'Eisen schaffen für das kämpfende Heer!' - Wolf-Ingo Seidelmann - E-Book

'Eisen schaffen für das kämpfende Heer!' E-Book

Wolf-Ingo Seidelmann

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Beschreibung

Kurz vor Kriegsbeginn einigten sich das Deutsche Reich und die fünf saarländischen Stahlwerke auf den Bau einer Eisenhütte auf der Baar und gründeten mit der Doggererz AG ein halbstaatliches Unternehmen, das bis 1940/41 mit über 1.600 Bergbau-Beschäftigten und einem Grundkapital von 40 Mio. RM zur größten Aktiengesellschaft in Südbaden heranwuchs. Vor dem Hintergrund des von Hitler und Göring Ende 1936 geschaffenen staatlichen Vierjahresplans zur Sicherstellung kriegsnotwendiger Ressourcen hatte das gemeinsame Rüstungs- und Autarkieprojekt nichts Geringeres im Sinn, als den Aufbau eines neuen deutschen Schwerindustriereviers im militärisch gesicherten Hinterland: „Eisen schaffen für das kämpfende Heer!“ – so der pathetisch-programmatische Aufruf des Vorstands der Doggererz AG vom Oktober 1939. Wolf-Ingo Seidelmanns Untersuchung der Doggererz AG mit Sitz im badischen Blumberg verfolgt die Entstehung und UmSetzung eines bisher kaum erforschten Rüstungsprojektes, analysiert das Verhältnis der saarländischen Montanindustrie zum NS-Staat und zeigt die Folgen dieser Zusammenarbeit auf: Die Gründung der Doggererz AG löste zahlreiche Aktivitäten des NS-Staats auf den Gebieten des Wohnungsbaus, der zwangsweisen Personalbeschaffung, der Energiewirtschaft und der Sozialpolitik aus. Der Frage der Verantwortlichkeit widmet sich der Autor in biographischen Skizzen der seinerzeitigen Handlungsträger in Unternehmen, staatlicher Bergverwaltung und auf kommunaler Seite.

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Gewidmet zwei Kriegsopfern:

meinem Schwiegervater Peter Paul Habicht,

gefallen am 11. Januar 1944 bei Ottleben

im Luftkampf mit alliierten Begleitjägern

und meinem Onkel Werner Kaiser,

vermisst seit dem 24. April 1945

in der Schlacht um Berlin

Zum Autor

Dr. Wolf-Ingo Seidelmann, Volkswirt und Historiker, war 1982-1985 Assistent am Lehrstuhl für Wirtschafts-, Sozial- und Agrargeschichte der Universität Hohenheim, anschließend in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung tätig, zuletzt Hauptgeschäftsführer einer deutschen IHK. Er verfasste zahlreiche Publikationen zur baden-württembergischen Verkehrs- und Wirtschaftsgeschichte, darunter über den geplanten Neckar-Donau-Kanal (1988) und über badische Eisenerzpolitik im 20. Jahrhundert.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Ein Hauptanklagepunkt im Rastatter Tribunal

Das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft

Forschungsobjekt und Quellenlage

Ein neues Lothringen auf der Baar?

Folgen des Versailler Vertrags

Badische Bergbaupolitik und fürstliches Vorbaurecht

Das Engagement der Gutehoffnungshütte in Gutmadingen

Die Grube Karl Egon als Rüstungsobjekt der frühen NS-Zeit

Von der Kündigung des deutsch-französischen Handelsvertrags zum Schlattmann-Plan

Autarkie als gescheitertes Geschäftsmodell (1933 – 1936)

Ausgangslage: Saarwerke im Umbruch

Das Neunkircher Eisenwerk

Die Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke in Völklingen

Die Arbeitsgemeinschaft Neunkirchen-Völklingen

Uneinige Partner und ein euphorischer Geschäftsführer

Finanzierungsprobleme

Der missglückte 13 Millionen-Coup

Das Blumberger Bergwerk

Fachpersonal- und Wohnraumengpässe

Überstürzter Betriebsaufbau ohne soziale Verantwortung

Managementfehler und Massenentlassung

Konsolidierung

Konfrontation mit Schlattmann

Röchlings Erfolg: die erzwungene Gemeinschaftsgründung der Doggererz-Bergbau GmbH

Die Baar als schwerindustrielles Entwicklungsgebiet des Vierjahresplans (1937 – 1938)

Das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe

Fördersteigerung auf Parteibefehl

Das staatliche Wohnungsbauprogramm

Gegenstand und Akteure

»Vollkommen versagt« – die erste Programmstufe

Verschärfung der Probleme – Baustufe II

Die Ablösung der Deutschen Arbeitsfront

Blumberg als städtebauliche Mustersiedlung des Vierjahresplans

Zunehmende Ressourcenengpässe – Baustufen III und IV

Versuche der Planerfüllung auf Unternehmensseite

Pleigers Machtwort in der Aufbereitungsfrage

Personalbeschaffung durch Zwangsrekrutierung

Positionskämpfe unter den Gesellschaftern

Forcierter Betriebsaufbau

Objekte der Macht

Leben und Arbeiten im Blumberger Exil

»Vollkommen entrechtet« – die Unterwerfung einer Region

Ignorierte Bergbaurechte des Fürsten zu Fürstenberg

Reichswerke und Baarerze

Röchlings Hüttenbaupläne bei Waldshut und Blumberg

Pleigers Stahlwerksprojekt bei Gutmadingen

Ein zeitgenössisches Resümee: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist abgelöst durch das nationalsozialistische«

Ein halbstaatlicher Rüstungsbetrieb entsteht (1939 – 1940)

Personelle Strukturen und Ziele staatlicher Eisenpolitik für die Saar

Strategien zur Kostenbegrenzung auf Unternehmensseite

Das Memorandum der Saarhütten

Die Intervention der rheinisch-westfälischen Montanindustrie

Das Hüttenwerks-Projekt – Staatsdiktat oder Pakt?

Der Interessenausgleich zwischen Staat und Privatwirtschaft

Otto Wolff als Verhandlungsführer

Die »Poensgen-Kommission«

Die Verhandlungen zwischen dem Reich und den Saarwerken

Personelle Absprachen unter Exklusivpartnern

»Kanapee-Fragen«: die Gründung der Doggererz AG

Mühsame Umsetzung des Hüttenwerks-Projekts

Die Technische Kommission – Röchlings Planungsinstrument und Wolffs Widerpart

Widerstand des Agrarsektors in Baden

Die Kokereifrage: Techniker gegen Kaufleute

Das Ringen um Projektkontinuität nach Kriegsbeginn

Der Baubeschluss

Interne und externe Friktionen bei der Realisierung

Bergbaustandort Blumberg

Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Retardierte

Produktion und Betriebsausbau

Gefährliche Abbautechnik: die Tragödie von Karfreitag 1940

Anhaltende Infrastrukturdefizite …

… und städtebauliche Größenphantasien

Das Doggererz in einer künftigen NS-Friedensordnung

Nach dem Sieg im Westen: Neuorientierung oder Projektabbruch?

Ein Vierjahresplan-Vorhaben ohne rüstungs- und rohstoffpolitischen Auftrag

Konträre Problemlösungsansätze der DAG-Spitzenfunktionäre

Notdürftig überbrückte Gegensätze: die Beschlüsse der Saarwerke vom Juli 1940

Projektfortsetzung: der faule Kompromiss vom Dezember 1940

Initiativen zur Deckung der Kostendefizite

Der Vorstoß des RWM und der Wolff-Gruppe für ein Erzpreissyndikat

Das Gegenkonzept der Ruhr: ein Gemeinschaftswerk für den nächsten Krieg

Krauchs Sieg: die Wiederentdeckung des Wirtschaftlichkeitsprinzips

Das Einknicken der Saarwerke: Standortwechsel an den Rhein

Der energiewirtschaftliche Beitrag der DAG für die Rüstungswirtschaft

Der südwestdeutsche Gasmarkt: Entwicklung, Strukturen, Protagonisten

Zwangsverweis der württembergischen Städte auf das DAG-Kokereigas

Desinteresse bei den badischen Kommunen

Die Gründung der Südwestdeutschen Ferngas AG

Vom Produktionsbetrieb zum Filetstück (1941 – 1983)

Der Kampf um Kohle und Kumpel

Röchlings Betriebsschließungsforderung

Funks Lavieren: Fördereinschränkung und ein theoretischer Kokereibau

Bornitz’ Rationalisierungsprogramm – ein vergeblicher Rettungsversuch

Speers Stilllegungsbefehl

Unternehmensabwicklung im Krieg

Die Einstellung des Bergbaus

Das Ende des Kehler Kraftwerksprojekts – Wittkes Rückzug

Die Nachnutzung der Blumberger Betriebsanlagen

Eselstritte – Diffamierungen des DAG-Vorstands durch die örtliche Partei

Hüttenbauphantasien im totalen Krieg

Beuteobjekt in der Besatzungszeit

Die Machtfrage unter den Gesellschaftern

Demontagen

Substanzerhaltung – die Niederlage des BLKV

Immobiliengesellschaft im Wirtschaftswunder

Konsolidierung

Die Entsorgung der Altlasten

Stille Liquidation

Zusammenfassung

Veränderungen der Machtbalance zwischen NS-Staat und Montanbetrieben

Die Verantwortung der Wirtschaft

Zur Rationalität des Projekts

Die Verantwortlichen

Das Management der DBG und der DAG

Gesellschafter und Aufsichtsrat

Geschäftsführung und Vorstand

Leitende Angestellte

Die staatliche Bergverwaltung …

… in Baden

… in Berlin

Blumberg – die kommunale Seite

Anhang: Tabellen, Pläne und Verzeichnisse

Werksanlagen in Blumberg

Kennziffern

Staatliche Fördervorgaben und ihre Entstehung

Betriebskennziffern der DBG/ DAG

Das Wohnungsbauprogramm

Gehaltsstruktur der DBG/ DAG

Quellen und Literatur

Archivalien

Mündliche und schriftliche Auskünfte

Unveröffentlichte Manuskripte

Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

Zeitungen, Periodika und elektronische Medien

Sekundärliteratur

Verzeichnisse und Register

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Personenverzeichnis

Vorwort

Die nachfolgende Darstellung basiert zum größten Teil auf Akten aus staatlichen und privaten Archiven. Auskünfte von Zeitzeugen und deren Nachfahren, die Fotografien beitrugen oder abgebildete Personen identifizieren konnten, bildeten eine weitere Erkenntnisquelle. Diesen Menschen und Institutionen, die ich im Quellenverzeichnis benannt habe, möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank bekunden. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich dem im Mai 2014 verstorbenen Archivar der Stadt Donaueschingen, Dr. Raimund Adamczyk, der meine Forschungen mit einer außergewöhnlichen Hilfsbereitschaft begleitet hat. Auch Herrn Bernhard Prillwitz, dem personifizierten Gedächtnis der Stadt Blumberg, bin ich für zahlreiche Auskünfte, für die Vermittlung von Kontakten zu Zeitzeugen und für die Bereitstellung einer großen Zahl von Fotografien sehr dankbar. Frau Dr. Astrid Gehrig danke ich für die Ausführung eines Rechercheauftrags im Centre des Archives diplomatiques La Courneuve. Der Otto Wolff Stiftung und der Stadt Blumberg danke ich für die Gewährung von großzügigen Druckkostenzuschüssen, die es möglich machten, meine Arbeit als Buch zu veröffentlichen. Auch der Schwarzwald-Baar-Kreis und der Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar e.V. leisteten wertvolle finanzielle Beiträge, für die ich sehr dankbar bin. Danken möchte ich auch der Lektorin des UVK-Verlags, Frau Uta C. Preimesser, für die außerordentlich angenehme Zusammenarbeit. In großer Schuld stehe ich bei meiner Frau Sigrid, die meine 4½jährige Abstinenz von den Erfordernissen des täglichen Lebens nicht nur mit großer Geduld ertragen hat, sondern mir bei der Auswertung von Archivalien und beim Korrekturlesen nachhaltig zur Seite stand. Ihr gilt mein tief empfundener Dank.

