Ellivu Freunde müsst ihr sein - Steffen Trumpf - E-Book

Ellivu Freunde müsst ihr sein E-Book

Steffen Trumpf

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Beschreibung

Kein Land ist so klein und zugleich so fußballverrückt wie die Färöer-Inseln. Wo diese Leidenschaft herrührt, wie man eine Liga im Sturm organisiert und wovon die Färinger kollektiv träumen – all das erzählt dieses Buch. Der Autor hat mit ehrgeizigen Fußballerinnen, mit Fischern, mit dem deutschen "Entwicklungshelfer" Kevin Schindler und mit dem färingischen Ministerpräsidenten gesprochen. Dabei ist er auf etwas inzwischen sehr Seltenes gestoßen: auf echten Fußball.

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Bildnachweis:

Alle nicht namentlich gekennzeichneten Aufnahmen stammen von Steffen Trumpf.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2022 Verlag Die Werkstatt GmbH

Siekerwall 21, D-33602 Bielefeld

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Satz und Gestaltung: Christine Rölke, Die Werkstatt Medienproduktion GmbH, Göttingen

eISBN 978-3-7307-0598-8

Steffen Trumpf

ELLIVU FREUNDE MÜSST IHR SEIN

Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder

Fußball vor malerischer Fjordkulisse: der kleine färöische Ort Fuglafjørdur.

INHALT

[01]Prolog

[02]Der letzte Bolzplatz vor Island

[03]Der Entwicklungshelfer.

Wie der frühere Bundesliga-Profi Kevin Schindler den färöischen Rekordmeister fit für das internationale Geschäft macht

[04]Die Legende von Landskrona.

Warum eine Pudelmütze von den Färöer-Inseln heute zwischen Erinnerungsstücken von Pelé und Maradona liegt

[05]Abgeschieden gegen den Abstieg.

Ein deutscher Fußballtrainer kämpft mit dem ältesten Verein der Färöer um den Klassenerhalt

[06]Heiligtum Nationalmannschaft.

Warum die Landesauswahl für die Färinger mehr zählt als alles andere

[07]„I didn’t really see anyone to pass it quer.“

Wie Jóan Símun Edmundsson Bundesliga-Geschichte schrieb

[08]Warum

braucht eine Mini-Nation wie die Färöer ein eigenes „11Freunde“-Magazin, Tróndur Arge?

[09]Der perfekte Sturm.

Wie eine kleine Inselnation das Unmögliche schaffte

[10]Vorbild Island?

Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder

[11]Sprünge ins kalte Wasser.

Der Weg ins professionelle Fußballgeschäft führt für talentierte Färinger fast unweigerlich ins Ausland – und für manche Kicker aus Afrika zunächst in den hohen Norden

[12]Kompass Richtung Süden.

Die färöischen Spitzenclubs streben nach Europa

[13]„Wenn du eine kleine Gemeinschaft bist, dann ist jeder und jede wichtig.“

Eine Dänin und ihre Vision für den färöischen Frauenfußball

[14]Warum sind Ihre Landsleute so fußballverliebt, Herr Ministerpräsident?

Ein Gespräch mit dem Regierungschef über Fußball und die Färöer

[15]Das Spiel des Jahres.

All In gegen Dänemark

[16]Schafe, Wale, raues Wetter.

Und darf ein Mitspieler wirklich den Ball festhalten, wenn es zu sehr stürmt?

[17]Wenn der Wind richtig steht.

Ein Fazit

Takk fyri!

Weiterführende Literatur und Links

Für Julian.

[01]

PROLOG

Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Miroslav Klose macht nach seinem späten Treffer zum 1:0 auf den Färöer-Inseln einen Salto.

Tórshavn, 11. Juni 2003. Fredi Bobic ist sichtlich genervt. Olli Kahn sowieso, schließlich leidet der dreimalige Welttorhüter gerade an einer Bindehautentzündung. Ausgerechnet jetzt bläst ihm der Wind im offenen Nationalstadion der Färöer-Inseln ununterbrochen ins Gesicht. Christian Wörns pustet die Backen auf, Paul Freiers Flanken wehen orientierungslos durch die Luft, und ein Freistoß von Bernd Schneider rauscht einen knappen halben Meter über das färöische Tor.

Oliver Neuville und Bobic haben kurz vor der Halbzeitpause eine Doppelchance, doch Pól Thorsteinsson und Jón Rói Jacobsen verhindern das Gegentor mit allem, was sie haben. Der Ball springt von einem der Verteidigerfüße irgendwie gegen den rechten Innenpfosten, Torhüter Jákup Mikkelsen drischt ihn daraufhin wild aus der Gefahrenzone.

Das Stadion jubelt den tapferen Färingern zu, schließlich hat der Großteil der Mannschaft eigentlich anderes zu tun, als gegen den Vize-Weltmeister in der EM-Qualifikation zu bestehen: Die meisten der Nationalspieler verdienen ihr Geld nicht mit Fußball, sondern mit anderen Jobs. Aber wenn die Färöer international spielen, dann stehen sie alle parat, um das eigene Tor zu verteidigen, als ginge es um die Ehre ihrer winzig kleinen, aber stolzen Nation.

Wobei: Es geht um die Ehre ihrer Nation.

„Mann, hat der Fredi Bobic heute Pech!“, ruft Kommentator Steffen Simon den deutschen Fernsehzuschauern von den fernen Färöern herüber. 20 Minuten zuvor hat der Nationalstürmer schon einmal den Pfosten getroffen.

Es ist der Sommer 2003, doch Sommerwetter erleben die Deutschen an diesem 7. Spieltag der EM-Qualifikation in Tórshavn ganz und gar nicht. Die deutsche Nationalmannschaft spielte erst ein Jahr zuvor bei der WM in Südkorea und Japan im Endspiel gegen das Brasilien von Ronaldo, Rivaldo, Ronaldinho und Roberto Carlos – jetzt fragt sie sich:

Wo sind wir hier nur gelandet?

Deutschland ist in dieser Phase seiner Fußballgeschichte eigentlich von einer anderen Insel im Nordatlantik genervt. Mit Island ringt die Nationalelf in der Qualifikation zur Europameisterschaft 2004 um den Gruppensieg. Nun steht es für das Team von Rudi Völler auf den Färöern nach 45 Minuten noch 0:0. Gestandene Bundesliga-Profis verzweifeln an kämpfenden Amateuren.

„0:0 zur Halbzeit. Oh, das ist nicht ungefährlich!“, ruft und klagt Steffen Simon, denn Steffen Simon ruft und klagt eigentlich immer, wenn es bei einem Fußballspiel dramatisch wird. Günter Netzer fehlen Kombinationen und Spielfluss im deutschen System, wie er in der Halbzeitpause an der Seite von Gerhard Delling klarmacht. Nicht unbedingt einfacher wird all das, weil die Färöer „mit sehr vielen Leuten hinten stehen“, wie Netzer beobachtet hat.

Mit anderen Worten: Die Färöer mauern.

Eine lange Saison steckt den Deutschen in den Knochen. Die Schritte auf dem feuchten Rasen von Tórshavn werden somit immer schwerer. Doch das dürfen keine Ausreden sein hier im färöischen Nationalstadion, das Tórsvøllur genannt wird, dem Platz von Thor, des germanischen Gottes von Blitz und Donner.

Für Bobic und den Rest der Nationalmannschaft muss es sich wie eine andere Fußballwelt anfühlen. In der Bundesliga herrschen makellose Spielbedingungen mit allem, was ein Fußballspieler benötigt. Die Welt, in der man sich wohlfühlt. Die Komfortzone.

