Einführung in die systemische Supervision - Andrea Ebbecke-Nohlen - E-Book

Einführung in die systemische Supervision E-Book

Andrea Ebbecke-Nohlen

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Beschreibung

Andrea Ebbecke-Nohlen führt mit diesem Buch kompakt und praxisbezogen in die systemische Supervision ein. In zwei eng miteinander verbundenen Teilen erläutert die Autorin anschaulich die theoretischen Wurzeln und die praktische Anwendung dieser Beratungsform. Im ersten Teil beleuchtet sie die allgemeine Entwicklung von Supervision und geht dann auf die besonderen Charakteristika, die Funktionen und die Leitideen der systemischen Supervision ein. Hier zeigt die Autorin auch die theoretischen und metatheoretischen Wurzeln systemischer Supervision und ihre Relevanz für das supervisorische Vorgehen auf. Der zweite Teil ist der praktischen Anwendung gewidmet. Charakteristische systemische Supervisionshaltungen und -methoden werden mit Beispielen aus unterschiedlichen Kontexten vorgestellt. Überlegungen zu einer Ethik systemischer Supervision beschließen das Buch.

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Seitenzahl: 155

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Andrea Ebbecke-Nohlen

Einführung in die systemische Supervision

Sechste Auflage, 2022

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Sechste Auflage, 2022

ISBN 978-3-89670-462-7 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8234-4 (ePUB)

© 2009, 2022 Carl-Auer-Systeme Verlagund Verlagsbuchhandlung GmbH, HeidelbergAlle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Vorwort