Rödental, im Herbst 2015 Wolf-Ingo Seidelmann

I. Einleitung

1. Ein Hauptanklagepunkt im Rastatter Tribunal

Die Frage nach der unternehmerischen Freiheit im Dritten Reich wird in der Geschichtswissenschaft seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert1. Ihre Brisanz bezieht sie vor allem daraus, dass jede gegebene Antwort auch ein Urteil über die moralische Mitverantwortung der Wirtschaft für die Verbrechen und für die Niedertracht des Nationalsozialismus enthält. Das Thema stand und steht nicht nur im Fokus einer engagiert geführten Wissenschaftsdebatte: Wenige Jahre nach dem Krieg wurden auch die strafrechtlichen Konsequenzen für einige Industrielle aus der chemischen und aus der Schwerindustrie vor den alliierten Schwurgerichten verhandelt. Hier ging es nicht um Moral, sondern um Schuld. In einem dieser Prozesse spielte das hier behandelte Doggererz-Projekt eine wesentliche Rolle: Im Rastatter Kriegsverbrecherprozess gegen das Management der Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke diente es der Staatsanwaltschaft als Begründung für einen von drei Hauptanklagepunkten. Der Vorwurf lautete auf »Verbrechen gegen den Frieden«2. Dem langjährigen Leiter und Mitgesellschafter des Völklinger Stahlkonzerns, Dr. h.c. Hermann Röchling, und seinen führenden Mitarbeitern wurde zum Vorwurf gemacht, ihr Engagement für den Eisenerzabbau auf der badischen Baar habe der Vorbereitung und der Führung nationalsozialistischer Angriffskriege gedient.

Inhaltlich ging es um einen Komplex, dessen militärischer Zweck kaum zu leugnen ist. Der staatliche Vierjahresplan, von Hitler und Göring Ende 1936 als Instrument zur Sicherstellung der benötigten Ressourcen für einen kommenden Krieg geschaffen, wies in seiner ersten Fassung vom Januar 1937 für das badische Bergbaurevier fast die Hälfte aller reichsweit veranschlagten Mittel aus, die in den Ausbau von Eisenerzgruben und in die Errichtung großer Aufbereitungsanlagen gesteckt werden sollten3. Zwei Jahre später einigten sich das Deutsche Reich und die fünf saarländischen Stahlwerke auf den Bau einer 100 Mio. RM teuren Eisenhütte auf der Baar und gründeten die Doggererz AG, ein halbstaatliches Unternehmen, das bis 1940 mit über 1.600 Bergbau-Beschäftigten zur größten Aktiengesellschaft in Südbaden heranwuchs und zahlreiche Zwangsarbeiter aus Polen beschäftigte. Das gemeinsame Rüstungs- und Autarkieprojekt der saarländischen Montanindustrie mit dem NS-Staat hatte nichts Geringeres im Sinn, als den Aufbau eines neuen deutschen Schwerindustriereviers im militärisch gesicherten Hinterland: »Eisen schaffen für das kämpfende Heer!«4 Dieser pathetisch-programmatische Aufruf des Vorstands der Doggererz AG vom Oktober 1939, der diesem Buch seinen Titel gab, steht für das Selbstverständnis der damaligen Protagonisten.

Die Beweislage im Rastatter Prozess war ausgesprochen dünn. Im Laufe der Hauptverhandlung zog die Staatsanwaltschaft den Anklagepunkt eines »Verbrechens gegen den Frieden« gegenüber dem Röchling-Management zurück und lastete ihn nur noch dem 75jährigen Firmenpatriarchen an. Letzterer verteidigte sich damit, dass seine Teilnahme an mehreren geheimen Konferenzen, die Göring über den Einsatz eisenarmer Inlandserze abgehalten hatte, keineswegs ausschließlich der Aufrüstung gedient habe, sondern dass von Göring und von ihm selbst auch die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung des Reichs beabsichtigt gewesen sei. Beide Instanzen des Rastatter Tribunals folgten der Argumentation und sprachen Röchling in diesem Punkt frei. Insbesondere müsse, so meinten die Richter der Revisionsinstanz, die von Röchling »vorgeschlagene Verwertung armer Erze, die durch wirtschaftliche Bedürfnisse gerechtfertigt sein kann, keineswegs, selbst in rüstungswirtschaftlicher Hinsicht, zwangsläufig den Ausbruch von Angriffskriegen zur Folge haben«5.

Die Urteilsbegründung legt einige Themen dieser Untersuchung frei: Gab es wirklich, so ist zu fragen, diesen zivilen Aspekt des Autarkieprojekts auf der Baar? Entsprang er, wenn dem so gewesen sein sollte, eher den strukturpolitischen Zielen des NS-Staats oder mehr der betriebswirtschaftlichen Interessenlage der beteiligten Montankonzerne, die ihre Zukunft durch eine strategische Investition an einem neuen Standort zu sichern gedachten? Oder war es ein reines Militärprojekt, an dem die Stahlindustrie verdienen wollte? Durfte und konnte sie zu Recht davon ausgehen, dass es sich um ein »normales« Rüstungsvorhaben handelte – und nicht um die gezielte Vorbereitung eines Angriffskriegs? Erfolgte das Engagement der Firmen letztlich freiwillig oder unter Zwang?

2. Das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft

In seiner 1964 vorgelegten Dissertation über die »Autarkiepolitik im Dritten Reich« erkannte Dietmar Petzina im nationalsozialistischen Vierjahresplan eine Zäsur zur bislang herrschenden liberalen Marktordnung und erhob ihn zu »einem besonders wichtigen Modellbeispiel nicht nur staatlicher Kommandowirtschaft, sondern auch enger Zusammenarbeit von Staat und Großwirtschaft«6. Die aus dem symbiotischen Verhältnis zwischen IG-Farben und Staat abgeleitete These von einer »privaten Durchdringung der Wirtschaftspolitik« und »deren ›Privatisierung‹ zugunsten großer Monopolgruppen«7 ließ sich in dieser Pauschalität nicht halten. Communis opinio blieb jedoch Petzinas Erkenntnis, dass die Industrie weder »unschuldig noch hauptverantwortlich« gewesen sei und dass es »letztlich politische Vorgaben waren, nach denen sich die Wirtschaft und die Unternehmen richten mußten«8. So stellte drei Jahrzehnte nach Petzinas Publikation Henry A. Turner in einem Symposium über »Unternehmer und Unternehmen im Nationalsozialismus« fest, es

»überwiegt heute die Ansicht, daß im Verhältnis zwischen Unternehmertum und Nationalsozialismus ein weitgehender Primat der Politik geherrscht hat. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Unternehmer ohne Einfluß waren, sondern daß die entscheidenden Impulse vom politischen Bereich, nicht von der Seite der Wirtschaft ausgingen. […] Staatliche Kontrollen über den Zugang zu Rohstoffen, über Einfuhr, Ausfuhr und Devisen, sogar über die Verwendung von Profiten, engten die Entscheidung der Unternehmer ein. Unwiderstehliche finanzielle Anreize lenkten Investitionen und Produktion in Richtungen, die vom Regime bestimmt wurden, die jedoch gegen die Eigeninteressen von vielen Unternehmen gingen. Als mit dem zweiten Vierjahresplan die Aufrüstung auf volle Touren kam, fand sich mancher Unternehmer von Seiten der Behörden unter Druck gesetzt, wirtschaftliche Rationalität im Interesse der politischen Ziele des Regimes zu opfern. Und wie die Einschüchterung der Eisen- und Stahlindustriellen bei der Gründung der Reichswerke Hermann Göring zeigte, war das Regime durchaus dazu fähig, mächtige konkurrierende Unternehmen eigener Prägung auf Kosten der Privatwirtschaft aus dem Boden zu stampfen, wenn Unternehmer nicht bereit waren, sich dem Willen der Machthaber zu beugen«9.

Die Frage, welchen Spielraum die Wirtschaft innerhalb der ihr von der Politik zugewiesenen Grenzen hatte und wie sie diesen nutzte, blieb aber umstritten. Bereits 1985 hatte Gerhard Mollin in seiner Arbeit über die Vereinigten Stahlwerke behauptet, Göring habe sich 1937 durch den Vierjahresplan eine Kontrollposition verschafft, »die einer ökonomischen Machtergreifung und ›Wirtschaftsdiktatur‹ nahekam. Unter dem Druck dieser Befehlswirtschaft, die interventionspolitisch, wirtschaftsrechtlich und staatswissenschaftlich einen Bruch in der modernen deutschen Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte bedeutete, veränderte sich die deutsche Montanindustrie grundlegend«10. 18 Jahre später stellte Michael von Prollius die These auf, der Nationalsozialismus sei in weiten Teilen »eine Bedarfs- und Befehlswirtschaft« gewesen, die »lediglich die Hülle des Privateigentums als nahezu letztem marktwirtschaftlichen Element übrig ließ«11. Die Machtlosigkeit der Wirtschaft betonen auch Diehl12, Hayes und Tooze13. Letztere räumen immerhin ein, dass nicht nur der Druck des Staats, sondern auch dessen ökonomische Anreize für unternehmerische Entscheidungen ursächlich gewesen seien14.

Eine konträre Position zu den Auffassungen Mollins, Prollius’ oder Diehls nehmen Buchheim und Scherner ein, die 2003 ihre »Anmerkungen zum Wirtschaftssystem des ›Dritten Reichs‹« vorlegten. Beide machen die Begriffe des Privateigentums und der Vertragsfreiheit zum Lackmustest für den Charakter des nationalsozialistischen Wirtschaftssystems: »Gibt es sie, dann sind Unternehmen zu autonomen Produktionsentscheidungen gemäß ihres Ziels der Gewinnmaximierung fähig und es existiert eine Marktwirtschaft«15. Das Prinzip der Vertragsfreiheit schließe notwendigerweise auch die Freiheit ein, keinen Vertrag zu schließen, was man auch negative Vertragsfreiheit nennen könne. Anhand dieser Kriterien, so die Autoren, müsse untersucht werden, »inwieweit in der Wirtschaft des ›Dritten Reichs‹ die Vertragsfreiheit gewährleistet war, und zwar auch und vor allem im Verhältnis der Unternehmen zum Staat. In diesem Zusammenhang muß dann ebenfalls analysiert werden, ob die Gewährleistung des Privateigentums an den Produktionsmitteln tatsächlich davon abhängig war, daß die Unternehmen den Anforderungen des Staates stets Priorität einräumten und somit gegebenenfalls ihre eigenen Ziele unterordneten«16.

