Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur - Christina Grubendorfer - E-Book

Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur E-Book

Christina Grubendorfer

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Beschreibung

Unternehmenskulturen sind entscheidend, wenn es um Unternehmenserfolg, Arbeitgeberattraktivität und Markenwert geht. Doch wie entstehen sie? Wie können sie greifbar gemacht werden? Wie lassen sie sich gestalten und verändern? Diese Einführung liefert Denk- und Werkzeug zum erfolgreichen Arbeiten mit Unternehmenskultur. Christina Grubendorfer entwickelt eine pragmatische Theorie, die für vielfältige Situationen und Fragestellungen nützlich ist – sei es im Zusammenhang mit Führung, sei es im Kontext von Familienunternehmen, Arbeitgeberattraktivität oder agilen Organisationen. Die Autorin deckt dabei gängige, doch für die Praxis folgenschwere Denkfehler auf. So wird die Sicht frei auf Erfolg versprechende Möglichkeiten, das wertvolle Gut "Unternehmenskultur" zu beeinflussen. Am Ende des Buches werden zehn Gebote des erfolgreichen Arbeitens mit Unternehmenskultur formuliert, die Lesern einen hilfreichen Denk- und Handlungsrahmen für ihre Praxis bieten.

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Christina Grubendorfer

Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur

Dritte Auflage, 2023

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Dritte Auflage, 2023

ISBN 978-3-8497-0105-5 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8420-1 (ePub)

© 2016, 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

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Inhalt

Einleitung: Der systemische Blick auf Unternehmenskultur

Warum wir eigentlich besser von Organisationskultur sprechen sollten, es aber trotzdem nicht tun

1 So geht das hier nicht! Was, zum …!, ist denn hier los? Eine Annäherung an Unternehmenskultur

1.1 Unternehmenskultur als Vergleich

1.2 Unternehmenskultur als Spielregeln

Das »Spiel« Unternehmen

Kultur als »grammatische Regeln«

Dazugehören und im Spiel bleiben

1.3 Unternehmenskultur als Deutungsrahmen

1.4 Kultur und Identität

Warum Widerstände zu erwarten sind

1.5 Kultur und Passung (cultural fit)

Die Besser-Passer

2 Unternehmenskulturen geben Struktur – oder: Der Umweg über die systemische Organisationstheorie

2.1 Entscheidungsprämissen

Formale Organisationsstruktur

2.2 Unternehmenskultur als unentscheidbare Entscheidungsprämissen – oder: Der Elefant im Wohnzimmer

Unternehmenskulturen lösen Probleme

Kulturen statt Kultur

2.3 Informalität und Unternehmenskultur

Die dunkle Seite des Mondes – Informalität als unentscheidbare Kommunikationswege

Unternehmenskultur und Informalität als nicht entschiedene Entscheidungsprämissen

2.4 Wie viele Ebenen hat die Kultur?

2.5 Planung der Zukunft – Mission: Impossible

3 (Überlebens-)Strategien von Unternehmenskulturen

3.1 Wie entstehen Unternehmenskulturen?

Jedenfalls nicht von der Sache her

3.2 Kultur als Spiegel der Vergangenheit

3.3 Unternehmenskulturen als Werte

4 Unternehmenskultur verändern?

4.1 Über die Gestaltungsillusion – Ein kurzer Bericht von anderen Theoriesternen

4.2 Selbstveränderungskompetenz von Unternehmen

4.3 Bearbeiten der Kultur sollte kein Selbstzweck sein

4.4 Unternehmenskultur beobachten

Beobachtungsdimensionen

Muster beobachten

Geschichten als Träger der Unternehmenskultur

Teilnehmende Beobachtung, Interviews oder Fragebogen?

