehen?«

»Es wäre ja nur für eine Weile, sodass ich bei Mammaw sein kann. Jessica sagt, dass es wahrscheinlich nicht mehr lange dauert. Ich werde mir Gedanken über meine Zukunft machen. Vielleicht komme ich ja auch zurück nach Chicago, ich weiß es einfach noch nicht. Tut mir leid, Sean. Du bist ein wunderbarer Mann. Ich habe einfach –«

»Das ist ein Fehler, Claire«, unterbrach Sean sie. »Du machst einen Fehler.«

»Ja, vielleicht«, räumte sie ein.

Wahrscheinlich war es wirklich ein Fehler. Aber es war ein Fehler, den sie machen musste.

Zehn Tage später war sie in das Flugzeug nach Plaquemines Parish gestiegen, wo man billigen, mit Chicory gestreckten Kaffee trank, wo niemand im Traum daran dachte, in die Oper zu gehen, und wo Claire nun mit ihrem Universitätsabschluss und ihren Großstadtgepflogenheiten herausstach wie ein Fremdkörper.

 2

»Warum liegt denn da ein Baum auf dem Dach?«, fragte Claire, als Ty vor Mammaws Haus hielt.

»Wir hatten einen Sturm vor ein paar Tagen«, antwortete Ty und sah hinauf zu dem Laub auf dem kleinen weißen Holzbungalow. »Ist doch nur ein Ast.«

»Ja«, sagte Claire. »Ein sehr großer Ast.«

»Fällt mir gerade erst auf«, erwiderte Ty achselzuckend. »Ich würde mich ja kümmern, aber ich muss jetzt zurück zur Arbeit. Remy ist wahrscheinlich eh schon dran.«

Genau in diesem Moment kam Onkel Remy grauhaarig und leicht gebeugt aus dem Haus. Auf alten Fotos, auf denen er als junger Mann in Uniform zu sehen war, grinste er stets breit. Er war ein begabter Mechaniker gewesen, der schon von Kindesbeinen an alles reparieren konnte. Das sagten alle. Aber er war mit einer Kopfverletzung aus Vietnam zurückgekehrt, und obwohl es äußerlich so wirkte, als wäre alles verheilt, hatte er sich im Innern verändert. Er war wieder bei Mammaw eingezogen und dortgeblieben.

Mammaw sagte immer, er sei »etwas langsam«. Auch in seiner Gegenwart. Remy schien das nie zu stören. Erst seit Claire nach Chicago gegangen war, fiel ihr auf, dass es irgendwie nicht ganz richtig war, so etwas zu sagen. Remys Langsamkeit war ihr immer als eine unumstößliche Tatsache erschienen, so wie man beispielsweise groß war oder Locken hatte. Als Mädchen hatte sie darüber nicht weiter nachgedacht. Er war in ihrer Kindheit ihr Freund gewesen – ihr einziger echter Freund. Sie hatten gemeinsam Verstecken gespielt und manchmal sogar mit Barbies, wenn sie im Gegenzug versprach, mit ihm Dame zu spielen.

»Hey!«, rief Remy und kam den rissigen, asphaltierten Weg entlanggeschlurft. »Na so was! Meine liebe Chance! Wir haben dich vermisst!«

Sie sprang aus dem Auto, lief auf Remy zu und fiel ihm in die Arme. Sie hielten einander lange fest. Er roch leicht nach Mottenkugeln und Gewürzen, ein schmerzhaft vertrauter Geruch, der für sie Zuhause und Familie bedeutete.

Wahrscheinlich hatte Sean recht. Wahrscheinlich war die ganze Sache ein Fehler. Aber das hier – dieser eine Moment – war die Reise wert.

»Wir müssen jemanden holen für das Dach«, sagte Onkel Remy besorgt, sobald sie sich aus der Umarmung löste. Das war es auch schon mit der herzlichen Begrüßung zu Hause. Claire war nicht überrascht; Remy lebte in der Gegenwart. Er fing an, seine Hände zu kneten und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ist mitten durch die Teerpappe gekracht. Was, wenn es wieder regnet?«

»Mach dir keine Sorgen, Remy«, beruhigte ihn Claire. »Ich kümmere mich drum. Arbeitet Cousin Hog nicht auf dem Bau?«

»Er ist auf dem Krabbenkutter«, sagte Remy und hob den Seesack von der Ladefläche herunter. Ty trug die schwereren Koffer ins Haus, und winkte ihnen zum Abschied.

»Die sind zurzeit alle draußen auf den Kuttern«, fuhr Remy fort. »Zumindest diejenigen, die nicht auf der Bohrinsel sind.«

»Dann rufe ich jemand anders, kein Problem.«

»Jessica weiß bestimmt, was zu tun ist. Sie weiß alles.«

»Gute Idee. Lass mich kurz Mammaw Hallo sagen, dann überlegen wir uns was, okay?«

»Okay.« Er nickte und schien sich zu entspannen. »Gut, dass du wieder zu Hause bist, Claire. Wirklich gut, dass du wieder zu Hause bist.«

 

Wie immer, wenn Claire durch Mammaws gelbe Tür trat, erfasste sie ein intensives Gefühl von Nostalgie, vermischt mit dem Drang zu fliehen, zurückzueilen in ihr Großstadtleben mit den überteuerten Drinks und den Menschen, die die internationalen Nachrichten verfolgten.

Mammaw hatte vor zehn Jahren mit dem Rauchen aufgehört, aber das Haus roch immer noch nach kaltem Zigarettenrauch, nach alten Büchern und nach Cola von Dr Pepper. Eine uralte Klimaanlage im Fenster rappelte und spuckte gerade so viel kalte Luft aus, um die Hitze ein bisschen abzumildern. Trotzdem war es im Wohnzimmer, das mit Möbeln und Bücherregalen vollgestellt war, stickig. Hinter dem vorderen Zimmer lag die Küche, und seitlich gab es zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer. Das war alles. Als Chance eingezogen war, hatte sie entweder auf dem Sofa geschlafen oder manchmal mit Mammaw in deren Bett.

»Sie ist wach und wartet auf dich«, sagte Remy. »Sie spricht nur Cajun, also ist es gut, dass du da bist. Willst du ’ne Limo?«

»Nein, danke. Ich brauche gerade nichts.«

Claire sah vor ihrem inneren Auge lebhaft das Bild, wie sie mit sechs Jahren das allererste Mal das Haus betreten und gewusst hatte, dass sie bleiben würde. Gewusst hatte, dass sie nicht zu ihrem Vater zurückmusste. Dass sie in Sicherheit war. Mammaw hatte Lachskroketten gemacht; sie hatte Chance an der Tür begrüßt, während sie ihre Hände an einem Geschirrtuch trocknete. Dann hatte sie Chance in die Küche geschoben, hatte sie auf die Anrichte gehoben und ihr einen großen Becher süßen Tee in die Hand gedrückt.

