Endlich bist du bei mir - Myra Myrenburg - E-Book

Endlich bist du bei mir E-Book

Myra Myrenburg

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Jutta Walser befand sich an diesem Nachmittag allein mit ihrem Söhnchen. Else, das Mädchen, hatte Ausgang, und Franz, der alte Mann, der schon bei ihren verstorbenen Eltern diente, weilte bei einem Arzt in der Stadt. Sonderbar, dachte die junge Frau gerade mit dem Gefühl eines ihr fremden Unbehagens. Wie einsam es hier sein kann, sobald das Personal fort ist. Früher, als Patrick noch bei uns lebte, erschien mir das Haus längst nicht so groß. Ach, Patrick! Ein schmerzliches Lächeln huschte um die zartroten Lippen. Vorbei! Niemals mehr würde hier in der schönen, mit gediegener Eleganz ausgestatteten Halle das frohe Lachen von Vater und Sohn aufklingen. Niemals mehr die hohe, kräftige Gestalt des Mannes hereingestürmt kommen, den kleinen Tommy auf seinen breiten Schultern erklären, sie hätten ein tolles Match veranstaltet, und wenn Tommy so weitermache, gewänne er demnächst jedes Spiel. Sein Sohn sei ein ganz großes Talent im Tennisspiel. Versonnen blieb Jutta vor der Terrassentür stehen, von der aus man in den gepflegten, parkartigen Garten gelangte. Ja, so war das mit Patrick. Ein herrlich aufregendes Leben, das auch Stunden mit tiefen, reichen Empfindungen brachte, denn auch derer war Patrick fähig. Nur eines konnte er nicht. Leider! Und daran scheiterte schließlich nach sieben Jahren ihre Ehe. Seufzend schritt Jutta über die Marmorplatten der Terrasse hinaus in den Garten. Sie wollte zu Tommy gehen, der im hinteren Teil der Anlagen auf der eigens dafür hergerichteten Bahn mit einem Kettcar umherkurvte. Ein letztes Geschenk seines Vaters, sann die junge Frau, während ihr Blick das Kind suchte.

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Leseprobe: Jerry wünscht sich einen großen Bruder

Dr. Lutz Brachmann blickte den blassen stillen Jungen, der neben ihm im Wagen saß, besorgt an. »Wir sind in Sophienlust, Christoph«, sagte er behutsam. »Es wird dir hier gefallen. Alle werden dich liebhaben, und du wirst sie auch liebgewinnen.« »Ich werde nie mehr jemanden liebhaben«, erwiderte der Junge trotzig. »Mir werden ja doch alle weggenommen, die ich liebhabe.« Aller Schmerz um ein unbegreifliches Geschick lag in diesen Worten, so dass Lutz Brachmann tröstend über den dichten Haarschopf strich. Doch Christoph Wendland zuckte zurück. »Nun steigt aber endlich aus«, sagte da eine frische Jungenstimme. »Wir warten schon lange.« »Das ist Dominik, Christoph. Ich habe dir von ihm erzählt«, äußerte Dr. Brachmann eindringlich. »Er wird dein Freund sein.« »Ich will keinen Freund«

Mami Bestseller – 40 –

Endlich bist du bei mir

Lange musste sie auf ihr Kind verzichten

Myra Myrenburg

Jutta Walser befand sich an diesem Nachmittag allein mit ihrem Söhnchen. Else, das Mädchen, hatte Ausgang, und Franz, der alte Mann, der schon bei ihren verstorbenen Eltern diente, weilte bei einem Arzt in der Stadt.

Sonderbar, dachte die junge Frau gerade mit dem Gefühl eines ihr fremden Unbehagens. Wie einsam es hier sein kann, sobald das Personal fort ist. Früher, als Patrick noch bei uns lebte, erschien mir das Haus längst nicht so groß. Ach, Patrick!

Ein schmerzliches Lächeln huschte um die zartroten Lippen. Vorbei! Niemals mehr würde hier in der schönen, mit gediegener Eleganz ausgestatteten Halle das frohe Lachen von Vater und Sohn aufklingen. Niemals mehr die hohe, kräftige Gestalt des Mannes hereingestürmt kommen, den kleinen Tommy auf seinen breiten Schultern erklären, sie hätten ein tolles Match veranstaltet, und wenn Tommy so weitermache, gewänne er demnächst jedes Spiel. Sein Sohn sei ein ganz großes Talent im Tennisspiel.