4.5 Unternehmenskulturen über Bande anspielen

4.6 Die Rolle des Topmanagements als »Träger der Kultur«

5 Unternehmenskultur in der unternehmerischen Praxis

5.1 Unternehmenskultur und Führung

5.2 Unternehmenskultur und Arbeitgeberattraktivität

5.3 Unternehmenskultur in Familienunternehmen

5.4 Unternehmenskultur und agile Organisation

6 Zusammengefasst: Die 10 Gebote des erfolgreichen Arbeitens mit Unternehmenskultur

Literatur

Über die Autorin

Einleitung: Der systemische Blick auf Unternehmenskultur

In diesem Buch wird Unternehmenskultur systemisch betrachtet, das heißt, Unternehmenskultur wird systemtheoretisch erklärt. Dabei wird überwiegend auf Autoren Bezug genommen, die dies zuvor auch getan haben. Das hier ausgerollte Verständnis von Unternehmenskultur wird von Autoren abgegrenzt, die sich Unternehmenskultur anders als systemtheoretisch erklären. Vor allem wird Kultur durch die systemtheoretische Erklärung auf eine (vielleicht neue, hoffentlich aber) hilfreiche Weise beobachtbar. Wer nun allerdings ein Werk erwartet, das alles, was je über Unternehmenskultur gesagt wurde, kommentiert, der wird enttäuscht. In theoretischer Hinsicht greift dieser Beitrag zur Unternehmenskultur das reichhaltige Denk- und Begriffsrepertoire der neueren Systemtheorie auf. Er behält jedoch auch stets die Praxis im Blick, einerseits die Erfahrungen der Autorin mit den verschiedensten Unternehmen und Organisationen, andererseits die Herausforderungen an Führungskräfte, Berater und Studierende, sich diesem Thema zu nähern. Ziel war es, eine praktische Theorie über Unternehmenskultur zu entwickeln, die für die Reflexion verschiedenster Situationen und Fragestellungen nützlich ist. Vor allem soll darauf hingewirkt werden, dass mit Gestaltungsaufgaben betraute Personen, etwa Manager oder Berater, damit aufhören zu versuchen, Unternehmenskulturen direkt beeinflussen und gezielt verändern zu wollen. Die Aufmerksamkeit soll auf andere Möglichkeiten der Unternehmensentwicklung gelenkt werden, die dann auch immer eine Veränderung der Unternehmenskultur mit sich bringen, dies aber indirekt und mit Überraschungspotenzial.

Ein Vorwissen über Systemtheorie ist nicht dafür notwendig, dieses Buch zu lesen. Es wurde darauf verzichtet, an jeder Stelle, an der es möglich gewesen wäre, explizit auf die Systemtheorie Bezug zu nehmen, denn sonst wäre dies sicherlich ein dicker Wälzer geworden. Es geschieht nur dann, wenn es unerlässlich erscheint, damit Gedankengänge nachvollziehbar werden. Wer sich gerne trotzdem oder gerade deshalb näher mit der Systemtheorie befassen möchte, der könnte dies zum Beispiel über die Lektüre der Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (Simon 2006).

Was heißt »systemtheoretisches Erklären«?

1)

Es werden zirkuläre statt kausale Erklärungen genutzt. Es wird nicht in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen gedacht, sondern in Netzwerken, Rückkopplungen, Schleifen und Kreisen. Statt dass Objekte isoliert betrachtet werden, wird auf die Relationen zwischen Objekten geschaut.

2)

Statt dass in linearen Zusammenhängen gedacht wird, wird vermutet, dass kleine Impulse große Auswirkungen haben können und große Impulse verpuffen können.

3)

Unternehmen werden als nichttriviale soziale Systeme betrachtet, die nicht kontrollierbar sind. Die Zukunft eines Unternehmens kann nicht vorhergesagt oder berechnet werden.

4)

Dass Unternehmen eine statische Struktur aufweisen, liegt an dynamischen Prozessen, die dafür sorgen, dass das Unternehmen überlebt.

