Einladung ins Wunderland - Carmen Kindl-Beilfuß - E-Book

Einladung ins Wunderland E-Book

Carmen Kindl-Beilfuß

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Beschreibung

Trockene Sammlungen mit systemischem Handwerkszeug für Therapie und Beratung gibt es inzwischen reichlich. Viele davon lassen einen entscheidenden Punkt außer Acht: Professionelle Helfer müssen ein hohes Maß an Kreativität aufbringen, um ihre Klienten und Patienten erfolgreich unterstützen zu können. Carmen Kindl-Beilfuß führt mit diesem Buch durch ein "Wunderland" fantasievoller, überraschender und hoch wirksamer Feedback- und Interventionstechniken, das man als Leser gar nicht mehr verlassen möchte. Der Weg führt dabei über alle Stationen des Beratungs- bzw. Therapieprozesses: von der Stoffsammlung durch Fragen über das Bilden von Hypothesen und die Planung von Interventionen bis zur Architektur von Lösungen und der Struktur von Kommentaren und Feedback. Die vorgestellten Interventionen, Übungen und Techniken sind einerseits ausgefeilt und praxiserprobt, sodass sie 1:1 in die eigene Praxis übernommen werden können. Gleichzeitig sind sie so offen und flexibel angelegt, dass sie Therapeuten, Coachs und Beratern den Zugang zu eigenen Einfällen und Lösungen erschließen. Folgen Sie einfach dem weißen Kaninchen!

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Wir alle glaubten als Kinder daran, dass Wunder möglich sind.

Aber die Jahre lassen uns oft genug stumpf werden für Fantasie, tiefes Gefühl und magisches Denken.

Erinnern wir uns: Jeder kann die Türen zum Wunderland öffnen, denn sie liegen nirgendwo anders als in uns selbst!

Carmen Kindl-Beilfuß

Einladung ins Wunderland

Systemische Feedback- und Interventionstechniken

Mit Illustrationen von Elena Egli und Louise Beilfuß

Dritte Auflage, 2021

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin ✝ (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Umschlagbilder: Elena Egli

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

© Illustrationen: Elena Egli und Louise Beilfuß, 2012

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Dritte Auflage, 2021

ISBN 978-3-89670-856-4 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8328-0 (ePUB)

© 2012, 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Prolog

Vorwort

Erster Teil: Am Anfang steht die Neugier …

1Kreativität, Respekt und Neugier

Alices Tipps zur Steigerung Ihrer Kreativität

2Der Zusammenhang zwischen Hypothesen, Fragen und Interventionen

Die Kompetenzen des Klienten

Die Struktur des idealtypischen Interviews

Eine gute Aussicht

Fragen sind Interventionen

Fragen, um dem Leben wieder ein Ziel zu geben

Die vorsichtige Variante der Zielfindung

Die beherzte Variante der Zielfindung

Hilfsmittel bei der Zielfindung

Fragen, um das Leben zu spüren

Fragen, um sich mit anderen verbunden zu fühlen

Fragen, um sich als Liebender zu erleben

Fragen, um sich die Veränderung zuzutrauen

Fragen, um das Leben lang (und aussichtsreich) werden zu lassen

3Die begleitende Planung der Intervention

Die Phasen des systemischen Interviews

Vorbereitung

Die Stoffsammlung während des Interviews

Das Gehörte sinnvoll notieren

Ergänzungen zum Genogramm

Beobachtungen

Überlegungen während des Interviews

Die Entwicklung des Gesprächs – die eigene Wirksamkeit reflektieren

Der Kontakt zu allen Anwesenden und die Berücksichtigung der Nicht-Anwesenden

Ideen und Impulse zur Veränderung und gute Gründe zum Erhalt des Status quo

Die Bedeutung der Zuversicht

Sich in sein eigenes Tun neu verlieben

Zweiter Teil: Es wächst der Mut zum Handeln

4Die Architektur der Lösung

Das Verlassen des herkömmlichen Denkens – oder: Was ist überhaupt eine Lösung?

Sich mit der Veränderung, dem Wandel verbinden

Die gefühlte Kontinuität

Verantwortung für das therapeutische Handeln übernehmen

5Der Weg zum komplexen Feedback – der Abschlusskommentar

Die Gesprächspause als systemische Flugstunde

Das Zurückkommen in den Gesprächsraum …

Den eigenen Überzeugungen folgen

Die Struktur von Kommentaren

Der »nackte« Abschlusskommentar

Stylingvarianten gelingender Abschlusskommentare

Das System als Ganzes

Komplimente für die einzelnen Persönlichkeiten

Das Storyboard – die Lebensgeschichte der Klienten aussichtsreich erzählen

Too much – zu viel des Guten

Hinderliche Glaubenssätze und Verhaltensmuster (ver)stören

Den Weg in die gewünschte Zukunft skizzieren

Mit den Ideen der Klienten jonglieren

Die Betonung von Anstrengung und Gewinn

Rituale und Feiern

Zu Experimenten einladen – Abenteuer anbieten

Mit Ambivalenzen schaukeln

Ein paar Tipps

Interventionen zum Naschen

Kommentare im fortlaufenden Beratungsprozess

Die Kunst, überraschend zu bleiben

Der Zauber von Geschichten

Balancehalten lernen

Das Lachen meiner Kinder

Aschenputtel ändert das Drehbuch

Die Welt ist ein Dorf

Die Umleitung

Der Berg der Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit

Der gelungene Abschluss und Eintragungen ins Lebensbu

Der gefühlte Mangel an Wirksamkeit – oder: Wenn Klienten nicht tun, was sie sollten

Hypothesen zum Erhalt der therapeutischen Gelassenheit

Die Balance zwischen Wohlwollen und Ernsthaftigkeit

Glaubhaftigkeit – die Erneuerung bisheriger Aufgaben

Abwarten und Pausen als Spielraum für Autonomie und Selbstorganisation der Klienten

