Eisern zwischen den Pfosten - Frank Nussbücker - E-Book

Eisern zwischen den Pfosten E-Book

Frank Nussbücker

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Beschreibung

Wer ist beim legendären 1. FC Union Berlin "Wertvollster Spieler aller Zeiten"? Wolfgang "Potti" Matthies, der zwischen 1974 und 1988 in 253 Pflichtspielen das Tor der Eisernen hütete. Frank Nussbücker erzählt die Lebensgeschichte einer starken Persönlichkeit, die auf dem Platz regierte, gewagte Ausflüge aus dem Strafraum unternahm, lange ohne Handschuhe spielte und von einer bis heute anhaltenden Vereinstreue durchdrungen ist. Mitspieler und Nachfolger bei Union wie Joachim Sigusch, Rolf Weber oder Ronny Nikol kommen ebenfalls zu Wort.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2021 Verlag Die Werkstatt GmbH

Siekerwall 21, 33602 Bielefeld

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Lorenz Knieriem

Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen

Druck und Bindung: CPI, Leck

ISBN 978-3-7307-0586-5

INHALT

VOR ANPFIFF

Ein langhaariger Recke im Tor meines Herzensvereins

Bedingungsloser Kämpfer und grundehrlicher Typ

I„AUFM PLATZ FÜR DEN VEREIN“

ABC des Straßenfußballs

Exkurs: Frauenfußball beim ABC

Drei Jungs finden ihren Fußballverein

Seit 50 Jahren eine Clique

Exkurs: Jimmy Hoge

Unions Abstieg …

… und Wiedergeburt

Ein Derby für die Ewigkeit

Und das nächste folgt sogleich

Exkurs: Adolf Prokop

Erstliga-Torwart ohne Handschuhe

Der beste Mann ein Rüpel?

Entscheidend ist aufm Platz

Kleiner Exkurs zum Training

Wechselgedanken, Gedankenspiele

IIUNFREIWILLIGE WECHSEL-JAHRE

Platzwart und Spielertrainer in Fünfeichen

Exil in Magdeburg

Bockwurst in Köpenick und an der Elbe ein Wunder

Mit einem Matthies gibt’s keinen Abstieg

Einfach rübermachen?

Einmal Unioner, immer Unioner

Alles nur Fußball?

III„KLAR IST ER UNSER IDOL!“

Mit Potti auf Nachtwache

(Mindestens) zwei Pottis

Exkurs: Pottis 50. Geburtstag

„Eine coole Socke“

„Er war noch mal ‘nen Tick anders“

IVNACHBETRACHTUNG

Was bleibt?

VANHANG

Handverlesene Lebensstationen des Wolfgang Matthies

Quellen

Bildnachweis

Danksagung

Der Autor

VOR ANPFIFF

Ein langhaariger Recke im Tor meines Herzensvereins

von Frank Nussbücker

Fußballverrückt bin ich, seit ich denken kann. Nichts fand ich spannender, als auf dem Bolzplatz ein paar Jungs kicken zu sehen oder am frühen Samstagabend erst „Sport Aktuell“ auf DDR 1 und anschließend die ARD-„Sportschau“ zu verfolgen.

Mein erstes Fußballidol hieß Herr Pechmann. Das war unser freundlicher Werken-Lehrer, von dem es hieß, er habe ganz früher bei Hertha gespielt. Ihm folgten Jürgen Croy, Hansi Kreische, Jürgen Sparwasser, Paule Seguin, Uwe Seeler, Tröli Trölenberg von Stahl Oranienburg und Pelé. Nach kurzer Zeit als Erfolgsfan der ostdeutschen Europacup-Teilnehmer Dynamo Dresden und 1. FC Magdeburg entwickelte ich Sympathien für den Verein meiner Geburtsstadt, den FC Carl Zeiss Jena.

Mittlerweile hatte ich hautnah erlebt, dass Fußball live im Stadion noch zigmal packender ist als im Fernsehen. Da ich meine Schulzeit im Norden Berlins in Oranienburg verbrachte, rückten nun zwei andere Vereine ins Visier meiner Aufmerksamkeit. Der eine Ostberliner Erstligaklub schwang sich schon bald zum Serienmeister auf. Zu seinen Anhängern zählten mein Schuldirektor, Staatsbürgerkundelehrer Hennecke sowie fast alle Jungs aus meinem Bekanntenkreis, die später Offizier werden wollten.

Allein schon weil ich bereits elf Jahre vor meiner Einberufung alles verabscheute, was mich in irgendeiner Weise daran erinnerte, dass auch ich eines Tages zur „Asche“ musste, blieb meinem Herzen gar nichts anderes übrig, als sich für den anderen, den zivilen Ostberliner Fußballklub zu interessieren. Inspiriert von meinem Schulfreund Berge und den langhaarigen Rabauken aus der Zehnten, die mit rot-weißen Fußballschals zur Schule gingen und regelmäßig zu Spielen ins Stadion fuhren, entschied es sich für den 1. FC Union Berlin.

Dessen Mannschaftskapitän Joachim Sigusch bewunderte ich für seine Kampfkraft, und das Tor hütete ein bärenstarker Langhaariger, der durch die Luft flog wie ein Pegasus. Ein Kerl, der eine ungeheure Energie ausstrahlte, die wohl jeden Angreifer in die Flucht schlagen musste, oder? Ein Mann, der wild herumbrüllte, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, der seine Mitspieler geradezu nach vorn peitschte und immer wieder höchstselbst aus seinem Kasten herauslief, um Bälle zu verteilen oder von der Seitenlinie aus wuchtige Einwürfe zu vollführen.