Die Welt des Färöer-Fußballs ist für Auswärtsteams das genaue Gegenteil einer Komfortzone. Sie ist ein ungemein unangenehmer Mikrokosmos, in dem meist Wind und Regen herrschen und die Hausherren einem den Ausflug in die Ferne stets so schwierig wie möglich machen wollen. Es ist zugleich eine Welt, in der jedes Fußballspiel zelebriert wird wie anderswo die Mondlandung.

Dass es in Tórsvøllur nicht unbedingt einfach werden würde, davor hätte die Deutschen auch ihr früherer Bundestrainer Berti Vogts warnen können, als dessen Schotten ihnen erst vier Tage zuvor ein 1:1 abgeluchst hatten. Schottland war am ersten Spieltag dieser EM-Qualifikation in Tórshavn selbst nur haarscharf an genau der Blamage vorbeigeschrammt, die größere Länder gegen berüchtigte Fußballzwerge wie die Färöer vermeiden wollen: 2:0 hatten die Färinger durch einen frühen Doppelpack von John Petersen bereits geführt, am Ende retteten sich Bertis Boys zumindest noch zu einem 2:2 – eine herbe Enttäuschung zwar, aber immerhin nicht die ganz große Schmach einer Niederlage gegen den absoluten Underdog.

Auch Deutschland hat bereits einen Vorgeschmack von der färöischen Hartnäckigkeit erhalten. Rudis Jungs, die zu diesem Zeitpunkt für effektiven, aber nicht gerade für schön anzusehenden Gute-Laune-Fußball stehen, haben das Hinspiel gegen die Färöer in Hannover dank eines Kopfballtreffers von Miroslav Klose zwar mit 2:1 gewonnen. Dabei hatten sie aber verdammtes Glück, dass der eingewechselte Hjalgrím Elttør in der 83. Minute nur den Pfosten traf.

„Hjalgrím Elttør, du hättest ein Star werden können auf deinen Inseln! Du hättest ein Fußballheld werden können!“, rief Reinhold Beckmann in auffällig süffisantem Ton von der Kommentatorentribüne in Richtung Spielfeld. Nur eine Minute vorher hatte er noch erklärt: „Also das wäre schon eine historische Peinlichkeit, wenn die hier noch das 2:2 schießen.“

Der Pfosten verhinderte diese Peinlichkeit letztlich. Die färöischen Fußballfans, die damals in Hannover dabei waren, werden sich trotzdem voller Stolz noch Jahre später heroische Geschichten davon erzählen, wie der Ball langsam an Kahn vorbeitrudelte und sein Ziel nur minimal verpasste. Viele dieser Färöer-Fans sind auch in Tórsvøllur dabei, wo es zu diesem Zeitpunkt wie beim Hinspiel zur Halbzeit wieder Unentschieden steht.

Für den Welttorhüter geht in diesem Moment nichts mehr: Kahn sieht nur noch verschwommen und muss zur Halbzeit raus. Frank Rost kommt. Und Deutschland hat noch 45 Minuten Zeit, eine gehörige Blamage zu vermeiden.

Gewinnen können große Fußballnationen in solchen Partien nichts, nur verlieren. Am Ende dieses Abends wird ein Chancenverhältnis von 12:0 für Deutschland stehen, aber zu diesem Zeitpunkt steht es weiterhin 0:0 zwischen dem Vize-Weltmeister und dem 113. der FIFA-Weltrangliste. Für die deutschen Bundesliga-Profis ist es das letzte Pflichtspiel vor dem lange ersehnten dreiwöchigen Sommerurlaub zum Saisonende.

Die zweite Hälfte beginnt so, wie die erste endete: Deutschland scheitert wahlweise an Mikkelsen oder am Pfosten, auch Ramelow trifft das Gebälk. Während die Hektik im deutschen Team mit jeder Minute zunimmt, werden die heimischen Fans immer lauter. Die Taktik ihrer Mannschaft scheint aufzugehen, und jede Minute ohne Gegentor ist ein Erfolg. Wie schon gegen Schottland liegt eine Sensation in der Luft, vielleicht sogar eine noch größere, und die Färinger haben für ebensolche Sensationen ein ganz besonderes Gespür.

In diese Atmosphäre hinein bringt Rudi Völler seinen Edeljoker: Hinspiel-Torschütze Miroslav Klose kommt in der 65. Minute für Jens Jeremies. Stürmer für Abräumer – ganz klar: Völler startet 25 Minuten vor Spielende die Schlussoffensive, um die färöische Mauer doch noch zu durchbrechen.

Nicht unbedingt hilfreich ist, dass nach Kloses Einwechslung auch der typisch färöische Regen einsetzt. Minuten verstreichen, während Deutschland munter auf das gegnerische Tor anrennt – vergeblich.

„Die müssen doch mal die Kugel da reinkriegen“, fordert ein zunehmend frustrierter Steffen Simon. Klagend merkt er an: „Der Regen wird immer doller und unsere Befürchtungen auch.“

Bis zur 89. Minute muss er ausharren, ehe Klose ihn und ganz Fußball-Deutschland doch noch erlöst. Neuville tritt den unzähligsten deutschen Freistoß an den Fünfmeterraum, Klose läuft von der Strafraumgrenze an und steigt hoch, wie eben nur Klose hochsteigt. Lupenreiner Kopfball, lupenreines Tor, lupenreiner Jubel-Salto.

Und riesige Erleichterung. Sowohl auf dem Platz und in Rudi Völlers Gesicht als auch an Millionen Fernsehgeräten in der Heimat.

In der zweiten Minute der Nachspielzeit trifft dann auch endlich Fredi Bobic. Jákup Mikkelsen kann einen Kopfball von Sebastian Kehl nicht festhalten, worauf der erfahrene Stürmer zum 2:0-Endstand abstaubt. Bobic ballt die Faust, ruft Oliver Neuville ein „Mann, Mann, do!“ zu und fasst sich kopfschüttelnd an die Stirn.

Selbst der furchtlose Olli Kahn wird nach dem Spiel einräumen, streckenweise Angst vor einem 0:0 gegen die Färöer gehabt zu haben. Christian Wörns wird über die Färinger sagen: „Die geben alles, die kämpfen, die fighten, machen hinten die Räume eng. Das ist Abnutzungskampf.“ Und Rudi Völler wird sein Team abermals in Schutz nehmen: „Natürlich kannst du gegen solche Mannschaften wie heute nicht brillieren. Gegen so Mannschaften wie die Färöer-Inseln, da kann es halt nur hin und wieder mit der Brechstange gehen.“

TV-Kommentator Steffen Simon wird nach Abpfiff gerecht bilanzieren, dass für die Färöer am Ende wieder so eine Niederlage stehen werde, auf die sie stolz sein könnten. „Sie haben den Vize-Weltmeister an den Rand der Verzweiflung gebracht.“

Das mag stimmen.

Aber die Färöer, das sei vorweggenommen, die haben noch lange nicht genug.

[02]

DER LETZTE BOLZPLATZ VOR ISLAND

Wer den Fußball auf den Färöer-Inseln verstehen möchte, der sollte zunächst einmal nach Eidi fahren und dabei nicht die letzte Ausfahrt vor dem Nordatlantik verpassen. Oder sich in einen der kalten Schalensitze in den steilen Berghängen von Fuglafjørdur setzen, um ein Fußballspiel vor der Kulisse eines wilden Fjords zu erleben. Vielleicht auch mal in Klaksvík oder der Hauptstadt Tórshavn dabei zuschauen, wie die besten Mannschaften der Inseln daran arbeiten, zu ernst zu nehmenden Gegnern in den internationalen Wettbewerben zu werden. Oder aber per Fähre ins völlig isolierte Tvøroyri reisen, wo ein Traditionsverein mit begrenztem Budget und einem deutschen Fußballlehrer gegen den Abstieg kämpft.