Dritter Teil: Türen zum Wunderland

6Türen zum Wunderland

1Am Abend gut einschlafen

2Blüten

3Dankeschön

4Das Lebenshaus

5Der Liebesbaum

6Der rote Faden

7Die Bibliothek der Gefühle

8Die Blumen-Brillen

9Drei Möglichkeiten

10Familienobelisken

11Fee des Lächelns

12Fußspuren

13Goldener Apfel und Apfelbaum

14Herztapete

15Insel

16Kleeblatt

17Knoten

18Kompass

19Lebenspanorama

20Liebeselixier und Erfolgsduft

21Orden und Medaillen

22Schiff

23Schlüssel

24Schmetterlingsintervention

25Sterne

26Superbussi

27Wunschzettel

28Wäscheklammer-Intervention

29Verträge und Vereinbarungen

30Zauberhafte und unmögliche Ideen

31Zeit

Zum Abschluss

Eintrag ins Lebensbuch

Literatur

Übersicht Arbeitsmaterialien

Über die Autorin

Prolog

ALICE: »Verzeihen Sie, Sie haben doch ein Problem?

Missverstehen Sie mich nicht, ich hoffe inständig, dass Sie ein Problem haben.

Oder rechnen Sie wenigstens damit, eins zu bekommen?

Wenn nicht, so wäre das als seeeehhhhr ungünstig anzusehen, denn sehen Sie, nur wenn Sie ein Problem haben, dürfen Sie mit einer Veränderung Ihres Lebens rechnen, Ihre Kraft spüren, Ihren eigenen Ideen folgen, Mitstreiter finden, sich ins Zeug legen – nur dann können Sie wirklich herausfinden, was Sie drauf haben, was Sie selbst bewegen können.

Leider ist es so, dass wir uns einrichten, wenn die Dinge nicht allzu schlecht sind. Wenn es schlimmer wird, versuchen wir wegzusehen, manche haben sogar die Gabe, darüber hinwegzulächeln. Aber manche werden leider auch krank. Man sagt, sie leiden an unerfülltem Leben.

Wissen Sie, ich hatte auch zu wenige Probleme, an manchen Tagen zeigte sich kein einziges! Ich sehnte mich nach dem Mehr-Sein. Vorgestellt habe ich mir erst einmal nur ein einziges, ein richtig schönes Problem, sozusagen zum Üben. Dass daraus dann ein richtiger Schlamassel wurde, gehörte nicht zu meinen Plänen.

Aber wäre es nicht so gekommen, wie es gekommen ist, würden Sie mich dann kennen?

Nein!

Das Hineinstolpern in ein einziges Problem hat dafür gesorgt, dass ich berühmt geworden bin, zahlreiche Illustratoren mir eine hübsche Gestalt gegeben haben, Millionen von Menschen meine Geschichte kennen und diese kürzlich erst in 3-D verfilmt wurde!

Im Grunde habe ich nichts anderes gemacht, als Rotkäppchen es vor mir tat, ich bin vom Weg abgekommen.

Es war recht einfach: Immer wenn Sie wissen, wie es weitergeht, und es gefällt Ihnen nicht, nehmen Sie einen anderen Weg.

Ich kenne einige, die Abkürzungen nehmen wollten und sich damit richtig schnell ein gewaltig schönes Problem geschaffen haben. Aber Umwege erfüllen denselben Zweck, ebenso wie scharfe Rechtsoder Linkskurven.

Auf eines allerdings bin ich sehr stolz – auf meine Neugier!

Wäre ich nicht so verdammt neugierig, dann wäre ich nicht dem weißen Kaninchen gefolgt, dann hätte ich nicht wissen wollen, wo es seinen Bau hat, und dann wäre ich nicht in dieser abenteuerlichen Unterwelt gelandet, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin: Alice.«

Vorwort

»Es kann passieren, dass eine Seelenlandschaft verdörrt … Man kann dagegen halten, wenn man über innere Paläste, Salons und Bibliotheken verfügt.«

Neo Rauch

Liebe Leser,

ich gebe es zu, ich bin Alice gefolgt, ihre kreative Welt hat mich magisch angezogen und mich die meine neu entdecken lassen. In meinem 18. Lebensjahr war ich beseelt von dem Gedanken, Kunst zu studieren. Ich malte schon sehr lange, jedes Bild war eine Entdeckung der Welt. Ich habe mich – wie Hunderte anderer auch – an der berühmten Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig beworben und wurde – wie viele Hunderte auch – abgewiesen. Es freut mich zutiefst, dass ein Schüler dieser Schule, die das Handwerkliche der Kunst nie der reinen Inszenierung geopfert hat, es heute zu Weltruhm gebracht hat: Neo Rauch. Wäre mein Wunsch damals in Erfüllung gegangen, hätte ich mit Neo (wir sind ein Jahrgang) in einem Malsaal gesessen und gezeichnet – ein Gedanke, der mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Meine Güte, wie viele Wege gibt es, sein Leben zu leben!

Wahrscheinlich ist Neo Rauch ebenfalls Besucher im Unterland, denn seine Gemälde sind voller kraftvoller Figuren, die um etwas ringen, was auf den ersten Blick verloren scheint. Wie Alice liefert er einen Beitrag, die Aufmerksamkeit zu fesseln und auf das Mögliche zu lenken. Im Grunde sind seine Bilder die pure Psychologie, eine Spur geheimnisvoller, als wir Psychologen uns heute im Zeitalter der Wissenschaft präsentieren. Dadurch aber magischer, anziehender. Wenn ich solche wunderbaren Bilder betrachte, dann kann ich beides sein: Psychologin und Künstlerin. Und sicher war es die Künstlerin, die mich in den letzten Jahren zunehmend gedrängt hat, meiner Art, mit Menschen zu arbeiten, Farbe zu geben.

Mich bewegte zutiefst die Frage: Wie kann ich die Ergebnisse guter Therapiegespräche haltbarer machen?

