Elias & Laia - In den Fängen der Finsternis - Sabaa Tahir - E-Book

Elias & Laia - In den Fängen der Finsternis E-Book

Sabaa Tahir

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Beschreibung

Wo Leben ist, ist Hoffnung

Das Martialenimperium steht am Abgrund: Imperator Marcus überzieht das Land mit dem Blut der Unschuldigen, während Blutgreif Helena diese zu schützen versucht. Weit im Osten weiß Laia, dass sie den Nachtbringer aufhalten muss, und das ohne Elias. Denn Elias ist nun als Seelenfänger an die Zwischenstatt, das Geisterreich, gebunden. Dazu verdammt, einer uralten Macht bedingungslos zu dienen - auch wenn dies bedeutet, die Frau aufzugeben, die er liebt.

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Seitenzahl: 680

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INHALT
CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungTeil I: Der König ohne NamenI: Der NachtbringerII: LaiaIII: EliasIV: Der BlutgreifV: LaiaVI: EliasVII: Der BlutgreifVIII: LaiaIX: EliasX: Der BlutgreifTeil II: InfernoXI: LaiaXII: EliasXIII: Der BlutgreifXIV: LaiaXV: EliasXVI: Der BlutgreifXVII: LaiaXVIII: EliasXIX: Der BlutgreifXX: LaiaXXI: EliasXXII: Der BlutgreifXXIII: LaiaXXIV: EliasXXV: Der BlutgreifXXVI: LaiaXXVII: EliasXXVIII: Der BlutgreifXXIX: LaiaXXX: EliasTeil III: AntiumXXXI: Der BlutgreifXXXII: LaiaXXXIII: Der BlutgreifXXXIV: EliasXXXV: Der BlutgreifXXXVI: LaiaXXXVII: EliasXXXVIII: Der BlutgreifXXXIX: LaiaXL: EliasXLI: Der BlutgreifXLII: LaiaXLIII: Der BlutgreifXLIV: LaiaXLV: EliasTeil IV: BelagerungXLVI: Der BlutgreifXLVII: LaiaXLVIII: Der BlutgreifXLIC: LaiaL: EliasLI: Der BlutgreifLII: LaiaLIII: EliasLIV: LaiaLV: Der BlutgreifLVI: LaiaTeil V: GeliebtLVII: Der BlutgreifLVIII: Der SeelenfängerLIX: Der NachtbringerDanksagungLandkarte 1Landkarte 2

ÜBER DIESES BUCH

»Wo Leben ist, ist Hoffnung«

Das Martialenimperium steht am Abgrund: Imperator Marcus überzieht das Land mit dem Blut der Unschuldigen, während Blutgreif Helena diese zu schützen versucht. Weit im Osten weiß Laia, dass sie den Nachtbringer aufhalten muss, und das ohne Elias. Denn Elias ist nun als Seelenfänger an die Zwischenstatt, das Geisterreich, gebunden. Dazu verdammt, einer uralten Macht bedingungslos zu dienen – auch wenn dies bedeutet, die Frau aufzugeben, die er liebt.

ÜBER DIE AUTORIN

Sabaa Tahir war Redakteurin bei der Washington Post. Berichte über den Nahen Osten beschäftigten sie und führten schließlich dazu, dass sie ihren ersten Roman schrieb. Sie wollte eine Geschichte erzählen, die die Gewalt in unserer Welt abbildet. Sie wollte aber auch Figuren erschaffen, die in dieser Welt Hoffnung finden. Die nach Freiheit suchen und sich für die Liebe entscheiden, egal gegen welche Widerstände. Aus diesem Impuls heraus entstand ihr erster Roman, Elias & Laia. Die Herrschaft der Masken.

SABAA TAHIR

ELIAS

&

LAIA

IN DEN FÄNGEN DER FINSTERNIS

BAND 3

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Imgrund

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der englischsprachigen Originalausgabe:

»A Reaper at the Gates«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Sabaa Tahir

All rights reserved.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Sandra Taufer, München

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-7334-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Renée, die mein Herz kennt.Für Alexandra, die meine Hoffnungen hegt.Und für Ben, der den Traum teilt.

TEIL I

DER KÖNIG OHNE NAMEN

I: DER NACHTBRINGER

Ihr liebt zu sehr, mein König.

Diese Worte sagte meine Königin oft in all den Jahrhunderten, die wir zusammen verbrachten. Zuerst mit einem Lächeln, in späteren Jahren jedoch mit gerunzelter Stirn. Ihr Blick heftete sich auf unsere Kinder, die durch den Palast tobten, während ihre kleinen Körper, winzige Wirbelstürme von unvorstellbarer Schönheit, von Flamme zu Fleisch flackerten.

»Ich bin besorgt um Euch, Meherya.« Ihre Stimme bebte. »Ich fürchte mich vor dem, was Ihr tun werdet, wenn denen, die Ihr liebt, ein Leid geschieht.«

»Kein Leid soll euch geschehen. Ich schwöre es.«

Ich sprach mit der Leidenschaft und Tollheit der Jugend, obwohl ich natürlich nicht mehr jung war. Schon damals nicht. An jenem Tag zerzauste die Brise vom Fluss her ihr mitternachtsfarbenes Haar, und Sonnenlicht strömte wie reines Gold durch die Vorhänge vor den Fenstern. Es färbte unsere Kinder umbrabraun, während sie den Steinboden mit Brandflecken überzogen und ihr Lachen von den Wänden widerhallte.

Sie war die Gefangene ihrer Furcht. Ich ergriff ihre Hände. »Ich würde jeden vernichten, der es wagt, euch etwas anzutun«, sagte ich.

»Meherya, nein.« Ich habe in all den Jahren seither gegrübelt, ob sie damals schon füchtete, ich könnte einmal der werden, der ich dann wurde. »Schwört mir, dass Ihr das niemals tun werdet. Ihr seid unser Meherya. Euer Herz ist dazu gemacht, zu lieben. Zu geben. Nicht zu nehmen. Das ist der Grund, warum Ihr König der Dschinns seid. Schwört es mir.«

An jenem Tag leistete ich zwei Schwüre: immer zu beschützen. Immer zu lieben.

Binnen eines Jahres hatte ich beide gebrochen.

***

Der Stern hängt an der Höhlenwand, menschlichen Augen entrückt. Es ist ein vierseitiger Diamant mit einem schmalen Spalt am Scheitelpunkt. Dünne Striemen verlaufen wie ein Spinnennetz über ihn, eine Erinnerung an jenen Tag, als die Kundigen ihn zerschmetterten, nachdem sie mein Volk unterjocht hatten. Das Metall blitzt, ungeduldig, stark wie der starre Blick eines wilden Dschungeltiers, das seine Beute stellt. Welch immense Macht wohnt dieser Waffe inne – genug, um eine alte Stadt zu zerstören, ein altes Volk. Genug, um die Dschinns tausend Jahre lang zu knechten.

Genug, um sie zu befreien.

Als würde er den Armreif spüren, der mein Handgelenk umschließt, erzittert der Stern, strebt seinem verlorenen Bruchstück entgegen. Ein Ruck geht durch mich, als ich den Armreif nach oben halte, ihn darbringend, und er entwindet sich mir wie ein silberner Aal, um sich mit dem Stern zu vereinen. Der Spalt schrumpft.

Die vier Zacken des Sterns leuchten auf, sodass sie auch noch die entferntesten Ecken der Granithöhle erhellen und den Kreaturen um mich herum eine Welle wütenden Zischens entlocken. Dann erlischt das Licht, und übrig bleibt nur noch der fahle Mondschein. Ghuls rascheln zu meinen Füßen.

Meister. Meister.

Hinter ihnen erwartet der Herr der Geister meine Befehle, zusammen mit den Ifritkönigen und Ifritköniginnen – über Wind und See, Sand und Höhlen, Luft und Schnee.

Während sie mich beobachten, stumm und wachsam, studiere ich eingehend das Pergament in meinen Händen. Es ist so unscheinbar wie Sand. Die Worte darin sind es nicht.

Auf meinen Ruf hin nähert sich der Herr der Geister. Widerstrebend fügt er sich, eingeschüchtert von meiner Magie, stets bemüht, sich von mir zu befreien. Aber ich bedarf seiner noch. Die Geister sind verstreute Fetzen verlorener Seelen, von alter Hexerei zusammengeflickt und nicht wahrnehmbar, wenn sie es so wünschen. Selbst für die berüchtigten Masken des Imperiums nicht.

Als ich ihm das Pergament hinhalte, höre ich sie. Die Stimme meiner Königin ist ein Wispern, so freundlich wie eine Kerze in einer Frostnacht. Wenn du das tust, gibt es kein Zurück mehr. Dann ist alle Hoffnung für dich verloren, Meherya. Bedenke das.

Ich tue, worum sie mich bittet. Ich bedenke es.

Dann fällt mir ein, dass sie tot ist und fort, und das seit tausend Jahren schon. Ihre Gegenwart ist eine Sinnestäuschung. Ihre Stimme ist meine Schwäche. Ich reiche die Schriftrolle dem Herrn der Geister.

»Sorge dafür, dass Blutgreif Helena Aquilla das bekommt«, sage ich. »Und niemand anders.« Er verbeugt sich, und die Ifrits schweben heran. Die Ifrits der Luft schicke ich weg. Ich habe eine andere Aufgabe für sie. Der Rest kniet nieder.

