Eisphönix (Die Phönix-Saga 2) - Julia Zieschang - E-Book

Eisphönix (Die Phönix-Saga 2) E-Book

Julia Zieschang

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Beschreibung

**Die Magie der Phönixe wird dich in ihren Bann ziehen…** Caro ist dem Geheimnis um ihre Herkunft einen Schritt näher gekommen und steht nun zwischen zwei Welten. Doch gerade jetzt hat Vincent sich von ihr abgewandt. Sie fühlt sich verraten und ihr gebrochenes Herz macht es Caro schwer, ihre neuen Kräfte der Phönixmagie zu kontrollieren. Schon bald gerät sie in die Fänge der Eisphönixe, die sie vor eine frostige Entscheidung stellen. Während der Krieg zwischen den Phönixen sich zuspitzt, ahnt Vincent nicht, dass er Caro vollends zu verlieren droht. Kann ihre Liebe das Eis zum Schmelzen bringen? //Textauszug: Körperliche Schmerzen waren beschreibbar, nachfühlbar, aber an den Schmerzen in der Seele litt jeder für sich allein. Still und unbemerkt und unverstanden. Ich schlang die Arme fest um meinen Brustkorb, als würde das irgendetwas nützen. Es würde wohl kaum die Schwärze aufhalten, dennoch hatte die Geste etwas Tröstliches, etwas Schützendes, Vertrautes. Und an Vertrautem mangelte es mir im Augenblick sehr. Ich war umgeben von fremden Phönixen, in einer mir unbekannten Umgebung. Ich gehörte nicht hierher, aber ich gehörte auch nicht zu Vincent. Nicht mehr.// //Alle Bände der Fantasy-Bestseller-Reihe: -- Feuerphönix (Die Phönix-Saga 1) -- Eisphönix (Die Phönix-Saga 2) -- Sturmphönix (Die Phönix-Saga 3) -- Die Phönix-Saga: Alle Bände in einer E-Box// Die Phönix-Saga ist abgeschlossen.

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016 Text © Julia Zieschang, 2016 Lektorat: Ricarda Saul Umschlagbild: shutterstock.com / © nizas / © Chevnenko / © Misao NOYA / © Anastasiia Gevko Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60250-0

Für meine Mitbewohnerin, mit der sogar das Geschirrabwaschen zu einem Highlight wird!

1. Kapitel

Zeit hatte keine Bedeutung mehr. Nichts hatte mehr eine Bedeutung für mich. Mein Herz war zu Eis erstarrt. Selbst der Schmerz, den ich fühlte, als es erfror, war nur noch eine verschwommene Erinnerung. Es war, als wären nur noch Bruchstücke übrig von meinem alten Leben, das einem ganzen Scherbenhaufen geglichen hatte. Die Splitter hatten sich tief in mein Herz gebohrt, waren zu einem unsäglichen Schmerz verschmolzen. Aber das war Vergangenheit. Vorbei und vergessen. Sie hatten mir den Schmerz genommen, hatten mir Erlösung geschenkt. Doch auch so etwas wie Befreiung empfand ich nicht. Gefühle gehörten der Vergangenheit an. Da war – nichts. Das Leben war leicht. Geradezu einfach, seit ich mir keine Gedanken mehr darüber zu machen brauchte, ob ich gerade die Gefühle von jemandem verletzt hatte. Oder ob jemand meine verletzt hatte. Ich führte ein Leben wie in Watte gepackt. Nichts drang zu mir hindurch. Alles war gedämpft, taub, weich, bequem.

***

Langsam trieb ich an die Oberfläche. Nur ein dünner Schleier trennte mich von der echten Welt und damit von meinem Leid. Ich spürte es bereits als dumpfes Echo in meiner Brust, so, als würde eine Schmerztablette langsam an Wirkung verlieren. Ich wollte nicht wach werden. Kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Verzweifelt klammerte ich mich an die Dunkelheit, versuchte einen Weg zurück zu finden, zurück an jenen finsteren Ort, an dem alles gut war. An dem es kein Bewusstsein, kein Leiden, keine Zeit gab. Keinen Schmerz. Aber mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde mein Geist klarer und mein Verstand wacher. Wie durch einen Riss im Nebel, durch den die Sonnenstrahlen auf die Erde treffen, drangen die Erinnerungen an Vincent und an das, was er getan hatte, zu mir hindurch. Erst nur wenige, dann immer mehr, bis sich die Nebelschwaden vollständig aufgelöst hatten und meine Erinnerungen an das alles wieder da waren. Es war, als bohre sich ein rostiger Nagel tief in mein Herz. Der Schmerz brachte meine Augenlider zum Flattern. Alles fiel mir wieder ein. Sein Hass auf die Eisphönixe. Wie er mich als Abschaum bezeichnet hatte. Und dass er mir verschwiegen hatte, dass es noch andere Phönixe gab, außer denen, die Feuer entfachen konnten. Das Loch in meinem Herz wurde größer, wie ein bedrohliches Monster öffnete es sein Maul, als wollte es mich verschlingen. Alles war schwarz, so schwarz.

Qualvoll schnappte ich nach Luft, behielt die Augen aber weiterhin geschlossen. Jemand trat neben mein Bett. Kühle Finger streiften meine Stirn und strichen mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Ich blinzelte. Meine Augen brauchten einen Moment, ehe sie sich scharf stellten. Über mich gebeugt, aus klaren blauen Augen, deren Farbe an einen reinen Gebirgsbach erinnerten, blickte mich Vic an. Ihre weißblonden Haare fielen ihr in einem langen Zopf über die Schulter, dessen Ende meine Bettdecke streifte.