Wie kann ich dafür sorgen, dass Menschen von ihren eigenen Ideen beflügelt den Raum verlassen? Wie kann ich garantieren, dass sie sich auch Jahre später noch daran erinnern, was da geholfen hat?

Ich wollte andererseits dafür weder Mal- noch Tanztherapeutin werden, dafür liebe ich gute Gespräche viel zu sehr. Ich mag es einfach, anderen einen Platz anzubieten, der sie einlädt, sich gute Gedanken zu gönnen über sich, die anderen und die Welt. In dieses Bemühen reiht sich mein Engagement ein, die richtigen Worte zu finden, eine Sprache, die verzaubert und die so viele Bilder produziert, dass sie sich in der Nacht wie eine weiche Decke um die Seele hüllen und am Tage die Landschaften hinter den Türen zeigen, die geöffnet werden wollen.

Nein, das ist ganz und gar nicht schwierig, denn all diese Bilder gibt es schon. Ihre Aufgabe besteht nur darin, sich seelisch eine Zeit lang barfuß zu bewegen und sich von den gefühlten Anregungen ein wenig kitzeln zu lassen. Ich möchte Sie gern einladen, es Alice unter dem Motto »Believe the impossible« gleichzutun und schon vor dem Frühstück sechs unmögliche Gedanken zu denken. Ja, bringen Sie Ihre kleinen grauen Zellen auf Trab, lassen Sie die Synapsen glühen, holen Sie etwas raus aus der alten Denk-Mühle! Nehmen Sie dem Alltag Zentimeter für Zentimeter ab, werden Sie, was Sie sind: ein kreativer Mensch!

Entdecken Sie Ihr eigenes Unterland – Unterland gleich Wunderland? Das Untergründige, Verborgene, Gefährliche oder das Wunderbare, das Fantastische, das Gerade-noch-Denkbare? Im Unterland sind die physikalischen Regeln außer Kraft gesetzt – und der staunende Besucher ist eingeladen, zwischen Absurditäten und entzückenden Fantasiewesen die eigene Rebellion des Geistes zu zelebrieren.

Wenn Sie mit mir und mit Alice reisen, reisen Sie »systemisch« (genau genommen »systemisch konstruktivistisch«), denn Alice erlebt die Rückkehr in die Kindheit gleichzeitig als schicksalsbestimmende Reise in die Zukunft, sie reist in die Traumbilder ihrer Kindertage und findet dort die Türen zum Erwachsensein, sie ist groß und klein.

Was, wenn Sie ab heute Dinge zu tun beginnen, die Sie noch nie getan haben?

Was, wenn der grünäugige, durchgeknallte Hutmacher Ihr Coach für komplizierte Lebenslagen wird?

Was, wenn Sie wie Alice einzig mit rebellischem Herzen dem drachenähnlichen »Jabberwocky« in Ihrem Leben eine Kampfansage machen? Was, wenn die elegant schwebende Grinsekatze mit unwiderstehlich sanfter Stimme ab heute in Ihrem Leben ungefragt Kommentare gibt und mit jedem Verschwinden die Imagination zweier gigantischer Zahnreihen hinterlässt?

Wozu diese Verrücktheiten? Weil die Normalität verrückter ist: Probleme löst man nicht mit »Kopf ab!«, große Köpfe sind kein Synonym für großen Verstand, und vermeintliche »Ritter« sind oft nicht mehr als Handlanger wahnwitziger Machtgelüste … und die Farbe Weiß allein macht die Welt nicht friedlich.

Wie Sie ins Unterland gelangen? Folgen Sie einfach dem Kaninchen!

Natürlich habe ich Verständnis, wenn Sie den Start verschieben, weil Sie

auf besseres Wetter warten,

auf weniger turbulente Zeiten hoffen,

auf eine günstigere Konstellation in Ihrem Horoskop setzen,

mehr Unter- stützung von Ihrem Partner oder Ihren Kollegen erwarten,

hoffen, dass Ihre Katze aufhört, das Sofa zu zerkratzen,

sich um Ihre Kindern kümmern müssen, bis diese finanziell unabhängig sind,

den nächsten Gesundheitscheck bei Ihrem Arzt berücksichtigen möchten,

unbedingt die Genehmigung für Nebentätigkeiten von Ihrem Chef einholen wollen,

fest davon ausgehen, dass Ihr Kontostand Ihnen irgendwann mehr Gelassenheit vermitteln wird,

ahnen, dass Sie mit zunehmendem Alter exzentrischer und damit sicher auch kreativer werden,

am besten arbeiten können, wenn Neumond ist oder der Wind auffrischt,

und weil jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt ist, um entdeckt zu werden.

Aber dann seien Sie konsequent und lesen Sie dieses Buch jetzt nicht!

Erster Teil: Am Anfang steht die Neugier …

1Kreativität, Respekt und Neugier

»Das Leben ist eine einzige Folge von Gelegenheiten, bei denen man etwas lernen kann.«

Marc Jacobs, Designer

»Wir haben also ein angeborenes Erkundungsbedürfnis … und dazu gibt es im Gehirn ein Neugiersystem, das uns vorwärts treibt …«

Gerald Hüther (2011, S. 52)

Die gute Nachricht: Kreativität und Neugier sind uns in die Wiege gelegt. Ebenso ein existenzielles Interesse an Austausch und Kooperation.

Die schlechte Nachricht: Von allein entfalten sich diese Gaben nicht. Es gilt das Motto: Use it or lose it!

Viele Beratungsansätze haben das Zuhören in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gestellt und übersehen dabei, dass Menschen gern Kontakt zu einem sympathischen (das sei hier unterstellt) Gegenüber haben. Im Lichte liebenswürdiger Neugier öffnet sich so manche neue Seelentür, und es finden sowohl quantitativ als auch qualitativ andere Erzählstoffe den Weg in das kommunikative Miteinander. Zurückhaltung ist keinesfalls nötig, bestenfalls als gutes Timing, das dem Gesprächspartner genug Raum schenkt, eigenes Ideenwerk zu entdecken und mitzuteilen.

