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Ein Grundlagenwerk für ganzheitliches Leben und Therapie "Ganzheitlich" und "Alles ist eins" - wer kennt sie nicht, diese beliebten Begrifflichkeiten, die uns nicht nur in alternativen Kreisen, sondern auch im täglichen Leben immer häufiger begegnen. Doch was bedeutet es wirklich, Ganzheit in all ihrer Konsequenz im Leben und in der Therapie zu verwirklichen? Der Autor Klaus Ingbert Wagner setzt sich mit dieser Frage intensiv auseinander und plädiert für die gleichwertige Einbeziehung von Körper, Energie, Psyche und Spiritualität. Dazu entwickelt er ein vierstufiges Modell und zeigt dessen Relevanz für Alltag und Praxis. Anhand von zahlreichen Schaubildern und Fallbeispielen macht er deutlich, dass ganzheitliche Therapie methoden- und schulübergreifend arbeiten muss, um diesen Namen wirklich zu verdienen. Klaus Ingbert Wagner, selbst seit vielen Jahren als Heilpraktiker, Ausbilder und Tai Chi-Lehrer tätig, verbindet dabei persönliche Erfahrungen mit umfangreichem Wissen über östliche Spiritualität, westliche Psychotherapie, Energiearbeit, Naturheilkunde sowie Schulmedizin. Entstanden ist so ein anschauliches und gut verständliches Standardwerk, das sich in seiner Themenvielfalt sowohl an Therapeuten als auch an interessierte Patienten und Laien richtet. Das sagen bekannter Fachleute über das Buch: "Das umfangreiche Wissen und die vielfältigen persönlichen Erfahrungen des Autors mit unterschiedlichen Heilungssystemen sind die Quellen dieses mit Leidenschaft geschriebenen Buches." Werner Bock, Psychologischer Psychotherapeut, Ausbilder in Gestalttherapie, Supervisor, Buchautor, Würzburg. "Dieses Buch trägt zur Erkenntnis bei, wie das selbstverursachte menschliche Leiden zu mindern ist, vor allem dadurch, viele von den Mechanismen zu erhellen, die an seiner Entstehung beteiligt sind." Dr. Alexander Poraj (Nachfolger von Willigis Jäger), Theologe, Zen-Meister, Leitung Benediktushof, Buchautor, Holzkirchen "Ich freue mich sehr, dass in diesem Buch über einen ganzheitlichen Ansatz in der Betrachtung von Therapie, Leben und Gesellschaft das Familienstellen einen so wichtigen und lebendigen Platz einnimmt " Jakob Schneider, Pädagoge, Familienaufsteller, Ausbilder, Supervisor, Buchautor, München "Durch die in diesem Buch beschriebene Verbindung von Ost und West entsteht ein Therapie- und Lebensweg, der im besten Sinne ganzheitlich ist." Jumin Chen, Tai Chi- und Qi Gong-Meister, Ausbilder, Buchautor, Salzburg
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Seitenzahl: 485
Veröffentlichungsjahr: 2013
Klaus Ingbert Wagner
EINS WERDEN EINS SEIN
Über das Buch:
“Ganzheitlich” und “Alles ist eins” wer kennt sie nicht, diese beliebten Begrifflichkeiten, die uns nicht nur in alternativen Kreisen, sondern auch im täglichen Leben immer häufiger begegnen.
Doch was bedeutet es wirklich, Ganzheit in all ihrer Konsequenz im Leben und in der Therapie zu verwirklichen? Der Autor Klaus Ingbert Wagner setzt sich mit dieser Frage intensiv auseinander und plädiert für die gleichwertige Einbeziehung von Körper, Energie, Psyche und Spiritualität. Dazu entwickelt er ein vierstufiges Modell und zeigt dessen Relevanz für Alltag und Praxis. Anhand von zahlreichen Schaubildern und Fallbeispielen macht er deutlich, dass ganzheitliche Therapie methoden- und schulübergreifend arbeiten muss, um diesen Namen wirklich zu verdienen.
Klaus Ingbert Wagner, selbst seit vielen Jahren als Heilpraktiker, Ausbilder und Tai Chi-Lehrer tätig, verbindet dabei persönliche Erfahrungen mit umfangreichem Wissen über östliche Spiritualität, westliche Psychotherapie, Energiearbeit, Naturheilkunde sowie Schulmedizin. Entstanden ist so ein anschauliches und gut verständliches Standardwerk, das sich in seiner Themenvielfalt sowohl an Therapeuten als auch an interessierte Patienten und Laien richtet
Über den Autor:
Klaus Ingbert Wagner geb. 1967, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit den verschiedensten Methoden der Selbsterfahrung, fernöstlichen Energie- und Meditationstechniken, der Psychotherapie und der Naturheilkunde. Fortlaufende Tai Chi- und Qi Gong-Praxis seit 1988, sowie Zen-Meditation seit 1990. Heilpraktikerprüfung 1993, Praxiseröffnung 1995, Kurse in der Erwachsenenbildung seit 1992, eigene Tai Chi- und Qi Gong-Schule seit 1997, Dozent in der Therapeutenausbildung seit 1998, eigenes Ausbildungsinstitut seit 1999.
Ausbildungen in klassischer Homöopathie, Bachblüten, traditioneller chinesischer Medizin, autogenem Training, progressiver Muskelentspannung, Tai Chi-Lehrer (zert. DDQT), Gestalttherapie, Familienstellen, Systemaufsteller (zert. DGfS) und diverse weitere Fortbildungen. Ausbildungskonzeption und Dozent für folgende Ausbildungen: traditionelle chinesische Medizin, Tai Chi, Entspannungspädagogik, integrative Gesprächstherapie, Familienstellen, Gestalttherapie. Klaus Ingbert Wagner leitet zusammen mit seiner Frau das Kurs- und Ausbildungszentrum „Zukunftswerkstatt Amberg“.
Klaus Ingbert Wagner
EINS WERDEN EINS SEIN
Einer ganzheitlichen
Therapie auf der Spur
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© 2013 Klaus Ingbert Wagner
Covergestaltung: UlinneDesign, Neuenkirchen
Titelabbildung: Petra Fröhler-Wagner, Amberg
Abbildungen im Text: Klaus Ingbert Wagner, Amberg
Lektorat: Stefanie Proske, Berlin
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-4446-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die in diesem Buch wiedergegebenen therapeutischen Verfahren, Hinweise, Ratschläge und Übungen sind vom Autor mit größter Sorgfalt erarbeitet und zusammengestellt worden. Dennoch kann keine Garantie übernommen werden. Jegliche Haftung des Autors, bzw. des Verlages für Gesundheitsschäden sowie Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Ebenso ersetzt das Lesen des Buches keine Behandlung durch einen Therapeuten.