»Schhhht, alles ist gut«, sagte sie in beruhigendem Ton. Sie setzte sich auf die Bettkante, ein zartes Lächeln auf den Lippen.

»Wo bin ich?«, krächzte ich.

»Du bist im Hauptsitz der Eisphönixe.«

Wie war ich hier hergekommen? Das Letzte, an das ich mich erinnerte, waren die starken, mich haltenden Arme eines blonden Jungen, der von den anderen Pat genannt wurde.

Vic fing meinen Blick auf. »Keine Sorge, hier wird dir niemand etwas tun. Ich bin übrigens Victoria.«

Dafür stand also die Abkürzung. »Wer ich bin, weißt du schon, nehme ich an?«

Sie nickte und ihre blauen Augen strahlten voller Lebensfreude. Es war kaum auszuhalten. Wie konnte sich die Welt weiterdrehen, als wäre nichts geschehen, wo meine doch gerade erst eingestürzt war? Ein Trümmerhaufen. Ich spürte ein Brennen in meinen Augen. Und sofort meinen Stolz aufwallen. Ich würde vor einer Fremden keine Schwäche zeigen. Niemals. Ich stemmte mich hoch und lehnte mich mit dem Rücken gegen die kalte Wand. Am Rande nahm ich wahr, dass mir jemand meine Jacke ausgezogen haben musste, denn ich war nur mit meinem gestreiften Longsleeve bekleidet. »Wie lange war ich bewusstlos?«

»Weniger als eine Stunde. Ich habe vielleicht zehn Minuten neben deinem Bett gesessen, da bist du schon aufgewacht.«

So kurz nur? Es kam mir vor, als wären Monate vergangen und dabei waren es nur Minuten. Minuten, in denen sich mein ganzes Leben geändert hatte. Schon wieder. Würde das ab jetzt immer so weitergehen? Ich arrangierte mich mit einer neuen Situation und kurz darauf geriet die Welt aus den Fugen? Erst der Umzug in die WG und der Beginn meines Studiums, dann kam Vincent mit der ganzen Phönixgeschichte und nun noch mehr Phönixgeschichten, nur mit neuen Darstellern. Alle paar Monate schneite jemand rein und stellte mein Leben auf den Kopf. Fast sehnte ich mich nach der Zeit im Waisenhaus zurück. Ein bisschen Eintönigkeit hätte ich im Moment wirklich gut gebrauchen können.

»Doro und Mara, sie werden sich Sorgen machen!« Meine Stimme erinnerte immer noch mehr an ein Schleifeisen als an ein menschliches Wesen.

Mara war mit Sicherheit außer sich vor Sorge. Wir hatten vorgehabt, den Abend mit Bowling zu verbringen, und dann war alles schief gelaufen. Erst verließ Vincent völlig überstürzt unsere Wohnung, dann ging ich ihn suchen und kam ebenfalls nicht zurück. Sie hatte bestimmt die Polizei verständigt. Brachten sie im Radio etwa schon Vermisstenmeldungen? Vermutlich nicht. Irgendwo hatte ich mal gehört, dafür musste man mindestens seit achtundvierzig Stunden verschwunden sein. Und davor würde ich wieder zurück sein. »Ich muss zu ihnen zurück«, sprach ich meinen Gedanken laut aus und schob die Bettdecke von mir runter. Ihre kühlen Finger legten sich auf meinen Arm und hielten mich zurück.

»Das wirst du, nur nicht sofort. Wir haben ganz schön viele Fragen an dich und wir werden dich in den Umgang mit deinen neuen Kräften einweisen. Du kannst jetzt nicht einfach nach Hause gehen. Das ist viel zu gefährlich! Denk nur daran, was passieren könnte! Du könntest deine Freundinnen verletzen. Und das willst du doch nicht, oder?«

Sie sprach ruhig und sanft, wie mit einem kleinen Kind. Die Sicherheit meiner Mitbewohnerinnen hatte oberste Priorität und dennoch …

»Aber …«, setzte ich an, suchte nach einem Gegenargument. Der mentale Knoten ließ sich nur schwer lösen. Ich musste es langsam angehen. Ein Gedanke nach dem nächsten. Okay, wo war ich gerade gewesen? Polizei. Genau, Mara würde die Polizei rufen, wenn ich nicht nach Hause kam. »Kann ich ihnen wenigstens eine SMS schreiben? Ich bin mir sicher, sie schalten die Polizei ein, wenn ich mich nicht bald melde«, bat ich Vic.

»Natürlich.«

Ich tastete in meiner Hosentasche nach meinem Handy, aber meine Finger fanden kein rechteckiges Kunststoffgehäuse. Plötzlich baumelte es vor mir in der Luft. Vic streckte es mir unter die Nase.

»Wo hast du das …«

»Wir schreiben die Nachricht zusammen, ja?«, meinte sie schnell.

Ich war zu erschöpft, um zu widersprechen, also ließ ich zu, dass Vic eine Nachricht an Mara und Doro tippte:

Macht euch keine Sorgen, mir geht es gut. Ich muss die nächsten Tage ein paar Dinge regeln, die sich nicht aufschieben lassen. Wenn alles geklärt ist, komme ich zurück. Hab euch lieb, Caro

»Passt das so?«, fragte sie mich.

»M-hm.«

»Versendet.« Sie steckte mein Handy in ihre Hosentasche. »Fühlst du dich in der Lage, eine kleine Hausführung mitzumachen? Die anderen brennen schon darauf dich kennenzulernen.« Vic streckte mir eine Hand hin, eine Aufforderung, aus dem Bett zu kommen.