Viel schwieriger ist es, den Fluss der Erzählung immer wieder neu zu stimulieren – ohne Stocken, Kunstpausen oder redundante Inhalte. Oft werde ich um Anregungen gebeten, die erlebte Tendenz zu Passivität und Einfallslosigkeit mit frischen Ideen und eigener Kreativität zu ersetzen. Dies erfordert das Aufräumen in der Abteilung Glaubenssätze und einen zumindest leicht radikalen Umschwung zu einer offensiven Haltung mit Neugier im XXL-Format.

Wenig hilfreiche Glaubenssätze:

Je mehr Empathie ich zeige, desto hilfreicher das Gespräch.

Neugier wirkt distanzlos – und sie ist anstrengend.

Kreativität ist im Alltag einfach nicht möglich und nimmt ohnehin im Laufe des Lebens ab.

Neugier ist aus meiner Sicht eine tiefe Bezeugung von Respekt, denn ich zeige dem anderen, wie sehr er mich interessiert, wie gern ich die Welt seiner Gedanken und Gefühle kennenlernen möchte, wie sehr mich sein Leben bewegt.

Neugier führt nicht nur zu interessanten Spekulationen (systemisch: Hypothesen) und spannenden Fragen, sondern ist auch der Motor für gute Empfehlungen. Denn: Als Berater bin ich genau wie mein Klient neugierig darauf, wie er mit den neuen Impulsen Anlauf nimmt, sein Leben zu verändern. Ich verbünde mich mit seiner Neugier, um dem Neuen eine richtig gute Chance zu verschaffen.

Bin ich im Gegenteil nicht neugierig, was passiert, dann bewege ich mich in einem Raum von Unterschätzung oder gar Zweifel in Bezug auf das Potenzial oder auch in Routine und Gleichförmigkeit.

Kreativität bringt etwas Spielerisches in verfahrene Situationen. Kreativ sein heißt, sich mit der Gestaltungskraft zu verbinden, die uns Menschen über all die Jahrtausende nicht nur zu schöpferischen Wesen hat werden lassen, sondern die uns auch das Überleben in zuweilen aussichtslos scheinenden Situationen ermöglicht hat. So kann Kreativität je nach Situation manchmal große Leichtigkeit bedeuten und manchmal Überlebenskampf.

Ich möchte Sie eher anregen als belehren, wie Sie mit diesen großen Kräften umgehen, und einladen, diese an sich selbst neu zu entdecken und fest in Ihrer Aufmerksamkeit zu verankern.

Neugier ist

der Schlüssel zur Welt.

die beste Antwort auf Stress und Eintönigkeit.

das Bewusstsein für die Vielfalt von Gedanken und Gefühlen.

eine Verbeugung vor dem Anderssein.

ein Gefühl für Wandel und Verwandlung.

reine Freude am Entdecken.

Lust auf Kontakt und Austausch.

die Vorahnung einer berührenden Begegnung.

Kreativität ist

ein anderes Wort für Schaffenskraft.

ein bewusstes Loslösen von Bekanntem.

ein lautes Ja zum Risiko.

der sicherste Weg für Intelligenzzuwachs.

ein Schaffensprozess, der Geduld braucht.

eine Kombination von Dingen, die (noch) nicht zusammenpassen.

ein wilder Flirt zwischen Herz und Hirn.

eine fantastische Form von Selbstbewusstsein.

Respekt ist

die Grundlage menschlichen Seins.

Gemeinsamkeit in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen.

zusammen weniger allein zu sein.

eine angenehme Pause vom Ich.

ein wirkungsvolles Beruhigungsmittel in hitzigen Situationen.

das Offensein für neue Sichtweisen.

die potenzielle Chance, große Gefühle zu erleben.

die verlässliche Arbeit der Spiegelneuronen.

Noch ein Wort zum Charme.

Das Thema Charme hat in die einschlägige therapeutische Literatur bisher wenig Einzug gehalten. Ich nehme an, es suggeriert innerhalb der seriösen Fachkunde einen Hang zu einer (nennen wir es) »zweckmäßigen Oberflächlichkeit«. Ich bedaure das zutiefst, denn die Entwicklung charmanter Verhaltensweisen scheint mir nicht nur im Umgang mit dem anderen Geschlecht vonnöten, sondern auch im Bereich Kindererziehung, Mitarbeiterführung und menschlicher Kommunikation angesichts der Einnahme von Sitzplätzen in Bahn, Bus und Flugzeug. Gerade weil der Beruf eines Therapeuten, Beraters und Coachs Vertrauen auf beiden Seiten verlangt, scheinen mir nicht nur herkömmliche Umgangsformen angebracht, sondern ein Charme, der im besten Sinne von Herzensbildung zeugt, als wichtiges Attribut persönlicher Begegnung. Daher an dieser Stelle meine kleine Charmeoffensive:

Charme

ist das französische Wort für Zauber.

ist leider nicht angeboren.

ist eine legale Form geheimnisvoller Magie.

öffnet Türen, die sonst verschlossen wären.

verhilft zu altersloser Schönheit.

lässt schlechte Laune einfach verschwinden.

ist eine Form von Großzügigkeit gegenüber menschlichen Fehlern und Schwächen.

lenkt die Aufmerksamkeit auf die Chancen und Möglichkeiten.

ersetzt Champagner genauso wie Antidepressiva.

Alices Tipps zur Steigerung Ihrer Kreativität

Schenken Sie Ihren eigenen Gedanken

mehr Aufmerksamkeit

– vor allem den verwegenen und verrückten!

Tauschen Sie sich

regelmäßig

mit Leuten aus, die

anders

sind! Tauchen Sie ein in fremde Denk-Landschaften! Werden Sie ein kreatives Dream-Team!

