Einhand zu zweit - Susanne Huber-Curphy - E-Book

Einhand zu zweit E-Book

Susanne Huber-Curphy

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Beschreibung

Auf den bekannten Blauwasserpfaden tummeln sich etliche besondere Menschen: Einhandsegler, Pärchen, Zweckgemeinschaften, Familien. Eine derart skurrile Konstellation wie bei Susanne Huber-Curphey dürfte jedoch einmalig sein! Als Einhandseglerin zu ihrem Traumtörn gestartet, lernt sie unterwegs ihre große Liebe und späteren Mann kennen, ebenfalls Einhandsegler. Nach einem kurzen gemeinsamen Intermezzo für das Liebespaar auf einem Boot stellen sie fest, dass sie doch lieber auf dem jeweils eigenen Boot weitersegeln wollen, wenngleich gemeinsam – in Sichtweite quasi. So segeln sie um die Welt: Jeder für sich und doch gemeinsam. Von Neuseeland bis Alaska, von Südseetraum bis Havarie (nach der sie ihren Mann und sein Boot mehrere Hundert Meilen in Schlepp nimmt) – in diesem Buch steckt Abenteuerlust, Liebe und die Geschichte der skurrilsten Seglerkonstellation aller Zeiten.

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Seitenzahl: 343

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Susanne Huber-Curphey

Sie sind verheiratet.Sie segeln um die WeltJeder in seinem Boot …

 

 

 

 

 

 

 

DELIUS KLASING VERLAG

 

1. Auflage© by Delius, Klasing & Co. KG, Bielefeld© Text by Susanne Huber-Curphey

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:ISBN 978-3-7688-3674-6 (Print)ISBN 978-3-7688-8194-4 (E-Book)ISBN 978-3-7688-8383-2 (E-Pub)

Lektorat: Birgit Radebold, Monika HoheneckTitelfoto: rfsole/fotolia.comFotos: alle von Susanne Huber-Curphey, außer 14 Tony CurpheyKarte: Inch3, BielefeldSchutzumschlaggestaltung: Buchholz.Graphiker, HamburgLithografie: scanlitho.teams, Bielefeld

Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft fürVerlagsservice, München

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnisdes Verlages darf das Werk, auch Teile daraus,nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

Inhalt

Wir stellen uns vor  

 

 

Unsere Boote

 

Unsere Route

 

Meine Blauwasserbriefe

 

Honey

 

Einhandsegeln

 

Boot ist nicht gleich Boot

 

Unsere Wurzeln

 

Zwei Einhandsegler heiraten

 

Gemeinsam an Bord

Atlantischer Ozean  

Brasilien–Südafrika

Indischer Ozean  

Südafrika–Westaustralien

 

Westaustralien–Neuseeland

Pazifischer Ozean  

Neuseeland–Fidschi-Inseln

 

Fidschi-Inseln–Neuseeland

 

Neuseeland–Französisch-Polynesien

 

Französisch-Polynesien–Alaska

 

Kodiak Island–Sitka

 

Winter in Sitka

 

Alaska–Kanada

 

Kanada–Kalifornien

 

Kalifornien–Mexiko

 

Mexiko–Panama

Atlantischer Ozean    

Panama–Bermudas

 

Bermudas–Azoren

 

Azoren–England/Griechenland

Mittelmeer  

Winter in Europa

Atlantischer Ozean    

Griechenland–England

Unsere Offshore-Strecken

Rod Stephens Trophy for Outstanding Seamanship

 

»There is nothing – absolutely nothing,half so much worth doingas simply messing about in boats.«

(From: Wind in the Willows,published 1908 by British author Kenneth Grahame)

 

Mein Vater sagte mal stolz:»Susanne ist aus anderem Holz …«Dachte der Mann: Was die alles kann.Und ergänzte:»Man nennt es Treibholz!«

Wir stellen uns vor

Von 2007 bis 2011 sind wir um die Welt gesegelt. Das ist nichts Besonderes, viele Paare machen das. Doch unsere Geschichte ist etwas anders. Mein Ehemann Tony und ich segeln jeder allein, aber auf parallelen Kursen. Wir halten das so mit wenigen Unterbrechungen, seit wir uns 1996 als Einhandsegler in Whangarei in Neuseeland kennengelernt haben. Und wir machen es gern.

Damals segelten wir auf der üblichen Passatroute in Ost-West-Richtung um die Erde. Auf der hier beschriebenen Reise segeln wir in West-Ost-Richtung um die Welt, in den hohen südlichen Breiten mit einem großen Bogen bis in den Norden von Alaska und via Panama nach Europa. Auf See sehen wir uns nie, denn meist sind wir Hunderte Seemeilen voneinander entfernt, während wir, wann immer möglich, Funkkontakt über Kurzwelle halten.

Das Segeln und das Leben an Bord sind unsere Hauptmotivation für dieses Seezigeunerleben auf unseren einfach ausgestatteten Booten. Es ist viel mehr als nur ein Hobby, es ist unser Lebensstil, ja unser Lebensinhalt. Wir reisen nicht als Touristen mit dem Schwerpunkt auf Sightseeing. Wichtig ist jedem von uns der Alltag auf einem eigenen Boot, an dem wir alles selbst warten und reparieren, das ist eine Vollzeitaufgabe. In den Häfen liegen neben uns fast immer moderne Yachten mit hohem Niveau an technischer Ausrüstung und mit maximalem Komfort auf einer Route nach festem Zeitplan. Der Besuch von exotischen Ländern und die Landausflüge sind für diese Segler meistens der Hauptgrund der Reise, wobei sie die in Kauf zu nehmenden langen Seestrecken oft als Hindernis empfinden: Freies Wasser für viele Wochen gilt als möglichst zu vermeidendes Übel. Mein Mann und ich haben viele Brücken zu einer Gesellschaft mit doppeltem Sicherheitsnetz abgebrochen und ein einfaches, in mancher Hinsicht sogar primitives Leben gewählt.

Unsere Boote

Meine SO LONG: eine Slup mit klassischen und eleganten Linien. Ein Langkieler mit kurzer Wasserlinie bei geringer Breite. Mit außergewöhnlich hohem Ballastanteil zeigt sie ein sehr gutes Seeverhalten. Entworfen vom amerikanischen Bootskonstrukteur Philip Rhodes für Offshore-Regatten wie beispielsweise das Newport Bermuda Race. SO LONG ist sein erstes in den USA in Serie gebautes GFK-Boot. In 48 Jahren hatte sie vor mir nur zwei Voreigner, mit denen sie bereits um die Welt gesegelt ist. Ausrüstung und Zubehör sind im Sinne von Seefestigkeit und Stärke, nicht von Leichtbau und Geschwindigkeit gewählt. Ich bin mit den Segeleigenschaften sehr zufrieden.