Inhaltsverzeichnis
Vorworte
Einführung
Kapitel 1: Grundlagen
1. Gegensätze ziehen sich an – Yin und Yang
1.1 Die drei Grundregeln des Yin und Yang
2. Was ist Ganzheit?
2.1 Übung: Der ganzheitliche Gefühlskreis
2.2 Praxisbeispiel: Monika und die Angst
3. Wenn wir nur im Außen leben – die Projektion
3.1 Eigenerfahrung: Die Projektion und das Geld
4. Dualität und Tao – Trennung und Einheit
5. Pure Tat - die Absichtslosigkeit
6. Der Freund und Feind in uns – das Ego
6.1 Übung: Das Ich
7. Wu Wei – Handeln durch Nichthandeln
8. Energie und Qi, was ist das?
8.1 Eigenerfahrung: Tai Chi und die Energie
8.2 Tai Chi und Qi Gong – die energetischen Körperkünste
8.3. Die drei Bereiche unserer energetischen Existenz
9. Ein wichtiger Therapiebaustein – das Bewusstsein
9.1. Phasen unserer Bewusstwerdung
10. Das Kopf-Qi
Kapitel 2: Heilung
1. Körper und Geist sind eins
2. Wie entsteht Krankheit?
2.1 Reize von außen
2.2 Reize von innen
2.1.1. Unsere innere Rumpelkammer
2.2.2. Praxisbeispiel: Die Migräne
2.2.3. Praxisbeispiel: Die Borderline-Erkrankung
3. Ein Paradox – die natürliche Heilkrise
3.1. Die gestörte Heilkrise
4. Wie entsteht Heilung?
4.1 Grundlage jeder Genesung – die Selbstheilungskraft
4.2 Wenn der Körper Hilfe braucht – Heilungsimpulse
4.2.1 Heilungsimpulse von außen
4.2.1. Heilungsimpulse von innen
4.3 Was muss der Patient/Klient zur Heilung beitragen?
4.4 Was ist die Aufgabe des Therapeuten?
4.4.1 Das Bewusstseinsfeld – was ist das?
4.4.2 Bewusstseinsfeld und Gesellschaft – das Weltbild
4.4.3 Wie setze ich das Weltbild in der Therapie ein?
4.4.4 Das Tao in der Therapie
Kapitel 3: Psychotherapie und Bewusstsein
1. Ich, du, wir – das Familienstellen
1.1 Was wirkt über mehrere Generationen?
1.2 Die Ordnungen der Liebe
1.3 Was uns erstaunt – die Stellvertreterreaktion
2. Was ist ein Familienbewusstsein?
2.1 Das kollektive Familiengewissen
2.2 Das persönliche Familiengewissen
3. Ich bin wichtig – das Individualbewusstsein
4. Therapie im Hier und Jetzt – die Gestalttherapie
4.1 Was ist eine Gestalt?
4.2 Vordergrund und Hintergrund
4.3 Abwehrmechanismen
4.4 Wie arbeitet die Gestalttherapie?
5. Das Zusammenspiel der Bewusstseinsfelder
5.1. Praxisbeispiel: Die schwarze Kette und das tote Kind
6. In fünf Phasen von der Therapie zur Spiritualität
6.1 Wenn nichts mehr geht – die Stagnation
6.2 Wenn unser Inneres uns zerreißt – die Polarisation
6.3 Verwirrung auf der ganzen Linie – die Diffusion
6.4 Sich seinem größten Schmerz stellen – die Kontraktion
6.5 Sprengen unserer Fesseln – die Expansion
7. Eins Sein mit dem Leben – das Fluss-Erlebnis.
7.1. Eigenerfahrungen von Fluss-Erlebnissen
8. Das Göttliche berühren – das Universalbewusstsein
9. Ganz im Leben aufgehen – die Tao-Erfahrung
9.1. Eigenerfahrung: Die Tao-Erfahrung
10. Alles ist miteinander verbunden
11. Was ist Meditation?
11.1 Die energetisch-körperliche Schule
11.2 Die psychisch-geistige Schule
11.3 Zen
12. Die Verbindung der drei Bewusstseinsfelder
12.1 In der Therapie
12.2 In der persönlichen Entwicklung und im Alltag
12.3 In der gesellschaftlichen Entwicklung
Kapitel 4: Quantenphysik und Bewusstsein
1. Unberechenbar – Das Doppelspalt-Experiment
2. Ist Materie nur eine Illusion?
3. Sind Tao und Superposition eins?.
3.1. Übung: Superposition und Körper
4. Noch eine Illusion – die Objektivität
5. Was bedeutet die Quantenwelt für unseren Alltag?
6. Alles ist verbunden – die Verschränkung
7. Wie zeigt sich das Quantenbewusstsein?
7.1 Familienstellen und Stellvertreterreaktion
7.2 Der Energie-Push im Tai Chi
7.3 Spontan-, Geist- oder Energieheilung
7.4 Die klientenzentrierte Gesprächstherapie
7.5 Die Gestalttherapie
7.6 Die Superposition und der Missbrauch
8. Was bedeutet dies alles für uns – ein Fazit
Kapitel 5: Ganzheit und Gesundheitssystem
1. Das Gesundheitssystem in Deutschland
1.1 Der offizielle Teil – der weiße Markt
1.2 Die Alternative – der grüne Markt
1.3 Was es sonst noch alles gibt – der graue Markt
2. Der Heilpraktiker – eine Standortbestimmung
2.1 Mythen, Klischees und Fragen zum Heilpraktiker
2.1.1 Ist Heilpraktiker überhaupt ein Beruf?
2.1.2 Ist es leicht, Heilpraktiker zu werden?
2.1.3 Arbeiten Heilpraktiker immer ganzheitlich?
2.1.4 Heilpraktiker leben selbst gesund und ganzheitlich
3. Weiß und Grün – ein ganzheitlicher Vergleich
3.1 Weltbilder
3.2 Ausbildung und die Auszubildenden
3.3 Die Organisationsform
3.4 Das Resümee
4. Yin und Yang in der Gesellschaft – Form und Inhalt.
4.1 Praxisbeispiel: „Herr Meier hat nicht studiert.“
4.2 Form und Inhalt im Ausbildungsbereich
5. Der graue Markt
5.1. Ausbildung im grauen und grünen Markt
5.2. Was ist ein Scharlatan?
5.2.1. Praxisbeispiel: Die Großmutter und ihr Enkel
5.3. Führen und Folgen – das Gurutum
5.4. Was ist der Traumwelt-Effekt?
6. Die Vision - ein ganzheitliches Gesundheitssystem
6.1 Eine typische „Krankheitskarriere“
6.2. Die typische Reaktion des jetzigen Gesundheitssystems
6.3. Wie reagieren die Märkte auf Erkrankungen?
6.4. Ein konkreter Vorschlag
Nachwort:
Zum guten Schluss
Danksagung
Fußnoten
Literaturverzeichnis
Anhang
Vorworte
Der typische Vorwort-Schreiber ist normalerweise jemand, der in dem Themengebiet, von dem das Buch handelt, bereits etabliert ist. Da tut sich bei diesem Werk gleich das erste Hindernis auf: Das vorliegende Buch umfasst sehr viele Ansätze und Bereiche, denn immerhin geht es darin um Ganzheit – und die schließt bekanntlich alles ein. So war es für mich sehr schwierig, letztlich eine Entscheidung zu treffen und jemanden für das Vorwort auszuwählen. Außerdem sagte mir eine Bekannte, dass solche einleitenden Worte ohnehin niemand lesen würde. Warum sich also die Mühe machen? Einfach aus dem Grund, weil mir das Vorwort persönlich am Herzen liegt. Die spirituellen, energetischen und psychotherapeutischen Praktiken, die mich zu den in diesem Buch dargelegten Erkenntnissen geführt haben, wende ich auch heute noch an. Und so wünschte ich mir zu jedem der hier behandelten Bereiche ein paar einleitende Worte von Personen, die ich schätze und die mir wichtig sind. Nur kurz und knapp, damit die Aufmerksamkeit des Lesers nicht gleich überstrapaziert wird, aber dennoch lang genug, um meine Verbindung zu den jeweiligen Gebieten klarzumachen.
Klaus Ingbert Wagner, im Frühjahr 2013
Gestalttherapie:
„Eine Gestalt ist ein sinnvoll organisiertes Ganzes“, sagte Fritz Perls, und diese Erkenntnis aus der Wahrnehmungslehre der Gestaltpsychologie der Zwanzigerjahre war für ihn so zentral, dass er 1951 seine neue Form der Psychotherapie danach benannte: Gestalttherapie. Nach dieser Sichtweise können durch persönlich unabgeschlossene Situationen, sogenannte „offene Gestalten“, psychische Probleme entstehen. Ein Anliegen der Therapie ist es daher, Menschen dabei zu unterstützen, ihre offenen Gestalten zu schließen, ihre persönliche Stagnation aufzulösen und wieder ganz zu werden; dann ist weiteres persönliches Wachstum möglich. Anders gesagt: Ein Ziel der Gestalttherapie ist die Wiederherstellung von Ganzheitlichkeit.
So überrascht es nicht, dass Klaus Ingbert Wagner auf seiner Suche nach einer „ganzheitlichen Therapie“ die Gestalttherapie entdeckte. Er nahm 2008 an einer meiner Gestaltgruppen zum Thema „Lebensfreude“ teil, um meine Art der Gestalttherapie kennenzulernen; seither befinde ich mich mit ihm in einem lebhaften Austausch über die Möglichkeiten, Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Die Beschreibungen des inneren Erlebens in einem gestalttherapeutischen Veränderungsprozess decken sich für Klaus Ingbert Wagner – wie er in diesem Buch schreibt – mit seinen Erfahrungen „...im Zen und bei Energieprozessen im Tai Chi“. Daher ist es sein Anliegen, diese und andere Heilungswege, denen es bei aller Unterschiedlichkeit um Ganzheitlichkeit geht, zusammenzubringen. Wichtige Konzepte der Gestalttherapie, die er ausführlich und anschaulich darstellt, bekommen dabei einen systematischen Stellenwert in seinem hier vorliegenden umfassenden Entwurf einer „ganzheitlichen Therapie“.
Das umfangreiche Wissen und die vielfältigen persönlichen Erfahrungen des Autors mit unterschiedlichen Heilungssystemen sind die Quellen dieses mit Leidenschaft geschriebenen Buches.
Werner Bock, Psychologischer Psychotherapeut, Ausbilder in Gestalttherapie, Supervisor, Buchautor, Würzburg
Tai Chi Chuan und Qi Gong:
In China haben die vielfältigen Methoden zur Kultivierung der körperlichen und geistigen Gesundheit sowie auch der Kampfkünste eine jahrhundertelange Tradition. Sie sind fester Bestandteil des chinesischen Kulturgutes. Qi Gong und Tai Chi stammen aus dieser traditionellen chinesischen Kultur und sind wirkungsvolle Methoden dieser ganzheitlichen Vorgehensweise.
Im alten China bezeichnete man jene Menschen, die mit der Natur im Einklang lebten, als Daoisten (bzw. Taoisten) oder „Schüler des Weges“, einer Lebensweise, die in der Philosophie des Weisen Lao Tse wurzelt. Die Daoisten glauben, dass die höchste Lebensstufe jene ist, in der Körper und Geist im Einklang mit ihrer natürlichen Bestimmung handeln. Krankheiten und vorzeitiges Altern treten dann auf, wenn ein Element des täglichen Lebens im Gegensatz zur natürlichen Ordnung steht, und wenn man dieses Element in Ordnung brächte, würden sich Krankheiten von selbst ausheilen und weitere vermieden werden. Genau genommen begründete diese Philosophie nicht Lao Tse alleine. Sie war vielmehr das Ergebnis alten chinesischen Denkens, das sich, schon lange bevor Lao Tses Schriften erschienen, entwickelt hatte. Diese Vorstellungen wurden später systematisiert und einer bestimmten Quelle zugeschrieben, die uns heute als Lao Tse bekannt ist.