Buchheim und Scherner hoben hervor, dass die Analyse der Investitionsentscheidungen zur Beantwortung der Frage nach dem Charakter des Wirtschaftssystems ganz besonders wichtig sei, denn ein wesentlicher Unterschied zwischen einer vom Staat dominierten Wirtschaft und einer Marktwirtschaft liege darin, ob über Investitionen letztlich zentral durch die Politik oder dezentral durch autonome Unternehmen bestimmt werde und nach welchen Kriterien dies geschehe. Die Autoren räumten zwar die Existenz selektiver Investitionskontrollen durch den NS-Staat ein, machten diesbezüglich aber geltend, dass derartige Maßnahmen das gewinnorientierte Handeln der Firmen keineswegs aufgehoben hätten und das Machtverhältnis zwischen Staat und Wirtschaft daher nicht grundsätzlich verschoben worden sei. Weiter heißt es:

»Dagegen wäre eine Situation, mit direkten staatlichen Anweisungen an die Unternehmen, bestimmte Investitionen vorzunehmen, ganz anders zu beurteilen. Dadurch würde nämlich die (negative) Vertragsfreiheit aufgehoben, das ökonomische Rationalitätskalkül autonom und gewinnorientiert agierender Unternehmen wäre nicht nur beschränkt, sondern beseitigt. Es gäbe in einem für die Gestaltung der Zukunft der Unternehmen enorm wichtigen Bereich keine privaten Verfügungsrechte mehr. In diesem Fall könnte man daher auch nicht mehr von Marktwirtschaft sprechen. […] Demnach ist im folgenden zu fragen, ob es im ›Dritten Reich‹ einen Investitionszwang gegeben hat«17.

In ihrer Antwort strichen Buchheim und Scherner heraus, dass die Investitionen der Ersatzstof- und Rüstungsbranchen größtenteils auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Staat und der Wirtschaft beruht hätten und von unternehmensindividueller Gewinnmaximierung gekennzeichnet gewesen seien. Dagegen habe der Staat Zwangsmittel, »denen er eigentlich […] prinzipiell ablehnend gegenüberstand«, nur extrem selten ergriffen. Insofern sei es weder richtig, »daß die Respektierung des Privateigentums an den Produktionsmitteln generell unter dem Vorbehalt unternehmerischer Willfährigkeit gegenüber den Wünschen des Staates stand, noch kann man sagen, was häufig geschieht, daß lediglich die Hülle des Privateigentums erhalten geblieben ist. Vielmehr wurden die Verfügungsrechte der Industrieunternehmen bezüglich ihrer Produktions-, vor allem aber auch bezüglich ihrer Investitionsentscheidungen vom Regime offensichtlich weitgehend respektiert«18.

Im Jahre 2004 legte Claus-Martin Gaul eine Analyse des industriellen Investitionsverhaltens zwischen 1933 und 1939 vor. Er gelangte zu dem Schluss, dass der Staat das Privateigentum der Unternehmer grundsätzlich geachtet habe und somit ein zentraler Baustein der »bürgerlichen Ordnung« aus der Zeit vor 1933 erhalten geblieben sei. Die Firmen hätten weiterhin Gewinnmaximierung betrieben, allerdings seien die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen vom Staat derart verändert worden, dass »gewinnmaximierendes Verhalten in der Zeit ab 1933 zunehmend [bedeutete], die staatlichen Stellen für die eigenen Vorhaben zu beeinflussen«19. Die Initiative für die Investitionsentscheidung habe in der Regel beim Unternehmer gelegen, dessen Verhalten vom Staat über die Beeinflussung von Preisen, Löhnen, Zinsen oder Gewinnen, also auf indirekte Weise, gelenkt worden sei. Bei Großprojekten dagegen »ging die Initiative zur Investition zunehmend vom Staat aus und direkte Investitionssteuerungsmaßnahmen gaben für das Zustandekommen eines Projekts den Ausschlag«20. Jedoch sei die Anwendung von Zwangsmaßnahmen im engeren Sinne hier die Ausnahme geblieben.

2006 bekräftigte Buchheim nochmals seine These, dass die wachsende staatliche Regulierung keinen Zwang ausgeübt, sondern nur bestimmte Entscheidungsoptionen für die Unternehmen unattraktiv gemacht habe. Unter Wahrung der Prinzipien von Vertragsfreiheit und Rechtssicherheit seien vom Staat lediglich einige Handlungsmöglichkeiten privilegiert oder erst etabliert worden. Selbst die 1937 erfolgte Enteignung der Salzgitter-Erze zugunsten der Reichswerke Hermann Göring, von der Wissenschaft bislang stets als Niederlage der Ruhrwerke gewertet, war aus Buchheims Sicht »eher ein Sieg, weil das Regime es gerade nicht vermochte, die Privatindustrie hierzu [zur Ausbeutung der Erze, WIS] zu bewegen«21. 2010 zog Ziegler aus dieser Argumentation den Schluss, dass »der vermeintliche Bruch zwischen der Ära Hjalmar Schacht und der Ära des Vierjahresplans gar nicht so dramatisch zu sein«22 scheine.

3. Forschungsobjekt und Quellenlage

Ob nun Prollius und Diehl oder eher Buchheim und Scherner die Geschichte treffender beschreiben, entscheidet sich am konkreten Objekt, den Unternehmen, Branchen und Wirtschaftssektoren. Über sie wurde in den letzten 20 Jahren eine Reihe von Untersuchungen23 erstellt. Aus ihnen ergab sich für Ralf Banken 2005 »ein differenziertes Bild. Es bestätigte sich weder die früher behauptete Zwangs- oder Befehlswirtschaft noch der Eindruck uneingeschränkter Handlungsoptionen der Unternehmen oder sogar deren Möglichkeit, die grundsätzliche Politik des Regimes entscheidend zu beeinflussen. Vielmehr war stets ein gewisser Grad der Autonomie für unternehmerisches Handeln gegeben – und die Unternehmen versuchten diesen immer zu erweitern oder zumindest zu erhalten«24. Ob das bei dem eingangs geschilderten Rüstungsprojekt der saarländischen Stahlindustrie und des Deutschen Reichs zutraf und in welchem Maße dies gelang, soll im Folgenden untersucht werden. Dabei stellt die von Buchheim und Scherner genannte »negative Vertragsfreiheit« ein wichtiges Beurteilungskriterium dar. Die zu erwartenden Ergebnisse können sicher nicht generalisiert werden, dürften aber einen argumentativen Baustein zu einer noch längst nicht abgeschlossenen Debatte beitragen.

Untersuchungsgegenstand ist ein Projekt, das sich über nahezu alle Phasen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik hinzog. Getragen wurde es von den im Saarland ansässigen Betrieben der eisenschaffenden »Monopolindustrie«, die keinem Vergleich mit den mächtigen Ruhrhüttenwerken standhielten, was an ihren mittelständischen Betriebsstrukturen und großen Rationalisierungsrückstanden lag, aber auch externen Ursachen geschuldet war, wozu die periphere geografische Lage, die schlechte Qualität des Saarkokses und nicht zuletzt die seit 1919 erfolgten Umbrüche und Grenzkorrekturen gehörten25. Dies bedeutete jedoch nicht, dass ihre Repräsentanten einflusslos waren. So erfreute sich Hermann Röchling der Gunst Adolf Hitlers und stieg bis zum Leiter der Reichsvereinigung Eisen auf. Otto Wolff, der Hauptaktionär des Neunkircher Eisenwerks, war einer der Mitbegründer der Vereinigten Stahlwerke und pflegte enge Kontakte zu Heinrich Brüning und Kurt von Schleicher. Der NS-Ideologie stand er fern26. Den Kurs seiner in der Weltwirtschaftskrise konkursreif gewordenen Unternehmensgruppe bestimmte er allerdings nicht mehr völlig allein: Wesentliche Entscheidungen traf nach erfolgter Sanierung auch Rudolf Siedersleben27, der 1934 vom Reichswirtschaftsministerium als Generalbevollmächtigter ausgesucht worden war. Dieser verfügte über ausgezeichnete Kontakte zu den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern im Dritten Reich.

Weitere Mitwirkende aus dem Bereich der privaten Hüttenindustrie gibt es in großer Zahl, doch bleiben diese in ihren Einflussmöglichkeiten hinter den drei genannten Persönlichkeiten zurück. So unterlag das Neunkircher Management den Weisungen Wolffs und Siederslebens aus Köln; die Direktoren der Burbacher, Dillinger und Halbergerhütte folgten den Vorgaben ihrer Mehrheitsgesellschafter in Frankreich und Luxemburg. Den regionalen Parteiinstanzen war das Wirken ausländischer Hüttendirektoren in ihrem Machtbereich zwar ein Dorn im Auge, doch sagte der Eisenindustrielle und Politiker Ludwig Noé nach dem Zweiten Weltkrieg aus,

»dass die Politik dort in ihrem Aufbau langsam und vorsichtig vorwärts ging, vor allem in der sogenannten Gleichschaltung der Schwerindustrie. Sie wusste genau, dass diese Industrie vollständig abhing von der französischen Minette und der Bereitwilligkeit der Franzosen, die Saarhütten weiter mit Erz zu beliefern. Aus dieser Erkenntnis heraus liess der Gauleiter Bürckel die massgebenden Posten in den Saarhütten in den Händen von Ausländern […] und einigen Deutschen, die nicht zur Partei gehörten. […] Die Partei erfasste die Hüttenbetriebe und auch die übrige Industrie von unten herauf, vor allem durch die Betriebsobmänner, Vertrauensräte, Meister, mittlere Angestellte usw.«28

Dennoch räumten im Saarland zwischen 1937 und 1939 drei Generaldirektoren mit ausländischer Staatsbürgerschaft ihre Posten und wurden durch Deutsche ersetzt. Mindestens im Falle der Dillinger Hütte, wo Wilhelm Wittke 1937 den Vorstandsvorsitz übernahm, scheint auch Druck durch die Deutsche Arbeitsfront im Spiel gewesen zu sein29. Wittke, der der NSDAP wahrscheinlich nicht angehörte, sollte dann ab 1940 die vierte bedeutende Figur auf Seiten der Saarindustrie bei diesem Projekt werden. Sein Einfluss blieb aber hinter dem von Röchling, Wolff oder Siedersleben zurück.