»Vor langer Zeit habt ihr den Kundigen Wissen verschafft, das zur Vernichtung meines Volkes und der magischen Welt geführt hat.« Eine Erinnerung läuft wie ein Windstoß durch ihre Reihen. »Ich biete euch Erlösung. Begebt euch zu unseren neuen Verbündeten im Süden. Helft ihnen zu verstehen, was sie von den dunklen Orten herbeirufen können. Der Kornmond wird in sechs Monaten von heute an aufgehen. Sorgt dafür, dass euer Werk lange vorher getan ist. Und ihr«, die Ghuls drängen dicht heran, »fresst euch satt. Enttäuscht mich nicht.«

Als sie mich alle verlassen haben, betrachte ich den Stern und denke an das heimtückische Dschinnmädchen, das geholfen hat, ihn zu erschaffen. Für einen Menschen würde die Waffe vielleicht verheißungsvoll glänzen.

Ich spüre nur Hass.

Ein Gesicht taucht an der Oberfläche meines Bewusstseins auf. Laia von Serra. Ich erinnere mich an die Hitze ihrer Haut unter meinen Händen, daran, wie sich ihre Handgelenke in meinem Nacken kreuzten. An die Art, wie sie die Augen schloss, und an die goldene Höhlung an ihrem Hals. Sie fühlte sich wie die Schwelle meines alten Zuhauses an, wenn die Binsen frisch gewechselt waren. Sie fühlte sich sicher an.

Ihr habt sie geliebt, sagt meine Königin. Und dann habt Ihr ihr wehgetan.

Mein Verrat an dem Kundigenmädchen sollte nicht von Belang sein. Ich habe Hunderte vor ihr betrogen.

Und doch packt mich ein Unbehagen. Etwas Unerklärliches hat sich ereignet, nachdem Laia von Serra mir ihren Armreif geschenkt hatte – nachdem sie erkannt hatte, dass der Junge, den sie Kinan nannte, nichts als ein Hirngespinst war. Wie alle Menschen erspähte sie in meinen Augen die dunkelsten Momente ihres Lebens. Aber als ich in ihre Seele sah, schaute etwas – jemand – zurück: meine Königin, die mich über die Jahrhunderte hinweg anblickte.

Ich sah ihr Entsetzen. Ihre Traurigkeit darüber, was aus mir geworden war. Ich sah ihren Schmerz darüber, wie sehr unsere Kinder und unser Volk unter den Kundigen gelitten hatten.

Ich denke bei jedem Verrat an meine Königin. Er reicht tausend Jahre zurück, zu jedem Menschen, den ich gefunden, manipuliert und geliebt habe, bis er mir aus freien Stücken und mit Liebe im Herzen sein Bruchstück des Sterns geschenkt hat. Wieder und wieder und wieder.

Aber ich hatte meine Königin nie zuvor im Blick einer anderen gesehen. Hatte nie die scharfe Klinge ihrer Enttäuschung so brennend gefühlt.

Noch einmal. Nur noch einmal.

Meine Königin spricht. Tut das nicht. Bitte nicht.

Ich unterdrücke ihre Stimme. Ich unterdrücke die Erinnerung an sie. Ich denke, dass ich sie nie wieder hören werde.

II: LAIA

Alles an diesem Überfall fühlt sich falsch an. Darin und ich wissen es beide, auch wenn keiner von uns es laut aussprechen will.

Ohnehin redet mein Bruder nicht viel dieser Tage.

Die Geisterwagen, deren Spuren wir folgen, kommen endlich vor einem Martialendorf zum Stehen. Ich erhebe mich aus dem schneebeschwerten Buschwerk, in dem wir Deckung gesucht haben, und nicke Darin zu. Er nimmt meine Hand und drückt sie. Pass auf dich auf.

Ich rufe meine Unsichtbarkeit, eine Macht, die erst kürzlich in mir erwacht ist und an die ich mich noch gewöhnen muss. Mein Atem wölkt weiß aus meinem Mund, wie eine Schlange, die sich zu den unhörbaren Klängen eines Liedes emporreckt. Andernorts im Imperium hat der Frühling schon seine Blüten verstreut. Aber so dicht bei Antium, der Hauptstadt, peitscht uns der Winter immer noch mit seinen frostigen Fingern ins Gesicht.

Mitternacht geht vorüber, und die wenigen Laternen, die im Dorf brennen, flackern im auffrischenden Wind. Als ich die Einfriedung rund um die Gefangenenkarawane überwunden habe, dämpfe ich meine Stimme, um den Ruf einer Schneeeule nachzuahmen, die in diesem Teil des Imperiums weit verbreitet ist.

Während ich auf die Geisterwagen zuschleiche, kribbelt meine Haut. Ich fahre herum, weil mein Instinkt mich lärmend warnt. Der nahe Hügelkamm ist verlassen, und die wachhabenden martialen Hilfssoldaten geben keinen Mucks von sich. Es scheint alles in Ordnung zu sein.

Du bist nur ein bisschen schreckhaft, Laia. Wie immer. Von unserem Lager am Rande der Zwischenstatt aus, über dreißig Kilometer von hier, haben Darin und ich sechs Überfälle auf imperiale Gefangenenkarawanen geplant und durchgeführt. Mein Bruder hat kein noch so kleines Stückchen Serrastahl geschmiedet. Ich habe nicht auf die Briefe von Araj geantwortet, dem Kundigenführer, der mit uns aus dem Gefängnis von Kauf ausgebrochen ist. Aber zusammen mit Afya Ara-Nur und ihren Männern haben wir in den letzten zwei Monaten dazu beigetragen, mehr als vierhundert Kundige und Stammesleute zu befreien.

Aber das garantiert nicht den Erfolg bei dieser Karawane hier. Denn diese Karawane ist anders.

Jenseits der Einfriedung, bei den Bäumen, setzen sich vertraute, schwarz gekleidete Gestalten in Bewegung. Afya und ihre Männer, die meinem Signal folgen und sich zum Angriff bereitmachen. Ihre Anwesenheit macht mir Mut. Die Stammesfrau, die mir geholfen hat, Darin aus Kauf zu befreien, ist der einzige Grund, warum wir von diesen Geisterwagen wissen – und von den Gefangenen, die sie transportieren.

Die Dietriche sind wie Klingen aus Eis in meiner Hand. Sechs Wagen sind zu einem Halbkreis gruppiert, zwei Vorratskarren stehen geschützt zwischen ihnen. Die meisten Soldaten sind mit den Pferden und Feuern beschäftigt. In Böen gräbt mir das Schneegestöber seine Stacheln ins Gesicht, während ich das erste Fuhrwerk erreiche und mich am Schloss zu schaffen mache. Die Metallstifte darin sind meinen gefrorenen, ungelenken Händen ein Mysterium. Schneller, Laia.

Im Wagen kein Laut, als wäre er leer. Aber ich weiß es besser. Bald durchbricht das Wimmern eines Kindes die Stille. Es wird schnell zum Schweigen gebracht. Die Gefangenen haben gelernt, dass Lautlosigkeit der einzige Weg ist, Leiden zu vermeiden.

»Wo zur Hölle sind denn alle?«, bellt eine Stimme in meiner Nähe. Ich lasse beinahe den Dietrich fallen. Ein Legionär stiefelt vorbei, und Panik kriecht mir den Rücken hinab. Ich wage nicht zu atmen. Was, wenn er mich sieht? Was, wenn meine Unsichtbarkeit weicht? Das ist mir schon passiert, wenn ich angegriffen wurde oder mich in einer großen Menschenmenge befand.

»Weckt den Gastwirt.« Der Legionär wendet sich dem Aux zu, der auf ihn zuhastet. »Sagt ihm, er soll ein Fass herausrollen und ein paar Räume vorbereiten.«

»Die Schenke ist leer, Herr. Das Dorf sieht verlassen aus.«

Martiale verlassen ihre Dörfer nicht, nicht einmal mitten im tiefsten Winter. Es sei denn, eine Seuche hätte den Ort heimgesucht. Aber dann hätte Afya davon gehört.

Die Gründe, warum sie gegangen sind, haben dich nicht zu kümmern, Laia. Brich die Schlösser auf.

Der Aux und der Legionär stolzieren zur Schenke hinüber. Sobald sie außer Sichtweite sind, stecke ich den Dietrich wieder ins Schloss. Aber das Metall ächzt, weil es vom Raureif eingerostet ist.

Komm schon! Ohne Elias Veturius, der eine Hälfte der Schlösser übernehmen könnte, muss ich zweimal so schnell sein. Ich habe keine Zeit, an meinen Freund zu denken, und doch kann ich meine Besorgnis nicht unterdrücken. Seine Anwesenheit bei all den Überfällen hat uns davor bewahrt, geschnappt zu werden. Er hat doch beteuert, er würde kommen.

Himmel, was kann Elias zugestoßen sein? Er hat mich noch nie im Stich gelassen. Jedenfalls nicht, was die Überfälle betrifft. Hat Shaeva erfahren, dass er Darin und mich von der Hütte in den Freien Landen quer durch die Zwischenstatt zurückgeschmuggelt hat? Bestraft sie ihn jetzt dafür?

Ich weiß wenig über die Seelenfängerin – sie ist scheu, und ich nahm an, dass sie mich nicht mag. An manchen Tagen, wenn Elias aus der Zwischenstatt auftaucht, um mich und Darin zu besuchen, fühle ich, dass die Dschinnfrau uns beobachtet, doch ich nehme keinen Groll wahr. Nur Traurigkeit. Aber der Himmel weiß, dass ich verborgene Bösartigkeit nicht zu erkennen imstande bin.