5)

Ein Unternehmen wird als ein sich selbst erzeugendes (autopoietisches) System gesehen, das durch sein Netzwerk an Interaktionen seine eigenen Grenzen aufbaut und innerhalb dieser Grenzen abgeschlossen funktioniert.

6)

Alles, was über die Welt oder – in diesem Fall – über Unternehmenskultur, gesagt wird, wird von einem bestimmten Beobachter konstruiert, wobei die Qualität der Beobachtungen weniger danach bewertet wird, wie »wahr« sie sind, sondern danach wie nützlich sie sind.

Wer sich ermuntern lassen möchte, sich gar nicht erst daran zu versuchen, Unternehmenskultur zu definieren, der lese Wozu Kultur? von Dirk Baecker:

»Wenn es ein bestimmtes Merkmal des Begriffs der Kultur gibt, dann die verbreitete Auffassung, dass dieser Begriff nicht zu definieren ist. Wer es trotzdem versucht, zeigt damit, dass er dem Begriff nicht gewachsen ist« (Baecker 2000, S. 33).

Irgendwie ist es trotzdem gelungen, die folgenden Seiten über Kultur zu schreiben.1

Warum wir eigentlich besser von Organisationskultur sprechen sollten, es aber trotzdem nicht tun …

Kurz gesagt, es scheint anschlussfähiger, in der Praxis von Unternehmenskultur zu sprechen anstatt von Organisationskultur. Von Organisationskultur sprechen vor allem durch die neuere soziologische Systemtheorie geprägte Personen, und davon gibt es gar nicht so viele, was durchaus bedauernswert ist. Schon allein der Begriff »Organisation« stößt in seiner praktischen Verwendung immer wieder auf Unverständnis, zum Beispiel bei Führungspersonen der Wirtschaft. Wenn wir2 sagen: »Wir sind Organisationsberater«, dann denken die meisten, dass wir anderen sagen, wie sie irgendetwas besser organisieren sollen. Die wenigsten Personen denken beim Begriff »Organisation« bisher an ein Unternehmen, eine Gesellschaft, eine Institution, ein Amt, eine Verwaltung, ein Krankenhaus, eine Hochschule, eine Schule, einen Verein. Dabei wäre das alles damit gemeint. Das kann man jetzt schade finden, weil der Begriff Organisation doch eine Art Gattungsbegriff sein könnte für alle diese »aufgabenbezogenen Systeme«, mit denen die meisten Menschen in unserer Gesellschaft durch Mitgliedschaft ihr Geld verdienen. Angesichts dieser Tatsache wäre es angemessen, von Organisationskultur zu sprechen. Doch da potenzielle Leser nicht gleich mit dem Buchtitel vergrault werden sollten, heißt es nun Einführung in … Unternehmenskultur. Wir möchten mit diesem Buch aber nicht zuletzt darauf hinwirken, dass sich das Verständnis für Organisationen und ihre spezielle Funktionsweise verbreitet. Denn es könnte doch ganz nützlich sein zu verstehen, wie eine Organisation funktioniert, wenn man es schon den ganzen Tag lang damit zu tun hat. Und ja womöglich dafür bezahlt wird, Einfluss darauf zu nehmen, was dort passiert, sei es als Führungskraft oder als Berater.

1 Natürlich lässt sich zu diesem Thema weitaus mehr sagen, als es in dieser knappen Einführung möglich ist. Weitere Kapitel finden Sie auf der Seite http://www.carl-auer.de/machbar/einfuehrung_in_systemische_konzepte_der_unternehmenskultur. Dort beschäftigen wir uns u. a. mit Denkfehlern am Beispiel der Unternehmenskultur nach Schein und mit dem Aspekt »Kultur als Antwort auf Dynamik und Paradoxie«.