Wesentliche Erkenntnisse über beteiligte Unternehmen und Personen entstammen den akribisch geführten Akten Siederslebens, die im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv lagern. Sie liefern den Schlüssel zu Vorgängen, die sich auch in den Unterlagen anderer Protagonisten niederschlugen, aber nur einen Blick auf die Oberfläche des Gesamtkomplexes freigeben. Es versteht sich von selbst, dass die zeitgenössischen Kommentierungen subjektiv sind. Da sie kein durchweg günstiges Bild von Hermann Röchling entwerfen, wäre es wünschenswert gewesen, wenn auch die individuelle Sicht des Kommerzienrats hätte berücksichtigt werden können. Leider gelang das nur begrenzt. Die Gründe bestehen einerseits darin, dass große Teile von Röchlings Korrespondenz mit Hitler, Todt, Goebbels und Göring kurz vor dem Eintreffen der Alliierten vernichtet worden sind30. Die restlichen Unterlagen verblieben nach dem Ausstieg der Familie Röchling aus der Stahlproduktion teils im Völklinger Werk, teils gelangten sie in das Mannheimer Familienarchiv. Soweit sie sich heute im Besitz der Saarstahl AG befinden, konnten sie eingesehen und ausgewertet werden. Als unzugänglich erwiesen sich dagegen die Bestände des Familienarchivs. Akten, deren Übergabe an das Familienarchiv werksseitig penibel protokolliert worden war, blieben in Mannheim leider unauffindbar. Demgemäß steht die hier vorgelegte Untersuchung diesbezüglich unter Forschungsvorbehalt.

Auskunft über Strategien und Entscheidungsprozesse auf staatlicher Seite liefern vor allem die im Bundesarchiv Berlin verwahrten Akten des Reichsfinanzministeriums, das sich darum bemühte, den Reichshaushalt vor den Lasten eines Projekts zu bewahren, das vom Reichswirtschaftsministerium (RWM) favorisiert wurde. Da die einschlägigen Unterlagen des RWM verloren gingen, fehlen Quellen über behördeninterne Entscheidungsabläufe und über die Einflussnahme der Partei auf die Spitze der Ministerialbürokratie. Ausnahmen bilden die Vorakten des Reichsamts für Wirtschaftsausbau für den Zeitraum 1936/37 und der Bestand »Reichsstelle für Raumordnung«. Letzterer legt im Zusammenhang mit der Standortwahl für das Hüttenwerk um 1940/41 den Blick auf eine zur Selbstblockade neigende polykratische Herrschaftsstruktur frei. Immerhin können die Unterlagen Siederslebens und der im Stadtarchiv Neunkirchen archivierte Bestand »Neunkircher Eisenwerk« in einigen Fällen die bestehenden Lücken in der staatlichen Überlieferung überbrücken.

Die Sicht des Managements der Doggererz-Bergbau GmbH bzw. der Doggererz AG lässt sich unter anderem aus den im Staatsarchiv Freiburg verwahrten Unternehmensakten erschließen. Dort lagern auch die südbadischen Spruchkammerakten, denen sich wertvolle Hinweise zu den Biografien vieler Beteiligter entnehmen ließen. Aufschluss über die Rolle der badischen Landes- und Bergbehörden erteilten die Bestände des Staatarchivs Freiburg, der Landesbergdirektion Baden-Württemberg in Freiburg und des Generallandesarchivs Karlsruhe. In Letzterem lagern auch die Akten des auf den Vierjahresplan zurückgehenden Arbeiterwohnungsbaus auf der Baar. Für die Erschließung der Vorgänge im kommunal- und sozialpolitischen Bereich standen die Archive der Stadt Blumberg und des Erzbischöflichen Ordinariats in Freiburg zur Verfügung.

Die nachfolgenden Seiten beinhalten nicht nur die Firmengeschichte der Doggererz-Bergbau GmbH und der Doggererz AG. Zu den wichtigsten Untersuchungszielen gehört es, die Auseinandersetzungen zwischen den Saarwerken unter dem Druck der staatlichen Autarkiepolitik nachzuvollziehen und Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Handlungsspielräume die Akteure gegenüber den nationalsozialistischen Instanzen besaßen und wie sie diese nutzten. Der Blick reicht aber weiter: Der Erzabbau auf der Baar löste ja umfangreiche Aktivitäten des NS-Staats auf den Gebieten des Wohnungsbaus, der zwangsweisen Personalbeschaffung, der Energiewirtschaft, der Sozialpolitik und der städtebaulichen Planung aus. Auch diese Vorgänge werden hier untersucht. So ergibt sich in der Gesamtbetrachtung ein Bild, mit wieviel Rationalität und mit welchem Erfolg Vierjahresplan-Vorhaben vom NS-Staat konzipiert und umgesetzt wurden. Das Experimentierfeld dafür befand sich in Südbaden. Insofern hat die Arbeit auch einen regionalhistorischen Ansatz.

1 Einen Überblick über die wissenschaftliche Diskussion seit den 1930er Jahren gibt Plumpe, Zwischenbilanz.

2 Denkschrift der Staatsanwaltschaft v. 30.9.1948 zur Begründung ihres Revisionsantrags im Verfahren gegen Hermann Röchling und sein Management, StAF T 1-33.

3 Siehe Kap. IV Anm. 10.

4 Vorwort einer am 30. Oktober 1939 der badischen Regierung übergebenen Denkschrift des Blumberger Bergwerksdirektors Dr. Hans Bornitz, LGRB 10 A/109.

5 Revisionsurteil des Obersten Gerichts v. 25.1.1949, StAF T 1-41.

6 Petzina, Autarkiepolitik, S. 197.

7 Ebenda.

8 Plumpe, Unternehmen im Nationalsozialismus, S. 264.

9 So Turner in der 20. Vortragsveranstaltung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, die am 20. und 21. Juni 1997 in Frankfurt am Main stattfand. Turner, Unter dem Hakenkreuz, S. 16 und 19.

10 Mollin, Montankonzerne, S. 276.

11 Prollius, Wirtschaftssystem, S. 230.

12 Diehl, Marktwirtschaft, S. 179 spricht von einer »Zentralplanwirtschaft«.

13 Hayes, Degussa und Tooze, Ökonomie.

14 Ziegler, Verhängnisvolle Planwirtschaft, S. 253.

15 Buchheim/Scherner, Anmerkungen, S. 85.

16 Ebenda, S. 86.

17 Ebenda S. 89.

18 Ebenda S. 97.

19 Gaul, Anlageinvestitionen, S. 427.

20 Ebenda S. 431.

21 Buchheim, Unternehmen, S. 367.

22 Ziegler, Verhängnisvolle Planwirtschaft, S. 254.

23 Besonders verwiesen sei auf die Arbeiten und auf den Anmerkungsapparat von Gehrig (Rüstungspolitik), Bräutigam (Mittelständische Unternehmen), Gaul (Anlageinvestitionen), Hensler (Stahlkontingentierung) und Scherner (Logik). Weitere Verweise bei Plumpe, Unternehmen im Nationalsozialismus, S. 252 f.

24 Banken, Boom, S. 194. Dort weitere Verweise zu firmenhistorischen Publikationen.

25 Siehe Latz, Schwerindustrie, S. 199 ff. und Mollin, Montankonzerne, S. 71 und 372 Anhang 12.

26 Zu Otto Wolff und dem Nationalsozialismus: Conze, Titane, S. 128-137.

27 Dülfer, Gruppe, S. 165.

28 Aussage Noé v. 2.10.1946 im Spruchkammerverfahren Walther Wieland, StAM SpKA K 1965.

29 Wittke folgte dem Franzosen Henri Roger nach. 1939 wurde Alphonse Wagener in der Burbacher Hütte durch Heinrich Berve ersetzt, im Neunkircher Eisenwerk Eugen Kugener durch Heinrich Puppe.

30 Aussage von Frau Hesse, der früheren Sekretärin Hermann Röchlings im Rastatter Prozess, StAF T 1-26.

II. Ein neues Lothringen auf der Baar?

1. Folgen des Versailler Vertrags

Auf der Baar, einer ländlich strukturierten Hochebene zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, lagert in den Schichtungen des Braunen Jura eines der größten deutschen Eisenerzvorkommen31. Im Raum Blumberg bildet es ein etwa 4 m hohes Flöz aus. Die harten, linsenförmigen Eisenpartikel von etwa 3 mm Durchmesser, auch Ooide genannt, verteilen sich wolkenartig in einem tonig-mergeligen Substrat von hohem Kieselsäuregehalt. Das Doggererz weist nur etwa 23 % Eisen auf. Systematisch abgebaut wurde es lediglich über eine kurze Zeitspanne: 1836 eröffnete der Fürst zu Fürstenberg bei Gutmadingen das Karl-Egon-Bergwerk, dessen Förderung er im Hüttenwerk von Bachzimmern verarbeiten ließ. Da das feine Korn des Erzes im Hochofen verrieselte und schwere Störungen beim Schmelzprozess hervorrief32, gab man es dem Möller nur als Zuschlag bei. 1856 stellte der Fürst den unwirtschaftlichen Bergbaubetrieb ein. Dieses Schicksal teilte bald das gesamte, auf Holzkohlebasis arbeitende Montangewerbe im Lande: 1874 wurde in Kandern der letzte Hochofen stillgelegt.

Das Feld erobert hatten die Hüttenwerke an Rhein und Ruhr. Auf ergiebigen Steinkohlevorkommen gelegen, die sie mit billigem Koks versorgten, bezogen die Betriebe ihre Erze aus den nahegelegenen Revieren von Lahn, Dill und Sieg. Der Krieg von 1870/71 brachte dann die lothringische Minette zum Teil in deutsche Hand. Sie diente nach Einführung des Thomasverfahrens der Montanindustrie an Rhein, Ruhr und Saar als Quelle billiger Erze. Ein Land mit reichen, aber eisenarmen Erzvorkommen, ein Land ohne Kohle und Großschifffahrtswege zu diesen Lagerstätten, wie Baden es war, hatte bei dieser Konkurrenz keine schwerindustriellen Entwicklungschancen mehr. Demgemäß nahm die Karlsruher Regierung »mit ziemlicher Bestimmtheit« an, »dass der badische Eisenerzbergbau der Vergangenheit angehöre und auch auf absehbare Zeit hinaus keine Zukunft mehr habe«33.

Nach dem Ersten Weltkrieg bahnte sich ein radikaler Meinungswandel an: 1919 musste Deutschland auf Elsass-Lothringen verzichten und akzeptieren, dass das Saargebiet mit seiner Schwerindustrie für längere Zeit dem französischen Wirtschaftsgebiet angehörte. Die Pariser Regierung enteignete eine Reihe deutscher Stahlkonzerne und übertrug deren lothringische Hüttenwerke und Erzfelder auf französische Eigentümer. Deutschland verlor etwa drei Viertel seiner Eisenerzvorräte. Das Deutsche Reich, zu Kriegsbeginn mit einem Weltmarktanteil von 24 % der zweitgrößte Eisenerzeuger auf dem Globus, besaß 1919 nur noch 2 % der Welterzvorräte, aus denen es ganze 18 % seiner Roheisenproduktion bestreiten konnte. 1913 hatte die Selbstversorgungsquote noch über 50 % betragen34.

