»Enchanted« und »Mysterious«: Alle Bände der beiden zauberhaften Trilogien in einer Mega-E-Box! - Jess A. Loup - E-Book
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»Enchanted« und »Mysterious«: Alle Bände der beiden zauberhaften Trilogien in einer Mega-E-Box! E-Book

Jess A. Loup

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Beschreibung

Gefühlvoll, magisch und mutig »Absolut toll.«»Wunderschöne Geschichte.« »Meine neueste, liebste Lieblingsautorin!« (Leserstimmen auf Amazon) Um den Frieden zu wahren, verbünden sich Elfen mit Hexen und eine Prinzessin macht sich mit einem Druiden auf die Suche nach einem Geheimnis. Tauch in ein farbenprächtiges Fantasy-Reich voller magischer Wesen mit »Enchanted« und »Mysterious«. Beide Trilogien aus der Feder von Leserliebling und Erfolgsautorin Jess A. Loup spielen in derselben Welt und bieten dir über 2.000 Seiten atemraubender Intrigen und übersinnlicher Liebe!   Die magisch-romantische »Enchanted«-Trilogie **Finde den Elfenprinzen und werde zur Königin** Ursprünglich sollte sich Tyric, der Kronprinz der Elfen, nur auf die Flucht begeben, um von einer der dreißig edelsten und fähigsten jungen Ladys der Sidhe eingefangen zu werden und sie zu seiner Königin zu machen. Und eigentlich gehörte die Elfenkriegerin Audra zu den Hauptanwärterinnen auf diesen Thron und war ihm bereits dicht auf den Fersen. Doch eine mächtige Magie zerschlägt den traditionellen Ablauf der Hatz und bringt Tyric weit fort, ins Fürstentum der Menschen – direkt zum Versteck einer Junghexe, die sein Leben grundlegend ändern wird. Und Audra jagt an der Seite des verschlossenen Hauptmanns Sullivan bald nicht mehr den Prinzen, sondern die Schlüssel zum Verlies eines Drachen, der ihrer aller Schicksal in seinen Klauen hält…   Die zauberhaft-gefühlvolle »Mysterious«-Trilogie **Jage den Elfenfeind und schütze die magischen Völker** Seit langer Zeit herrscht Frieden in der zauberhaften Welt der magischen Königreiche, wo Elfen, Hexen, Drachen und viele andere Wesen in Eintracht miteinander leben. Doch die Harmonie ist durch üble Machenschaften eines dunklen Intriganten in Gefahr. Rhona, die heimliche Tochter des Elfenkönigs, macht sich auf die Spur der Bedrohung – an ihrer Seite Lyksan, ein Druidengehilfe, der als Menschenwaise von Zwergen herangezogen wurde. Doch diese beiden sind nicht das einzige ungewöhnliche Paar, das sich zusammenfinden muss, um über alle Grenzen hinweg für eine unbeschwerte Zukunft kämpfen.   //Dies ist eine E-Box aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel. Sie enthält alle Bände der zwei Fantasy-Trilogien »Enchanted« und »Mysterious« von der Erfolgsautorin Jess A. Loup: -- Enchanted 1: Elfenspiel   -- Enchanted 2: Prinzenfluch  -- Enchanted 3: Drachenwut -- Mysterious 1: Zwergenerbe -- Mysterious 2: Druidenkraft  -- Mysterious 3: Hexensturm//

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Dark Diamonds Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2019 Text © Jess A. Loup, 2017, 2018, 2019 Lektorat: Natalie Röllig Coverbild: shutterstock.com / © Andrew Buckin / © Tiplyashina Evgeniya / © Floral Deco / © Julenochek / © Subbotina Anna / © Aaron Amat / © Sayanjo65 / © Venus Kaewyoo / © ldutko / © Lucia Fox / © Kiselev Andrey Valerevich / © lenaer Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-30209-7www.carlsen.de

Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Jess A. Loup

Elfenspiel (Enchanted 1)

**Finde den Elfenprinzen und werde zur Königin …** Mit der Volljährigkeit des Kronprinzen Tyric beginnt die sich in jeder Elfengeneration wiederholende Hatz auf den Thronfolger. Teilnehmen können nur die dreißig edelsten und fähigsten jungen Ladys der Sidhe. Wer den Prinzen zuerst findet und besiegt, wird zur zukünftigen Königin. Doch dieses Mal ist etwas anders: Eine gefährliche Magie durchdringt das Reich der Elfen und zwingt den jungen Tyric inmitten der Hatz zur Flucht … Währenddessen wird auch im Nachbarland der Menschen die Angst vor einer unbestimmten Magie geschürt. Laut einer Prophezeiung soll am Königshof eine mächtige Magierin zum Leben erwachen – und alle Zeichen weisen auf die verarmte Fürstentochter Faye … Zwei Schicksale, deren Aufeinandertreffen die Welt verändern wird.

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Vita

Danksagung

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© privat

Jess A. Loup versteht Deutsch, obwohl sie in Bayern lebt. Wenn sie nicht im Kopf mit imaginären Leuten spricht (oder über sie schreibt), ist sie auf dem Bogenparcours zu finden, lässt sich von ihren Katzen terrorisieren oder fotografiert wilde Tiere in Afrika. Solange der Brief aus Hogwarts verschollen bleibt, erschafft sie ihre eigenen magischen Welten.

Für Hope, die sich nach all dieser Zeit noch immer die Nächte um die Ohren schlägt, um meine Bücher zu lesen.

Tyric

Er befand sich seit zehn Tagen auf der Flucht, und das waren neuneinhalb mehr, als irgendjemand des Lichten Volks erwartet hatte. Der halbe Tag diente auch nur als Zugeständnis, damit es wenigstens so aussah, als könnte er sich mit den Kandidatinnen einen würdigen Kampf liefern. Tyric taumelte und lehnte sich an einen Baum. Ein bitteres Lachen stieg in ihm auf. Die Kandidatinnen. Dreißig waren sie gewesen, als die Jagd losging. Die Jagd auf Tyric von den Lichten Sidhe, den Kronprinzen, den Ehemann der zukünftigen Königin. Wie es die Tradition verlangte, musste sich eine der Vornehmsten als die Frau erweisen, die ihn überwinden konnte. Tyric machte sich nichts vor. Dazu waren sie alle in der Lage. Seit ihrer Kindheit wurden diese Frauen darauf vorbereitet; sie trainierten Schwertkampf, Bogenschießen, waffenlosen Angriff und Verteidigung, bis ihre geschmeidigen Körper nur aus Muskeln bestanden und ihre Reflexe denen von Raubtieren glichen.« Man unterrichtete sie im Spurenlesen, den Sprachen der Menschen und unbedingter Skrupellosigkeit. Niemand erwartete, dass ihnen der lässige und verspielte Prinz etwas entgegenzusetzen hatte. Bevor sich die auserwählten Kämpferinnen auf die richtige Jagd nach ihm machten – die zwei Stunden Vorsprung, die man ihm gewährte, entlockten ihnen höchstens ein schmallippiges Lächeln –, würden sie erst einmal versuchen, sich gegenseitig auszuschalten. Das war die Hatz, sie gehörte dazu. Dass sich Tyric jetzt hier, tief im Hoheitsgebiet der Menschen aufhielt, war dem Sturm zu verdanken. Ein verdammter Sturm! Und der schien wirklich verdammt gewesen zu sein. Zu plötzlich kam er auf, zu brachial schlug er eine Schneise in den Wald, packte ihn und riss ihn Hunderte Fuß mit sich fort, um sich ebenso plötzlich wieder zu legen. Tyric stürzte, nicht nur im übertragenen Sinne. Tief, tief, immer tiefer fiel er, nicht einmal fähig zu schreien (nicht, dass er das vorgehabt hätte), um mit einem gewaltigen Aufklatschen in den tosenden Fluss einzutauchen. Mitgezerrt wie ein Stück Treibgut, hin und her gerissen von Strudeln, immer wieder unter Wasser gedrückt … Spätestens, als er merkte, wie ihn der Fluss bekämpfte, sich seiner angeborenen Macht über das Element verweigerte, wusste er, dass Magie im Spiel war. Eine boshafte Magie, eine, die ihn nicht nur isolieren und für eine der Kandidatinnen schwächen sollte, nein, die beabsichtigte, ihn zu töten. Wer immer dahintersteckte, wollte die Jagd in einem Desaster enden lassen, dem Königshaus der Lichten Sidhe einen Schlag versetzen. Das kam in der Vergangenheit immer wieder vor – die Herrschaft über die Sidhe lag in den Händen derjenigen, die Gewalt ausübten, und musste genauso erkämpft werden wie der königliche Ehemann: mit Blut und eisernem Willen. Womöglich hegte eine der adligen Familien, deren Tochter als Jägerin auftrat, noch weitreichendere Ambitionen als lediglich die Ehefrau des Herrschers zu stellen. Während sich Tyric wieder und wieder an die heftig schäumende Wasseroberfläche kämpfte, während das Rauschen des Flusses dasjenige in seinen Ohren noch übertönte, während seine Lungen flatterten und zu kollabieren drohten, konnte er doch nicht seinen Geist, seine Gedanken abstellen, obwohl die sich eigentlich nur dem Überleben widmen sollten. Und vielleicht, so dachte Tyric jetzt, zehn Tage später, als er sich an der rauen Borke eines uralten Stammes abstützte, vielleicht hatte sein Geist bereits sein Überleben geplant. Denn als er wider Erwarten plötzlich gegen ein steiniges Ufer geworfen wurde, er soeben noch eine Wurzel packen und die drohende Ohnmacht abwehren konnte, hatte er etwas beschlossen. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass die Jagd auf ihn nicht vorbei war. Natürlich erwarteten alle, er würde eine Weile fliehen, sich dann aber nach einem kurzen Kampf der ersten Jägerin ergeben, die ihn ausfindig machte. Als Tyric am Ufer lag, noch halb im Wasser, halb auf dem nassen Sand, wusste er, das Spiel hatte sich für ihn geändert. Der Moment war gekommen, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen, Tradition hin oder her. Jemand hatte ihn töten wollen und das nahm er persönlich. Wer immer dahintersteckte, würde dafür bezahlen, auch wenn Tyric erst noch herausfinden musste, wer sich der dunklen Magie bedient hatte. Wichtig war, dass er den Kandidatinnen entkam, irgendwo einen Platz fand, wo er unterkommen, seine Wunden lecken und vor allem Pläne schmieden konnte. Und am besten würde das gelingen, wenn sie ihn für tot hielten. Noch auf der Sandbank kniend zerrte Tyric das ohnehin zerrissene Hemd von seinem Körper und brachte sich mit einem scharfkantigen Stein eine stark blutende Wunde am Arm bei. Er tränkte den Fetzen in seinem grellroten Blut, drapierte ihn zwischen einem aus dem Wasser ragenden Ast und Steinen und beobachtete den Fluss, der seit wenigen Minuten wieder still und friedlich strömte, als hätte es das wütende Inferno nie gegeben. Als Tyric dieses Mal seine Gabe nach dem Wasser ausstreckte, gehorchte es ihm wie ein Pferd, das zuvor durchgegangen war und jetzt vertrauensvoll zu seinem Herrn zurückkehrte. Tyric wagte es nicht, lange darüber nachzudenken. Nach kurzem Zögern glitt er zurück in das kühle Nass, befahl dem Element, ihn zu tragen und an einer geeigneten Stelle, viele Meilen entfernt, sanft an Land abzusetzen. Ab da folgte er Wildwechseln, leichtfüßig, immer auf der Hut, doch lautlos, wie es sich für einen vom Lichten Volk gehörte. Nun gut, zumindest nicht vernehmbar für Menschen, auf die er nach zwei Tagen zum ersten Mal gestoßen war. Er beherrschte die Sprache des hiesigen Primitivvolks, und so wusste er durch Belauschen mehrerer Holzfäller, dass er in den Süden, fernab seiner Heimat, getrieben worden war. Dieser Sturm, der ihn mitgerissen und dem Fluss übergeben hatte, war noch mächtiger gewesen, als er annahm. Tyric stahl den Holzfällern Kleidung, ein Messer, eine kleine Axt und etwas zu essen. Fast hätte er ihnen auch einen der sechs schwerfälligen Gäule genommen, es kribbelte ihm regelrecht in den Fingern. Menschen waren so plump, so langsam, so einfältig! Selten konnte einer seines Volkes widerstehen, diese Schwächen auszunutzen, doch sein Verstand meldete sich. Die Kleinigkeiten, die er raubte, würden ihnen kein großes Kopfzerbrechen bereiten, doch ein Pferd, mochte es noch so unedel sein, gehörte zu ihren wertvollsten Besitztümern. Sie würden misstrauisch werden, suchen, darüber reden. Was immer auch passierte, Tyric war nicht so naiv anzunehmen, dass bereits alle Kandidatinnen aufgegeben und das Märchen von seinem Tod geglaubt hatten. Sollten sie ebenfalls in diese Gegend kommen und vom Verlust eines Pferdes hören, würden sie sich Gedanken machen. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden, und überhaupt: Erstens war dieses Pferd ohnehin unter seiner Würde und zweitens kam er im Wald zu Fuß fast schneller voran als im Sattel.