Versonnen blieb Jutta vor der Terrassentür stehen, von der aus man in den gepflegten, parkartigen Garten gelangte.

Ja, so war das mit Patrick. Ein herrlich aufregendes Leben, das auch Stunden mit tiefen, reichen Empfindungen brachte, denn auch derer war Patrick fähig.

Nur eines konnte er nicht. Leider! Und daran scheiterte schließlich nach sieben Jahren ihre Ehe.

Seufzend schritt Jutta über die Marmorplatten der Terrasse hinaus in den Garten. Sie wollte zu Tommy gehen, der im hinteren Teil der Anlagen auf der eigens dafür hergerichteten Bahn mit einem Kettcar umherkurvte.

Ein letztes Geschenk seines Vaters, sann die junge Frau, während ihr Blick das Kind suchte.

»Thomas! Liebling!«

Jutta eilte quer über den satten, dunkelgrünen Rasen dem zementierten Weg zu, auf dem einsam und achtlos das Kinderfahrzeug stand. Von dem sechsjährigen Knaben zeigte sich jedoch nirgends eine Spur.

Ein wenig atemlos blieb Jutta stehen. »Ach, Tommy, wo steckst du denn?« rief sie belustigt aus. »Wir wollten doch zusammen Eierpfannkuchen backen. Die Else ist heute nicht da, also müssen wir uns schon selber das Abendessen herrichten!«

Danach herrschte Stille. Aus keinem Busch des Gartens drang die lustige Stimme ihres Sohnes zu Jutta herüber, der ihr meistens in dieser Situation einige neckische Worte zurief und die übermütige Aufforderung, sie möge ihn dort suchen können.

Jetzt vernahm die junge Frau nichts weiter als das Zwitschern einiger Vögel in den alten Eichenbäumen, die das Haus umgaben. Wie versteckter Hohn klang es Jutta in den Ohren.

»Thomas!« rief sie in aufsteigender Furcht und eilte achtlos durch einige Blumenrabatten der nahen Tannengruppe zu, hinter der ihr übermütiger Sohn sich oft und gern verborgen hielt, wenn sie nach ihm suchte.

Nun jedoch war auch hier keine Spur von ihm zu sehen. Jutta fühlte Panik in sich aufsteigen, und ihre Stimme klang nun hoch und schrill, als sie durch den weiten Garten lief und dabei unentwegt nach ihrem Sohn rief.

Endlich gab sie auf, stand mit zitterndem Atem und jagendem Herzschlag vor dem Portal des Hauses, von dem aus sie das Gartentor sehen konnte.

Es war geschlossen. Aber war es auch noch verschlossen? Im allgemeinen war das zweiflüglige Eisentor stets verschlossen und nur von der Halle aus automatisch zu öffnen. Und mit einem Schlüssel, von dem es nur wenige Exemplare gab. Genau vier Menschen besaßen einen solchen Schlüssel, aber die genossen ihr Vertrauen.

Trotzdem muß ich nun nachsehen, ob das Tor verschlossen ist, dachte Jutta, während sie mit eigentümlich kraftlosen Beinen auf das Tor zuschritt.

Zögernd umspannte ihre Hand die Klinke, drückte sie dann hastig hinab. Gottlob! Ein befreiender Atemzug hob ihre Brust. Das Tor war verschlossen. Tommy konnte also nicht hinaus auf die Straße gelaufen sein. Und es konnte auch niemand in den Garten gelangt sein. Es sei denn, er habe das Gitter überklettert. Aber daran glaubte Jutta nicht.

Tommy hat sich irgendwo im Haus versteckt und lacht nun über mich, dachte sie, halb ärgerlich, halb erleichtert.

Beschwingt wandte sie sich um und eilte zum Haus zurück. Sie durchquerte die Halle und stieg die Treppe zum Obergeschoß hinauf. Dort blieb sie einen Augenblick überlegend stehen und lachte schließlich erleichtert auf. Natürlich! So wird es sein. Tommy wird sich in die Atelierwohnung hinaufgeschlichen haben.