Für jede andere Karawane – jeden anderen Gefangenen, den wir zu befreien versuchten – hätte ich Darin oder die Stammesleute oder mich selbst nicht in Gefahr gebracht.

Aber wir sind Mamie Rila und dem Rest der Saif-Gefangenen diesen Versuch, sie zu befreien, schuldig. Elias’ Stammesmutter hat sich, ihre Freiheit und ihren Stamm geopfert, damit ich Darin retten konnte. Ich kann sie nicht im Stich lassen.

Elias ist nicht hier. Du bist allein. Beweg dich!

Endlich springt das Schloss auf, und ich steuere den nächsten Wagen an. Unter den Bäumen, nur ein paar Schritte entfernt, muss Afya stehen und die Verzögerung verfluchen. Je länger ich brauche, desto wahrscheinlich wird es, dass die Martialen uns erwischen.

Als ich das letzte Schloss knacke, summe ich ein Signal. Wusch. Wusch. Wusch. Wurfpfeile sausen durch die Luft. Die Martialen innerhalb der Einfriedung fallen lautlos, ihres Bewusstseins beraubt durch das seltene südliche Gift, mit dem die Pfeile bestrichen sind. Ein halbes Dutzend Stammesleute nähert sich den Soldaten und schlitzt ihnen die Kehle auf.

Ich schaue weg, obwohl ich trotzdem das Reißen von Fleisch höre, das Rasseln letzter Atemzüge. Ich weiß, dass es getan werden muss. Ohne Serrastahl können sich Afyas Leute den Martialen nicht im offenen Kampf stellen, weil ihre Klingen brechen könnten. Aber an ihrer Art zu töten ist eine solche Effizienz, dass mir das Blut gefriert. Ich frage mich, ob ich mich je daran gewöhnen werde.

Eine kleine Gestalt taucht mit schimmernder Waffe aus dem Schatten auf. Die verschlungenen Tätowierungen, die verraten, dass sie eine Zaldara ist, das Oberhaupt ihres Stammes, werden von langen, dunklen Ärmeln verdeckt. Ich zische, damit Afya Ara-Nur weiß, wo ich bin.

»Hat lange genug gedauert.« Sie blickt sich um, und ihre schwarzroten Zöpfe schwingen hin und her. »Wo zur Hölle ist Elias? Kann er sich jetzt auch unsichtbar machen?«

Elias hat Afya endlich von der Zwischenstatt erzählt, von seinem Tod im Gefängnis von Kauf, von seiner Auferstehung und seiner Vereinbarung mit Shaeva. An jenem Tag verwünschte die Stammesfrau ihn rundweg als Narren. Vergiss ihn, Laia, sagte sie. Es ist verdammt dumm, sich in einen Geisterflüsterer zu verlieben, der schon mal tot war – egal, wie gut er aussieht.

»Elias ist nicht gekommen.«

Afya flucht auf Sadhesisch und geht auf die Fuhrwerke zu. Leise erklärt sie den Gefangenen, dass sie Afyas Männern folgen müssen und dass sie keinen Lärm machen dürfen.

Schreie und das hohe Sirren eines Bogens werden vom Dorf her hörbar, fünfzig Schritte von dort, wo ich stehe. Ich lasse Afya zurück und renne auf die Häuser zu. In einer düsteren Gasse vor der Dorfschenke tanzen Afyas Kämpfer leichtfüßig vor einem halben Dutzend imperialer Soldaten herum, darunter auch der befehlshabende Legionär. Die Stammesleute lassen Pfeile und Wurfpfeile als flinke Antwort auf die tödlichen Schwerter der Martialen fliegen. Ich stürze mich ins Getümmel und schlage einem Aux mit dem Knauf meines Dolchs an die Schläfe. Ich hätte mir die Mühe sparen können. Die Soldaten fallen rasch.

Zu rasch.

Es müssen weitere Männer in der Nähe sein – eine verborgene Einheit. Oder eine Maske, die unsichtbar auf der Lauer liegt.

»Laia.« Ich zucke beim Klang meines Namens zusammen. Darins goldfarbene Haut ist dunkel von Schlamm – so will er sich tarnen. Eine Kapuze bedeckt sein widerspenstiges honigfarbenes Haar, das endlich nachgewachsen ist. Man würde ihm niemals ansehen, dass er sechs Monate im Gefängnis von Kauf überlebt hat. Aber der Geist meines Bruders kämpft noch immer gegen die Dämonen. Es sind diese Dämonen, die ihn davon abgehalten haben, Serrastahl zu schmieden.

Er ist jetzt hier, sagte ich streng zu mir. Er kämpft. Hilft. Die Waffen werden kommen, wenn er so weit ist.

Ich tippe ihm auf die Schulter, und er dreht sich um. »Mamie ist nicht hier«, sagt er. Seine Stimme klingt dünn, weil er lange nicht gesprochen hat. »Ich habe ihren Pflegesohn gefunden – Shan. Er hat gesagt, dass die Soldaten sie aus dem Wagen geholt haben, als die Karawane das Nachtlager aufgeschlagen hat.«

»Sie muss im Dorf sein«, erwidere ich. »Schaff die Gefangenen weg. Ich werde sie schon finden.«

»Das Dorf dürfte eigentlich nicht verlassen sein«, hält Darin dagegen. »Ich habe kein gutes Gefühl. Du gehst. Ich werde mich nach Mamie umsehen.«

»Irgendeiner von euch beiden muss sie verdammt noch mal suchen gehen.« Afya taucht hinter uns auf. »Weil ich es nämlich nicht tun werde. Wir müssen die Gefangenen verstecken.«

»Wenn etwas schiefgeht«, sage ich, »kann ich mich unsichtbar machen und davonschlüpfen. Ich werde so bald wie möglich im Lager wieder zu euch stoßen.«

Mein Bruder zieht die Augenbrauen hoch, während er auf seine stille Art über meine Worte nachdenkt. Wenn er will, kann er so unerschütterlich wie die Berge sein – genau wie unsere Mutter.

»Ich gehe, wohin du gehst, Schwester. Elias würde mir zustimmen. Er weiß …«

»Wenn ihr so dicke Freunde seid«, zische ich, »dann sag Elias, dass er, wenn er sich das nächste Mal an einem Überfall beteiligen will, es auch tun muss.«

Darins Mund verzieht sich zu einem flüchtigen, schiefen Lächeln. »Laia, ich weiß, dass du zornig auf ihn bist, aber er …«

»Der Himmel bewahre mich vor den Männern in meinem Leben und allem, was sie zu wissen glauben. Jetzt verschwinde von hier. Afya braucht dich. Die Gefangenen brauchen dich. Geh.«

Bevor er protestieren kann, husche ich ins Dorf. Es sind nicht mehr als hundert Hütten mit strohgedeckten Dächern, die unter dem Schnee ächzen, und enge, finstere Gassen. Der Wind heult durch gepflegte Gärten, und ich falle beinahe über einen einsamen Besen in einer kleinen Straße. Die Menschen haben diesen Ort erst vor Kurzem verlassen, das spüre ich, und zwar Hals über Kopf.

Ich bewege mich vorsichtig weiter, auf der Hut vor allem, was im Schatten lauern mag. Die Geschichten, die man sich in Schenken und um die Stammesfeuer herum zuraunt, treiben mich um: von Geistern, die marinen Seeleuten die Kehle herausreißen. Von Kundigenfamilien, die an niedergebrannten Lagerplätzen in den Freien Landen gefunden wurden. Wichte – winzige, geflügelte Landplagen –, die Fuhrwerke zerstören und Vieh quälen.

All das, da bin ich mir sicher, ist das widerwärtige Werk jener Kreatur, die sich selbst Kinan nannte.

Der Nachtbringer.

Ich halte inne, um durch das vordere Fenster einer im Dunkeln liegenden Hütte zu spähen. In der pechschwarzen Nacht kann ich nichts sehen. Während ich zum Nachbarhaus schleiche, kreist mein schlechtes Gewissen im Meer meiner Gedanken. Sie spüren meine Schwäche. Du hast dem Nachtbringer den Armreif gegeben, zischt es. Du bist seinen Manipulationen erlegen. Nun ist er der Vernichtung der Kundigen einen Schritt näher. Wenn er die restlichen Bruchstücke des Sterns findet, wird er die Dschinns freilassen. Und was dann, Laia?

Aber es könnte noch Jahre dauern, bis der Nachtbringer die nächste Scherbe des Sterns findet, beschwichtige ich mich. Und es könnte noch mehr als eine Scherbe übrig sein. Vielleicht sind es Dutzende.

Ein flackernder Lichtschein vor mir. Ich reiße mich von den Gedanken an den Nachtbringer los und bewege mich auf eine Hütte am nördlichen Rand des Dorfes zu. Die Tür steht halb offen. Eine Lampe brennt drinnen. Der Türspalt ist breit genug, dass ich hineinschlüpfen kann. Wenn hier jemand einen Hinterhalt plant, wird er mich nicht sehen.

Sobald ich drinnen bin, brauchen meine Augen einen Moment, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Ich unterdrücke einen Schrei. Mamie Rila sitzt gefesselt auf einem Stuhl, nur noch ein ausgemergelter Schatten ihrer selbst. Die dunkle Haut hängt schlaff an ihrem Körper, und man hat ihr das dichte lockige Haar abrasiert.

Fast gehe ich zu ihr. Aber ein alter Instinkt schreit tief in mir auf und hält mich davon ab.