2 Mit »wir« sind die Autorin und Beratungskolleginnen und -kollegen gemeint.

1 So geht das hier nicht! Was, zum …!, ist denn hier los? Eine Annäherung an Unternehmenskultur

»Es war mir schon vorher klar, dass in diesem Unternehmen einiges anders sein würde, als ich es aus meinem vorigen Job kannte. Ich hatte mich auch darauf eingestellt, dass ich viel Neues aufnehmen müsste, die vielen neuen Kollegen, die üblichen Machtspielchen, das Abchecken, wer ich bin, was ich kann … Klar, damit war zu rechnen. Und dass es in so einem Start-up irgendwie chaotischer ablaufen würde als in einem Konzern, davor hatte man mich auch schon im Vorstellungsgespräch gewarnt. Das fand ich aber gut und spannend. Meine Erwartungen haben sich dann auch bestätigt, nur noch viel extremer. Die Zeitrechnung ist hier eine andere. Was da draußen ein Jahr ist, das sind hier drinnen sieben, es muss alles noch schneller gehen, mit noch weniger Mitteln, noch pragmatischer, dafür aber nicht weniger wirksam. Es wird auf einem richtig hohen Niveau miteinander gearbeitet, die meisten oberen Führungskräfte hier haben Erfahrung als Unternehmensberater oder waren irgendwo mal in einer Topposition, die arbeiten hier in erster Linie für das Abenteuer, nicht für das Geld. Sie wollen was Großes bewirken, und das können sie hier auch. Das ist absolut faszinierend, was hier gespielt wird. Dabei entstehen natürlich auch Konflikte, die Stimmung bei uns in der Abteilung war schon ziemlich schlecht, als ich ankam, irgendwie fehlte allen der Überblick. Bei alldem gab es hohe Erwartungen an mich. Eigentlich hat man mich wohl eingestellt, damit ich diese Konflikte hier alle mal löse. Das würde so keiner sagen, und es hat mir auch nie einer gesagt, aber alle schauten mich mit großen Augen an. Mittlerweile habe ich mich an das Tempo schon gewöhnt, aber gut finde ich es trotzdem nicht, dass ich nicht einmal Zeit habe, einen klaren Gedanken zu fassen und etwas richtig zu durchdenken.«

(Personalleiterin in einem Logistikunternehmen, drei Monate nach Arbeitsbeginn)

»Mein Einarbeitungsplan ist auf sechs Monate ausgerichtet, in dieser Zeit darf ich die Bekanntschaft mit allen möglichen Abteilungen und Leuten machen. Es ist hier wichtig, dass alle immer wissen, was jeder so macht, und man sich auch kennt. Meine Chefin mit ihren cholerischen Anfällen fällt da irgendwie aus dem Rahmen. Wenn das mal bekannt wird, dann wird sie nicht zu halten sein. Komisch, dass das keiner anspricht. Toll ist, dass der Chef sogar manchmal persönlich bei uns in der Hauptverwaltung rumgeht und sogar die meisten mit Namen begrüßt. Dass der sich das alles merken kann! Und er ist sich auch nicht zu schade, mit demselben Aufzug wie alle zu fahren. Man erzählt sich, dass er mal einen Kunden mit einer Fahrradrikscha am Bahnhof abgeholt hat. Aber der hat es voll drauf, dem macht so schnell keiner was vor. Meine Kollegin meinte, er will immer alles ganz genau wissen und lässt sich sogar bei jedem neuen Produkt die Kampagnenzahlen zeigen. Bis wir im Marketing dann wissen, welche Grafik wir nehmen sollen, ist das alles über 20 Tische gelaufen. Also, Geduld muss man hier schon haben. Und nicht zu viel wollen, denn sonst läuft man gegen die Wand. Schön abwarten, bis man positiv auffällt, und darauf vertrauen, dass man dann eine Chance bekommt zu zeigen, was man kann. Aber das ist okay, ich bin dieses strebsame Ellenbogengehabe auch satt. Hier kann ich jetzt bis zur Rente bleiben, wenn ich will. Klar, man weiß es nie, aber wir haben hier Betriebszugehörigkeiten von über 30 oder 40 Jahren, die Leute bleiben, weil sie sich wohlfühlen. ›We are family‹ steht hier an der Wand. Das ist natürlich schon auch irgendwie ein Muss, dass ich da am Donnerstag mit den anderen zum Schwimmen gehe. Und mein erstes Projekt ist nun die Planung des Sommerfestes im nächsten Jahr, da lasse ich mir was Schönes einfallen.«