»Die anderen?«

»Ja, ganz besonders Markus kann es kaum erwarten, dich zu treffen. Er ist mindestens schon zwei Mal an der Tür gewesen und hat nachgesehen, ob du bereits aufgewacht bist.« Sie lächelte mich aufmunternd an. Endlich ergriff ich ihre Hand und sie half mir beim Aufstehen.

»Wer ist Markus?«

»Das darf ich dir nicht verraten. Er wäre sehr enttäuscht, wenn ich ihm die Überraschung verderben würde. Kommst du?«

Meine Zunge fühlte sich schrecklich pelzig und ausgedörrt an.

»Ich verspreche dir, es wird nicht allzu lange dauern. Danach kannst du dich gleich wieder hinlegen und bis morgen früh ausruhen«, versicherte mir Vic, die mein Zögern falsch interpretiert hatte.

Nachdem sie es angesprochen hatte, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Die Schwärze der Nacht war ein gutes Spiegelbild meines Innenlebens. Genauso fühlte ich mich. Zur ewigen Dunkelheit verdammt. Warum hieß es eigentlich schwarzer Humor? Ich wäre froh, wenn ich noch so etwas wie Humor in mir finden könnte. Selbst wenn er bitterböse und schwarz wäre. So war das einzig Schwarze in mir das klaffende Loch in meiner Brust. Groß, bedrohlich, ein alles verschlingendes Dunkel, das sich immer weiter ausdehnte. Konnte es etwas Schlimmeres geben, als langsam von innen heraus von einer solchen Leere aufgefressen zu werden? Körperliche Schmerzen waren beschreibbar, nachfühlbar, aber an den Schmerzen in der Seele litt jeder für sich allein. Still und unbemerkt und unverstanden. Ich schlang die Arme fest um meinen Brustkorb, als würde das irgendetwas nützen Es würde wohl kaum die Schwärze aufhalten, dennoch hatte die Geste etwas Tröstliches, etwas Schützendes, Vertrautes. Und an Vertrautem mangelte es mir im Augenblick sehr. Ich war umgeben von fremden Phönixen, in einer mir unbekannten Umgebung. Ich kam mir vor wie ein Fremdkörper. Ich gehörte nicht hierher, aber ich gehörte auch nicht zu Vincent. Nicht mehr. Nur, wo gehörte ich hin? Ich hatte ja nicht einmal eine Ahnung, wer ich war und vor allem: wozu ich fähig war.

»Worauf wartest du?«, unterbrach Vic meine selbstmitleidigen Gedanken. Ich hatte ihre Anwesenheit völlig vergessen.

»Könnte ich bitte ein Glas Wasser haben?« Vielleicht würde das zumindest meinen Körper ein wenig beleben und das Bild nach außen wahren. Reiß dich zusammen, Caro! Ich würde nicht wildfremde Personen mein Leid sehen lassen. Dafür war ich zu stolz.

»Kein Problem, wir kommen sowieso an der Küche vorbei. Na los.« Sie hakte sich bei mir unter und ich hatte keine andere Wahl, als ihr zu folgen. Ihre gute Laune nervte mich. Ich wollte meine Ruhe haben. In Selbstmitleid verfallen. Aber Vic ließ mir keine Zeit dafür. Beherzt zog sie mich die Treppenstufen hinunter. Die neue Umgebung lenkte mich ab. Zumindest für den Moment.

»Hier, dein Wasser.« Vic reichte mir ein Glas aus dünnem Kristall.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir schon die Küche betreten hatten. Auch daran, wie wir hierhergekommen waren, konnte ich mich nicht erinnern. Ich hatte mich wie in Trance bewegt und ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt. Dagegen war der Halbmarathon, den ich letztes Jahr gelaufen war, gar nichts. Geradezu ein Kinderspiel. Damals dachte ich, ich hätte meine körperlichen Grenzen erreicht, hatte mich kraftlos und ausgepowert gefühlt. Was für ein Irrtum.

Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, den anderen Phönixen gegenüberzutreten. Doch irgendwie würde ich es schon schaffen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich musste es einfach schaffen.

Gierig trank ich das Wasser in einem Zug aus und fühlte, wie das kühle Nass mich von innen heraus ein wenig kräftigte. Gerade so viel, dass ich mich in der Lage fühlte, Vic den restlichen Weg zu folgen. Ich stellte das leere Glas auf die Anrichte.

Wir verließen die Küche und diesmal achtete ich mehr auf den Weg. Ein längerer Flur führte an mehreren geschlossenen Türen vorbei und geradewegs auf eine weitere Tür an dessen Ende zu. Vic drückte die Klinke hinunter und ließ mir den Vortritt. Der Raum, der sich dahinter befand, entpuppte sich als ein großes Wohnzimmer, eingerichtet in kühlen Farben und mit einem beeindruckenden Zimmerbrunnen, aus dessen Mitte beständig Wasser in ein breites Becken floss. Das Plätschern hatte etwas Beruhigendes. Meine Nerven entspannten sich ein wenig. Hinter dem Brunnen verlief der Raum in eine Art Wintergarten mit jeder Menge Grünpflanzen und einer gemütlichen Sitzecke. Es war ebenso kühl wie in dem Zimmer, in dem ich aufgewacht war. Ich hatte all das gerade in mir aufnehmen können, als uns mehrere Personen aus dem Wintergarten entgegenkamen. Zu fünft blieben sie vor mir im Halbkreis stehen und Vic trat neben mich. Alle starrten mich an und ich kam mir vor wie ein seltenes Tier im Zoo. Eine Mischung aus Neugierde, Erstaunen und Misstrauen konnte ich in ihren Gesichtern erkennen. Genau so hatte ich als Kind eine Kobra durch die sichere Glasscheibe des Terrariums beäugt. Fasziniert über das neue, unbekannte Wesen und gleichzeitig besorgt darüber, ob die Glaswand mich auch wirklich vor dem tödlichen Biss schützen würde. Ein Mann, der vom Alter her mein Vater hätte sein können, trat nach vorne und zog mich völlig unvermittelt in seine Arme. Es war als hielten alle im Raum den Atem an. Ich selbst war zu perplex, um ihn von mir wegzuschieben.