Dieser ganzheitliche Ansatz ist in China überall zu finden, etwa in der Traditionellen Chinesischen Medizin, Kaligrafie, Malerei, beim Kochen usw. Besonders bei der Therapie ist es relevant, dass ein Therapeut den Patienten ganzheitlich behandelt, statt wie ein chinesisches Sprichwort lautet: „Ein dummer Arzt heilt Folgendes: Wenn der Patient Kopfweh hat, behandelt er ihn am Kopf; wenn der Patient Fußschmerzen hat, behandelt er den Fuß.“
Dieses Buch ist somit ein gutes Lehrbuch für den „klugen Arzt“. Klaus Ingbert Wagner lernte einige Jahre bei mir und ist im besten daoistischen Sinn „Schüler des Weges“. Es ist in diesem Buch deutlich zu spüren, dass er ein umfangreiches Wissen, sowohl in den chinesischen Heilungswegen wie auch in westlichen Therapieverfahren, besitzt. Durch diese Verbindung von Ost und West entsteht ein Therapie- und Lebensweg, der im besten Sinne ganzheitlich ist.
Jumin Chen, Tai Chi- und Qi Gong-Meister, Ehrenpräsident der chinesischen Yi Chuan-Gesellschaft, Ausbilder, Buchautor, Salzburg
Familienstellen:
Ich freue mich sehr, dass in diesem Buch über einen ganzheitlichen Ansatz in der Betrachtung von Therapie, Leben und Gesellschaft das Familienstellen einen so wichtigen und lebendigen Platz einnimmt. Das Familienstellen greift auf moderne Weise sehr viele Aspekte traditionellen chinesischen Denkens auf, wie sie zum Beispiel im I Ging zum Ausdruck kommen: die besondere Bedeutung der Familie und ihrer jeweils zeitgemäßen, aber immer im Einklang mit den Gesetzen des Kosmos stehenden Ordnung; das Einnehmen des rechten Platzes im jeweiligen sozialen Gefüge; die starke Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft; das Wissen um die unbedingte Zusammengehörigkeit; aber auch die Überzeugung vom Wirken durch Nicht-Handeln.
Das Familienstellen ist auf eine Weise systemisch, d. h. auf das vernetzte Leben in Beziehungen, und phänomenologisch, das heißt auf das Wahrnehmen des von außen Kommenden in uns, ausgerichtet, dass es zeitloses und Kulturen übergreifendes Wissen und entsprechende Verfahren bei seelischen Nöten und in menschlichen Beziehungsangelegenheiten heilsam und zukunftsoffen vermitteln kann. Klaus Wagner kann das überzeugend vermitteln.
Jakob Schneider, Pädagoge, Familienaufsteller, Ausbilder, Supervisor, Ehrenmitglied der deutschen Gesellschaft für Systemaufstellungen, Buchautor, München
Zen:
Es ist heute gang und gäbe, dass im Zusammenhang mit der Ganzheit auf die Spiritualität im Allgemeinen und oft auf das Zen im Besonderen hingewiesen wird. Natürlich hat das Zen kulturgeschichtlich betrachtet eine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte. Es kennt sogar gewisse Methoden und verfügt über eine Didaktik. Doch all das sind äußere Formen, die sich weiterhin im Fluss der Veränderungen befinden, wie alles andere auch.
Was aber ist das Zen in seinem Wesen? Es ist reine und unmittelbare Gegenwart. Es ist eben nicht das Nachdenken über etwas, von dem wir meinen, dass es eben jetzt geschieht. Da ist es nämlich schon zu spät. Es ist nicht das Wollen und Denken, mit dem wir unser Ich erst erschaffen und so die Welt als etwas außerhalb von uns betrachten können. Zen ist das Geschehen selbst, so wie es eben geschieht, im ständigen Jetzt und bevor der Betrachter bzw. das Ich überhaupt entstehen kann. Die Gegenwart ist. Dieser Satz ist eine Tautologie, weil “ist” und Gegenwart und Zen hier synonym zu verwenden sind. Ganzheit ist, sie ist immer schon und immer nur. Sie ist nicht das Ergebnis von irgendetwas und schon gar nicht von menschlichen Bemühungen.
Und so wird in diesem Buch deutlich, dass vieles von dem, was uns und den anderen Leid verursacht, nicht dadurch zustande gekommen ist, weil wir uns noch nicht genug um Ganzheit und Integration bemüht haben. Sondern weil wir immer wieder auf die Vereinzelung bestehen, sie mit allen Kräften unterstützen und sie viel zu oft auf Kosten von anderen und damit gegen andere aufrechtzuerhalten bemüht sind. Das nennt man Leiden.
In diesem Sinne ist das Buch ein wichtiger Beitrag, um das selbstverursachte Leiden zu mindern, auch und vor allem dadurch, dass es viele der Mechanismen erhellt, die unvermindert an seiner Entstehung beteiligt sind.
Dr. Alexander Poraj (Nachfolger von Willigis Jäger), Theologe, Zen-Meister, Leitung Benediktushof, Vorsitzender der Stiftung “West-Östliche Weisheit”, Buchautor, Holzirchen
Einführung
Alles ist eins ... wir müssen endlich ganzheitlich denken ... die Probleme der Erde sind nur global in den Griff zu kriegen ... Körper und Geist sind eine Einheit ... Naturheilkunde ist immer ganzheitliches Heilen ...
Vielleicht haben Sie diese oder ähnliche Sätze schon öfter gehört. Die Begriffe Einheit oder Ganzheit werden heutzutage oft gebraucht. Aus meiner Sicht vielleicht zu oft und meist auch nur theoretisch. Denn die Aussage „Alles ist eins“ ist sehr gewichtig und umfassend und zieht, wenn sie wirklich gelebt wird, große Konsequenzen nach sich. Um die Zusammenhänge dieser großen Einheit und um den persönlichen Weg dahin soll es in diesem Buch gehen.
Dies ist nun auch schon die zweite Einführung, die ich schreibe, da sich mein Text während des Schreibens grundlegend verändert hat. Ursprünglich hatte ich vor, ein Buch über chinesische Philosophie zu schreiben, was sie im harten westlichen Alltag bedeutet und wie sie umzusetzen ist. Aber schnell kristallisierte sich heraus, dass sich meine Arbeit als Therapeut, Kursleiter und Ausbilder immer mehr in den Vordergrund schob. Durch Rückmeldungen meiner Klienten und Kursteilnehmer wurde ich darin bestärkt, das aufzuschreiben, was meine Arbeit wohl am meisten ausmacht, nämlich die Verbindung der verschiedensten Schulen und Ansätze und deren harmonischer und individueller Einsatz in Therapie und Persönlichkeitsentwicklung. Dennoch soll dies nicht nur ein Buch für Therapeuten sein, denn gute Therapie ist gleichzeitig Lebensschule und Lebenskunst und somit für alle Menschen interessant, die sich weiterentwickeln möchten.
Mein eigener Weg ist mir dabei so etwas wie ein Leitfaden. Ich begann mich schon als junger Erwachsener für die Themen Psyche, Naturheilkunde, östliche Spiritualität und Meditation zu interessieren und machte in dieser Zeit vor allem durch Zen- Meditation, Tai Chi Chuan und Psychotherapie tiefgreifende Erfahrungen, von denen ich Ihnen in diesem Buch auch ausführlich berichten werde. Diese inneren Entwicklungen führten schließlich zu meinem Entschluss, Therapeut zu werden und eine Heilpraktikerausbildung zu beginnen. Mein persönlicher Erfahrungsweg lässt sich grob in vier Bereiche unterteilen:
- Naturheilkunde und chinesische Medizin
Hier lernte ich einerseits schulmedizinisches Grundwissen, andererseits aber auch, mit den Mitteln der Naturheilkunde und besonders den Mitteln der chinesischen Medizin vornehmlich körperliche Erkrankungen zu behandeln. Diese Arbeit beschäftigt sich also mit dem materiellen Aspekt des Körpers.
- Tai Chi und Qi Gong
Hier geht es um Energie, um das, was die Chinesen das Qi nennen. Um ihre Handhabung und ihren Einsatz – zunächst für einen selbst, dann aber auch für andere. Ich nenne dies den energetischen Bereich.
- Psychotherapie
Im Vordergrund stehen dabei unser inneres Erleben, unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Erlebnisse in unserem derzeitigen Leben und in unserer Kindheit, wie wir damit umgehen und wie wir sie verarbeiten – für mich der psychisch-geistige Bereich.
- Spiritualität
Worauf berufen wir uns, wenn wir an unsere Grenzen gelangen? Was liegt jenseits davon, was ist größer als wir? Ausgehend von meinen chinesischen Wurzeln nenne ich dies den Bereich des Tao.
Die ersten drei Bereiche werden Ihnen in diesem Buch öfter begegnen. Sie werden auch ausführlich beschrieben. Ich bezeichne sie als die drei Ebenen Materie, Energie, Psyche (Geist). Die Ebene der Spiritualität steht für mich darüber, beziehungsweise sie umschließt die ersten drei Bereiche. Auch darum wird es in einem Teil des Buches gehen. Wenn ich hier übrigens von chinesischer Philosophie spreche, meine ich damit im Allgemeinen die taoistische Schule und die Erkenntnisse der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), die ich alle miteinander kombiniere. Nun verläuft die Entwicklung von der Materie zum Geistigen keineswegs linear. Schon immer haben sich die einzelnen Bereiche gegenseitig befruchtet und unterstützt – und sie tun es bis heute.
Durch meinen nun schon fast 25 Jahre andauernden Lernprozess auf allen diesen Gebieten fällt es mir deshalb vielleicht leichter, die Ebenen zu wechseln und so zu reagieren, wie es der Augenblick verlangt. Sowohl in der Therapie als auch im Alltag kann ich jeweils den Bereich voranstellen, der gerade Vorrang hat. Ich glaube, dass genau diese Verbindung der verschiedensten Schulen und Ansätze einen großen Teil meiner Arbeit ausmacht. Da ich aus einem sehr bodenständigen und konservativen Teil Bayerns stamme, wurde meine Arbeit immer genauestens hinterfragt und musste konkrete Ergebnisse zeitigen. Die praktische Umsetzung meiner Erkenntnisse spielt deshalb eine weitere große Rolle bei meiner Arbeit.