Sie hatte verkündet, dass sie ab dem nächsten Tag im Haus ausschließlich Cajun sprechen würden.

»Aber … ich kann doch gar kein Cajun«, hatte Chance besorgt protestiert.

»Du wirst es lernen, genau wie ich Englisch gelernt habe. Als ich klein war, haben wir zu Hause nur Cajun gesprochen, und als ich in die Schule gekommen bin, sollte ich plötzlich Englisch reden, obwohl ich doch gar kein Englisch konnte. Wenn die Lehrer hörten, dass ich in meiner Sprache redete, musste ich mich auf Reis knien.«

»Auf Reis knien?«

»Ganz genau«, bestätigte sie, während ihre knochigen, geschickten Finger Dosenfisch, gehackte Zwiebeln, Paniermehl, Eier und Gewürze für die Lachskroketten in einer riesigen blauen Keramikschüssel vermengten. Chance sah zu, wie die rosafarbene Masse wie weiche Knete durch die Finger ihrer Großmutter glitt.

»Und jetzt geh und wasch deine Hände. Du musst mir hier helfen.«

»Aber … ist Reis denn nicht weich?«, hatte Chance gefragt und war von der Anrichte heruntergesprungen. Sie zog den Schemel an die große altmodische Spüle, griff nach oben, um den antiken Wasserhahn aus Messing aufzudrehen, und hielt die Hände unter das Wasser. Sie griff nach dem riesigen Stück Kernseife, das Mammaw bei Piggly Wiggly gekauft hatte, und verrieb sie zwischen den Händen, während sie im Kopf Happy Birthday to You von vorne bis hinten durchsang, so wie sie es gelernt hatte.

Chance bemühte sich immer, alles so zu tun, wie sie es gelernt hatte.

Sie wusch sich die Hände ab, trocknete sie an einem ausgebleichten Handtuch, das noch ganz steif war. Es scheuerte, und durch die Seife fühlten sich ihre Hände trocken und wund an, aber auch sehr sauber.

»Ich spreche nicht von gekochtem Reis wie in Jambalaya, Schätzchen«, lachte Mammaw. »Das wäre ja weich wie ein Kissen. Es waren ungekochte, harte Körner. Sie bohren sich in deine Haut, und es fühlt sich an, als würden sie sich bis unter deine Kniescheibe drücken. Probier es aus, dann siehst du ja, ob es dir gefällt.«

»Nein, danke, Ma’am.«

Mammaw lachte wieder, löffelte eine kleine Handvoll Lachsmasse aus der Schüssel und ließ sie in die offene Hand fallen, um eine Krokette zu formen.

»Du bist ein gutes Mädchen, Chance. Ja, Gott hat etwas Großes mit dir vor, Schätzchen, glaub mir. Deshalb hat er dich verschont und deiner Mama geholfen, aus dem Jenseits zu sprechen.«

Claire fasste in die Schüssel, nahm ein bisschen von der klebrigen Masse heraus und versuchte konzentriert, einen Taler daraus zu formen. Sie gab ihr Bestes, aber als sie ihn aufs Blech legte, sah er neben den makellos runden Scheiben ihrer Großmutter aus wie ein ausgefranster Klumpen. Erschrocken sah sie zu Mammaw auf.

»Du musst nicht immer solche Angst haben, Schätzchen«, beruhigte Mammaw sie, nahm das unförmige Teil vorsichtig auf die Hand und glättete die Ränder mit einer schnellen, geübten Bewegung. »Jeder ist ungeschickt, wenn er klein ist. Kein Grund, sich zu schämen. Man braucht Zeit, Dinge zu lernen. Zeit und Übung.«

Chance bemühte sich bei der zweiten Krokette noch mehr, ihre Zungenspitze verharrte vor lauter Konzentration im Mundwinkel.

»Außerdem«, fuhr Mammaw fort, »glaube ich nicht, dass Gott dich gerettet hat, damit du eine gute Köchin wirst. Dafür ist der Rest von uns zuständig. Er hat andere Pläne mit dir. Ganz andere Pläne.«

»Welche denn?«

»Das weiß ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Aber etwas ganz Besonderes. Vertrau mir.«

 

Claire betrat Mammaws hellblaues Zimmer. Es war so klein, dass das Doppelbett mit dem schweren Gestell kaum hineinpasste. Auf ein knallbuntes Kissen war von Kinderhand BESTE MAMMAW DER WELT gestickt.

Und dann war da Mammaw. Jessica hatte Claire gewarnt, dass Mammaw nicht mehr viel aß, trotzdem war es ein Schock, sie so winzig zu sehen, als ob sie verschrumpeln und irgendwann in den weichen weißen Laken verschwinden würde. Sie war immer kräftig gewesen, und ihre molligen Arme und ihr großer Busen waren ein willkommener Fluchtpunkt für das verängstigte kleine Mädchen gewesen. Doch Mammaws hellbraune Augen waren so klar wir immer, und ihr Lächeln war ungetrübt.

»Nein, was bist du doch für eine Augenweide, Schätzchen?«

Claire quetschte sich auf die Bettkante und umarmte ihre Großmutter, wobei sie aufpasste, nicht zu fest zu drücken. Sie konnte Mammaws Knochen und den schnellen Herzschlag durch das dünne rosafarbene Nachthemd spüren.

Einmal in der dritten Klasse hatte Claire auf dem Heimweg einen verletzten Vogel gefunden. Das Gefühl in der Handfläche war das gleiche gewesen: winzig, zerbrechlich und ein rasender Herzschlag. Remy hatte ihr geholfen, aus Zeitungen und Blättern ein kleines Nest zu bauen. Sie hatten Würmer ausgegraben, aber das verängstigte kleine Tier hatte ihr Angebot ignoriert. Es hatte den Tag nicht überlebt. Sie hatten es in einer Schuhschachtel hinter dem alten Ford begraben, der neben der Garage vor sich hin rostete, seit sie denken konnte. Remy hatte die Stelle mit einem einfachen Holzkreuz markiert, das immer noch dort stand.

Mammaw entzog sich der Umarmung, und Claire fühlte Tränen in sich aufsteigen.