Ein Stiefel stampft hinter mir. Erschrocken fahre ich herum, und eine Diele knarzt unter meinen Füßen. Ich erhasche einen Blick auf einen verräterischen Blitz aus flüssigem Silber – Maske! –, gerade als sich eine Hand über meinem Mund schließt und mir die Arme auf den Rücken gedreht werden.

III: ELIAS

Gleichgültig, wie oft ich mich aus der Zwischenstatt davonschleiche, es wird nicht leichter. Als ich mich der Baumgrenze im Westen nähere, lässt mich ein weißer Blitz ganz in der Nähe zusammenfahren. Ein Geist. Ich verbeiße mir einen Fluch und halte still. Wenn er mich hier, so weit entfernt von meinem eigentlichen Bestimmungsort, herumschleichen sehen sollte, wird bald der ganze verdammte Dämmerwald wissen, was ich vorhabe. Geister, das hat sich gezeigt, lieben Klatsch und Tratsch.

Die Verzögerung zerrt an meinen Nerven. Ich habe mich bereits verspätet – Laia erwartet mich seit über einer Stunde, und das hier ist kein Überfall, den sie ausfallen lassen wird, nur weil ich nicht da bin.

Fast am Ziel. Ich arbeite mich durch eine frische Lage Schnee bis an die Grenze der Zwischenstatt vor, die vor mir glitzert. Für einen Laien ist sie unsichtbar. Aber für mich und Shaeva ist die strahlende Mauer so sichtbar, als wäre sie aus Stein. Obwohl ich sie leicht überwinden kann, hält sie die Geister drinnen und neugierige Menschen draußen. Shaeva hat Monate damit zugebracht, mir nahezubringen, wie wichtig diese Mauer ist.

Sie wird böse auf mich sein. Es ist nicht das erste Mal, dass ich verschwinde, wenn ich eigentlich die Aufgaben eines Seelenfängers trainieren sollte. Obwohl sie ein Dschinn ist, verfügt Shaeva über wenig Geschick im Umgang mit schwänzenden Schülern. Ich hingegen habe vierzehn Jahre damit verbracht, Wege auszutüfteln, den Zenturionen von Schwarzkliff zu entwischen. Sich auf Schwarzkliff erwischen zu lassen, hatte die Züchtigung durch meine Mutter, die Kommandantin, zur Folge. Shaeva funkelt mich normalerweise nur finster an.

»Vielleicht sollte ich auch die Züchtigung einführen.« Shaevas Stimme schneidet durch die Luft wie ein Schim, und ich erschrecke fast zu Tode. »Würdest du dann erscheinen, wenn du sollst, Elias, anstatt dich um deine Pflichten zu drücken, nur damit du ein bisschen den Helden spielen kannst?«

»Shavea! Ich wollte nur … äh, dampfst du etwa?« Dunst steigt in Wolken von der Dschinnfrau auf.

»Jemand«, sie wirft mir einen wütenden Blick zu, »hat vergessen, die Wäsche aufzuhängen. Ich hatte keine Hemden mehr.«

Und da sie eine Dschinn ist, wird ihre unnatürlich hohe Körpertemperatur ihre gewaschene Kleidung trocknen … nach einer oder zwei Stunden unangenehmer Klammheit, da bin ich mir sicher. Kein Wunder, dass sie so aussieht, als würde sie mir am liebsten eine Ohrfeige verpassen.

Shaeva zieht mich am Arm, und ihre Dschinnwärme vertreibt die Kälte, die mir in die Knochen gekrochen ist. Augenblicke später sind wir schon meilenweit von der Grenze entfernt. Mir schwirrt der Kopf von der Magie, derer sie sich bedient, um uns so rasch durch den Wald zu bringen.

Beim Anblick des rot glühenden Dschinnhains ächze ich. Ich hasse diesen Ort. Die Dschinns mögen in den Bäumen eingeschlossen sein, doch sie besitzen innerhalb dieses begrenzten Raums immer noch Macht, und sie benutzen sie jedes Mal, wenn ich ihn betrete, um in meinen Kopf zu gelangen.

Shaeva verdreht die Augen, als hätte sie es mit einem besonders nervtötenden kleinen Bruder zu tun. Die Seelenfängerin wedelt mit der Hand, und als ich mich von ihr losmache, stelle ich fest, dass ich nur wenige Schritte weit komme. Sie hat irgendeinen Bannzauber aufgerufen. Ihr scheint am Ende doch der Geduldsfaden gerissen zu sein, da sie sich nun darauf verlegt, meine Bewegungsfreiheit einzuschränken.

Ich versuche, ruhig zu bleiben – und scheitere. »Das ist ein gemeiner Zaubertrick!«

»Den du leicht aufheben könntest, wenn du lange genug bleiben würdest, damit ich dir beibringen kann, wie.« Sie nickt zum Dschinnhain hinüber, wo sich die Geister zwischen den Bäumen winden. »Der Geist eines Kindes muss beschwichtigt werden, Elias. Geh. Zeig mir, was du in den letzten Wochen gelernt hast.«

»Ich sollte nicht hier sein.« Ich stemme mich ebenso gewaltsam wie wirkungslos gegen den Bannzauber. »Laia und Darin und Mamie brauchen mich.«

Shaeva lehnt sich gegen einen hohlen Baumstamm und blickt hinauf zu den Sternen und zum Himmel, die sie bruchstückhaft durch die nackten Äste hindurch sehen kann. »Eine Stunde bis Mitternacht. Der Überfall wird gerade laufen. Laia wird in Gefahr sein. Darin und Afya auch. Geh in den Hain und hilf diesem Geist weiterzuziehen. Wenn du’s tust, hebe ich den Bannzauber auf, und du kannst fort. Sonst müssen deine Freunde weiter warten.«

»Du bist schlechter gelaunt als sonst«, sage ich. »Hast du das Frühstück verpasst?«

»Hör auf, Zeit zu schinden.«

Ich murmle eine Verwünschung und wappne mich mental gegen die Dschinns, indem ich mir eine Mauer um meinen Geist vorstelle, die sie mit ihrem bösen Geflüster nicht überwinden können. Bei jedem Schritt Richtung Hain spüre ich, wie sie mich beobachten. Belauschen.

Einen Augenblick später hallt Gelächter in meinem Kopf wider. Es überlagert sich – Stimme über Stimme, Spott über Spott. Die Dschinns.

Du kannst den Geistern nicht helfen, dummer Sterblicher. Und du kannst Laia von Serra nicht helfen. Sie soll einen langsamen Tod voller Schmerzen sterben.

Die Boshaftigkeiten der Dschinns bohren sich durch meine sorgsam errichtete Abwehr. Die Kreaturen ergründen selbst meine dunkelsten Gedanken und führen mir Bilder einer toten, geschundenen Laia vor, bis ich nicht mehr sagen kann, wo der Dschinnhain endet und ihre verdrehten Visionen beginnen.

Ich schließe die Augen. Nicht real. Ich öffne sie, nur um Laia erschlagen am Fuße des nächsten Baums zu entdecken. Darin liegt neben ihr. Auf seiner anderen Seite Mamie Rila. Shan, mein Pflegebruder. Ich fühle mich an das Schlachtfeld des Todes aus der ersten Prüfung vor so langer Zeit erinnert – und doch ist das hier schlimmer, denn ich glaubte, Gewalt und Leiden hinter mir gelassen zu haben.

Ich rufe mir Shaevas Lektionen ins Gedächtnis. Im Hain haben die Dschinns die Macht, deinen Geist zu kontrollieren. Deine Schwächen auszunutzen. Ich versuche, die Dschinns abzuschütteln, aber sie lassen nicht locker, und ihr Gewisper dringt schlangengleich in mich ein. Neben mir erstarrt Shaeva.

Heil, Verräterin. Sie verfallen in eine förmliche Sprache, wenn sie zur Seelenfängerin sprechen. Euer Untergang ist nah. Die Luft stinkt danach.

Shaeva beißt die Zähne zusammen, und sofort wünsche ich mir eine Waffe herbei, um sie alle zum Schweigen zu bringen. Sie hat schon genug im Kopf, auch ohne ihre Schmähungen.

Doch die Seelenfängerin hebt nur die Hand gegen den Dschinnbaum, der am nächsten steht. Ich kann nicht sehen, ob sie den Zauber der Zwischenstatt anwendet, doch es muss es so sein, denn die Dschinns verstummen.

»Du musst dich mehr anstrengen.« Sie wendet sich mir zu. »Die Dschinns wollen, dass du dich mit belanglosen Dingen aufhältst.«

»Das Schicksal von Laia und Darin und Mamie ist nicht belanglos.«

»Ihr Leben ist nichts gegen das nutzlose Verstreichen von Zeit«, erwidert Shaeva. »Ich werde nicht bis in alle Ewigkeit hier sein, Elias. Du musst lernen, die Geister schneller weiterzuleiten. Es sind zu viele.« Angesichts meiner störrischen Miene seufzt sie. »Sag mir – was tust du, wenn ein Geist sich weigert, die Zwischenstatt zu verlassen, bis alle, die er liebt, auch sterben?«

»Äh … na ja …«

Shaeva stöhnt, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht erinnert mich an den von Helena, immer dann, wenn ich nicht pünktlich zum Unterricht erschienen bin.

