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Eine amüsante Geschichte, die das Leben feiert.
Was haben eine lustige Studentin und ein doppelt so alter Fliesenleger gemeinsam? Sie gründen eine Firma. Emily trifft ihren Latzhosen-Geschäftspartner in der Universität, wo er auf den Knien Fliesen verlegt.
In ihrer Freizeit hat Emily andere Sorgen. Sie sucht per Internet nach Dates, mit denen sie die erste Szene aus ihrem Lieblingsfilm nachspielen will. Romantik nach Plan. Quasi. Oder auch nicht ... ?
Und was hat es eigentlich mit den vielen Menschen auf sich, die sich Hebas nennen und in dem alten Seniorenheim verrückte Rituale praktizieren?
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Kapitel 1
dieantwortaufallefragen
walgesangisttechno
hausterein
jetztaberflott
frischgemachtundabdafür
wochenendedugeiledrecksau
Kapitel 2
tagderoffenentürwaslos
bessereineschraubenagelnalseinennagelschrauben
ballundtor
stabilebeleidigungen
muahahaha
weltmarktführer
doom-head
gutgedachtisthalbgeschafft
emilymachtnoahkrass
wasdalos
deinemudder
dasmitdemleben
romeoalder
Kapitel 3
nochlachenwir
totemädchenlügennicht
endeausniggelaus
Emily hat Ideen
1. Auflage 2018
Copyright © 2018 Philipp Fuhge
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autors wiedergegeben werden.
Cover- & Umschlaggestaltung:
Wolkenart - Marie-Katharina Wölk, www.wolkenart.com
Verzeichnis verwendeter Bilder:
© rokvel - Bigstockphoto.com
© Pang-rum - Bigstockphoto.com
© JohanJK - Bigstockphoto.com
Eine junge Frau trifft zufällig einen Fliesenleger. Die zwei erteilen dir eine verdammte Lektion fürs Leben.
Wer kennt es nicht: stilbewusste Ladys, die in den hinteren Taschen ihrer knallengen Jeans das Smartphone auf die Arschbacken klemmen. In einer speziell einberufenen Sonderkommission wurde übrigens ein Name für diese niveauvolle Modeerscheinung entwickelt: Arschgeweih3000. Natürlich durften solche Faxen auch an unserer Uni nicht fehlen.
Gestatten: Emily ist mein Name. Vollzeit-Weirdo vom Dienst und seit einem halben Jahr zweiundzwanzig Jahre alt. Ich erzähle euch eine Geschichte. Meine Geschichte.
Bevor ich euch Partypeitschen zutexte, eine Kleinigkeit über mich vorab: ich bin kein visueller Typ. Ich achte weniger auf Äußerlichkeiten und kann meine Umgebung besser ausblenden als andere. Es ist nie untersucht worden, aber manche glauben, dass ich eine leichte Form von Autismus habe. Wenn ich mich in ein rotes Auto setze, kann ich unter Umständen nicht sagen, ob das Auto rot oder weiß ist. Weil ich andere Dinge beachte. Manche behaupten, dass ich schlicht und ergreifend verstreut bin. Ein wenig Banane in der Birne. Durcheinander. Plemplem. Schraube locker. Sprung in der Schüssel. Nicht mehr alle Latten am Zaun. Bisschen ballaballa. Woran aber viele nicht denken: Vielleicht habe ich mir meine Eigenart auch selbst antrainiert. Denn dadurch, dass ich weniger auf meine Umgebung achte, kann ich mich extrem gut fokussieren. Das hilft beim Lesen, beim Schreiben, beim Arbeiten. Wenn mir eine Idee einfällt, grübele ich nicht lange, sondern konzentriere mich darauf und versuche sie in die Tat umzusetzen. Eure Emily ist ein krasser Macher.
So viel dazu. Nun zu der Geschichte – in der ich vielleicht sogar abkratze. Hopps gehe. Erdbeeren von unten ansehe. Die Mücke mache.
Eigentlich begann der ganze Heckmeck in der Uni, wo ich seinerzeit an den bumsfidelen Damen – mit mobilem Endgerät hinten drin – vorbeiraste, quer über den Campus, bis in das Backsteingebäude mit der Mensa. Ich quälte mich schon den halben Tag lang durch irgendwelche Vorlesungen und bevor die nächste Palaver-Folter begann, brauchte ich dringend einen Kaffee.
Der renovierte Flur im Eingang der Mensa war, wenn man ihn genau beobachtete, ein kleiner Charakter-Test: Der neue Bodenbelag aus Kunststoff quietschte unter den Schuhen und die schüchternen, gehemmten Studenten gingen nur langsam darüber, mit verkrampften Füßen, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu bekommen. Die Rücksichtsvollen versuchten immer leise zu tippeln. Eure allerliebste Emily latschte mit ihren zertretenen Turnschuhen über diesen scheiß Boden, wie über jeden anderen scheiß Boden auch und ich dachte mir nur eins: quietsch, quiiiiiiiietsch – Plastik-Fantastik.