(Mitarbeiter im Marketing eines Buchverlags, einen Monat nach Arbeitsbeginn)

Es geht in Unternehmen viel wilder zu, als es nach außen hin präsentiert wird. In unserer Beratungspraxis dürfen wir mit den verschiedensten Unternehmen und deshalb unweigerlich mit den verschiedensten Unternehmenskulturen Bekanntschaft machen. Wir sehen uns immer wieder fasziniert die Besonderheiten an. Wahrscheinlich gibt es ebenso viele Unternehmenskulturen, wie es Unternehmen gibt. Und es ist ungemein spannend, sich immer wieder auf Entdeckungsreise zu begeben: Wie ist es da? Wie gehen die Leute miteinander um? Wie sieht es da in den Büros aus? Wie muss man sich anziehen, wenn man dahin geht? Welche Fettnäpfchen gibt es? Was müssen wir tun, um möglichst gut anschließen zu können an diese ganz eigene Wirklichkeit eines Unternehmens? Diese Fragen dürfen wir natürlich nicht stellen, zumindest nicht ohne einen Auftrag dafür zu haben. Wir müssen es selbst herausfinden. Und das ist das Besondere an Unternehmenskulturen, man hat sie einfach und spricht nicht darüber. Die Bedingungen zur Mitarbeit in einem Unternehmen sind vertraglich geregelt, doch das reicht bei Weitem nicht dafür aus, erfolgreich zusammenzuarbeiten. Eine neue Außendienstmitarbeiterin in der Pharmaindustrie kann nur sehr eingeschränkt in die nicht ganz legalen Mittel zur Manipulation der Verschreibungspraxis von Ärzten eingearbeitet werden. Sie muss selbst daraufkommen, sie muss spüren, was von ihr erwartet wird.

Die Unternehmenskultur ist maßgeblich für das Handeln in einem Unternehmen, sie prägt das Geschehen. Aber was ist Unternehmenskultur?

Es gibt in Unternehmen offensichtlich ungeschriebene Gesetze, auf den ersten Blick Unsichtbares, implizite Regeln, einen blinden Fleck, ein »Unterleben« (Kühl 2010b, S. 3), eine Art »Hinterbühne der Organisation« (Pfläging 2014, S. 61), eine »tiefer liegende Schicht« (Baitsch u. Nagel 2014, S. 273), eine unbewusste »Grammatik« (Simon 2007, S. 99).

Der große Hype um die Unternehmenskultur begann in den späten 1970er-Jahren, als sich die Aufmerksamkeit vermehrt auf die »soften« sozialen Beziehungen und symbolischen Aspekte in Organisationen richtete. Für eine erste prominente Verwendung des Begriffs in der Organisationstheorie ist Pettigrew zu nennen (1979, pp. 570 f.). Schon Barnard (1938, p. 120) erwähnte, dass man sich nur dann in einer Organisation zurechtfindet, wenn man die »unsichtbare Steuerung« erkennt und sich die »informellen Prozesse« aneignet.

Unzählige Konzeptionen von Kultur wurden verfasst und bis heute kontrovers diskutiert. Zwei Positionen können unterschieden werden: 1) Eine Organisation hat eine Kultur (Kultur als Variable einer Organisation), wie sie die sogenannten Corporate-Culture-Studien und die kulturvergleichende Managementforschung vertreten, versus: 2) Eine Organisation ist eine Kultur (Kultur als Metapher für Organisation), wie sie von der kognitiven, der symbolischen, der strukturalistischen und psychodynamischen Organisationstheorie vertreten wird. Einen Überblick über die Vielfalt der Organisationskulturforschung geben zum Beispiel Smircich (1983), Allaire und Firsirotu (1984), Meyerson und Martin (1987), Martin et al. (2006), Raeder (2000).