Es hatte mich erwischt: Ich wurde ein Fan von Wolfgang Matthies. Meine Augen und mein Herz sahen ihn als einen strengen Erwachsenen, der zugleich cooler drauf war als alle langhaarigen Zehntklässler zusammen. Eine Respektsperson, mit der man Pferde stehlen und vielleicht sogar heimlich ein Bier trinken konnte. Ein Mann, der mit Typen wie meinem Schuldirektor oder Stabü-Hennecke so gar nichts gemein hatte. Union verehrte ich vor allem, weil dort dieser Wolfgang Matthies im Tor stand.

Pubertät, Armeezeit und die politische Wende in meinem Heimatland führten mein Herz weit weg von den Fußballstadien dieser Welt und dem 1. FC Union Berlin. Erst viele Jahre später, am 21. März 2009, betrat ich erneut ein Stadion, um den Lieblingsverein meiner Kindheit wiederzusehen.

Union spielte vor 8.560 Zuschauern gegen den FC Carl Zeiss aus meiner Geburtsstadt Jena. Nicht im Stadion An der Alten Försterei, denn die wurde gerade von Tausenden Unionern renoviert, sondern bei mir um die Ecke, im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Obwohl ich zunächst wider besseres Wissen glaubte, in diesem Spiel neutral zu sein, hatte ich mir meinen alten Union-Schal umgebunden, den mir Tante Renate Ende der 1970er auf ihrer Strickmaschine gefertigt hatte.

Ich jubelte, als Torsten Mattuschka in der 79. Minute vom Elfmeterpunkt das 1:0 für Union erzielte, doch weit mehr berührte mich etwas anderes. Der erste Stadiongesang, der an jenem Tag in meine Ohren drang, machte mich wieder zum Unioner, auch wenn unser Tor längst kein Wolfgang Matthies mehr hütete: FC Union, unsre Liebe, unsre Mannschaft, unser Stolz, unser Verein: Union Berlin … Union Berlin!

Durch meine Arbeit als Ghostwriter lernte ich Unions langjährigen Trainer Heinz Werner kennen. Zwar wurde nichts aus dem Traumjob, seine Autobiografie zu schreiben. Wohl aber erlaubte mir Herr Werner, einige der Geschichten, die er mir erzählt hatte, in meinen Büchern über den 1. FC Union zu verwenden.

Etliche seiner Erinnerungen drehten sich um „seinen“ Torwart, den von mir dereinst verehrten langhaarigen Recken Wolfgang Matthies, der unter Werners Fittichen seinen Durchbruch als Torwart erlebte. Sofort rückte Matthies wieder in den Fokus meines Interesses. Wie toll wäre es, etwas über ihn zu schreiben! Überhaupt, was machte mein Kindheits-Idol jetzt eigentlich?

Er gehe wieder zu Spielen in unser Stadion, erfuhr ich von älteren Eisernen – und schließlich nahm mich im Spätsommer 2017 mein Union-Freund Ingo Freund zur Seite: „Du willst was über Potti machen? Er kommt manchmal zu mir in den Biergarten, wenn du willst, organisiere ich ein Treffen!“

Ingo hatte kurz zuvor zusammen mit seiner Frau Petra das Bootshaus Sportdenkmal übernommen – von niemand Geringerem als Unions langjährigem Vorstopper Rolf Weber, genau wie Matthies und Sigusch ein Eiserner Held der 1970er Jahre.

Und wie ich wollte! Als mir Ingo verriet, dass zum Stelldichein in seinem Biergarten sowohl Wolfgang Matthies als auch Joachim Sigusch und Rolf Weber erscheinen würden, war ich völlig von den Socken.

Im Oktober 2017 traf ich dann in Ingos Langhaus jene drei Eisernen Helden von damals. Sie behandelten mich nach kurzem Abchecken wie einen guten Bekannten. Genau das waren ja zumindest sie für mich auch.

Über ihr Leben, vor allem jenes beim 1. FC Union, wollte ich sie befragen – und erlebte augenblicklich mit, wie sich die drei ehemaligen Mannschaftskameraden beim Erzählen die Bälle zuspielten und einander frotzelten, dass mir das Zuhören eine reine Freude war. Seit Mitte der 1970er bilden die drei – zunächst auf dem Platz und bald weit darüber hinaus – ein Team. In guten wie in schlechten Zeiten.

Nun lade ich Dich, liebe Leserin und lieber Leser, herzlich ein, an alledem teilzuhaben. Die Geschichte Unions und auch die des DDR-Fußballs sind anderenorts gebührend und wissenschaftlich fundiert in die Schrift gestellt. Dieses Buch hingegen lebt von den Erinnerungen und Anekdoten, die mir Wolfgang Matthies, Joachim Sigusch, Rolf Weber, Heinz Werner und bald auch viele weitere Wegbegleiter Pottis erzählten. Lauter Geschichtchen, die auf ihre eigene Art über jene größtenteils längst vergangenen Zeiten berichten. Diese Erinnerungen festzuhalten war und ist meine Motivation für dieses Buch – und nun genug Vorgeplänkel. Der Pfiff ertönt, das Spiel beginnt!