Material

GFK

Baujahr

1964

Rigg

Kutter

Länge ü. A.

12,50 Meter

Länge i. d. W.

 8,50 Meter

Breite

 3,07 Meter

Tiefgang

 1,83 Meter

Vermessungslänge

10,77 Meter

Verdrängung

 9 Tonnen

Motor

Yanmar Diesel 27 PS

Tonys GALENAIA: Bevor mein Mann GALENAIA entdeckte, hatte sie 25 Jahre lang in einer Werft in England geschlafen und ganz sicher von großen Reisen geträumt. Tony hat dem Boot und sich selbst diesen Traum erfüllt. GALENAIA mit ihren eigenwilligen Linien ist ein Einzelbau aus Sperrholz. Nach unseren Arbeiten verwandelte sie sich vom hässlichen Entlein in einen robusten Hochseeschwan. Der hölzerne Mast und ein Großteil des Riggs aus verzinktem Stahldraht sind noch heute im Originalzustand. Die Weltumsegelung auf der Ostroute hat dieses relativ kleine Boot außergewöhnlich gut gemeistert.

Material

Sperrholz, komplett mit Glasfaser überzogen

Baujahr

1958

Rigg

Kutter

Länge ü. A.

8,27 Meter plus Bugspriet

Länge i. d. W.

7,32 Meter

Breite

2,50 Meter

Tiefgang

1,50 Meter

Verdrängung

4,5 Tonnen

Motor

Benzinmotor, dann Bukh Diesel, dann 5-PS-Außenborder, dann Kubota Diesel 27 PS

Unsere Route

Hunderte Yachten aller Nationalitäten segeln jedes Jahr auf der Barfußroute um die Welt. Das Band zieht sich auf fast identischen Kursen in der Nähe des Äquators über die Weltmeere. Wann immer wir jedoch in den vergangenen zwölf Jahren von dieser Segler-Autobahn abwichen, wurden wir mit wunderbaren Ländern und einmaligen Erlebnissen belohnt. Ich will niemandem von einer »normalen« Weltumsegelung abraten, aber die besonderen Ziele liegen abseits dieser Hauptroute. Oft braucht man gar nicht weit weg, manchmal wird daraus ein Abenteuer, das mit ernst zu nehmenden Herausforderungen verbunden ist. Eine Reise von mehr als 40 000 Seemeilen in vier Jahren.

Unsere Route ging im Jahre 2007 von Brasilien über den Südatlantik nach Südafrika, später im selben Jahr durch den südlichen Indischen Ozean nach Australien – meine längste Seepassage mit 49 Tagen auf See, Tony brauchte 58 Tage.

Im Jahre 2008 liefen wir von Westaustralien nonstop südlich von Tasmanien aus in die tropische Südsee. Hier hatte Tony eine Havarie. SO LONG schleppte GALENAIA acht Tage lang unter Segeln in der Tasmansee nach Neuseeland, doch davon später. Dann verbrachten wir eine Wintersaison auf den Fidschi-Inseln und kehrten im Frühling wieder zurück nach Nelson auf der Südinsel von Neuseeland.

Dort entschlossen wir uns im Jahre 2009, den gewaltigen Bogen diagonal über den weiten Pazifik in nur einem halben Jahr zu spannen, also über 100 Breitengrade von 40° Süd bis 60° Nord zu segeln. Von Neuseeland ging es über den Südlichen Ozean zuerst nach Französisch-Polynesien. Dann ohne Stopp vorbei an Hawaii und mit Nordkurs zur Kodiak-Insel vor Alaska.

Nach einem Winter in Sitka in Alaska ging es im Jahr 2010 wieder nach Süden. Auf der Inside Passage entlang der Westküste von Alaska und Kanada, östlich an Vancouver Island vorbei. Dann in wenigen langen Segelstrecken an der Westküste der USA entlang und nach Panama.

Nach der Kanalpassage segelten wir im Jahre 2011 nonstop von Panama zu den Bermudas, dann weiter zu den Azoren. Dort trennten sich zum ersten Mal die parallelen Kurse von SO LONG und GALENAIA. Tony steuerte die Südküste von England an, und ich segelte nonstop nach Griechenland.

Meine Blauwasserbriefe

Im Jahre 2007 installierte ich auf SO LONG ein gebrauchtes Pactor-Modem. Schon 1993 hatte ich in den USA meine General-Class-Amateurfunkprüfung abgelegt und seitdem auch immer ein Funkgerät an Bord, aber alle Kontakte waren auf Sprechfunk angewiesen gewesen. Mit dem Modem konnte ich nun auch auf hoher See E-Mails senden und empfangen. Natürlich lief das nicht so einfach wie ein Internetzugang an Land, denn noch immer brauchte ich die richtigen Funkfrequenzen, Sendezeiten und die passenden Funkstationen. Trotzdem klappte es meistens, und das System ist für Amateurfunker kostenlos.

So habe ich nach dem Auslaufen aus dem Hafen von Nelson begonnen, meine sogenannten Blauwasserbriefe zu schreiben. Sie waren in erster Linie für mich selbst gedacht, denn in den vergangenen Jahren hatte ich festgestellt, dass die Erlebnisse während der vielen Wochen allein auf See nach dem Landfall immer viel zu schnell in Vergessenheit gerieten. Verdrängt von den Erfordernissen im Hafen. Denn dort muss viel erledigt werden: Bootspflege, Reparaturen, Einkäufe, Behördengänge. Dazu kommt natürlich, dass die Zeit im Hafen für Tony und mich auch immer sehr intensiv ist, denn wir wollen unser Eheleben nachholen und gleichzeitig schon im Voraus die Freude unserer Nähe bunkern. Weil wir auch immer eine nächste, oft ungewöhnliche Route planten, blieb für ein Reflektieren der Erlebnisse auf See kaum Zeit

Honey

Während unseres Aufenthalts in Portugal im Jahre 2000 war der kleine Wildfang an Bord von SO LONG gekommen und entwickelte sich im Laufe der Jahre zum wunderbaren Bordhund namens Honey. Die Kleine war in einer primitiven Hütte direkt am Meer in der Lagune von Faro an der Algarve eingesperrt gewesen, wo zwei Fischer ihre Netze lagerten. Fast die gesamte Zeit war sie dort allein, und nur wenn die Fischer auf Fangtour gingen, ließen sie die Hündin raus, und sie stöberte für wenige Stunden frei und gut gelaunt am Strand entlang. Wir beobachteten die strubbelige, blonde Stromerin bei ihren Versuchen, Vögel zu jagen, wobei sie immer wieder tief im schwarzen Uferschlamm versank. Stets hielt sie große Distanz zu Menschen. Wenn die Fischer zurückkamen und sie mit Futter wieder in die Hütte lockten, bekam sie kein Wort der Zuneigung. Streicheleinheiten kannte sie überhaupt nicht.