»Endlich lerne ich dich kennen. Es ist schön, dass du deinen Weg zu uns gefunden hast, nach Hause.« Der Mann löste sich von mir und seine blauen Augen strahlten voller Güte und aufrichtiger Freude.

Vic legte mir eine Hand auf die Schulter. »Markus, du überfällst sie ja förmlich«, tadelte sie. »Lass Caroline etwas Zeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen.«

Das war also Markus? Wieso war er an mir interessiert? Sein Verhalten erschien mir mehr als verdächtig. Ich lief doch auch nicht in der Gegend herum und umarmte wildfremde Menschen. Was also wollte er von mir?

»Ein paar von uns hast du ja bereits kennengelernt«, fuhr Vic fort. »Aber noch mal fürs Protokoll. Das ist Veronika.« Sie deutete auf eine Frau, die etwa im gleichen Alter wie Markus sein musste, ganz links außen. Um ihre Mundwinkel lag ein verbissener Zug. »Meine und Valentinas Mutter. Val kennst du ja bereits, genauso wie Patrick.« Vic deutete auf die einzigen beiden mir vertrauten Gesichter. »Und das ist Friedrich. Das Oberhaupt der Eisphönixe«, schloss sie ihre Vorstellungsrunde.

Friedrich kam auf mich zu und schüttelte mir die Hand. Sein Händedruck war kühl und fest und seine Augen musterten mich interessiert. Sie alle sahen sich durch die weißblonden Haare und blauen Augen sehr ähnlich. Wobei in Friedrichs Haar der Weißanteil überwog. »Du hast mit Sicherheit jede Menge Fragen, die du uns allen jederzeit stellen darfst.«

Ich hatte den Eindruck, Friedrich erwartete eine Frage von mir, aber ich war einfach nicht in der Stimmung für höfliche Konversation. Am liebsten hätte ich mich in einem Erdloch verkrochen. Ungestört und vor allem allein. Markus lächelte mir ermutigend zu und ich stellte schließlich zähneknirschend sogar zwei Fragen: »Wieso erfahre ich erst jetzt von euch? Wo wart ihr die ganzen letzten Wochen?«

»Es tut uns leid, dass wir dir erst jetzt zur Hilfe kommen konnten, aber wir wussten genauso wenig von dir wie du von uns«, erläuterte Friedrich. »Durch einen glücklichen Umstand hat Victoria heute Mittag Freunde ganz in der Nähe besucht und dich dabei durch Zufall gespürt, als du deine Kräfte eingesetzt hast. Erst dadurch wurdest du für uns sichtbar. All die Wochen, die du mit den Feuerphönixen verbringen musstest … Aber das liegt ja nun hinter dir.«

Ich konnte förmlich sehen, wie bei der Erwähnung der Feuerphönixe ein Schaudern durch die Reihe ging. Veronika hatte die Lippen fest aufeinandergepresst und sah mich mit einer Mischung aus Abscheu und widerwilliger Faszination an. Schnell blickte ich weiter zu Valentina, deren Augen kühl wie gefrorenes Eis wirkten und mir einen Schauer über den Rücken jagten. Durch ihren Blick und den harten Zug um den Mund, ähnelte Valentina ihrer Mutter mehr als ihrer Schwester und das, obwohl die beiden fast identische Gesichtszüge hatten.

»Jetzt bist du ja hier und es wird alles gut werden«, versicherte mir Markus.

Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, abfällig zu schnauben. Gut? Es würde nie wieder gut werden. Alles lag in Trümmern. Mein Leben würde vielleicht wieder erträglich, möglicherweise sogar passabel werden, aber mehr auch nicht. Aber vermutlich hatte Markus etwas anderes gemeint. Er konnte schließlich nicht wissen, dass mir das Herz gebrochen worden war.

»Aber sie ist dennoch zur Hälfte ein Feuerblut«, entgegnete Veronika mit mühsam unterdrückter Wut. »Wir können sie nicht einfach unbeaufsichtigt hier herumschnüffeln lassen.«

»Veronika, beruhige dich«, sagte Friedrich mit fester Stimme. »Ich bin sicher, Caroline will uns keinen Schaden zufügen. Und sie ist ein kluges Mädchen und weiß, was sich gehört.«

Der Zug um ihren Mund wurde erneut strenger. Aber vielleicht war das auch einfach ihr ganz normaler Gesichtsausdruck. »Ich vertraue ihr nicht!«, stellte Veronika klar. »Was, wenn das alles nur ein Trick ist? Ein Trick von ihnen, um unsere Schwachstelle ausfindig zu machen?«

»Der Meinung bin ich auch«, erklärte Val in ihrer gewohnt schrillen Tonlage.