Überall dort gilt das, was Fródi Petersen in Eidi am Rande des offenen Ozeans sagt:

„Das hier ist Basic Football. Hier wird keiner reich mit Fußball. Aber glücklich.“

Ob in Eidi, Tórshavn oder Tvøroyri: Überall auf den Färöern findet man Spuren und Werte des ursprünglichen, mit dem Herzen gespielten Fußballs – all das, was in den Topligen Europas bei aller Vermarktung eines aus dem Ruder gelaufenen Milliardengeschäfts teils verloren gegangen scheint. Den echten Fußball, bei dem es um Liebe zum Sport und Aufopferungsbereitschaft für das Team geht statt um Sportwagen und teure Uhren. Wo man nach einem Foul wieder aufsteht und sich die Lunge aus dem Körper rennt, weil sich der ganze Ort um den Kunstrasenplatz versammelt hat, um seine Mannschaft gewinnen (oder zumindest kämpfen) zu sehen.

Eine Reise auf die Färöer ist somit eine Reise zurück zu den Wurzeln des Fußballs. Zu Teamgeist, Nahbarkeit und dem Geruch von Leder und immernassen Fußballschuhen. Zu Bandenwerbungen aus den 80er-Jahren, zu offenen Vereinsheimen statt verriegelten Fußballakademien. Zu harten Zweikämpfen, falschen Einwürfen und echten Gefühlen. Gleichzeitig hat sich in diese alte färöische Fußballwelt in den vergangenen Jahren etwas Neues gemischt: Zeichen einer rapide zunehmenden Professionalisierung, die die Vereine und die Nationalmannschaft in eine erfolgreichere Zukunft führen soll.

Wobei Professionalisierung natürlich ein großes Wort ist, wenn man von einer Mini-Nation mit der Einwohnerzahl einer größeren deutschen Kleinstadt spricht. Wer auf den Färöern Fußball spielt, der wird davon allein nämlich in der Regel nicht leben können – geschweige denn reich, wie es Herr Petersen in Eidi nennt. Manche Erstliga-Spieler arbeiten nebenbei in der örtlichen Fischfabrik, andere sind Handwerker, Außendienstler oder Kindergärtner, und selbst der Rekordnationalspieler war niemals Vollprofi. Für dieses Fußballerleben ohne Reichtümer nehmen färöische Spieler viel in Kauf: lange Arbeitstage, zeitraubendes Training, dementsprechend weniger Zeit mit der Familie und Freunden.

Levi Hanssen, der früher selbst Erstliga-Kicker und Nationalspieler war und später jahrelang bei der Tourismusbehörde Visit Faroe Islands arbeitete, hat es in der Zeitschrift „Glory“ vor einigen Jahren wohl am besten beschrieben, was es heißt, ein Fußballer auf den Färöern zu sein: Seine Schilderung zeigt zunächst vermeintlich klassische Bestandteile des Lebens eines Fußballers – einen Autoschlüssel für einen Porsche, die sündhaft teure Rolex, Lackschuhe, ein frisch gekauftes Edelhemd und das neueste iPhone, auf dem das Bild eines knapp bekleideten Models zu sehen ist. Eine Seite weiter sieht man dann die Realität aus dem Leben eines Färöer-Kickers – inklusive einem alten Nokia-Handy, einem Mazda-Schlüssel und einem Hemd von der Stange.

„Tauscht das iPhone mit einem Nokia aus, den Jacuzzi mit einer abgehetzten, lauwarmen Dusche, den Porsche mit einem Mazda, den Tom-Ford-Tuxedo mit einem Hemd von H&M, das Wohltätigkeits-Dinner mit einem Besuch im Kino, die Rolex mit einer Timex und Jessie das Unterwäschemodell mit, nun ja, Lina, der schönsten Krankenschwester, der ihr jemals begegnen werdet, und ihr habt eine genauere Ahnung von meinem Leben als färöischer Fußballer“, schreibt Hanssen.

Dann geht er auf die Jahre der Entbehrungen und unzähligen Tage ohne Pause zwischen Arbeits- und Bolzplatz ein. Die Belohnung für all die Aufopferungen: ein Qualifikationsspiel im UEFA-Cup oder wilde Derbys zwischen den beiden Hauptstadtclubs HB und B36 Tórshavn.

„Es ist hart, extrem hart“, sagt Hanssen über das Fußballerleben auf den Färöern. „Es ist auch körperlich hart, weil du nicht die Erholung bekommst, die du brauchst. Für die Spieler ist das eine Herausforderung.“ Er selbst ist heute Anfang 30 und mehrfacher Familienvater. Die fußballerischen Ambitionen hat er mittlerweile an den Nagel gehängt – drei Kinder und zwei Jobs, das wurde letztlich einfach zu viel.

Ein ambitionierter Kicker ordnet sein Leben auf den Färöern zu einem großen Teil dem Fußball unter – und zwar nicht für ein Leben im Luxus, sondern für ein Leben für den Sport und die Heimat, die einem für dieses Bekenntnis Wertschätzung und Lob entgegenbringt. Färöer-Fußballer ist im Grunde ein Vollzeitjob ohne Vollzeitbezahlung. Im Gegenzug bekommt man neben einem vergleichsweise kleinen Gehalt etwas gratis geboten, das so in keinem Vertrag festgeschrieben werden muss: die Anerkennung seiner Mitmenschen und dazu eine einzigartige Umgebung mit einer erschreckend schönen Natur.

Und eben auch eine ganz besondere Fußballkultur.

Fernab vom Schuss

Die Färöer sind sehr klein und unheimlich anziehend, das wird einem jeder bestätigen, der schon einmal dort gewesen ist. Die 18 Inseln liegen im Nordatlantik ungefähr auf halbem Weg zwischen Schottland und Island, bewohnt werden sie von rund 53.000 stolzen Einwohnern und um die 70.000 Schafen, die das Grün auf noch so steilen Hängen abgrasen. Mit anderen Worten: Auf den Färöern leben in etwa so viele Menschen, wie in ein größeres deutsches Stadion wie den Borussia-Park in Mönchengladbach passen. Die Ränge von Stadien mit noch größerem Fassungsvermögen wie der Signal Iduna Park in Dortmund, die Allianz Arena in München oder das Berliner Olympiastadion würde die gesamte färöische Bevölkerung ohne Unterstützung nicht alleine voll bekommen – sofern sie nicht ihre Schafsherden mitbringen, aber die wären auf dem Rasen ohnehin besser aufgehoben als auf der Tribüne.

Das Zentrum dieser kleinen Welt heißt Tórshavn. In und rund um die Hauptstadt wohnen rund 22.000 Menschen. Damit gehört die Stadt („Thors Hafen“) zu den kleinsten Hauptstädten der Erde. Läge Tórshavn in Deutschland, dann käme es etwa auf Platz 590 der einwohnerstärksten Städte der Bundesrepublik, irgendwo zwischen dem niedersächsischen Friesoythe und Weilheim in Oberbayern.