Seine Gedanken waren abgeschweift, und er zuckte zusammen, als ein Häher krächzend von einer Tanne aufstieg und schimpfte. Seinetwegen bestimmt nicht, nur selten verrieten die Wächter des Waldes einen Sidhe. Sie waren schließlich beide Kinder der Geister. Nein, etwas musste ihn gestört haben. Tyric legte den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Der Schatten eines schwarzen Vogels zeichnete sich über den Baumwipfeln ab, er kreiste und ließ sich vom Aufwind tragen. Wenig später gesellte sich ein weiterer dazu, dann noch einer. Interessant. Wenn die Aasvögel kamen, musste irgendwo vor Kurzem der Tod Einzug gehalten haben. Sein Bauch knurrte. Seit Tagen ernährte sich Tyric von Pflanzen und Beeren, da er mit seinem schartigen Messer kaum jagen konnte und nie gelernt hatte, Fallen zu stellen. Stattdessen hatte er immer gedankenlos das Wildbret verzehrt, das in der Großen Halle zu den Mahlzeiten aufgetischt wurde, und ihm als Finbars Sohn standen ohnehin nur die erlesensten Stücke zu. Er vertrieb den Gedanken an seinen Vater. Der Herrscher würde ihn vermissen, doch auf keinen Fall auch nur einen Hauch von Schwäche zeigen. Es lag nicht in des Königs Natur, sentimental zu werden.

Tyric stieß sich von dem Baum ab, und kurz glaubte er zu fallen. Schwindel erfasste ihn, er musste tief durchatmen. Für einen vom verweichlichten Hochadel war er weit gekommen, doch das änderte nichts daran, dass er abgemagert und entkräftet war und das Gefühl hatte, kurz vorm Verhungern zu stehen. Wenn es irgendwo ein totes Tier gab – und die tiefer zirkelnden Rabengeier deuteten darauf hin –, hätte er nichts dagegen, ein Stück vom Braten abzubekommen. Selten fielen Tiere tot um, weil sie alt waren, also war es durchaus möglich, dass sich irgendein Raubtier unwillig zeigte zu teilen, doch Tyric umklammerte das Messer und bewegte sich in dieselbe Richtung wie die Vögel. Verzweiflung konnte aus dem schwächlichsten Sidhe ein gefährliches Raubtier machen, dachte er, fast schon erheitert über seine philosophische Anwandlung. Sein Blick huschte aufmerksam hin und her, kein Geräusch entging seinen Ohren, die nicht nur im übertragenen Sinne gespitzt waren. Wenn möglich, wollte er ein Raubtier überraschen, nicht sich anfallen lassen. Er hatte die letzten Nächte immer in der Astgabel eines Baumes verbracht, um den Wölfen, Orkebern, Bären und Wildhunden gar nicht erst Gelegenheit zu geben, ihn als Beute zu betrachten. Erst vor drei Nächten hatte er in den frühen Morgenstunden einen Schwarzluchs abwehren müssen, der glaubte, ihn beim Abstieg vom Baum von oben angreifen zu können. Noch immer zierten fünf blutige Krallenspuren seine Brust, das Hemd war an diesen Stellen zerrissen.

Doch es blieb ruhig, die Insekten summten, die Waldvögel sangen ihre gelassenen Lieder. Offensichtlich gab es für keinen Waldbewohner einen Grund zur Panik, was Tyric stutzig machte. Er verschmolz mit den Schatten einer Eibe, als er eine winzige, kreisrunde Lichtung erreichte, und musste die Augen gegen die Helligkeit ein wenig zusammenkneifen. Dann erkannte er den Grund für das Kreisen der Vögel – der erste senkte sich soeben vorsichtig neben eine der beiden Leichen. Tyric blieb regungslos stehen, beobachtete den dunklen Wald auf der anderen Seite der Lichtung, versuchte, jede Bewegung des sich sacht wiegenden Farns im Wind zu deuten. Lauerte trotz allem irgendwo eine Gefahr? Er konnte nichts sehen, und so trat er nach einiger Zeit lautlos aus seinem Versteck und kniete sich nieder. Der Rabengeier stob sofort wieder auf, eine schwarze Feder kreiselte wie ein böses Omen zu Boden.

Zwei Tote. Ein Mensch, ein Tier. Der Mensch war, soweit es Tyric aus seinen vergangenen Studien des Primitivvolks erkennen konnte, ein Jäger. Grünes Wams, braune Beinkleider, die am Oberschenkel arg zerrissen waren und eine klaffende Wunde preisgaben. Ihm gegenüber lag ein gewaltiger Orkeber, ein Keiler mit einem Widerrist von bestimmt zehn Handbreit Höhe. Er hatte diese bösartigen Mistviecher oft von Weitem beobachtet, ihre rot glühenden Augen, ihre gesträubten Borsten. Orkeber waren anders als gewöhnliche Wildschweine, sie lebten, um zu jagen und zu töten. Die Spuren auf der Lichtung verrieten Tyric die Tragödie, die sich hier abgespielt hatte. Der Mensch war unverhofft auf den Keiler gestoßen, der keinen Wimpernschlag gezögert hatte, ihn anzugreifen. Offenbar ein erfahrener Jäger schaffte es der Mann dennoch, seinen Bogen zu spannen und ihm einen Pfeil ins Auge zu jagen – er musste ein Meisterschütze sein oder es handelte sich um einen Glücksschuss.

Glücksschuss. Natürlich.