Da ich schon immer gerne mit Computern arbeitete und Webseiten gestaltete und leidenschaftliche Bloggerin war, studierte ich seit einem halben Jahr Medieninformatik. Euer Nerd vom Dienst hat sich ihr Hobby zum Beruf gemacht (zumindest sollte es mein Beruf werden).
An den zwei Kaffeemaschinen in der Mensa standen immer Studenten und tankten die gute, warme, schwarze Suppe. Kaffee aus der Tankstelle raus, Lebenskraft in die Menschen hinein. Ich zapfte mir einen Latte-Macchiato – allein das Glas in der Hand zu haben, ließ mich wacher werden. Mit dem Blick auf die wackelnde Schaumkrone gerichtet, ging ich zurück.
Sobald ich durch den langen Flur des Hauptgebäudes kam, bemerkte ich einen Mann in brauner Latzhose, der mit einer Maurerkelle in einem Eimer rührte. Er kniete vor der kleinen Treppe des Physik-Labors und hatte den Arsch nach oben gestreckt. Zum Glück hatte seine extrabreite Latzhose alles überdeckt. Keine Ritze zu sehen – schon mal ein Pluspunkt. Die Fliesen, die auf den Stufen waren, waren allesamt abgeschlagen und lagen in Stapeln neben der Wand. Der Mann hatte die arme Treppe gehäutet. Nackt und erniedrigt stand sie da – ohne Fliesen. Hoffentlich fror sie nicht.
»Wird die Treppe saniert?«, fragte ich den knienden Mann. Er blickte hoch und antwortete: »Ja.«
Gesprächiger Typ, merkte ich sofort. »Bist du Fliesenleger?«
»Ich bin Koch. Ich back hier ein Omelette auf dem Boden.«
»Geiler Witz, du Witzbold. Ich lach morgen. Bist du Angestellter oder ist das deine Firma?«
»Ich bin selbstständig. Ich arbeite hier mit meiner Firma.«
»Aha.« Der Eierkopf kam mir gerade recht. Ich bin sofort neugierig geworden und fragte: »Verbaust du auch Steinteppiche?«
»Was sind denn Steinteppiche?«
»Oh Gott. Du weißt noch nicht mal was das ist?«
»Noch nie gehört«, sagte er verdutzt.
Ich erklärte es dem Vogel: »Das ist eine Masse, die viele kleine Steine enthält. Lauter kleine Steine. Die Masse wird auf dem Boden verteilt und glattgezogen. Wenn die Masse erhärtet, sieht das aus wie ein Teppich aus Steinen.«
»Ja ... und?«
»Das ist eine alternative zu Fliesen. Und sieht edel aus. Sieht cool aus.«
»Okay.«
Er dachte bereits, dass das Gespräch vorbei war und griff wieder nach der Maurerkelle, als ich sagte: »Weißt du was das besondere an Steinteppichen ist?«
»Nein.«
»Du hast ungefähr die gleiche Arbeit wie bei deinen Fliesen, aber ...«
Ich stoppte. Grübelnd wischte sich mein Gesprächspartner den Schweiß von der Stirn und rubbelte die nasse Hand am Hosenbein trocken. Selbst ich konnte auf seiner Stirn ablesen, was er dachte: Was zum Geier will die Olle eigentlich von mir?
Ich sagte: »Aber du kannst dreimal so viel Geld dafür verlangen. Jeder bezahlt sehr viel mehr für Steinteppiche als für Fliesen. Weil das nur wenige verbauen. Und weil das nur wenige kennen. Das ist quasi Luxusware.«
»Echt?«
»Echt! Du kannst das als Luxusware verkaufen. In Wahrheit ist das aber keine Luxusware. Sondern einfach nur überteuert. So wie Fruchtzwerge. In Wahrheit sind Fruchtzwerge herkömmlicher Quark mit Zucker. Buntgemacht mit Farbstoff. Die Kunden bezahlen aber sehr viel mehr für Fruchtzwerge als für herkömmlichen Quark. Achte mal im Supermarkt darauf was ein kleiner, lieber, netter, gefickter Fruchtzwerg kostet und was eine Schale Quark kostet. Die Verpackung macht’s. Kleine Portionen wirken edel. So wie bei Kaffee-Kapseln.«
»Verstehe. Meine Frau kauft immer Babybel. Normaler Käse, aber jeder bezahlt viel Geld dafür. Weil der in diesem komischen Wachs drin steckt. Wirkt irgendwie besonders.«
»Du hast es erfasst. Steinteppiche wirken irgendwie besonders. Mit Steinteppichen kann man auch Treppen sanieren. Innen- und Außentreppen. Überall, wo man Fliesen verlegen kann, kann man auch Steinteppiche verlegen. Im Bad oder in der Küche oder sonst wo. Was auch immer.«
»Woher weißt du so viel darüber?«, fragte er mich.