Während wir intensiv an SO LONG arbeiteten, versuchte ich oft, die Süße zu rufen, aber trotz ihres offensichtlich großen Interesses blieb sie sehr scheu. So blieb die Situation wochenlang, doch irgendwann kam sie näher und näher, schaute uns mit lustig verschmitzten Augen an und wartete auf unsere Aufmerksamkeit. Gern lief sie mit mir über das Gras, und während der Spiele auf Distanz war eines Tages das Eis plötzlich gebrochen, der struppige Wildfang ließ mich herankommen und rollte sich auf den Rücken. Da bemerkte ich, dass es sich um ein Mädchen handelte. Auf dem kleinen Bauch tummelten sich die Flöhe, und ich streichelte den Hund zum ersten Mal. Nun sah ich die ehrlichen, hübschen Augen in der ungewöhnlichen Bernsteinfarbe erst richtig und dachte wegen dieser honigfarbenen Augen sofort an den Namen Honey. Tony war wie ich euphorisch, und brav blieb Honey in unserer Nähe. Wenn die Fischer vom Meer zurückkamen, mussten wir die Kleine natürlich heimschicken, und sie trottete traurig davon. Tag für Tag ging sie unwilliger nach Hause.

Tony und ich hatten natürlich nicht geplant, einen Hund an Bord zu nehmen, denn so ein Tier hätte unsere Reisen sehr eingeschränkt, wir wollten doch nach Neuseeland und Australien, und dort herrschen bekanntlich strikte Quarantänevorschriften. Außerdem glaubte ich, dass nur wenige Tiere an Bord glücklich sind. Heute weiß ich: Ein Boot kann für den richtigen Hund ein wunderbares Zuhause sein.

Kurz vor Weihnachten wurde das Wetter kalt und regnerisch, und eines Tages verpassten wir alle drei die Heimkehr der Fischer. Mit schlechtem Gewissen baute Tony unter dem an Land aufgebockten Boot eine trockene Kuschelecke für Honey, und es dauerte nicht lange, bevor sie zu uns an Bord kam. In dieser Not mussten wir sie natürlich auch füttern, das hatten wir bisher vermieden. Bald ergab sich eine eigenartige Situation: Auf dem täglichen Weg zur Hütte marschierten die beiden Fischer immer in unserer Nähe vorbei und sahen natürlich, dass Honey nun bei uns lebte. Wir grüßten freundlich, konnten aber wegen unserer mangelhaften Portugiesischkenntnisse keine Unterhaltung führen. Tony und ich änderten schließlich unsere Meinung, wollten Honey behalten und beschlossen, deshalb nicht nach Neuseeland, sondern nach Patagonien zu segeln.

Also mussten wir die Angelegenheit mit den Fischern klären, immerhin waren sie die Eigentümer von Honey. Zu dritt marschierten wir zur Hütte, um den Hundekauf in Zeichensprache und mit unseren wenigen Brocken Portugiesisch zu besprechen. Nach einigem Palaver wurde klar, dass einer der Fischer einen unglaublich hohen Preis für Honey verlangte. Wir versuchten zu handeln, aber der Mann blieb stur. War dies sein Ernst? Oder wollte er uns für dumm verkaufen? Vielleicht war es nur ein Scherz, wer weiß? Bestürzt und enttäuscht brachen wir den Handel ab, und unverrichteter Dinge marschierten Tony und Honey und ich wieder zurück zu SO LONG. Würde man uns vielleicht später als Hundediebe von der Polizei suchen lassen, würde man uns bedrohen oder gar das Boot ausrauben?

Aber in den kommenden Wochen entspannte sich die Lage. Wie selbstverständlich lebte Honey bei uns, und die Fischer grüßten weiterhin mit freundlichem Winken. Gebürstet und gegen Flöhe behandelt, war Honey eine Schönheit geworden und viel ausgeglichener und weniger nervös. Wir übten normale Hundeerziehung, »sitz« und das An-der-Leine-Gehen, was für die noch immer schreckhafte Honey nicht einfach war. Aber nie war ein hartes Wort notwendig, denn sie schenkte uns ihre volle Aufmerksamkeit und Zuneigung. Sobald wir auch nur die Stimme erhoben, reagierte Honey verschüchtert, obwohl sie sonst einen starken und sonnigen Charakter zeigte. Sie gierte nach Nähe und Ansprache und zeigte in all den späteren Jahren immer ein tiefes Verlangen nach körperlichem Kontakt. Der Mangel an Streicheleinheiten in den ersten Lebensmonaten hat sie für immer geprägt.

Wir stellten unsere Pläne auf Honey um, wählten die zukünftigen Ankerplätze und sogar die Länder nach den Vorteilen aus Hundesicht und nahmen Unannehmlichkeiten gern in Kauf. Endlich wieder im Wasser, verlief das Bordleben auf SO LONG für Honey ganz natürlich. Sie gehört zur Rasse der Wasserhunde, und das Umfeld an Bord schien ideal für sie zu sein. Schnell lernte sie, das Pipi an Deck zu verrichten, und bewegte sich bald mit großer Sicherheit. Wir brauchten für sie nicht, wie geplant, menschliche Duftmarken setzen, für das große Geschäft wählte sich Honey die höchste und im Seegang unruhigste Stelle auf dem Kajütaufbau. Das in Segeltuch verzurrte Beiboot gab ihr einen guten Tritt, später klebte ich einen rutschfesten Decksbelag auf. Vor dieser ersten Seestrecke hatte ich ein selbst geknüpftes Netz an der Reling befestigt, aber in all den Jahren sah ich selbst bei rauem Wetter kein einziges Mal, dass Honey gegen das Netz fiel. Ab und zu benutzt sie es jedoch, um sich wohlig zu schubbern. Es gab in ihrem Leben auf SO LONG viele wunderbare Zeiten, aber auch hartes Wetter und wochenlange Seepassagen. Nie wirkte meine Crewpartnerin unzufrieden, und immer wieder stelle ich fest, dass sie sich an Bord ähnlich wie ich wirklich zu Hause fühlt. So bin ich eigentlich keine Einhandseglerin, denn seit vielen Jahren begleitet sie mich. Nach mittlerweile knapp 90 000 Seemeilen und einer Weltumsegelung ist Honey bestimmt einer der erfahrensten See-Hunde der Welt und gehört außerdem zur Gemeinschaft der Kaphoorniers.

Einhandsegeln

In den Jahren auf den Weltmeeren haben Tony und ich nur sehr wenige Frauen getroffen, die allein an Bord unterwegs waren. Keine einzige segelte mit ihrem ebenfalls solo segelnden Partner über die Ozeane auf parallelem Kurs. Ich glaube, so verrückt sind nur wir.