1.    Was ist Supervision?

1.1    Definitionen und Ziele von Supervision

1.2    Ausrichtungen von Supervision

1.3    Formen und Settings von Supervision

1.4    Abgrenzung von Psychotherapie und anderen Beratungsformen

1.4.1    Abgrenzung von Psychotherapie

1.4.2    Abgrenzung von Organisationsberatung

1.4.3    Abgrenzung von Coaching

2.    Was ist systemische Supervision?

2.1    Definition und Herkunft systemischer Supervision

2.2    Merkmale und Vorgehen systemischer Supervision

2.3    Praxisnahe Definitionen systemischer Supervision

2.4    Funktionen systemischer Supervision

2.5    Konzeptionelle Grundlagen systemischer Supervision

2.5.1    Systemische Weltsicht

2.5.2    Systemische Haltungen und Handlungen

3.    Theoretische und metatheoretische Wurzeln systemischer Supervision und ihre Praxisrelevanz

3.1    Systemtheorie

3.1.1    Die Kybernetik erster Ordnung

3.1.2    Die Allgemeine Systemtheorie

3.1.3    Die Ökologie des Geistes

3.1.4    Die Kommunikationstheorie

3.1.5    Die Chaostheorie

3.1.6    Die Theorie sozialer Systeme

3.2    Differenztheorie

3.3    Konstruktivismus

3.3.1    Die Kybernetik zweiter Ordnung

3.3.2    Die Autopoiesetheorie

3.3.3    Der radikale Konstruktivismus

3.3.4    Der soziale Konstruktionismus

4.    Leitideen systemischer Supervisionspraxis

5.    Der systemische Supervisionsprozess

5.1    Das Supervisionserstgespräch in der Teamsupervision

5.1.1    Empfehlungskontext

5.1.2    Erwartungen und Befürchtungen der supervidierten Teams

5.1.3    Umgang mit früheren Supervisionserfahrungen

5.1.4    Person der SupervisorIn und Methode

5.1.5    Konkretisierung der Supervisionsziele

5.1.6    Ressourcen supervidierter Teams

5.1.7    Spielregeln supervidierter Teams

5.1.8    Struktur und Funktion supervidierter Teams

5.1.9    Rahmenbedingungen systemischer Supervision

5.2    Evaluierung systemischer Supervision

6.    Methoden systemischer Supervision allgemein

7.    Hypothesenbilden in der systemischen Supervision

8.    Zirkuläres Fragen in der systemischen Supervision

9.    Allparteilichkeit in der systemischen Supervision

10.  Metaphern in der systemischen Supervision

Die Spielmetapher

11.  Skulpturen in der systemischen Supervision

12.  Ethik systemischer Supervision

Literatur

Über die Autorin

Vorwort

Dieses Buch ist als praxisbezogene Einführung in die systemische Supervision gedacht. Es ist in 12 Kapitel untergliedert. In den ersten drei Kapiteln werden die theoretischen Grundlagen des systemischen Supervisionsansatzes aufgezeigt. In den weiteren Kapiteln wird die Praxis systemischer Supervision beleuchtet und anhand konkreter Beispiele erläutert. In der Entwicklung systemischer Supervision stehen Theorie und Praxis in einem Wechselverhältnis. Ähnlich verhält es sich in dieser Einführung. Ohne die Darstellung der Theorie würde der Zugang zum systemischen Denken nicht wirklich gelingen und würden in der Folge Haltung und Handeln in der systemischen Praxis nicht entsprechend verstanden werden können. Die systemische Praxis ihrerseits entscheidet darüber, was vom Theorieangebot für die Praxis nützlich und für die Lösung von Problemen brauchbar ist. Darüber hinaus trägt sie dazu bei, die Theorie weiterzuentwickeln, und hilft damit gewissermaßen, dem kantschen Einwand zu entgehen, dass die Theorie möglicherweise richtig sei, aber für die Praxis nicht tauge.

In dieser Einführung wird davon ausgegangen, dass Supervision als allgemeines Theorie- und Berufsfeld bereits einigermaßen bekannt ist, auch wenn sie sich erst in den letzten Jahrzehnten in der Begleitung von Kommunikations- und Veränderungsprozessen im modernen Berufsleben und in institutionellen Kontexten als Beratungswissenschaft und Beratungspraxis hat etablieren können. Dennoch wird der allgemeinen Entwicklung von Supervision einführend ein eigenes Kapitel gewidmet, ehe der systemischen Supervision alle Aufmerksamkeit gilt. Das Buch richtet sich folglich an Personen, die etwas über diesen spezifischen Supervisionsansatz erfahren wollen. Die Literatur dazu ist bislang rar. Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt viele Publikationen, in denen wir etwas über Systemtheorie und ihre Weiterentwicklung, über systemisches Denken in unterschiedlichen Fachwissenschaften und Berufsfeldern sowie über einzelne systemische Ansätze erfahren können. Woran es eher mangelt, sind Einführungen, die in der Art eines breiten Überblicks über systemische Supervision als noch relativ junge Profession informieren, ihre theoretischen Grundlagen aufzeigen und ihre vielfältigen praktischen Anwendungsformen darstellen.

Gerade was den Gedanken der Vielfalt anbetrifft, vermag allein die stetig wachsende Nachfrage nach systemischer Supervision einen Eindruck davon zu vermitteln, wie breit die neue Profession inzwischen aufgestellt ist. Systemische Supervision wird u. a. im klinischen Bereich gesucht (Psychiatrie, Psychosomatik, Suchtbereich etc.), im psychosozialen (Beratungsstellen, Jugendhilfe, JVA etc.) und im pädagogischen Bereich (Schulen, Hochschulen, Erwachsenenbildung etc.), im forensischen (Justizvollzugsanstalten, Polizei etc.) und im kirchlichen Bereich (Pastoraltheologie etc.) sowie verstärkt auch im betrieblichen Kontext gewinnorientierter Unternehmen (Leitungssupervision, Coaching, Organisationssupervision, Unternehmensberatung und Personalentwicklung), schließlich in Politik, Justiz und Verwaltung.

Insbesondere auf Seiten von Institutionen, die nicht primär systemisch ausgerichtet sind, mehren sich die Nachfragen nach systemischer Supervision, da die Nützlichkeit des systemischen Ansatzes vor allem im schulenübergreifenden und multiprofessionellen Arbeitskontext in wachsendem Maße erkannt wird. Im Weiterbildungsbereich spielt systemische Supervision ebenfalls eine immer bedeutendere Rolle, was an der fortschreitenden Ausdifferenzierung mehrjähriger systemischer Supervisionscurricula in den zahlreichen systemischen Weiterbildungsinstituten zu erkennen ist.