Um die chronisch defizitäre deutsche Zahlungsbilanz zu entlasten, förderte die Reichsregierung zu Anfang der 1920er Jahre die Rohstoffsuche im Inland: Die deutschen Montankonzerne erhielten finanzielle Entschädigungen für den Verlust ihrer Auslandsfelder mit der Auflage, einen Teil der Gelder in die Erkundung und in den Aufschluss neuer deutscher Erzlagerstätten zu investieren35. Der Verlust der Minetteerze war damit allerdings nicht zu kompensieren: Die Ruhrindustrie sicherte sich ihre Rohstoffbezüge vor allem durch den Abschluss langfristiger Lieferverträge über schwedisches Eisenerz. Da dessen Verhüttung zu Brennstoffeinsparungen führte und die handelspolitischen Beziehungen zu Frankreich angespannt blieben, nahm der Anteil skandinavischen Erzes am Möller der Ruhr stetig zu, während deutsches Material oder die Minette nur eine Nebenrolle spielten36.

Die badischen Vorkommen entfalteten wenig Attraktivität auf die Stahlindustrie: Zum einen lagen sie weit von der Ruhr entfernt, so dass hohe Frachtkosten anfielen; zum anderen erhöhte der geringe Eisengehalt der Erze deren Abbaukosten und das Transportvolumen. Deshalb richtete sich das Augenmerk der Werke auf Vorkommen, die näher an ihren Standorten lagen – etwa die Lagerstätten von Salzgitter. Doch selbst diese beutete man nicht aus, sondern hielt sie nur als Reserveflächen vor.

2. Badische Bergbaupolitik und fürstliches Vorbaurecht

Ende 1918 glaubten badische Bergbaupraktiker fest an eine neue Chance für das Doggererz auf der Baar und forderten die Karlsruher Regierung zu entschlossenem Handeln auf37. Diesem stand leider das geltende Bergrecht entgegen: Zwar garantierte das badische Berggesetz vom Juni 189038 weitestgehende Bergbaufreiheit im Lande, doch galt diese Regelung nicht für die Baar, die bis zur Mediatisierung von 1806 zum Standesgebiet des Fürsten zu Fürstenberg gehört hatte. Auf diesem Territorium durfte der badische Staat eine Bergbauberechtigung an Dritte nur dann erteilen, wenn der Fürst auf die ihm zustehenden Vorbaurechte ausdrücklich verzichtete. Gegen dieses Privileg, das den Bergbau unnötig behinderte und verteuerte, richtete sich nun heftige Kritik aus den Reihen der badischen Beamten: Prof. Dr. Wilhelm Deecke39, der Direktor der Badischen Geologischen Landesanstalt, forderte im Dezember 1918 die Karlsruher Regierung auf: »Jetzt, wo wir Lothringen verlieren, müssen diese Eisenerze der Baar neu untersucht werden auf ihre Ausbeutungsfähigkeit, schon deswegen, um französischen Ausfuhrzöllen ein Paroli zu bieten […] Das Vorbaurecht des Fürsten muss fallen; denn die Eisengewinnung in Deutschland selbst wird zu einer Lebensfrage werden. Jede alte Schranke ist fort zu schaffen und ein Gewinn dem Staate vorzubehalten«40.

Die badische Regierung unternahm bis zum Sommer 1924 jedoch nichts, um das Berggesetz radikal zu ändern. Diese Untätigkeit verschaffte dem Hause Fürstenberg die erforderliche Zeit, um sich das Eigentum an den besten Eisenerzfeldern auf der Baar zu sichern. Mit einem Stammkapital von 30.000 Mark gründeten Fürst Max Egon41 und Erbprinz Karl Egon42 am 17. Februar 1920 die Jura Eisenerz-Bergbau GmbH mit Sitz in Donaueschingen43. Das Unternehmen ließ sich bis Ende 1921 16 Felder vom badischen Staat verleihen. Da dem Fürsten seit 1897 bzw. 1899 vier andere Berechtigungen gehörten, verfügte sein Haus nun über 20 Areale mit 3.658 ha Fläche. Sie lagen allesamt dort, wo die Erze den größten Eisengehalt aufwiesen: südlich der Donau, zwischen Gutmadingen und Blumberg. Der badische Staat begnügte sich bei dieser Verteilung mit den mageren Resten. Er belegte bis 1921 meist nördlich der Donau 22 Felder, deren Erze lediglich einen bescheidenen Eisengehalt aufwiesen. Erst nachdem die Felle derart einseitig verteilt44 waren, ging man in Karlsruhe daran, das Berggesetz von 1890 zu ändern: Am 15. Juli 1924 verkündete das Badische Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 38, dass die Ausbeutung von Eisenerzen dem Staat vorbehalten bleibe und alle standesherrlichen Vorbaurechte im Falle der Eröffnung neuer Bergwerke aufgehoben seien.

Die fürstliche Kammer erzielte Anfang der 1920er Jahre keinen Erfolg mit dem Versuch, ihre Erzfelder bei der Montanindustrie unterzubringen45. Das Karlsruher Finanzministerium war diesbezüglich in keiner besseren Lage und fragte seit 1920 regelmäßig im Hause Fürstenberg an, »ob uns nicht gegen Ersatz der hierfür aufgewandten Kosten wenigstens zwei Felder überlassen werden könnten, in denen der Eisengehalt der Erze die Abbaumöglichkeit nahelegt […], damit uns nicht der Vorwurf trifft, wir hätten eine Vereinbarung mit der Kammer getroffen, bei welcher der Staat praktisch leer ausgeht«46. Da das Finanzministerium anbot, auch die Vermarktung des fürstlichen Besitzes zu übernehmen, willigten Fürst Max Egon und die Jura Eisenerz-Bergbau GmbH schließlich in das Geschäft ein. Mitte 1922 verkauften sie dem Land Baden vier Areale47 mit insgesamt 660 ha Fläche.

Bergrat Erich Naumann48, der für den Bergbau zuständige Abteilungsleiter im Finanzministerium, verfügte seit 1920 über ausgezeichnete Kontakte zur Gutehoffnungshütte (GHH), einem Montan- und Maschinenbaukonzern mit Sitz in Oberhausen, der sich gerade anschickte, auf den süddeutschen Eisenmarkt vorzudringen. Nach Kriegsende hatte man eigene Verkaufsniederlassungen in Mannheim und Nürnberg gegründet und sich an großen eisenverbrauchenden Produzenten, wie etwa der MAN oder der Maschinenfabrik Esslingen, beteiligt. Der Generaldirektor der GHH, Paul Reusch49, stieß damit in das Hauptabsatzgebiet der saarländischen Eisenindustrie vor, deren bisherige Position durch ihre bevorstehende Eingliederung in das französische Zollgebiet vakant zu werden versprach50. Da die GHH 1919 ihren Grubenbesitz in Lothringen und in der Normandie verloren hatte, suchte sie Ersatz in den württembergischen Eisenerzvorkommen bei Wasseralfingen und Tuttlingen. Die Stuttgarter Regierung knüpfte die Vergabe der Schürfrechte allerdings daran, dass sich deren Erwerber bei der Modernisierung der Schwäbischen Hüttenwerke engagierten51, eines staatlichen Unternehmens mit Sitz in Wasseralfingen, das Paul Reuschs Vater Hermann bis 1881 geleitet hatte. Der Sohn entschied sich 1921 zu einer 50 %igen Beteiligung der GHH an der bisherigen Staatsfirma. Das in eine GmbH umgewandelte Unternehmen, dem die Regierung in langfristigen Pachtverträgen alle Erzrechte im Lande verlieh, wältigte die stillgelegte Erzgrube Wilhelm in Wasseralfingen wieder auf. Die Analysen des Erzes fielen jedoch enttäuschend aus: Der hohe Kieselsäureanteil und die harte Erzstruktur ließen eine wirtschaftlich vertretbare Verhüttung nicht zu52. Die GHH sah sich deshalb auch anderweitig um.

Ende 1921 gelang es Naumann die Zusage Hermann Kippers53, des für Erzbergbau zuständigen Abteilungsleiters der GHH, zu einer gemeinsamen Begehung der Felder auf der Baar zu erhalten. Am 22. April 1922 besichtigte man die alten Stollenanlagen bei Gutmadingen und entnahm Erzproben. Deren Analyse fiel aus Sicht von GHH-Generaldirektor Hermann Kellermann54 derart günstig aus, dass er Naumann am 2. Mai 1922 bat, den Kapfstollen des Karl-Egon-Bergwerks wieder aufwältigen zu lassen. Bergassessor Rudolph führte das Vorhaben im Juni 1922 aus und sandte 30 t Erz per Bahn an die GHH. Noch während die Erzanalysen in Oberhausen andauerten, verhandelten Naumann und Kellermann über einen Pachtvertrag, konnten sich aber lange nicht über die finanziellen Bedingungen einigen. Verzögerungen lösten auch die Wirren der Ruhrbesetzung aus. So schloss man erst im Dezember 1923 einen Vertrag55, in dem das Land Baden der GHH acht Areale mit einer Fläche von insgesamt 1.515 ha auf eine Dauer von 30 Jahren verpachtete. Naumann erwartete nun, »dass sich bei Gutmadingen ein Bergbau ganz bedeutenden Grades entwickeln wird«56.

Die fürstenbergische Verwaltung hatte bei diesem Geschäft das Nachsehen: Obwohl ihr eine gemeinsame Vermarktung zugesichert worden war, tat Naumann nichts für sie. Sein Ziel bestand darin, »das Interesse der Gutehoffnungshütte immer wieder auf diejenigen Felder, die dem Staat gehören […] zu konzentrieren. […] Sonst wendet sich die Gutehoffnungshütte von unsern [!] Feldern ab und dem fürstenbergischen zu. Der staatliche Feldesbesitz muss Mittelpunkt des Interesses bleiben«57. Erst im Februar 1924 setzte Naumann die fürstliche Kammer in Kenntnis, dass er die staatlichen Flächen verpachtet hatte und sie von eigenen Akquisitionsmaßnahmen nicht länger abhalten wolle58. Die Jura Eisenerz-Bergbau GmbH versuchte nun ihre Felder selbst zu vermarkten, blieb aber erfolglos.

3. Das Engagement der Gutehoffnungshütte in Gutmadingen

Die GHH sandte die im Juni 1922 entnommenen Erzproben an Hans Schneiderhöhn59, der in Aachen eine Professur für Mineralogie innehatte. Dessen Analyse fiel enttäuschend aus. Die Gründe lagen in der chemischen und physikalischen Zusammensetzung des Materials: Der geringe Eisengehalt von etwa 23 % hatte zur Folge, dass das Erz einen hohen Anteil tauber Masse, sog. Gangart, enthielt. Wollte man das rohe, unbehandelte Erz direkt im Hochofen verhütten, dann musste man pro Tonne Eisen die mehrfache Menge Gangart mit einschmelzen, die dann als Schlacke aus dem Hochofen rann. Schon dies musste zu einem extrem hohen Koksverbrauch bei der Eisenproduktion führen.