O du Schlingel, dachte Jutta zärtlich und kletterte die zweite, schmalere Treppe empor, die hinauf ins Dachgeschoß führte, in dem ihr geschiedener Mann sich zwei eigene Räume eingerichtet hatte. Dort oben fühlte Patrick sich wohl, denn er liebte schräge, helle Wände und eine gewisse nüchterne Sachlichkeit, die sonst nirgends in dem herrschaftlichen Haus zu finden war.

Auch Tommy weilte gern hier oben. Darum hatte Jutta ihm auch nach Patricks Auszug ein Spielzimmer in einem der Räume eingerichtet.

Dort wird er mich gleich mit hellem Freudengeheul empfangen, dachte

Jutta leicht verärgert. Patrick hatte Tommy viel zu sehr verwöhnt. So rief sie nun unwillig aus: »Thomas, jetzt ist’s aber genug mit dem Versteckspiel!«

Sie wollte noch etwas hinzufügen, aber das Wort erstarb ihr in der Kehle.

Leer! Der große, spärlich möblierte Raum zeigte keine Spur von einem kleinen Jungen.

Langsam, mit vernichtender Wirkung, stieg ein furchtbarer Verdacht in Jutta auf. Hilflos lehnte sie am Türrahmen und warf einen letzten, verzweifelten Blick durch den Raum. »Tommy«, flüsterte sie matt, »das ist doch nicht wahr. Man kann das Kind doch nicht einfach…«

Das letzte ging unter in einem wilden Aufschluchzen. Jutta warf sich herum und eilte die Treppe hinab, blieb dann abrupt mitten in der Hallte stehen und fuhr sich wie erwachend über die Stirn. Was mußte sie tun? Mein Gott, warum war sie ausgerechnet jetzt allein? Grausam allein mit ihrer wahnsinnigen Angst um das Kind.

Ruhe, sagte die junge Frau sich mit eiserner Selbstbeherrschung. Um Himmels willen Ruhe bewahren.

Wie in Trance schritt sie hinaus, durchwanderte noch einmal den großen Garten und rief nach dem Kind, ehe sie fast taumelnd ins Haus zurückging, Spiel- und Schlafzimmer des Jungen aufsuchte und schließlich im Wohnzimmer von haltlosem Weinen geschüttelt in einen Sessel sank. Thomas war verschwunden. Es war kein Zweifel möglich, jemand hatte ihr Kind entführt.

Die Polizei, durchfuhr es sie in verzweifelter Sorge. Ich muß die Polizei verständigen! Aber zuerst rufe ich Friedrich an. Friedrich muß mir helfen.

Mit bebenden Fingern zog Jutta sich das Telefon in Reichweite und wählte die Nummer ihres Bruders.

»Hier bei Overkamp«, meldete sich die vertraute Stimme des Butlers.

»Bitte, geben Sie mir Herrn Overkamp, hier spricht Frau Walser.«

Juttas Stimme klang ihr selber fremd, und wie aus weiter Ferne vernahm sie die Stimme des Butlers, der ihr mitteilte, Herr und Frau Overkamp befänden sich nicht im Hause. Sie seien ausgefahren. Nein, leider wisse man nicht, wann die Herrschaften zurückkehrten, es könnte jedoch spät werden.

»Danke, Leipert«, flüsterte Jutta matt und legte den Hörer zurück.

Regungslos verharrte sie im Sessel und lauschte den spärlichen Geräuschen im Hause. Eine bedrohliche Stille war um sie. Die Ahnung einer schrecklichen Gefahr, in der sich ihr Kind befinde, lähmte die junge Frau.

Durfte sie überhaupt die Polizei verständigen, ohne diese Gefahr für Tommys Leben zu erhöhen?

Hieß es nicht immer bei Entführungen, man sollte die Polizei auf jeden Fall aus dem Spiel lassen?

Was soll ich tun? Was nur, hämmerte es hinter ihrer Stirn. Patrick! Jählings kam ihr der Gedanke an den Mann, und im nächsten Augenblick stieß Jutta einen erleichterten Atemzug aus.

Patrick! Natürlich! Warum hatte sie nicht sofort an ihn gedacht? Schließlich war er Tommys Vater und liebte seinen Sohn von ganzem Herzen. Er würde sofort zu ihr eilen und sie aus ihrer schrecklichen Lethargie erlösen, die sie so vollständig kopflos zu machen drohte.