Kennzeichnend für die systemische Supervision ist, dass sie sich entsprechend den jeweiligen Aufträgen an die spezifischen Erfordernisse der Beratungs- und Begleitpraxis anpasst, was eine entsprechend große Vielfalt der Supervisionsausrichtungen zur Folge hat. Hinzu kommt die beachtliche Variationsbreite in den Settings. Supervidiert werden Einzelne, Gruppen, Teams (Leitung und MitarbeiterInnen) sowie Organisationen. Weiterhin wird inhaltlich und formal zwischen Fall- und Teamsupervision, Intervision, Selbstsupervision und Supervision von Organisationen unterschieden. Schließlich kann Supervision auch in Form von Life-Supervision oder Konsultation erfolgen. Der Eindruck täuscht nicht: Systemische Supervision ist ausgesprochen vielfältig. Die vorliegende Einführung macht es sich zur Aufgabe, diese Vielfalt im Einzelnen darzustellen und einen umfassenden Überblick zu geben.

1. Was ist Supervision?

Auch wenn sich systemische Supervision in erster Linie dem systemischen Denken und Handeln verpflichtet fühlt, ist sie zunächst einmal Supervision. Insofern stellt sich im Folgenden die Frage, was überhaupt unter Supervision verstanden wird, welches ihre Ziele und Funktionen, ihre Ausrichtungen und Formen sind. Außerdem ist von Interesse, was Supervision von anderen Beratungsformen abgrenzt.

1.1 Definitionen und Ziele von Supervision

Eine erste Annäherung an den Begriff der Supervision bietet die folgende sehr allgemeine Definition: Supervision ist ein Weiterbildungs-, Beratungs- und Reflexionsverfahren für berufliche Zusammenhänge (Belardi 2005), in dem sich SupervisorInnen (professionelle BeraterInnen) und SupervisandInnen (professionelle Ratsuchende) begegnen.1 Stichwörter sind also Weiterbildung, Beratung, Reflexion, hervorgehoben wird der berufliche Zusammenhang. Nun gibt es allerdings nicht die eine Definition von Supervision, sondern verschiedene Verständnisse, was u. a. mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammenhängt.

Der Begriff der Supervision tauchte zunächst in den USA im industriellen Kontext auf, wo er die Bedeutung von Inspektion im Produktionsbereich hatte. Der Arbeitsauftrag des/der SupervisorIn bestand darin, die Herstellung einwandfreier Produkte zu garantieren (Brandau 1991). Im Bereich helfender Berufe wurde der Begriff der Supervision dann in der Sozialarbeit übernommen. Der Supervisionstätigkeit wurde hierbei eine Doppelfunktion von Kontrolle und Hilfestellung zugeschrieben: Kontrolle im Sinne der Wohlfahrtsverbände, die Sozialarbeit bezahlten und für diese Finanzierung eine an ihre Richtlinien angepasste Arbeit verlangten, Hilfestellung im Sinne der SozialarbeiterInnen, die durch die verbindliche Integration von Supervision in die Sozialarbeiterausbildung eine Möglichkeit sahen, sich zusätzliches praktisches und theoretisches Wissen anzueignen. In der Regel übte ein institutionsinterner Vorgesetzter die Supervision aus. Dies hatte strukturell eine Kontextvermischung zur Folge, in diesem Falle von Bewertung der beruflichen Qualifikation und Hilfsangebot.

Im psychotherapeutischen Feld kam Supervision zu Beginn vor allem im Ausbildungskontext der Psychoanalyse in Form von Kontrollanalyse ins Spiel. Auch dies bewirkte eine Kontextvermischung, nun allerdings in Bezug auf Ausbildung und Therapie. Da die Institutionen, in denen die SupervisandInnen sowohl im sozialarbeiterischen als auch im psychoanalytischen Feld arbeiteten, zunächst außerhalb des Rampenlichts blieben und in ihren Strukturen nicht hinterfragt wurden, hatte die Supervisionstätigkeit in der Zeit der kritischen 70er Jahre zudem den Ruf, Anpassungsarbeit zu leisten.