Fan und Autor Frank Nussbücker mit seinen Helden Wolfgang Matthies, Joachim Sigusch und Rolf Weber, Oktober 2017 im Bootshaus Sportdenkmal

Bedingungsloser Kämpfer und grundehrlicher Typ

von Wolfgang „Maxe“ Steinbach1

Als Wolfgang Matthies im Sommer 1983 zu uns nach Magdeburg kam, war er für uns alle eine feste Größe. Wir kannten ihn von Union, wo er bereits etliche Jahre zwischen den Pfosten gestanden hatte. Es überraschte mich nicht, dass er zu uns stieß. Von seinem Können her war es für ihn ein einfacher Schritt zu einem der DDR-Spitzenklubs. Aus sportlicher Sicht ein wichtiger und guter Schritt für ihn, denke ich.

„Bei uns hatteste endlich mal ‘ne richtige Mannschaft!“, ziehe ich ihn bis heute auf. Die Köpenicker spielten ja bestenfalls um Tabellenplatz acht. Auf der anderen Seite galt Union schon zu Ostzeiten als ganz besonderer Klub. Es gab in der DDR zwei Vereine, bei denen ich liebend gern mal gespielt hätte: die BSG Chemie Leipzig und der 1. FC Union Berlin. Union war allein schon wegen des Stadions und seiner Atmosphäre etwas ganz Besonderes.

Auch der FCM hatte schon immer eine hervorragende Fanszene, aber in einem weiträumigen Leichtathletik-Stadion mit Laufbahn und Marathontor kam das nie so rüber wie in einem echten Fußballstadion. 5.000 Zuschauer bei Union waren lauter, als wenn in unserem Ernst-Grube-Stadion 25.000 drin waren. Die Atmosphäre im Stadion An der Alten Försterei war einfach anders, genau wie in den englischen Stadien jener Jahre.

Ich weiß, wovon ich da spreche. Als der FCM 1979 im Europapokal der Pokalsieger bei Arsenal London gastierte, machten wir uns fast in die Hose. Hattest du Einwurf, fühlte sich das geradewegs so an, als hielten die Zuschauer von hinten den Ball fest. In einem solchen Hexenkessel zu bestehen war nicht einfach.

Und ich bin beim besten Willen kein Hasenfuß. Am wohlsten fühlte ich mich, wenn die gegnerischen Fans pfiffen. Da wusste ich: Du machst ein gutes Spiel, und das ärgert die Leute. Pfiffen sie uns aus, legte ich immer noch ‘ne Schippe drauf, besonders auswärts. Darauf bilde ich mir nichts ein. Ich glaube, das geht jedem Fußballer so, der ein bisschen Ehre im Leib hat. Zu diesen gehört in jedem Fall ein Wolfgang Matthies!

Was uns zudem verband, war die große Klappe aufm Platz. Ist ja klar: Wenn du wie ich bloß 1,66 hoch bist, musst du dich eben lautstark bemerkbar machen. Natürlich muss da auch was dahinterstecken! Auf der Straße zeigte ich mich merklich ruhiger. Aufm Platz hatte ich manchmal das Gefühl, ich bin mindestens 1,80 groß.

Auch Potti verwandelte sich, sobald er zwischen den Pfosten stand, in einen anderen Menschen. Sonst ein dufter Kumpel mit reichlich Humor, zeigte er sich auf dem Rasen äußerst ehrgeizig, geradezu verbissen. Sagtest du da was Falsches, rastete er mitunter regelrecht aus. Nach dem Spiel oder in der Freizeit war das ein völlig anderer Typ.

Potti beim 1. FC Magdeburg, das passte wunderbar! Wir wussten, dass er ein hervorragender Torwart ist, jederzeit drauf geeicht, Höchstleistung zu bringen. Das wusste auch Dirk Heyne, der andere Stammtorhüter in unserem Kader, und es stachelte ihn an. Der Lange, wie wir Dirk wegen seiner 2,01 Metern Körpergröße nannten, war ebenfalls ein Top-Tormann. Für uns machte es keinen Unterschied, ob Potti oder Heyne zwischen den Pfosten stand. Beides überragende Leute auf ihrer Position, auf die wir uns jederzeit verlassen konnten! Wie sie bei aller Konkurrenz miteinander umgingen, davor ziehe ich meinen Hut. Nie hörte man einen der beiden schlecht über den anderen reden. Es war ein gesunder Konkurrenzkampf, die Leistungsunterschiede zwischen ihnen waren minimal. Potti zeigte sich mutiger beim Rauskommen, während sich Dirk oft auf seine Länge verließ.

Wenn Potti rauskam, nahm er auf nichts und niemanden Rücksicht, am wenigsten auf sich selbst. Da knallte er alles weg, was sich ihm in den Weg stellte. Das ist für einen Torhüter gefährlich. Während seiner zwei Jahre bei uns verletzte er sich mehrere Male schwer.

Generell erlebte ich Potti als bedingungslosen Kämpfer, der nie ganz mit sich zufrieden war. Selbst wenn wir zu null gespielt und gewonnen hatten, wirkte er mitunter so, als hätte er das Spiel verloren. Auch nach einer Niederlage suchte er die Schuld zuallererst bei sich selbst, nicht etwa bei einem seiner Mitspieler.

Potti wirft sich zwischen Freund und Gegner, hier beim Oberliga-Spiel BSG Wismut Aue – 1. FC Union Berlin 3:0 am 26. April 1986.

Das alles ist von der Grundeinstellung her ja erst mal richtig, aber aus meiner Sicht stand ihm sein Übereifer, immer alles richtig machen zu wollen, so manches Mal im Weg. Irgendwann verkrampfst du dabei – und merkst es gar nicht mehr. Eine gewisse Lockerheit gehört einfach dazu. Natürlich auch Ernsthaftigkeit, aber Potti war in dieser Beziehung nicht zu bremsen. Im Spiel sowieso nicht, aber auch beim Training wurmte es ihn fürchterlich, musste er dann doch mal hinter sich greifen.