»Wag es ja nicht, wegen mir traurig zu sein, Schätzchen«, sagte Mammaw in Cajun und drohte ihr mit dem Finger. »Ich bin fast bereit zu gehen. Ich brauche nur noch zwei Dinge: Ich muss ein paar Briefe schreiben und meine Beerdigung planen. Ich möchte hier zu Hause sterben, hörst du? Bring mich ja nicht ins Krankenhaus. Versprich es mir!«

Claire nickte, unfähig zu sprechen.

Mammaw hatte sich nie mit Gefühlen aufgehalten. Sie nahm die Dinge in die Hand; das machte sie aus, das, und wie sie spontan lachte, wie sie mit offenem Mund aß und alles glaubte (und wiederholte und ausschmückte), was sie in der Boulevardzeitung las. Wie sie – als sie älter wurde und nicht mehr so gut gehen konnte – mit einem Bürostuhl durch die Küche rollte, sich vom Tisch abstieß, um zur Anrichte zu gelangen, und umgekehrt.

»Ich habe ein paar Anweisungen für meine Beerdigung«, fuhr Mammaw fort. »Aber hilf erst mal Remy mit diesem Baum, der aufs Dach gefallen ist. Damit er endlich von was anderem redet. Dieser Junge sorgt sich noch zu Tode, das schwöre ich. Und schieb den ganzen Kram da oben einfach auf die Seite, ja, Schätzchen?«

»Natürlich, das mache ich«, antwortete Claire. »Ich kümmere mich gleich darum. Aber kann ich dir vorher nicht noch irgendetwas bringen? Vielleicht was zu essen?«

»Ich habe riesige Lust auf Gumbo. Vielleicht kannst du die Zutaten für morgen besorgen?«

»Das mache ich. Und jetzt gerade willst du nichts?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich mache ein kleines Nickerchen. Ab mit dir an die Arbeit.«

Claire küsste die weiche Wange ihrer Großmutter – sie roch nach Mandeln, eine Mischung aus Jergens-Creme und Babypuder – und tat wie ihr geheißen. Als Erstes rief sie bei einer Dachdeckerfirma an, die Männer wollten am nächsten Tag kommen. Dann schlüpfte sie in ein altes Paar Jeans und streifte ein T-Shirt über.

Claire traf Remy in seinem Schlafzimmer an und bat ihn um Hilfe. Sie betrat seinen Wandschrank, schob die muffigen Armeeuniformen und den dunklen Anzug beiseite, den er für Hochzeiten oder Beerdigungen aufhob, und drückte mit den Fingerspitzen leicht gegen die Bretter an der Rückseite des Schranks, sodass eine Luke aufsprang und eine Holzleiter zum Vorschein kam, die daran festgeschraubt war.

Claire fragte sich, wie es sein konnte, dass sie sich als Kind oft auf dem Dachboden aufgehalten hatte. Es war unerträglich heiß, und innerhalb von Minuten standen ihr Schweißperlen auf der Stirn. Es war so drückend und eng, dass sie kaum Luft bekam, während sie die Kisten auf die unbeschädigte Seite des Dachbodens schob. Einige – diejenigen, die Briefe und Fotos enthielten – reichte sie Remy nach unten, damit er sie in einer Ecke seines Schlafzimmers übereinanderstapelte. Claire arbeitete so schnell wie möglich, um der Hitze wieder zu entkommen, aber als sie auf eine Kiste stieß, die ganz hinten unters Dach geschoben war, verlangsamte sie das fieberhafte Tempo.

»Was ist das für eine Holzkiste aus Paris, Remy? Kennst du die?«, rief sie nach unten.

Sein Kopf tauchte in der Luke auf. »Das weiß ich nicht. Ich bin nicht oft hier oben. Da solltest du Mammaw fragen.«

Sobald sich Claire der Kiste näherte, brachen die Erinnerungen über sie herein.

 3

Es war August, und unter dem Dach war es heiß wie in einem Ofen.

Doch die zehnjährige Chance störte sich nicht daran. Hier oben auf dem Dachboden hatte sie eine Zuflucht gefunden.

Es war der einzige Ort, wo sie sich vor ihrer vier Jahre älteren Cousine Jessica verstecken konnte, und vor dem Mob aus Anhängern, der Jessica auf Schritt und Tritt folgte und tat, was immer sie verlangte, und das nur, weil sie langes, glänzendes platinblondes Haar hatte und, das musste Chance zugeben, blitzgescheit war. Sie lebte mit ihren Eltern in einem riesigen Nobelbungalow mit Whirlpool und Kabelfernsehen einschließlich aller Premiumkanäle. Jeder aus Jessicas Entourage wusste: Sie brauchten ihre Karten nur richtig auszuspielen, um mit etwas Glück zu einem Kinoabend mit Pizza und Limonade bei Jessica eingeladen zu werden.

Chance war bei diesen Events nur dabei, wenn Mammaw eine große Sache daraus machte und darauf bestand, dass sie auch eingeladen wurde. Aber Chance scherte sich nicht darum. Sie wollte sowieso nicht hin.

Wahrscheinlich wusste Jessica gar nicht, dass es in Mammaws kleinem Häuschen einen Dachboden gab. Denn wenn sie es wüsste, dann würde sie Onkel Remy so lange auf die Nerven fallen, bis er ihr den geheimen Eingang verriet. »Wo versteckt sich nur diese Chance?«, würde sie lächelnd fragen. »Wir haben eine Überraschung für sie!«

Und auch wenn Chance Remys Liebling war und er es nicht verraten wollte, würde er es doch tun müssen. Jessica machte ihre Sache einfach zu gut.

In der drückenden Hitze war Chance innerhalb von Sekunden von einem Schweißfilm überzogen, aber sie genoss die Einsamkeit, den Nervenkitzel, einen geheimen Rückzugsort zu haben. Hier oben hatte sie schon lange, stickige Nachmittage mit einem großen Becher süßen Tee verbracht, sicher vor Jessica und ihrer Gang, und hatte Mammaws Schätze durchstöbert, auch wenn das meiste nur Plunder war: alte Alben mit verknitterten Fotos und ausgeblichenen Schnappschüssen – sie war immer auf der Suche nach Bildern von ihrer Mutter gewesen –, modrig riechende Babykleidung, Kartons mit Bowlingpokalen und Armeeunterlagen, ein altes rosafarbenes Babybett, an dem zwei Stäbe fehlten.

Doch dann fiel ihr Blick auf die hölzerne Kiste.

Jemand hatte sie ganz nach hinten unter das Dach geschoben, weit hinter die Pappkartons, in denen einst Hundefutter und Waschmittel aufbewahrt wurde, und die jetzt mit alten Schulheften, vergilbten Spitzendeckchen und selbst gebasteltem Weihnachtsschmuck vollgestopft waren.