Warum will ein Ehepaar nicht auch an Bord alles gemeinsam erleben? Warum müssen wir uns jeder auf dem eigenen Boot abquälen und oft mit erfinderischen Notlösungen das ein und andere Problem bewältigen? Warum begeben wir uns immer wieder in Gefahren, nur weil jeder sein Boot allein handhaben will? Warum nehmen wir das Risiko eines medizinischen Notfalls, der ohne die Hilfe eines Partners ein Todesurteil werden könnte, so gelassen hin? Warum akzeptieren wir nicht zuletzt auch Schlafmangel und Übermüdung, teils bis zur Erschöpfung? Warum können wir bei all dem nicht auf der sonnigen, warmen Passatwindroute bleiben? Das sind die Fragen von Seglern, die wir unterwegs treffen, das sind die Fragen von Freunden und Fremden, und das sind auch die Fragen, die ich mir manchmal selbst stelle.

Die Antwort ist entweder unmöglich zu finden oder ganz einfach: Es ist die Faszination, allein auf hoher See, Tausende Seemeilen vom Land entfernt, sein Boot unter allen Bedingungen zu beherrschen, die eigenen Grenzen auszuloten, die Emotionen zu meistern. Und es ist das Spiel mit dem Abenteuer, es geht um die Freiheit und auch die Herausforderung, gemischt mit der Faszination des Segelns.

Viele Einhandsegler fühlen sich einsam, und fast ausschließlich handelt es sich um Männer. Mit nur wenigen Ausnahmen sind sie allein unterwegs, weil ihre Partnerin keine Lust zum Hochseesegeln hat, weil sie vielleicht in ihr Land- und Berufsleben zu sehr eingebunden ist, weil sie ihren Freundeskreis oder ihre Hobbys nicht aufgeben will, weil ein Sicherheitsinstinkt oder die Angst vor Blauwasser überwiegt, oder weil sie das oft unbequeme und beengte Leben an Bord nicht hinnehmen will. Manchmal segeln diese Männer auch allein, weil die Partnerin das Segeln zwar liebt, aber mit dem an Bord plötzlich zum Macho gewordenen Mann nicht klarkommt. Nicht wenige Skipper erteilen an Bord nämlich plötzlich Befehle, die als laute Kommandos über den Ankerplatz schallen. Das Bedürfnis nach der unangetasteten Autorität des Kapitäns scheint in der Seele vieler Männer zu ruhen, da braucht es schon ein sehr tolerantes Paar, um auch an Bord die sonst selbstverständliche Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit in einem Duo zu erhalten. Außerdem: Viele Paare segeln zwar gemeinsam, aber das typische Rollenbild herrscht vor. Kochen, einkaufen und putzen sind die Aufgaben der Frau – ein harter Job an Bord, besonders in den Tropen. Die Verantwortung und glorreiche Dominanz nicht nur über den Ölpeilstab trägt der Skipper. Häufig sind diese Männer eigentlich verkorkste Einzelgänger – ich bewundere manche Seglerin (nicht selten mit Kindern an Bord) sehr …

Leider habe ich nur wenige Frauen getroffen, die mit dem Bordleben wirklich zufrieden waren und es nicht nur aus Liebe zu ihrem Mann durchstehen. Das ist sehr schade, denn ich bin der festen Überzeugung, dass Frauen die besseren Seglerinnen sind, dass sie ausgeglichener sind und dazu Stresssituationen überlegter meistern können. Der Unterhalt eines eigenen Bootes ist immer eine technische Herausforderung, die Knowhow, handwerkliches Geschick und oft auch eine gute Portion Geduld erfordert. Eigentlich kann ich nicht verstehen, warum nicht viel mehr segelbegeisterte, völlig emanzipierte und technisch interessierte Frauen mit ihrem eigenen Boot dem Horizont entgegensegeln. Glücklicherweise gibt es jedoch auch diese wenigen »echten« Einhandseglerinnen, die wie ihre männlichen Pendants auf den Ozeanen unterwegs sind: ausgeglichen und im Einklang mit sich selbst und dem weiten freien Meer. Vielleicht haben sie irgendwo an Land eine/n gute/n Partner/in, vielleicht kommt diese/r manchmal zu Besuch, und vielleicht schaffen die beiden es, ihre Liebe am Leben zu erhalten. Man begegnet solchen Einhandseglern/-seglerinnen selten. Wenn man sie in einem Hafen oder auch an völlig abgelegenen Ankerbuchten trifft, dann sind es gelassene Charaktere, man hört keine lauten Worte und keine übertriebenen Geschichten. Im Hafen aber sind alle Einhandsegler, die »lauten« und auch die »echten«, mehr oder weniger einsam. Es braucht einen guten Platz mit Gleichgesinnten, um dieses Gefühl nicht aufkommen zu lassen. Und es braucht ein gutes Boot, an dem alles selbst unterhalten, gerichtet und gewartet wird. Das eigene Boot ist Teil des Seglers, eine überlebenswichtige Bindung zwischen Mensch und Materie. So denken Tony und ich, und ich glaube nicht, dass wir in ein Schema passen. Wir sind beide Individualisten, und wir haben ungewöhnliche Anschauungen. Es ist schon ein unglaublicher Zufall, dass wir uns getroffen haben, und obwohl es im Detail mit uns nicht immer einfach ist, passen wir überraschend gut zusammen.

Auf See fühle ich mich niemals einsam. Da gibt es zu viel zu tun, zu erleben und zu genießen. Im Hafen dagegen kann ich mich durchaus allein fühlen. Es gibt viele Tage, die ich nach meinem Landfall allein zubringe, denn logischerweise ist Tonys kleineres Boot auch deutlich langsamer. Dann packt mich immer eine plötzliche Stimmungsänderung: Die ausgeglichene Seglerin wird zur wartenden Strohwitwe. Ohne Tony fehlt mir das halbe Leben. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir die für uns ideale Lösung gefunden haben. Zwei Boote, zwei Einhandsegler, eine Route und eine feste Partnerschaft!

Boot ist nicht gleich Boot

Weder Tony noch ich passen in das übliche Bild vom Weltumsegler. Oft stören wir uns an den Ansichten moderner Segler und haben Vorbehalte gegen deren neumodische Boote. Uns geht es um erprobte Maßstäbe zu Bootsbau und Stabilität, aber auch um den Begriff der Seemannschaft generell. Wie kann ein in Leichtbauweise und insgesamt klapprig gebautes Boot die manchmal enormen Naturgewalten überstehen? Wie kann das elektronische Spielzeug an Bord dem rauen Salzwasseralltag standhalten? Wie kann man sich für sein Boot ähnlich wie in einem modernen Auto eine elektronische Knopfdruck-Mentalität wünschen? Wir sind der Ansicht, dass man die Natur respektieren und sich entsprechend ausrüsten muss. Vielleicht überleben manche der Weltumsegler nur, weil sie auf kaum mehr als sieben Windstärken getroffen sind?