Das Gutmadinger Erz enthielt zudem hohe Anteile an Schwefel und Kieselsäure. Da Schwefel Stahl brüchig macht, hatten die Techniker bei der Verhüttung dafür zu sorgen, dass der, auch im Koks vorhandene, Schwefel in die Schlacke wanderte – und nicht in das Roheisen. Bedingung dafür war eine basische Zusammensetzung des Möllers, der Kalk und Kieselsäure im Verhältnis von 7 oder 8 zu 10 enthalten musste. Traf dies zu, dann war der Möller »selbstgängig«. Wies das Erz jedoch einen Kieselsäureüberschuss auf, wie es beim Gutmadinger Erz der Fall war, dann musste dieser zwingend beseitigt werden. Üblicherweise gab man dem Hochofenmöller einen ausgleichenden Zuschlag von Dolomit bei. Da dieser ebenfalls mit eingeschmolzen werden musste, erhöhte sich der Koksverbrauch abermals – und zwar überproportional, weil Kalkstein einen höheren Schmelzpunkt aufweist als Eisen. Zugleich verminderte sich die Leistungsfähigkeit des Hochofens, da er viel Schlacke und wenig Eisen enthielt. Im Ergebnis konnte der Hüttenprozess völlig unwirtschaftlich werden, was auf das Gutmadinger Erz zutraf: Seine Verhüttung hätte, wie man später errechnete, das Dreifache der Koksmenge erfordert, die zum Niederschmelzen von schwedischem Kiruna-Erz notwendig war60.

Die GHH und andere Hütten forschten deshalb nach einer Aufbereitungstechnologie, mit der man die Gangart problematischer Erze vor der Verhüttung vermindern und ein selbstgängiges Erzkonzentrat von erhöhtem Eisengehalt erzeugen konnte. Aus wirtschaftlichen Gründen musste darauf geachtet werden, dass während des Aufbereitungsprozesses wenig Eisen verloren ging und die Betriebskosten niedrig blieben. Den Auftrag für erste Versuche mit dem Gutmadinger Erz vergab die GHH an die Bochumer Firma Gröppel. Dort setzte man auf ein nassmechanisches Aufbereitungsverfahren. Dieses basierte darauf, dass man das Erz ausgiebig wusch und dabei dessen Eisenbestandteile von der Gangart trennte. Das Wasser verwandelte die Ballaststoffe des Erzes in Schlamm, der leicht aus dem Betriebsprozess ausgeschieden werden konnte. Im Falle des Gutmadinger Erzes schlugen die Aufbereitungsversuche jedoch fehl: Der Kieselsäuregehalt des erzeugten Konzentrats hatte sich nicht vermindert, sondern ganz im Gegenteil sogar deutlich erhöht, weil vor allem der Kalk aus dem Erz gewaschen worden war. Naumann erhielt daher im Dezember 1922 aus Oberhausen die Nachricht, dass das Erz der Baar »mit den Erzen von der Lahn und vom Vogelsberg nicht wettbewerbsfähig sein wird, wenn eine Verhüttung hier in Frage kommt. Anders wäre es, wenn das Erz einmal an Ort und Stelle verhüttet werden könnte«61. Damit war in nächster Zukunft allerdings kaum zu rechnen.

Die GHH gab daraufhin weitere Versuchsreihen in Auftrag, doch führten die Arbeiten der Kölner Maschinenbaugesellschaft Humboldt zu ebenso unbefriedigenden Ergebnissen wie die Tätigkeit der Firmen Tornulf, Excelsior, Meixner oder Lurgi. Da an einen Grubenbetrieb in Gutmadingen unter diesen Umständen nicht zu denken war, schürfte die GHH für ihre Aufbereitungsversuche Mitte der 1920er Jahre nur geringe Erzmengen an der Erdoberfläche und brachte sieben Aufschlussbohrungen im Konzessionsgebiet nieder. Weil sonst wenig geschah, musste sich Kellermann bei dem hartnäckig nachfragenden Naumann mehrfach entschuldigen, dass sich die Prüfung der Verwertbarkeit der Erze so lange hinziehe, doch dürfe man einen Sprung ins Dunkle im Interesse der Sache nicht wagen62.

Ende der 1920er Jahre zeigte sich endlich ein Silberstreif am Horizont: Die GHH ließ unter anderem auch Aufbereitungsversuche bei der Münchener Studiengesellschaft für Doggererze durchführen. Die 1922 vom Bayerischen Staat und einigen interessierten Hüttenwerken, wozu auch die GHH gehört hatte, gegründete Gesellschaft63 bemühte sich um die Lösung aller Aufbereitungs- und Verhüttungsprobleme, die die deutschen Doggererze aufwarfen. Großversuche für die GHH führten 1928 zur Entwicklung eines nassmechanischen Verfahrens, mit dem aus 2,5 t bis 3 t Roherz eine Tonne Konzentrat mit einem Eisengehalt von etwa 45 % zu gewinnen war. Daraufhin reiste Kipper im Juni 1928 nach Karlsruhe und suchte Naumann in dessen Wohnung auf. Er kündigte an, die GHH wolle den Grubenbetrieb in Gutmadingen bald aufnehmen und dort eine Versuchsanlage zur Erzaufbereitung nach dem nassmechanischen Prinzip bauen. Dieses sei wegen der ungelösten Frage der Speicherung anfallender Schlämme zwar mit Schwierigkeiten verbunden, doch bereite die Erzanreicherung auf trockenem Wege derzeit noch größere Probleme. Zweck der Maßnahme sei es, Aufschlüsse über die Höhe der Erzförder- und Aufbereitungskosten im industriellen Großbetrieb zu gewinnen. Weit reichten Kippers Hoffnungen offenbar nicht, denn er führte aus, man müsse es bereits als günstige Lösung betrachten, wenn sich die GHH nicht schlechter stelle als beim Bezug ausländischer Erze. Der ganze Versuch sei überhaupt nur gerechtfertigt in der nationalen Absicht, die Handelsbilanz durch einen Verzicht auf einen Teil der Erzeinfuhr zu verbessern64.

Es dauerte noch etwa ein Jahr, bis der GHH-Vorstand nach Süddeutschland reiste und konkrete Pläne vorlegte. In einem Gespräch, das am Morgen des 23. Oktober 1929 in . Karlsruhe begann und abends auf Reuschs württembergischem Wohnsitz Katharinenhof fortgesetzt wurde, offenbarte sich, dass innerhalb der GHH unterschiedliche Auffassungen über den Wert der angekündigten Investitionen bestanden. Während Kellermann auf Gestehungskosten für das Gutmadinger Konzentrat hoffte, die langfristig mit den schwedischen Erzpreisen mithalten konnten, lehnte Hüttendirektor Schmidt das Projekt wegen seiner Unwirtschaftlichkeit ab. Die Entscheidungsgewalt hatte jedoch Paul Reusch. Dieser beklagte, dass Deutschland stark vom Bezug ausländischer Eisenerze abhänge, deren Preise seit 50 Jahren kontinuierlich stiegen. Beunruhigt war er auch darüber, dass die USA neuerdings wachsende Erzmengen aus Schweden bezögen, was weitere Preissteigerungen zur Folge haben mochte. Reusch befürchtete, dass sich die ausländischen Eisenerzeuger bald zusammenschlössen und schlechtere Bezugsbedingungen für ihre deutschen Konkurrenten schüfen. Die Umstände würden dabei umso ungünstiger ausfallen, je weniger sich Deutschland aus eigener Förderung helfen könne. Reusch räumte zwar ein, dass die Gutmadinger Erze sehr eisenarm seien, doch: »Sie lassen sich leicht gewinnen, einfach aufbereiten und sind frei von schädlichen Bestandteilen. Ihre Menge ist ausserordentlich gross. Mithin müsste aus nationalwirtschaftlichen Gesichtspunkten einmal ein Mann den Mut finden, ihre Verwertbarkeit in einem Grossversuch zu erproben«65. Reusch entschied, dass er dieser Mann sei und ordnete an, der Versuch müsse gemacht werden.

Dem Gespräch in Katharinenhof schloss sich am 24. Oktober 1929 eine gemeinsame Besichtigung in Gutmadingen an. Reusch kündigte dabei den Beginn der Bauarbeiten für den 1. April 1930 an. Bergwerk und Aufbereitungsanlage sollten im August einen dreijährigen Probebetrieb aufnehmen, um belastbare Ergebnisse in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu erhalten. Danach war über das weitere Schicksal der Versuchsanlage zu entscheiden. Reusch verkündete dies zufällig am gleichen Tag, an dem der New Yorker Börsenkrach die Weltwirtschaftskrise einleitete. Während nun die Konjunktur allmählich in eine tiefe Depression glitt, in deren Verlauf die Schwedenerzpreise um 35 % sanken66, begann die GHH ihre Pläne zu verwirklichen. Am 23. Juni 1930 schloss sie mit zehn privaten Grundeigentümern und der Gemeinde Gutmadingen eine Reihe von Kaufverträgen67 ab. Zu Preisen zwischen 10 und 40 Pfg. je m2 erwarb sie ihre Betriebsgrundstücke und beauftragte die Studiengesellschaft für Doggererze damit, auf dem Gelände eine Versuchsanlage nach nassmechanischem Prinzip zu errichten. 13 Monate später eröffnete die GHH ein Werk, das 300.000 RM gekostet hatte und jährlich 24.000 t Roherz verarbeiten konnte. Den Betrieb mit 25 Beschäftigten leitete Dr. Max Teike68.

Naumann sah im Geiste bereits ein neues Lothringen auf der Baar entstehen und jubelte, »daß sich – beinahe unbeachtet – hier in Baden ein Ereignis abspielt, das vielleicht für die deutsche Wirtschaftsgeschichte von ganz ungeheuerer Bedeutung werden kann. […] Kommt der große Bergwerksbetrieb in Gutmadingen zustande, so ist […] auch das entsprechende Hüttenwerk an Ort und Stelle nur noch eine Frage der Zeit«69. Tatsächlich aber erwies sich die Gutmadinger Anlage als ungeeignet für einen großindustriellen Betrieb: Das Nassaufbereitungsverfahren verursachte zu große Erzverluste, einen zu hohen Wasserverbrauch und inakzeptabel große Schlammhalden70. Im März 1932 kündigte Kellermann die Stilllegung des Betriebs an und begründete sie mit der katastrophalen Wirtschafts- und Finanzlage. Betriebsleiter Teike und 28 der insgesamt 31 Mitarbeiter wurden entlassen71.