Alle diese Bedeutungsvarianten von Supervision – Inspektion, Garantie, Kontrolle, Wissensvermittlung, Hilfestellung, Anpassungsleistung – und ihre verschiedenen Kombinationen sind nicht nur von historischer Bedeutung, sondern auch heute noch als potenzielle Ziele und Funktionen von Supervision gegeben. Gleichzeitig lässt sich allerdings vor allem in der theoretischen Debatte supervisorischer Ziele ein Wandel beobachten, indem z. B. übergeordnete Ziele, wie Verbesserung von Reflexions- und Kommunikationsfähigkeiten, in den Mittelpunkt gerückt werden. In Tabelle 1 werden solche übergeordneten allgemeinen Ziele von Supervision zusammengefasst.

Der Wandel in der Diskussion supervisorischer Ziele kann als parallel zur Professionalisierung der Disziplin angesehen werden, die sich im Zusammenhang mit der Vergrößerung des Supervisionsmarktes ergab und mit diesem in Wechselwirkung steht. Kurt Buchinger (1998) führt die wachsende Nachfrage nach Supervision auf veränderte Arbeits- und Produktionsprozesse zurück, u. a. auf die generelle Erweiterung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen der MitarbeiterInnen, vor allem in Institutionen mit deutlich abgeflachten hierarchischen Strukturen. In Wechselwirkung mit der Professionalisierung fand eine Konzentration auf Anforderungen statt, die Organisationen an die Supervision stellen und die systemisch orientierte Fragen und Konzepte in den Vordergrund schoben. Während historisch betrachtet ein sehr unterschiedliches Verständnis von Supervision in einigen wenigen Arbeitsfeldern und den damit verbundenen Berufsgruppen vorherrschte, haben sich für die Profession Supervision, so wie sie sich heute versteht, die Ziel- und Funktionserwartungen teilweise angenähert, obwohl sich die Anwendungsbereiche ausdifferenziert haben.

Erweiterung oder Vertiefung persönlicher Erkenntnisse über eigene Möglichkeiten und Grenzen, über Einstellungen und WerthaltungenVeränderungen des eigenen VerhaltensVerbesserung des Wissens über soziale und institutionelle Rahmenbedingungen für das berufliche HandelnErweiterung oder Vertiefung der sozialen Handlungskompetenz und der praktischen FertigkeitenVerbesserung der Praxistätigkeit im jeweiligen AufgabenfeldMultiplikation des erlernten beruflichen Know-how

Tab.1: Ziele von Supervision

Insgesamt kann festgestellt werden, dass es grundsätzliche Unterschiede in den Zielvorstellungen von Supervision gibt. Manche Richtungen orientieren sich mehr an den eher funktionalen Erwartungen der AuftraggeberInnen, andere entspringen eher den Menschenbildern, Entwicklungs- und Veränderungsmodellen der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen, welche die Supervisionsausrichtungen prägen, und wiederum andere entsprechen eher dem Selbstverständnis von Supervision als Profession.

In zunehmendem Maße werden allerdings vor allem in der Literatur funktionale Zielvorstellungen in den Mittelpunkt gerückt. Diese Entwicklung kann leicht den Eindruck erwecken, als habe über die verschiedenen Anwendungsfelder hinweg eine Vereinheitlichung von Supervisionszielen stattgefunden und als hätten sich die Unterschiede in der supervisorischen Praxis, von denen oben die Rede war, nivelliert. Dies ist jedoch nicht der Fall.