»Ich baue Webseiten. Irgendwie bin ich auf Nischenprodukte aufmerksam geworden. Also, keine Massenware. Etwas, was nicht jeder macht. Auf Steinteppichen bin ich hängengeblieben.«
Der Mann war ein alter Hase im Geschäft. Ewig dabei. Doppelt so alt wie ich. Von daher war er es nicht gewohnt, dass ihm eine dahergelaufene Göre solche geilen Dinge erzählte. Sehr viel später erfuhr ich, was ihm an mir zuerst aufgefallen war: meine fettigen Haare und meine riesige Brille. Ich trug die Brille beinah täglich – die Gläser waren groß wie Planschbecken. Passt zu meiner Art, meinte meine Muddi immer. Der Fliesenleger-Mensch war bei unserem ersten Treffen ein wenig neben der Mütze. Eigentlich wollte er lieber an der Treppe weiterarbeiten, aber er sagte relativ zusammenhangslos (er wusste wahrscheinlich selbst nicht wieso): »Ich mag das Internet.«
Mehr als dieser Satz war nicht nötig. Ich raffte sofort, dass der Zipfelklatscher kaum etwas mit dem Internet oder PCs zu tun hatte und antwortete: »Du musst dich mehr mit Online-Marketing beschäftigen. Unglaublich, dass du das nicht schon längst gemacht hast. Du musst Steinteppiche verbauen. Überleg doch mal. Denk doch mal nach, du Vollidiot. Man kann kaum gehen, ohne auf einen Fliesenleger zu treten. Die Typen gibt es überall. An jeder Ecke. Aber was ist mit Steinteppichen? Weniger Konkurrenz. Mehr Kohle für die gleiche Arbeit. Noch Fragen?«
Dass ich zu jemanden Vollidiot sagte, war übrigens keine Seltenheit. Zum Glück störte es ihn nicht besonders.
Er schien es gar nicht gehört zu haben und fragte: »Warum zum Obergeier erzählst du mir das eigentlich alles?«
»Weil ich jemanden suche, der Steinteppiche verbauen kann.«
»Echt?«
»Echt!«, erwiderte ich. »Hast du Angestellte in deiner Firma?«
»Nein.«
»Du bist eine Ein-Mann-Firma?«
»Ja.«
»Und du verlegst nur Fliesen?«
»Hauptsächlich. Aber eigentlich mache ich alles. Trockenbau, Malerarbeiten, Putz, bisschen Maurerarbeiten. Schreinerarbeiten kann ich auch.«
»Schreinerarbeiten?«
»Ja.«
Der Typ ging gut ab. »Nicht schlecht. Kannst du dir vorstellen Steinteppiche zu verbauen.«
»Ähh, keine Ahnung. Denke schon. Kann nicht sonderlich schwer sein. Allerdings muss ich erst mal sehen, was das genau ist.«
»Schon klar«, winkte ich ab.
»Hast du denn einen konkreten Auftrag für so etwas? Oder warum fragst du?«
»Noch habe ich keinen Auftrag. Aber wenn ich meine Webseite für Steinteppiche weiterhin optimiere, dauert es nicht lange und ich habe nicht nur einen Auftrag, sondern mehrere.« Ich schielte auf meine Armbanduhr. »Ich muss jetzt in eine Vorlesung. Gib mir doch mal deine Visitenkarte, dann können wir in Ruhe darüber sprechen.«
»Okay. Warum eigentlich nicht.«
Er ging an eine kleine Kiste und nahm eine Visitenkarte daraus. Die Latzhosen-Profis haben immer alles dabei. Da seine Hände dreckig waren, wurde auch die Karte etwas dreckig. Ein bisschen Mörtel. Wenn er erhärtet, kann man ihn zu Staub zerdrücken. Ein grauer Fleck wird wahrscheinlich trotzdem auf der Visitenkarte bleiben. Ich steckte sie ein und sagte: »Cooles Gespräch. Ich melde mich.«
»Alles klar.«
Als ich mich umdrehte und den Abflug machen wollte wie ein Kanarienvogel, fragte er: »Sag mal, wie alt bist du eigentlich?«
»Zweiundzwanzig.«
»Aha. Ich bin zweiundfünfzig. Und wie heißt du?«
»Emily.«
»Ich heiße Kurt.«
»Weiß ich. Steht auf deiner Visitenkarte.«
Mit meinem Latte-Macchiato in der Hand schob ich ab. Der Milchschaum, der über den Glasrand geschwappt war, hatte eine leichte Kruste gebildet. Kurt war damals derselben Meinung: das war wirklich ein cooles Gespräch. In Gedanken war er schon zu Hause, um im Internet nach Steinteppichen zu schauen. Klang jedenfalls interessant für ihn.