4. Die Grube Karl Egon als Rüstungsobjekt der frühen NS-Zeit

Die »Machtergreifung« stieß die Dinge wieder an. Robert Wagner, im April 1933 zum Reichsstatthalter als oberstem Gewalthaber in Baden ernannt, berief am 6. Mai die neue, nationalsozialistische Landesregierung. An ihrer Spitze stand Walter Köhler, der die Ämter des Ministerpräsidenten und des Finanz- und Wirtschaftsministers in einer Person vereinigte. Kurz nach seiner Bestellung lud Köhler die GHH-Vorstandsmitglieder Wilhelm Funcke und Hermann Kipper nach Karlsruhe ein und forderte sie auf, den Erzabbau in Gutmadingen bald wieder aufzunehmen. Die Geladenen zeigten sich jedoch wenig zugänglich: Sie räumten zwar ein, dass man die technischen Grundfragen der Erzaufbereitung gelöst habe, klagten aber, dass die Kosten um 40 % bis 50 % höher lägen als bei der Verarbeitung von Importerzen. Da die GHH langfristige Verträge mit ihren ausländischen Lieferanten eingegangen sei, müsse sie trotz der Absatzkrise unerwünscht hohe Erzmengen abnehmen und einlagern. Kipper und Funcke verkündeten daher, den Betrieb in Gutmadingen erst dann wieder aufnehmen zu können, wenn man nicht mehr durch lästige Abnahmeverträge an Auslandslieferanten gebunden sei. Um der GHH diese Einrede zu nehmen, empfahl Naumann seinem neuen Vorgesetzten Köhler, in Berlin auf eine Devisensperre für Minette- und Wabana-Erzimporte hinzuwirken72.

Auch von den Berliner Behörden wurde der GHH nahegelegt, ihren Betrieb in Gutmadingen wieder zu eröffnen und dessen Kapazität zu vergrößern73. Dabei standen die Einsparung knapper Devisen und rüstungspolitische Motive im Vordergrund74. In Oberhausen stellte man fest, dass Investitionen in Höhe von zwei bis drei Mio. RM nötig wären, um die Grube- und die Konzentratanlage auf eine Jahresförderung von 500.000 t auszubauen75 und hielt den ungeduldigen Behörden entgegen, »dass die Förderung in Gutmadingen zwar nationalwirtschaftlich wichtig, aber vom Unternehmerstandpunkt aus doch ein reines Verlustgeschäft sein wird«76. Um den Ball auf das Feld des Staats zurückzuschlagen, beantragte Reusch im Herbst 1933 bei der Reichsbahn, den Erztransporten von der Baar einen dauerhaften Ausnahmetarif einzuräumen, der den üblichen Satz um 75 % unterschritt.

Die Reichsbahn leistete gegen die Forderung der GHH hinhaltenden Widerstand. Erich Winnacker, der Leiter der Bergabteilung im Preußischen Wirtschaftsministerium, bot dem Oberhausener Unternehmen zwar seine Hilfe auf politischen Kanälen an, doch lehnte die GHH-Spitze dessen Plan, eine Pressekampagne anzuzetteln, strikt ab. Kellermann hob Ende 1933 hervor, er lege Wert darauf, »daß von Berlin aus nichts geschieht, was unsere Kreise stören kann«77. Winnacker sei bekanntlich sehr impulsiv und könne leicht einen unüberlegten Schritt tun, der schwer wieder gutzumachen sei. Reusch versuchte lieber über Reichswirtschaftsminister Kurt Schmitt weiterzukommen. Dessen Mitarbeiter, Ministerialrat Curt Pasel, lud Kellermann für den 9. Februar 193478 zu einem Gespräch nach Berlin ein, in dem der GHH-Vorstand ausdrücklich hervorhob, dass das Gutmadinger Projekt »lediglich allgemein wirtschaftliches Interesse habe und dass wir bei Bewilligung unseres Antrages in die Lage versetzt würden, sofort 2-3 Millionen Mark aufwenden zu müssen, die wir an anderer Stelle viel zweckmäßiger und wirtschaftlicher anlegen könnten«79. Pasel versicherte, dass bald eine Entscheidung in der Frachttariffrage fallen werde, da »maßgebendste Stellen« darauf drängten.

Kurz darauf wurde die Verhandlungsposition der GHH schwieriger: Zwei Hüttenwerke an der Saar, das Neunkircher Eisenwerk und die Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke, hatten Ende 1933 eine Interessengemeinschaft für das Doggererzstudium gegründet und ihren Repräsentanten Dr. Wilhelm Lillig nach Baden entsandt. Der suchte Naumann am 14. Februar 1934 auf und berichtete von derart hochfliegenden Plänen, dass Kellermann den badischen Ministerialrat zwei Tage später erschrocken warnte: »Herr Dr. Lillig scheint bei Ihnen Hoffnungen geweckt zu haben, die unmöglich Wirklichkeit werden können. Ich warne ausdrücklich vor dem von Herrn Dr. Lillig gezeigten Optimismus und bitte Sie dringend, die Dinge nach wie vor ganz nüchtern zu betrachten. Ein Unternehmen im Doggererzgebiet mit 700 – 1.000 Arbeitern aufziehen zu wollen, ist eine Utopie«80.

Um Realismus einkehren zu lassen, hielt Reusch am 6. April 1934 eine Konferenz mit süddeutschen Regierungsvertretern in Donaueschingen ab. Der Freiburger Universitätsprofessor Schneiderhöhn stellte dabei ein Gutachten über die Eisenerzlager zwischen dem badischen Geisingen und dem württembergischen Hechingen vor. Auf Reuschs Gästeliste standen Ministerpräsident Köhler und Naumann sowie der württembergische Finanzminister Alfred Dehlinger. Auch Wilhelm Keppler81, der Wirtschaftsbeauftragte des »Führers«, zählte zum Kreis der Geladenen. Ihnen kündigte Reusch an, die GHH werde ihren Gutmadinger Betrieb zwar bald wieder aufnehmen, dessen Kapazität aber erst dann erweitern, wenn Klarheit über die Aufbereitungstechnologie herrsche. Kellermanns Notizen zufolge kam es dabei zu einem Disput mit Keppler, der »nicht einsehen [wollte], daß Gutmadingen für die erste Betriebsanlage am besten geeignet sei. Er schützte immer wieder militärische Gründe vor, deren Nichtberechtigung wir allerdings ohne Erfolg nachzuweisen suchten. Auch wies er immer wieder auf das Rennverfahren von Krupp-Grusonwerk hin, das ihm anscheinend sehr am Herzen liegt und dessen Verwertung er namentlich für Wasseralfingen befürwortet. Wir haben versucht, ihm klarzumachen, daß das Rennverfahren voraussichtlich an der Schwefelfrage scheitern würde«82. Auch die Karlsruher Regierung konnte dem Konferenzergebnis wenig abgewinnen. Kellermann notierte: »Die badischen Herren waren nicht gerade entzückt […] und versuchten uns immer wieder zu einer sofortigen Entscheidung und Aufnahme des Betriebes in größerem Umfange zu bringen«83. Die GHH nahm die Förderung in Gutmadingen am 2. Mai 1934 jedoch nur im alten Umfang wieder auf84.

Abb. 1: Besichtigung des Karl-Egon-Bergwerks der Gutehoffnungshütte in Gutmadingen am 6. April 1934. Von links: Ministerialrat Erich Naumann, Ministerpräsident Walter Köhler, Hitlers Wirtschaftsbeauftragter Wilhelm Keppler und der GHH- Vorstandsvorsitzende Paul Reusch. Bild: Familie Naumann.

Abb. 2: Vor der Aufbereitungsanlage in Gutmadingen. Von links: Erich Naumann, Walter Köhler, unbekannt, Wilhelm Keppler, Hermann Kellermann und ganz rechts Paul Reusch. Bild: Familie Naumann.

Kurz nach der Donaueschinger Konferenz gründete Keppler eine »Kommission zur Untersuchung der Aufbereitungsfrage und Nutzbarmachung süddeutscher Eisenerze«85. Das Gremium tagte erstmals am 7. Mai 1934 und organisierte einen Erfahrungsaustausch zwischen den Hüttenwerken und den Anbietern neuer Aufbereitungstechnologien. Hitlers Wirtschaftsbeauftragtem gelang es sogar, Julius Dorpmüller, den Generaldirektor der Reichsbahn, zum Einlenken in der Tariffrage zu bewegen. Am 19. Juli 1934 teilte Keppler Reusch seinen Erfolg mit und drängte diesen, die Anlagen in Gutmadingen nun sofort zu erweitern, denn es »würde sich der Führer, dessen Stellungnahme bei obiger Entscheidung maßgebend war, über eine derartige Mitteilung sehr freuen«86. Dorpmüller wollte die Frachtermäßigung aber nur so lange gewähren, wie der Notstand bei der Rohstoffbewirtschaftung und Devisenbeschaffung87 anhielt, also für maximal zwei oder drei Jahre, was aus Sicht der GHH wohl kaum eine geeignete Grundlage für eine langfristige Anlageinvestition abgab.

Der GHH-Aufsichtsrat tagte am 24. Juli 1934 in Freiburg und traf eine taktische Entscheidung. Er gab dem Vorstand Vollmacht, den bestehenden Komplex maßvoll zu erweitern, entschied aber, die Errichtung einer neuen Großanlage weiterhin zurückzustellen, bis die Frachtfrage endgültig geklärt sei und Gewissheit über die künftige Aufbereitungstechnologie herrsche88. Es dauerte weitere fünf Monate, ehe der Vorstand einen konkreten Baubeschluss fasste und diesen der badischen Regierung mitteilte. Dabei hielt es Kellermann für notwendig zu betonen, dass die Erweiterung »nur schweren Herzens […] aus nationalwirtschaftlichen Gründen«89 erfolge. Der Termin war wohl kein Zufall: Neun Tage zuvor hatte Keppler von Hitler die »Sonderaufgabe Deutsche Rohstoffe« erhalten.

Im Frühjahr 1935 begann der Anlagenausbau in Gutmadingen. Es entstanden ein Lagerschuppen, eine Mannschaftsbaracke, eine Wohn- und Schlafbaracke sowie ein Anbau an die bestehende Aufbereitungsanlage. Auch die Transformatorenhäuser an den Berg- und Talstationen der Seilbahn wurden vergrößert90. Der Staat förderte die 580.000 RM teure Investition durch Zuschüsse aus der Arbeitslosenversicherung91. Am 1. November 1935 nahm der auf eine Jahresleistung von 100.000 t ausgebaute Komplex seinen Vollbetrieb mit 119 Beschäftigten auf. Deren Arbeitsbedingungen waren schlecht: Das Werk verfügte weder über gut beheizbare Büroräume noch existierte eine Waschkaue für die Bergleute92. Keppler dürfte in diesem bescheidenen Ausbau wohl kaum einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der aktuellen Rohstoffprobleme gesehen haben.

5. Von der Kündigung des deutsch-französischen Handelsvertrags zum Schlattmann-Plan

1934 verschärfte sich die deutsche Rohstoff- und Devisenkrise. Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung sorgten für wachsende Investitionen und eine anziehende Binnenkonjunktur, doch blieb die Exportnachfrage derart schwach, dass die Wirtschaft zu wenige Devisen verdiente, um den Import von Nahrungsmitteln und Rohstoffen zu bezahlen. Reichswirtschaftsminister Schmitt, ernannte daraufhin den Ingenieur Dr. Johann Puppe93 zum Kommissar für die Rohstoffbeschaffung im RWM. Um wenigstens die wichtigsten Güter importieren zu können, führte Schmitts Nachfolger Schacht eine vollständige Devisenbewirtschaftung und Einfuhrbeschränkungen nach staatlich festgelegten Dringlichkeitsstufen ein94. Zur Devisenverteilung und Kontrolle der Rohstoffverwendung auf dem Eisensektor wurde am 13. August 1934 im RWM eine Überwachungsstelle für Eisen und Stahl eingerichtet, deren Leitung Dr. Rudolf Scheer-Hennings95übernahm. Diese teilte über die Devisenvergabe für Importerze den Hüttenwerken faktisch ihren Hochofenmöller zu96.