Wer auf den Färöern wohnt, wird im Deutschen gemeinhin als Färinger bezeichnet. Sie sind sich ihrem nationalen Zwergenstatus bewusst und werden daran auch regelmäßig erinnert: Die Inseln zählen offiziell zum Königreich Dänemark, werden von Kopenhagen aber ganz gerne mal übersehen, allen voran von der Politik. Als etwa Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen im Corona-Sommer 2020 verkündete, die dänischen Grenzen nach Deutschland, Norwegen und Island pünktlich zur Urlaubssaison wieder zu öffnen, ließ sie die Färöer unerwähnt – und das, obwohl die Inseln seit langem auf wachsende Einnahmen aus dem Tourismus hoffen, wie sie etwa das benachbarte Island erlebt hat, nachdem es durch den Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull, dessen kilometerhoher Aschewolke und dem damit verbundenen Chaos im internationalen Flugverkehr 2010 ins globale Bewusstsein katapultiert wurde.

Aber die winzigen Färöer? Von Frederiksen, immerhin der obersten Politikerin des Königreichs, glatt vergessen!

Die färöische Tourismusbehörde rief kurzerhand eine nur halb ironisch gemeinte Kampagne namens #FærøerneFindesFaktisk ins Leben. Das ist Dänisch und heißt auf Deutsch so viel wie: Die Färöer gibt es tatsächlich. Oder anders formuliert: Wie könnt ihr Festlanddänen es wagen, unsere wunderbare Inselgruppe zu vergessen!

„Wir wollen Mette Frederiksen nur daran erinnern, dass es die Färöer tatsächlich gibt. Und dass wir dänische Gäste natürlich mit offenen Armen empfangen“, sagte Tourismuschefin Gudrid Højgaard in der klug platzierten Kampagne. Symbolisch ergänzte sie dazu auf einer Europakarte ein fehlendes, aus ihrer Sicht aber sehr wichtiges Detail: die Färöer-Inseln eben, die in ihrer äußeren Form wie eine Pfeilspitze auf dem 62. nördlichen Breitengrad thronen. Nur zwei Flugstunden von Dänemark entfernt eröffne sich dort eine andere Welt voller Frischluft, fantastischer Natur und spannenden Kulturerlebnissen, warb Højgaard – „ein perfekter Ort, um hier nach mehreren Wochen Lockdown zu landen“.

Diese kleine Episode sagt unheimlich viel über die Färöer aus. Zum einen ist da die Tatsache, dass man nicht immer so glücklich ist mit dem großen Bruder Dänemark, zu dem man irgendwie gehört, der einen aber viel zu häufig auch einfach ignoriert.1 Zum anderen sprüht die Kampagne nur so vor färöischen Wesenszügen, die sich zum Teil auch auf den Fußballplätzen zwischen Eidi und Tvøroyri wiederfinden lassen: Ein stark in der Färöer-DNA verwurzeltes Wir-Gefühl zum Beispiel, das daher kommt, dass man alleine und ohne Hilfe seiner Mitmenschen in der rauen Umgebung und völlig fernab vom Schuss eben ziemlich aufgeschmissen ist. Aber auch ein gehöriger Stolz auf die eigene Nation und ihre unberührte Natur, dazu Kreativität und Mut und eine Freundlichkeit, die, sofern man etwas an der Oberfläche bohrt, anderswo ihresgleichen sucht. Und schließlich ein trockener, nordischer Humor mit leichtem Hang zur Selbstironie.

Hat nichts mit Fußball zu tun, ist aber trotzdem ganz schön: der Wasserfall Múlafossur im Dorf Gásadalur im Westen der Insel Vágar.

Gleichzeitig bleibt da die Gewissheit, dass viele sie gar nicht kennen, diese Inseln irgendwo im Nirgendwo. Oder um es mit den Worten der Tourismusbehörde auszudrücken: „Falls du nicht weißt, wo die Färöer liegen, ist das vollkommen in Ordnung.“ Dies zeige vielleicht nur, dass man auch auf einem vielbereisten und gut dokumentierten Planeten immer noch neue Entdeckungen machen könne.

Und dafür, liebe Leserinnen und Leser, gibt es dieses Buch.

Professionalisierung im Kleinen

Die Färöer sind für den Großteil der Welt unbekanntes, raues Terrain irgendwo in ansonsten unbewohnten Teilen des Atlantischen Ozeans. Ihren Namen (auf Färöisch: Føroyar) haben sie von Siedlern der Wikingerzeit erhalten, er stammt aus dem Altnordischen und bedeutet „Schafsinseln“. Das Meer befindet sich auf den Inseln an keiner Stelle mehr als fünf Kilometer entfernt. Mit dem Fußball schafft es diese Mini-Nation, sich in größeren Ländern wie Deutschland einen Namen zu erarbeiten – nämlich immer dann, wenn die jeweilige Nationalmannschaft in Länderspielen gegen sie antreten muss. Solche Begegnungen sind im Ausland dann häufig mit Fragen wie diesen verbunden:

Gegen wen spielen wir bitteschön?

Wo um alles in der Welt liegen diese Inseln?

Und die haben genügend Fußballspieler, um eine Nationalmannschaft zu bilden? Und ein eigenes Fußballstadion?

Immer mal wieder kam es vor, dass diese Unkenntnis mit Überheblichkeit einhergeht – fragen Sie mal Toni Polster oder Andi Herzog, die 1990 mit Österreich höchst eindrucksvoll gegen einen Torwart mit Pudelmütze verloren. Auch andere Länder hatten später ihre Probleme mit den Färöern: Die erwähnte deutsche Nationalelf in der Völler-Ära zum Beispiel oder die Schotten unter Berti Vogts. Noch schlimmer erwischte es die Griechen, die ein knappes Jahrzehnt nach ihrem EM-Triumph unter Otto Rehakles I. gegen die Färinger auf die Mütze bekommen haben – und das gleich zweimal hintereinander.

Apropos Mütze: Die Pudelmütze, an der Polster verzweifelte, hat sich ins universelle Fußballgedächtnis der Welt eingebrannt und es bis ins FIFA-Museum geschafft. Ihr Träger – Jens Martin Knudsen – kann ebenso aufregende Geschichten über den Färöer-Fußball erzählen wie andere nationale Legenden, etwa Rekordspieler Fródi Benjaminsen, der immer einen „richtigen“ Job neben dem Fußballerleben hatte und heute als Gefängniswärter arbeitet. Oder Jóan Símun Edmundsson, der es als erster Färinger überhaupt geschafft hat, in der deutschen Fußball-Bundesliga aufzulaufen – und dann auch noch ein Tor zu erzielen. Oder aber der frühere Bundesliga-Profi Kevin Schindler, der beim Rekordmeister HB Tórshavn Strukturen schaffen will, damit der Club eines Tages womöglich die Gruppenphase eines europäischen Wettbewerbs erreichen wird.2 Oder Johan Hentze, der mit dem nationalen Fanclub 90 Minuten lang durchsingt, wenn es sein Team mit den kleinen und großen Fußballnationen dieser Welt aufnimmt.

Oder, oder, oder.

All diese und weitere Experten liefern Antworten darauf, wie der Fußball auf den Färöern so unentwegt und mit kontinuierlicher Kraft vorankommen will, wie die Ozeanwellen in Eidi und anderswo im Land gegen die senkrecht ins Meer abfallenden Klippen preschen. Eine Reise durch diese ferne Nation offenbart, wie aus etwas Kleinem mit Weile etwas Großes werden kann, ohne dass dabei die grundlegenden Werte von König Fußball abhandenkommen müssen. Die Färöer stecken gerade mittendrin in einer Professionalisierung, die der Fußball anderswo schon vor etwa 20 Jahren erlebt hat. Dieser Weg bringt seine Probleme und Herausforderungen mit sich, macht den färöischen Fußball aber auch immer besser – Schritt für Schritt.