Die Mängelliste vieler moderner Yachten ist lang, und ebenso lang ist die Liste der Probleme. Notwendig werden Werftbesuche, um Rumpf-, Kiel- und vor allem Ruderschäden zu beheben. Man braucht gute Segelmacher für die komplizierten und leicht zu beschädigenden Latten- und Rollsegel, Mechaniker für die gebrochenen Beschläge und die oft überlasteten empfindlichen Motoren und Pumpen. Eine Vielzahl Elektronikexperten verdienen sich eine goldene Nase, und ständig leiden Skipper mit solchen Booten unter der Qual, teure Ersatzteile bestellen, sie mit erheblichen Problemen durch den Zoll am Ende der Welt ins Land bringen und dann in den Hafen transportieren zu müssen.

Im Zweifelsfall gilt bei uns: Weniger ist mehr. Das heißt also: nichts an Bord zu nehmen, was nicht zwingend notwendig ist, und jedes elektronische Teil als Spielzeug/Sonderausrüstung zu betrachten. Der Bordkasse kommt das unglaublich zugute.

Unsere Wurzeln

Ich will meine Vorfahren nicht als Stubenhocker bezeichnen, aber sie waren sesshaft und bürgerlich. Abenteuer, die in die Ferne führten, waren nicht erwünscht, Seefahrer gab es in meiner bayerischen Familie deshalb noch nie. Unkonventionelle Frauen mit einem Faible für Reisen, Abenteuer und Italien jedoch schon: meine Großtanten Thea und Kete Huber, die Schwestern meines Großvaters. Nur wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg brachen die beiden aus der Enge ihrer Ingolstädter Heimat aus. Damals war es mehr als unüblich, dass junge Frauen einfach durchbrennen und heimlich verschwinden, sich nach Süden aufmachen und ihr bürgerliches Leben hinter sich lassen. Schon wie sie ihre Namen abgeändert hatten, ließ auf freies Denken schließen: Die biedermeierliche Theodora verwandelte sich in die flotte »Thea«, und die pfiffige Katharina bestand darauf, ihren Namen in eine moderne »Kete« abzuwandeln. Die beiden landeten eines Tages in Ravenna, die eine heiratete einen Italiener, und die andere blieb alleinstehend und unkonventionell.

Auch meine Mutter war eine starke Frau, brach mit vielen Selbstverständlichkeiten und hatte große Pläne. Sie entdeckte den Wassersport, sie erweckte die Segellust in sich, meinem Vater und uns Kindern und war bei jedem Segelabenteuer immer die treibende Kraft. Meine Eltern tauften alle unsere Boote auf den Namen NEHAJ, denn an Bord sollten wir uns sicher und geborgen fühlen. Der Name kommt von der kleinen Burg Nehaj in Senj an der Adriaküste in Kroatien, unserem damaligen Sommerrevier. Das massive Bauwerk sollte den Bauern der Umgebung Schutz bieten, und der Name wird als »Sei nicht besorgt« oder »Fürchte dich nicht« oder »Fühle dich hier sicher« übersetzt.

Um zwischen Ammersee und Meer mobil zu werden, verstärkte mein Vater im Eigenbau die Ladeflächen von gebrauchten Lkws mit den notwendigen Verstrebungen. So gehören zu meinen Kindheitserinnerungen auch die Urlaubsfahrten an die Küste, in einem mithilfe von Brecheisen und Schweißbrenner behandelten Lkw und dem Segelboot auf der Ladefläche, unterbrochen von Reifenpannen oder gebrochener Einspritzleitung, über Pässe, gequält von dem Papierkram an den Grenzen. So begannen meist die aufregenden Tage voller Vorfreude auf das Segeln. Mein technisches Interesse zeigte sich bereits damals und wurde von meinen Eltern immer gefördert. Wie die Sardinen in der Dose schliefen wir an Bord in den engen Kojen, und Vater wie Mutter nutzten voller Freude die Freiheit auf dem Wasser.

Der frühe Tod meiner Mutter war ein harter Einschnitt in die Familie. Aber ich beendete meine Schulzeit und das Studium, es zeigte sich meine Tendenz zur Außenseiterin.

Bevor ich in meinen Beruf als Architektin einstieg, wollte ich noch von Ingolstadt aus donauabwärts zum Schwarzen Meer – gegen alle Vernunft und Ratschläge natürlich allein auf einem 6,50-Meter-Kimmkieler vom Typ Superdorade mit einem 4-PS-Außenborder, welcher der oft mit mehr als fünf Knoten schnell fließenden Donau nicht gewachsen war. Es war ein Boot ohne Strom, ohne Klo und ohne Wassertanks, es war das Jahr von Tschernobyl, und der Eiserne Vorhang war noch knallhart geschlossen. Die Unfreiheit im Ostblock und die ewigen Kontrollen waren deshalb ein eher abschreckendes Erlebnis.

In den Strudeln der Donau trieb ich auf Kiesbänke; in der Heckwelle der Berufsschifffahrt wurde der Motor überspült, und ich lernte das eilige Wechseln von Zündkerzen; bei einem Stopp zum Baden polterte der Anker bei fünf Knoten Strömung über die Felsen am Grund; im damaligen Jugoslawien erbettelte ich mir erfolgreich eine Dusche auf einem Kriegsschiff, als der wachhabende Offizier gerade nicht da war; einmal schlich sich ein Dieb zu mir an Bord, und ich wachte auf, als er unschuldig meine Hand hielt; bewaffnet mit einem Benzinkanister trampte ich weite Strecken durch Bulgarien, denn am Fluss gab es nur Diesel; ich lernte Paddler aus der DDR kennen, die mir einfach nicht glauben wollten, dass ich für diese Donaufahrt weder die Genehmigung noch eine Sonderauszeichnung meiner Heimat brauchte; und immer wieder versuchte ich, allen Kindern zu erklären, dass die Donau keine Müllkippe ist, während mich die Erwachsenen verstohlen und vielleicht als westlichen Feind oder als Spionin betrachteten. Endlich an der Mündung angekommen, freute ich mich auf die Freiheit des Schwarzen Meeres. Ich schaffte es, den kleinen Mast alleine zu stellen, und die erste Seestrecke verlief ruhig, aber an der bulgarisch-türkischen Grenze wurde vor der Küste scharf auf mich geschossen. So manches hätte damals böse ausgehen können, und viele nicht ganz ungefährliche Erlebnisse lagen hinter mir.