1.2 Ausrichtungen von Supervision

Da sich die meisten Supervisionsausrichtungen aus psychotherapeutischen Ansätzen entwickelt haben, liegt es nahe, dass sich SupervisorInnen selbst oft primär über die Zugehörigkeit zu einer psychotherapeutischen Schule definieren. Je nach Schule wird in der Supervision auf andere Dinge geschaut, wird anderes wahrgenommen, wird methodisch unterschiedlich verfahren und erlangt womöglich auch eine andere Sinnvorstellung vom beobachteten Geschehen Bedeutung. SupervisorInnen haben in ihrem professionellen Selbstverständnis in der Regel Zielvorstellungen, die sich eng an ihrer psychotherapeutischen Herkunft und den damit verbundenen Menschenbildern, Entwicklungs- und Veränderungsmodellen orientieren. Dabei wird die alte Unterscheidung zwischen den beiden Traditionen des sozialarbeiterischen und des psychotherapeutischen Verständnisses von Supervision häufig überlagert durch schulenspezifische Unterschiede, die sich aus der Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung verschiedener Psychotherapierichtungen ergeben. Gemeinsame Ansätze sind inzwischen für die Entwicklung einer supervisorischen Identität und Praxis oft wichtiger geworden als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe oder einem entsprechenden Tätigkeitsfeld, also der Sozialarbeit oder Psychotherapie.

So wird in der an Psychotherapieschulen orientierten Supervisionsausrichtung u. a. unterschieden zwischen psychoanalytisch-tiefen-psychologisch orientierter Supervision, gruppendynamischer Supervision, personenzentrierter Supervision, verhaltenstherapeutisch orientierter Supervision, psychodramatischer Supervision, gestaltorientierter Supervision, transaktionsanalytischer Supervision, themenzentrierter Supervision, integrativer Supervision, familientherapeutisch orientierter Supervision und systemischer Supervision. In der sozialarbeiterisch geprägten Supervisionspraxis sind die meisten dieser Schulrichtungen ebenfalls präsent (Ritscher 1996).

Die Zielsetzungen, die sich am Menschenbild psychotherapeutischer Schulen orientieren, haben in erster Linie individuelle und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten für die SupervisandInnen im Sinn und schenken interaktionellen und institutionellen Aspekten weniger Aufmerksamkeit. Zum Beispiel formulieren die gestalt- und die psychodramaorientierte Supervision als Supervisionsziel, Menschen in ihrer gefühlshaften, intellektuellen und leiblichen Dimension zu erfassen, um in der Folge bestehende Blockierungen im Erleben, Wahrnehmen und Handeln aufzulösen. Gleichlaufend sollen individuelle, noch nicht genutzte Potenziale freigesetzt werden (Schreyögg 1992). In der psychoanalytisch-tiefenpsychologisch orientierten Supervision liegt ein zentrales Supervisionsziel z. B. in der Aufdeckung von unbewussten Gefühlen und Konflikten zwischen der SupervisandIn und der von ihr betreuten Person, die sich auch in der Beziehung zwischen der SupervisorIn und der SupervisandIn widerspiegeln können. Und in der verhaltenstherapeutisch orientierten Supervision schließlich kommt in den am behavioralen Menschenbild ausgerichteten Supervisionszielen zum Ausdruck, dass das Bestreben von Supervision dahin geht, bestehende Schwierigkeiten aufzuheben und eine schnelle Verhaltensänderung im Sinne des vereinbarten Supervisionsziels herbeizuführen.

Die in den Supervisionsaufträgen formulierten Zielvorstellungen der SupervisandInnen verweisen oft auf konkrete Erwartungen an die SupervisorIn, insbesondere was ihre supervisorische Haltung und Handlungskompetenz betrifft. Diese Erwartungen werden häufig von KundInnenseite mit der Zugehörigkeit der SupervisorIn zu einer spezifischen Schule verbunden. Diese Zielvorstellungen der SupervisandInnen können u. a. in dem Wunsch zum Ausdruck kommen, eine SupervisorIn zu verpflichten, die einen supervisorischen Ansatz vertritt, der den eigenen Vorstellungen ähnlich ist. Manchmal ist auch gerade das Gegenteil der Fall, und die Erwartung geht dahin, dass eine SupervisorIn einen Wechsel zu einer anderen Betrachtungsweise ermöglicht. Auch bisherige Supervisionserfahrungen können diese gegenteiligen Erwartungstendenzen nach sich ziehen: Supervision unter dem Aspekt der Kontinuität bzw. der Ähnlichkeit zur bisherigen Praxis oder Supervision, die in ihrer Fokussierung – systemisch gesprochen – einen Unterschied machen soll.