Wechseln Sie öfter mal

die Kulissen

Ihres Lebens aus (pulsierende Stadt, schöne Spaziergänge, Lieblingsorte, Markttreiben, ruhige Naturschauplätze, ungezwungene Partys, große Buchhandlungen, Kunstateliers usw.) – genießen Sie die Anregungen!

Vergrößern Sie Ihr Büro, denn Kreativität braucht einen Radius (gern um die 30 Meter)!

Gönnen sie sich größere Denkpausen, tun Sie einfach

nichts

! (Das schenkt neuen Gedanken die nötige Inkubationszeit, sie reifen ohne jegliches Zutun heran!)

2Der Zusammenhang zwischen Hypothesen, Fragen und Interventionen

Systemisches Arbeiten ist ein Prozess, in dem gesteuert von der Neugier die Wahrnehmung der Klienten im professionellen Kontext beim Therapeuten fortwährend zu neuen Eindrücken, damit einhergehenden Fragen und anregenden Ideen bezüglich ihres Anliegens führen. Wie in allen therapeutischen Prozessen ist die Frage entscheidend: Worauf richtet sich primär die Aufmerksamkeit des Therapeuten?

Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf folgende Sachverhalte:

den Kontext von Beratung und Therapie

die Entwicklung eines stimmigen Ziels des Klienten

Zeichen von Offenheit und Kooperationsbereitschaft.

Die Kompetenzen des Klienten

Hier geht es weniger um Eigenschaften des Klienten als um seine Fähigkeiten, sein Leben selbstständig zu gestalten, ständig dazuzulernen, Hindernisse zu überwinden, Probleme zu lösen und Beziehungen befriedigend zu führen, d. h., sich auf seine individuell einzigartige Weise durch seine Lebenszeit zu bewegen und immer wieder Phasen von Zufriedenheit und Glück zu erleben. Der Therapeut richtet seine Wahrnehmung auf

die Lebenserfahrung,

die Bereitschaft zum Lernen,

Entwicklungsschritte und Bereitschaft zur Veränderung,

die Vielfalt der Beziehungslandschaften,

Resilienzfaktoren, insbesondere Umgang mit Verlusten und Scheitern,

gelebte Kreativität,

den Anteil und die Qualitäten des gelingenden Lebens innerhalb der gegenwärtigen Situation,

Ideen und Bemühungen zur Veränderung der aktuellen Situation,

die Beschreibung der Situation aus dem Blickwinkel anderer wichtiger Beziehungspartner, deren Bemühungen, gewährte Unterstützung und Ideen zur Veränderung,

weiterführende Fragen und Lebenszusammenhänge, die den Klienten beschäftigen,

Visionen von einem gelingenden Leben,

Bindungsmuster, Gestaltungskraft und Freude am Geben in Beziehungen.

Ein Gespräch ist daher immer eine Reise durch das Leben des Klienten:

Die Reise beginnt in der Gegenwart,

lädt ein, die Chancen für die unmittelbare Verbesserung des Lebens zu prüfen,

bedient sich der umfangreichen Lebenserfahrung des Klienten und

setzt diese immer in Relation zu einer weitreichenden Entwicklungsperspektive – einer Art Panoramablick auf das Leben.

Abb. 1: Verknüpfungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Entwicklungsweg

Wahrnehmen – Überlegen – Fragen formulieren und bereits Hinweise planen sind Markierungen eines sehr komplexen Denkens und Handelns aufseiten des Therapeuten.

Der Therapeut stellt einen Rahmen zur Verfügung, in dem er dem Klienten vor allem zwei wesentliche Dinge anbietet:

Vertrauen und Sicherheit

Impulse zur Veränderung und Entwicklung

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Prozesssteuerung seitens des Therapeuten betont, ein Begriff, den Schweitzer und von Schlippe (2010) relativieren und als »Mit-Steuerung« oder »Bei-Steuern« sehen. Diese Akzentuierung wird uns allen in der Praxis vor allem durch die Tatsache bewusst, dass egal wie gut die Rahmenbedingungen gestaltet sind, egal wie gut Vorbereitung, Aufmerksamkeit und Zugewandtheit seitens des Therapeuten sind, das Ergebnis zu großen Teilen der Klient bestimmt. Die »Selbstorganisation« unserer Klienten kann bei gleichbleibendem Engagement auf unserer Seite ebenso zu wünschenswerten wie zu enttäuschenden Ausgängen führen. Eine Fifty-fifty-Chance ist es jedoch nicht, sondern sehr viel mehr. Ebenso wie wir an unsere Klienten »ankoppeln« (»joining«), koppeln diese auch an uns an. Sie beschäftigen sich mit uns, testen unsere Art, Kontakt aufzunehmen, unsere Stimmungs- und Energielage und unser professionelles Standing. Es könnte also gut sein, dass Sie »einfach so« überzeugen und damit Ihre Chancen zur »Mit-Steuerung« drastisch erhöhen. Eine gute Vorbereitung lohnt sich aus meiner Erfahrung heraus in jedem einzelnen Fall.

Wer ein sicherer, kompetenter Begleiter sein möchte, sollte sich einiger Hilfsmittel bedienen, um die Aufnahme und die Abgabe von Informationen sowie sein eigenes Verhalten einigermaßen ideengeleitet, bewusst und zielführend steuern zu können. Es bedarf einer Grundstruktur, die dem Therapeuten erlaubt, die extreme Komplexität der Situation angemessen zu reduzieren und sein eigenes Verhalten daran auszurichten.

Während also der Therapeut anhand seiner Wahrnehmungen und Hypothesen ständig neue Fragen kreiert und damit verschiedenste Erfahrungsfelder des Einzelnen oder des Systems (Paar, Familie, Arbeitskollegen etc.) bereist, schreibt er sorgfältig auf, was er gehört und gesehen hat, und entwirft bereits während des Gesprächs eigene Ideen zur Veränderung der Situation. Diese Ideen sind erste gedankliche Pfade zur Planung der Intervention im Anschluss an das Gespräch.