ATTENTION – FRAGILE stand in roten Buchstaben auf den Seiten der Kiste. MANIPULER AVEC ATTENTION. Der Absender lautete: MOULAGE LOMBARDI, 17 RUE DE LA HUCHETTE, PARIS, FRANCE.

Paris. Ein Kribbeln durchströmte sie.

Neugierig wie sie war, versuchte sie, die Kiste mit bloßen Händen zu öffnen und dabei die Holzsplitter zu ignorieren. Doch es gelang ihr nicht. Sie suchte herum, bis sie in der Weihnachtskiste auf einen Kranzhalter aus Metall stieß, schob ihn in den schmalen Spalt unter dem Deckel und stemmte sich mit all ihrem Gewicht dagegen. Mit einem lauten Quietschen gaben die rostigen Nägel nach, und Chance hob den Deckel an.

Darin war eine Mischung aus Sägespänen, Zeitungen und zusammengeknülltem Schmierpapier. Sie schob alles beiseite und erstarrte: In der Kiste lag das lebensgroße schlafende Gesicht einer Frau. Ihre Augen waren geschlossen, aber sie lächelte, ein bisschen nur, als hütete sie ein Geheimnis.

Sie war bestimmt wunderschön, dachte Chance.

Aber das Gesicht war in ein halbes Dutzend Stücke zerbrochen, und hässliche Risse überzogen die glatte weiße Stirn und die runden Wangen.

Was für ein Jammer. Sie hätte so hübsch an einer Wand ausgesehen. Vielleicht über dem Fernseher, sodass man während der Werbepausen sie hätte anschauen können. Direkt neben dem Gratiskalender aus der Bäckerei des Ortes, neben Remys altem Armeefoto und dem blau-schwarz-grünen Bild einer Spinne in ihrem Netz, das Claire in der zweiten Klasse mit Fingerfarbe gemalt und das Mammaw gerahmt und voller Stolz aufgehängt hatte.

Chance streichelte über die Teile der Maske, ertastete die Linien und Konturen. Die Stücke waren aus dickem Gips und sehr schwer. Die Oberfläche glänzte seidig, als ob sie von einer Lackschicht bedeckt wäre, aber als sie mit den Fingern an den Kanten der Scherben entlangfuhr, fühlten diese sich sandig und rau an und erinnerten sie an die groben grauen Felsen am Strand.

Als sie die Hände zurückzog, waren sie von weißem Staub bedeckt. Chance zerrieb den Staub zwischen den Fingern und fragte sich, wer die Dame wohl war und wie sie den langen Weg von Paris bis auf Mammaws Dachboden gefunden hatte.

Chance zögerte, dann warf sie einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob sie auch wirklich allein war. Natürlich war sie es, denn schließlich kam hier nie jemand hoch. Aber man wusste ja nie.

Sie kniff die Augen zu, atmete tief aus und griff nach dem zerbrochenen Gesicht. Sie wartete, ob die Maske zu ihr sprechen würde.

Das war genau der Grund, warum Chance eine Außenseiterin war und Jessicas Verachtung auf sich zog. Kein Wunder, dass deine Mama sich umgebracht hat und dich mit sich nehmen wollte!

Chance war sich darüber bewusst, aber manchmal funktionierte es trotzdem. Manchmal, wenn sie sich vor ihrem Vater in dem kleinen Dreieck zwischen Sofa und Wand versteckte, dann nahm sie eine der selbst gemachten Tonfiguren ihrer Mutter in die Hand – ein kleines Schwein, ein Elefant oder eine Robbe –, schloss die Augen und hielt die Luft an. Und dann konnte sie fühlen, wie sie zum Leben erwachten. In ihrer Hand.

Und sie flüsterten ihr zu: »Alles wird gut werden. Du bist nicht allein. Du bist ein Wunder.«

Chance schloss die Augen, legte die Hände auf das Gesicht und konzentrierte sich. Sie war geduldig, aber die Frau weigerte sich, zu ihr zu sprechen. Vielleicht funktionierte es ja nur bei Dingen, die ihre Mutter gemacht hatte, dachte Chance. Vielleicht war das die Art ihrer Mutter, aus dem Grab zu ihr zu sprechen.

Doch egal ob stumm oder nicht, Claire mochte das Gesicht in der Kiste. Die Frau sah so freundlich und nett aus. Und definitiv, als ob sie etwas zu sagen hätte, aber wohl erst, wenn sie selbst die Zeit dafür gekommen sah. Oder blieb sie etwa stumm, weil sie zerbrochen war? Vielleicht sollte sie Kleber holen? Sie könnte sie ja reparieren.

Chance richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Papiere, in die das Gesicht gebettet war. Sie glättete eines nach dem anderen und versuchte, die Sätze zu entziffern. Doch obwohl Mammaw darauf bestand, dass sie zu Hause Cajun sprachen, war Chances Französisch noch nicht perfekt. Sie sprach die Wörter aus, so gut sie konnte. Eines der Blätter schien ein alter Einkaufszettel zu sein, sie erkannte haricots verts, poireaux, pommes de terre. Da waren kurze Notizen, Rezepte und grobe Skizzen von Gesichtern und Händen. Und eine Liste mit Maßen.

Und dann entdeckte sie den Brief.

Es war kein wirklicher Brief, und er war zerrissen, aber Chance durchwühlte die Kiste und fand die zweite Hälfte.

Die Schrift war geschwungen und schwer zu entziffern, anders als auf den anderen Zetteln. Die Tinte war zu einem Sepiaton verblasst, und das Papier war vergilbt, so als ob die zwei Farbtöne über die Jahre versucht hätten, sich einander anzunähern.

Das schwere Papier war gefaltet und auf den 26 février datiert. Kein Jahr, kein Kontext, keine Adresse. Geschrieben in Französisch lautete der Brief:

Meine Liebe, meine Teuerste,

Olivier wird uns helfen. Wir dürfen nicht länger zögern. Wir müssen handeln. Ich werde warten. Nimm nichts mit.

 

In einer anderen Handschrift, ungeübter, weniger selbstsicher und mit mehr Tintenflecken versetzt, stand darunter:

Er wird mich niemals lebendig gehen lassen.

 

Chance drehte das Blatt um und leerte die Holzkiste aus, um nach weiteren Hinweisen zu suchen. Aber das war alles. Ihre Hände zitterten, als sie den Brief erneut las und dem Klang der Worte lauschte. Es musste sich um etwas Besonderes handeln, das stand fest.

Vielleicht war es das, dachte Chance. Vielleicht war das das Geheimnis, der Grund, weshalb sie dem Tod entkommen war.