Ich ging durch den langen Flur, vorbei an den Vitrinen, in denen kleine Modellbauten der Architekturstudenten ausgestellt waren. Die Miniatur-Gebäude aus Holz und Styropor schaute ich mir öfter mal an. Die Architekten-Freaks ließen sich immer irgendwas Neues einfallen. Am Ende des Flures öffnete ich die Tür zum Hörsaal. In dem abgedunkelten Raum blickten alle brav auf den Professor, der hektisch mit der Kreide krakelte. Die Hälfte der Tafel war bereits vollgeschmiert und ich setzte mich hinten auf den ersten freien Platz. Ich nahm Block und Stift aus der Tasche und nippte an meinem Latte-Macchiato. Im Moment fiel es mir allerdings schwer mich zu konzentrieren. Obwohl ich verdammt nochmal verfolgen müsste, was der Professor babbelte, konnte ich nicht aufhören an Kurt zu denken. Der Schlingel sah aus wie jemand dem man vertraut: Schnurrbart, Flanellhemd, Brille, Halbglatze und ein großer, kugelrunder Bauch. Die Träger der Latzhose waren über dem Hemd. Nicht andersherum. Wahrscheinlich sah er schon mit achtzehn aus wie fünfzig. Und er machte den Eindruck, als könnte er mit Werkzeug umgehen. Zwischen mir und Kurt hatte es sofort Klick gemacht. Manchmal merkte man das ziemlich schnell. Manchmal stimmte einfach die Chemie. Manchmal war man sich ganz einfach sympathisch.
Der Professor benutzte nicht nur den Daumen und den Zeigefinger, um die Kreide zu halten, sondern umklammerte sie mit der ganzen Hand. Die dunkelblaue Hose, aus der sein Hemd zur Hälfte raushing, hatte Kreideflecken. Der weiße Staub rieselte von ihm, wenn er sich bewegte. Offensichtlich hatte er das faltige Hemd selbst gebügelt und der Mississippi aus Schweiß floss nicht nur unter seinen Achseln entlang, sondern auch an seinem Rücken, wo die nassen Stellen auf dem Hemd so ineinander verliefen, dass sie an die Form Italiens erinnerten.
Nach der Vorlesung ging er zu dem Waschbecken neben dem Pult und hielt seine rote Birne unter den Wasserstrahl.
Die Studenten strömten nach draußen und ich machte mich auf den Weg in die Bibliothek, um an einer Hausarbeit zu schreiben. Mindestens vier weitere Seiten mussten heute fertig werden. Pro nicht fertig gestellter Seite schlug ich mir einen Finger ab. Mindestens. Danach wollte ich mich mit meiner besten Freundin treffen und Squash spielen –, Mia hieß das Fräulein.
Ich musste oft daran denken, wie gut es mir in letzter Zeit ging und atmete deeeeep ein. Es war Sommer und das Wetter herrlich. Die Universität war wunderschön. Ohne Jux. Es gab Anbauten, die neu und modern waren, aber die alten Gebäude hatten mehr Charme. Hier standen alte Büsten von Künstlern und Wissenschaftlern. Die Stühle und Tische waren mit Schlüsseln zerkratzt. Die Räume waren hoch, die Wände mit Filzstiften bekritzelt und man wurde das Gefühl nicht los, dass die Universitätsluft mit einer besonderen Energie aufgeladen war. Eine Energie, die dafür sorgte, dass man mehr wissen wollte, mehr lesen wollte, mehr erfahren wollte und mehr erreichen wollte.
Der große Unterschied zu meiner alten Schule war, dass die Meisten in der Universität ein Ziel vor Augen hatten. Und alle beschäftigten sich eher mit diesem Ziel als mit sich selbst. Es gab kaum Palaver über Markenklamotten oder Promi-News oder sonstigen Scheißdreck. Hier war Schluss mit Larifari. Wenn man über den Campus ging, hörte man die vorbeilaufenden Streberlinge über Giordano Bruno sprechen.
In der Bibliothek setzte ich mich in einen kleinen Raum und öffnete sofort meine Bücher. Das war die andere Seite des Studiums, die dunkle Seite der Macht. Man musste sich auf die Möse setzen und arbeiten. Aber die Vorfreude auf den Abend half etwas. Squash mit Mia war immer lustig. Außerdem freute ich mich, wegen der Begegnung mit Kurt. Leck mich fett, dachte ich. War die Latzhose tatsächlich der, auf den ich schon so lange gewartet hatte? Der Richtige?