Leser, die sich in den einzelnen Teilbereichen auskennen, die ich hier verbinde, werden durchaus auf Bekanntes stoßen. Ich glaube, dass auf dieser Welt alle Weisheit schon zur Verfügung steht. Jede Wahrheit wurde schon einmal von einem Menschen gedacht oder niedergeschrieben. Ich behaupte deshalb nicht, Ihnen hier völlig neue Erkenntnisse zu präsentieren. Ich halte dies, wie gesagt, gar nicht für möglich. Es stehen uns heute allerdings ganz neue Dimensionen der Informationsvernetzung zur Verfügung. Im Westen können wir problemlos ein relativ großes Spektrum therapeutischer und spiritueller Techniken erlernen. Vor etwa zweihundert Jahren war dies vermutlich noch nicht möglich.
Dennoch stellte ich immer wieder fest, dass das Schubladendenken nach wie vor weit verbreitet ist und jeder am liebsten seinem Gebiet treu bleibt. Aber genau hier setze ich an: bei der Verknüpfung und Vernetzung von unterschiedlichen Schulen. Das ist meinem Lebensweg geschuldet. Das „Neue“, das Sie in diesem Buch erfahren werden, ist eben die Verbindung der verschiedensten Therapien und Methoden beziehungsweise die theoretische Grundlage dieser Verflechtung. Sie werden in diesem Buch auch ab und zu Persönliches von mir erfahren. Und mich als jemanden kennen lernen, der schon eine gewisse Erfahrung auf diesen Gebieten mitbringt, aber auch selbst noch auf dem Weg ist. In meinen Ausbildungsseminaren versuche ich immer, den Teilnehmern zu vermitteln, dass auch sie das lernen können, was ich tue, und ich nur einen Zeit- und Übungsvorsprung habe. Es gibt in diesem Buch also keine neue Heilslehre und auch keinen Guru zu entdecken. Es geht darum, dass Sie wieder zu Ihrem ureigenen Menschsein finden. Das können nur Sie selbst – auch wenn man sich auf diesem Weg natürlich Menschen, Lehrern und Therapeuten anvertrauen sollte, die einen dabei unterstützen.
Am Ende des Buches werden Sie eine Danksagung finden. Ich möchte allerdings bereits an dieser Stelle meine Frau, Petra Fröhler-Wagner, als meine wichtige und unerlässliche Diskussionspartnerin erwähnen. Viele Ideen und Ansätze sind nicht allein die Früchte meiner, sondern unserer gemeinsamen Arbeit. Unsere vielen gemeinsamen Jahre, die langen fruchtbaren und unfruchtbaren Diskussionen und Erkenntnisse im täglichen Leben haben viele Seiten dieses Buches erst möglich gemacht. Sie werden deshalb auch immer wieder Formulierungen wie „wir“ und „unsere Arbeit“ finden. Dann beziehe ich mich direkt auf meine Frau und mich.
Ich möchte auch gleich erwähnen, dass ich der Einfachheit halber immer von „Klienten“ und „Patienten“ spreche. Natürlich gilt, was Sie hier lesen, für beide Geschlechter, und gerade im Sinne der Ganzheit beachte ich die Gleichstellung, aber auch die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau.
Wie bereits erwähnt habe ich im Laufe der Zeit die verschiedensten Schulen, Therapieformen und spirituellen Übungen kennen gelernt. Viele davon habe ich als sehr dogmatisch erlebt. Oft gab es innerhalb einer Schule oder Lehre nur eine einzige Wahrheit, und alles andere war falsch oder wurde sogar verteufelt. Leider zieht sich dieses Phänomen durch die gesamte menschliche Gesellschaft: Es findet sich in Ost und West, in der Psychotherapie und der Spiritualität. Ich möchte Sie deshalb bitten, dieses Buch ein wenig anders zu lesen. Betrachten Sie es als Anregung. Und obwohl meine Thesen durch jahrelange Erfahrung gewachsen sind und sich in der Praxis bewährt haben, repräsentieren sie doch keine ultimative Wahrheit, sondern nur meine Sicht der Dinge. Eine Sicht der Dinge, die Sie für sich intensiv prüfen sollten. Ich rate Ihnen sogar dazu. Aber den wichtigsten Rat, den ich Ihnen geben kann ist der: Finden Sie bitte Ihre eigene Wahrheit!
Es würde mich freuen, wenn Ihnen mein Buch einen erweiterten Blickwinkel auf die innere und äußere Welt ermöglichen würde und sich Ihnen so neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten erschließen.
Zur besseren Verdeutlichung meiner Gedanken habe ich immer wieder Beispiele aus meiner Praxis- und Kurstätigkeit, eigene Erfahrungen und Übungen eingefügt. Diese sind durch eine graue Hinterlegung im Text markiert. Um meine Klienten zu schützen, sind die Passagen immer so verfremdet, dass man den Bezug zu den realen Menschen nicht mehr herstellen kann. Die Quintessenz der jeweiligen Geschichte, die sich tatsächlich so zugetragen hat, ist aber immer erhalten geblieben.
Kapitel 1:
Warum alles aus chinesischer Sicht betrachten? Wir sind doch Westeuropäer und in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen. Gilt denn die chinesische Philosophie auch für uns? Ich stelle dann oft die Gegenfrage, was man unter „chinesisch“ versteht und worüber wir eigentlich diskutieren.
Wenn wir bestimmte Schlagworte hören, entstehen in uns oft Bilder und Stimmungen. Hören Sie das Wort China, wird das auch bei Ihnen so sein. Bei mir jedenfalls war es so. Ich hatte lange Jahre den Weisen aus dem Fernen Osten vor Augen, der einen reichen Erfahrungsschatz und intuitives Wissen in sich trägt, der selbstdiszipliniert, geistig klar und von unerschöpflicher Energie erfüllt ist und sich über allen Problemen stehend durchs Leben meditiert. Andere denken an eigentümliche Gebräuche, wie den Frauen die Füße zu verkrüppeln oder Schlangen, Hunde und Affenhirn zu essen. Wieder andere sehen das autoritäre Regime, das über zehntausend Hinrichtungen im Jahr vornimmt, jede Opposition brutal im Keim erstickt und seine Wirtschafts- und Weltmacht um jeden Preis ausbauen will.
Wir haben es hier also mit drei völlig unterschiedlichen Sichtweisen von China zu tun, und alle drei haben ihre Berechtigung. Mir geht es aber nicht um diese Bilder, die viel mit der chinesischen Landeskultur zu tun haben. Mir geht es darum, die Essenz des chinesischen Denkens herauszuarbeiten. Im Prinzip kann man jede Philosophie auf einige wichtige Grundgedanken oder Grundlagen reduzieren, die ich die Essenz nenne. Da ich viele meiner inneren Erfahrungen mit Methoden chinesischer Bewegungskünste (Tai Chi und Qi Gong), fernöstlichen Heilverfahren, zen-buddhistischer Meditation und westlicher Psychotherapie gemacht habe, ist mein Zugang zum Leben natürlich stark fernöstlich geprägt. Gleichwohl bin ich Westeuropäer, und so hat mich stets mehr die Essenz als die damit verbundene Kultur interessiert.
In diesem Buch möchte ich Ihnen diese Essenz und ihre praktische Umsetzung vermitteln. Deshalb möchte ich Sie bitten, sich eine Auszeit von Ihren inneren Assoziationen zu nehmen und die philosophischen Grundlagen ohne Ihr inneres Bild von China zu betrachten. Auf diese Weise habe ich entdeckt, dass sich viele dieser Grundthesen auch in anderen Kulturen wiederfinden.
Da es mir um die Essenz geht, werde ich Sie lediglich mit einigen wenigen chinesischen Begriffen konfrontieren, die ich verwende, weil es im Deutschen dafür keine Entsprechung gibt. Sie müssen sich also nur diese wenigen Wörter merken. Eines dieser Grundprinzipien ist die Vorstellung von Yin und Yang. Zur Einführung möchte ich einen Satz aus dem Tao Te King zitieren. Das Tao Te King wurde vermutlich im 6. Jahrhundert v. Chr. geschrieben, wird Laotse zugesprochen und ist ein Grundlagenwerk des Taoismus.
Unter diesem Himmel
können alle Menschen das Schöne als schön erkennen,
denn es gibt ja auch das Hässliche;
alle Menschen können das Gute als gut erkennen,
denn es gibt ja auch das Böse.
Sein und Nichtsein erzeugen einander,
Schwieriges und Einfaches ergänzen sich,
lang und kurz gestalten einander,
hoch und tief streben zueinander,
Stimme und Klang harmonieren miteinander,
Vorderseite und Rückseite folgen einander.
Tao Te King 2 (1. Teil)
Laotse. Tao Te King. Zürich 1985
Allgemeines
Die Idee von Yin und Yang ist sehr alt und tief in der chinesischen Kultur verwurzelt. Sie wurde zum ersten Mal im 8. Jahrhundert v. Chr. im I Ging aufgeschrieben und besagt vereinfacht, dass es von jedem Ding auf der Welt zwei Gegenstücke gibt und beide nötig sind, um ein Ganzes zu bilden. Sie müssen miteinander harmonieren und ausgeglichen sein, um zu funktionieren und auch die Welt im Gleichgewicht zu halten. Grob gesagt könnte man Yin mit Materie und Passivität und Yang mit Energie und Aktivität gleichsetzen.