Als ich später Trainer war, riet ich meinem Torhüter mitunter: „Du kannst dich nicht bei jedem Schuss werfen! Such dir beim Torschuss-Training vier, fünf Bälle raus, und dann nimmst du mal wieder die Arme runter. Du kannst nicht nach jedem Ball fliegen. Das geht nicht, das stehst du nicht durch!“

Potti indes wollte auch beim Training partout jeden Ball halten! Ging dann doch mal einer rein, konnte er sich ewig daran hochziehen. Wie ich schon sagte: Stand Potti aufm Platz, egal ob Spiel oder Training, war das ein komplett anderer Mensch.

Allerdings muss ich zugeben: Mir ging‘s in der Hinsicht nicht viel anders. Von Hause aus verliere ich höchst ungern. So konnte es schon mal passieren, dass ich beim Training einen Mitspieler wegkloppte. Mitunter hätte ich dafür vom Trainingsplatz fliegen müssen. Dass ich so ein schlechter Verlierer bin, trieb mich auf der anderen Seite enorm an. So sorgte mein Ehrgeiz mit dafür, dass ich als Spieler einiges erreichte. Kurz und gut, auch hier gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen Potti und mir.

Einmal flog ich in der Oberliga vom Platz. Erinnere ich mich richtig, war das zu Hause gegen den BFC Dynamo2, nach einem Foul an Terletzki. Eine Freundschaft zum BFC pflegte damals wohl kaum einer von uns Fußballern. Nun ist Fußball ja auch kein Zuckerschlecken. Was die Zweikampfhärte angeht, ist das heute eine andere Nummer. Allein schon die vielen Kameras im Stadion sorgen dafür, dass das Körperliche weit runtergefahren ist. Das war früher schon anders, da hast du eher mal ‘nen Ellenbogen ausgefahren. Heute darfst du den Gegenspieler ja nicht mal mehr am Jersey zupfen.

Wie auch immer, ich war also gegen den BFC vom Platz geflogen. Mein erstes Spiel nach der Sperre fiel auf den 6. September 1986 – ausgerechnet gegen Union im Stadion An der Alten Försterei. Bei dieser Gelegenheit haute ich Potti, der inzwischen längst wieder bei seinem Heimatverein im Tor stand, einen Freistoß in den Winkel.3 An unserer Freundschaft änderte das nichts … hoffe ich mal. Bis heute verstehen wir uns wunderbar, der olle „Fliegenfänger“ und ich …

Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen der Erinnerungen von und um Wolfgang „Potti“ Matthies!

1Offensiver Mittelfeldspieler beim 1. FC Magdeburg von 1971 bis 1987 sowie von 1989 bis 1990. „Maxe“, Jahrgang 1954, bestritt insgesamt 337 Erstliga-Spiele für den FCM, in denen er 75 Tore schoss, dazu 28 A-Länderspiele (1 Tor) sowie sechs Einsätze in der DDR-Olympia-Auswahl. Dreimal wurde er mit dem FCM DDR-Meister (1972, 1974, 1975), viermal FDGB-Pokalsieger (1973, 1978, 1979, 1983). Genau wie Wolfgang Matthies bei Union gelang Wolfgang Steinbach beim FCM nach seinem „ersten“ Abschied ein Comeback. Doch auch damit war für ihn noch nicht Schluss – erst nach weiteren 104 Zweitligaspielen für den VfB Oldenburg beendete er 1994 seine Spielerkarriere und wurde Trainer. 2006 kürten ihn die Fans des 1. FC Magdeburg zum „besten FCM-Spieler aller Zeiten“, quasi genau wie die Unioner ihren Wolfgang Matthies.

2BFC steht für „Berliner Fußballclub“ und war schon lange vor der DDR gebräuchlich, so beispielsweise bei BFC Hertha 1892 oder BFC Alemannia 1890. Heute der bekannteste BFC ist allerdings zweifellos jener der Sportvereinigung Dynamo der inneren Sicherheitsorgane der DDR.

3Letztlich gewann der 1. FC Union mit 2:1, Steinbachs Anschlusstreffer – wie bereits Unions 2:0 durch Uwe Borchardt ein direkt verwandelter Freistoß und von den Rängen sofort mit einem kämpferischen „Eisern Union!“ quittiert – markierte den Endstand.

ABC DES STRASSENFUSSBALLS

Adlershof liegt malerisch an der Köllnischen Heide. Wohl weil seine Häuser auf Feuchtwiesen erbaut wurden, betrug deren Traufhöhe lange Zeit nur zwölf statt der nebenan in Berlin üblichen 22 Meter. Einst lediglich von ein paar Kleinstbauern bewohnt, sorgten unter anderem der Ausbau der Bahnlinie Berlin–Görlitz 1866/67 sowie der vierzig Jahre später errichtete Teltowkanal für die Industrialisierung des Orts. 1912 nahm die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt ihren Betrieb auf. Seit 1920 gehört Adlershof zu Berlin.

1946 fand hier die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (ab 1972 Akademie der Wissenschaften der DDR) ihren Sitz, eine Nachfahrin der einstigen Preußischen Lehranstalt. Eines ihrer Institute widmete sich der Erforschung des Kosmos, zu ihm gehörte ein Radioteleskop mit stattlichen 36 Metern Durchmesser. Am 21. Dezember 1952 ging das ebenfalls hier angesiedelte Fernsehzentrum des Deutschen Fernsehfunks (DFF) auf Sendung.