»Wie sollte das denn ein Trick sein? Ich weiß, was ich gespürt habe und sie ist definitiv zur Hälfte ein Eisphönix. Wir wussten von Anfang an, dass diese Möglichkeit besteht und seht sie euch nur mal an! Ihre Haare haben exakt den gleichen Farbton wie meine.« Vic trat noch einen Schritt näher an mich heran, bis sich unsere Schultern berührten und lehnte ihren Kopf in meine Richtung. Die Haarfarben stimmten exakt überein.

»Victoria, ich bitte dich, sei doch nicht so naiv. Hast du schon mal einen Blick in ihre Augen geworfen? Sie haben ihre Farbe.« Val rümpfte die Nase.

»Muss ich dich an Rosemarie erinnern?«, fragte Veronika mit eindringlicher Stimme und fixierte dabei Friedrich.

»Ich denke, ich muss dich nicht darauf hinweisen, wie deplatziert und überflüssig deine Bemerkung ist. Das hier hat nichts mit Rosemarie zu tun.« Friedrichs Tonfall war hart und doch lag noch etwas anderes darin. Eine Spur Traurigkeit.

Pat, der bis jetzt stumm dagestanden und mich mit neutralem Gesichtsausdruck gemustert hatte, ergriff für mich Partei. »Ich finde, wir sollten Caroline zumindest eine Chance geben. Sie hatte gar keine Möglichkeit, ihre Kräfte und uns kennenzulernen, weil sie es ihr verschwiegen haben. Es ist nicht ihre Schuld.«

Sie schienen das Wort Feuerphönix bewusst zu vermeiden und dennoch sah ich die Abneigung in ihren Gesichtern, wann immer sie sie erwähnten. Mein Kopf fühlte sich an wie mit Blei zugeschüttet und es fiel mir schwer, ihrer Unterhaltung zu folgen, obwohl sie sich um mich drehte. Ich wusste, ich sollte etwas sagen, um die Feuerphönixe zu verteidigen, die mehr als hilfsbereit gewesen waren, als es darum ging, meine Kräfte zu kontrollieren. Zumindest aber sollte ich für mich selbst sprechen, aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Alles, woran ich denken konnte, war Vincent. Die langen Stunden auf seinem Ledersofa, als er mir mit Engelsgeduld beibrachte, die Kerzenflamme zu entzünden. Sein schönes Gesicht mit den honiggoldenen Augen, der bronzefarbene Teint seiner Haut und das zimtfarbene Haar. Mein persönlicher Feuergott. Die Erinnerung an ihn tat so verdammt weh! Ich schlang wieder die Arme um mich selbst, als könne ich dadurch verhindern, in tausend Stücke zu zerbrechen.

»Ist dir kalt?«, fragte Pat ungläubig, mit Blick auf meine verschränkten Arme.

Meine Finger bohrten sich fest in meine Rippen. Langsam löste ich sie und ließ die Arme sinken.

»Nein, aber warm ist es hier auch nicht gerade. Ist euch etwa nie kalt?«

Bis auf Valentina und Veronika stimmten alle in ein amüsiertes Kichern ein.

»Wir sind Eisphönixe, Kind, uns ist es höchstens zu warm«, erklärte Friedrich.

»Oh, verstehe.« Ich nickte langsam und kam mir unglaublich blöd vor.

»Tut mir übrigens leid, dass ich vorhin ein wenig grob zu dir war. Du musst einen schönen ersten Eindruck von uns haben.« Pat lächelte zerknirscht.

Alles, was ich zu Stande brachte, war ein schwaches Nicken.

»Sie sieht fertig aus. Ich denke, wir sollten es für heute gut sein lassen«, meinte Markus.

»Ja, das denke ich auch. Bring sie in ihr Zimmer, Victoria.« Mit diesen Worten entließ mich Friedrich und Vic berührte leicht meinen Arm, damit ich ihr folgte.

»Gute Nacht«, sagte ich in die Runde, erleichtert endlich von hier fortzukönnen.

Fast hatte ich es geschafft und konnte die Maske fallen lassen. Ich musste nur noch bis zu meinem Zimmer durchhalten, dann konnte ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen und musste niemandem mehr etwas vorspielen.

»Tut mir leid, dass wir dich heute so überfallen haben, aber die anderen haben darauf bestanden, gleich nach deinem Aufwachen mit dir zu reden.« Vic warf mir einen entschuldigenden Blick zu.

»Schon okay.«

Den restlichen Weg brachten wir schweigend hinter uns.

Vic blieb im Türrahmen stehen und ich schleppte mich zum Bett. »Brauchst du noch irgendwas?«

Solange sie keinen Klebstoff hatte, um die Bruchstücke meines Herzens zusammenzukleben, war ich mir sicher, nie wieder etwas zu brauchen. Obwohl, vielleicht hatten sie ja ein paar Stimmungsaufheller? Andererseits konnten wohl keine Tabletten der Welt so eine hohe Dosis haben, um meine jetzige Gemütslage aufzubessern.

»Nein.«

»Dann bis morgen Früh. Schlaf gut.« Sie schloss die Tür und sperrte sie von außen ab.

***

Endlich musste ich die Tränen nicht länger zurückhalten und konnte ihnen freien Lauf lassen. Ich drehte mich auf den Bauch und drückte mein Gesicht ins Kissen, um mein nicht enden wollendes Schluchzen zu ersticken. Als endlich keine Tränen mehr kamen, rollte ich mich auf der Seite zu einer Kugel zusammen, umschlang meine Knie mit meinen Armen und machte mich ganz klein. Der Kissenbezug klebte feucht an meiner Wange. Das hätte Carmen nicht gut geheißen, die uns immer belehrt hatte, nicht mit feuchten Haaren schlafen zu gehen, weil das die Federn im Bett klumpig machte. Ich schloss meine Augen und riss sie sofort entsetzt wieder auf. Sobald ich sie zumachte, erschien Vincents Bild vor mir und die Erinnerung an den heutigen Abend zerrte an mir, wie der Wind an einem welken Blatt, das drohte, davongeweht zu werden. Ohne zu wissen, wohin der Wind es tragen würde.