Die Grundidee der Chinesen und vieler anderer Naturreligionen ist, dass die Welt ein einziger Kosmos ist – ein Gesamtorganismus, der untrennbar mit allem verbunden ist. Doch die alltägliche Realität zeigt uns etwas anderes: Auf der Welt wirken stets zwei gegensätzliche Grundkräfte, sie ist also dual aufgebaut. Alles besteht aus diesen zwei entgegengesetzten Kräften, die von den Chinesen eben Yin und Yang genannt wurden. Dadurch ergibt sich gleichzeitig ein Widerspruch. Ich habe ein großes Ganzes, das in der Realität jedoch zwei Gegenkräfte in sich vereint. Genau damit beschäftigen sich viele philosophische Schulen und Religionen und versuchen, dieses grundlegende Dilemma mit unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen zu erklären. Die Chinesen haben diese große Einheit Tao genannt. Und obwohl wir uns an dieser Stelle mit Yin und Yang beschäftigen, möchte ich Sie bitten, die Idee des Tao immer im Hinterkopf zu behalten. Auch wenn das ganze Universum in Yin und Yang aufgeteilt ist und sich dauernd in diesem Gegensatz bewegt, ist es dennoch eins und miteinander verbunden.
Aber zurück zu Yin und Yang. Wenn Sie heute ein Buch über chinesische Medizin, Tai Chi, Qi Gong oder Ähnliches aufschlagen, in dem die Begriffe Yin und Yang erklärt sind, werden Sie oft Listen wie in Abbildung 1 finden. Ich habe ebenfalls eine solche Beispielliste erstellt:
Yin
Yang
Materie
Energie
Passiv
Aktiv
Trüb
Klar
indirekt wirkend
direkt wirkend
hart, spröde
weich, flexibel
Sammeln
Zerstreuen
Energierichtung innen, unten, hinten
Energierichtung außen, oben, vorne
Kalt
Heiß
Mond
Sonne
Unten
Oben
Negativ
Positiv
Frau
Mann
Dunkel
Hell
Diffus
Klar
Abb. 1
Was sehen Sie? Wunderschöne Einteilungen ... die Welt lässt sich in zwei Grundkräfte aufteilen, und mit diesem System erfasse ich alles, was ich mir nur wünsche. Kein Lebensbereich wird ausgeklammert.
Erinnert Sie dieses Denken nicht stark an unser analytisches westliches Weltbild, in dem wir immer alles einteilen und zerpflücken und ihm so die Ganzheit nehmen, wie dies etwa in der Schulmedizin immer wieder passiert? Dies kommt daher, dass die chinesische Philosophie im Westen natürlich auch aus westlicher Sicht betrachtet und verstanden wurde. Schließlich gab es in unserer Kultur nichts Vergleichbares. Der chinesische Grundgedanke aber hat das Tao als erstes, Yin und Yang erst als zweites Prinzip.
Man muss sich diese Liste nur ansehen, um zu erkennen, dass hier etwas nicht ganz stimmen kann. Betrachten wir die Yin-Seite, finden wir dort z. B. Frau und Materie. Das würde bedeuten, dass Frauen nur aus Materie bestünden. In der gleichen Spalte stehen auch die Begriffe hart und kalt, dabei sind Frauen im klassischen Sinne eher weich und warm. Wenn Sie an Ihre Kindheit und an Ihre Mutter zurückdenken, gibt es bestimmt auch Frauen, die hart und kalt waren, aber die meisten Menschen assoziieren Weiblichkeit mit den Adjektiven warm und weich. Also kann die Zuordnung Yin und Frau so nicht ganz funktionieren. Denn Frauen bestehen nicht nur aus Materie und Männer nicht nur aus Energie.
Wir alle wissen, dass es große Unterschiede zwischen Mann und Mann, Frau und Frau gibt. Gleichwohl gibt es Grundtendenzen. Daher ist es nicht falsch zu sagen, dass die Frau mehr dem Yin, der Mann mehr dem Yang entspricht. Dies trifft rein körperlich zu, wenn wir uns beispielsweise die Geschlechtsteile anschauen. Yang geht nach außen, Yin nach innen. Der Penis ist ganz deutlich ein Yang-Geschlechtsteil, die Scheide ein Yin-Geschlechtsteil. Deshalb passen sie zusammen. Yin oder Yang ist jedoch nie ausschließlich vorhanden. Wir müssen uns erneut von unserem westlichen analytischen Denken verabschieden, das alles einteilen will. Yin und Yang sind in einem Menschen oder Lebensaspekt immer gleichzeitig vorhanden und ständig in Bewegung. Sie tauschen sich aus, verändern sich, wechseln die Positionen und so weiter. Wir dürfen Yin und Yang nicht als starres Einteilungssystem begreifen, sondern als dynamische Prinzipien, die sich ständig gegenseitig durchdringen und verändern.
Zweitens sind alle Dinge nur in Relation zu etwas anderem Yin oder Yang. Es kommt also auch auf den Blickwinkel an. Nehmen wir zum Beispiel die Begrifflichkeiten hart und weich. Wenn jemand hart ist, bedeutet das auf der einen Seite, dass er starr ist. Nichts bewegt sich, also ist da auch wenig Energie. Man würde ihn also dem Yin zuordnen. Wenn jemand hart ist, ist er aber gleichzeitig auch klar und direkt, kann seine Energie auf den Punkt und gut nach außen bringen. Dies ist eine Yang-Eigenschaft. Etwas Weiches hingegen ist diffus, nicht genau definierbar, ausweichend, aufnehmend, also Yin. Aber wenn jemand weich ist, ist er auch flexibel, kann sich gut anpassen und ist sehr beweglich, klassische Yang-Eigenschaften eben.
Diese Sichtweise sprengt unser gewohntes Vorstellungsvermögen mit seinen starren Einteilungen. Gleichzeitig gelten diese Beobachtungen für jeden anderen Lebensaspekt. Das Grundprinzip ist immer das gleiche. Was es jedoch gibt, sind meiner Meinung nach Grundtendenzen. Yin und Yang sind selten ausgeglichen. Es ist immer eine Tendenz zu mehr Yang oder zu mehr Yin feststellbar. Selbst die harmonischsten Menschen haben einen Überschuss, der aber nicht stört. Zudem haben wir es stets mit Momentaufnahmen zu tun. Da sich die Anteile ständig verändern, kann die Aufteilung im nächsten Augenblick schon wieder ganz anders aussehen.
2. Regel: Yin und Yang sind gleichberechtigt
Es kommt darauf an, beide Teile als gleichwertig und gleich wichtig zu erkennen. Keiner ist „böse“ und keiner „gut“, wie wir geneigt sind zu denken. Und kein Teil kann ohne den anderen existieren. Wenn ich den einen ausschließe, unterdrücke ich gleichzeitig den anderen, da beide untrennbar miteinander verbunden sind und das Ganze immer aus beiden Teilen besteht. Die Meister des Taoismus und des Zen haben sich über Generationen die Haare gerauft, wie sie ihren Schülern dieses Einteilen und Urteilen abgewöhnen könnten, denn es ist eine Grundeigenschaft des Menschen.
Ich will dieses Denken auch gar nicht schlecht machen, denn es hat den Menschen auch zu dem gemacht, was er ist. Um Dinge wiedererkennen zu können, muss ich sie einteilen und strukturieren. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir in einer dualen Welt leben, die bereits eingeteilt ist oder zumindest von uns so empfunden wird. Wir können in unserem normalen dualen Denken eben nicht einen Schritt vorwärts und gleichzeitig einen rückwärts machen. Wir müssen uns ganz konkret entscheiden, ob wir den Mietvertrag unterzeichnen oder nicht. Die anzüglichen Bemerkungen unseres Arbeitskollegen machen uns entweder wütend oder lassen uns kalt.
Im Laufe des Lebens nähern wir unser Wesen so entweder Yin oder Yang an. Diese Tendenz lässt uns im täglichen Leben handeln, denn oft sind ja auch konkrete duale Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen also auch diese Einteilungsmechanismen. Der Nachteil ist natürlich, dass ich mich festlege und mir dadurch viele Freiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten nehme, die mir andernfalls zur Verfügung stünden. Es ist zum Beispiel im Tai Chi eine gängige Übung, einen Schritt nach vorne zu machen, sich aber gleichzeitig des hinteren Fußes sehr stark bewusst zu sein, um jederzeit bei Bedarf einen Schritt nach hinten machen zu können. Auf diese Weise ist Yin und Yang auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig präsent. Ebenso kann es sein, dass ich meine, mich für die neue Wohnung entscheiden zu müssen. Ich bin der Überzeugung, dass mir mit meinem Pech nichts Besseres mehr begegnet. Aber genau durch diese Entscheidung schließe ich die Superwohnung aus, die ich vielleicht erst in einem Monat finde. Durch die Wahl des mir bekannteren Yin verbaue ich mir die Möglichkeit zu einem deutlichen Yang. Wenn ich mich aber der Gleichzeitigkeit von beiden Polen aussetze, bieten sich mir natürlich auch die Möglichkeiten von beiden.
Ebenso neigen wir dazu, unsere persönlichen Einteilungen als das einzig Wahre und Gute zu erachten. Dabei übersehen wir oft die Möglichkeiten und Chancen, die die andere Seite bietet. In unserer heutigen Gesellschaft ist ein deutlicher Yang-Überschuss festzustellen: höher, weiter, schneller, jünger, besser, schöner, aktiver, lustiger. Wir merken schnell, dass wir nur das Schöne und Gute im Leben wollen. Dieses Wunschdenken kann aber gar nicht funktionieren, weil sich dann die gegenteiligen Anteile – sowohl in uns selbst als auch im Weltgeschehen – automatisch mehren.