Zahlreiche Berühmtheiten wohnten oder wirkten in Adlershof, unter anderem Ernst Lau, Erfinder der Gleitsichtbrille, die Schriftstellerin Anna Seghers, Fernseh-Pionier Ernst Augustin oder Filmregisseur Wolfgang Kohlhaase. Dazu kommen mit Willi Schwabe und dem als „Sudel-Ede“ verschrienen DFF-Chefideologen Karl-Eduard von Schnitzler zwei Fernsehstars, wie sie unterschiedlicher kaum hätten sein können – Schwabe erfreute sich besonders dank der von ihm von 1955 bis 1990 alle zwei Wochen moderierten Fernsehsendung „Willi Schwabes Rumpelkammer“, in der er Ausschnitte aus Filmklassikern präsentierte, größter Bekanntwie Beliebtheit; Schnitzler wiederum kommentierte von 1960 bis 1989 im Politmagazin „Der schwarze Kanal“ in linientreuester Manier Ausschnitte mit „Bild und Ton: original BRD-Fernsehen“, was selbst überzeugtesten Genossen Gelegenheit zum ungestraften Reinschauen beim Klassenfeind gab.

Die Atmosphäre in Berlin, Nahtstelle zwischen den einander im Kalten Krieg gegenüberstehenden politisch-ideologischen Blöcken, zeigte sich im Jahr von Wolfgang Matthies‘ Geburt als äußerst konfliktgeladen.

Am 24. Februar 1953 melden sich (laut Chronik der Internetseite berlingeschichte.de) 2.600 Flüchtlinge aus Ostberlin im Westteil der Stadt. Keine zwei Monate später eröffnet BRD-Bundespräsident Theodor Heuss das Notaufnahmelager für DDR-Flüchtlinge in Marienfelde. Auf ostdeutscher Seite wiederum beschließt der Ministerrat, dass unter anderem sogenannte „Grenzgänger“, die in Ostberlin wohnen und in Westberlin arbeiten, keine Lebensmittelkarten mehr erhalten.

Nachdem Anfang des Jahres in der neu errichteten Stalinallee die ersten Wohnungen bezogen worden sind, verstirbt am 5. März der Namenspatron dieses sozialistischen Pracht-Boulevards. Während in der DDR Staatstrauer befohlen wird, entfernt die Westberliner Polizei am Tag nach Stalins Tod in Tiergarten, Kreuzberg und Zehlendorf etliche rote Fahnen, die mit Trauerflor versehen sind.

Derweil erreicht die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft die Stadt. In Marzahn und Wartenberg gründet sich je eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, die ersten beiden LPGs auf Berliner Boden. Und während die Verbindungen nach Westen immer mehr eingeschränkt werden, eröffnet die sowjetische Fluggesellschaft Aeroflot am 29. März den Flugverkehr zwischen Moskau und Berlin-Schönefeld.

Am 16. Juni legen auf mehreren Ostberliner Baustellen, unter anderem einem Block der Stalinallee, Bauarbeiter aus Protest gegen die Erhöhung der Leistungsnormen die Arbeit nieder. Ihrer Forderung nach Rücknahme der Normerhöhung folgt alsbald der Ruf nach dem Rücktritt der Regierung, Streiks und Demonstrationen wachsen binnen eines Tages zum Aufstand an. Von Moskau aus wird über Ostberlin der Ausnahmezustand verhängt, die Unruhen werden von den Panzern der Roten Armee beendet.

Vier Tage später gewinnt der 1. FC Kaiserslautern das Endspiel um die (west-)deutsche Fußballmeisterschaft gegen den VfB Stuttgart mit 4:1 im Berliner Olympiastadion.

Sechs Tage vor Matthies‘ Geburt hebt der sowjetische Stadtkommandant, Generalmajor Pjotr Akimowitsch Dibrowa, den über Ostberlin verhängten Ausnahmezustand auf.

Am 16. Juli findet der letzte Spieltag der DDR-Oberligasaison 1952/53 statt. BSG Motor Oberschöneweide, einer der Vorläufer des 1. FC Union Berlin, steigt als 15. der Abschlusstabelle in die DDR-Liga ab. Höchste Zeit also, dass Wolfgang Matthies am 17. Juli das Licht dieser Welt erblickt.

Der kleine Wolfgang jagt dem Ball hinterher, sobald er sich halbwegs sicher auf seinen Beinen halten kann: „Schon als Piepel spielte ich am liebsten Fußball, gleich bei uns auf der Straße. Ich bin ein richtiger Straßenfußballer. Gegenüber war eine Tischlerei, eingezäunt, eine lange gerade Fläche. Oder wir spielten auf dem Bürgersteig. Weil der nicht breit genug war, gehörte auch die Straße zu unserem Spielfeld. Schnell ein paar Jacken als Tore hingelegt, los ging’s. Auf der Straße herrschte kaum Verkehr. Kam doch mal ein Auto, mussten wir eben kurz warten – und das Spiel lief weiter. Die Tore mussten wir zum Glück nicht jedes Mal wegräumen, denn sie befanden sich auf dem Bürgersteig. Zumindest dafür war der breit genug.“

An ein fußballerisches Vorbild aus dieser Zeit kann sich Wolfgang heute nicht mehr erinnern, bevor ihm doch noch jemand einfällt: „Vielleicht Uwe Seeler?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nur, ich spiele Fußball, solange ich denken kann.“

Auch an seiner Schule, der 10. Polytechnischen Oberschule (POS) Berlin-Adlershof in der Radickestraße, jagten Wolfgang und seine Kumpels dem runden Leder hinterher, wie sein Schulfreund Bernd Müller zu erzählen weiß: „Ich ging in Wolfgangs Parallelklasse und war fußballverrückt wie er – wie wir alle! Früher durfte man ja erst mit acht Jahren im Verein kicken. Weil es für uns noch nicht so weit war, spielten wir ab der ersten Klasse zusammen in der Schulmannschaft. Herr Kopittke, unser Zeichenlehrer, leitete das Training, zusammen mit Sportlehrer Jabbusch.