Tyric schnaubte zynisch. Nicht glücklich genug, denn der Orkeber konnte ihm noch seinen ellenlangen Stoßzahn ins Bein rammen. Die Hauptschlagader wurde durch diesen Hieb zerfetzt, woraufhin der Jäger schnell verstarb. Wahrscheinlich hatten sich die beiden noch eine kurze Zeit lang angestarrt, bis fast gleichzeitig das Licht in ihren Augen erlosch. Irgendwo wartete vielleicht eine Menschenfrau auf den Mann, vergeblich und verzweifelt, ohne zu wissen, was dem Jäger zugestoßen war. Tyric empfand kein Mitleid, dazu war ihm dieses primitive Volk zu gleichgültig, doch er sprach trotzdem ein kurzes Geleitgebet für die Seele des Mannes auf ihrem Weg in die Ewigen Wälder. Auch für den Eber wisperte er ein paar Worte, bevor er mit ungeübten Schnitten durch das dicke, starre Fell stach, um sein Fleisch zu nehmen. Was für eine verdammte, mühevolle Arbeit! Bestimmt wussten die Jäger – sowohl die menschlichen, als auch die des Lichten Volkes – einen einfacheren Weg, um Wild aus der Decke zu schlagen, doch Tyric mühte sich eine lange Zeit und war danach nicht nur im Besitz einer guten Portion des Keilers, sondern auch so erschöpft, dass er sich am liebsten hingelegt und geschlafen hätte. Das könnte sich allerdings als Fehler herausstellen, als finaler Fehler, denn lange würde es nicht mehr dauern, bis die ersten Raubtiere hier auftauchten, um sich ebenfalls an einer so offen präsentierten Mahlzeit zu bedienen. Tyric atmete tief durch und biss die Zähne zusammen. Keuchend und schwitzend wie ein Dienstbote. Vor seinen Augen tanzten rote Punkte, doch er war noch nicht fertig. Um der Geister willen, wenn ihn seine Eltern oder Gefährten so sehen könnten! Er ließ sich neben dem toten Jäger auf ein Knie nieder und durchsuchte seine Taschen.

»Schlimmer als ein Balggnom«, murmelte er voller Selbstverachtung. Im Gegensatz zu dem, was die Menschen glaubten, waren es nicht die Sidhe vom Lichten Volk, ja nicht einmal die vom Dunklen Hof, die Menschenbabys stahlen und gegen ihre eigene Brut austauschten. Es waren die Balggnome, eine degenerierte Rasse, die jeder Sidhe abgrundtief verabscheute, da sie nicht nur Menschenbabys stahlen, sondern auch Leichen ausgruben – um sie zu essen, wie die Sidhe-Gelehrten vermuteten. So genau wollte es Tyric gar nicht wissen.

Er löste den breiten Ledergürtel, an dem sich ein Leinensäckchen, eine schwere Lederscheide, der Köcher und ein Haken befanden, Letzterer wahrscheinlich, um den Bogen anhängen zu können. Eine gute Idee, fand Tyric. In dem kleinen Leinensäckchen entdeckte er einen Feueranzünder und dieses Mal war sein Gebet an die Geister voller Dankbarkeit. Er drehte den Mann zur Seite, um seinen Bogen aufzunehmen, und bemerkte jetzt erst den Ledersack, der mit Schnüren so auf seinem Rücken befestigt war, dass er die Hände frei hatte. Im ersten Moment wollte er die Schnüre einfach durchtrennen, hatte sogar schon das breite, scharfe Jagdmesser aus der Scheide gezogen, doch dann hielt er inne. Dieser Jäger mochte nützliche Dinge darin aufbewahren, die er gebrauchen konnte, und auch wenn es unter seiner Würde war, etwas wie ein geringer Bauer oder Dienstmann auf dem Rücken zu tragen, so war unnützer Stolz hier gänzlich fehl am Platz. Mit ein wenig Mühe zog er den Sack von des Toten Schulter und öffnete ihn. Ohne sein Zutun wanderten seine Augenbrauen in die Höhe. Drei in Tücher verpackte Laibe Brot, ein dickes, doppelt handbreites, rundes Stück Käse, ein duftendes Stück Speck, ein ihm unbekanntes Obst, kleine Säckchen mit Kräutern und … Frauenkleidung. Was machte ein Jäger in den Tiefen der Wälder, mindestens drei oder vier Stunden von der nächsten Siedlung entfernt, soweit Tyrics Ausflüge auf Baumwipfel und das Beobachten der Gegend ihm verraten hatten, mit einem Wochenvorrat an Essen und Sachen für eine Frau? Unbeherrscht vergrub er die Zähne in Speck und Brot, ließ sich kaum Zeit zum Kauen, bevor er herunterschluckte und den nächsten Bissen nahm. Tyric lief schon fast der Geifer aus dem Mund, weil der Speck so verführerisch duftete, aber es kam ihm falsch vor, er beherrschte sich. Es war nur ein Mensch, doch auch er hatte das Recht auf ein Begräbnis, zumal er ihm so viele nützliche Dinge überlassen hatte. Schwitzend wie ein Dienstbote zerrte er den Toten ein Stück über die Lichtung, zu einer Stelle, an welcher der Boden weicher war und es sich besser graben ließ. Dann hieb er mit der breiten Klinge des Jägers ein flaches Grab aus, rollte ihn hinein und verschloss es so fest, wie es ihm möglich war. Bestimmt würden die Tiere nach Verzehr des Orkebers auch dort ihr Glück versuchen, aber Tyric war zu erschöpft, um auch nur in Erwägung zu ziehen, mehr für den Mann vom Primitivvolk zu tun. Ungewöhnlich schwerfällig stand er auf, hob dann die Nase in die Luft und schnupperte. Der Wind trug ihm einen typischen Geruch zu, scharf und gefährlich. Ein Raubtier näherte sich, vielleicht ein Bär oder eine große Wildkatze. Tyric hatte nicht vor zu warten, um herauszufinden, worum es sich handelte, und doch zögerte er einen Augenblick, während er sich den Gürtel umschnallte, den Bogen aufnahm und den Sack auf die gleiche Weise auf seinem Rücken befestigte, wie es der Tote getan hatte. Da lag noch etwas anderes in der Luft, etwas, das so schwach war, dass er kaum sicher sagen konnte, ob es sich um eine Einbildung handelte oder um Wunschdenken. Rauch.

Wo Rauch war, gab es auch ein Feuer. Und Tyric sehnte sich so sehr nach einem Feuer, nach Wärme und einem weichen Lager, dass er fast bereit war, dafür unaussprechliche Dinge zu tun. Fast. Vielleicht lag es an seiner allgemeinen schwachen Kondition, vielleicht auch an den Frauensachen in dem Rucksack oder er war einfach von Sinnen. Tyric bewegte noch einmal seine Arme in einer fließenden, verabschiedenden Bewegung über dem Grab, gab dem Toten seinen Elementarsegen und bat die Geister stumm darum, dessen Seele gnädig zu sein, dann schritt er schnell in die Richtung, die ihm seine Nase wies. Wenige Meter von der Lichtung entfernt säbelte er bereits ein weiteres dickes Stück von dem Speck ab und kaute im Gehen. Es dauerte nicht lange, da wusste er, dass es sich tatsächlich nicht um Einbildung gehandelt hatte, denn er spürte den Rauch bereits in seinem Mund, und das kam nicht von dem Geräucherten, das noch nie besser geschmeckt hatte. Tyric verstaute den Speck über dem blutigen Fleisch, das selbst eingewickelt in die Tücher das Innere des Tragesacks durchtränkte, und schlich nur noch langsam weiter. Gerodete Bäume wiesen darauf hin, dass er sich einer Siedlung näherte – oder vielleicht auch nicht. Es war nur ein einzelnes, aus rohen Baumstämmen gezimmertes Häuschen, kaum groß genug, um als Jagdhütte durchzugehen. Und doch wies eine Einzäunung daneben auf einen Garten hin, eine andere beherbergte ein paar Hühner, die eifrig auf dem Boden scharrten und aufgeregt zu gackern anfingen, als spürten sie ihn. Tyric verzog die Lippen. Natürlich bemerkte dieses scheußliche Federvieh keinen vom Lichten Volk! Der Grund ihres aufgeregten Lärmens wurde klar, da sich die Tür der Hütte öffnete und eine schlanke Gestalt mit einem Korb hindurchschlüpfte. Sie bewegte sich langsam, und etwas irritierte Tyric daran, doch erst als sie nach dem Zaun tastete, um den Korb darauf zu stützen, und anfing, Körner zu den Hühnern zu werfen, wusste er, worum es sich handelte. Die Frau trug das rote Tuch der Versehrten um ihren Kopf. Es bedeckte fast vollständig ihr Haar, von dem nur wenige entflohene kastanienbraune Locken erkennbar waren, und den oberen Teil ihres Kopfes mitsamt den Augen. Hierher musste der Jäger unterwegs gewesen sein. Tyric hatte nicht den Hauch einer Ahnung, warum der Mann sie mitten im Wald versteckte, wo sie gänzlich auf ihn angewiesen und den Raubtieren schutzlos ausgeliefert war. Niemals würde sie allein zurück in eine Siedlung finden.

Sie war blind.

Faye

Sie wusste nicht, ob es an ihrer allgemeinen Verfassung lag, ob es eine Folge ihrer Blindheit war, doch heute Morgen war sie mit rasenden Kopfschmerzen aufgewacht. Diese begannen in ihren Schläfen, drückten nach unten auf ihre von dem Tuch verborgenen Augen und strahlten weiter, bis sie ihre Brust erreichten. Sie hatte das Gefühl, als schließe sich eine Hand um ihr Herz und drücke zu – langsam und unerbittlich, nur um immer wieder kurz locker zu lassen, damit sie Luft holen konnte, nie eine Chance hatte, sich an den Schmerz zu gewöhnen. Vor ihrer … Versehrtheit hatte Faye viele Bücher gelesen, die fürstliche Bibliothek stand ihr schließlich Tag und Nacht offen, auch wenn es nicht gern gesehen wurde, dass ein Mädchen dort Zeit verbrachte.