3. Regel: Yin will zu Yang werden und Yang zu Yin
Yin und Yang sind zudem ständig in Bewegung und streben aufeinander zu. Der Sommer will in den Winter und der Winter in den Sommer übergehen, denn nur so kann der harmonische Jahreskreislauf gewahrt bleiben. Das Schöne ist, dass ich in allen Lebenslagen auf dieses Prinzip vertrauen kann. Wenn es mal abwärts geht, folgt darauf wieder eine Aufwärtsbewegung. Sogar in der Wirtschaft ist die konjunkturelle Kurve eine feste und wissenschaftlich erforschte Größe. Wenn wir uns in dieses Prinzip hineindenken, merken wir auch hier schnell, dass wir oft nur am Aufschwung interessiert sind und die Abwärtsbewegung gern auslassen würden. Aber das geht nicht. Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden mit der Achterbahn fahren und versuchten, die Talfahrten auszulassen. Schon an der ersten Steigung wäre Schluss, weil der Schwung fehlt. Hat man den Fluss von Abwärts- und Aufwärtsbewegung einmal akzeptiert und lässt ihn zu, dann läuft das Leben meist ganz von selbst. Wenn ich dagegen versuche, mich an irgendeiner Stelle des Kreislaufs festzuklammern oder die Dynamik zu bremsen, behindere ich damit meist die ganze Bewegung.
2. Was ist Ganzheit?
Das Wort ganzheitlich wird viel und gerne benutzt. Es erweckt den Eindruck, ganz und heil zu sein, doch bemerke ich immer wieder, dass viele Aspekte von Ganzheit gar nicht mitgedacht werden. Dabei sollte der Begriff ganzheitlich wirklich alles einbeziehen. Wer also Ganzheit verwirklicht hat, der ist eins mit dem Tao, erleuchtet und hat alle Teile in sich vereinigt, integriert und kennen gelernt. Dies gilt für alle Ebenen von Körper, Geist und Seele. Wenn man sich dies vor Augen hält, wird einem sehr schnell klar, was Ganzheit in letzter Konsequenz bedeutet. Yin und Yang müssen gleichberechtigt mit allem, was sie zu bieten haben, anerkannt und auch gelebt werden. Das bedeutet, jeden ungeliebten Anteil in mir, jede Perversität, jede Abhängigkeit, jede Unkontrolliertheit, jede Antipathie und alles, was mir an mir und an der Welt nicht gefällt, anzunehmen und zu integrieren. Andernfalls bleibt Ganzheit ein bloßes Lippenbekenntnis. Doch was heißt das für uns und unsere Entwicklung? Ich möchte dazu eine kleine Übung vorstellen, die wir häufig in unseren Kursen machen, um das Prinzip zu verdeutlichen.
2.1 Übung: Der ganzheitliche Gefühlskreis
Sammeln Sie alle Gefühle (z. B. Angst, Wut, Liebe), Gefühlszustände (z. B. Langeweile, Depression) und alle anderen geistigen Eigenschaften, die Ihnen einfallen (z. B. Hoffnung, gütiger Mensch sein, ein Mistkerl sein, friedlich sein, sich wie im Krieg fühlen). Wichtig ist, dass Sie wirklich alles aufschreiben, die „negativen“ wie die „positiven“ Aspekte. Wenn Ihnen zu einer Kategorie nur wenig einfällt, strengen Sie sich ein wenig an, denn es ist für die Übung wichtig, eine möglichst große Bandbreite an Gefühlen und Eigenschaften zu finden. Sie sollten jetzt mindestens 12 bis 15 Aspekte auf Ihrem Blatt zu stehen haben. Malen Sie nun einen großen Kreis auf und unterteilen ihn in viele kleine Abschnitte wie die Stücke eines riesigen Kuchens. Schreiben Sie jetzt in jedes „Tortenstück“ einen der gesammelten Aspekte. Wenn Sie wollen, können Sie im oberen Halbkreis die für Sie positiven Eigenschaften und im unteren die für Sie negativen Eigenschaften unterbringen. Zum Schluss könnte Ihr Kreis folgendermaßen aussehen:
Abb. 2
Ich habe hier nur eine kleine Auswahl von Gefühlen und Eigenschaften zusammengestellt. Ich denke, Sie werden deutlich mehr finden. Sehen Sie sich Ihren Kreis gut an. Sie erhalten so vielleicht noch keinen vollständigen, wohl aber einen guten Überblick über Ihre ganz persönliche Ganzheit. Die meisten Menschen haben an dieser Stelle bereits ein kleines Problem. Sie können sich vielleicht mit dem oberen Halbkreis ganz gut identifizieren, aber im unteren Teil finden sich bestimmt viele Aspekte, von denen sie sagen: „So bin ich nicht! Ich bin kein Mistkerl. Ich hasse nicht. Ich will keine Angst haben.“ Vielleicht erinnern Sie sich aber auch an Yin und Yang und Ihnen ist – zumindest theoretisch – schon klar, dass wirklich alle Teile zu Ihnen gehören.
Wir erleben in unseren Gruppen auch sehr oft, dass vielen Leuten dieser Umstand rein rational durchaus einleuchtet. Wir wissen und erleben, dass in jedem von uns jedes „negative“ Gefühl steckt, das es auf der Welt gibt. Viele von uns erlauben sich allerdings nicht, diese Anteile auch nur zu spüren, geschweige denn sie zu erleben oder in den Alltag zu integrieren. Ich muss jedoch dazu bereit sein, Hass, Wut oder Angst wirklich vollends in meiner Seele zu spüren. Kann ich meinem tiefsten Hass wirklich ins Gesicht blicken und zu ihm sagen: „Ja, du gehörst dazu, ich liebe dich genauso wie die Liebe. Ich weiß, durch dich kann ich töten und zerstören, aber du gehörst zu mir.“? Wenn ich das ernsthaft versuche, bekommt der Begriff Ganzheit eine spirituelle Tiefe, die seiner würdig ist.
Ich kann diesen Kreis übrigens auf viele andere Bereiche übertragen: Personen des öffentlichen Lebens (Gandhi, Hitler, Bush, Papst, Mutter Teresa, Franz Josef Strauß, Joschka Fischer), Religionen (Christentum, Islam, Buddhismus, Zeugen Jehovas, Sekten), Körperteile (Kopf, Rücken, Bauch, Po, Geschlechtsteile), Medizinsysteme (Schulmedizin, traditionelle chinesische Medizin, Homöopathie, Ayurveda, Hildegard-Medizin) und vieles andere. Das Prinzip bleibt das gleiche. Auch hier werden wir zum Beispiel mit Hitler unsere Schwierigkeiten haben, während wir Gandhi oder Mutter Teresa bewundernswert und „positiv“ finden.
Was aber passiert, wenn wir Teile von uns negieren, wie wir es so häufig tun? Schließlich sind Yin und Yang aufeinander angewiesen, um existieren zu können. Denn wenn wir einen Aspekt unserer Persönlichkeit ausgrenzen, schwächen wir auch sein Gegenteil. Wenn ich meinen Hass nicht spüre, werde ich auch immer mehr Schwierigkeiten haben, die Liebe zu spüren, denn Yin (Hass) und Yang (Liebe) sind eben stark miteinander verknüpft. Mit dem Verdrängen von einem Teil versuche ich im Prinzip, halb zu sein, was natürlich auf Dauer nicht funktioniert, weil jeder Organismus danach strebt, ganz zu werden. Aber das Unterdrückte, Verdrängte und nicht Gesehene drängt unweigerlich an die Oberfläche, und es kommt mir vor, als würde sich dieser Vorgang in den letzten Jahren und Jahrzehnten verstärken. Dies sehe ich sowohl bei meinen Klienten als auch in unserer Gesellschaft.
Der Burn-Out ist hier ein gutes Beispiel. In der Arbeitswelt nehmen Termindruck und Arbeitstempo beständig zu. Es herrscht häufig immer noch die Illusion vor (interessanterweise sowohl bei Arbeitnehmern wie Arbeitgebern), dass der Mensch unbegrenzte Energie habe und wie ein perpetuum mobile funktionieren müsse. Aber Geist und Körper reagieren dann vollkommen anders. Durch das überwältigende Erschöpfungsgefühl und die oft auftretenden Depressionen wird der Betroffene zur Ruhe gezwungen. Obwohl das für denjenigen natürlich sehr belastend ist, holt sich der Organismus dadurch genau das, was er braucht: Ruhe. Und genau dieser Aspekt ist durch die bisherige Lebensweise unterdrückt worden. Das starke Ansteigen der psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren zeigt auch den gesellschaftlichen Aspekt der Thematik und erinnert uns an die dritte Regel: Das Yin strebt zum Yang und das Yang zum Yin. Das bedeutet, dass Verdrängtes an die Oberfläche kommen muss – das ist eine unvermeidliche Tatsache. Das Unterdrücken von Unerwünschtem aber gehört zu unserer Kultur. Es ist übrigens nicht nur in den westlichen, sondern auch in den östlichen Zivilisationen verbreitet. Unser Zusammenleben basiert auf dem Funktionieren und Unterdrücken von allem, was nicht in unser Weltbild passt. Allerdings leben wir dadurch gewissermaßen in einer ständigen Illusion und nehmen nicht mehr wahr, wie es uns wirklich geht und was wirklich wichtig ist.