Hier lief das Ganze organisierter als zuvor auf der Straße. Wir bekamen sogar eine vollständige Spielkleidung. Unsere Jerseys waren grün, mit einem weißen V vorne drauf. Das hatte keine tiefergehende Bedeutung, es war grad modern. Von sechs bis acht Jahren, also in der ersten und zweiten Klasse, spielten wir hier zusammen, Wolfgang noch als Feldspieler. Wir traten auch gegen andere Schulen an.“

Als Feldspieler in der Schulmannschaft der 10. POS Adlershof, Wolfgang obere Reihe, 3. von rechts, um 1960

„Es gab eine Adlershofer Meisterschaft“, ergänzt Claus-Peter Oehmcke, Urgestein des Adlershofer Ballspielclubs 08. Er ist sechs Jahre älter als Bernd und Wolfgang und war damals wie diese geradezu besessen von dem einst als „englische Krankheit“ verschrienen Sport: „Ich spielte für die 12. Oberschule, und wir hatten ebenfalls eigene Jerseys, Stutzen – alles, was dazugehört. Unsere Sportlehrerin war Frau Jabbusch, die Gattin des Sportlehrers von der 10. POS. Wir waren begeistert von ihr! Aufm Platz legten wir uns besonders für sie ins Zeug und gaben alles, die anderen wegzuhauen. Dreimal hintereinander gewannen wir den Pokal. Das war eine schöne Zeit. Die Schule blieb immer im Hintergrund, also das Fachwissen. Hauptsache, wir gewannen beim Fußball!“

Mit acht Jahren wechselten Bernd, Wolfgang und ihre Mannschaftskameraden schließlich rüber zu Oehmcke in den Adlershofer Ballspielclub 08. Endlich waren sie alt genug, dort bei den Knaben mitzumischen.

Gegründet am 9. November 1908, firmierte der bis zum heutigen Tage durchgängig von kleinen Privatsponsoren am Leben gehaltene Club in der DDR lange Zeit unter dem Namen SG Adlershof – 1945 waren in der sowjetischen Besatzungszone auf Weisung der Militäradministration alle Sportvereine aufgelöst worden und hatten sich auf kommunaler Ebene als „Sportgruppen“ (SG) neu gegründet. Von 1948 bis 1955 trug der ABC auch offiziell wieder den Namen Adlershofer Ballspiel Club, anschließend firmierte er jedoch bis 1989 „gegen den Willen des Clubs“, wie die Vereinschronik vermeldet, erneut als SG Adlershof.

„Aber das sagte keiner von uns“, betonen Potti, Bernd und Claus-Peter wie aus einem Mund, „wir spielten beim ABC, Punkt!“

Auch hier war Wolfgang zunächst noch Feldspieler. Doch schon bald nach seinem Start im Verein geschah es: „Bei einem Hallenturnier fiel unser Torwart aus. Weil ich groß war, stellten sie mich in den Kasten. Ich muss wohl ganz ordentlich gehalten haben, denn dabei blieb es von nun an. Ich hatte kein Problem damit, im Gegenteil.“

Wolfgang fühlte sich sichtlich wohl als Torhüter, und schon bald hatte er auch klare Vorstellungen davon, wem er auf seiner Position besonders nacheiferte: „Mein erstes Vorbild als Torhüter war Enrico Albertosi, der viele Jahre beim AC Florenz und danach bei Cagliari Calcio und AC Mailand spielte.“

Später kam noch Rudi Kargus vom Hamburger SV hinzu. Der galt etliche Jahre als der „Elfmetertöter“ der Bundesliga. Sage und schreibe 23 Mal traten Strafstoßschützen vergeblich gegen Kargus an, der wie Matthies eine Vorliebe für längeres Haupthaar zeigte. Dieser wiederum eiferte Kargus beim Entschärfen von Elfmetern nach.

Sein erster Trainer beim ABC hieß Klaus Drescher. Schon bald jedoch bekamen Wolfgang und die anderen „kleenen Piepel“ ihr Fußball-Einmaleins von einer Frau vermittelt: „Wir hatten eine Trainerin. Sie hieß Marita und brachte uns eine Menge bei. Marita war sehr gut, nur ihren hohen, blonden Dutt mochte ich nicht so. Eine Fußball-Lehrerin, das war schon ungewöhnlich. Ich jedenfalls kannte keine zweite. Außerdem war sie Schiedsrichterin.“

Bernd Müller zeigt sich in Bezug auf ihre gemeinsame Trainerin Marita Ralf weniger kühl: „Marita war zielstrebig, sie sah furchtbar gut aus, und wir gingen nicht nur aus Freude am Bolzen so gern zum Training, sondern auch, weil wir so eine junge, schicke Trainerin hatten. Marita war klasse! Wir machten widerspruchslos alles, was sie verlangte. Es war nicht so, dass wir bei ihr rumgealbert hätten oder so. Eine Übungsleiterin, dazu eine, die so toll aussah, das gab es weit und breit nicht. Wir waren stolz, bei ihr zu trainieren!“