Ich kann euch übrigens extrem detailliert beschreiben, was damals passierte. Die Polizei hat selbst die verrücktesten Dinge rekonstruiert und in Berichte oder Protokolle eingearbeitet. Was logisch ist – schließlich ging es um hunderte Menschenleben. Einer der krassesten Kriminalfälle überhaupt.
Daher weiß ich auch im Nachhinein, was der ein oder andere gedacht hat. Ich weiß, was der ein oder andere gefühlt hat. Und ich weiß, was der ein oder andere im stillen Kämmerlein gemacht hat. He, he. Dazu später mehr.
Bis dahin, lasst euch eins gesagt sein, ihr Feierbiester: Oft alleine zu sein ist kein Fehler – man muss sich nur mit Dingen beschäftigen, die einem für die Zukunft nützlich sind.
Zwei Stunden war ich in dem kleinen Raum der Bibliothek und klappte die Bücher wieder zu.
Ein Buch – das beste Werkzeug für mich. Egal, was man liest: nichts nagelt Bildung und Wissen heftiger hinter die Stirn. Nichts trainiert die Konzentration besser. Multitasking ist das Dümmste und ein Buch zerschlägt es wie ein Vorschlaghammer. Ein Buch fängt nicht an zu klingeln, weil irgendein Trottel anruft. Man kann nicht mit dem Daumen auf einer Taste rumklicken, um sekündlich das Fernsehprogramm zu wechseln. An einem Buch kann kein Knopf gedreht werden und Musik ertönt. Es kommen keine E-Mails, man kann keine zwanzig Browser-Tabs öffnen, kein Newsletter stört, kein Pop-Up Fenster erscheint, kein Werbebanner blinkt rechts oben. Es gibt keine Werbung davor oder danach. Und eine Werbeunterbrechung gibt es auch nicht.
Ich packte meine Sachen und verließ die Bibliothek. Da ich, weitsinnig wie immer, meinen Jogginganzug und Sportschuhe in einer Tasche mit dabei hatte, konnte ich direkt zu dem Sportzentrum fahren, das nicht weit weg war. Ich fuhr mit der quietschvergnügten Straßenbahn - die alte Bummeltucke.
Als wir an einem großen Werbeplakat vorbeirasten, überlegte ich: warum eigentlich? Warum gab es keine Werbung in Büchern? Ist noch nie ein Verlag auf die Idee gekommen mit Ferrero einen Deal zu machen, um mit einem bunten Nutella-Foto im Buch Geld zu verdienen? Komisch, komisch.
Besonders gut in Squash waren weder ich noch meine allerbeste Freundin Mia. Spaß hatten wir dennoch. Eigentlich mochten wir lieber Sport an der frischen Luft, aber für die Gelegenheit einen Ball gegen die Wand zu prügeln, konnte man die überdachte Halle in Kauf nehmen. Wo sonst, musste man sich kaputtlachen, weil man über seine Füße stolperte oder gegeneinander rannte. Obwohl Mia blonde Haare und blaue Augen hatte, war sie extrem braun. Keine Ahnung wie sie das immer machte. Mit ihren langen, dünnen Beinen stelzte sie beim Sport durch die Gegend wie ein Storch im Salat. Wir droschen solange auf den Gummiball (oder daran vorbei), bis sogar unsere Haarspitzen nass vor Schweiß waren. Zur Abkühlung gingen wir nach draußen. Zwischen den Bäumen war etwas Schatten.
Nach ein paar Dehnübungen ließen wir uns auf eine Parkbank fallen. Die Äste, oben in den Baumwipfeln, bewegten sich sanft im Wind – sie winkten uns zu. Ich hob die Flasche hoch und nuckelte so stark daran, dass mir das Wasser aus den Mundwinkeln lief. Mit einem großen Handtuch tupfte ich über mein verschwitztes Gesicht und sagte: »Ich bin übrigens wieder auf Dating-Seiten unterwegs.«
»So, so.«
»Aber das wird eh nichts.«
»Wieso?«
»Weil man sich bei diesen bescheuerten Dates nicht richtig kennenlernt. Jeder will nur einen guten ersten Eindruck machen und danach verläuft alles im Sande. Dieses Kennenlernen über das Internet funktioniert bei mir irgendwie nicht.«
»Bei mir hat es funktioniert. Sehr gut sogar.«
»Ja, ja«, sagte ich genervt. »Du kennst doch den Film: Harry und Sally.«
»Klar.«
»So was bräuchte ich in meinem Leben. Eine Romanze wie im Film.«
»Was du brauchst und was du bekommst, sind zwei unterschiedliche Dinge.«
»Guter Hinweis. Danke Anke.«
»Bitte Titte.«
»Harry und Sally haben sich zu Beginn des Films auch nicht gekannt. Aber nachdem sie im Auto nach New York gefahren sind, haben sie sich kennengelernt.«
»Tja«, meinte Mia. Sie wusste nicht wirklich, was ich von ihr wollte und bekam Lust das Thema zu wechseln: »Wie sieht es eigentlich aus? Gehen wir noch in die Grüne Bar? Etwas essen? Etwas trinken? Einen heben?«
»Astreine Idee«, antwortete ich. Wie aus dem Nichts, hob ich meine Faust nach oben und brüllte: »Eins, zwei, drei, gute Laune, Alderrrrrrr.«
Habe ich schon erwähnt, dass Mia fast genauso bescheuert war wie ich. Sie stand von der Bank auf und jubelte mit: »Gute Laune, Leude. Feierei, Schwesterrrrr.«
»The message ist Feierei, Maaaaannn.«
Mia reckte beide Arme hoch und schrie noch lauter: »It’s all about gute Launeeeeee.«
Als sich ein joggender Mann in krass peinlichen Radlerhosen (kein Kondom ist enger) nach uns umdrehte, beruhigten wir uns wieder. Wir schauten durch die Gegend wie Dumm und Dümmer. Nur dümmer. Hoffentlich hatte das Geplärre sonst niemand mitbekommen.