»Auf dumme Gedanken kommen diese jungen Dinger, jawohl«, hatte Thomaris, der Archivar, missmutig gebrummt, zwar leise, aber doch so, dass sie es hören konnte. Damals hatten nicht nur ihre Augen, sondern auch ihr Gehör wunderbar ihre Dienste verrichtet. Thomaris war ein Bulle von einem Mann, groß und grobschlächtig, der nach vorn gebeugt stand, weil im Laufe der Jahre sein Buckel immer mächtiger wurde. Als sie noch kleiner war, hatte sie sich vorgestellt, er würde irgendwann versteinern und wie die Gargoyles den Eingang oder eine Nische der Bibliothek zieren – ein Gedanke, der ihr immer einen Schauder über den Rücken jagte. Dazu hatte Thomaris die gehässigen, schmalen, gelben Augen eines Jagdvogels – so wie ihn der Fürst oder der hohe Adel auf ihren Jagdausflügen zu tragen pflegte. Faye war oft dabei gewesen, wenn sie ausritten, ihre hochmütigen Gesichter geradeaus gewandt, auf der Faust die ebenso hochmütigen Falken, die ihre scharfen Krallen fest in das dicke Leder der Handschuhe gruben und ab und zu die Flügel spreizten, um das Gleichgewicht zu halten. Trotzdem hatte sich Faye nicht davon abhalten lassen, in Büchern nach Wissen zu suchen, drei Jahre lang. Seit dem Tag, an dem sie zufällig den Fürsten und dessen zwergwüchsigen Berater bei einem Gespräch belauscht hatte. Es war nie ihre Absicht gewesen, sie hatte keineswegs Wert darauf gelegt, zumal jeder wusste, was passierte, wenn man den Landesherrn verärgerte. Mancher Dienstbote hatte schon für geringere Vergehen zwanzig Peitschenhiebe bekommen, ohne Rücksicht, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Faye hatte erst wenige Minuten vorher die Turmkammer betreten, um wie üblich all die glänzenden Uhrwerke zu bewundern, welche die modernen Geräte im Schloss antrieben. Sie machte nicht auf sich aufmerksam, als sie bemerkte, wer da gerade eintrat und sorgfältig die Tür hinter sich schloss. Kanzler Sirus, der Zwerg, ließ seinen Blick aus glänzenden schwarzen Augen durch den Raum wandern, um sich zu überzeugen, dass sein Herr und er allein waren, und doch übersah er Faye. Die war nur Herzschläge vorher hinter einer ihr unbekannten Apparatur niedergekniet, um das Räderwerk zu inspizieren, das man durch ein Spiegelglas sehen konnte. Sie wagte kaum, Luft zu holen.

»Erzähl mir von der Prophezeiung der alten Schachtel. Und vor allem erklär mir, warum uns das interessieren sollte.« Fürst Danian der Sanftmütige klang so wütend, dass er grollte wie ein fernes Gewitter.

Es war jedoch die Stimme des Zwergs, die Faye das Gefühl gab, sich waschen zu wollen. Sie war glatt und schmierig und drang nicht nur in ihre Ohren, sondern auch in ihren Körper ein – wie ein Wurm oder eine Schlange, die im Inneren etwas Schlechtes anstellt. Wenn es ihr irgendwie möglich war, ging sie Kanzler Sirus aus dem Weg, auf keinen Fall wollte sie von seiner Wurmstimme beschmutzt werden. Nur hier auf dem Turm war das nicht möglich, im Gegenteil. Faye betete lautlos zu den freundlicheren Göttern, die ihr einfielen, denen, die Pilzsammlern die ergiebigsten Stellen zeigten und sie davor bewahrten, in Sümpfe und Moore zu geraten. Sie betete darum, dass dieses geheime Treffen, um welches es sich hier zweifellos handelte, schnell vorüber war und sie nicht entdeckt wurde.

»Es hätte mir durchaus keine Sorgen bereitet, Eure Lordschaft«, näselte der Kanzler. »Doch wie Ihr wisst, unterzogen wir das Weibsbild einer hochnotpeinlichen Befragung, weil es in den letzten Wochen zu dem Schafsterben kam und man uns berichtete, sie habe wiederholt in der Nähe der königlichen Weiden und Ställe herumgelungert. Normalerweise bin ich bei diesen unerfreulichen Anlässen nicht anwesend, doch einer der Kerkerknechte ließ mich rufen, da sie sich nur mir bekennen wollte. Aber das tat sie nicht.«

Faye spähte um die Ecke der Apparatur, ihre Neugier stärker als die Angst, und sah, wie Sirus angeekelt das Gesicht verzog, was seinem Bluthundgesicht nicht guttat. Die hängenden Wangen wanderten wie eigenständige Wesen zur Seite und die übergroße Nase blähte sich auf.

»Sie lachte mich aus, Eure Lordschaft. Daraufhin gab ich den Knechten ein Zeichen, ihr Benehmen beizubringen, und als sie ihr die glühenden Stempel ins Fleisch drückten, fiel die Delinquentin in Schockstarre. Ich wusste nicht, dass sie die Gabe des Prophezeiens besaß, aber es besteht kein Zweifel, die Stimme, die aus ihrem Inneren drang, war keineswegs von dieser Welt.«

»Hör auf zu schwafeln!«, fuhr ihn der Fürst an. »Wie lautet die Prophezeiung?«

»Das Haus Danian wird fallen, wenn sie erblüht, die Ihr ernährt. Sie, die ohne alles ist, wird alle Macht besitzen. Noch weiß sie nichts, sie nimmt nichts wahr. Eine von denen, die Ihr bezwungen, eine von denen, die Ihr beherrscht. Mit Licht vereint, wird sie es sein. Der Sturz des Hauses Danian.«

Der Fürst starrte seinen Kanzler an und warf dann den Kopf zurück, um aus voller Kehle zu lachen. »Wegen so eines Geschwafels betreibst du eine solche Geheimniskrämerei? Sirus, Sirus, du wirst alt. Das ergibt doch alles keinen Sinn!«

Der Zwerg verneigte sich tief. »Verzeiht meine Impertinenz, Euch zu widersprechen, mein Herr, doch bitte hört mich an. Ihr wart nicht dabei. Es war eine echte Prophezeiung, so wahr ich hier stehe. Eine, die wir nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Wie viele weibliche Geiseln halten sich an Eurem Hof auf, Eure Lordschaft?«

Das Gesicht des Fürsten wurde plötzlich ernst. Seine buschigen, dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen, während er die Worte seines Kanzlers überdachte. Faye zuckte zusammen, als er mit der Faust in seine flache Hand schlug, fast hätte sie erschrocken gekeucht und sich verraten.

»Aus sieben Herzogtümern kamen Töchter. Die anderen konnten nur Söhne stellen.«

»Und wie viele davon sind erblüht?«

»Was zum Donner soll das heißen, erblüht?« Das Gesicht Danians zeigte zornige rote Flecken.

Der Kanzler beeilte sich, wieder eine Verbeugung zu vollziehen. »Das magische Alter liegt bei siebzehn Jahren, mein Lord. Welches dieser Mädchen hat diese Lebenszeit noch nicht erreicht?«

»Woher soll ich das wissen?« Herrisch hob der Fürst den Kopf und wedelte mit der Hand. »Ich kümmere mich nicht um diese Weibsbilder, außer mir fällt eine ins Auge.« Sein Grinsen war gar keines, es glich eher einem Loch in seinem Gesicht, das Faye eine Gänsehaut bescherte. Mit einem Mal war sie dankbar, ihm anscheinend noch nicht ins Auge gefallen zu sein.

»Ich war so frei, mich kundig zu machen«, versicherte Sirus in seiner ölig-beschwichtigenden Art. »Es sind drei der Mädchen. Die Jüngste von ihnen ist Anybell aus dem Herzogtum Braxten. Sie ist gerade zwölf geworden und von daher auch erst seit vier Wochen hier an Eurem Hofe.«

»Aufrührer, die Braxtens, allesamt«, spie der Fürst.

»Sicher, Eure Lordschaft. Deshalb gibt es ja unser System der Gastfreundschaft im Hause Danian. Alle Welt preist schließlich Eure Milde und Großzügigkeit.«

Faye zog schnell den Kopf zurück, als der Fürst mit langen Schritten hin und her ging und Staub aufwirbelte. »Weiter«, wies er an.

»Dann haben wir Faye, vierzehn Jahre, die einzige Tochter aus dem Hause Melliar. So unauffällig wie das Herzogtum, aus dem sie stammt. Und Cassandra, die kurz vorm Erblühen stehen müsste, eine Tochter des Herzogs von Roscodym.«

»Cassandra von Roscodym, ein großartiger Name!«, höhnte Danian. »Aber ein hübsches Ding«, fügte er einige Zeit später hinzu, offensichtlich war dieses Mädchen eines derjenigen, von denen er gesprochen hatte. »Also schön, Sirus, genug des ewigen Hin und Hers. Was bedeutet diese Prophezeiung genau für uns? Wie können wir verhindern, dass sie überhaupt eintritt, falls sie wahr ist? Ich will nicht auf ein bloßes Geschwafel hin drei meiner Geiseln töten, zum Donnerwetter! Wenn es nur eine wäre – was soll's.« Es gab ein schabendes Geräusch, als mache er eine abfällige Handbewegung und sei irgendwo dagegen gestoßen, doch Faye wagte es nicht, wieder nach vorn zu spähen. »Aber drei? Man würde kaum an drei Unfälle glauben, nicht wahr, Sirus? Diese kleinen, kläffenden Hunde würden sich empören und eventuell verbünden. Stell dir vor, sie kämen alle auf die Idee! Nein, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen! Überhaupt, was bedeutet denn, sie bekomme Macht, wenn sie erblühe?«

Der Kanzler räusperte sich, und Faye wusste, dass er jetzt zu dem Teil kam, der ihm am unangenehmsten war.