Hoffentlich ist Patrick um diese Zeit schon zu Hause, wünschte Jutta inständig, als sie die Telefonnummer ihres geschiedenen Mannes heraussuchte.

Bald darauf vernahm sie seine tiefe, ruhige Stimme, die ihr auch jetzt wieder einen jähen Stich ins Herz versetzte.

»Patrick –«, stieß sie mit bebenden Lippen hervor, »es – es ist etwas Schreckliches passiert. Bitte komm zu mir. Komm ganz rasch, ich – bin so verzweifelt. Thomas ist verschwunden! Ja! Einfach verschwunden aus dem Garten. Ich war oben in meinem Schlafzimmer. Nein! Ich habe nicht geschlafen, sondern mir nur eine Strickjacke geholt. Und habe dabei ein paar Sachen für die Reinigung herausgesucht. Thomas war höchstens eine Viertelstunde allein, außerdem war das Tor abgeschlossen.«

Jutta schwieg und vernahm aufatmend, daß Patrick sofort zu kommen versprach.

»Halte unterwegs die Augen offen«, sagte sie noch. »Vielleicht ist Tommy über das Tor geklettert und nun auf dem Weg zu dir.«

Schweigen! Und schließlich die zornige Stimme Patricks: »So also ist das, Jutta! Dann hast du dem Jungen also wieder verboten, seinen Vater zu besuchen. Nun, bei den Overkamps wundert mich eigentlich gar nichts mehr. Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.«

Klick, der Mann hatte den Hörer hart auf die Gabel zurückgelegt. Mit veränderter, kühler Miene legte auch Jutta den Hörer auf und durchwanderte nervös den geschmackvoll und kostbar eingerichteten Raum.

Es stimmte, was Patrick angedeutet hatte. Leider kam Tommy nur schwer über die Trennung von seinem Vater hinweg. Fast täglich bestürmte er seine Mutter, ihn wenigstens für eine Stunde zum Vater zu lassen, was nicht allzu schwierig war, weil Patrick Walsers Haus im gleichen Vorort von Bielefeld stand, in dem auch die prunkvolle Villa des Industriellen Otto Overkamp erbaut worden war.

Ich kann das Thomas doch nicht immer erlauben, versuchte Jutta die mahnende Stimme in ihrem Herzen zum Schweigen zu bringen.

Aber in dieser Viertelstunde des Alleinseins mit sich und der quälenden Sorge um ihr Kind durchlebte Jutta noch einmal jene Gerichtsverhandlung, an derem Ende sie und Patrick als freie Menschen den Saal verließen. Ihre Ehe bestand nicht mehr, von der sie beide einst glaubten, sie sei der Bund ihrer tiefen, unerschütterlichen Liebe und nur von einer höheren Macht trennbar.

Wie wir uns beide irrten, dachte die junge Frau und verzog die weich geschwungenen Lippen zu einem bitteren Lächeln. Patrick hatte mich verlassen und sogar versucht, mir auch Thomas zu nehmen. Aber da kam er schlecht an bei Gericht. Das Kind wenigstens durfte bei der Mutter bleiben.

Energisch streckte Jutta ihre zarte, kaum mittelgroße Figur. Einer Overkamp nimmt man ihr Kind nicht fort. Auch eine so starke Persönlichkeit wie Patrick schafft das nicht. Niemals!

*

Patrick Walser blickte angestrengt durch die Scheiben seines Wagens über die vorbeihastenden Leute beiderseits der Gehsteige.

Wohl eilten einige dort zwischen den Erwachsenen an seinen suchenden Augen vorbei, aber Thomas, sein kleiner Sohn, war nicht darunter.

Jetzt begrenzte ein kleiner Park die Verkehrsstraße. Walser stoppte den Wagen und blickte sich kurz um.

Nein! Auch hier keine Spur von Tommy. Die Anlagen waren nicht sehr besucht, da mußte ein einzelner kleiner Junge leicht auffallen. Noch einmal ließ er den Blick schweifen, aber er entdeckte nichts.

Rasch stieg der Mann wieder in sein Fahrzeug zurück und kurvte in die ruhige Straße ein, in der das prunkvolle Haus der Overkamps inmitten der parkähnlichen Grünanlage stand.