Noch am Ammersee hatte ich voller Euphorie, aber leider wenig erfolgreich den Versuch unternommen, aus der Vorderradachse eines alten Fahrrads eine Selbststeueranlage für mein Boot zu bauen. Weil diese sich jedoch als völlig untauglich erwies, musste ich viele Tage und Nächte an der Pinne sitzen und lernte den Schlafmangel, die Anspannungen und Erschöpfung des Einhandsegelns kennen. Aber ich habe auf meinem ersten Törn auch die fantastische Weite auf See gesehen und die Begeisterung erlebt, nur mithilfe des Windes ferne Küsten zu erreichen. Das Einhandsegeln wurde zur Lebensrichtung, und ich träumte vom offenen Ozean. An meinem 21. Geburtstag schenkte mir mein großzügiger Vater deshalb einen Aluminiumsextanten, dessen Benutzung ich autodidaktisch erlernte.

In den nachfolgenden Jahren widmete ich mich meinem Beruf, den ich interessant, abwechslungsreich und faszinierend fand. Ich hatte schon sehr früh gelernt, erwachsen zu sein, aber nun hatte ich auch die finanzielle und räumliche Freiheit sowie die Erfolgsbestätigung, dass meine Striche auf Papier tatsächlich zu Gebäuden werden können. In dieser Zeit legte ich jeden Pfennig zur Seite, lebte spartanisch, ließ meine Geldanlagen unangetastet und hoffte auf weitere Segeltörns. Meine Sehnsucht trocknete im Büroalltag niemals ein. Vielmehr wurde mir klar, dass der konventionelle Weg nicht meinen Vorstellungen entsprach. Mein damaliger Lebenspartner starb im Alter von 30 Jahren schockierend schnell an einem Gehirntumor, und mein Vater erlitt einen schweren Herzinfarkt. Beides stellte vielleicht die Weichen für mein Leben neu, denn die Frage prägte mich: Wie viel Zeit bleibt einem eigentlich zum Erfüllen der Lebenswünsche?

Ich beschloss, mit dem kleinen Kimmkieler über den Atlantik zu segeln. Als mein Vater davon erfuhr, vertraute er mir seine zuverlässige neun Meter lange Ketsch GLORY an, und ich hatte somit das perfekte Boot. Es wurde eine abenteuerliche Weltumsegelung. Mein Vater hatte schon viele Jahren zuvor eine verlässliche und herzliche neue Lebenspartnerin gefunden, aber seine erhoffte Weltumsegelung geriet in Vergessenheit. Nach reiflicher Überlegung kündigte ich meine Anstellung und zerschnitt die festen Bande des sesshaften Lebens: Ich kündigte erst das Zeitungsabo, dann die Wohnung und schließlich meine Sozialversicherungen. Dann segelte ich auf der Passatroute via Panama, Neuseeland und Südafrika um die Welt. Es wurde ein aufregendes und manchmal auch gewagtes Abenteuer.

Mein heutiger Ehemann Tony stammt aus einer schottischen Kapitänsfamilie und ist im Süden von England aufgewachsen. Er wollte in die Fußstapfen seiner Vorfahren treten und fuhr mehrere Jahre lang als Bootsmann zur See. Das war zu einer Zeit, als dieser stolze Beruf noch mit harter körperlicher Arbeit verbunden war: Kabel wurden von Hand gespleißt und riesige Decksluken manuell verzurrt. Die Schiffe fuhren unter einem menschlichen Steuermann, am Bug hielt immer ein Mann Ausguck, Containerfrachtkräne waren noch unbekannt. In den Sechzigerjahren war Tony zunächst auf Küstenschiffen für eine Gesellschaft unterwegs, die in Australien Leuchttürme baute, dann umrundete er auf Stückgutfrachtern achtmal die Welt, Neuseeland war sein beliebtester Aufenthalt. Leider rückte darüber sein Ziel, das Kapitänspatent zu erwerben, in den Hintergrund.

Als junger Familienvater fand Tony seine neue Herausforderung auf dem Land und den Fernstrecken zwischen England und dem Mittleren Osten. Im eigenen Lkw fuhr er die abenteuerliche Route quer durch Europa und die Türkei, Iran und in den Irak, immer allein. Jede Fahrt dauerte mindestens drei Wochen, die etwa 20 Tonnen Fracht mussten von ihm per Hand be- und entladen werden. Tony liebte das Abenteuer, führte alle notwendigen Ersatzteile und Werkzeuge mit, konnte jeden Schaden selbst beheben und trotzte tapfer den Gefahren: Unfällen, Überfällen, Polizeiwillkür, Tod und Teufel. Nie fuhr er im Konvoi, sondern war sozusagen einhand auf der Straße unterwegs. Wie sein Vater hielt er sich nur selten zu Hause auf, und die drei Söhne sahen ihn nur in größeren Intervallen.

Rückenprobleme machten diesem freien Leben ein Ende, und Tony sattelte erneut um. Durch Zufall fand er einen Job bei der britischen Telefonauskunft und arbeitet dort einige Jahre lang. Zehn Jahre, bevor wir uns kennenlernten, wurde seine Ehe geschieden, und Tony bezog mit seinem Sohn Ian ein ausgedientes Rettungsboot in der kleinen Werft in Chichester Harbour. Der jüngste Sohn lebte bei seiner Mutter, der Älteste war bereits selbstständig. Bei der Auskunft war Tony der einzige Mann, umgeben von 30 Frauen, aber er ließ sich nicht einfangen und wollte wieder ungebunden leben. So erwarb er 1992 sein Folkeboot STORM PETREL. Als Ian flügge wurde und mit dem Studium begann, segelte Tony los. Auf dem Weg zu den Azoren brachte auch er sich selbst die Astronavigation bei, sein Ziel war natürlich Neuseeland.

Zwei Einhandsegler heiraten

In Whangarei in Neuseeland lernten wir uns kennen. Gemeinsame Seglerfreunde wollten mich unbedingt mit diesem »wirklich netten« Engländer verkuppeln, als Tony sich noch auf See befand. Ich war von dieser Aktion überhaupt nicht begeistert, aber schließlich kam jener unbekannte, mysteriöse Einhandsegler an, und bereits beim ersten Treffen sprang bei uns beiden ein heftiger Funke über, obwohl jeder eigentlich ungebundener Single und insgeheim auch Einhandsegler bleiben wollte. Unsere Freunde jubelten. Im Herzen der Südsee, in Funafuti auf Tuvalu, feierten wir dennoch Verlobung, und in Gizo, auf einer der Salomon-Inseln, gaben wir uns nach nur einem Jahr das Jawort. Erstaunlich war übrigens, dass Tony sofort legal mit mir verheiratet war, während unsere Ehe von den deutschen Behörden erst nach einem Jahr Prüfung anerkannt wurde.