»Die Magie in ihrem Blut erwacht, mein Herr.«

Es blieb eine Weile still, so lange, dass sich Faye zusammenreißen musste, um sich nicht zu bewegen. Ihre Füße waren eingeschlafen und ihre Oberschenkel brannten, weil sie schon zu lange in einer so verkrampften Position hockte.

»Die Magie«, wiederholte der Fürst flüsternd, nahezu ehrfürchtig. »Verdammt. Wie lange sind wir der verdammten Magie jetzt entkommen, Sirus?«

»Eine gute Zeit«, bestätigte der Zwerg. »Ein paar harmlose Gaben hier und da, aber Magie? Wir blieben lange verschont.«

»Zuletzt hat sich dieses schlechte Blut zur Herrschaft meines Onkels gezeigt. Ich war damals noch ein kleiner Junge, aber ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Es brauchte eine halbe Hundertschaft Soldaten, um ein junges Mädchen zu überwältigen und zu töten. Sie konnte Steine von der Größe dreier Maultiere schleudern, ohne sie berühren zu müssen. Bestimmt vermochte sie noch mehr, doch …« Als er weitersprach, erkannte Faye an seinem Ton, dass er sein abschätziges Grinsen zeigte. »Sie war fast blind, Sirus! Sie konnte kaum etwas sehen, auch wenn sie trotzdem genügend Schaden anrichtete!«

»Ich habe mich belesen, mein Herr. Euer Onkel mag eine halbe Hundertschaft verloren haben, dennoch hattet Ihr Glück. Diese Blindheit tritt zu Beginn des Erblühens auf und sie dauert zwischen zwei und sechs Wochen, je nachdem wie mächtig sich das schlechte Blut durchsetzt.«

»Und dann?«

»Und dann … können sie wieder sehen. Anscheinend kennt diese Magie keine Grenzen. Es gibt Berichte über Hexen, die über die Zukunft Bescheid wussten, über solche, die mit einem Fingerschnippen gestandene Männer tot umfallen ließen oder in Kröten verwandelten. Die Harmlosen unter ihnen können nur heilen – aber dann auch fast jede Krankheit, nur den Tod besiegen sie nicht. Es ist nicht möglich vorauszusagen, über welche Kräfte sie verfügen, bevor sie nicht in das letzte Stadium ihrer Blindheit eintreten, und was sie allein da schon bewirken können, habt Ihr selbst gesehen, mein Herr.«

Der Fürst schnaubte und knackte mit den Fingerknöcheln. »Also schön«, sagte er nach einer guten Weile, in der die beiden Männer anscheinend nachdachten. »Zum jetzigen Zeitpunkt ist eigentlich nichts zu befürchten. Wir behalten die drei Mädchen sorgfältig im Auge. Die Jüngeren sind für uns noch nicht interessant, es geht erst mal nur um Cassandra von Roscodym. Sollte sie erste Anzeichen von Blindheit aufweisen …« Er verstummte.

»… wird das arme Kind einen Unfall erleiden und bedauerlicherweise keinen Höfling des Hauses Danian heiraten können«, beschloss Kanzler Sirus.

Faye presste ihre Faust an den Mund. Sie sprachen über kaltblütigen Mord wie die Köchin über das Zubereiten eines Mahls!

»Genau das. Geht das Erblühen des Mädchens unverrichteter Dinge vorbei, konzentrieren wir uns auf die Nächste, diese Fiona oder wie sie heißt. Und so weiter.« Danian der Sanftmütige atmete tief durch wie jemand, der ein heikles Problem löst, und klatschte in die Hände. »Nun denn, Sirus. Du leitest das in die Wege, stellst am besten jemanden ab, der die hübsche Cassandra Tag und Nacht beobachtet, sie darf in den nächsten Monaten keinen Moment mehr allein bleiben. Du bist mir persönlich dafür verantwortlich, dass jede Veränderung ihres Zustandes sofort gemeldet wird.«

»Natürlich, Eure Lordschaft.« Wenn sich Faye nicht sehr täuschte, lag er jetzt schon fast auf dem Bauch vor seinem Herrn in seinem Bemühen, ihm seine völlige Hingabe zu versichern. Danach vernahm sie das lieblichste Geräusch der Welt – das Knarren einer sich öffnenden Tür, das Zufallen derselben und sich entfernende Schritte. Trotzdem war sie unfähig, sich sofort zu bewegen, zu sehr tobten die Gedanken in ihrem Kopf. Sie war eine von drei Geiseln am Hofe des Fürsten, die möglicherweise schlechtes Blut besaß. Und damit schlummernde Magie in ihrem Inneren. Eine Gefahr für das Haus Danian. Viel wichtiger: Sie war selbst in Gefahr. Sie, Cass und die kleine Any. Faye biss sich auf die Unterlippe. Sollte sie Cass warnen? Doch die große, schlanke Cassandra mit den funkelnden dunklen Augen, hellen Locken und dem Benehmen einer Königin verachtete Faye und ließ sich selten dazu herab, sie überhaupt wahrzunehmen. Sie nannte sie Schlammspringer oder Kröte, weil Faye aus dem Herzogtum Melliar stammte, das sich durch wenig mehr als dunkle, endlose Wälder, Sümpfe und schwarze, tiefe, kalte Seen hervortat. Aus diesen Gewässern stammten die Eiskristalle, die von speziell ausgebildeten Schwimmern in eigens von Gelehrten entwickelten schweren Tauchanzügen hervorgeholt wurden. Eine gefährliche Aufgabe für diese Schlammspringer und doch der einzige Reichtum, den ihr Land besaß. Faye erhob sich langsam und zischte, weil ihre Gliedmaßen erwachten – mit dem Gefühl stechender Nadeln in Füßen, Beinen und Händen. Am besten war es, erst einmal nichts zu sagen, überlegte sie. Selbst wenn Cass ihr glaubte, was zweifelhaft war, mochte es nicht sinnvoll sein, Panik zu verbreiten. Sie musste Cass im Auge behalten und einfach schneller als der von Kanzler Sirus abgestellte Spion erkennen, wenn mit dem Mädchen aus Roscodym etwas passierte. Das konnte nicht allzu schwer sein, da sich alle Geiseln, die noch nicht einem Höfling Danians versprochen waren, im selben Schlafsaal zur Ruhe begaben, selbst diejenigen, die sich im heiratsfähigen Alter befanden.

Mehrere Monate lang erledigte Faye diese Aufgabe gewissenhaft, sogar noch über Wochen hinaus nach Cassandras siebzehntem Geburtstag, doch außer dass sie noch ein wenig überheblicher wurde – was möglicherweise an einem Lächeln lag, welches der Sohn des Fürsten ihr einmal geschenkt hatte –, geschah nichts. Damit stand fest, entweder Anybell oder sie selbst war das Mädchen aus der Prophezeiung. Falls es sich wirklich um eine echte Wahrsagung handelte und sich der Kanzler nicht getäuscht hatte. Faye war nicht bereit, ihr Leben darauf zu setzen. Sobald feststand, dass Cass nicht diejenige war, die Magie in sich trug, begann sie ihre regelmäßigen Besuche in der Bibliothek. Sie war eine Geisel, aber solange sie den Hof und dessen innere Bezirke nicht verließ, stand es ihr frei, sich überall hinzubewegen, mochte der Archivar Thomaris noch so betont unauffällig über unsittliches Verhalten murren und maulen. Sie würde dieselben Schriften derselben Gelehrten lesen, die Sirus durchgesehen hatte, und dann noch alles andere, was ihr in die Hände fiel. Sie musste vorbereitet sein, nicht nur um ihretwillen, sondern auch für Anybell. Wenn sie alles über Magie, schlechtes Blut und die Blindheit, die der Entstehung der Kräfte voranging, wusste, konnte sie etwas unternehmen, wenn es so weit war. Deshalb war Faye nach dem täglichen Unterricht, den die Geiseln erhielten, öfter in der Bibliothek als im Tanzsaal, den Musikzimmern oder Ställen. Sie hatte nie die Nähe der anderen Mädchen gesucht, denn davon hatten ihr ihre Eltern abgeraten. Die meisten weiblichen Geiseln, so hatte ihr Vater ihr anvertraut, waren von vornherein dazu erzogen worden, die Nähe des Fürsten und der höchsten Adligen zu suchen. Sie sollten das Wohlwollen Danians für ihre Herzogtümer gewinnen, eine gute Partie machen, damit ihre Länder über die der anderen erhoben wurden und Danian keine Armee entsandte, um alles mitzunehmen, was auch nur annähernd wertvoll war. Alle paar Jahre verfuhr der Fürst so, nach keinem speziellen Muster, außer dass diejenigen Herzogtümer verschont wurden, deren Töchter oder Söhne die angesehensten Höflinge Danians geheiratet hatten. Doch Faye begann langsam, sich Anybell zu nähern. Hier ein freundliches Wort, dort eine kleine Hilfestellung, nichts, was in irgendeiner Form auffällig war. Sie wollte sichergehen, dass Any ihr notfalls genug vertraute, um ihr zu glauben, wenn sie von dem schlechten Blut erzählte, falls sie selbst nicht betroffen war. So arbeitete sich Faye durch die Bücher der Bibliothek, brauchte natürlich auch viel länger als es bei Kanzler Sirus der Fall gewesen war, denn sie konnte sich ja schlecht Hilfe suchend an den Archivar wenden, und vor allem durfte sie nicht zu offensichtlich Bücher über Magie lesen. Sie gewöhnte sich an, viele Reiseberichte, Liebespoeme und Schriften über Kochen, Nähen, das Reiten und andere alltägliche Dinge zu lesen, zwischen die sie dann diese Bücher schmuggelte, die sie wirklich interessierten. Ab und zu geriet sie an Lektüre, die ihr sogar Freude bereitete, doch nie verlor sie ihr Ziel aus den Augen. Vor einem halben Jahr war sie überzeugt gewesen, alles über die Blindheit und Magie zu wissen, was es in der Bibliothek zu finden gab, doch das löste nicht das immer stärker in den Vordergrund tretende Problem: Was genau sollte sie tun, wenn es sie traf? Oder Anybell? Sie konnte nicht einfach flüchten, wenn sich die Blindheit bemerkbar machte. Nicht nur weil sie als Versehrte ohnehin nicht weit käme, sondern weil auch ihr Elternhaus und das gesamte Herzogtum hart bestraft würden. Faye wollte nicht für Hunderte oder gar Tausende Tote verantwortlich sein, weil sie vom Hofe floh. Schließlich und endlich, das wurde ihr bewusst, gab es nur eine Möglichkeit für sie oder Any, je nachdem, wen es treffen würde: Sie musste sterben.