Erzähl es mir noch mal. Erzähl mir von meiner Mama, als das Auto von der Straße abgekommen ist. Warum bin ich nicht auch gestorben?

Gott hat etwas Großes mit dir vor, Chance. Glaub mir. Du bist ein Wunder, Schätzchen, vergiss das nie.

 4

Claire reichte Remy die schwere Holzkiste nach unten. Er stellte sie auf den Boden neben sein Bett.

»Und du weißt wirklich nicht, wo sie herkommt?«, fragte Claire erneut und kniete sich daneben.

Remy schüttelte den Kopf und rümpfte die Nase. »Sieht ganz schön alt aus, finde ich.«

»Kannst du mir deinen Brieföffner reichen?« Er lag neben einem halb fertigen Modellflugzeug auf dem Schreibtisch. Remy schrieb keine Briefe, aber er liebte es, welche zu erhalten. Auch Mammaw war eine große Freundin altmodischer Briefe, und ihre drei Schwestern, zahlreiche Freunde und Bekannte aus der Kirchengemeinde schrieben Remy regelmäßig.

Claire benutzte den kupfernen Öffner, um den Deckel der Kiste aufzuhebeln. Aufregung und auch Wehmut durchfluteten sie. Sie schob die Sägespäne und das Packmaterial beiseite.

Tatsächlich ruhte das Gesicht noch in seinem Nest, genau wie sie es in Erinnerung hatte. Zerbrochen. Tropfen von gelbem Kleber und alter Tesafilm hielten einige der Scherben zusammen und betonten die grausame Entstellung noch.

Trotzdem war es auf seine eigene Art wunderschön. Ewig schlafend.

»Wer ist das?«, fragte Remy.

Claire schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

Sie nahm den alten Brief in die Hand.

Er wird mich niemals lebendig gehen lassen.

 

Woher um Himmels willen stammte diese Kiste? Ihre Familie erhielt normalerweise keine Pakete aus Paris.

Claire hatte als Kind Mammaw nie danach gefragt. Zum einen fürchtete sie damals, Schwierigkeiten zu bekommen, weil sie überhaupt auf dem Dachboden war. Und dann hatte sie ihre Nase auch noch in fremde Angelegenheiten gesteckt! Mammaw mochte Neugierde nicht. Chance war sich nur weniger Dinge sicher gewesen. Aber das hatte sie gewusst: Sie musste ein braves Mädchen sein, sonst würde man sie wieder zurück zu ihrem Vater schicken. Sie hatte noch Jessicas höhnischen Singsang im Ohr: »Deine Tage hier sind gezählt, Chance. Deine Mama wollte dich umbringen, und dein Papa wird dir den Hintern versohlen.«

Noch aus einem anderen Grund hatte sich die Plastik ganz … nah angefühlt. Besonders. Chance hatte sich damals angewöhnt, sich auf dem Dachboden zu verkriechen, wenn die Einsamkeit sie zu überwältigen drohte. Dort hatte sie dann mit dem Gesicht gesprochen. Die Maske wurde ihre Freundin, eine Vertraute für ein kleines Mädchen, das keine Freunde hatte. Und obwohl sie stur blieb und nicht sprach, erzählte Chance ihr von ihren Problemen, ihren Sorgen – und ihren Träumen. Das Gesicht hörte zu, selbst in den dunklen Tagen des Erwachsenwerdens, als unzählige Ängste und Unsicherheiten sie in einen Abgrund rissen und sie sich beinahe wünschte, auch bei dem Autounfall ums Leben gekommen zu sein.

Doch als Claire aufs College gegangen war und sich in Chicago neu erfunden hatte, hatte sie die Maske in die hinterste staubige Ecke ihres Gedächtnisses verbannt.

»Möchtest du gebratenen Fisch und Hushpuppies zu Abend essen?«, fragte Remy.

»Ja, gerne. Ich helfe dir dann, wenn es so weit ist.«

Nachdem sie die Kiste wieder verschlossen hatte, trank sie zwei Gläser Wasser und stellte sich unter die kalte Dusche.

Erfrischt und in ihrem dünnsten Sommerkleid ging sie zu Mammaw ins Schlafzimmer. Remy saß neben ihr und sah schweigend zu, wie sie akribisch letzte Nachrichten an Freunde und Verwandte schrieb. Ihre knochige Hand bewegte sich langsam und zitternd – aber entschlossen – über die weißen Seiten.

»Mammaw?«, fragte Claire, nachdem ihre Großmutter eine Adresse auf einen Umschlag gekritzelt, ihn versiegelt und Remy gereicht hatte, damit er Briefmarken darauf klebte und ihn abschickte. »Oben auf dem Dachboden habe ich eine Kiste aus Paris gefunden, in der eine zerbrochene Plastik liegt. Erinnerst du dich daran? Wo kommt sie her?«

»Natürlich erinnere ich mich. Mein Vater hat sie während des Zweiten Weltkriegs aus Paris geschickt. Ich habe dir doch gesagt: Er war dort, um gegen die Nazis zu kämpfen.«

»Es ist eine wunderschöne Plastik. Irgendwie sehr bewegend.«

Mammaw nickte. »Meine Mama sagte immer, sie hätte fast geweint, als sie die Kiste geöffnet hat und sah, dass sie zerbrochen war. Aber sie hat sie trotzdem behalten. Sie sagte immer, das Wichtigste sei, dass ihr Jerry in einem Stück aus dem Krieg zurückkommt. Vielleicht kannst du sie ja reparieren, wenn du sie so gern magst.«

»Ich werde es mir mal anschauen«, antwortete Claire, obwohl offensichtlich war, dass die Maske zu stark gelitten hatte. Es gab keine Möglichkeit, sie zu reparieren, ohne dass man die Risse sah. Ihre unbeholfenen kindlichen Versuche, sie zu reparieren, hatten die Situation zusätzlich verschlimmert. »Was ist mit diesem merkwürdigen Brief, der in der Kiste liegt?: ›Er wird mich niemals lebendig gehen lassen.‹«

»Ich weiß nichts von einem Brief. Aber lass dir gesagt sein: Deine Mama mochte die Maske auch. Sie hat immer Fragen gestellt. Sie wollte immer eine Künstlerin sein und solche Dinge machen. Ach, ach, ach! Das Mädchen war eine Träumerin.«

»Ich erinnere mich an die kleinen Tiere, die sie gemacht hat. Schade, dass es sie nicht mehr gibt.«

Claires Vater hatte die Tonfiguren eines Tages im Zorn zerschmettert, kurz bevor das Jugendamt Chance in Mammaws und Remys Obhut gegeben hatte. Sie erinnerte sich, wie sie das Zimmer betreten und das Knirschen von hartem Ton unter den Füßen gespürt hatte. Es hatte ein paar Augenblicke gedauert, bis sie begriffen hatte, dass es die Tiere ihrer Mutter waren, die zerstört dalagen. Sie war auf den Boden gesunken und hatte angefangen zu schluchzen. Die Scherben hatten sich in ihre Knie und Handflächen gebohrt, sodass sie bluteten. Diese kleinen Tiere waren alles gewesen, was sie von ihrer Mutter hatte.