In der Wahl einer SupervisorIn aus einer bestimmten Supervisionsausrichtung werden also von SupervisandInnenseite bereits die Weichen dahin gehend gestellt, welche Supervisionsziele verfolgt werden sollen und wohin die Aufmerksamkeit gehen soll. In Tabelle 2 werden in komprimierter Form die Unterschiede der verschiedenen an Psychotherapieschulen orientierten Supervisionsausrichtungen auf gezeigt, vor allem was die Mittel und Wege betrifft, supervisorische Ziele zu erreichen. Die verschiedenen Supervisionsausrichtungen fokussieren jeweils auf andere Aspekte und erzeugen damit unterschiedliche Gestaltungen von Supervisionsprozessen.

An Psychotherapieschulen orientierte Supervisionsausrichtungen

Fokussierung

psychoanalytisch-tiefenpsychologisch orientiert

Fokussierung auf unbewusste Gefühle und Konflikte unter Nutzung von Übertragung und Gegenübertragung

gruppendynamisch orientiert

Aufmerksamkeit für interaktionelle Gruppenphänomene und Phasen von Gruppenprozessen

personenzentriert

Konzentration auf die Person im Spannungsfeld von Person und Organisation unter Nutzung von Empathie, Kongruenz und Akzeptanz

verhaltenstherapeutisch orientiert

Fokussierung auf Verhaltensanalyse und Verhaltensänderung unter Nutzung von Techniken auf der Basis der Lerntheorie

psychodramatisch

In-Szene-Setzen und Nachspielen konkreter Situationen mit dem Ziel des Sichtbarmachens psychischer Phänomene

gestaltorientiert

Sichtbarmachen von Gefühlen in übertriebener Form unter Nutzung von kathartischen Effekten

transaktionsanalytisch

Veranschaulichen des inneren Dialogs zwischen Über-Ich, Ich und Es und der damit verbundenen Konflikte

themenzentriert

Balancieren des Gleichgewichts der Faktoren Person, Gruppe und Aufgabe

integrativ

Integration von individualistischen, interaktionistischen und systemischen Prinzipien

familientherapeutisch orientiert

Fokussieren auf Beziehungsmuster im supervidierten System

systemisch

Fokussieren auf Beziehungsmuster und internales System der SupervisandInnen unter Nutzung isomorpher Beziehungsmuster

Tab. 2: An Psychotherapieschulen orientierte Ausrichtungen der Supervision

In der Supervision, die sich statt am schulenspezifischen Menschenbild vor allem an den eher funktionalen Erwartungen der AuftraggeberInnen orientiert, sind die Ziele häufig an den Erfordernissen der praktischen Arbeitsfelder ausgerichtet und bestehen z. B. in der Arbeitserleichterung, der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten, der Hilfe in der Entscheidungsfindung, der Verbesserung der Arbeitsfähigkeit (Effektivität, Effizienz, Qualität), der Steigerung des persönlichen Wohlbefindens (Freude in und an der Arbeit) sowie der Förderung einer sachdienlichen Arbeitsatmosphäre (Konfliktfähigkeit).

Im Verständnis von Supervision als Profession werden Supervisionsziele zwischen SupervisorIn und SupervisandIn im Rahmen der Auftragsklärung sorgfältig ausgehandelt. Dies geschieht, damit gewährleistet ist, dass sie sowohl mit den funktionalen Erwartungen der SupervisandIn als auch mit dem professionellen Selbstverständnis der SupervisorIn vereinbar sind. In Supervisionsausrichtungen, die in erster Linie an Psychotherapieschulen orientiert sind, wird die Auftragsklärung unter Umständen übergangen, weil die Ziele schon durch das jeweilige Menschenbild und seine Weiterungen vorgegeben scheinen. Zielvereinbarungen im Rahmen expliziter Auftragsklärung gelten jedoch als Zeichen gewachsener Professionalität der Disziplin.