»Bevor wir in die Bar gehen, will ich aber duschen«, meinte ich.
»Ja, ich auch.«
Mia wohnte mit ihrem Freund in der Stadtmitte und konnte mit ihren langen Stelzen zu Fuß zu ihrer Wohnung latschen – sie wohnte schon seit Jahren dort.
Ich fuhr mit dem Bus nach Hause, zu meiner kleinen Dachgeschoßwohnung – bei meiner Oma im Haus. Im Winter war die Wohnung kalt und im Sommer heiß. Das merkte ich auch heute und stieg sofort unter die Dusche, sobald ich heimkam. Die Sonne knallte ohne Gnade aufs Dach – ich hätte ewig unter dem kalten Wasser stehen können.
Auf dem Weg zum Kleiderschrank machte ich lauter feuchte Fußabdrücke in den Teppichboden. Tropfen rannen von meinem nackten Körper. Der nach Duschlotion riechende Dampf drang aus dem Bad. Während ich mir etwas Nuttendiesel unter die Achseln sprühte, musste ich wieder daran denken wie gut sich alles anfühlte. Der ganze Tag war perfekt: heute Morgen Vorlesungen besucht, mittags viel für die Hausarbeit gemacht, dann Sport mit der besten Freundin, ausgiebig geduscht und jetzt den Abend in der Bar ausklingen lassen. So müsste jeder Tag sein. Die Klamotten aus dem Schrank dufteten nach der kühlen Nachtluft, an der sie zum Trocknen gehangen haben. Ich zog sie an. Und dann war da noch Kurt, dieser nette Fliesenleger. Ich betrachtete seine Visitenkarte. Morgen rief ich bei ihm an. Allerspätestens übermorgen.
Das Bimmeln der Türklingel schallte durch die Wohnung. Aha, dachte ich. Es ging los.
Ich öffnete meiner Oma die Tür, die im Treppenhaus vor der Dachgeschoßwohnung stand und fragte: »Bist du fertig?«
»Fast. Komm gleich runter.«
Ich schminkte mir die Fratz voll und ging mit meiner Oma aus dem Haus, über die Pflastersteine – zwischen denen sie jedes Jahr fleißig das Moos wegkratzte – bis zu ihrem gammligen Opel Corsa. Meine Olle Omma wollte zu einem Supermarkt fahren und konnte die weltbeste Enkelin mitnehmen.
Mia war bereits in der Grünen Bar und hatte sich an einen Tisch gesetzt. Bis zur Ankunft von mir fuhr sie mit ihren Fingern – die Nägel waren rot lackiert – über den Touchscreen ihres Smartphones und blätterte durch die Artikel einer Online-Zeitung: der Verkehrsminister machte irgendwas und der russische Präsident auch; das übliche eben.
Mia bestellte schon mal zwei Gläser Weißwein. Das Besondere an der Grünen Bar war, dass man hier Sushi serviert bekam – so günstig wie in keinem anderen Restaurant.
Hinter der Theke schien ein grünes Licht auf die vielen Wodka-Flaschen.
Ich kannte die oberhippen Barbesitzer schon lange. Als ich aus dem Corsa meiner Oma kletterte und in die Bar kam, raste einer der Jungs in die Küche, die sich das Konzept ausgedacht hatten: kein warmes Essen, aber günstig Sushi. Seine Dreadlocks flatterten hinter ihm her, wie der weiße Kittel eines Arztes, der in der Klinik zu einer Notoperation rannte.