Aber ich konnte nicht anders, als mich damit auseinanderzusetzen, was Vincent getan hatte. Wieso nur? Warum hatte er mir die Existenz der Eisphönixe verschwiegen? Oder hatte er versucht, mich vor ihnen zu verbergen? Nur, warum hätte er das tun sollen? Lag es daran, dass er die Eisphönixe so sehr verabscheute? Aber da ich zur Hälfte eine von ihnen war, bedeutete dies, dass Vincent auch mich zum Teil verabscheute. Und was war mit meiner anderen Hälfte? Waren seine Zuneigung, seine Küsse, war alles nur gespielt gewesen? Waren all die liebevollen Dinge, die er zu mir gesagt hatte, nur gelogen gewesen? Oder war auch etwas davon echt gewesen? Meine Gefühle für ihn waren es und darum schmerzte mich sein Verrat umso mehr.

Natürlich wusste ich, dass sie etwas Besonderes ist, aber ich hätte nicht gedacht, dass die Besonderheit darin besteht, dass sie mit Abschaum wie euch blutsverwandt ist. Allein dieser eine Satz hallte immer wieder und wieder in meinem Kopf. Doch das war noch nicht mal das Schlimmste. Das war sein Blick gewesen, in dem so viel Abscheu lag. Sein Hass auf die Eisphönixe war beinahe greifbar gewesen. Was war nur der Grund für diesen Hass? Egal, was es war, dieser Hass machte es Vincent unmöglich, mich zu lieben. Wenn überhaupt, hatte er nur Zuneigung für die Feuerhälfte in mir empfunden. Diese Tatsache würde ich akzeptieren müssen. Egal, wie sehr mich die Vorstellung schmerzte, er verabscheute einen Teil von mir. Ich konnte fühlen, wie das schwarze Loch in meiner Brust weiter wuchs, wie mich der Schmerz innerlich zerriss. Und es war egal, wie sehr ich auch versuchte zu begreifen, was heute tatsächlich geschehen war, wie sehr ich mir wünschte, es gäbe eine andere Erklärung für Vincents Verhalten. Sein Hass war weit größer, als dass er durch einen erfrorenen Arm, den körperlichen Schmerz, den ihm die anderen zugefügt hatten, hätte erklärt werden können.

All diese Gedanken brachten mich nicht weiter. Erklärten nicht, wieso er mir die Existenz der Eisphönixe verschwiegen hatte. Offenbar war ich nicht halb so gut im Analysieren wie ich immer geglaubt hatte. Möglicherweise lag die Antwort auf diese Fragen weiter zurück. Was, wenn ich davon ausging, dass Vincent ein verdammt guter Schauspieler war und alles, was er je zu mir gesagt hatte, nur zu seiner Rolle gehört hatte? Das würde implizieren, dass er mich für sich hatte einnehmen wollen – und hatte er nicht selbst gesagt, ich wäre eine weitere Aufgabe für ihn? Aber dann hatten wir uns geküsst und das hatte alles verändert. Anscheinend war ich zu naiv, zu gutgläubig gewesen. Hatte zu wenig von dem hinterfragt, was Vincent mir erzählt hatte. Aber warum das alles? Hatte er versucht, mich in seiner Nähe zu behalten? Dadurch, dass ich nur ihn und die Feuerphönixe gekannt hatte, war ich quasi abhängig von ihm gewesen. Er war der Einzige, an den ich mich mit meinen Fragen hatte wenden können, der mir geholfen hatte meine Kräfte zu kontrollieren. Doch eine Frage blieb weiterhin offen: Wieso?

O Gott, ich war so verwirrt und so verdammt sauer! Keine gute Kombination. Ich hätte schreien können. Wütend schlug ich mit meinen Fäusten auf die weiche Matratze ein. Ich hatte mir geschworen, selbstständig, unabhängig und mir selbst treu zu bleiben und als ich Vincent begegnete, hatte ich alle meine Vorsätze über Bord geworfen, indem ich mich in schicke Klamotten geschmissen hatte, um ihm zu gefallen. Ich hatte mich auf ihn eingelassen und ihm mit meiner Liebe auch einen Teil von mir selbst geschenkt. Und was hatte es mir gebracht? Einen beschädigten Klumpen in meiner Brust, der holperte und mit jedem Schlag Wellen des Schmerzes durch meinen Körper schickte.