»Und du hast keine Ahnung, wer die Frau ist? Wer das Modell für die Maske war?«

Mammaw schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nicht. Wenn du das unbedingt wissen willst, solltest du vielleicht nach Paris gehen und herausfinden, wo sie herkommt.«

Claire lachte.

»Das meine ich ernst.« Mammaws Augen leuchteten auf. Mit überraschender Kraft drückte sie Claires Hände, und die hauchdünne Haut spannte über ihren Knochen. »Mach das, Schätzchen. Finde dieses Gesicht, da wartet ein Geheimnis auf dich!«

Claire lächelte und fragte sich, ob Mammaw jetzt wirklich nicht mehr ganz richtig im Kopf war, wie Jessica am Telefon angedeutet hatte. Wovon redete sie?

»Ich mache mich doch jetzt nicht nach Paris aus dem Staub, Mammaw. Ich bin doch extra hergekommen, damit ich mich um dich kümmern kann. Hast du das schon vergessen? Außerdem: Seit wann reisen wir denn in dieser Familie?«

»Wir gehen in dieser Familie auch nicht auf schicke Colleges in Chicago, aber das hat dich nicht davon abgehalten.«

»Stimmt.«

Tatsächlich scrollte Claire manchmal, wenn sie noch spät im Büro war, durch Reisewebsites. Dann stellte sie sich vor, wie sie in Bali am Strand lag, in einer Trattoria in Italien saß oder in Schottland eine Küstenwanderung machte. Aber die meisten Träume kreisten um Paris, die berühmte Stadt des Lichts. Es war eine Anwandlung von Romantik, die ihr peinlich war. Nach Paris zu reisen war nicht sinnvoll.

Manchmal ging sie sogar so weit, dass sie Flüge buchte, nur um sie am nächsten Tag wieder zu stornieren. Soweit sich Claire erinnern konnte, verließ man das Land in ihrer Familie nur in Uniform: Zwei Cousins hatten im Irak gedient, ein anderer im Golfkrieg, Onkel Remy war in Vietnam gewesen, und ihr Urgroßvater hatte im Zweiten Weltkrieg gekämpft.

Werd jetzt nicht größenwahnsinnig, Chance Broussard.

Ihre Vernunft siegte am Ende immer über die Träumerei von einem Urlaub in Paris. Sie würde unweigerlich einen Anruf erhalten: Onkel Remy sei krank, und das Krankenhaus verlange nach der Zahlung; ihr Vater brauche Geld für eine Kaution oder um sich einen anständigen Anwalt leisten zu können; Cousin Jimmys Auto sei wieder mal kaputt. Also wagte Claire nicht, ihren Träumen nachzugeben, sondern arbeitete bis spät am Abend und sparte das Geld. Ihre Familie hatte sie ihr ganzes Leben unterstützt. Sie hatte sie zwar fürs College und das Leben in der Stadt zurückgelassen, aber das Mindeste war doch, dass sie ihnen half, wenn die Zeiten schwierig waren.

 

Remy spielte ein Videospiel auf dem Fernseher im Wohnzimmer, während Mammaw im Bett Briefe schrieb.

Claire rollte sich neben Remy auf dem Sofa zusammen. Mammaw hatte Unsinn geredet. Sie würde nicht nach Paris fliegen. Ausgerechnet Paris! Sie brauchte eine Richtung in ihrem Leben, keine Hirngespinste. Aber ein wenig nachzuforschen, konnte ja nicht schaden.

Im Haus gab es kein Internet, also suchte sie in ihrem Handy nach der Adresse auf der Kiste: Moulage Lombardi, 17 Rue de la Huchette, Paris, France.

Der Name war der erste Treffer in der Liste der Ergebnisse. Sie war überrascht und aufgeregt. War der Handwerksbetrieb Lombardi nach all den Jahren tatsächlich immer noch im Geschäft?

Die Website wirkte amateurhaft. Einige der Links funktionierten nicht. Außerdem hasste es Claire, auf dem winzigen Display ihres Handys nach etwas zu suchen. Aber sie las: Die Familie Lombardi ist seit dem Jahr 1871 auf Gussverfahren und die Herstellung von Abdrücken spezialisiert. In unserem Betrieb finden Sie einen umfangreichen Bestand an traditionellen Totenmasken, Friesen, lebensgroßen Statuen und anderen Reproduktionen. Auftragsarbeiten auf Anfrage.

Sie rief einen Stadtplan von Paris auf und fand die Rue de la Huchette im Quartier Latin auf der Rive Gauche im fünften Arrondissement, nicht weit von der berühmten Kathedrale Notre-Dame. Claire scrollte durch das umfangreiche Inventar von bekannten historischen Figuren und mythologischen Wesen und fand schließlich das Foto, nach dem sie gesucht hatte: das porzellanweiße Gesicht einer jungen Frau. Sie hatte die Augen geschlossen, die Wangen waren zart und rundlich, leicht gewelltes Haar umrahmte ihre Züge, und sie lächelte geheimnisvoll.

Es war ein Schock, sie so zu sehen, intakt und ohne Risse. Sie war wunderschön.

Auf der Website stand, dass sie als L’Inconnue de la Seine, als »Die Unbekannte aus der Seine«, bekannt war.

Das war es also. Mehr steckte nicht dahinter. Claire suchte nach weiteren Informationen. Sie stieß auf mehrere Einträge zu einer unbekannten Frau, die in den späten 1890er-Jahren in der Nähe des Quai du Louvre ertrunken am Ufer der Seine aufgefunden worden war. Aber niemand schien zu wissen, wer sie war.

Ausgerechnet ertrunken! Claire schüttelte es. Sie zog fast jede Todesursache dem Ertrinken vor.

»Chance?«, rief Mammaw.

»Ich komme.« Claire ging ins Schlafzimmer, um nachzusehen, was Mammaw brauchte.

»Ich möchte, dass du etwas aufschreibst«, sagte Mammaw und reichte ihr Block und Stift.

»Ich bin bereit«, sagte Claire, nachdem sie sich auf die Bettkante gesetzt hatte.