Küsschen rechts, Küsschen links. Nachdem ich mich zu meiner Storch-Freundin an den Tisch setzte, bestellten wir das Essen. Mia steckte das Smartphone in die Handtasche und ich erzählte ihr von der heutigen Begegnung mit der Latzhose Kurt.
»Wie genau hast du dir das vorgestellt?«, fragte Mia. »Willst du mit ihm arbeiten? Du kennst ihn doch gar nicht?«
Mein Gott, stellte die sich an. »Keine Ahnung. Wird sich zeigen. Ich könnte zum Beispiel meine Webseite weiter ausbauen und ganz einfach Aufträge reinholen. Die Aufträge könnte ich an Kurt weitergeben. Für eine kleine Provision.«
»Und du glaubst, dass das so einfach ist?«
»Wie gesagt – wird sich alles zeigen. Fragen kostet nichts. Und ausprobieren kostet auch nichts.«
»Kommt drauf an. Ausprobieren kostet unter Umständen sehr viel. Seeehr viel.«
»Mag sein. Aber eine Webseite aufbauen kostet nichts. Und Anfragen von irgendwelchen Kunden bekommen, kostet auch erst mal nichts.«
Mia war meine verrückten Einfälle gewohnt. Das mit den Steinteppichen hörte sich noch relativ harmlos an. Zumindest für meine Verhältnisse. Immerhin hatte ich schon sehr viel dämlichere Ideen. Vor einem Jahr bastelte ich wie eine komplett Verrückte an einer Webseite: ein Soziales Netzwerk für Fußballfans. Nach ein paar Monaten musste ich das Ganze wieder aufgeben, da die Besucher wegblieben. Immerhin kaufte mir jemand den Firlefanz für dreitausend Euro ab. Es gab schlechtere Geschäfte.
Die Kellnerin stellte den Weißwein auf den Tisch und ich kippte direkt was runter. Schmeckte etwas rhombenförmig. Etwas hart im Ansatz, aber er ragte weit in den Hals hinein. Mit solch einem Wein konnte man schnell per du werden.
Bevor Mia einen Schluck abmähte, streifte sie sich die hellblonden Haare hinters Ohr. Ihren Pagenschnitt trug sie schon seit der Grundschule. Manchmal wunderte ich mich, warum sich meine ranke und schlanke Freundin nie bei einer Modelagentur beworben hatte. Andererseits war Mia die allerletzte auf dem Planeten, die sich in Träumereien verlor. Wahrscheinlich wusste sie wie sinnlos solche Model-Versuche sind. Trotz Giraffen-Körpermaße. Mia ging lieber einen unspektakulären Weg und benutzte ihre Zeit und Energie für die Firma, in der sie gut bürgerlich angestellt war. Dabei verdiente sie nie besonders viel, aber auch nie besonders wenig. Sie arbeitete seit dem Schulabschluss in einem Consulting-Unternehmen und zu meinem verschimmelten Studentendasein hatte sie nur eine Meinung: zu faul zum Arbeiten.
Für die Grüne Bar hatte sich Mia ihre Lieblingsbrosche angezogen: ein kleiner Plastik-Döner. Der Clou waren die passenden Ohrringe, die sie vor kurzem gefunden hatte: zwei mini Cola-Dosen. Für ihre bekloppte Essens-Schmucksammlung war sie auch bei ihren Kollegen beliebt. Oder sagen wir: bekannt. Sie besaß Ohrringe, die aussahen wie kleine Cheeseburger. Sie hatte eine Eis-Waffel-Halskette, ein Pommes-Armband und mehrere Pizza-Broschen.
»Ich habe mir übrigens etwas überlegt«, sagte ich.