Unsere Freunde konnten zunächst gar nicht glauben, dass wir auch als Ehepaar weiterhin auf zwei Booten mit parallelem Kurs Richtung Europa segeln wollten. Wir waren um die halbe Welt gereist, um uns kennenzulernen, nun wollten wir einhand um die andere Hälfte segeln, um irgendwann vielleicht den richtigen Ort zu finden, wo wir auf gemeinsamem Kiel leben konnten. »The blood and the salt and the adventure in our veins has now been joined with our love« lautete Tonys Text auf der Hochzeitskarte. »Das mit Salz und Abenteuer vermischte Blut in unseren Adern wird nun durch unsere Liebe ergänzt« – welche Frau würde bei einem so romantischen und lieben Seebären nicht schwach werden?

Was wir vor 16 Jahren nur als Episode geplant hatten, sollte sich bis heute als Grundlage für unsere Freiheit, aber auch als eine große persönliche Herausforderung erweisen. Das Einhandsegeln als Leidenschaft, vielleicht auch als Fluch, liegt uns beiden jedenfalls im Blut. Ein einfach ausgestattetes, aber zuverlässiges Boot, auf dem wir alles selbst richten und erneuern können, ein spartanischer Lebensstil mit geringen Kosten und die Freude am weiten Horizont machen unseren Traum möglich.

Im Sommer 1998 erreichten Tony und ich England. Aber ich war nicht nur mit Tony, sondern auch mit seinen Hoffnungen an das in England wartende Boot GALENAIA verheiratet. Es war ein Gelegenheitskauf, nachdem Tonys früheres Zuhause, das ausgediente Rettungsboot, abgebrannt war. Bei mir war es nicht Liebe auf den ersten Blick. Überwuchert vom Gestrüpp mussten wir erst riesige Brennnesseln entfernen, und die Abdeckplane hatte auch schon bessere Tage gesehen. Aber darunter kam ein starkes Boot zum Vorschein, knochentrocken und in gutem Zustand, das allerdings dringend überholt werden musste. Nach unglaublichen 25 Jahren Dornröschenschlaf an Land und zehn Monaten unserer intensiven Arbeit schwamm GALENAIA zum ersten Mal, und wir verkauften GLORY und STORM PETREL, um gemeinsam auf GALENAIA, noch immer bis über beide Ohren verliebt, in den Sonnenuntergang zu segeln.

Gemeinsam an Bord

Im Sommer 1999 segelten Tony und ich auf GALENAIA also zum ersten Mal auf einem gemeinsamen Boot, nachdem wir bereits zweieinhalb Jahre verheiratet waren. Es ging über die Biskaya nach Madeira und auf der üblichen Route in die Karibik. Dabei stellte sich heraus, dass unsere Partnerschaft an Bord nicht immer harmonisch blieb. Schnell kam bei Freunden der Gedanke auf, dass zwei Skipper auf einem Boot einer zu viel sei. Das war aber nur ein kleiner Teil des Problems. Tony traf Entscheidungen oft spontan und hoffte auf günstige Bedingungen, langfristige Pläne vermied er. Laute Worte fielen nie. Ich dagegen versuche immer, ein Konzept zu finden, und wollte wenigstens mittelfristig eine grobe Orientierung aufbauen. Meine Achtsamkeit als Einhandseglerin kollidierte mit seinem lässigen Draufgängertum. Dennoch verfolgten wir erfolgreich unseren Kurs, und in der Karibik angekommen, machten wir uns auf die Suche nach unserem Traumboot für die gemeinsame Zukunft auf allen Weltmeeren.

Wir fanden SO LONG auf Bequia, einer der kleinen Windward Islands, der Inseln über dem Winde. Diesmal war es wirklich Bootsliebe auf den ersten Blick, denn wir begeisterten uns sofort für die klassischen Linien, die Seefestigkeit und Zuverlässigkeit versprachen. Unsere Erwartungen wurden später nie enttäuscht. Einmal hatten wir im Südlichen Ozean unser Überleben ausschließlich der Stabilität und dem hohen Ballastanteil unserer SO LONG zu verdanken. Aber wir lernten dabei, in einer solchen Lage besser nicht mit einem nur teilweise geschlossenen Niedergang und dem Mast nach unten zu verharren.

Mit dem Kauf von SO LONG wurden wir ungeplant wieder zu Einhandseglern, denn GALENAIA musste ja auch bewegt werden. Zwar stimmte Tony ihrem Verkauf etwas unwillig zu, aber es fand sich in der Karibik ohnehin kein Interessent für das recht kleine Boot. Also segelten wir beide ab Trinidad einhand über den Nordatlantik nach Europa. Jetzt zeigte sich das Problem unserer Partnerschaft: Keiner von uns war unglücklich, wieder allein an Bord zu leben, obwohl wir einander vermissten. Trotzdem planten wir, langfristig noch immer gemeinsam auf einem Boot zu segeln, verheiratete Segler tun das doch eigentlich, oder nicht? Alles verlief nach Plan: GALENAIA trat in England erneut den Dornröschenschlaf an, und wir verbrachten den Winter an Bord von SO LONG an der Algarve. Nach umfangreichen gemeinsamen Überholungsarbeiten war sie in besserem und seefesterem Zustand als seit vielen Jahren, Tony und ich wurden ein Team und waren nach damals vier Ehejahren zum zweiten Mal gemeinsam auf einem Boot unterwegs.

Im Jahre 2001 segelten Tony und ich dann in den offenen Atlantik hinaus. Ab Faro war die kleine Honey an Bord. Zu dritt erlebten wir stürmische, fantastische und auch kalte Monate in Südamerika – sowohl beim Wetter als auch in unserer Liebe. Nach der Rundung Kap Hoorns und in den Kanälen von Patagonien bis zur Robinson-Crusoe-Insel erlebten wir die Faszination abseits der Barfußroute.

Immer wieder kam von Tony die trübsinnige Feststellung: »All das könnte meine GALENAIA auch meistern …«

Bald war klar, dass wir gemeinsam an Bord nicht wirklich glücklich sein konnten, und dass nicht nur Tony, sondern auch ich das Einhandsegeln vermisste. Tony hatte es satt, Alltäglichkeiten mit mir zu planen. Uns beiden fehlte, sich einzeln dem Leben stellen zu müssen und Probleme zu lösen, und wir vermissten es auch, mehr Zeit allein zu verbringen. Schließlich brachen wir unsere Reise im östlichen Pazifik ab, segelten von Chile via Südafrika zurück nach Europa, um GALENAIA wieder in Schuss zu bringen und gemeinsam mit zwei Booten aufzubrechen – ein Kurs zurück zu den ersten Jahren unserer Ehe.