Sogar die Spur zu meiner Familie verlief im Sande. Meinen innigsten Wunsch, mehr über meine Eltern zu erfahren, konnte ich mir abschminken. Ohne Vincent kam ich nicht mehr in die Villa seines Großvaters und konnte auch nicht mehr in Arthurs Büro nach Hinweisen über den Verbleib meiner Eltern suchen. Dabei war ich so dicht dran gewesen. Ich war mir ganz sicher, dass Arthur mehr wusste als er vorgab, und Vincent hatte sogar schon zugestimmt, mir zu helfen. Alles, aber auch wirklich alles war innerhalb weniger Minuten zerstört worden! Plötzlich war da wieder dieses vertraute Zorneskribbeln im Bauch und alles, was ich gelernt hatte, war vergessen. Eine Sicherung in meinem Gehirn brannte durch und ich steigerte mich in die geballte Ladung heißer Wut hinein. Solange, bis mir ein beißender Geruch in die Nase stieg und ich mit einem Ruck hochfuhr. Scheiße, jetzt hatte ich auch noch das einzige Kopfkissen in Brand gesetzt! Hektisch sah ich mich nach etwas zum Löschen des Feuers um. Auf einem kleinen Beistelltisch stand eine Vase mit Vergissmeinnicht. Ein kleiner Teil meines Bewusstseins beschäftigte sich mit der Frage, woher diese mitten im Herbst stammten. Ein weiterer Teil fühlte sich aufgrund der Blumen verarscht – ausgerechnet Vergissmeinnicht! –, der größte und vernünftigste Teil griff jedoch hektisch nach den blauen Blüten, riss sie aus der Vase und goss deren Inhalt auf das Kissen. Natürlich war es zu wenig Wasser und das Feuer brannte munter weiter. Da hatte ich schon das ganze Kissen vollgeheult und dann brannte es immer noch so gut? Die Flammen fraßen sich ihren Weg durch die Daunen und breiteten sich aus. Was sollte ich jetzt tun? Um Hilfe rufen? Veronika hatte so schon nicht sonderlich begeistert darüber gewirkt, einen Feuerphönix unter ihrem Dach beherbergen zu müssen, wenn ich nach jemandem rief, würde das nur eine unnötige Diskussion über Feuer im Allgemeinen und Phönixe im Besonderen in Gang setzen, zu der mir heute die Kraft fehlte. Also tat ich das, was jeder vernünftige Mensch in meiner Situation getan hätte: Ich riss das Fenster auf, packte einen noch unversehrten Zipfel des Kissens und schleuderte es weit nach draußen. Ich konnte nur hoffen, dass der leichte Regen ausreichte, um das Feuer zu löschen, bevor es sich im feuchten Gras ausbreiten konnte. Ich beugte mich über das Fenstersims und spähte hinab. Die Flammen schienen kleiner zu werden. War das schlechte Wetter doch mal zu was nütze …

Nachdem die Gefahr gebannt war, verließ das Adrenalin meinen Körper und ich fühlte mich noch ausgelaugter als zuvor. Ich schloss das Fenster, ließ mich rücklings auf die Matratze fallen und zog mir die Bettdecke unters Kinn. Ohne Kopfkissen lag es sich nicht besonders bequem, aber ich war ja auch nicht hier, weil ich mal ausschlafen wollte. Vincent. Eine einzelne Träne rann langsam über meine Wange, zum Kinn hinab und tropfte schließlich auf meine Brust. Vielleicht konnte ich mich eines Tages damit arrangieren, aber im Moment erschien es mir unmöglich in dem Bewusstsein zu leben, dass der Mensch, den ich geliebt, dem ich vertraut hatte, mich ausgenutzt hatte. Waren seine Gefühle für mich wirklich alle gespielt gewesen? Ich hatte seinen Blick gesehen. Dieser verzweifelte Ausdruck in seinen Augen, als ihm klar wurde, dass in mir das Blut eines Eisphönix´ floss. Er hatte sich verraten gefühlt - von mir! Weil ich nicht die war, für die er mich gehalten hatte. Diese Verzweiflung, dieser Schmerz in seinen Augen – das war echt gewesen. Oder?

Irgendwann, zu weit fortgeschrittener Stunde, übermannte mich die Erschöpfung und ich fiel in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.

2. Kapitel

Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, denn draußen begann eben erst die blaue Stunde. Ich tastete nach meinem Handy, um zu erfahren, wie spät es genau war, doch dann fiel mir ein, dass Vic es gestern eingesteckt hatte. Und meine Zimmertür hatte sie auch von außen abgeschlossen, was nicht weniger merkwürdig war. Unter anderen Umständen hätte es mich sehr beunruhigt und ich hätte mich sicher dagegen gewehrt, aber all das kam mir so unwichtig vor, wo es doch eigentlich nur eines – einen – gab, an den ich denken konnte. Denken musste. Eine erneute Welle des Schmerzes überrollte mich. Wieder schlang ich unwillkürlich die Arme fest um meinen Brustkorb, um mich zu halten, mir selbst zu helfen, nicht komplett durchzudrehen. Ich starrte gedankenverloren auf den Strauß Vergissmeinnicht, der achtlos neben der Vase lag. Die Blüten ließen langsam die Köpfe hängen, was irgendwie traurig aussah.

Als ich das nächste Mal meinen Blick hob und aus dem Fenster sah, strahlte die Sonne an einem wolkenlosen Himmel. Es klopfte an der Tür.

Ein Schlüssel kratzte im Schloss, dann wurde die Klinke heruntergedrückt und Vics blonder Schopf lugte herein.

»Guten Morgen. Na, hast du gut geschlafen?«, fragte sie mit einer Fröhlichkeit, von der mir schon wieder ganz schlecht wurde. Ich drehte mich nicht zu ihr um, sondern starrte weiterhin in den hellblauen Himmel. Ich hörte, wie Vic um das Bett herumkam, und mit einer gewissen Genugtuung registrierte ich, wie sie sich auf die Lippe biss, um ihr geschocktes Gesicht zu verbergen, als sie mich sah. Unsicher blieb sie stehen. Dann kam sie langsam näher und setzte sich zögernd seitlich auf die Bettkante. Vics Hand zuckte unbeholfen in meine Richtung, dann ließ sie sie jedoch sinken und verschränkte sie fest in ihrem Schoß.