Das Unterdrückte, (meist das Yin) in unserem Körper, unserem Geist und unserer Gesellschaft kann sich deshalb oft nur noch auf krankhafte Weise(Burn-Out, Panik-Attacken, Depressionen, Allergien, Asthma, Krebs) bemerkbar machen. Nur so werden wir darauf noch aufmerksam und setzen uns damit auseinander. Meist reagieren wir auf die übliche Weise – mit erneuten Versuchen der Unterdrückung. Krankheiten werden wegoperiert, mit Medikamenten unterdrückt oder mit starken Schmerzmitteln so weit bekämpft, dass man sie nicht mehr spürt. Bei psychischen Krankheiten wird ähnlich verfahren: Man bekommt Psychopharmaka. Viele, vor allem schulmedizinisch ausgerichtete Psychotherapien versuchen, Symptome lediglich loszuwerden, damit der Mensch wieder funktioniert und für das System zur Verfügung steht. Dieses Vorgehen rächt sich, wie wir immer wieder feststellen. In meiner Praxis und anhand der Berichte meiner Kursteilnehmer sehe ich Tag für Tag, dass schulmedizinische Medikamente und Therapiekonzepte immer weniger funktionieren. Vor allem bei Psychopharmaka stelle ich immer wieder fest, dass die Krankheitsbilder gegen medikamentöse Behandlung oft resistent sind und trotz häufiger Umstellung auf andere Mittel keine Besserung eintritt.
Um das Prinzip der Ganzheit und der Unterdrückung von Yin-Anteilen im psychotherapeutischen Bereich zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen nun ein Beispiel aus einem meiner Seminare für Familienstellen geben. Was Familienstellen ist, werde ich später ausführlich erklären. An dieser Stelle sei zur besseren Verständlichkeit nur gesagt: Beim Familienstellen versucht man mithilfe sogenannter Stellvertreter, die zum Beispiel Mutter, Vater oder Geschwister darstellen, Lösungen zu erarbeiten, indem sich die Stellvertreter im Raum bewegen und durch den Therapeuten geführt miteinander sprechen. Dabei ist das Faszinierende und Unerklärliche, dass sich diese Stellvertreter in die jeweiligen Personen einfühlen können und sich oft bis hin zu genauen Redewendungen wie die dargestellten Personen verhalten, obwohl sie diese noch nie gesehen haben. Stellvertreter können dabei nicht nur reale Personen, sondern auch Persönlichkeitsanteile von Klienten darstellen, wie im folgenden Fall zu sehen ist.
Monika* erzählt, dass sie seit etwa zehn Jahren unter Panikattacken und allgemeinen unbestimmten Angstgefühlen leidet. Am Anfang waren die Symptome sehr heftig. Sie hatte starke und häufige Anfälle und konnte in diesen Situationen nicht alleine sein. Ihre Eltern konnten mit der Situation nicht umgehen, und vor allem ihr Vater nimmt die Erkrankung bis heute nicht ernst. Medikamente sprachen überhaupt nicht an. Sie hat insgesamt sechs Jahre Psychotherapie hinter sich, hat ihre Kindheit analysiert und kann jetzt mit der Krankheit umgehen. Trotzdem kommt es immer wieder zu Panikattacken, und auch die unbestimmten Angstgefühle sind noch da. Monika hat genug davon. Die Angst soll endlich weggehen, sie will sie loswerden. Weder in ihrer Kindheit noch in ihrer Familiengeschichte lässt sich ein Erlebnis finden, das man als große Verletzung betrachten könnte. Das einzig Gravierende, das ihr einfällt, ist die Zeit, in der ihre Mutter sie austrug. Die Familie war gerade erst umgezogen, und die Mutter hatte in der Zeit der Schwangerschaft Angst und wohl auch Depressionen. Sie blieb meist zu Hause. Der Vater war durch seinen Beruf viel unterwegs und machte sich offenbar auch noch einen Spaß daraus, die Mutter zum Beispiel mit einer Dracula-Maske zu erschrecken. Er nahm auch ihre Ängste nicht ernst.
Nachdem ich erst eine klassische Familienaufstellung mit ihrer Mutter und ihrem Vater versucht hatte, sich daraus aber nichts ergab, brach ich die Arbeit ab. Aufarbeitung von Kindheitserlebnissen ist ein unerlässlicher Therapiebaustein und bei vielen Klienten ein wichtiger Schritt, der oft Heilung und Lösung bringt. Monika hat dies nun schon viele Jahre praktiziert, die Arbeit hat auch bis zu einem gewissen Grad Wirkung gezeigt, aber des Pudels Kern ist noch nicht zutage getreten. Wir haben in unserer Arbeit bei Klienten, die schon viel an sich gearbeitet haben, oft beobachtet, dass das ewige Wühlen und Aufdecken in der Vergangenheit irgendwann ein Ende hat und diese Stoßrichtung dann ausgereizt ist. So ist es anscheinend auch hier, sonst hätte sich bei der Familienaufstellung etwas gezeigt. Ich beschließe deshalb, mit dem Hier und Jetzt zu arbeiten, und lasse Monika für sich selbst stehen, während ich sie für ihre Angst einen Stellvertreter auswählen lasse.
Es zeigt sich sofort, dass die Angst Monika im Nacken sitzt, sie von hinten umklammert, dass Monika sich dauernd wehrt und sich zeitweise sogar losmachen kann. Aber die Angst ist hartnäckig und kommt immer wieder. Auf Nachfragen bestätigt Monika, dass dies genau ihre innere Situation darstellt. Exakt dieses Spiel spielt Monika seit ungefähr zehn Jahren. Um einen neuen Aspekt einzubringen, wähle ich für die Lösung (wie immer sie auch aussehen mag) einen Stellvertreter aus. Die Lösung stellt sich daraufhin zu Monika und nimmt sie bei der Hand. Die Angst betrachtet die neue Situation, löst sich von Monika und geht daraufhin auf die andere Seite des Stellvertreters, um dessen Hand zu ergreifen. Schon hier ist deutlich zu sehen, dass die Lösung eine Verbindung zwischen Monika und ihrer Angst darstellt. Aber Monika gefällt die neue Situation nicht. Sie versucht, die Lösung von der Angst zu trennen und mit der Lösung zusammen Abstand zu nehmen. Jetzt fängt das alte Spiel von Neuem an – mit dem Unterschied, dass die Lösung jetzt immer dabei ist. Nach einiger Zeit wird es Monika zu anstrengend. Sie trennt sich von der Lösung und lässt die Angst mit ihr alleine. Die Angst kuschelt sich an die Lösung, und die beiden fühlen sich sichtlich wohl miteinander.
Monika betrachtet das einige Zeit mit äußerstem Missfallen, geht dann auf die beiden zu, reißt die Lösung von der Angst weg und entfernt sich von der Angst. Hier greife ich ein. Auf Nachfragen ist sich Monika der Dynamik, die hier abläuft, durchaus bewusst. Ich frage sie deshalb, ob dieses Verhalten bis jetzt etwas gebracht hätte. Was könnte sie tun, um die Situation grundlegend zu verändern? Leise sagt sie: „Ich müsste die Angst zu mir kommen lassen, sie zulassen und nicht wieder weglaufen.“ Ich stelle ihr die Entscheidung frei, dies auszuprobieren, und sie stimmt dem Versuch zu. Die Angst nähert sich langsam und kommt Monika ganz nahe. Sie stehen sich gegenüber und sehen sich in die Augen. Die Angst wirkt eher wie ein schelmisches kleines Kind, das die ganze Zeit Streiche im Kopf hat. Monika ist sehr überrascht, dass sich die Angst gar nicht so schlecht anfühlt und auch gar nichts Schlimmes passiert. Ich schlage ihr also vor, sich ganz der Angst zu überlassen. Monika ist einverstanden und legt sich auf den Boden. Die Lösung und die Angst halten ihren Kopf und ihre Hände und wiegen sie leicht. In Monika kommt eine tiefe Traurigkeit auf, und ich bitte sie, diese Traurigkeit zu spüren und zuzulassen. Sie fängt bitterlich an zu weinen. In diesem Moment erinnerte ich mich, dass ihre Mutter während der Schwangerschaft wahrscheinlich ähnliche Ängste gehabt hatte. Ich habe die Vermutung, dass die Mutter für ihr ungeborenes Kind mental nicht richtig da sein konnte, weil sie so mit ihren eigenen Ängsten beschäftigt war. Wahrscheinlich hat Monika die Ängste ihrer Mutter übernommen und sie stellvertretend für sie erlebt. Sie versucht also, etwas für ihre Mutter zu tragen, das nicht zu ihr gehört, und hat damit schon vor ihrer Geburt begonnen. Wird jetzt die Angst zugelassen, zeigt sich dahinter die tiefe Traurigkeit des Kindes, das die Hilfe der Mutter braucht.
Ich hole eine Stellvertreterin für die Mutter dazu und lasse Monika sagen: „Bitte Mama, bitte Mama!“. Die Stellvertreterin der Mutter umarmt Monika, bei der sich nun die letzten Hemmungen lösen. Sie kann sich weinend in die Arme ihrer Mutter kuscheln und einfach nur sein. Nach einiger Zeit versiegen ihre Tränen, sie wird ruhiger und atmet tiefer. Ich lasse ihr noch ein wenig Zeit, damit dieses Gefühl weiter in ihr wirken kann, und befrage sie dann nach ihrem Befinden. Sie berichtet, dass in ihr nun eine tiefe Ruhe eingekehrt sei, die sie bis jetzt noch nie kennen lernen durfte. Diese Ruhe hielt den ganzen Seminartag an, und auch in einem Telefongespräch vier Wochen später erhielt ich die Rückmeldung, dass es ihr nach wie vor gut gehe.