Die Struktur des idealtypischen Interviews1

Problem – Frage – Auftrag (Gegenwart)Angenommen, die Dinge entwickeln sich gut, was wäre für Sie ein guter Schritt nach vorn?Visionen – Ziele (Zukunft)Wenn ich Sie in einem halben Jahr wiedersehe und ich erlebe Sie äußerst zufrieden in Ihrer Familie, was berichten Sie mir, was Sie geschafft haben?Familiäre Erfolgsszenarien als Vorlagen für neue Ideen (Vergangenheit)In welcher Situation haben Sie als Familie bereits gezeigt, dass Sie gemeinsam stark sind?Wo passiert Lösung bereits jetzt? (Vergangenheit/Gegenwart)Welche engagierten Schritte haben Sie bereits gemacht, die in diese Richtung führen?Welche Bemühungen haben Sie schon gestartet? Was war erfolgreich, was weniger?Wozu ist das gegenwärtige Problem, der Zustand nützlich oder sinnvoll (wichtig oder gar produktiv)? (Gegenwart)Welche wichtigen Erfahrungen sammeln Sie gerade jetzt in dieser schwierigen Situation?Möglichkeiten der Verschlimmerung der Situation (Zukunft)Angenommen, wir kommen trotz aller Bemühungen nicht voran und die Situation bleibt unverändert, wie werden wir Sie in drei Monaten erleben?Falls wir – trotz der bereits spürbaren Belastungen – den Tiefpunkt noch nicht erreicht haben, was wäre Ihre Vorstellung, wie sich die Lage weiter verschlimmern könnte?Wenn XY es darauf anlegen würde, die Situation weiter zu verschärfen, wie könnte er das hinkriegen?Was soll unbedingt so bleiben/weitergehen? (Gegenwart/Zukunft)Was möchten Sie sich unbedingt erhalten?Was in der Familie schenkt Ihnen das Gefühl von bleibender Gemeinsamkeit?Woran merken Außenstehende, dass Sie als Familie trotz Schwierigkeiten und Herausforderungen ein gutes Team sind?Was soll wie anders werden? (Zukunft)Wie sieht es genau aus, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben?Was gibt es besonders zu feiern, wenn Sie besser als erwartet vorankommen?Woran merken Sie, dass Ihr Ziel zum Greifen nah ist?Was wäre ein nächster Schritt? (Gegenwart)Welches ist Ihre Startidee?Wann genau soll es losgehen?Was wollen Sie umsetzen/ausprobieren?Was wäre zusätzlich einen Versuch wert?Woran merken wir, dass Sie gut zusammenarbeiten?Wer wird Sie (wie?) unterstützen?Welches ist die Variante B?Was ist die beste Unterstützung, die wir geben können?

Die Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Wenn Sie sich ein gelungenes Interview wie eine Zeitreise vorstellen, sostarten wir in der Gegenwart,werfen einen Blick in die gelungene, aussichtsreiche Zukunft,holen uns wertvolle Erfahrungen sowie Talente, Mut und Kraft aus der Vergangenheit,nutzen diese für eine konkretere, handlungsbetonte Zukunftsbeschreibung,schauen, welche Aktivitäten und Bemühungen in diese Richtung bereits gestartet wurden und Erfolg haben,würdigen den Status quo (Modus der Nichtveränderung) in seinen wertvollen, gelingenden und in seinen anstrengenden Seiten,kümmern uns um Ambivalenzen undentwerfen den Start nach der erfolgreichen Beratung.

Zusätzlich können Hindernisse, besondere Wege, ein bestimmtes Tempo der Veränderung und das Ausprobieren mehrerer Möglichkeiten vorweggenommen werden.

Der Beginn der Arbeit mit so viel Komplexität ähnelt dem Erlernen einer Sportart.

Nehmen wir z. B. das Skifahren. Am Anfang ist man froh, auf den zwei verlängerten Füßen überhaupt stehen und ein paar Meter rutschen zu können. Die volle Konzentration wird benötigt, wenn die erste Kurve mit Belastung des einen Beins und Entlastung des anderen gefahren werden soll. Die Verknüpfung der Recht- und Linkskurve ist die nächste Herausforderung. Bis zum lockeren Hinabwedeln eines Skihangs benötigen die meisten Menschen ein bis zwei Skikurse und viele Übungstage … und selbst wenn das Gelernte immer abgerufen werden kann, braucht es eine ständige Abstimmung mit den aktuellen Bedingungen wie Wetter, Hanglage, Schneesituation und mitlaufende Skifahrer.

Es gehört ins Reich der Illusionen, dass Sie nach Lektüre des Buches »locker und flockig Interventionen zaubern« (um eine häufige Zielstellung von Seminarteilnehmern zu zitieren).

Eine gute Aussicht

… dagegen ist, dass Sie sich mit zunehmender Erfahrung und Trainingsprozessen in verschiedenen Situationen (empfehlenswert sind verschiedene Settings mit Einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen) immer mehr auf Ihre Intuition verlassen können. Sie werden nicht nur bestimmte Abläufe verinnerlichen, sondern grundsätzlich aus einer prozessorientierten Haltung heraus handeln. Es wird Ihnen immer leichter fallen, nächste Entwicklungsschritte intuitiv zu erahnen und entsprechend abgestimmte Interventionen zu skizzieren. Glauben Sie mir, es ist möglich, die Schwere einer Situation zu erfassen und gleichzeitig darüber hinaus zu denken, wie es weitergehen kann.

Es ist der Blick über die Situation hinaus hin auf ein ganzes Lebenspanorama. Die Überzeugung, dass es jederzeit Veränderungen geben kann und dass Therapie- und Beratungsgespräche in ihren Auswirkungen Gestaltungskraft für zukünftige Entwicklungen haben, stärkt den Optimismus und das eigene Handeln – auf beiden Seiten, beim Klienten und beim Therapeuten.