Zugleich sind da so viele Fragen: Wie schafft es eine Nation mit der Einwohnerzahl von Bad Salzuflen, Passau oder Emden, gegen Großnationen wie Deutschland oder Frankreich zu bestehen, ohne wie andere Fußballzwerge konstant mit mindestens fünf Toren Unterschied unter die Räder zu kommen? Warum sind die Färinger so fußballverrückt, dass jeder zehnte von ihnen aktiv am Kicken ist? Und wo kommt diese Fußballliebe her, obwohl die Wetterbedingungen es schier unmöglich machen, einen Naturrasenplatz zu pflegen? Was passiert, wenn ein kleines Dorf keine elf Mädchen oder Jungen zusammenbekommt, zehn Kinder aber partout eine Mannschaft bilden wollen? Und warum haben die Färöer seit kurzem ein eigenes Fußballmagazin im „11Freunde“-Format – auf Färöisch, einer Sprache, die weltweit weniger als 80.000 Menschen verstehen und die selbst Google nicht gescheit übersetzen kann?3

Über all dem kreist letztlich die Frage, wohin die Reise des Färöer-Fußballs eigentlich führt. Und auch, wie die kleinen Inseln dabei die Fehler vermeiden können, die den Fußball in anderen, größeren Nationen längst zu einem durchgestylten, geldfixierten und gesellschaftsentkoppelten Milliardengeschäft gemacht haben.

Die Färöer haben sich längst aufgemacht in die große, weite Fußballwelt. Und sie wagen zu träumen. Wenn ein Färinger sein Geld im Ausland mit Kopfbällen und Freistößen verdienen kann, dann ist das schon jetzt eine große Sache – von einem Vertrag in einer der Topligen ganz zu schweigen. Aber der Status quo als liebe, tapfere Mini-Nation, deren Nationalteam zu Hause vergöttert, anderswo zumindest geschätzt und deren Spielweise von manch gegnerischem Team gehasst wird, reicht dem Inselvölkchen nicht mehr aus. Sie wollen mehr: Besser und besser und besser werden in der schönsten Nebensache der Welt. Im Ausland spielen, auf Vereinsebene die internationalen Wettbewerbe erreichen und größere Gegner schlagen. Am Ende dieser Reise könnte letztlich etwas stehen, das der kleine große Nordatlantik-Bruder Island bereits 2016 und 2018 geschafft hat: die Qualifikation für eine große Fußballmeisterschaft.

Ob das eines Tages tatsächlich klappen kann? Ein EM- oder WM-Teilnehmer mit der Einwohnerzahl von Wetzlar, Ravensburg oder Wolfenbüttel?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Das ganze Dorf ist da

Eidi ist eine kleine Berggemeinde rund 50 Kilometer nördlich von Tórshavn. Mächtige, grüne Berge umrahmen den Ort auf höchst dramatische Weise. Darunter ist der Slættaratindur, der mit 880 Metern höchste Berg der Färöer. Wer bereits die Inseln als solche als abgeschieden betrachtet hat, der ist in Eidi so ziemlich am Ende der Welt angelangt. Gerade hier lässt sich anhand von zwei außergewöhnlichen Fußballplätzen die Entwicklung vom alten zum neuen Färöer-Fußball am allerbesten nachverfolgen.

Es ist überraschend sonnig an diesem Tag im Frühjahr 2021. Das hat färöischen Seltenheitswert: Zwar lugt die Sonne auf den Inseln immer mal wieder durch die für gewöhnlich dichten Wolkenvorhänge. Doch lagebedingt wechselt das Wetter hier meist so schnell wie Schalke seinen Cheftrainer: Nachdem es beim Aufwärmen vor dem Spiel stürmen und die erste Halbzeit im Dauerregen untergehen kann, kann im zweiten Durchgang plötzlich die Stunde der Schönwetterspieler schlagen – während es in der Halbzeitpause noch kurz gehagelt oder geschneit hat. Vier Jahreszeiten an einem Tag, wie sie es auf den Färöern nennen. Heute Nachmittag dagegen: Fast dauerhafter Sonnenschein bei einer kühlen Brise vom Ozean her – wenn er will, dann kann der Fußballgott auch wettertechnisch äußerst gnädig sein.

Das Dorf Eidi im hohen Norden der Färöer wird eingerahmt von majestätischen Bergen. Die örtliche Kirche und der neue Fußballplatz bilden das Zentrum der kleinen Gemeinde.

Durch das in der Sonne strahlende und friedlich dahinschlummernde Tal dröhnt laute Techno-Musik die Berghänge hinauf. Gerade läuft der Elektro-Klassiker „Sandstorm“ vom finnischen DJ Darude aus den Boxen des neuen Fußballstadions von EB/Streymur. Einige Schafe grasen auf den Hängen, während unten ein Auto nach dem nächsten auf dem Parkplatz zwischen dem Stadion und der örtlichen Kirche parkt. Denn heute ist ein besonderer Tag in Eidi – und das ganze Dorf ist da.

An diesem Frühjahrstag wird genau hier die neue Spielzeit in der ersten färöischen Fußballliga, der Betri Deildin, angepfiffen. Zum Saisonauftakt empfängt die Spielvereinigung EB/Streymur den ÍF Fuglafjørdur. Anders als in der Bundesliga wird nicht dem Meister der Vorsaison die Ehre zuteil, die neue Saison einzuläuten – solch ein Statusdenken gibt es bei den Färingern nicht. Stattdessen dürfen zwei Clubs den Anfang machen, die im Vorjahr im Liga-Mittelfeld auf Rang sechs und sieben gelandet sind.

In Flankenweite zum Nordatlantik

Eidi hat rund 750 Einwohner, das neue Fußballstadion Í Hólmanum aber ein stolzes Fassungsvermögen von mehr als 1.000 Zuschauern. Ein gutes Drittel davon kann überdacht auf der Haupttribüne sitzen. Das ist ein Traum für die Eidinger, wenn man daran zurückdenkt, wo man vorher gespielt hat: in direkter Flankenweite zum Nordatlantik.

Denn in Eidi gibt es noch einen Kunstrasenplatz – und der hat es in sich: Wenige hundert Meter vom heutigen Stadion entfernt und in direkter Nachbarschaft zum offenen Ozean liegt Á Mølini, der alte Fußballplatz des Dorfes. Er zählt zu den kuriosesten Fußballorten der Welt, ist heute eine beliebte Pilgerstätte für Groundhopper und zugleich der wohl letzte Bolzplatz vor Island. Als hier noch gespielt wurde, landete der Ball nach einer verunglückten Flanke schnurstracks im Meer – das alte Motto „Wer wegschießt, muss wiederholen“ bekommt da eine ganz andere Dimension. Fußballer, die vor wenigen Jahren noch als Auswärtsteam auf Á Mølini auflaufen mussten, berichten von teils brutalen Windbedingungen, die den Ball nicht selten unwiederholbar in Richtung Atlantikwasser befördert haben. Der Kunstrasen war zudem so rau, dass man auf ihm weder gefoult werden noch selbst zur Grätsche ansetzen wollte.

Kurzum: Es ist gut, dass Eidi einen neuen Fußballplatz hat.