An dieser Arbeit ist sehr gut zu sehen, wie stark wir uns oft gegen das Unterdrückte wehren. Doch häufig liegt genau darin die Lösung. In diesem Fall waren unter der starken Abwehr tiefe Trauer und Schmerz verborgen. Gerade das Erleben dieses so lange erduldeten Schmerzes mündete in Ruhe und innerem Frieden. Gefühle, die Monika so noch nicht erlebt hatte.
Wenn Sie das Kapitel über die Ganzheit gelesen haben, werden Sie jetzt vielleicht einwerfen: „Was würde denn passieren, wenn wirklich alle Menschen ihren negativen Gefühlen freien Lauf ließen? Die Welt würde in Krieg und Chaos versinken.“ Meine These geht in genau die entgegengesetzte Richtung. Die Welt versinkt in Krieg und Chaos, weil wir all diese so wichtigen Gefühle unterdrücken. Krieg ist meiner Meinung nur der chaotische und destruktive Ausdruck von lange angestauter Aggression, verbunden mit einer starken negativen Projektion auf das vermeintlich feindliche Volk. Die anderen sind schuld. Dass wir genau das in der Außenwelt bekämpfen, was wir im Inneren unterdrücken, wird dabei oft übersehen.
Ich verwende hier den Begriff der Projektion, den ich näher erklären möchte. Die Projektion funktioniert wie ein Projektor, der einen inneren Film auf eine äußere Wand wirft. Wir meinen, das Bild sei tatsächlich in der Außenwelt anzusiedeln und auch das Geschehen laufe dort ab, aber der eigentliche Film kommt vom Projektor selbst – es ist ein innerer Vorgang. Ebenso funktioniert das oft mit unseren Gefühlen. Bestimmte Menschen – die gar nichts Besonderes tun müssen – machen uns einfach wütend. Wir finden unmöglich, wie sie sich verhalten, was sie sagen und welche Einstellung sie zum Leben haben. Dabei können wir manchmal gar nicht recht sagen, weshalb wir gerade auf diesen Menschen so reagieren. Vielleicht könnte man in solchen Fällen folgende Grundregel aufstellen: Immer dann, wenn ich sehr stark auf das Verhalten eines Menschen reagiere, geht etwas in mir mit ihm in Resonanz. Er spricht etwas in mir an, und das reagiert. Meist sind es Dinge, mit denen ich mich selbst nicht auseinandersetzen mag.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, jemand hat einen sehr herrschsüchtigen, tyrannischen und willkürlichen Vater. Es ist davon auszugehen, dass das Kind eines solchen Mannes einige seelische Verletzungen davonträgt, die es sein Leben lang beeinflussen werden. Welche das sind, sei dahingestellt. Viel wichtiger für die Projektion ist die Reaktion des erwachsenen Kindes auf Leute, die sich benehmen wie der Vater. Es wird wohl eine Abneigung gegen alles entwickeln, was auch nur ansatzweise an Autorität, Macht und Aggressivität erinnert. Denn in seinem Geist ist gespeichert: „Ein solches Verhalten ist schlecht. Es verletzt andere (denn es hat mich verletzt). Ich muss alle bekämpfen, die sich so verhalten und darf mich auf keinen Fall selbst so verhalten, sonst tue ich anderen an, was mir selbst angetan wurde.“ Diese Gedankengänge sind jetzt natürlich rein hypothetisch, aber meiner Erfahrung nach läuft in vielen Menschen dieses Programm ab und führt dann zu einem übersteigerten Abwehrverhalten gegenüber den jeweiligen Verhaltensaspekten. Um beim Beispiel mit den Eltern zu bleiben: Es kann sich natürlich auch gegen jedes andere elterliche Verhalten ein solches Abwehrprogramm bilden. So können beispielsweise Entscheidungsschwäche, übertriebene Ordnungsliebe und Konfliktvermeidung das Thema der Abwehr sein.
Ein weiterer wichtiger Grund für die explosionsartige Entladung in einer Projektion, wie es zum Beispiel im Krieg geschieht, ist die Abwehr unterdrückter Gefühle. Denn genauso, wie ich die entsprechenden Eigenschaften im Außen ablehne, lehne ich sie natürlich auch bei mir selbst ab. Das bedeutet, dass ich nie herrschsüchtig, schwach, entscheidungsgehemmt oder aggressiv sein darf. Aber Ganzheit bedeutet, dass wir wirklich ganz sind. Das heißt, wir tragen alle Teile in uns – natürlich auch die für uns auf den ersten Blick negativen. Was aber passiert, wenn sich dieser Teil unserer Person im täglichen Leben bemerkbar macht? Oft gibt es Situationen, in denen es durchaus angemessen und richtig wäre, aggressiv, schwach und so weiter zu sein. Aber das ist nicht erlaubt. Also unterdrücke ich diese Dinge, und im Laufe der Zeit sammeln sich die Aggression, die Schwäche etc. in mir an, bis meine Seele es nicht mehr aushält. Ein Ventil muss her, und da haben wir eine beliebte Lösung zur Hand – die Projektion nach außen. Meine ganze Aggression richtet sich dann auf ein Außen, das all das Schlechte verkörpert, das wahrscheinlich auch in mir ist. In meiner Vorstellung war dieser Mensch, auf den ich projiziere, schon immer aggressiv und herrschsüchtig, aber jetzt reicht es mir, jetzt gehe ich gegen ihn vor. Plötzlich darf ich sogar selbst aggressiv sein, weil der andere ja so aggressiv ist. In der Projektion kann plötzlich alles sein, was vorher verboten war. Als Therapeut betrachte ich das als eine Möglichkeit für die Seele, einen Ausgleich herzustellen und das Weltbild gleichzeitig unangetastet zu lassen. Dieser Vorgang der Entladung ist sowohl in Zweierbeziehungen als auch bei Völkern, Vereinen und Religionen zu beobachten. Ein weiterer interessanter Effekt ist für mich als Projizierender, dass ich keine Verantwortung für mich übernehmen muss, denn schließlich ist der andere selbst schuld. Ich bin dann entweder das arme Opfer, dem andere immer etwas antun, oder der Perfekte, der nicht versteht, warum die anderen immer so viele Fehler machen müssen. Die Erklärungsmöglichkeiten gehen gegen unendlich, aber am Ende kommt dabei immer dasselbe heraus: Nicht ich, sondern die Außenwelt ist für das Geschehen verantwortlich. Damit ergibt sich auch eine Trennung der Außenwelt von den Prozessen, die in mir und um mich herum stattfinden. Überdies nehme ich mir die Möglichkeit, selbstständig Veränderungen herbeizuführen. Schließlich sind immer die anderen das Problem, nicht ich selbst.
3.1 Eigenerfahrung: Die Projektion und das Geld
Mir ging es vor vielen Jahren zu Beginn meiner Selbstständigkeit so, dass ich große geschäftliche Probleme hatte. Die Kosten stiegen unentwegt, und meine Praxis wollte einfach nicht so richtig in Gang kommen. Es reichte immer gerade so fürs Überleben. Auch bei mir waren aufgrund einiger Kindheitserlebnisse mehrere Überzeugungen gespeichert, die mir lange nicht bewusst waren. Einer dieser Sätze lautete: „Reiche und erfolgreiche Menschen sind egoistische, bornierte Arschlöcher.“ Ein ziemlich heftiger Satz, und wenn ich ihn heute betrachte, finde ich ihn zudem diskriminierend abwertend und aggressiv. Da ich gleichzeitig ein freundliches Wesen habe, verhielt ich mich gegenüber erfolgreichen Menschen daher immer zurückhaltend und vermied echten Kontakt. Aber im stillen Kämmerlein ärgerte ich mich über diese Menschen und darüber, wie gut sie sich verkaufen konnten und wie überbewertet ihre Fähigkeiten doch waren. Ich hielt sie eben einfach für egoistische und bornierte Arschlöcher. Ich dagegen war der Gute, der die wahren Werte vertrat und sich aus Herzensgüte für die Menschen einsetzte. Als eher freundlicher Mensch verzichtete ich also darauf, lauthals zu schimpfen und zu schmähen, aber innerlich tat ich das definitiv.
Da stand ich nun als Selbständiger, und um leben und eine Familie ernähren zu können, musste ich Geld verdienen und erfolgreich sein. Doch dann hätte ich meiner inneren Welt zufolge ebenfalls ein egoistisches und borniertes Arschloch werden müssen. Also machte ich einen Kompromiss: Ich verdiente gerade so viel, dass ich immer knapp an der Pleite vorbeischrammte und trotzdem irgendwie leben konnte. Aber diese Art zu leben kostete sehr viel Kraft und Anstrengung, und ich war die meiste Zeit unglücklich, weil ich mich ständig fragte, wie ich den nächsten Monat überstehen sollte. Doch nach einer Weile merkte ich, dass sich mein Konto, das immer bis zum äußersten Limit überzogen war, genau auf diesem Niveau einpendelte. Auf diese Weise zeigte sich der Kompromiss auch in der Außenwelt. Durch das überzogene Konto war ich zwar eindeutig arm, aber ich konnte andererseits auch leben, weil immer genug nachkam, um genau diesen Stand zu halten. Es war verblüffend, welche „Glücksfälle und Zufälle“ eintraten, um mir Geld für mein „Armutsniveau“ zukommen zu lassen.