1.1 Unternehmenskultur als Vergleich

»Haben die denn da eine Unternehmenskultur?« … Eigentlich sollte klar sein, dass es nicht um die Frage geht, ob ein Unternehmen eine Kultur hat, sondern welche Kultur es hat. Und trotzdem hören wir immer mal wieder Personen in der Form darüber sprechen, dass wir Zweifel hegen, ob das wirklich so klar ist. Da wird dann beispielsweise gefragt, ob ein bestimmtes Unternehmen denn schon eine Kultur implementiert habe. So als ob es auch kulturfreie Unternehmen gäbe. Damit wird dann meist auch eine Bewertung vorgenommen, denn wer eine Kultur habe, sei klar im Vorteil … Dabei verhält es sich mit der Kultur genau wie mit dem Wetter, es gibt keinen Gegenbegriff: »Es gibt keinen kulturfreien Raum, und es gibt keine Zeit ohne Wetter« (Simon 2004, S. 223).

Vielleicht hat die Frage nach dem Ob seinen Ursprung darin, dass die alten Griechen und Römer die Angehörigen der eigenen Völker für Menschen und alle anderen für Barbaren hielten. Da ist es nicht weit zu der Unterscheidung zwischen »kultiviert sein« und »nicht kultiviert sein«, wobei nicht kultiviert zu sein oder »barbarisch« zu sein wahrscheinlich keine Zuschreibung ist, mit der man sich besonders wohlfühlt. Rousseau war im 18. Jahrhundert einer der Ersten, der gesellschaftliche Zustände als gute bzw. schlechte kulturelle Zustände beschrieben und damit das Welche thematisierten.

Doch statt uns zu verhalten wie die alten Römer, sollte uns beim Blick auf Unternehmenskulturen klar sein: Die einen machen es so, die anderen machen es anders, aber nicht deshalb, weil sie keine guten Unternehmen (bzw. Barbaren) sind, sondern weil sie eine andere Unternehmenskultur haben. Kultur wird damit zu einer Frage des Vergleichs. Doch erst wenn man der Bewertung der Kultur den Rücken zudreht und sich auf das Welche einlässt, lässt sich Kultur vergleichen. Erst die Fokussierung auf die Merkmale einer Unternehmenskultur ermöglicht es uns, den Begriff in der Praxis zu verwenden. Der Kulturbegriff bleibt sonst inhaltsleer.

Das setzt allerdings das Wissen über andere Möglichkeiten voraus. Wer gefangen ist in der Annahme, es gebe entweder Kultur oder nicht, der wird nicht beginnen, Kulturen miteinander zu vergleichen. Wer sich mit Kulturen befassen möchte, der sollte sich sein Wissen über andere Möglichkeiten zunutze machen und damit Begebenheiten interessant finden. Etwas interessant zu finden bleibt allerdings nicht ohne Folgen:

»Man muss sich das vorstellen: Ein Gläubiger kniet nieder und beginnt ein Gebet. Ein Intellektueller stellt sich neben ihn und sagt: ›Wie interessant! Weißt du, dass andere Völker an ganz andere Götter glauben?‹ Wie kann der Gläubige, der an seinen Gott glaubt, darauf reagieren? […] Wie kann er glauben, wenn andere anders glauben? Was kann er wissen, wenn andere anderes wissen? Wer ist sein Gott, wenn andere ihn nicht kennen? […] All das nur wegen einer harmlosen Rückfrage: ›Wie interessant!‹« (Baecker 2000, S. 48 f.).

»Wie interessant!« leitet eine Praxis des Vergleichs und der Reflexion ein. »Wie interessant!« richtet die Aufmerksamkeit auf