Der alte Bolzplatz ist heute in erster Linie ein Campingplatz. Dort, wo einst eine Eckfahne stand, ist nun ein Wohnwagen neben einer Sitzbank und einem Trampolin abgestellt worden. Von der Latte eines Tors hängen eine verhedderte Schaukel und eine Strickleiter hinab, die im Wind hin- und herschwankt. Der Kunstrasen ist nun in Stellplätze mit Ziffern eingeteilt. Rund um ihn herum sind Steckdosenpfeiler für Wohnmobile angebracht, die es in diesem Corona-Frühjahr aber noch nicht nach Eidi, geschweige denn generell auf die Färöer geschafft haben. Die ehemaligen Trainerbänke am Spielfeldrand schützen heute nicht die Auswechselspieler, sondern Müllcontainer vor dem peitschenden Wind. Das frühere Vereinshäuschen ist jetzt in coronafreieren Zeiten Sammelpunkt für Camper und Unterschlupf für Zeltende, wenn es draußen zu stürmisch wird. Dort, wo einst Bandenwerbungen auf lokale Unternehmen hinwiesen, frisst sich nach und nach der Rost ins Metall.

Eidis alter Fußballplatz Á Mølini. Wer dort einst gespielt hat, hat keine allzu guten Erinnerungen an ihn.

Campen statt Flanken: Der alte Fußballplatz von Eidi ist heute ein Campingplatz.

Der Blick in die Umgebung von Á Mølini ist spektakulär. Nur ein paar Buhnen und ein schmaler Weg trennen das rauschende Wasser des Nordatlantiks von dem Platz, der für die Menschen in Eidi einmal Fußball bedeutet hat. Hinter einem Schaf, das relativ unaufgeregt auf dem angrenzenden Berghang in die Ferne starrt, stürzt ein Wasserfall resolut ins Meer. Dahinter ragen majestätische Klippen fast senkrecht aus dem Wasser. Ein Vater geht mit seinem zweijährigen Sohn am ramponierten Zaun hinter einem der beiden Tore spazieren. Eine junge Joggerin dreht ihre Runde über den Mittelkreis des glitschigen Kunstrasens, ehe sie durch eine See- und Sumpflandschaft zurück in Richtung Ortskern läuft.

Ohne Frage: Der Platz ist heute recht heruntergekommen. Angesichts des stürmischen Meers, der Klippen und der grünen Hügellandschaft aber in erster Linie eines: wunderschön.

Derby Count(r)y

Verglichen damit ist Í Hólmanum – seit einigen Jahren die neue Spielstätte von EB/Streymur – eine andere Fußballwelt und so etwas wie die Ankunft in der Fußball-Realität der Gegenwart.

Das Stadion mit seinem perfekten Kunstrasen und den schwarzen Schalensitzen der Haupttribüne wurde letztlich gebaut, weil Á Mølini nicht mehr den UEFA-Statuten entsprach. Es war ein Schritt in die fußballerische Zukunft, wenn man so will. Das Stadion wurde schnell der ganze Stolz von Eidi, von EB/Streymur und des Vereinsvorsitzenden Fródi Petersen.

Đđ

Bevor wir mit Fródi sprechen, müssen wir kurz über die färöische Sprache reden. Die ist nämlich eine Kunst für sich: Selbst die allermeisten Dänen, Norweger und Schweden verstehen nur Bahnhof, wenn sich zwei Färinger unterhalten. Geschulte isländische Ohren begreifen zumindest etwas mehr. Zum Glück sprechen die Färinger allesamt fließend Dänisch, und wie das in Skandinavien eben so ist, brilliert vor allem die jüngere Generation auch auf Englisch. Trotzdem an dieser Stelle ein wenig Sprachkunde: Eidi und ihr Vorsitzender schreiben sich im färöischen Original eigentlich mit dem altnordischen und stimmlosen Buchstaben đ, Eth genannt. Das macht die Aussprache (wie noch ganz viele andere, aus deutscher Sicht unbegreifliche färöische Sprachregeln) zu einer echten Herausforderung. Eidi wird somit am ehesten „Ei-je“ ausgesprochen, und Fródi Petersen fühlt sich angesprochen, wenn man „Frau-e“ ruft oder einfach ganz hektisch winkt. Alles klar? Gut, dann können wir weitermachen.

Der Gegner musste nicht weit fahren nach Eidi. Fuglafjørdur liegt Luftlinie nur 15 Kilometer entfernt, mit dem Mannschaftsbus sind die Gäste knapp 40 Kilometer unterwegs gewesen. In Deutschland würde man bei dieser Distanz von einem Derby sprechen, aber angesichts der kurzen Distanzen überall auf den Inseln müsste dann rein räumlich betrachtet alles als Derby gelten auf den Färöern.

Die äußere Fußballwelt kickt in diesem Frühjahr 2021 weiterhin vor leeren Rängen: Die Pandemie hat die Erde zu diesem Zeitpunkt weiter unter Kontrolle, Fußballfans werden deshalb noch nicht wieder ins Stadion gelassen. Während anderswo in Europa somit noch leere Tribünen die Rufe der Trainer widerhallen lassen, fiebern in Eidi mehrere hundert Stadionbesucher dem Auftakt zur neuen Saison entgegen. Von aktiven Corona-Fällen bleiben die Färöer in diesen Wochen verschont, auch sonst konnten sie bisher recht beschränkungsfrei durch die Pandemie segeln – und eben ins Stadion. Leute schütteln Hände, Masken gibt es nicht. Ein Absperrband trennt Heim- und Gästefans – mehr Corona-Maßnahmen braucht es hier nicht.

Die Stadionstimmung ist ausgelassen und erinnert an das Treiben vor einer Partie in einer deutschen Kreis- oder Bezirksliga. Mütter verkaufen Kuchen und Snacks, Kinder rennen mit ihren Bällen neben und auch mal auf dem Platz herum. Die Spielerfrauen tragen nicht hochhackig, sondern Schneeanzug.4

In all diesem familiären Trubel kümmert sich Fródi Petersen darum, dass rechtzeitig vor dem Saisonauftakt auch das kleinste Detail geklärt ist. Das besagte Absperrband? Hängt. Die Medienvertreter? Haben auf den Rängen Stellung auf Höhe der Mittellinie bezogen und sind mit allen nötigen Infos versorgt. Der Rasen strahlt in der Sonne von Eidi in seinem grünsten Kunstrasengrün. Die Kinder wuseln bei sieben Grad im T-Shirt herum. Und mittendrin Fródi Petersen, der koordiniert, kontrolliert, korrigiert. Nicht alles ist perfekt und durchgestylt, aber darum geht es auch nicht.

„Das hier ist Basic Football“, sagt der Vereinsvorsitzende wie eingangs erwähnt. „Hier wird keiner reich mit Fußball. Aber glücklich.“ Er strahlt.

Eine zweigeteilte Liga

Fußball ist auf den Färöern ein Hobby, das Menschen zusammenführt. Es wäre jedoch gelogen, würde man sagen, dass Geld im färöischen Fußball keine Rolle spielen würde. Tatsächlich ist es das große Problem, das die Liga derzeit beschäftigt: das Auseinanderdriften der mit internationalen Spielen und Einnahmen gesegneten Vereine und der Clubs, die diese Mittel eben nicht bekommen – wie EB/Streymur.

Beispiel KÍ Klaksvík: Der Verein aus der zweitgrößten Stadt der Färöer hat es im Vorjahr durch diverse Qualifikationsrunden bis in die Playoffs zur Europa League geschafft. Nur 90 Minuten trennten KÍ vom erstmaligen Einzug in die Gruppenphase eines internationalen Wettbewerbs. Die Folge: zusätzliche Einnahmen in sechsstelliger Euro-Höhe. Für Clubs aus den europäischen Spitzenligen wäre das vielleicht nur ein nettes Zubrot – bei einem Verein von den Färöer-Inseln kann dieses zusätzliche Geld aber ganz gerne mal das reguläre Budget für die laufende Spielzeit verdoppeln und verdreifachen.