Jetzt tauchte endlich das schmiedeeiserne Tor vor ihm auf.

Patrick hielt an und betrachtete das Haus mit leicht zusammengekniffenen, abwägenden Blicken, wobei sich tiefer Unmut in seiner Brust zusammenstaute.

Das hier hat unsere Ehe zum Scheitern gebracht, dachte Walser bitter. Die Tradition dieser Familie, aus der Jutta sich nicht zu befreien vermochte, erstickte unsere Liebe.

Über den breiten, mit feinem Kies bestreuten Weg kam eine Frauengestalt auf ihn zugeeilt. Jutta!

Angestrengt blickte Patrick ihr entgegen, nahm den jugendlichen Eindruck in sich auf, der ihn immer noch an Jutta so fesselte. Man sah ihr keinesfalls an, daß sie fast dreißig Jahre und Mutter war.

Das modisch geschnittene, schöne Haar mit den sprühenden Goldtönen, die zarte Pfirsichhaut ihres Gesichts machte aus der nicht eigentlich schön zu nennenden Frau ein überaus apartes Geschöpf.

Eigentlich ist sie viel zu klein, dachte Patrick ironisch. Ein winziges, temperamentvolles Bündel Energie, das zudem einen unerhörten Stolz besitzt. Ohne diesen Stolz wäre vielleicht noch alles gutgegangen mit uns.

Jutta war nun am Tor angelangt und öffnete es, damit Patrick mit dem Wagen direkt durchfahren konnte.

Aber er tat es nicht, sondern stieg rasch aus und schritt auf die junge Frau zu. »Tag, Jutta! Wo hielt Thomas sich denn auf, bevor du in dein Schlafzimmer gegangen bist?« kam er sofort zur Sache.

Er gab ihr flüchtig die Hand, die

Jutta krampfhaft umfaßt hielt, wobei sie ihm aufgeregt berichtete: »Drüben, bei seinem Kettcar. Es – es steht noch da. Aber das Tor, Patrick, das Tor war doch verschlossen.«

Schweigend hatte Patrick ihr zugehört, immer noch ihre kalten, zitternden Finger mit seiner großen Hand umspannend.

»Komm, wir suchen gemeinsam noch einmal jeden Winkel des Gartens ab«, sagte er mit erzwungener Ruhe. Jutta war am Ende ihrer Kräfte, das sah er nur zu gut.

»Nimm doch nicht gleich das Schlimmste an, Jutta«, mahnte er sanft. »Es ist durchaus möglich, daß Tommy irgendwo im Haus ein gemütliches Eckchen gefunden hat und einfach dort liegt und schläft. Das ist mir früher auch schon passiert. Bin oft über dem Spielen einfach eingenickt.«

Fast unwillig machte Jutta sich von Patricks Hand frei. »Aber nicht Thomas! Er tut das nicht. Er hat seine ganz bestimmten, festen Plätze, an denen er sich aufhält, und die habe ich alle schon durchsucht. Du – du brauchst mich nicht wie ein kleines Kind zu trösten, Patrick. Ich weiß – ich fühle, daß Tommy nicht hier ist. Es muß ihm etwas zugestoßen sein.«

Aufschluchzend preßte Jutta beide Hände vor das Gesicht. Sie taumelte dem Haus zu, schritt blind vor Tränen und wankend die wenigen Stufen empor und wäre gegen den schweren Flügel des Portals geprallt, wenn Patrick sie nicht an sich gezogen hätte.

»So beruhige dich doch, Chérie.« Seine Stimme klang heiser, und als

Jutta zu ihm aufsah, entdeckte sie die tiefe Sorge in seinen dunklen Augen.

Sie sagten nun beide nichts mehr, schritten in die Halle, wobei Patrick seinen Arm ganz selbstverständlich um Juttas Schultern geschlungen hielt.

Chérie, hat er gesagt, dachte die junge Frau verwirrt und im Zwiespalt ihrer Gefühle. Mein Gott, wie sehr habe ich am Anfang unserer Trennung dieses Kosewort von ihm vermißt.