Da Rohstoffkommissar Puppe kaum Erfolge einfuhr, erteilte Hitler seinem Wirtschaftsbeauftragten Keppler am 13. November 1934 den »Auftrag Deutsche Rohstoffe«. In deren Fokus stand auch die Schwerindustrie, die 70 % ihrer Eisenerze aus dem Ausland bezog97. Diese Importabhängigkeit kostete nicht nur Devisen, sondern barg auch militärische Risiken: Im Kriegsfall war damit zu rechnen, dass der Gegner die Erzzufuhr unterband und die deutsche Rüstung in die Knie zwang. Um das zu verhindern98, hatte Keppler nach Wegen zu suchen, wie Auslandsimporte durch einheimische Rohstoffe ersetzt werden konnten. Die Kosten spielten aus dieser rüstungswirtschaftlichen Sichtweise heraus keine Rolle. Keppler bedrängte die widerstrebende Ruhrindustrie, den Abbau und die Verhüttung deutscher Eisenerze massiv zu forcieren. Als materiellen Anreiz initiierte er eine staatliche Grundprämie99, in deren Genuss alle Betriebe kamen, die neue Gruben ausbauten. Kepplers Mitarbeiter Paul Pleiger100 setzte, seinem Naturell gemäß, jedoch vor allem auf Druck gegenüber der Industrie. Seine Untergebenen, Hütteningenieur Dr. Paul Rheinländer101 und Bergassessor Oskar Gabel102, unterstützten ihn dabei. Keppler selbst gab den neuen Ton vor und drohte den Ruhrhütten am 12. Februar 1935 indirekt »staatliche Zwangsmittel«103 an.

Am 28. Februar 1935 verloren die Länder durch ein Reichsgesetz104 ihre Kompetenz für den Bergbau an das RWM, das ein halbes Jahr zuvor mit dem Preußischen Wirtschaftsministerium fusioniert worden war. Dessen Bergabteilung bildete nun die vierte Institution, mit deren Wünschen sich die Montanindustrie auseinanderzusetzen hatte. Zwar forderte auch Reichswirtschaftsminister Schacht eine stärkere Verhüttung von Inlandserzen, allerdings in engeren Grenzen als Pleiger. Diese lagen nach Schachts Auffassung dort, wo überhöhte Roheisenkosten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie gefährden konnten. Da Erich Winnacker als Leiter der Bergabteilung gescheitert war, hatte ihn Schacht durch Heinrich Schlattmann ersetzt, was von den Ministerialräten Curt Pasel und Hans Arlt105, zwei altgedienten preußischen Bergassessoren, die die zweite Führungsebene der Abteilung darstellten, mit Beifall quittiert worden war. Schlattmann setzte nun Schachts Politik gegenüber der Montanindustrie um: Im Hinblick auf Keppler räumte der Oberberghauptmann zwar ein, dass Deutschlands »Wehrfreiheit« durch einen angemessenen Erzbergbau unterstützt werden müsse, doch könne dies nur in dem Umfange geschehen, wie es wirtschaftlich vertretbar und tragbar sei106.

Im Mai 1935 kündigte Frankreich den mit Deutschland bestehenden Handelsvertrag107. Da die im Juni aufgenommenen Verhandlungen erfolglos blieben, trat am 1. August 1935 ein vertragsloser Zustand zwischen den beiden Staaten ein. In Schachts System der bilateralen Außenwirtschaftsbeziehungen klaffte nun eine Lücke, die zur Folge hatte, dass die notwendigen Minetteimporte für die kürzlich angegliederte Saarindustrie gefährdet waren108. Vor diesem Hintergrund fand am 2. August 1935 eine Sitzung des Beirats der Überwachungsstelle für Eisen und Stahl in Düsseldorf statt. Unter Hinweis auf abnehmende Erzvorräte und sinkende Importmöglichkeiten teilten Scheer-Hennings und Arlt den versammelten Stahlindustriellen mit, Schacht habe sie beauftragt, ein Programm über den Ausbau der deutschen Erzförderung zu erarbeiten. Die anwesenden Werksvertreter zeigten sich wenig begeistert. Sie hielten es für unmöglich, die fehlende Menge an Auslandserzen durch eine erhöhte Inlandsförderung zu ersetzen und schlugen vor, Devisenkredite aufzunehmen, um den Erzimport auf dem bisherigen Niveau zu erhalten. Das RWM entschied jedoch am Ende einer kontroversen Debatte, es »käme die Einfuhr von Minette auf Grund langfristiger Kredite für die Saarwerke aus politischen Gründen auf keinen Fall in Frage«109 und ordnete an, dass die Ruhrwerke ihre Minettebezüge an die Saar abzutreten hätten. Dahinter steckte ein verhandlungstaktisches Motiv: Eine demonstrativ große Erzvorratshaltung an der Saar110 und ein Inlandsförderprogramm, das auf kurzfristige Erfolge abzielte, sollte den Flankenschutz111 für die deutsch-französischen Verhandlungen abgeben, zu denen Schacht und Schlattmann mehrfach nach Paris fuhren112.

Am 7. August 1935 teilte Schlattmann den deutschen Hüttenwerken mit, dass wegen der ernsten Lage auf dem Eisenmarkt ein Programm für eine wesentliche Steigerung des heimischen Erzabbaus zu erstellen sei. So bat er die GHH darum, ihm einen Plan vorzulegen, der die baldige Förderung von süddeutschen Doggererzen »in einigermaßen beträchtlichem Umfange«113 vorsah. Die anderen Werke erhielten ähnliche Schreiben114. Schlattmann wies ausdrücklich darauf hin, dass es um die Verhüttung von Roherz gehe und dass es die dringlich gewordenen Bedürfnisse nicht zuließen, kostbare Zeit mit langwierigen Aufbereitungsversuchen zu verlieren. Daraufhin fand am 13. August 1935 im Essener Hotel Kaiserhof eine Konferenz von Rohstoff-Managern der GHH, der Vereinigten Stahlwerke und von Krupp statt, an der als einziger Saarindustrieller Hermann Röchling teilnahm. Auf ihr wurde eine gemeinsame Reaktion auf die Forderungen Schlattmanns und Kiegels besprochen. Hermann Wenzel, der Direktor der Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke, machte einleitend das Unbehagen der Ruhrindustrie über die Vorgaben des RWM deutlich und führte aus, dass die Verwendung großer Mengen inländischer Roherze die Roheisenerzeugung im normalen Hochofenprozess stören müsse. Die von Röchling vorgeschlagene Produktion von Vorschmelzeisen115 oder von Luppen nach dem Krupp-Renn-Verfahren böten leider auch keinen Ausweg, denn sie hätten den Nachteil, dass das Endprodukt stark mit schädlichen Bestandteilen, insbesondere mit Schwefel, angereichert sei und daher Schwierigkeiten bei der Weiterverarbeitung entstünden. Da Wenzels Meinung wohl Opinio communis war, stand am Ende der Sitzung nicht das von Schlattmann gewünschte Programm zur sofortigen Verhüttung großer Mengen inländischen Roherzes, sondern ein kostenintensives Gesamtprojekt, das den zeitraubenden Neu- und Ausbau von Erzaufbereitungsanlagen einschloss.

Die Stahlindustriellen verständigten sich am 13. August 1935 darauf, dem RWM einen gemeinsamen Plan vorzulegen, der eine Erhöhung der inländischen Erzförderung um 5,15 Mio. t Roherz vorsah, wovon 4,3 Mio. t aus den Grubenbetrieben der Ruhrwerke und davon wiederum 1,6 Mio. t, also mehr als ein Drittel, aus dem badischen Feldesbesitz der GHH stammen sollten. Die anfallenden Investitions- und Betriebskosten wollte das Oberhausener Unternehmen nur insoweit tragen, als davon der Ausbau der Grube und der Aufbereitungsanlage in Gutmadingen auf eine Jahreskapazität von 600.000 t betroffen war. Für die darüber hinaus gehende Menge von 1 Mio. t sollte eine zweite Gruben- und Aufbereitungsanlage gebaut werden, deren Erzeugung anderen Hüttenwerken zur Verfügung stehe, da der Bedarf der GHH aus ihrer Gutmadinger Anlage bereits restlos gedeckt sei. Über die Frage, wer die Hauptlast des Programms tragen sollte, das Investitionen in Höhe von insgesamt 27 Mio. RM auslöste, die je zur Hälfte auf den notwendigen Ausbau der Erzgruben und den Neubau von Aufbereitungsanlagen entfielen, erzielten die Industriellen weitgehend Einigkeit:

»Allgemein ist man der Ansicht, daß die Industrie die gesamten zu investierenden Gelder nicht aufbringen kann und daher von seiten des Reiches unterstützt werden muß. Herr Wenzel ist der Meinung, daß man von dem Reich nicht den gesamten Betrag verlangen könne. Die Industrie müßte einen bestimmten, noch näher festzusetzenden Betrag selber investieren. Er sei der Meinung, daß die Kosten für den Ausbau der Gruben grundsätzlich von dem Bergwerksbesitzer getragen werden müßten. Wie dieser sich die Gelder dafür beschaffe, sei eine andere Sache. Für die weiteren Anlagen müßte die Reichsregierung die Gelder à fonds perdu zur Verfügung stellen und das Eigentum an den Anlagen erhalten. Diesen Gedankengängen von Herrn Wenzel wurde allgemein grundsätzlich zugestimmt«116.

Wenzel setzte damit auf ein Konzept, das die Programmdurchführung auf staatseigene Erz- und Aufbereitungsbetriebe abwälzte, die ihrerseits von der privaten Industrie gepachtet werden sollten: Dr. Ernst Poensgen, der Vorstandsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke, hatte bereits unmittelbar nach der Düsseldorfer Beiratssitzung vom 2. August 1935 Dr. Reichert, den Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie, gebeten, Erkundigungen über das aktuelle Programm zur Errichtung reichseigener Betriebe in anderen Rohstoffbranchen einzuholen117. Diese basierten auf dem 1934 erlassenen Gesetz zur Übernahme von Reichsgarantien, das den Reichsfinanzminister ermächtigte, zum Ausbau der deutschen Rohstoffwirtschaft Verträge mit der Privatindustrie zu schließen, um betriebswirtschaftlich unrentable Investitionen in sog. Autarkiebranchen zu initiieren. Der Staat übernahm dabei teilweise oder ganz die Risiken und Kosten der Kapitalanlage oder der Produktion118. Mitte August 1935 wurden die Pläne Reicherts und der GHH auf einer Sitzung der Ruhrwerke in Berlin diskutiert119 und danach in einer Denkschrift über die Erhöhung der inländischen Eisenerzförderung zusammengefasst, die Wenzel Mitte September persönlich im RWM abgab.

Die Ruhrwerke rechneten dem RWM in ihrem Memorandum vom 10. September