„Wir spielen in einer zweigeteilten Liga“, erzählt Fródi Petersen. „Es ist sehr schwer, von den unteren fünf zu den oberen fünf aufzuschließen. Aber das ist unsere Zielsetzung.“

Alles im Blick: Zwei Schafe schauen vor Anpfiff Richtung Fußballplatz.

Fünf Mannschaften bilden auf den Färöern die „Top 5“, die von zusätzlichen Einnahmen zehren können, weil sie in den vergangenen Jahren dank ihrer Platzierungen in Meisterschaft und Pokal in der Qualifikation für die internationalen Wettbewerbe antreten durften. Dazu zählen neben KÍ Klaksvík und Meister HB Tórshavn noch der weitere Hauptstadtclub B36 sowie Víkingur Gøta und NSÍ Runavík. EB/Streymur, der heutige Gegner ÍF Fuglafjørdur und drei weitere Teams gehören dagegen zu den unteren Fünf, die von ebendiesen Einnahmen abgeschnitten sind – wenn sie es denn nicht bald schaffen, weiter vorne zu landen.

Diese Fußballfinanzen bewegen sich wohlgemerkt auf einer ganz anderen Ebene als etwa in Deutschland. Um die färöischen Finanzen ein wenig einzuordnen: Der norwegische Stürmer Erling Haaland, der in dieser Zeit gerade für Borussia Dortmund aufläuft, hat nach Angaben der allwissenden Webseite transfermarkt.de zu diesem Zeitpunkt einen geschätzten Marktwert von 150 Mio. Euro, Robert Lewandowski von 50 Mio. Euro – die knapp 250 Spieler der Betri Deildin gemeinsam (!) von rund 11,3 Mio. Ein Haaland ist also umgerechnet mehr als 13 färöische Ligen wert, ein Lewandowski immerhin etwa viereinhalb.

Dementsprechend kleiner sind auch die finanziellen Dimensionen, mit denen selbst die Spitzenvereine von den Färöern wirtschaften. KÍ soll im Vorjahr beispielsweise ein Budget von schätzungsweise umgerechnet knapp 1,5 Mio. Euro gehabt haben, erzählt man sich auf den Inseln. Ein Team wie EB/Streymur liegt weit davon entfernt – und die finanziellen Unterschiede werden wegen der internationalen Einnahmen der Topclubs immer größer in der Betri Deildin. Das ist ein Problem. Aber um Geld geht es hier nicht, jedenfalls nicht in erster Linie.

„Natürlich wären zwei Millionen Kronen nett“, räumt Fródi Petersen ein. Umgerechnet spricht er dabei von einer Summe von rund 270.000 Euro. „Aber unser Hauptziel ist es, jedem eine Chance zu geben, Fußball zu spielen: Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern.“ Dann wirft der Clubvorsitzende einen kurzen Blick auf den Rasen, wo sich sein Erstliga-Team gerade für die Begegnung gegen ÍF aufwärmt. „Und wir wollen ein gutes Topteam haben. Aber eines mit einer vernünftigen Ökonomie.“

Wo EB/Streymur zweifellos viel Geld in die Hand genommen hat, war bei seinem neuen, kleinen Fußballtempel. Der wurde notwendig, als der alte Platz am Nordatlantik vor einigen Jahren renoviert werden musste. „Der gesamte Rasenbelag hätte ausgetauscht werden müssen. Vielleicht hätten wir auch ein ganz neues Stadion dort drüben bauen müssen“, sagt Petersen. Der Verein entschloss sich stattdessen, einen vernünftigen neuen Platz zu bauen – nicht am offenen Meer, sondern windgeschützter im Ortskern von Eidi direkt neben der Kirche. Parallel entstand die Idee, aus dem alten Platz Á Mølini einen Campingplatz mit Aussicht zu machen. Eidi bekam damit ein zentraleres, professionelleres Fußballzentrum und gleichzeitig einen Ort, an dem seitdem Camper im Dorf willkommen geheißen werden.

Zum Auftakt der neuen Saison stehen sich in Eidi ÍF Fuglafjørdur (rote Trikots) und EB/Streymur (blau) gegenüber.

Geva bóltin upp!

Während auf dem alten Platz der Ozeanwind die verhedderte Schaukel am Tor zum Schwingen bringt, richten sich somit alle Augen auf Í Hólmanum, die neue Festung von EB/Streymur. Von hier soll ÍF Fuglafjørdur an diesem sonnigen Samstag keine Punkte entführen. „Geva bóltin upp!“, heißt es dort in dieser Minute – Spiel frei!

Der Ball rollt.

Hunderte Zuschauer säumen die Haupttribüne und die Plätze an der Bande davor – die EB-Fans in Blau-Schwarz, die Gäste aus Fuglafjørdur in den Vereinsfarben Rot-Weiß. Viele schauen von Anfang an darauf, was der Gästestürmer mit der Nummer 8 macht: Uros Stojanov gilt als der torgefährlichste Ausländer der Liga und hat im vergangenen Jahr in seiner Debütsaison auf den Färöern in 26 Spielen 17 Mal eingenetzt, auch gegen EB hat er getroffen. Nur der Nationalstürmer und Liga-Rekordtorschütze Klæmint Olsen hat in der abgelaufenen Saison genauso häufig getroffen wie Stojanov. Der 32 Jahre alte Serbe wird dementsprechend konzentriert von der EB-Defensive zugestellt. Für den Moment klappt das: Stojanov bekommt keine Bälle, die Verteidigung der Gastgeber hält dicht.

Wie zum Saisonstart auch anderswo üblich, müssen sich die Mannschaften erst einmal finden. Das Publikum geht mit, zeigt jedoch Verständnis für Fehlpässe. Richtig laut wird es zum ersten Mal, als Eidis Kapitän Andras Olsen den Ball nach guten 20 Minuten mit etwas zu viel Schmackes in den Gästeblock klärt. Es wird niemand getroffen, aber ein paar Pfiffe der Fans aus Fuglafjørdur handelt er sich damit schon ein. Der kräftige Innenverteidiger muss lachen – jetzt ist langsam Pfeffer drin im Derby, das vielleicht gar kein Derby ist, das aber dennoch Prestige hat.

„Hoooond!“, schreit der Gästeblock plötzlich unisono. Was das zu bedeuten hat, muss man nicht lange erraten: EB-Kapitän Olsen hat den Ball in der 33. Minute an die Schulter bekommen, die ÍF-Riege ist sich sicher, dass das höchst illegal war. Der Schiedsrichter lässt weiterlaufen, und auch der Keller in Köln meldet sich nicht – einen VAR-Assistenten gibt es in Eidi nicht. Und wird es vermutlich auch niemals geben.