Oder zumindest mussten das alle Leute an König Danians Hof glauben.

Faye stöhnte leise auf, als der Kopfschmerz noch einmal heftig aufflackerte und dann verschwand. Sie traute dem Frieden nicht, aber es half nichts, sie musste die Hühner füttern und im Garten nachschauen … also gut, danach tasten, ob das Gemüse schon zum Ernten bereit war. Es war nicht viel, ein paar Gurken, Tomaten, zwei Kürbisse – alles leicht wachsend und auch blind zu finden. Ein leichtes Lächeln zog ihre Lippen nach oben, da auch nach einer guten Weile die Schmerzen verschwunden blieben; wie es aussah, konnte sie langsam aufatmen. Mit mehr Energie, als sie den ganzen Tag über hatte aufbringen können, zog sie den Korb vom Regal. Sie schaufelte zwei Handvoll Körner aus dem Sack in der Vorratskammer hinein und presste ihn an ihre Hüfte, danach stieß sie die Tür auf und trat aus dem Haus. Mittlerweile waren all diese Arbeiten bedeutend einfacher zu vollziehen als am Anfang, doch wie es ihr Joha geraten hatte, blieb sie auf der Schwelle stehen und orientierte sich kurz im Geiste. Vier Schritte nach vorn, eine Rechtsdrehung, drei weitere Schritte, dann kam der Zaun des Hühnergeheges. Nicht dass man das Federvieh überhören könnte. Sie lächelte, als sie dem Gackern der Hennen lauschte. War es heute aufgeregter als sonst? So abwegig wäre das nicht, denn sie erwartete in Kürze Joha, heute Abend, spätestens morgen Mittag, je nachdem, wie es ihm seine Jagdaufträge erlaubten. Er hatte sich als zuverlässiger Freund erwiesen, weshalb sie nicht daran zweifelte, dass die Hühner ihn wie immer ankündigen würden. Mit gleichmäßigen Bewegungen warf sie die Körner über den Zaun und zog unruhig die Schultern hoch, bis sie bemerkte, was sie da tat. Warum fühlte sie sich so unwohl? Warum waren die Hennen so aufgeregt? Mehr, als es dem üblichen Futterritual entsprechen würde. Sie setzte den Korb auf dem Boden ab und drehte sich herum. Lauschte. Hörte nichts. Nichts, was sie beunruhigen sollte jedenfalls. Sie roch auch nicht das Geringste, was auf Raubtiere hinwies, vor denen sie Joha gewarnt hatte. Und trotzdem. Sie spürte etwas. Fühlte etwas. Wusste etwas. Jemand beobachtete sie.

Faye holte tief Luft und bemühte sich um einen leichten Ton. »Wer ist da? Bist du das, Joha?«

Tyric

Beinahe hätte sie es geschafft, ihn zu überraschen. Diese Frau, so blind wie sie war, hatte ihn gespürt. Tyric wusste nicht, ob ihn das beunruhigen oder beeindrucken sollte, also zog er es vor, nicht weiter darüber nachzudenken. Er trat aus dem Schatten der Bäume, unter denen er sich verborgen hielt. Wie es aussah, war sie allein. Wobei auch etwaige Begleiter sicher nur Menschen wären. Das Primitivvolk stellte für einen vom Lichten Volk keine Gefahr da.

»Ich bin nicht Joha«, antwortete er und sah sie zusammenzucken.

Schnell fasste sie sich wieder, zwei-, dreimal holte sie tief Luft, ihre Stimme klang ruhig.

»Wer seid Ihr? Was ist Euer Begehr?«

In Tyrics Eingeweiden loderte noch immer der Hunger, und selbst durch den dicken Stoff des Beutels auf seinem Rücken konnte er den Speck riechen. Und Brot! Und erst das viele Fleisch, das ihm der Orkeber unfreiwillig überlassen hatte!

»Ein Platz an deinem Feuer, Erdkind, etwas zu essen, zu trinken.« Im selben Augenblick presste er die Lippen zusammen. Wenn es jemals einen dümmeren Sidhe gegeben hatte als ihn, so war er ihm nicht bekannt. Er hatte alle Trümpfe in der Hand gehabt, diese Menschenfrau hätte nie erfahren müssen, dass er vom Lichten Volk war, aber nein! Er hatte sich mit einer unbedachten Äußerung verraten müssen – einer Blinden gegenüber! Er erwartete einen entsetzten Aufschrei oder wenigstens einen panischen Schritt zurück, doch sie tat nichts dergleichen. Lediglich das Straffen ihrer Schultern und das leichte Anheben ihres Kinns bewiesen, dass ihr sein Lapsus nicht entgangen war.

»Ihr seid ein Elf«, stellte sie fest, und nur weil er sehr genau aufpasste und ohnehin ein schärferes Gehör als jemand vom Primitivvolk besaß, fiel ihm ein kaum wahrnehmbares Zittern in ihrer Stimme auf.

»Wir bevorzugen den Begriff Sidhe.«

»Werdet Ihr mich töten?«

Werdet Ihr mich töten?

So ruhig gefragt, als plaudere sie mit ihm über das Wetter. Tyric wurde neugierig, er konnte nicht anders, als näherzutreten und sie genauer zu betrachten.

Sie war jünger, als er angenommen hatte. Natürlich war es schwer, das Alter eines Menschen richtig zu schätzen, aber diese hier konnte noch nicht lange die Schwelle vom Mädchen zur Frau überschritten haben. Ihre Haut, zumindest was er davon sehen konnte, war hell, glatt und jugendlich straff, die Röte auf ihren Wangen und die zusammengepressten Lippen das einzige Zugeständnis an ihre Furcht.

»Warum sollte ich dich töten?«

»Ihr seid ein Elf. Einer vom Lichten oder Dunklen Hof. Ich habe über Euch gelesen. Was Ihr Menschen antut.« Mit einer schnellen Bewegung zog sie ein kleines Messer aus ihrem Gürtel, eines, wie es zum Gemüseputzen oder Schneiden verwendet wurde. »Doch wisset, dass ich mich nicht kampflos ergeben werde!«

Tyric starrte sie an. Er konnte nicht anders, dieses Menschenmädchen, diese junge Frau, blind und völlig wehrlos allen Gefahren gegenüber, wagte es tatsächlich, ihm zu trotzen. Wie sollte er da widerstehen? Tyric lachte lautlos, aber herzlich, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Er lachte, als er mit übermenschlicher Geschwindigkeit und Stille um sie herumwirbelte, von hinten ihre Handgelenke erfasste und mit einer kurzen Bewegung das Messer ihrem Griff entwand. Er grinste noch immer, als sie ihren Kopf nach hinten warf und ihn am Kinn traf, gleichzeitig auch noch heftig mit dem Fuß nach unten stampfte und ihm das Gefühl gab, seine Knochen zu zermalmen. Bei den Waldgeistern, tat das weh! Er wusste, jeder andere seines Volkes hätte sie dafür büßen lassen, vielleicht abgesehen von denen, die es rau mochten. Einer wie sein Hauptmann Sullivan, der nie einer Frau zu nahe trat. Trotzdem! Ein Sidhe, der etwas auf sich hielt, musste dieses Erdkind bestrafen. Doch Tyric brachte es nicht über sich. Mit diesem kurzen Wortwechsel und ihrem unerwarteten Widerstand hatte sie ihn überrascht, und widerwillige Bewunderung regte sich in ihm. Ohne die Absicht, ihr wehzutun, verstärkte er seinen Griff, bis sie hilf- und bewegungslos an seinem Körper gefesselt war.

»Erdkind, Menschenmädchen …«, seufzte er. »Wenn ich dir mein Wort als Mitglied der Kö…« Verdammt, beinahe hätte er sich wieder verraten! »… der königlichen Leibgarde am Sidhe-Hof gebe, dass ich dir nichts tue, wirst du mir dann dein Wort geben, mich nicht mehr anzugreifen?« Die Erinnerung an Sully hatte ihn wenigstens etwas finden lassen, womit er arbeiten konnte.