»Was ist, wenn Hunderte Geister gleichzeitig schreien, damit du sie hörst?«, fragt Shaeva. »Was machst du mit einem Geist, der schreckliche Dinge getan hat, als er noch lebte, aber keine Reue empfindet? Weißt du, warum es so wenige Geister von Stammesleuten gibt? Weißt du, was passiert, wenn du die Geister nicht rasch genug weiterleiten kannst?«

»Da du davon sprichst«, falle ich ein, denn meine Neugier ist geweckt, »was passiert, wenn …«

»Wenn du die Geister nicht weiterleiten kannst, bedeutet das dein Scheitern als Seelenfänger und das Ende der menschlichen Welt, wie du sie kennst. Du solltest bei allen Himmeln hoffen, dass du diesen Tag niemals erleben wirst.«

Sie lässt sich schwerfällig nieder und vergräbt das Gesicht in den Händen, und nach einem Augenblick setze ich mich neben sie. Angesichts ihrer Betrübtheit spüre ich ein unbehagliches Flattern in der Brust. Dies ist nicht wie damals, wenn die Zenturionen zornig auf mich waren. Ich scherte mich nicht darum, was sie von mir dachten. Aber ich will mich um Shaevas willen gut schlagen. Wir haben Monate zusammen verbracht, sie und ich – zumeist damit, den Pflichten des Seelenfängers nachzukommen, aber auch mit Diskussionen über die Militärgeschichte der Martialen, gutmütigen Zänkereien über Hausarbeiten und den Austausch von Erfahrungen zu Jagd und Kampf. Ich betrachte sie als eine klügere, viel ältere Schwester. Ich will sie nicht enttäuschen.

»Lass die Menschenwelt los, Elias. Solange du das nicht tust, hast du keine Macht über die Magie der Zwischenstatt.«

»Ich windwandle doch die ganze Zeit.« Shaeva hat mir beigebracht, wie man binnen eines Wimpernschlags durch den Wald eilt, auch wenn sie immer noch schneller ist als ich.

»Windwandeln ist ein Körperzauber und leicht zu beherrschen.« Shaeva seufzt. »Als du deinen Schwur geleistet hast, ist dir der Zauber der Zwischenstatt in Fleisch und Blut übergegangen. Mauth ist dir in Fleisch und Blut übergegangen.«

Mauth. Ich unterdrücke einen Schauer. Dieses Wort kommt mir noch immer schwer über die Lippen. Ich wusste nicht einmal, dass die Magie einen Namen hatte, als sie zum ersten Mal durch Shaeva zu mir sprach, vor Monaten, und von mir verlangte, den Schwur des Seelenfängers zu leisten.

»Mauth ist die Quelle jeglicher Zaubermacht auf der Welt, Elias. Der Zaubermacht der Dschinns, der Ifrits, der Ghuls. Sogar der Heilung, die deine Freundin Helena beherrscht. Er ist die Quelle deiner Macht als Seelenfänger.«

Er. Als wäre der Zauber ein Lebewesen.

»Er wird dir helfen, die Geister weiterzuleiten, wenn du ihn lässt. Mauths wahre Macht sitzt hier«, die Seelenfängerin tippt mir erst sanft aufs Herz, dann auf die Schläfe, »und hier. Aber solange du keine innigen Seelenbande zu dieser Magie knüpfst, kannst du kein wahrer Seelenfänger werden.«

»Das sagst du so leicht. Du bist eine Dschinn. Die Magie ist ein Teil von dir. Für mich ist das nicht so einfach. Im Gegenteil, sie reißt an mir, wenn ich mich zu weit von den Bäumen entferne, als wäre ich ein eigensinniger Jagdhund. Und wenn ich Laia berühre, zur Hölle …« Der Schmerz ist entsetzlich genug, dass mir der bloße Gedanke daran eine Grimasse entlockt.

Siehst du, Verräterin, wie dumm es war, diesem bisschen sterblichen Fleisch die Seelen der Toten anzuvertrauen?

Nach dieser Einmischung seitens ihrer Dschinnsippe schleudert Shaeva eine magische Schockwelle gegen ihren Hain, die so mächtig ist, dass sogar ich es spüre.

»Hunderte Geister warten darauf, weiterziehen zu können, und jeden Tag werden es mehr.« Eine Schweißperle rollt Shaevas Schläfe hinab, als würde sie eine Schlacht schlagen, die ich nicht sehen kann. »Ich bin sehr beunruhigt.« Sie spricht leise und blickt zwischen die Bäume hinter sich. »Ich fürchte, dass der Nachtbringer gegen uns arbeitet – im Verborgenen und mit bösen Absichten. Aber ich kann seine Pläne nicht ergründen, und das bereitet mir Sorge.«

»Natürlich arbeitet er gegen uns. Er will die gebannten Dschinn befreien.«

»Nein. Ich spüre eine dunkle Absicht«, entgegnet Shaeva. »Wenn mir etwas zustoßen sollte, bevor deine Ausbildung beendet ist …« Sie holt tief Luft und sammelt sich wieder.

»Ich kann das hier, Shaeva«, sage ich zu ihr. »Ich schwöre es dir. Aber ich habe Laia versprochen, dass ich ihr heute Nacht beistehe. Mamie könnte jetzt tot sein. Laia könnte jetzt tot sein. Ich weiß es nicht, weil ich nicht dort bin.«

Himmel, wie soll ich es ihr erklären? Sie hält sich schon so lange fern von den Menschen, dass sie es womöglich nicht versteht. Begreift sie, was Liebe ist? An den Tagen, an denen sie mich damit aufzieht, dass ich im Schlaf spreche, oder an denen sie seltsame, lustige Geschichten erzählt, weil sie weiß, dass ich mich nach Laia sehne, wirkt es so. Aber jetzt …

»Mamie Rila hat ihr Leben für meines geopfert, und wie durch ein Wunder ist sie immer noch am Leben«, erkläre ich. »Lass es nicht so weit kommen, dass ich sie hier begrüßen muss. Lass mich nicht Laia hier begrüßen müssen.«

»Sie beide zu lieben, wird dir nur wehtun«, widerspricht Shaeva. »Am Ende werden sie dahinschwinden. Du wirst weiterexistieren. Jedes Mal wenn du dich von einem Teil deines alten Lebens verabschiedest, wird ein Stück von dir sterben.«

»Du glaubst, dass ich das nicht weiß?« Jeder gestohlene Augenblick mit Laia ist ein Beweis für diese Tatsache, der mich zornig macht. Die paar Küsse, die wir ausgetauscht haben und die Mauths bedrückende Missbilligung abgekürzt hat. Die Kluft, die sich zwischen uns auftat, als uns dämmerte, was mein Schwur bedeutet. Jedes Mal wenn ich sie sehe, kommt sie mir weiter weg vor, so als würde ich durch ein Fernglas blicken.

»Dummer Junge.« Shaevas Stimme ist leise vor Mitgefühl. Der Blick ihrer schwarzen Augen wird unscharf, und ich fühle, wie der Bannzauber von mir abfällt. »Ich werde den Geist des Kindes aufsuchen und ihn weiterleiten. Geh. Und spiele nicht leichtsinnig mit deinem Leben. Erwachsene Dschinn sind fast nicht zu töten, außer von anderen Dschinn. Wenn du dich mit Mauth verbindest, wirst auch du unangreifbar werden, und die Zeit wird keinen Einfluss mehr auf dich haben. Bis dahin bleib wachsam. Wenn du noch einmal stirbst, kann ich dich nicht zurückbringen. Und«, sie stampft verlegen auf dem Boden auf, »ich habe mich doch schon an dich gewöhnt.«

»Ich werde nicht sterben.« Ich berühre ihre Schulter. »Und ich verspreche, den ganzen nächsten Monat das Geschirr zu spülen.«

Sie schnaubt ungläubig, aber da bin ich schon auf und davon, windwandle so schnell durch die Bäume, dass ich spüre, wie die Äste mir ins Gesicht schlagen. Eine halbe Stunde später schieße ich an Shaevas und meiner Hütte vorüber, über die Grenzen der Zwischenstatt hinaus und ins Imperium hinein. Sobald ich die Bäume hinter mir lasse, packt mich ein Sturmwind, und das Windwandeln wird langsamer, weil der Zauber abklingt, je weiter ich den Wald hinter mir lasse.

Ich spüre ein Zerren in meinem Innersten, das mich zurückreißt. Mauth verlangt meine Rückkehr. Das Zerren ist fast schmerzhaft, aber ich beiße die Zähne zusammen und bewege mich weiter. Schmerz ist eine Entscheidung. Unterwirf dich ihm und scheitere. Oder bezwinge ihn und triumphiere. Die Ausbildung bei Keris Veturia habe die ich bis in Mark und Bein verinnerlicht.

Als ich außerhalb des Dorfs ankomme, dort, wo ich mit Laia verabredet war, ist Mitternacht lange vorbei, und Mondschein bahnt sich widerstandslos seinen Weg durch die Schneewolken. Bitte mach, dass der Überfall reibungslos abgelaufen ist. Bitte mach, dass es Mamie gut geht.

Doch sobald ich das Dorf betrete, weiß ich, dass etwas nicht stimmt. Das Fuhrwerk ist leer, die Wagentüren kreischen im Sturm. Eine dünne Schneeschicht liegt bereits auf den Leichen der Soldaten, die das Fuhrwerk bewacht haben. Unter ihnen finde ich keine Maske. Keine Verluste unter den Stammesleuten. Das Dorf schweigt, während es in Aufruhr sein sollte.

Falle.