»Hey, Caroline, was hast du?« Ihr Tonfall war sanft, beinahe mütterlich. Sorge schwang darin mit.

Als Reaktion darauf verkrampfte sich mein Magen.

»Ist es wegen ihm?« Es war nett von ihr, seinen Namen nicht laut auszusprechen. Aber vielleicht tat sie das gar nicht aus Rücksicht zu mir, sondern weil sie es verabscheute, die Feuerphönixe bei ihrem richtigen Namen zu nennen.

Unsicher streckte sie ihre Hand erneut nach mir aus. Diesmal zog sie sie nicht zurück, sondern streichelte sachte meinen Oberarm. »Er hat dir das Herz gebrochen, nicht wahr?«

Ich wich ihrem mitleidigen Blick aus. Was sollte ich darauf antworten? Nein, er hat mir das Herz nicht gebrochen. Er hat es mir aus der Brust herausgerissen und nun ist da nichts mehr, außer einem schwarzen Loch.

Und musste ihre Stimme dabei so mitfühlend klingen? Ich wollte kein Mitleid von ihr. Sie sollte einfach nur wieder verschwinden! Aber ich wusste, dass sie das nicht tun würde, denn sonst gäbe es keinen Grund für mich, hier länger herumzuliegen. Dann könnte ich genauso gut zu Mara und Doro heimkehren. Nein, ich war hier, weil es galt, meine neuen Kräfte unter Kontrolle zu bringen.

»Also, was steht heute an? Lerne ich endlich, wie ich Dinge gefrieren lassen kann?«, brachte ich schließlich wenig begeistert hervor.

Ich stützte mich auf dem Ellenbogen auf und setzte eine, wie ich hoffte, etwas fröhlichere Miene auf, um die Sorge aus ihrem Blick zu wischen. Ich wollte nicht mit Vic über meine Gefühle sprechen. Schon wenn Mara mich bemutterte, bekam ich schlechte Laune, da fehlte es mir gerade noch, nun auch noch von Vic umsorgt zu werden.

»Genau. Das wird ein Spaß, du wirst schon sehen. Markus und Pat haben sich beide um den Job gerissen, einen Vormittag mit dir verbringen zu dürfen.« Sie schmunzelte. »Jetzt hast du gleich zwei Tutoren.«

»Sehr schön«, brummte ich, ehe mir wieder einfiel, dass ich ein fröhliches Gesicht machen wollte. Ich verzog meine Lippen zu einem schmalen Lächeln und kam mir dabei vor wie eine dieser Mogelpackungen, auf denen sie einem vorgaukelten, die Milch stamme von glücklichen Weidenkühen, obwohl jeder wusste, dass dem nicht so war. Vic musste meine aufgesetzte Fröhlichkeit durchschauen, ließ sich aber nichts anmerken.

»Aber erst einmal gibt es Frühstück. Du hast doch sicherlich großen Hunger?«

Hunger? Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie es sich anfühlte, hungrig zu sein. Tatsächlich fühlte sich mein Magen leer an, aber ob das Hunger war, konnte ich beim besten Willen nicht sagen.

»Ich glaub schon.«

»Na dann los.« Sie griff nach meinen Händen und zog mich schwungvoll auf die Beine.

Ihre gute Laune war nicht auszuhalten. Missmutig trottete ich hinter ihr her in die Küche. Dort standen auf einem Tisch Käse, Wurst, diverse Marmeladen, ein Korb voll frischer Semmeln, eine Kaffeekanne, Milch und Joghurt. Wie bei einem Buffet.

»Nimm dir, was du willst und dann setzen wir uns ins Esszimmer zu den anderen.« Vic reichte mir einen Teller.

Ratlos stand ich vor dem Essen. Ich hatte auf nichts Appetit.

»Was hat sie hier zu suchen?«

Ich zuckte zusammen, als ich Vals schrille Stimme vernahm.

»Val, das hatten wir doch besprochen. Sie ist unsere Schwester und so behandeln wir sie auch.« Vic seufzte.

»Nein, das ist sie nicht! Wir sind überhaupt nicht mit ihr verwandt und ich weigere mich, an einem Tisch mit ihr zu sitzen.«

Langsam drehte ich mich zu ihr um. Der Teller in meinen Händen bebte leicht. Meine Fingerknöchel stachen weiß hervor. »Was ist dein Problem?«

Ihre eisblauen, zornig blitzenden Augen fixierten mich. Mit ihrer schneeweißen Haut und den hellen, fast farblosen Haaren sah sie aus wie die Eiskönigin persönlich.

»Du bist mein Problem! Du wirst uns nichts als Ärger bringen. Ihr Feuerblute könnt nämlich gar nicht anders, als Ärger zu bringen.«

Eine Gänsehaut kroch meinen Rücken hinauf, als würde jemand mit einem Eiswürfel über meine Wirbelsäule streichen. Ich spürte die gleiche Kälte in meinem Herzen, die ich schon gestern in Arthurs Büro gespürt hatte.

»Val! Das reicht jetzt! Wir haben das mit Friedrich besprochen und dabei bleibt es.«

»Mutter sieht das im Übrigen genauso wie ich! Aber wenn sie uns Ärger macht, dann sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.«

Damit rauschte sie aus der Küche und ich merkte erst, wie sehr ich zitterte, als mir Vic vorsichtig den Teller aus den Händen nahm. Er war mit einer dünnen Schicht Reif überzogen.

»Hör nicht auf sie«, sie verdrehte die Augen, »Valentina ist eine Drama Queen, das hat sie von unserer Mutter. Wir anderen denken nicht so über dich.«