»Gumbo, gedünsteter Wels, Po’ Boy-Sandwiches mit Austern, Alligator-Chili, Hushpuppies, Kohl, gegrilltes Gemüse und Okra, und den besten süßen Tee und viel Dr Pepper und Bier.«

»Remy wollte heute Abend Fisch grillen, aber du hast anscheinend Hunger.«

Mammaw lachte. »Nein, natürlich nicht. Das ist für meine Beerdigung. Pekankäsekuchen und Torte und Pralinen als Nachspeise. Ich möchte, dass es genug Essen für viele Tage gibt.« Mammaw war in Armut aufgewachsen, und sie sorgte sich immer, dass nicht genug zu essen da sein könnte. »Hank Williams und Zydeco als Musik. Die einzige moderne Musik, die ich möchte, ist Garth Brooks mit Friends in Low Places. Ich mag diesen Song. Und weine bitte nicht, hörst du, Schätzchen? Es ist an der Zeit für mich.«

»Ja, Ma’am«, antwortete Claire.

Aber in ihrem Inneren flehte sie: Verlass mich nicht, Mammaw. Was soll ich ohne dich tun? Wohin soll ich denn gehen? Wer bin ich ohne dich?

 5

Die folgende Woche verging schnell. Die Dachdecker kümmerten sich um den Ast, Remy kochte Mammaws Lieblingsessen, und Claire saß stundenlang am Bett ihrer Großmutter und lauschte ihren endlosen, verworrenen Geschichten, die halb fiktiv waren und von Familienlegenden oder Nachrichten in der Boulevardzeitung inspiriert, die sie irgendwo im Hinterkopf gespeichert hatte. Mammaw erzählte von ihrer Zeit als Teenager in den 1950er-Jahren, von Tanzveranstaltungen und Cabriofahrten entlang der winzigen Hauptstraße. Sie behauptete, ihr Großonkel sei FBI-Agent gewesen, der während der Prohibition Destillen dichtmachte und am Ende zur Bestürzung der Mutter seinen eigenen Bruder verhaftete. Außerdem erzählte sie, dass sie einmal in einem Restaurant Lucille Ball bedient habe. Der Hollywoodstar habe ihr zwanzig Dollar Trinkgeld und eine persönliche Einladung nach Hollywood gegeben.

Mammaws Schwestern, entferntere Verwandte, Freunde, Nachbarn und Mitglieder der Kirchengemeinde kamen und gingen, brachten Nudelauflauf, frisch gefangenen Fisch und Papierteller, die sich unter dem Gewicht der hausgemachten Pekankuchen und Pralinen nur so bogen.

Claire hatte am Tag nach ihrer Ankunft Gumbo gemacht, aber Mammaw wünschte es sich ein weiteres Mal. Sie kaufte bei Piggly Wiggly frische Okraschoten und bekam ein Pfund Shrimps von Onkel Rudy. Mammaw hatte ein riesiges Glas mit Sassafrasblättern in der Küche, um das traditionelle Gumbogewürz damit herzustellen. Fertigmischungen kamen ihr nicht in den Topf.

Das vertraute Cajun-Aroma strömte durchs Haus, als das Gumbo auf dem Herd köchelte. Eine weitere Runde Besucher war gerade gegangen und hinterließ einen Auflauf mit grünen Bohnen und einen Zitronenkuchen. Wenn sie mehr Appetit gehabt hätte, dann hätte sie jetzt schon einige Kilo zugelegt, dachte Claire. Aber seltsamerweise hatte sie in letzter Zeit nicht so viel für Essen übrig.

»Was ist los mit dir, Schätzchen?«, fragte Mammaw, den aufmerksamen Blick auf Claire gerichtet. »Du erzählst mir, dass du deinen Freund und deinen tollen Job in Chicago aufgegeben hast? Was hast du denn jetzt vor?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung.«

»Selbst als Kind wolltest du immer alles richtig machen und hattest Angst, dass dir ein Fehler unterläuft.« Mammaw streichelte ihre Hand. »Das liegt wahrscheinlich an deinem Papa und daran, dass du deine Mama so früh verloren hast. Aber hör mir zu: Du brauchst nicht immer so viel Angst zu haben, Schätzchen.«

Claire lächelte sie traurig an. »Ich habe keine Angst. Ich bin eher … verloren, Mammaw.«

»Du musst nach Paris, das sage ich dir. Versuch herauszufinden, wo diese Maske herkommt. Deine Mama hat sich auch immer Gedanken darüber gemacht. Liegt wohl in der Familie.«

Claire lächelte und schüttelte den Kopf. »Du denkst also, ich sollte herausfinden, wo die Maske herkommt. Und was dann?«

»Ach … Vielleicht stößt du ja auf ein Geheimnis.«

»Was für ein Geheimnis?«

»Du musst unbedingt nach Paris, Schätzchen«, wiederholte ihre Großmutter eindringlich. »Es ist wichtig. Finde etwas über die Herkunft der Maske heraus. Versprich es mir.«

»Mammaw, jetzt mal im Ernst, was redest du denn da?«

Es entstand eine lange Pause. Schließlich antwortete Mammaw: »Also, ich finde, das Gumbo riecht jetzt genau richtig. Jetzt fehlt nur noch ein bisschen von meinem Gewürz.« Sie hustete und sank zurück in ihre Kissen. Ein leerer Ausdruck trat in ihre Augen. »Kümmere dich um das Gumbo, und wenn du wieder da bist, erzähle ich dir vielleicht etwas Wichtiges.«

»Mammaw, ist alles in Ordnung?«

»Jetzt geh schon, Schätzchen.«

Claire ging in die Küche, um nach dem köchelnden Eintopf auf dem Herd zu sehen, fügte noch eine Handvoll Sassafrasgewürz hinzu, rührte das Ganze gründlich durch, damit nichts am Boden kleben blieb, und als sie ins Schlafzimmer zurückkam, war Mammaw gestorben.

Sie war weg.

Einfach so.

Claire sank auf die Bettkante. Sie war verzweifelt. Sie fühlte sich wie ein Waisenkind, das barfuß auf der Straße stand, was absurd war, schließlich war sie erwachsen. Trotzdem. Mammaw war ihr Anlaufpunkt gewesen, ihre Lehrerin, ihre Zuflucht, ihre Freundin.

Und jetzt?

Es gab Verschiedenes, worum sie sich kümmern musste: die Gedenkfeier organisieren, die Situation mit Remy klären, Mammaws Angelegenheiten sortieren. Ihre Cousine Jessica war als Testamentsvollstreckerin festgelegt worden, weil sie in der Nähe wohnte und Buchhalterin war. Aber was dann?