Ich weiß es sofort, mit derselben Gewissheit, mit der ich das Gesicht meiner eigenen Mutter kenne. Ist dies Keris’ Werk? Hat sie von Laias Überfällen erfahren?

Ich setze die Kapuze auf, hülle mich in einen Schal und gehe in die Hocke, um die Spuren im Schnee zu studieren. Sie sind undeutlich – verwischt. Aber ich entdecke einen vertrauten Fußabdruck: den von Laia.

Diese Spur wurde nicht aus Achtlosigkeit übersehen. Ich sollte herausfinden, dass Laia ins Dorf gegangen ist. Und dass sie nicht wieder herausgekommen ist. Was bedeutet, dass die Falle nicht ihr gestellt wurde.

Sondern mir.

IV: DER BLUTGREIF

Verflucht seist du!« Mein Klammergriff um Laia von Serra ist eisern, aber sie widersetzt sich mir mit aller Kraft. Sie weigert sich, ihre Unsichtbarkeit aufzugeben, und ich habe das Gefühl, mit einem wütenden Fisch in Tarnfarben zu ringen. Ich verwünsche mich selbst dafür, dass ich sie nicht sofort bewusstlos geschlagen habe, als ich sie mir gegriffen habe.

Sie landet einen scheußlichen Tritt gegen meinen Knöchel, bevor sie mir ihren Ellbogen in die Eingeweide rammt. Mein Griff wird schwächer, und schon ist sie meinen Händen entglitten. Ich stürze dorthin, woher das Schleifen ihrer Stiefel auf dem Boden kommt, und höre mit wilder Freude das Keuchen, mit dem bei meiner Attacke der Atem ihre Lungen verlässt. Schließlich wird sie flackernd wieder sichtbar, und bevor sie wieder ihr kleines Verschwindespiel spielen kann, drehe ich ihr die Hände auf den Rücken und fessle sie fester als eine Ziege am Schlachttag. Immer noch keuchend, drücke ich sie auf einen Stuhl.

Sie sieht zu der dritten Person, die sich in der Kammer aufhält – Mamie Rila, die ebenfalls gefesselt und fast bewusstlos ist –, und stößt durch ihren Knebel ein Knurren aus. Sie keilt aus wie ein Maultier, und ihr Stiefel trifft mich unter dem Knie. Bei dem Schmerz verziehe ich das Gesicht. Schlag nicht zurück, Greif.

Obwohl sie sich wehrt, jubelt jener magische Teil meines Geistes über das Leben in ihr. Sie ist geheilt. Sie ist stark. Die Tatsache sollte mich ärgern.

Doch der Zauber, mit dem ich Laia geheilt habe, bindet uns aneinander – er ist eine Fessel, fester geknüpft, als es mir recht ist. Ich spüre solche Erleichterung über ihre Lebenskraft, als hätte ich gerade erfahren, dass meine kleine Schwester Livia bei guter Gesundheit ist.

Was sie nicht sehr viel länger sein wird, wenn dieser Plan nicht aufgeht. Angst durchbohrt mich, gefolgt vom brutalen Dolchstoß einer Erinnerung. Der Thronsaal. Imperator Marcus. Die Kehle meiner Mutter: aufgeschlitzt. Die Kehle meiner Schwester Hannah: aufgeschlitzt. Die Kehle meines Vaters: aufgeschlitzt. Nur um meinetwillen.

Ich werde Livia nicht auch noch sterben sehen. Ich muss Marcus’ Befehle ausführen und Kommandantin Keris Veturia zu Fall bringen. Wenn ich nicht von meiner Mission nach Antium mit etwas zurückkehre, das ich gegen sie verwenden kann, wird Marcus sein Mütchen an der Imperatrix kühlen – Livia. Das hat er schon früher getan.

Aber die Kommandantin scheint unangreifbar zu sein. Die Unterschichten-Plebejer und die Mercatoren-Händler unterstützen sie, weil sie den Kundigenaufstand niedergeschlagen hat. Die mächtigsten Familien im Imperium, die Illustrier, füchten sie und die Gens Veturia. Sie ist zu gerissen, um einen Meuchelmörder nah an sich heranzulassen, und selbst wenn ich sie erledigen würde, würden ihre Verbündeten revoltieren.

Was bedeutet, dass ich zuerst ihre Position unter den Gentes schwächen muss. Ich muss ihnen zeigen, dass sie noch immer menschliche Regungen besitzt.

Und dafür brauche ich Elias Veturius. Der Sohn, der tot sein sollte, von dem Keris behauptet hat, dass er tot sei, der aber, wie ich kürzlich erfahren habe, noch sehr lebendig ist. Ihn als Beweis für Keris’ Versagen zu präsentieren ist der erste Schritt, um ihre Verbündeten davon zu überzeugen, dass sie nicht so stark ist, wie es den Anschein hat.

»Je mehr du dich gegen mich wehrst«, sage ich zu Laia, »desto fester ziehen sich deine Fesseln.« Ich rucke an den Seilen. Als sie zusammenzuckt, spüre ich ein unangenehmes Stechen tief drinnen. Hat das etwas damit zu tun, dass ich sie geheilt habe?

Es wird dich vernichten, wenn du nicht vorsichtig bist. Die Worte des Nachtbringers über meinen Heilzauber hallen in meinem Kopf wider. Ist es das, was er gemeint hat? Dass die Verbindung zu jenen, die ich geheilt habe, unzerstörbar ist?

Ich kann mich jetzt nicht damit befassen. Hauptmann Avitas Harper und Hauptmann Dex Atrius betreten die Hütte, die wir requiriert haben. Harper nickt mir zu, aber Dex’ Aufmerksamkeit gilt Mamie. Er beißt die Zähne zusammen.

»Dex«, sage ich. »Es ist Zeit.«

Er wendet keinen Blick von Mamie. Was keine Überraschung ist. Vor Monaten, als wir auf der Jagd nach Elias waren, hat Dex Mamie und andere Mitglieder des Stammes Saif auf meinen Befehl hin verhört. Seither plagen ihn Schuldgefühle.

»Atrius!«, blaffe ich. Dex’ Kopf schnellt nach oben. »Auf deine Stellung!«

Er schüttelt sich und verschwindet. Harper, unberührt von Laias erstickten Flüchen und Mamies Schmerzenslauten, wartet geduldig auf Befehle.

»Überprüft die Einfriedung«, sage ich. »Vergewissert Euch, dass keine Dorfbewohner zurückgekommen sind.«

Während Laia von Serra mit dem Blick Harper bis zur Tür folgt, ziehe ich einen Offiziersdolch und säubere mir damit die Nägel. Die dunklen Kleider liegen eng am Körper des Mädchens an und umschließen ihre irritierenden Rundungen auf eine Art, die mir jeden einzelnen Knochen bewusst macht, der so ungelenk an meinem eigenen Körper hervorsticht. Ich habe ihr Bündel genommen, zusammen mit einem abgenutzten Dolch, den ich mit einem Mal wiedererkenne. Er gehört Elias. Sein Großvater Quin hat ihm die Waffe zum sechzehnten Geburtstag geschenkt.

Und offenbar hat Elias sie an Laia weitergegeben.

Sie zischt gegen den Knebel an, während ihr Blick zwischen mir und Mamie hin und her huscht. Ihr Trotz erinnert mich an Hannah. Ich frage mich flüchtig, ob die Kundige und ich in einem anderen Leben hätten Freundinnen werden können.

»Wenn du versprichst, dass du nicht schreist«, sagte ich zu ihr, »nehme ich dir den Knebel ab.«

Sie denkt nach, bevor sie einmal nickt. Als ich ihr den Knebel aus dem Mund ziehe, beginnt sie zu toben.

»Was habt ihr mit ihr gemacht?« Ihr Stuhl poltert, während sie mit aller Macht versucht, damit auf die bewusstlose Mamie Rila zuzuhoppeln. »Sie braucht Medizin. Was für ein Ungeheuer …«

Das Knacken, das durch die Hütte schallt, als ich sie mit einem Schlag ins Gesicht zum Schweigen bringe, überrascht mich selbst. Ebenso wie der Schwindel, der mich fast zu Fall bringt. Was in aller Welt? Ich greife nach dem Tisch, um mich abzustützen, und richte mich wieder auf, bevor Laia es sehen kann.

Sie reckt das Kinn und hebt den Kopf. Blut tropft von ihrer Nase. Verwunderung erfüllt diese goldenen, katzenartigen Augen, gefolgt von einer gesunden Portion Angst. Wurde auch Zeit.

»Achte auf deinen Ton.« Ich spreche mit ausdrucksloser Stimme. »Oder der Knebel kommt wieder rein.«

»Was willst du von mir?«

»Nur deine Gesellschaft.«

Ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, und sie bemerkt endlich die Handschellen, die an einem Stuhl in der Ecke angebracht sind.

»Ich arbeite allein«, sagt sie. »Tu mit mir, was du willst.«

»Du bist Ungeziefer.« Ich kehre wieder zu meiner ursprünglichen Beschäftigung, dem Nägelsäubern, zurück, und verbeiße mir ein Lächeln, als ich sehe, dass meine Worte sie ärgern. »Bestenfalls eine Stechmücke. Glaub ja nicht, dass du mir sagen kannst, was ich zu tun habe. Der einzige Grund, warum das Imperium dich noch nicht zerquetscht hat, ist, weil ich es nicht erlaubt habe.«

Lügen, natürlich. Sie hat sechs Karawanen in zwei Monaten überfallen und dabei Hunderte Gefangene befreit. Der Himmel weiß, wie lange sie damit weitergemacht hätte, wenn ich die Nachricht nicht erhalten hätte.