Ziele sind in der Supervision allerdings in der Regel nicht statisch, sondern dynamisch, sie ändern sich oft im Verlauf eines Supervisionsprozesses; so tauchen häufig relativ kurzfristig unerwartete Probleme auf, welche neue Unklarheiten ans Licht bringen und neue Lösungen erfordern. Im Zuge der Professionalisierung der Disziplin hat auch die Frage an Bedeutung gewonnen, woran die Zielerreichung von Supervision bzw. das erfolgreiche Voranschreiten im Supervisionsprozess festzumachen bzw. zu messen ist. Supervisionsausrichtungen unterscheiden sich infolgedessen auch darin, inwieweit sie Erfolgsmessungen zugänglich sind bzw. diese methodisch im Supervisionsprozess selbst verankert haben (Rappe-Giesecke 2003).

1.3 Formen und Settings von Supervision

Ein weiterer Aspekt der Ausdifferenzierung von Supervision liegt in der gewachsenen Formenvielfalt, wobei zu betonen ist, dass jede Supervisionsform ihre eigene Struktur hat und für jede Form sich Vorteile und Stärken ausmachen lassen. Grobe Kriterien der Unterscheidung bilden Einzel- und Gruppensupervision, Fall-, Team- und Leitungssupervision, interne Supervision sowie Settings in Anwesenheit oder Abwesenheit von SupervisorInnen. Im Einzelnen lassen sich unterscheiden:

Einzelsupervision: Berufstätige Menschen begeben sich in Supervision, um in einer dyadischen Beziehung zu einer SupervisorIn ihre beruflichen Fragestellungen zu reflektieren. Vorteile des Einzelsettings sind die Konzentration auf die persönlichen Fragestellungen, die Anpassung des Gesprächsprozesses an die individuellen Bedürfnisse der SupervisandIn und die auf Grund der Eins-zu-eins-Situation potenziell geschütztere Vertraulichkeit.

Gruppensupervision: Personen aus gleichen oder verschiedenen Berufsgruppen, jedoch mit in der Regel unterschiedlichem institutionellem Hintergrund treffen sich zum Zweck der Reflexion ihrer beruflichen Tätigkeit. Sie teilen gegebenenfalls ein ähnliches Berufsprofil, sind in ihrem beruflichen Alltag jedoch nicht gemeinsam tätig. Gruppensupervision realisiert sich häufig im Kontext von Weiterbildung oder berufsbegleitender Fortbildung. Eine besondere Stärke des Gruppensettings liegt in der Fülle und der Vielfalt der in unterschiedlichen Arbeitskontexten gewonnen Berufserfahrung. Weitere Vorteile sind in den parallel ablaufenden supervisionsbegleitenden Gruppenprozessen begründet, die oft kognitive und affektive Beziehungsmuster des Fallgeschehens widerspiegeln.

Fallsupervision: Sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting werden in der Fallsupervision konkrete Fälle aus der beruflichen Praxis der SupervisandInnen in die Supervision eingebracht und besprochen. Vorteile der Fallsupervision liegen darin, dass sich auf diese Weise das Fallverständnis der SupervisandInnen verändern kann, in der Auseinandersetzung mit dem konkreten Fallgeschehen neue Ideen für die praktische Arbeit gewonnen werden können und sich so in der Folge die Professionalität der SupervisandIn vertieft.

Teamsupervision: Einen anderen Fokus als die Fallsupervision setzt die Teamsupervision, von Heinz Kersting auch als „Arbeitssystemsupervision“ bezeichnet, in der Arbeits- und Kommunikationsprozesse und damit zusammenhängende Fragen im Mittelpunkt stehen (Kersting 1995). Mitglieder von Teams, Arbeits- oder Projektgruppen