Patrick drückte sie sanft in einen Sessel und blickte ernst auf sie hinunter. »Du bleibst jetzt hier in Reichweite des Telefons sitzen, Jutta, während ich mit dem Wagen noch einmal durch die Sebastianstraße fahre. Dort sind einige Spielwarengeschäfte, und außerdem geht Thomas durch diese Straße, wenn er mich besucht. Es – kann ja sein, daß ich ihn vorhin übersehen habe. Bleib aber auf alle Fälle hier am Apparat, falls…«

Er schwieg, aber Jutta verstand ihn auch ohne Worte. Sie nickte automatisch, wobei sie die Augen starr auf das Telefon gerichtet hielt.

»Ja, geh nur«, murmelte sie abwesend. »Aber ich weiß, daß du ohne Tommy zurückkehren wirst. Mein Kind…!«

*

Wieder umfing sie die Stille des Hauses.

Und wieder kamen Juttas Gedanken nicht zur Ruhe. Die Erinnerung jener Wochen vor der Scheidung drängte sich machtvoll in das wilde Karussell ihrer panischen Überlegungen, wo ihr Kind jetzt sein mochte.

Damals! Vor genau acht Monaten war es, als Patrick eines Abends mit freudig erregter Stimme sagte: »Nun ist es soweit, Chérie. Das Haus ist fertig. Unser Haus. Das sind die Schlüssel dazu. Nimm sie! Nimm sie und bereite alles für unseren Auszug hier vor.«

Jutta seufzte verzweifelt auf. Damals! Patrick hatte wahr gemacht, woran sie eigentlich niemals recht zu glauben wagte.

Aber er hat ja alles wahr gemacht, was er sich vorgenommen hatte, mußte die junge Frau sich gleich darauf eingestehen.

Er hat das Haus gebaut und seinem Schwiegervater, dem reichen und angesehenen Besitzer des Chemiewerks kurzerhand gekündigt.

»Ich eigne mich nicht zum Prinzgemahl«, pflegte Patrick zu sagen, wenn Jutta ihm erklärte, das Haus hier sei groß genug, um als ständiger Wohnsitz auch für eine zweite Familie zu dienen. Sie sei nun einmal eine geborene Overkamp, und ihre Eltern sähen es gern, wenn die Tochter im Haus bliebe. Außerdem würde sie es ja doch einmal erben, weil Friedrich Overkamp, der um einiges ältere Bruder, sich ein repräsentatives eigenes Haus erbaut hatte.

Für all diese Überlegungen zeigte Patrick nicht das geringste Verständnis. Er lehnte es rundheraus ab, länger mit dem alten Overkamp im selben Haushalt zu leben.

Solange Regina Overkamp, seine Schwiegermutter, lebte, nahm er es hin, daß Jutta ihre kränkelnde Mutter nicht verlassen konnte. Aber dann starb die alte Dame, und Patrick verwirklichte seinen Traum von einem kleinen eigenen Häuschen, das sich natürlich in nichts mit dem herrschaftlichen Besitz der Overkamps messen konnte. Aber das störte Patrick nicht im geringsten.

Jutta richtete sich im Sessel auf. Ihr schmales Gesicht zeigte ruhige Überlegenheit. Nein, sie war sich keiner Schuld bewußt am Scheitern ihrer Ehe. Daß sie sich weigerte, ihr schönes Elternhaus zu verlassen, hätte für Patrick niemals der Anlaß sein dürfen, hier auszuziehen.

Und vor Gericht habe ich ja Recht bekommen, dachte sie ein wenig bitter. Was blieb mir damals anderes übrig, als die Scheidung einzureichen. Papa bestand darauf, nachdem Patrick auch seinen Arbeitsplatz als Chefchemiker der Overkamp-Werke verlassen und ausgerechnet bei dem schärfsten Konkurrenten eine neue Anstellung gefunden hatte.

Gerade sann Jutta über den zweiten schweren Schicksalsschlag nach, der ihr wenige Tage nach der Ehescheidung den Vater durch einen Herzinfarkt genommen hatte, als der schrille Ton des Telefons sie aufschreckte.

Wie gebannt starrte sie auf den Apparat, hob mit zitternden Fingern schließlich den Hörer ab.

»Hier bei Overkamp«, meldete sie sich tonlos.

Stille! Dann eine undeutliche, kaum vernehmbare Männerstimme.

»Ich verlange Patrick Walser zu sprechen. Ich verhandle nur mit ihm. Wir haben den Jungen –«