»Jetzt kommt’s. Was denn?«
»Ich habe mir was, bezüglich Internet-Dating einfallen lassen.«
»Aha. Und was?«
»Anstatt, dass ich mich mit einem Mann treffe, um mit ihm einen Kaffee zu trinken, will ich mit ihm Szenen aus Liebesfilmen nachspielen.«
»Hä?«
»Ja, überleg doch mal. Alle Liebesgeschichten sind schon erzählt. Allein in den Neunzigern. Also warum soll ich eine eigene entwickeln? Ich kann doch einfach eine kopieren. Ich such mir einen fremden Mann per Internet, um mit ihm diverse Szenen aus Romantischen Komödien nachzuspielen. Romantik nach Plan. Quasi. So können wir uns kennenlernen, haben was Lustiges zu erzählen und erleben eine gute Zeit.«
»Hä?«
»In dem Film Harry und Sally fahren die beiden Unbekannten nach New York City. Auf dem Weg dorthin lernen sie sich kennen. So müsste ich es auch machen.«
»Du willst nach New York fahren? Über den Atlantik?«
Die schnallte überhaupt nix. »Nein, ich will nach Berlin fahren. Ich brauche ein Date, mit dem ich nach Berlin fahre.«
»Das ist eine Stunde weit weg.«
»Dann dauert mein Date eben eine Stunde lang.«
»Und dann? Was ist in Berlin?«
»Der Fernsehturm natürlich. Das Mekka aller Romantischen Komödien ist das Empire State Building. Allerdings steht das Ding zu weit weg. Also fahren wir zum Fernsehturm. Da wird dann Schlaflos in Seattle nachgespielt.«
»Ich kapier gar nichts. Was soll das heißen?«
Ich versuchte es nochmal ausführlicher. »Das soll heißen, dass ich mit meinem Date in einem Toyota Corona nach Berlin fahre, wo wir uns den Fernsehturm ansehen, dort etwas essen und uns verlieben.«
»Was denn für ein Toyota Corona?«
»In dem Auto sind Harry und Sally nach New York gefahren. Ich habe auf der Fahrt hier her im Internet nachgesehen. Die Dinger kriegt man fast geschenkt.«
»Was? Du willst ein Auto kaufen? Für ein Date? Alter! Die meisten Frauen wollen, dass der Mann ein Essen ausgibt und du willst ein Auto kaufen?«
»Ich brauch sowieso eins. Das kommt gelegen.«
»Keine gute Idee, dass alles so durchzuplanen. Außerdem kann einiges schief gehen. Was ist, wenn ihr nach Berlin fahrt und euch nicht versteht?«
»Harry und Sally haben sich am Anfang auch gehasst. Mir gefällt die Idee.«
Mia hatte zwei Fragezeichen in den Augen. Ich konnte mir vorstellen, was sie dachte. Nämlich, dass ich nicht nur beknatterte Einfälle hatte, wenn es um Geschäftliches ging, die Date-Ideen waren mindestens genauso dämlich. Mindestens. Oder noch mehr.
Mia würde solche Gedanken allerdings nie laut aussprechen. Sie wusste wie schnell ich gekränkt bin und sauer werde, wenn man sich gegen meine Ideen stellte. Genauso gut könnte man einem leidenschaftlichen Raucher erklären, dass Rauchen ungesund ist. Es machte einfach keinen Sinn. Manchmal musste man mich einfach machen lassen und Mia fragte: »Mal so nebenbei: Wo willst du einen fremden Mann finden, der mit dir nach Berlin fährt?«
»Im Internet. Wo sonst?«
»Bei eBay ersteigern oder was?«
Die Kellnerin stellte das Sushi auf den Tisch. Wir nahmen die Stäbchen in die Hand und schon nach dem ersten Bissen war Mia begeistert: »Mega – das Essen hier schickt mal wieder ordentlich.«
»Dito.«
»Wie heißt nochmal die Schauspielerin aus Harry und Sally?«, fragte Mia. »Die, die Sally spielt?«
»Meg Ryan.«
»Ich glaub Meg Ryan ist nach dem Erfolg des Films voll abgestürzt. Drogen und so. Viele Männer. Eine Affäre nach der anderen. Und dann kam Crack und Heroin. Vom Everybodys-Darling zur Crackschlampe.«
»Was? Nie im Leben. Das hast du aus irgendwelchen bescheuerten Magazinen.«
»Warum spielst du nicht lieber Pretty Woman nach. Dann stimmen wenigstens die Klamotten. Strapse und so.«
»Depp.«
»An welche Filme hast du noch gedacht?«
»An viele. Zum Beispiel Dirty Dancing. Dann könnte ich die Tanz-Szene nachspielen.«
»Sau originell«, meinte Mia ironisch. Sie klemmte das nächste Stück Sushi zwischen die Stäbchen, fester als in jeder Schraubzwinge. »Wirklich. Sau originell.«
Mia dachte, dass ich das Ganze so schnell vergessen hab, wie es mir eingefallen war. Sie glaubte mir kein Wort. Natürlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass ich mit einem unbekannten Mann nach Berlin fahren werde. Zu gefährlich und so. Zu abgespaced.
Wir waren kaum erschöpft von dem Squash und verwendeten unsere Energie zum Lachen und Rumalbern.
Es war Zeit meiner Freundin den Rest zu geben: Ich nahm mein Smartphone aus der Tasche und zeigte ihr mein Profilbild, das ich bei einer Dating-Seite hochgeladen hatte. Mia starrte ungläubig auf den Touchscreen. Gleich lief ihr der Sabber aus dem offen stehenden Mund. Sie schüttelte ungläubig mit dem Kopf. »Das ist dein Profilbild? Für eine Dating-Seite? Ich fall tot um.«
»Was ist?«
»Du fragst nicht wirklich: was ist? Du weißt: was ist.«
»Ich kann’s mir denken.«