Atlantischer Ozean

Brasilien–Südafrika

Zwischen 2004 und 2006 pendelten Tony und ich auf parallelen Kursen mehrmals zwischen Europa und der Karibik. Auf einigen Offshore-Strecken hatte ich nach dem Prinzip »Hand gegen Koje« für kurze Intervalle Mitseglerinnen an Bord, was sowohl für die mutigen Damen als auch für Honey und mich eine häufig abenteuerliche Erfahrung war. Tony blieb während dieser wenigen Wochen hilfsbereit auf Distanz, aber im Hafen schlich ich mich ab und zu nachts zum Boot meines Mannes. Unsere reinen Damencrews waren sehr harmonisch, ich lernte viel über die weiblichen Erwartungen an das Seeleben, und die Seglerinnen waren von ihren ersten Blauwassererfahrungen begeistert. Weil ich im Notfall das Boot immer auch ganz allein handhaben konnte, kam bei ihnen kein Stress oder Angst auf, wenn das Land oft für viele Tage hinter dem Kielwasser verschwand. Nur die Seekrankheit spielte ihnen ganz üble Streiche. Die Verantwortung ließ mich auf See kaum zur Ruhe kommen, wie entspannt erschien mir dagegen das Einhandsegeln.

Für die nun geplante Route in den hohen südlichen Breiten waren Honey und ich ab Rio de Janeiro in Brasilien wieder allein auf SO LONG, und knappe 4000 Seemeilen bis Südafrika warteten auf uns. Zielhafen war der uns gut bekannte Hafen von Hout Bay, ein kleiner Fischereihafen südlich von Kapstadt, um dort den südlichen Winter 2007 zu verbringen.

Ein guter Versorgungshafen ist der kleine Ort Porto Belo, etwa 400 Seemeilen südlich von Rio, wo wir viel bessere Einkaufsmöglichkeiten fanden als am kostenlosen Ankerplatz des noblen Yachtclubs in Niteroi in der Bucht von Rio. Besonders frisches Gemüse in guter Qualität war mir wichtig, je ein 10-Kilo-Sack Kartoffeln und Zwiebeln ist Tonys und mein Standardeinkauf, dazu kommt ein kleiner Berg von Knoblauch, Karotten, Kohl, Kürbis oder Rüben, je nachdem was vor Ort an ohne Kühlung lange haltbarem Gemüse zu bekommen ist. Zitronen, Orangen und Äpfel halten sich im trockenen Stauraum meist viele Wochen. Auf See kann man sich wunderbar damit beschäftigen, das Obst und Gemüse je nach Reifezustand immer wieder umzusortieren, und so ergibt sich der Speiseplan jeden Tag neu.

Die Überfahrt nach Südafrika verlief ohne große Zwischenfälle. Nicht unerwartet befanden sich unsere beiden Boote bald im Bereich der durchziehenden Tiefdrucksysteme, die mit den häufigen Windänderungen viele anstrengende Segelwechsel verlangen. Das dominierende Hochdruckgebiet des Südatlantiks war damals nicht so stationär wie erwartet und wanderte sogar weit in südliche Breiten, sodass Tiefs nördlich davon lagen und wir deshalb kräftigen Wind von vorn bekamen. Unsere Kurslinien verliefen auf etwa 37° Süd mit einigen scharfen Haken, wenn wir bei Gegenwinden weit vom Kurs abkamen. Erst nach der Wende und mit der sich langsam durchsetzenden Winddrehung von Ost über Nord konnten wir den Kurs wieder anliegen. Meine Linie zeigte wegen dieser zahlreich durchziehenden Wettersysteme am Ende sechs scharfe Kurven.

Weil GALENAIA bei der geringeren Bootslänge natürlich langsamer segelt, lief Tony in Brasilien drei Tage vor mir aus. Allerdings waren solche Tage allein im Hafen für mich eigentlich kein Spaß mehr, denn auch ich wollte los und war von den letzten Einkäufen und Vorbereitungen erschöpft und genervt. Außerdem musste auch ich wieder eine stabile Wetterlage abwarten, um die wie überall auf der Welt gefährliche Küstenregion gut verlassen zu können.

Als ich Tony nach einer Woche auf See überholte, sahen wir in einer Distanz von 18 Seemeilen noch nicht einmal die Mastspitze des anderen. Am Amateurfunk tauschten wir natürlich die genauen Positionen aus, und auf der Seekarte zeichne ich deshalb auch immer beide Kurslinien ein. Es war eine Nacht mit einer eindrucksvollen Mondfinsternis in Kombination mit einer heftigen tropischen Regenbö, die uns plötzlichen Gegenwind bescherte. Bei Windstärke 7 setzte ich im strömenden Regen kleine Vorsegel, reffte das Groß und stampfte in die sich aufbauende See. Die Sicht war fast null, und wir konnten nur vermuten, auf welchem Bug der andere wohl segelte. Keiner von uns beiden dachte im Eifer mit den Decksarbeiten auch nur daran, über UKW Kontakt zu halten. Vorsichtshalber segelten wir auf dem Kurs weg voneinander, und am Morgen lagen bereits wieder 100 Seemeilen zwischen uns. Schon seit Tagen hatte ich keine Schiffe mehr gesehen, deshalb war die Vorstellung, dass Tony und ich eine Kollision auf freiem Ozean hätten, zu lächerlich. Seitdem es fürs Topplicht energiesparende LEDs gibt, haben wir natürlich nachts immer das Dreifarbenlicht an, aber auch bei der stärksten Glühbirne ist das Licht einer Yacht nur maximal zwei Seemeilen weit erkennbar, bei mieser Sicht und hohem Seegang natürlich deutlich geringer, vom Spritzwasser auf der Brille ganz zu schweigen. Fast auf Gegenkurs zueinander würden uns also selbst bei guter Sicht und scharfer Ausschau nur etwa fünf bis zehn Minuten zwischen dem ersten Sichten und einer möglichen Kollision bleiben. Wir sind uns dieser Gefahr deutlich bewusst. Deshalb werden wir beide ziemlich nervös, wenn sich unsere Boote auf freier See nahe kommen. Wir können beide nur wenig Verständnis für das Segeln in einer Gruppe aufbringen, wir empfinden die populären Rallyes rund um die Welt als ein unnötiges Risiko, als falsch verstandene Sicherheit. Auf See muss man allein mit seinem Boot klarkommen, da bringt man bei einem Zwischenfall eine andere Yacht nur unnötig in Gefahr, und schnell kommt dann Panik auf. Die »Einsamkeit im Hafen« gibt es bei den Rallyeteilnehmern dagegen nie, denn von der Willkommensparty bis zur Safari wird alles mundgerecht vorgekaut und gar nicht billig serviert. Das allgemein als »Buddy Boating« bekannte Segeln in Sichtweite einer befreundeten Yacht ist uns ein Grauen.

Besonders nervös fieberte ich der Position entgegen, an der SO LONG vier Jahre zuvor auf dem Weg von Kap Hoorn nach Südafrika den