Fragen sind Interventionen

Jede Frage ist eine Einladung zum Kennenlernen, sich aufeinander einzustimmen, zu vertrauen und miteinander zu reden. Wenn es also gelingt, mit Fragen dem Klienten sowohl das Gefühl von Vertrautheit und Stimmigkeit zu vermitteln (Rosmarie Welter-Enderlin nannte das »affektive Rahmung« und engagierte sich lebenslang für »Therapie als Begegnung«) als auch ihn im besten Sinne anzuregen, sich mit sich selbst und seinen Lebensfragen so zu beschäftigen, dass er neue Einsichten und Handlungsimpulse gewinnt, dann ist das Fragen selbst Instrument des Neuen. Im systemischen Interview mit einem Paar, einer Familie oder Menschen, die zusammen arbeiten, gelingt sogar noch mehr. Durch die zirkuläre Fragetechnik werden die Beteiligten eingeladen, ihre Wahrnehmungen über andere Systemmitglieder preiszugeben und die Beziehung damit zu stimulieren. Im Sinne von Joachim Bauer (2006) ist es wie ein Tanzreigen der Spiegelneuronen. Wenn einer gut startet, entwickelt sich ein inspirierender Austausch über das gemeinsam Erlebte – Geschichten lebendigen Miteinanders. Das stärkt die Bindung zwischen Menschen und führt nicht selten zu einem tiefen Blick in die Augen des anderen, dessen heilsame Wirkung schon Virginia Satir in spektakulärer Weise nutzte.

Lieber Herr X, was vermuten Sie, was sich Ihre Frau für ihr eigenes Leben sehr inniglich wünscht?

Liebe Frau X, welchen Wunsch hat sich Ihre Tochter schon seit Ihren Kinderjahren aufbewahrt?

Was glauben Sie als weitsichtiger Vater, welches Talent Ihres Sohnes in den nächsten Jahren gute Chancen auf Erfolg hat?

Was haben Sie mit liebevollem Blick beobachten können, welche kleinen Zeichen des Gesundwerdens zeigen sich bei Ihrer Tochter nach der schwierigen Operation?

Wie konntest du in den zurückliegenden Wochen von der Unterstützung deiner Eltern profitieren?

Wann haben Sie Ihre Kollegen zuletzt beim Erfolg erwischt?

Diese und andere Fragen öffnen den eigenen Blick hin zur Verbundenheit mit anderen und treffen damit einen Kernbereich des Menschseins. Gleichzeitig erfährt man fortwährend etwas über das Denken und Fühlen der anderen Mitspieler im Leben. Das hilft, den eigenen Platz zu bestimmen, zu wissen, wer fest zu einem steht, auf wen man sich verlassen kann, und zu erkennen, was man selbst zu tun hat mit Blick auf die Erwartungen der anderen und die ganz und gar eigenen Vorstellungen. Gerade die Balance zwischen der Berücksichtigung der Wünsche anderer und den persönlichen Vorstellungen erlebt in einem systemischen Interview eine sehr freie, dialogische Bühne.

Fragen selbst sind es, die Stimmungen herstellen – oder auch zerstören können, Fragen selbst knüpfen enge (neuronale) Verbindungen zum Du, Fragen (er)finden die Geschichten der Vergangenheit und lassen Zukunftsideen ganz ohne Hellseherei aus der Kristallkugel treten.

Durch Fragen entsteht ein neu erzähltes Leben vorm Betrachter, aber ebenso vorm inneren Auge des Erzählers. Dies ist der erste wichtige Schritt zur Veränderung.

Es bleibt zu prüfen, ob Fragen nicht sogar wirksamere Interventionen sind als alle Versuche, die Welt mit eigenen Interpretationen zu beschreiben, denn Fragen hinterlassen Anregungen … und wenn man den Hirnforschern glauben darf, dann liegt genau im Fluss von frischen, neuen Gedanken (Hirnströmen) der Schlüssel zur eigenen Entwicklung.

Fragen, um dem Leben wieder ein Ziel zu geben

»Wenn das Leben keine Vision hat,nach der man strebt,nach der man sich sehnt,gibt es auch keinen Grund,sich anzustrengen.«

Erich Fromm

Der erste Schritt im systemischen Interview besteht darin, aus der aktuellen Problemsicht heraus ganz behutsam die Tür zu öffnen, um einen Blick auf zukünftige Möglichkeiten zu werfen. Dadurch kommt das Denken und Fühlen in Bewegung – ein sehr entscheidender Schritt angesichts mancher Trampelpfad-Erzählungen. Man gewöhnt sich daran, Dinge so zu beschreiben, wie man sie beschreibt – und beachtet dabei wenig die Wirkung, die manche Erzählungen auf einen selbst haben. Zuweilen kann man zusehen, wie sich im Klagen die Stimmung weiter verdunkelt und im Anklagen Enttäuschung und Wut große Anläufe nehmen. Das ist in Ordnung so, denn nur wo Emotionen das Heft in die Hand nehmen, spüren wir auch, dass das Leben für uns so nicht in Ordnung ist. Jedoch im weiteren Reflektieren braucht es Auswege – d. h. Bewegung im Denken. Wo diese Bewegung ausbleibt, entwickelt sich die erzählte Geschichte wie ein Sprung auf der Schallplatte, es hakt immer an derselben Stelle. Man kann sich die Dinge gut erklären, warum etwas wie gekommen ist (Watzlawick sagte früh »Erklärungen dienen oft genug als Schnuller«), aber die Bewegung hin zur Frage, was kann ich tun, um den Zustand zu verändern, wird nicht vollzogen. Zuweilen gibt es recht unlustige Beiträge diagnostischer Bemühungen anderer Kollegen, die dieses Phänomen begünstigen. Im Ergebnis lutschen Klienten dann an einem Schnuller namens »Ich bin halt so.«

»Testosteron macht Männer aggressiv und Oxytocin macht Frauen kuschelig. Wir lieben einfache Erklärungen, vor allem solche, die uns suggerieren, etwas anderes als wir selbst sei dafür verantwortlich, dass wir so sind, wie wir sind« (Hüther 2011, S. 64).