Mindestens eine, vielleicht sogar zwei Spielzeiten betreute Marita Ralf die Knabenmannschaft des ABC. Hans-Joachim Matthies, Pottis vier Jahre älterer Bruder und seit 1964 im Verein aktiv, erinnert sich ebenfalls an sie: „Marita war schon eine Respektsperson. Später ging sie rüber zum TSC, nach Köpenick.“

„Ich war sehr traurig, als sie zum TSC wechselte“, bekennt Bernd Müller, „und Wolfgang garantiert auch!“

Beim Training, links Marita Ralf, Trainerin der Jungenmannschaft, Wolfgang vordere Reihe, 2. von rechts, hier schon als Torwart

EXKURS: Frauenfußball beim ABC

Nicht nur bei den Adlershofer Knaben und Männern hinterließ Marita Ralf einen bleibenden Eindruck. Anfang 1966 erschien sogar in der Frauenzeitschrift „Für Dich“ ein Artikel über sie. Zwei Schwarz-Weiß-Fotos zeigten sie bei ihrer Arbeit als Fußball-Referee. Union Berlins Vereinschronist Gerald Karpa kommt 2019 im Stadionheft in einem Text über die Historie des Frauen- und Mädchenfußballs beim 1. FC Union auf besagten Artikel zu sprechen und weiß zu berichten, dass Marita 1962 ihre Schiedsrichter-Prüfung bestanden habe. Der „Für Dich“-Artikel führte sie als „der einzige aktive weibliche Schiedsrichter in Berlin“ auf, und Karpa fügt hinzu: „Sie ist beim TSC Berlin aktiv und mit der Klubgründung bald nach Erscheinen des Artikels Unionerin.“

Dass die Fußball-Pionierin vom ABC kam, dürfte kein Zufall gewesen sein. „Anhand eines Fotos vom 07.04.1950 läßt sich der Beginn des Damenfußballs beim ABC 08 nachweisen“, vermeldet die Vereinschronik eine frühzeitige Vorreiterrolle des Klubs, und gut sechs Jahre später, „am 21.11.1956[,] stellte man sich der Öffentlichkeit vor. Die Presse – Wochenschau und Fernsehen – waren hochgradig interessiert. 350 Zuschauer sahen das Spiel ,Frühlingsduft‘ – ,Herbststurm‘, welches nach 2 x 30 min mit 0:2 ausging.

Wir waren sozusagen der Vorläufer des Frauenfußballs im Osten. Doch das paßte nicht ins Bild des Bundesvorstands des DTSB und der Führung des Deutschen Fußball-Verbandes. Man teilte uns mit, daß unser kühnes Vorhaben der ,Moral und Ethik‘ des Frauensportes nicht entspricht und bei Zuwiderhandlung die Sportgemeinschaft Adlershof aus dem DTSB ausgeschlossen werden würde.“

Die aufmüpfigen Adlershoferinnen und Adlershofer blieben jedoch am Ball, und spätestens zum 70. Vereinsgeburtstag stieg am Lohnauer Steig das nächste offizielle Frauenfußballspiel: „Am 13.11.1978 wurde von unseren Damen gegen die BSG Fernsehelektronik vor fast 500 Zuschauern ein 1:0-Sieg erzielt.“

Diese Mannschaft spielte zwei Jahre zusammen, dann zwang sie der Mangel an jungen Spielerinnen zum Aufhören. Fortan dauerte es bis nach der Wende, doch spätestens 1997 war der Ball wieder am Rollen, und mittlerweile sind Frauenmannschaften des Adlershofer BC seit September 1999 am Punktspielbetrieb beteiligt.

Ab 1966 wurden Wolfgang Matthies und seine Mannschaftskollegen von Claus-Peter Oehmcke und dem heute seit vielen Jahren beim SV Empor Berlin tätigen Rainer Hartpeng trainiert: „Rainer und ich waren jungsche Kerle von 18 Jahren“, erinnert sich Oehmcke. „Wir spielten gerade erst in der 1. Herrenmannschaft und trainierten nebenbei die Jungs. Das machte Spaß, und die Truppe um Wolfgang und Bernd hatte es in sich. 1966 wurden sie Schülermeister. Ich weiß noch, bei Aufbau Rüdersdorf gewannen wir 19:0, zum Rückspiel bei uns traten die Rüdersdorfer gar nicht mehr an. Viele unserer Ergebnisse waren sehr hoch, etliche der Jungs spielten später bei ABC in der 1. Männermannschaft.“

Ihre Lauf-Trainingseinheiten absolvierten die Fußballer des ABC im Stadtwald Köllnische Heide. „Der Trainer auf dem Fahrrad, wir Jungs auf unseren Füßen, so ging es durch den Wald“, erinnert sich Claus-Peter Oehmcke. Als er Wolfgang, Bernd und deren Mannschaftskameraden unter seinen Fittichen hatte, lief er jedoch selbst mit. „Rainer Hartpeng und ich spielten gerade frisch in der 1. Männermannschaft, da nutzten wir das Ganze gleich als Training für uns.“

„Waldläufe waren an der Tagesordnung“, bestätigt Bernd Müller, „und wir hatten einen alten Bunker im Wald an der Friedlander Straße. Da ging es hoch und runter und im Winter mit dem Schlitten.“

Selbst Wolfgang Matthies erinnert sich übrigens bis heute ganz gern an jene Waldläufe in der Heide. Viel lieber jedenfalls als an alle späteren Laufeinheiten beim 1. FC Union.