Sie traf vor zwei Wochen ein. Ich kannte die Handschrift nicht, und wer – oder was – auch immer sie überbracht hat, wusste es zu vermeiden, von einer gesamten verfluchten Garnison Masken entdeckt zu werden.

DIEÜBERFÄLLE. ESISTDASMÄDCHEN.

Ich habe die Überfälle verschwiegen. Wir haben schon Schwierigkeiten mit den Stämmen, die voller Zorn über den Aufmarsch der martialen Legionen in ihrer Wüste sind. Im Westen haben die karkaunischen Barbaren die Wildmännerclans bezwungen und nehmen nun unsere Vorposten bei Tiborum in die Zange. Unterdessen hat ein karkaunischer Hexenmeister namens Grímarr seine Clans um sich geschart. Sie liegen nun im Süden auf der Lauer und überfallen unsere Hafenstädte.

Marcus hat sich erst kürzlich erneut der Loyalität der illustrischen Gentes versichert. Wenn sie erfahren, dass eine Kundigenrebellin durchs Land streift und verheerende Schäden angerichtet hat, werden sie unruhig werden. Wenn sie erfahren, dass es dasselbe Mädchen ist, das Marcus in der vierten Prüfung hätte töten sollen, wird ihr Blutdurst erwachen.

Ein weiterer illustrischer Putsch ist das Letzte, was ich gebrauchen kann – besonders jetzt, da Livias Schicksal an das von Marcus geknüpft ist.

Als ich die Nachricht bekam, war es leicht genug, eins und eins zusammenzuzählen und Laia mit den Überfällen in Verbindung zu bringen. Die Berichte aus dem Gefängnis von Kauf passten zu den Berichten von den Überfällen. Ein Mädchen, das im einen Augenblick erscheint und im nächsten verschwindet. Eine Kundige, von den Toten auferstanden, die Rache am Imperium nimmt.

Es war kein Gespenst, es war ein Mädchen. Ein Mädchen und eine Komplizin mit einer einzigartigen Gabe.

Wir starren einander an, sie und ich. Laia von Serra ist durch und durch leidenschaftlich. Voller Gefühl. Alles, was sie denkt, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ich frage mich, ob sie überhaupt begreift, was Pflichterfüllung ist.

»Wenn ich Ungeziefer bin«, sagt sie, »warum bist du dann …« Verstehen huscht über ihr Gesicht. »Du bist nicht um meinetwillen hier. Aber wenn du mich als Köder benutzt …«

»… dann wird es auch funktionieren. Ich kenne meine Beute gut, Laia von Serra. Er wird in weniger als einer Viertelstunde hier sein. Wenn ich mich irre …« Ich balanciere meinen Langdolch auf der Fingerspitze. Laia wird blass.

»Er ist gestorben.« Sie scheint an ihre eigene Lüge zu glauben. »Im Gefängnis von Kauf. Er kommt nicht.«

»Oh, er wird kommen.« Himmel, ich hasse sie, während ich das sage. Er wird um ihretwillen kommen. Das wird er immer tun. Wie er es niemals für mich tun wird.

Ich verbanne diesen Gedanken – Schwäche, Greif – und knie mich vor sie, um mit dem Messer in der Hand über das K zu fahren, das die Kommandantin in ihre Brust geritzt hat. Die Narbe ist inzwischen alt. Sie mag sie als Makel auf ihrer strahlenden Haut betrachten. Aber sie lässt sie stärker wirken. Widerstandsfähig. Und auch dafür hasse ich sie.

Aber nicht sehr viel länger. Denn ich kann Laia von Serra nicht laufen lassen. Nicht, wenn Marcus ihren Kopf zu bringen mir seine Gunst eintragen könnte – und darum meiner kleinen Schwester ein besseres Leben.

Ich denke flüchtig an Köchin und an ihr Interesse an Laia. Die einstige Sklavin der Kommandantin wird zornig werden, wenn sie erfährt, dass das Mädchen tot ist. Aber die Alte ist vor Monaten verschwunden. Vielleicht ist sie selbst tot.

Laia muss Mordlust in meinen Augen sehen, weil ihr Gesicht aschfarben wird und sie zurückschreckt. Schwindel durchfährt mich erneut. Ich sehe blitzartig nur noch weiß und lehne mich gegen die hölzerne Armlehne ihres Stuhls, während die Messerspitze vorwärts kippt, in die Haut über ihrem Herzen …

»Das reicht, Helena.«

Seine Stimme ist so brutal wie ein Peitschenhieb der Kommandantin. Er ist durch die Hintertür hereingekommen, wie ich es vermutet habe. Helena. Natürlich benutzt er meinen Namen.

Ich denke an meinen Vater. Du bist alles, was die Dunkelheit noch aufhält. Ich denke an Livia, die die Blutergüsse an ihrem Hals mit dicken Schichten Puder übertüncht, damit der Hof sie nicht für schwach hält. Ich drehe mich um.

»Elias Veturius.« Mir gefriert das Blut in den Adern, als ich sehe, dass es ihm gelungen ist, mich zu überraschen, obwohl doch ich die Falle gestellt habe. Denn anstatt allein zu kommen, hat Elias Dex gefangen genommen und ihm die Hände gefesselt. Und jetzt hält er ihm ein Messer an die Kehle. Dex’ maskiertes Gesicht ist zu einer Grimasse der Wut gefroren. Dex, du Idiot. Ich schicke ihm einen finsteren Blick voll stummen Vorwurfs. Ich frage mich, ob er sich überhaupt zu wehren versucht hat.

»Töte Dex, wenn du willst«, sage ich. »Wenn er dumm genug war, sich schnappen zu lassen, werde ich ihn nicht vermissen.«

Das Licht der Fackel scheint kurz in Elias’ Gesicht auf. Er sieht zu Mamie, auf ihren gebrochenen Körper und ihre schlaffe Gestalt, und sein Blick ist scharf vor Zorn. Meine Kehle wird trocken angesichts der Tiefe seiner Gefühle, während er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtet. Ich lese hundert Gedanken in seinen zusammengebissenen Zähnen, in seinen Schultern, in der Art, wie er seine Waffe hält. Ich kenne seine Körpersprache. Ich spreche sie, seitdem ich sechs Jahre alt bin.

»Dex ist dein Verbündeter«, sagt er. »Davon hast du im Moment nur wenige, wie ich höre. Ich denke, dass du ihn sehr vermissen wirst. Lass Laia frei.«

Ich fühle mich an die dritte Prüfung erinnert. An Demetrius’ Tod von Elias’ Hand. An Leanders Tod. Elias hat sich verändert. Es ist eine Dunkelheit um ihn, die vorher nicht da war.

Du und ich, wir beide, alter Freund.

Ich ziehe Laia vom Stuhl hoch und drücke sie gegen die Wand, wobei ich ihr mein Messer an den Hals halte. Diesmal bin ich auf die Welle der Übelkeit vorbereitet, und ich beiße die Zähne zusammen, als sie über mir zusammenschlägt.

»Der Unterschied zwischen uns, Veturius«, beginne ich, »ist der, dass es mich nicht schert, wenn einer meiner Verbündeten stirbt. Lass deine Waffen fallen. Du wirst Handschellen in der Ecke finden. Leg sie an. Setz dich. Halt den Mund. Wenn du’s tust, bleibt Mamie am Leben, und ich erkläre mich einverstanden, eure Verbrecherbande, die Karawanen überfällt, und die Gefangenen, die sie befreit hat, nicht zu verfolgen. Weigere dich, und ich bringe sie zur Strecke und töte sie eigenhändig.«

»Ich … ich dachte, du bist anständig«, flüstert Laia. »Nicht gut, aber …« Sie sieht hinab auf meinen Dolch und dann zu Mamie. »Aber nicht so.«

Weil du ein dummes Mädchen bist. Elias zögert, und ich verstärke den Druck auf den Dolch.

Die Tür öffnet sich hinter mir. Harper, die Dolche gezückt, bringt eine Welle Kälte mit herein. Elias ignoriert ihn. Seine Aufmerksamkeit bleibt bei mir.

»Lass Laia auch gehen«, sagt er. »Und es ist abgemacht.«

»Elias«, keucht Laia. »Nein … die Zwischen…« Ich zische, und sie verstummt. Ich habe keine Zeit dafür. Je länger ich zögere, desto wahrscheinlicher wird Elias auf einen Fluchtweg sinnen. Dank meiner Bemühungen hat er erfahren, dass Laia das Dorf betreten hat – ich hätte damit rechnen sollen, dass er Dex schnappt. Du Idiot, Greif. Du hast ihn unterschätzt.

Laia versucht zu sprechen, aber ich grabe ihr den Dolch noch ein wenig tiefer in den Hals, absichtlich so tief, bis Blut kommt. Sie zittert, ihr Atem wird flach. Mein Herz hämmert. Der Schmerz facht meine Wut an, und der Teil von mir, der dem Blut meiner toten Eltern entspringt, brüllt mit blanken Klauen auf.

»Ich kenne ihr Lied, Veturius«, sage ich. Dex und Avitas werden nicht verstehen, was das bedeutet. Elias schon. »Ich kann die ganze Nacht hierbleiben. Den ganzen Tag. Solange es dauert. Ich kann ihr wehtun.«

Und sie heilen. Ich sage es nicht, aber er sieht meine böse Absicht. Und ihr wieder wehtun und sie erneut heilen. Bis du verrückt wirst.