Nach und nach entwickelt sich eine ausgeglichene Partie auf dem Niveau eines besseren deutschen Oberliga-Spiels. Die Mannschaften auf den Färöern, so wird es im Laufe des Jahres immer deutlicher werden, bestehen aus zwei Säulen an Spielern: Zum einen sind da einige alte, abgeklärte Routiniers wie Olsen und Stojanov, die ihrer jeweiligen Mannschaft Stabilität verleihen, und zum anderen junge, schnelle Talente mit Ambitionen. In der Sonne von Eidi wird schnell klar, dass einer bei EB mehr draufhat als die meisten anderen auf dem Platz: Símun Sólheim läuft sich im offensiven Mittelfeld die Stollen platt, man findet ihn links, rechts, dann wieder zentral. Nach hinten arbeitet der 20-Jährige nicht ausreichend mit, auch in den Zweikämpfen gegen seine kräftigeren Gegenspieler sieht er selten gut aus. Dafür stimmt die Technik. Und rein von der Körpersprache her zu urteilen auch das Selbstvertrauen, wie er später mit einem Fallrückzieherversuch unter Beweis stellen wird.

Das erste Tor fällt jedoch auf der anderen Seite – und den Torschützen kennen Sie bereits: Uros Stojanov hat sich zum ersten Mal von seiner ansonsten so aufmerksamen Deckung gelöst und bringt Fuglafjørdur in der 39. Minute aus dem Nichts in Führung. „ÍF! ÍF!“, ruft der Gästeblock, was sich für deutsche Ohren etwa nach „Uiii-Eff! Uiii-Eff!“ anhört. Die Kids von EB lassen sich das nicht bieten. „Eeee-Be Streymur!“, skandieren einige Jungs auf der Haupttribüne tapfer. Sie schaffen es damit, die Gäste für den Moment niederzubrüllen – während sie bei sieben Grad und Sonnenschein im T-Shirt auf ihren Schalen sitzen, als wäre Hochsommer.

Ronni Møller-Iversen bringt für EB/Streymur einen Freistoß in Richtung Strafraum.

Dass ihre Mannschaft hinten liegt, ist in der Halbzeitpause für 15 Minuten vergessen. Stattdessen laufen die Kinder bewaffnet mit Bällen jeder Art von den Rängen auf den Kunstrasen. Das ist auf den Färöern selbst in der höchsten Spielklasse ganz normal, wie der Radioreporter Tróndur Arge, der das Spiel live auf der Tribüne kommentiert, erklärt: „In der Halbzeit gibt es für die Kids keine Absperrungen. Sie können einfach so auf den Platz rennen und den großen Spielern nacheifern. Wenn du auf dem Feld Lewandowski sein willst, dann kannst du das bei uns auch sein.“ Grenzen gibt es also nicht, die Distanz zwischen den Kindern und ihren Idolen – den Spielern von EB – wird somit schnell durchbrochen.

Ein 1:1 zum Ligaauftakt

Nachdem die Kinder vor Anpfiff der zweiten Hälfte wieder vom Rasen verschwunden sind, dauert es eine ganze Weile, bis sie endlich Grund zum Jubeln haben: Der dänische Neueinkauf Ronni Møller-Iversen macht in der 80. Minute den ersehnten Ausgleich, und in der Nachspielzeit hat er sogar den Siegtreffer auf dem Fuß: Den Elfmeter in der 93. Minute verzieht der Däne jedoch – dann ist Schluss. EB/Streymur und ÍF Fuglafjørdur starten mit einem 1:1-Remis in die neue Saison.

Im Anschluss diskutieren Fans miteinander, was in den vergangenen 90 Minuten richtig und was falsch gelaufen ist. Ein Edelfan der Gastgeber schlendert gedankenverloren die Tribünenränge entlang, sein Trikot weist ihn als „Mister EB/Streymur“ aus. Fródi Petersen kümmert sich weiter fleißig darum, dass auch nach dem ersten Saisonspiel alles problemlos läuft und die Gäste eine gute Heimreise haben.

Die zehn Teams in der Betri Deildin werden wie jedes Jahr jeweils dreimal gegeneinander spielen. Damit folgen noch 26 Saisonspiele, zwei weitere Male wird Petersens Herzensclub also die Gelegenheit bekommen, drei Punkte gegen den Ligarivalen ÍF einzuheimsen – und Uros Stojanov dann endlich einmal zu stoppen. Sei es auf dem vorletzten Bolzplatz vor Island oder auswärts im nicht weit entfernten und nicht weniger wundervollen Stadion von Fuglafjørdur.

1Eine willkommene Ausnahme davon ist übrigens die dänische Königin Margrethe II., die den Färingern 2021 einen mehrtägigen Besuch abstattete. In ihrer traditionellen Silvesteransprache darf das Erwähnen der Färöer ebenfalls nicht fehlen.

2Schindler verliert dabei übrigens auch dann nicht die Ruhe, wenn seine Spieler zum wiederholten Male den Ball falsch einwerfen. Aber dazu kommen wir später.

3Sollten Sie an dieser Stelle auf einer färöischen Webseite surfen – das sind die Seiten, die mit .fo enden – dann gönnen Sie sich den Spaß, die Seite von Google ins Deutsche übersetzen zu lassen. Versprochen: Sie werden Spaß haben. Oder völlig verwirrt sein, je nachdem.

4Kein Scherz: Schneeanzüge sind in Skandinavien zum modischen Trend geworden, selbst ohne Schnee. Und ganz ehrlich: Wie angenehm warm mag so ein Overall sein, wenn man zwei Stunden lang auf einer Tribüne bei Dauerwind, von dem bisschen Sonne einmal abgesehen, Fußball gucken will?

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DER ENTWICKLUNGSHELFER.

Wie der frühere Bundesliga-Profi Kevin Schindler den färöischen Rekordmeister fit für das internationale Geschäft macht

Als die färöische Nationalmannschaft 2003 gegen Deutschland nur knapp an einer erneuten Fußballsensation vorbeischrammte, war Kevin Schindler gerade 15 Jahre alt und ein talentierter Nachwuchsspieler beim glorreichen SV Werder Bremen. Heute, fast zwei Jahrzehnte und eine aktive Profi-Laufbahn später, steht der Norddeutsche selbst im Nationalstadion von Tórshavn – und zwar ganz anders, als er sich das als junger Kicker vorgestellt hätte.

Schindler ist mit Anfang 30 noch im besten Fußballalter. Anfang 2020 ist er von HB Tórshavn als Co-Trainer angeheuert worden, um dem Spiel des färöischen Rekordmeisters mehr Klasse und noch mehr Erfolg zu verleihen. Die Ziele des 24-fachen Meisters und 28-maligen Pokalsiegers sind klar: Der Verein will nicht mehr länger nur zur Spitzenklasse in der Heimat zählen, sondern endlich auch internationale Achtungserfolge feiern. Schindler als ambitionierter Jungtrainer mit aktiver Bundesliga-Erfahrung ist genau der richtige Mann, um dabei Aufbauarbeit zu leisten.

Diese Arbeit hat in der Corona-Krise viel mehr Aufmerksamkeit erhalten als gedacht. Der internationale Fußball-Zirkus stockte und stoppte, aber die Färöer kickten weiter: Während überall anders der Profifußball ausfiel und später auch Restaurants und Kneipen dicht blieben, ging das Leben auf den Inseln fast nahtlos weiter. Fußballspiele mit Publikum gab es zu einem frühen Zeitpunkt in der Pandemie nur in Belarus – und auf den Färöern, wo nach einem kleinen Lockdown unter Beschränkungen und strengen Kontrollen schnell wieder Zuschauer in die Stadien kommen konnten. Nur sehr wenige Corona-Fälle schafften es 2020 den stürmischen Nordatlantik hinauf, und mit strengen Test- und Quarantänevorschriften hielten die Färinger Covid-19 möglichst weit auf Abstand. Die Belohnung dafür: Offene Schulen, offene Restaurants, offene Kneipen – und offene Stadien.