Wolfgang wusste seit jeher, dass er Fußballer werden würde, und in seinem Zeichenlehrer und Fußball-AG4-Leiter Hermann Kopittke hatte er von Anfang an einen begeisterten Förderer: „Kopittke ließ mich eine Stunde früher nach Hause gehen, wenn zu Weltmeisterschaften oder bei der Olympiade die Spiele schon mittags angepfiffen wurden.

Schulschluss war ja erst 14 Uhr, da hätte ich die Übertragung im Fernsehen ja größtenteils verpasst.“

Wolfgang Matthies im Tor des ABC, Anfang/Mitte der 1960er

Potti als Steppke stelle ich mir als ähnliche Type wie einen Max Kruse vor, der laut Interview im Unionprogramm seine Lehrer einst wissen ließ: „Macht euch keine Sorgen, ich werde sowieso Fußball-Profi.“

Allerdings trat Wolfgang in der Schule nicht nur gegen den Ball: „Kopittke betreute die verschiedensten Arbeitsgemeinschaften, unter anderem ,Junge Philatelisten‘ und natürlich Kunst. Seitdem interessiere ich mich für Briefmarken! Was die Kunst angeht, hatte ich nachweislich nicht das große Talent. Ich machte trotzdem mit, weil das so ein toller Lehrer war!“

Die stellvertretende Schuldirektorin überreicht Wolfgang eine Auszeichnung, ganz sicher für Leistungen auf dem Fußballrasen, Fritz-Lesch-Sportplatz in der Dörpfeldstraße, Adlershof um 1963.

Später unterrichtete Hermann Kopittke Wolfgangs Klasse in ESP, sprich: „Einführung in die sozialistische Produktion“. Ein Fach mit großem Langeweile-Potenzial, aber nicht bei Herrn Kopittke: „Der fuhr mit uns in den Betrieb, dort gingen wir auf den Hof – und spielten Fußball!“

Nicht nur bei Wolfgang Matthies drehte sich fast alles um den magischen Lederball, wie sein Schulfreund Bernd Müller bestätigt: „Kamen wir von der Schule nach Hause, hieß es: Mappe in die Ecke, Ball geholt, ab zum Knödeln! Hinten aufm Hof hatten wir zwei Tore, da haben wir gespielt. Straßenmannschaft gegen Straßenmannschaft, alles selbst organisiert, bolzten wir bis zum Abend herum.“

„Auch bei mir ging‘s in der Schulzeit nur um Fußball!“, wirft Claus-Peter Oehmcke ein. „Wir spielten jeden Tag auf dem Nebenplatz bei ABC. Als ich Jugendweihe hatte, fuhr mich mein Onkel zum Sportplatz, damit ich wenigstens noch in der zweiten Halbzeit auflaufen konnte. Es interessierte mich gar nicht, ob die da feiern oder weiß ich was machen. Sofort rüber, Klamotten angezogen und ruff uffn Platz!“

Ahnten seine Sportskameraden bereits, dass es bei Wolfgang Matthies einmal bis in die oberste Liga raufgehen würde? „Ehrgeizig war Wolfgang schon immer“, erinnert sich Bernd Müller, „sonst wäre er am Ende ja nicht bei Union gelandet. Aber ich kann nicht sagen, dass er sich aufm Platz nun ausgesprochen fanatisch gebärdet hätte. Wir waren ja alle fußballverrückt, und jeder wollte gewinnen! Er war ein lustiger Typ, aber hatte eben auch ‘ne klare Meinung. So ging er später nie in die Partei, was am Ende sicher auch seine Nationalmannschafts-Laufbahn etwas bremste. Wolfgang hatte eben seinen eigenen Stil.“

„Wir spürten schon, dass er mehr draufhat, als beim ABC zu bleiben“, wirft Claus-Peter Oehmcke ein. „Er wollte immer mehr, und er hat‘s ja auch geschafft, dass er bei der Sichtung genommen wurde, bei den Junioren eines Erstligaklubs! Aber auch dann ließ er die Verbindung zu ABC nie abreißen.“

Erlaubte es seine Zeit, besuchte Wolfgang Matthies die Spiele seines alten Vereins. Auch beim Kappenfest im Gesellschaftshaus Grünau, eine Großveranstaltung des ABC mit Musik, Tanz und gut 250 Besuchern, ließ er sich gelegentlich sehen.

Wolfgangs Verbindung zu Bernd Müller überstand auch die Wirren der stürmischen Jugendzeit, wie dieser mittels einer kleinen Geschichte herausstellt: „In der Schule waren wir eine Clique, drei, vier Jungs und drei, vier Mädels. Wir feierten Partys, unternahmen was, trieben zusammen Sport. Im Sommer gingen wir schwimmen, im Winterhalbjahr liefen wir oft Schlittschuh. Die Tennis-Anlage an der Dörpfeldstraße wurde zur Eisbahn umgespritzt.“

Gaby, eines der Mädels, ging in Wolfgangs Klasse und wurde Bernds Liebste. „Als ich dann bei der Armee war, lernte sie jemand anderen kennen“, entsinnt sich Müller. „Sie schrieb mir, dass Schluss ist. Nun, auch ich blieb nicht allein. Zum Kappenfest kam ich auf Urlaub raus und fragte meine neue Freundin: ,Kommste mit?‘ Sie wollte, und wir gingen zum Gesellschaftshaus. Draußen standen mein Bruder und Wolfgang. ,Gaby ist da!‘, warnten sie mich. Sie saß am Tisch mit meinen Eltern, und alle sahen mich mit großen Augen an. Gaby wirkte sehr traurig, dabei hatte sie doch mit mir Schluss gemacht!