»Ich hatte eine schlechte Kindheit, deshalb bin ich so.« – »Ah, Sie hatten eine schlechte Kindheit und erwarten deshalb auch eine schlechte Zukunft.«

»Meine Frau ist eine ›Borderlinerin‹, jetzt weiß ich, warum unsere Ehe nie funktioniert hat.« –»Interessant, es ist mir neu, dass Menschen 100 Prozent Einfluss auf den anderen nehmen können.«

So sehr ich verstehe, dass solcherlei Interpretationsangebote als Entlastung angenommen werden, so wenig stimulieren sie die Gestaltungskraft für das eigene Leben. »Von da ab gibt es dann freilich auch nichts mehr an sich selbst zu entdecken … davonfliegen kann so jemand nicht mehr, noch nicht einmal mehr in der eigenen Vorstellung« (Hüther 2011, S. 64 ff.).

Umgekehrt – und dies ist ein wertvoller Hinweis – gibt es eine Menge Klienten, die von ganz allein in die Richtung von Veränderung denken. Sie beschreiben die beschwerliche Situation (»das Problem«) und kommen dann auf ihre Versuche zu sprechen, etwas zu verändern, oder auf ihre Wünsche und Erwartungen. Es ist nicht nur eine wichtige Beobachtung, zu merken, dass sich das Denken ihres Hilfe suchenden Klienten von allein »nach vorn« orientiert, es ist ein erstes Kompliment wert: »Mich beeindruckt sofort an Ihnen, mit welcher Energie Sie verschiedene Dinge angestoßen haben, um in dieser Angelegenheit weiterzukommen.« Oder »Ich freue mich ganz ehrlich mit Ihnen, dass es Ihnen gelingt, trotz der großen Belastungen in Ihrer derzeitigen Lebenssituation Erwartungen und Wünsche an die Zukunft zu haben.«

Die vorsichtige Variante der Zielfindung

Die schwierige Lebenssituation (»das Problem«) wird vom Klienten beschrieben und mit Nachfragen konkretisiert.

Die Bewegung nach vorn wird angeregt. Mithilfe der hypothetischen Fragetechnik werden in der Vorstellung des Klienten kleine Schritte zur Veränderung angeregt und anschließend mit der Beschreibung von »Erfolgsqualitäten« versehen.

Mögliche Fragen:

Angenommen, Sie kommen demnächst ein paar gute Schritte vorwärts in dieser Angelegenheit …Angenommen, Ihre Bemühungen zeigen Erfolg …Angenommen, unser Gespräch schenkt ihnen neuen Mut, etwas auszuprobieren …… einfach am Ball zu bleiben, wie wird sich das auswirken?

Oder

Stellen Sie sich vor, Ihre Ausdauer reicht noch einige Zeit, was wäre ein wichtiger Schritt?Stellen Sie sich vor, diese Gespräche geben Ihnen von nun an eine wertvolle Unterstützung, was wäre ein erster, kleiner, aber wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation?

Qualitäten der gewünschten Veränderung finden:

Woran werden Sie als Erstes merken, dass es, wenn auch sehr vorsichtig, vorwärtsgeht?Wie wird sich solch ein guter Fortschritt anfühlen?Welche innere Stimmung wird sich dann ausbreiten?Wie könnte so ein Tag aussehen, wenn x, y geschafft ist?Welche neuen Ideen finden Platz, wenn die Situation sich sichtbar entspannt?Was werden Sie sich gönnen nach so viel Anstrengung?Wer wird Sie begleiten auf Ihrem Weg dorthin?Worauf können Sie sich verlassen in der Abstimmung mit Ihren Wegbegleitern?Was sind für Ihre Begleiter wichtige Anzeichen für eine gute Entwicklung?Wer wird sich mit Ihnen freuen, wenn es die ersten Fortschritte gibt?

Die beherzte Variante der Zielfindung

Beherzter, als kleine Schritte zu gehen, ist es, einen Sprung in die Zukunft zu wagen. Es gibt aus meiner Beobachtung heraus keine detaillierte Erkenntnis, wann kleinere Schritte und wann große Sprünge angebrachter sind. Es gibt sehr belastete Klienten, die mit Begeisterung der Einladung vom »Wunsch-Ich« in die Zukunft folgen und sich eine ganze Palette von neuem Leben eröffnen, während es sich bei anderen durchaus zäh gestalten kann, überhaupt Antworten auf lösungsorientierte Fragen zu bekommen. Auch hier gilt: Nur wer Dinge versucht, gewinnt Orientierung.

Wenn man sich gemeinsam mit Klienten in die Zukunft bewegen möchte, gilt es zunächst, den Zeitraum zu wählen. Ich empfehle gern Zeiträume, die sich am Lauf der Jahreszeiten orientieren. Die Metaphorik ist deutlich einladender, als wenn man Zeit in Wochen, Monaten oder Jahren misst. Vergleichen Sie selbst:

»Ich möchte Sie einladen zu einer Begegnung in der Zukunft. Wir beide treffen uns genau in drei Monaten wieder. Was werden Sie mir erzählen, was sich in der Zwischenzeit gut entwickelt hat?«

oder

»Ich möchte Sie gern wiedertreffen, an einem ruhigen Septembertag. Der Sommer geht langsam vorbei, und Sie haben die Freiräume der Sommermonate gut für sich nutzen können. Was werden Sie mir erzählen, was Ihnen zunehmend gut gelungen ist?«

oder

»Wenn ich mir vorstelle, Sie am Jahresende wiederzutreffen, wenn Sie in den zurückliegenden Monaten immer wieder mit Ausdauer ihre Ziele verfolgt haben, dann freue ich mich schon auf die Bilanz, mit der Sie das Jahr beenden werden. Was vermuten Sie, werden Sie mir bei einer schönen Tasse Tee zum Jahresausklang berichten?«