Beim Gedanken daran, nach Chicago zurückzukehren, ballte sich ein harter Knoten in Claires Magengegend zusammen. Sie wollte nicht zu Sean zurück und so tun, als wäre sie glücklich. Oder ihm – und allen anderen, insbesondere sich selbst – erklären, warum sich ihr perfektes kleines Leben nicht perfekt anfühlte.

In Plaquemines Parish zu bleiben, vor allem ohne Mammaw, war auch keine Option. Sean hatte recht: Sie hatte zu lange und zu hart gekämpft, um hier wegzukommen. Claire gehörte nicht mehr hierher. Aber wohin gehörte sie?

Versprich mir, dass du nach Paris gehst, Schätzchen. Finde diese Maske – es wartet ein Geheimnis auf dich.

Paris!

Die Idee ergriff von ihren Gedanken Besitz und ließ sich nicht mehr abschütteln. Während sie Mammaws Sachen sortierte, weggab und verpackte und sich um alles kümmerte, schwankte Claire zwischen dem Schluchzen über den unwiderruflichen Verlust von Mammaw, dem Mitgefühl für Remy und Tagträumen über Paris. Vielleicht war es ja ein Zeichen, dass sie die Maske auf dem Dachboden wiederentdeckt hatte. Ein Zeichen, das sie in die richtige Richtung weisen sollte.

Es war eine etwas wirklichkeitsfremde Vorstellung, aber selbst wenn …

Was wäre, wenn sie sich tatsächlich nach Paris aufmachen und die Herkunft der L’Inconnue erforschen würde, sobald hier alles geregelt war? Was, wenn sie über das Kopfsteinpflaster der kleinen Gassen flanieren, Croissants essen und Wein trinken würde zu den Melodien französischer Straßenmusiker?

Paris klang wie eine hervorragende Idee.

Warum musste sie beim Gedanken daran dann immer weinen?

 6SABINE

1897

Paris raubt Sabine den Atem. Innerhalb von einer Stunde, nachdem sie am Gare Montparnasse angekommen war, war sie schon mehrere Male beinahe von einer der riesigen Straßenbahnen erfasst worden. Immer wenn sie stehen bleibt, um an den unfassbar hohen Gebäuden nach oben zu starren – allen voran der Eiffelturm! –, wird sie von den Menschenmassen mitgerissen, die sich auf den Gehwegen tummeln, glückliche Seelen mit einer Anstellung und einer Familie und einem Zuhause, die voller Selbstbewusstsein ihrer Wege gehen.

Sie fühlt sich wie eine Fremde in der riesigen Hauptstadt, dabei ist sie doch genauso französisch wie die Pariser.

Sabine hatte ihr Zuhause auf dem Land mit den Kleidern, die sie am Körper trug, und mit einigen wenigen persönlichen Gegenständen verlassen, die sie in einem Kopfkissenbezug aufbewahrte. Ihre Vorräte bestehen inzwischen nur noch aus einem Kanten Brot, einem Stück harten Käse und drei leicht angeschlagenen Äpfeln. Und dem Wichtigsten: der Adresse ihrer Cousine Toinette Morant, die sich in einen Kellerraum in der 27 Rue des Trois Portes eingemietet hat.

Nur mit der Hilfe einer freundlichen alten Frau vor einem Kleidergeschäft findet Sabine die Wohnung. Als sie an die Tür klopft, antwortet niemand, also setzt sie sich auf die Stufen und wartet. Den Kopf gegen die Mauer gelehnt, schläft sie irgendwann ein. Sie wird wach von den lauten Stimmen zweier junger Frauen: Es sind Toinette und ihre Mitbewohnerin Honorine. Sie tragen nasse Schürzen, ihr Haar ist feucht von Schweiß, und einzelne Locken haben sich gelöst. Sabine weiß, dass sie als Wäscherinnen in La Blanchisserie Camboise auf der anderen Seite der Seine arbeiten.

Sie freuen sich sehr, sie zu sehen.

»Willkommen in unserem Palast«, sagt Toinette, und Honorine lacht.

Ihr Zimmer, das ist ein Raum mit einem Bett und einer kleinen Truhe, die als Tisch für eine Öllampe dient, dazu ein Krug Wasser, eine Schüssel sowie ein Eimer und ein kleines Kästchen. Die Kleidung hängt an Haken an der Wand. Das einzige natürliche Licht fällt durch ein kleines rechteckiges Fenster knapp unter der Decke, durch das sie die Beinkleider und Röcke der Passanten sehen können.

Toinette und Honorine fallen aufs Bett und seufzen erschöpft. Sabine macht sich Sorgen, dass ihre nassen Schürzen das Bett feucht machen, aber es scheint sie nicht zu kümmern, also sagt sie nichts, sondern sitzt nur aufrecht auf einem kleinen hölzernen Stuhl.

»Also, erzähl mir alles!«, fordert Toinette sie auf. »Wie geht es Tante Therèse?«

Sabine erzählt ihrer Cousine den neuesten Familienklatsch und berichtet über das Dorf. Dann reicht sie ihr einen Brief von ihrer jüngeren Schwester und ihrer Tante, zusammen mit einem Päckchen, in dem sich eine kleine Birnentorte befindet, die Ausrufe des Entzückens hervorruft.

»Du kannst ein paar Nächte bei uns auf dem Boden schlafen«, sagt Toinette. »Aber du musst aufpassen, dass der Vermieter dich nicht sieht, sonst berechnet er für dich extra. Er ist klein, hat eine Glatze, eine rote Nase und einen riesigen Bauch. Du erkennst ihn, wenn du ihn siehst.«

Honorine ist eingeschlafen und schnarcht leise, bis Toinette sie anstupst. »Komm, lass uns Suppe zum Abendessen besorgen. Und zum Nachtisch gibt es Torte!«

Honorine grummelt, streckt sich und reißt gähnend den Mund auf wie ein Löwe.

»Ich habe kein …«, beginnt Sabine und wird rot. Sie hat kaum mehr Geld übrig, nachdem sie das meiste für die Zugfahrt ausgegeben hat.

»Ich lade dich ein«, sagt Toinette. »Schließlich bist du meine kleine Cousine! Du kannst dich ja revanchieren, wenn du dein erstes Geld verdienst. Hast du irgendetwas in Aussicht? Wo würdest du denn am liebsten arbeiten?«

»Ich dachte, ich könnte vielleicht als Haushälterin irgendwo anfangen«, sagt Sabine, als sie die kleine Wohnung verlassen und die Straße hinuntergehen.

»Wahrscheinlich wird es schwer für dich, eine Stelle zu finden«, gibt Toinette zu bedenken. »Schließlich hast du keine Erfahrung.«

Ende der Leseprobe