»Helena.« Elias’ Raserei schwindet – an ihre Stelle tritt Überraschung. Enttäuschung. Aber er hat kein Recht, von mir enttäuscht zu sein. »Du wirst uns nicht töten.«

Er klingt nicht ganz sicher. Du hast mich früher einmal gekannt, denke ich. Aber du kennst mich nicht mehr. Ich kenne mich nicht mehr.

»Es gibt Schlimmeres als den Tod«, erwidere ich. »Sollen wir zusammen herausfinden, was das ist?«

Seine Wut wächst wieder. Sei vorsichtig, Blutgreif. Die Maske in Elias Veturius ist noch am Leben, unter dem, was auch immer aus ihm geworden ist. Ich kann ihn drängen. Aber ich kann ihn nicht endlos drängen.

»Ich werde Mamie gehen lassen.« Ich halte sie ihm wie eine Karotte vor die Nase. »Als Geste des guten Willens. Avitas wird sie irgendwo freilassen, wo eure Stammesfreunde sie finden werden.«

Erst als Elias zu Harper sieht, fällt mir ein: Er weiß nicht, dass er sein Halbbruder ist. Ich überlege, ob dieses Wissen gegen Elias verwendet werden kann, beschließe aber zu schweigen. Es ist Harpers Geheimnis, nicht meins. Ich nicke ihm zu, und er trägt Mamie aus der Hütte.

»Lass Laia auch gehen«, wiederholt Elias. »Und ich tue, was du verlangst.«

»Sie kommt mit uns«, sage ich. »Ich kenne deine Tricks, Veturius. Sie werden nicht funktionieren. Du kannst nicht gewinnen, wenn du willst, dass sie überlebt. Lass deine Waffen fallen. Leg diese Handschellen an. Ich werde nicht noch einmal darum bitten.«

Elias schiebt Dex beiseite und schneidet seine Fesseln durch, dann versetzt er ihm einen Faustschlag, dass er in die Knie geht. Dex schlägt nicht zurück. Dummkopf!

»Das ist dafür, dass du meine Familie verhört hast«, sagt Elias. »Glaub nicht, dass ich das nicht gewusst hätte.«

»Bring die Pferde her«, blaffe ich Dex an. Er erhebt sich, würdevoll und aufrecht, als würde nicht gerade Blut auf seine Rüstung tropfen. Nachdem er die Hütte verlasssen hat, wirft Elias seine Schims hin.

»Du wirst Laia freilassen«, sagt er. »Du wirst mich nicht knebeln. Und du wirst verflucht noch mal Abstand halten, Blutgreif.«

Es sollte nicht wehtun, dass er mich mit meinem Titel anspricht. Schließlich bin ich nicht mehr Helena Aquilla.

Aber als ich ihn zuletzt sah, war ich immer noch Helena. Noch vor Minuten, als er mich wiedergesehen hat, sagte er meinen Namen.

Ich lasse Laia zu Boden gleiten, und sie holt keuchend Luft, während die Farbe in ihr Gesicht zurückkehrt. Meine Hand ist nass vom Blut an ihrem Hals. Eigenlich ist es nur ein Rinnsal. Und nichts im Vergleich zu den Strömen, die aus meiner Mutter, meiner Schwester, meinem Vater geschossen sind, während sie starben.

Du bist alles, was die Dunkelheit noch aufhält.

Ich sage die Worte im Stillen. Ich erinnere mich daran, warum ich hier bin. Und was auch immer noch an Gefühl in mir war, stecke ich in Brand.

V: LAIA

Überprüft Veturius«, befiehlt der Blutgreif Avitas Harper, als er ohne Mamie zurückkehrt. »Seht nach, ob die Handschellen richtig geschlossen sind.«

Der Greif zerrt mich zur Hüttentür, so weit von Elias weg wie möglich. Dass wir drei hier in diesem Raum zusammen sind, fühlt sich sonderbar und wie ein böses Omen an. Aber dieses Gefühl schwindet, als der Greif ihren Dolch tiefer in meine Haut drückt.

Wir müssen verflucht nochmal hier weg. Ich möchte lieber nicht herausfinden, ob der Greif ihre Drohungen, mich zu foltern, wahr machen will. Inzwischen müssen Afya und Darin außer sich vor Sorge sein.

Dex taucht an der Hintertür auf. »Die Pferde sind weg, Greif.«

Wutentbrannt sieht der Blutgreif zu Elias, der die Achseln zuckt. »Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass ich sie da stehen lasse, oder?«

»Hol andere«, befiehlt sie Dex. »Und bring einen Geisterwagen mit. Harper, wie lange kann es wohl dauern nachzusehen, ob diese verdammten Ketten sitzen?«

Probehalber ziehe ich an meinen Fesseln, aber der Greif spürt es und verdreht mir brutal die Arme.

Elias sitzt breitbreinig, mit geübter Ungezwungenheit auf dem Stuhl und beobachtet seine einstige Freundin. Ich lasse mich von seinem gelangweilten Gesichtsausdruck nicht täuschen. Seine goldbraune Haut wird mit jedem Augenblick, der vergeht, blasser, bis er ganz krank wirkt. Die Zwischenstatt zerrt an ihm – und ihr Zerren wird nachdrücklicher. Ich habe das schon früher gesehen. Wenn er zu lange wegbleibt, wird er es zu spüren kriegen.

»Du benutzt mich, um an meine Mutter heranzukommen«, sagt Elias. »Das wird sie eine Meile gegen den Wind riechen.«

»Lass mich nicht die Sache mit dem Knebel überdenken.« Der Greif wird rot unter der Maske. »Harper, geht mit Dex. Ich brauche diesen Wagen jetzt sofort.«

»Was, glaubst du wohl, tut Keris Veturia in diesem Augenblick?«, fragt Elias, als Harper verschwindet.

»Du lebst ja nicht mal mehr in diesem verfluchten Imperium.« Der Blutgreif packt mich fester. »Also halt den Mund.«

»Ich muss nicht im Imperium leben, um zu wissen, wie die Kommandantin denkt. Du willst sie tot sehen, richtig? Sie wird das wissen. Das heißt, sie weiß auch, dass du Krieg mit ihren Verbündeten riskierst, wenn du sie tötest. Und während du hier draußen bist und deine Zeit mit mir vergeudest, ist sie schon zurück in der Hauptstadt und heckt der Himmel weiß was aus.«

Der Blutgreif runzelt die Stirn. Sie hat ihr ganzes Leben auf Elias’ Rat gehört und ihm selbst Ratschläge erteilt. Was, wenn er recht hat? Ich kann es sie praktisch denken hören. Elias fängt meinen Blick auf – er sucht nach einer Schwachstelle, genau wie ich.

»Such meinen Großvater«, fährt Elias fort. »Wenn du sie zur Strecke bringen willst, musst du verstehen, wie sie denkt. Quin kennt Keris besser als jeder andere, der noch am Leben ist.«

»Quin hat das Imperium verlassen«, sagt der Greif.

»Wenn mein Großvater das Imperium verlassen hat, dann können Katzen fliegen. Wo auch immer Keris ist, er wird nicht weit sein und darauf warten, dass sie einen Fehler macht. Er ist nicht so dumm, dass er sich auf einem seiner eigenen Anwesen aufhalten würde. Und er wird nicht allein sein. Er hat immer noch viele Männer, die ihm treu …«

»Das spielt keine Rolle.« Der Blutgreif winkt ab. »Keris und diese Kreatur, die immer um sie ist …«

Mein Magen krampft sich zusammen. Der Nachtbringer. Sie meint den Nachtbringer.

»… haben etwas vor«, ergänzt sie. »Ich muss sie vernichten, bevor sie das Imperium vernichtet. Ich habe Wochen damit verbracht, Quin Veturius zu jagen. Ich habe keine Zeit, es noch einmal zu tun.«

Elias verlagert sein Gewicht auf dem Stuhl – er bereitet sich auf seinen nächsten Schritt vor. Der Greif hat seinen Griff um mich gelockert, und ich drücke die Hände zusammen, winkle die Handgelenke an, ziehe, tue alles, was mir möglich ist, um mich aus den Fesseln zu winden, ohne mich zu verraten. Der Schweiß meiner Hände schmiert das Seil. Es reicht nicht.

»Du willst sie vernichten.« Elias’ Handschellen klirren. Etwas blitzt in der Nähe seiner Hände auf. Ein Dietrich? Wie in aller Welt hat er ihn an Avitas vorbeigeschmuggelt? »Denk daran, dass sie Dinge tun wird, von denen du nicht willst, dass sie sie tut. Sie wird deine Schwachstelle finden und sie ausnutzen. Das kann sie am besten.«

Als Elias seinen Arm bewegt, reißt der Greif den Kopf zu ihm herum und kneift die Augen zusammen. In diesem Augenblick tritt Harper ein.

»Der Wagen steht bereit, Greif«, sagt er.

»Nehmt sie.« Sie schiebt mich auf Avitas zu. »Lasst immer das Messer an ihrer Kehle.« Harper zieht mich dicht zu sich, doch ich halte Abstand von seiner Klinge. Wenn ich nur den Greif und Avitas einen Moment ablenken könnte, lange genug, damit Elias angreifen kann …

Ich wende einen Trick an, den Elias mir beigebracht hat, als wir zusammen unterwegs waren. Ich trete gegen die weiche Stelle zwischen Avitas’ Fuß und seinem Bein und plumpse dann wie ein Hammer zu Boden.