»Was ist schon das Wort eines Elfen wert?« Sie knurrte wie ein Höhlenwolf. Nun ja, vielleicht wie ein Höhlenwolfbaby, ein ganz kleines, soeben frisch aus dem Mutterleib gekommenes, aber es war eindeutig ein Knurren. Geradezu niedlich. Trotzdem zog er seine Arme etwas fester um sie und nahm ihr damit die Luft.

»Zweifle niemals am Wort eines Sidhe«, sagte er ernst. »Was auch immer man dir erzählt hat, es ist nichts, was er leichthin gibt. Ich hatte nicht vor, dich zu töten, doch ich könnte mir überlegen, dich hier an den Gartenzaun zu binden und so lange dort darben zu lassen, bis ich mich erholt habe. Bestimmt teilt dir deine fast unnütze Erdkindnase mit, dass ich stinke, und ich versichere dir, ich brauche nicht nur dringend ein Bad, sondern auch ein Bett und zuallererst etwas zu essen, sonst werde ich umfallen, und selbst so ein Höhlenwolfbaby wie du könnte mich auffressen!«

»Ich bin kein Höhlenwolfbaby und ich fresse keine Menschen – auch keine Elfen!«, empörte sie sich und versuchte sich aufzubäumen. Ein nutzloses Unterfangen, das Tyric nur bewusst machte, dass sich tatsächlich eine junge Frau in seiner Umklammerung befand. Er hatte sich nie zuvor Gedanken darüber gemacht, wie unwesentlich sich Sidhe und Menschen voneinander unterschieden, und ganz sicher hatte er nie darüber nachgedacht, jemals eine Menschenfrau so intim zu berühren, wie er es jetzt tat. Natürlich hatte er Sully und die anderen Soldaten darüber sprechen hören, dass sie sich einen Spaß daraus machten, bei nächtlichen Festen menschliche Frauen zu verführen, doch im Hochadel der Sidhe war das verpönt. Sich mit jemandem aus dem Primitivvolk einzulassen, konnte nur das eigene edle Blut beschmutzen, hatte ihm Finbar eingebläut, sobald er in die Hitze kam – die Zeit, in der ein Sidhejunge zum Mann wurde und sich sämtliche seiner Gedanken nur darum drehten, das andere Geschlecht kennenzulernen. Sehr genau zu erkunden und so oft wie möglich. Tyric schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden.

»Gleichwohl möchte ich nicht in der ständigen Gefahr schweben, von dir angegriffen zu werden, Erdkind. Meine Geduld hat Grenzen, und da du es vorziehst, dein Wort zu verweigern – zumal ich nicht weiß, was das Wort einer Frau aus dem Primitivvolk wert ist –, muss ich zu Maßnahmen greifen, die dir wohl nicht gefallen werden.«

Er sah sich um, fand nichts, womit er sie fixieren konnte, und fluchte innerlich.

»Lass mich los!«, befahl sie herrisch – faszinierend, besonders wenn man ihre Situation bedachte. »Ich gebe dir ja mein Wort!«

»Zu spät«, erwiderte Tyric und grinste, als sie den Kopf wandte und versuchte, ihn zu beißen. Mit der linken Hand hielt er sie weiterhin an der Taille fest, während er mit der rechten ihren Kopf an seine Brust presste. Sie rückwärts ziehend, bewegte er sich auf die Hütte zu und stieß die Tür mit dem Fuß auf. Im Inneren des großen Raumes fiel sein Blick auf etwas, das ihm weiterhelfen würde. Der tragende Balken in der Mitte der Hütte war genau das, worauf er gehofft hatte und da … Genau! Hübsche Schnüre, die wohl dafür gedacht waren, Kräuter aufzuhängen. Ihr Duft lag noch immer in der Luft, auch wenn es längere Zeit her sein musste, dass die Schnüre eine Aufgabe erfüllt hatten. Nun, das konnte sich ändern. Tyrics Lächeln verbreiterte sich, als er mit einer ruckartigen Bewegung eine Schnur abriss und schneller, als das Erdkind reagieren konnte, ihre Arme nach hinten zog und sie fesselte. Sie wurde still, nur ihr heftiger Atem kündete von dem Aufruhr in ihrem Inneren. Tyric griff nach ihrer Schulter und dirigierte sie zu der aus groben Stämmen gezimmerten Liegestatt, die sich am hinteren Ende der Hütte befand, in einer Nische, die man mit einem Vorhang abtrennen und in der man so etwas Ähnliches wie Privatsphäre genießen konnte. Nicht dass eine blinde, auf sich selbst gestellte Frau so etwas gebraucht hätte. Er drückte sie auf das Bett hinunter, und sie explodierte geradezu, als ihr bewusst wurde, wohin er sie geführt hatte.

»Nein! Bitte nicht! Tut das nicht!« Sie versuchte, nach ihm zu treten, und es war ihm ein Leichtes, ihr auszuweichen. Was war denn mit ihr los? Eben noch fügsam wie ein Lamm, im nächsten Moment so hysterisch wie eine Drachenmutter, der man versucht hatte, ihr Ei unter den Pfoten wegzustehlen. Dann verstand er – sie glaubte, er wollte sie gegen ihren Willen nehmen!

Schnell wich er mehrere Schritte von ihr fort. »Beruhige dich!«, blaffte er sie an. »Als ich sagte, dass ich dir nichts tue, meinte ich auch … das, woran du jetzt scheinbar denkst.« Sie legte den Kopf schief, lauschte auf seine Stimme, anscheinend, um seine Position zu bestimmen. Ihr wurde wohl klar, dass er Abstand zwischen sie gebracht hatte, denn ihr Toben erstarb. Eine Weile sah er zu, wie sich ihr Brustkorb heftig hob und senkte, bis sie ihren Atem und – hoffentlich! – ihren Verstand wieder unter Kontrolle gebracht hatte.

Schließlich machte sie ein paar Trippelschritte zurück, bis sie an das Bettgestell stieß, und ließ sich nieder. »Was … was werdet Ihr jetzt tun?«, fragte sie. Sie sprach leise, aber Tyric beging nicht den Fehler, sie zu unterschätzen. Diese kleine Höhlenwölfin mochte jetzt erschöpft sein und verängstigt, doch aufgegeben hatte sie noch lange nicht. Sie würde sich sammeln und wieder angreifen. Wenn er wirklich seine Ruhe haben wollte, musste er sie daran hindern, erneut tatkräftig zu werden. Fast hätte er gelacht – für einen Sidhe gab es nichts Leichteres und Amüsanteres, als einen Menschen auszutricksen. Ganz besonders einen, der misstrauisch war und nur darauf wartete, dass der Sidhe etwas Bösartiges plante. Tyric, wie überhaupt alle vom Lichten Volk, spielte nicht fair, wenn er Spaß haben wollte. Er nutzte alle Fähigkeiten, die ihm zur Verfügung standen, und bewegte sich absichtlich geräuschvoll in der Hütte, während er sie inspizierte. Dabei nahm er jedoch lautlos eine weitere Schnur von dem Deckenbalken.

»Ich gehe jetzt nur hinaus, um meinen Proviantsack zu holen«, teilte er ihr im Plauderton mit. »Bleib da sitzen und rühr dich nicht!«

Er öffnete die Tür und ließ sie wieder ins Schloss fallen, verharrte jedoch im Inneren der Hütte. Wie er es sich gedacht hatte, sprang das Menschenmädchen sofort auf, trotz gefesselter Hände und Blindheit. Was glaubte sie, überhaupt ausrichten zu können? Still bewegte er sich, bis er ihr mitten im Weg stand. Natürlich prallte sie gegen ihn, ein scharfes Einziehen der Luft verriet ihren Schrecken. »So also kann man dir trauen«, murmelte Tyric ihr ins Ohr, packte sie und schleifte sie nicht allzu sanft zum Bett zurück, hielt ihre wild strampelnden Füße fest und fesselte diese ans Bettgestell, allerdings mit genügend Bein- und Bewegungsfreiheit. »Jetzt werde ich wohl endlich meine Ruhe haben!«, verkündete er, ging tatsächlich hinaus und nahm den Ledersack des Toten auf. Er war mittlerweile so hungrig, dass ihm geradezu schlecht war. Zurück in der Hütte mühte er sich redlich, mit den Feuersteinen die Herdstelle in Gang zu bringen. Unglaublich, was Dienstboten alles beherrschten und wie sie solche für ihn ungewohnten Dinge so gleichmütig erledigten! Während er sich zweimal auf die Finger schlug und leise fluchte, schwieg seine Gefangene eisern. Oder trotzig. Wenn er ab und zu den Blick hob und zu ihr hinübersah, konnte er etwas sehen, das fast einem Schmollmund glich. Wahrscheinlich brütete sie in ihrem widerspenstigen Köpfchen bereits einen Plan aus, wie sie sich an ihm rächen würde. Tyric konnte nicht warten, bis das doppelt handbreite Stück Fleisch, das er von seiner Beute abgetrennt hatte, durch war. Er riss eines der Brote in der Hälfte durch und schlang das Stück so gierig hinunter, dass er husten musste.

»Verdammt!«, keuchte er. »Hast du nichts zu trinken im Haus, Erdkind?«

Ein liebliches Lächeln erschien auf ihren – zugegeben! – hübschen Lippen. Wahrscheinlich stellte sie sich gerade vor, dass er erstickte. »Verzeiht, Lord Elf der königlichen Leibgarde!«, säuselte sie in einem Ton, der ihm eine Gänsehaut bereitete. »Hätte ich gewusst, dass Ihr heute mein bescheidenes Heim mit Eurer Anwesenheit beehrt, hätte ich mich schon letzte Woche bemüht, einen Wein für Euch anzusetzen!«

»Frisches Wasser tut es auch, verflucht!«

»Ich fürchte, Ihr müsst Eure königlichen Leibgardenbeine selbst bemühen und die Quelle hinter dem Haus aufsuchen.«

Noch immer nach Luft ringend, erhob sich Tyric und befolgte ihren Rat. Er machte sich weniger Gedanken darum, sie könnte sich befreien, als darum, einen lächerlich jämmerlichen Erstickungstod zu sterben. Tatsächlich plätscherte nur wenige Schritte von der Hütte entfernt ein Bach munter vor sich hin, gurgelnd und prustend wie ein Fischotter, der an die Oberfläche bricht. In einer Entfernung, von der Tyric annahm, dass auch eine Blinde sie bewältigen konnte, ohne sich zu verirren, ergoss sich der Bach in ein Becken, das durchaus als Badestelle genutzt werden konnte. Fluchend kniete er sich nieder und trank lange, erfrischende Schlucke des klaren Wassers, bis sich sein Bauch anfühlte wie eine Kriegstrommel.

So leise, wie es für seine Art üblich war, betrat er wieder die Hütte und sah eine Weile zu, wie sich das Mädchen bemühte, die Fußfesseln zu lösen. Da er ihre Hände auf dem Rücken gebunden hatte, blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als heftig an der Schnur zu zerren, die lediglich tiefer in ihre Haut schnitt.

»Gibt es in dieser armseligen Kate nicht einmal einen Krug, mit dem man Wasser schöpfen kann, oder trinkt ihr Erdkinder alle wie die Tiere auf Händen und Füßen?«

Sie zuckte zusammen, wirkte jedoch nicht sonderlich schuldbewusst. Vielleicht glaubte sie, es sei das Vorrecht von Gefangenen oder Geiseln, sich befreien zu dürfen. »Verzeiht, Eure Elfschaft. Einen leider nur irdenen Krug und keinen goldenen findet Ihr, wenn Ihr Euch dazu herablasst, auf der mir gegenüberliegenden Seite der Kochstelle wie ein Tier auf ein Knie zu gehen und den Deckel des Erdlochs anzuheben, der sich dort leicht für die scharfen Augen eines königlichen Leibgardensidhe ausmachen lässt.«

Tyric folgte ihren Anweisungen und stieß einen tiefen Seufzer aus. Es gab ein Erdloch. In diesem befand sich sogar ein irdener Krug, wie sie es wahrheitsgemäß verkündet hatte. Was sie jedoch wohlweislich vorher verschwiegen hatte, war die Tatsache, dass sich in diesem irdenen Krug klares, gekühltes Wasser befand. Bis zum Rand.

»Sag, Erdkind, willst du mich in den Wahnsinn treiben?«

Sie legte den Kopf schief und schien zu überlegen. »Wäre das denn möglich, Eure Elfschaft?«

»Hör auf, mich so zu nennen.« Er zischte, da er sich den ohnehin schon vom Feuerstein gequetschten Finger an der Pfanne verbrannte, als er das vor sich hin brutzelnde Fleisch umdrehte. Wirklich gut roch so ein Eberfleisch nicht. Ihm fiel das Salz ein, das er bei dem toten Jäger gefunden hatte, und gab etwas davon auf die schwarz verfärbte Oberfläche des Wildbrets.

»Wie soll ich Euch denn nennen?«, fragte sie, um im selben Atemzug hinzuzufügen: »Hoffentlich sind Eure Fähigkeiten als königlicher Leibwächter besser ausgeprägt als Eure Kochkünste, sonst würde ich mir ein wenig Sorgen um Euren König machen. Mir scheint, Euer Mahl brennt an. Habt Ihr vergessen, ein wenig Fett in die Pfanne zu geben?«

Man musste Fett erhitzen, bevor man etwas briet? Tyric war plötzlich so unendlich müde. Mit einem Tuch, das er in einem schief stehenden Schrank fand, zog er die Pfanne von der Feuerstelle und zerteilte das Fleisch. Es war zäher als der Ledersack, in dem er es transportiert hatte.

»Hast du Hunger?«, fragte er, ohne das Mädchen anzusehen.

»Sehr!«, behauptete sie leichthin. »Leider ist es mir nicht möglich, etwas zu essen. Ihr müsst wissen, meine Bewegungsmöglichkeiten sind im Moment arg eingeschränkt.«

»Tatsächlich? Wie kommt das?« Tyrics Mundwinkel zogen sich nach oben. Er konnte sich nicht helfen, aber dieses Erdkind amüsierte ihn. Mit welchem Trotz sie ihre mehr als unangenehme Situation meisterte, faszinierte ihn. »Nun«, fuhr er fort, bevor sie weiterhin bissige Kommentare von sich geben konnte, »wenn du brav bist, werde ich mein Essen mit dir teilen. Sogar füttern werde ich dich wie eine Vogelmutter ihr Junges.«

Sie warf den Kopf zurück gleich einem störrischen Pferd. Allerdings eines von sehr edlem Geblüt. »Keine Umstände, Eure Elfschaft. Aufgrund der derzeitigen Gesellschaft, die ich erdulden muss, ist mir der Appetit vergangen.«

»Wie es dir beliebt. So bleibt mehr für mich.« Tyric zuckte mit den Schultern, schaufelte das Fleisch auf ein Holzbrett, das sich in einem weiteren Schrank angefunden hatte, legte sich noch ein Stück Brot, etwas Speck und Obst dazu. »Du kannst jederzeit deine Meinung ändern«, verkündete er, als er zu ihr hinüberging. »Mach Platz«, wies er an.

»Was? Warum wollt Ihr unbedingt hier essen?«

»Wahrscheinlich ist es dir entgangen, Erdkind, denn du kannst ja nichts sehen. Aber dieses Bett ist die einzige Sitzgelegenheit in dieser schäbigen Kate. Und ich habe nicht vor, auf dem Boden zu sitzen, nur um deine hehren Gefühle von Sittsamkeit und Anstand nicht zu verletzen.«

Mühselig rutschte sie so weit fort von ihm, wie es ihre Fußfessel zuließ. Also nicht allzu weit. Tyric ließ sich absichtlich dicht neben ihr nieder, natürlich nur, um sich am Kopfende des Bettes anlehnen zu können. Sie murmelte etwas in ihren nicht vorhandenen Bart. Es klang nicht freundlich.

»Hast du etwas gesagt?«, erkundigte er sich, das Gesicht verziehend, weil das Fleisch wirklich, wirklich scheußlich schmeckte.

Sie hob den Kopf. »Ich hoffe, Ihr habt Eure dreckigen Stiefel ausgezogen!«

Tyrics Augenbrauen wanderten nach oben und er hielt im Kauen inne. »Glaub mir, das willst du nicht. Ich habe dir doch gesagt, dass ich ein Bad nötig habe.«

Sie rümpfte die Nase, sagte jedoch nichts. Zumindest für eine Weile. Dann knurrte auf einmal ihr Magen. Tyric unterdrückte ein Lachen. Also doch eine kleine Höhlenwölfin.

»Steht ein Raubtier vor der Tür?« Er legte genügend Schrecken in seine Stimme, um sie seinen Spott spüren zu lassen. Sie zerrte wieder an ihren Fußfesseln, und er sah, dass ihre Finger ständig damit beschäftigt waren, sich zu drehen und zu winden. Ihre nach vorn gebeugte Haltung konnte nicht bequem sein, doch sie war zu stur, sich ihm zu nähern, um entspannter zu sitzen. Er spießte ein Stück Speck auf das Messer und hielt es ihr vor den Mund. Ihre Nase, mit Sommersprossen bedeckt, zuckte wie die eines Hasen, der Gefahr wittert.

»Das ist kein verbranntes Fleisch!«, sagte sie und schaffte es, dies wie einen Vorwurf klingen zu lassen.

»Sehr gut erkannt!«

Ihre Stirn kräuselte sich, und jetzt beugte sie sich näher, jedoch nicht, um nach dem Stück Speck zu schnappen. Sie schnupperte weiter.

»Brot?«, wisperte sie.

Ebenjenes schien in diesem Moment in seinem Mund zu quellen und immer größer zu werden. Er konnte nicht antworten. Tyric sah geradezu, wie sich Mühlenräder im Kopf des Mädchens drehten, obwohl dieser zum Teil durch ihr rotes Tuch bedeckt war.

»Ihr habt Brot, Speck und Sonnenbeeren dabei«, sagte sie tonlos. So hieß das Obst also? Tyric merkte sich diesen Begriff für später. »Wo habt Ihr das her? Ich denke, Ihr seid kurz vorm Verhungern?« Die Sommersprossen traten jetzt prominent auf ihrer Nase hervor, und er begriff, es lag daran, dass sie jegliche Farbe verloren hatte und so weiß geworden war wie der erste Schnee an einem kalten Wintertag.

»Gefunden!«, sagte Tyric kurz angebunden. Er wollte nicht mehr von sich geben, fürchtete aber, keine Wahl zu haben.

»Gefunden!«, wiederholte sie und rutschte wiederum so weit von ihm fort, wie es ihr möglich war. Er wartete, und es dauerte nicht lange, bis der Sturm losbrach. »Ihr seid ein Lügner und Dieb, oder …« Ein Schluchzen brach aus ihrer Kehle. »Ein Mörder! Ihr seid ein Mörder, und dafür sollt Ihr verdammt sein, Ihr sollt leiden, wie er durch Euch gelitten hat, Ihr …«