Hab Vertrauen, Jannik - Myra Myrenburg - E-Book

Hab Vertrauen, Jannik E-Book

Myra Myrenburg

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Als Astrid Lüdecke die Erkenntnis dämmerte, daß sie schwanger war, kreiste sie in einem Hubschrauber über einem Tal im Himalaya, das von oben aus betrachtet nicht größer erschien als eine Gebirgsspalte. Die Gegend war kürzlich von einem Erdbeben erschüttert worden, und wenn nicht alsbald Hilfe kam, würden die Menschen in dieser abgeschiedenen Region den Winter nicht überleben. Der Hubschrauberpilot hieß Gerrit. Ebenso wie Astrid war er ein Spezialist für Rettungseinsätze. Gemeinsam hatten sie schon so manche Aktion der IHO durchgeführt, und auch diesmal würden sie nicht in das Basislager zurückkehren, ohne ihren Auftrag erfüllt zu haben. Schwangerschaft hin oder her, auch der zweite Teil des Unternehmens mußte bewältigt werden, obwohl er bedeutend anstrengender war als der erste, zumindest für Astrid, die nach der Landung einen klapprigen LKW über schwindelnde Gebirgspfade steuern mußte, nachdem die Hilfsgüter aus dem Hubschrauber auf die Tragfläche des Lasters umgeladen worden waren. Gerrit flog inzwischen zum Lager zurück, um die zweite Ladung zu holen, und erst bei Einbruch der Dunkelheit würde die Aktion dieses Tages beendet sein. Das Dorf lag nur dreißig Kilometer vom Landungsplatz entfernt, aber der Weg dorthin war so abenteuerlich, daß Astrid unwillkürlich die Luft anhielt, als sie den Wagen im Schrittempo um die halsbrecherischsten Kurven lenkte, die sie jemals befahren hatte. Und das wollte viel heißen, denn ursprünglich war sie Rallye-Fahrerin gewesen, bis sie durch Zufall zur IHO gestoßen war. Seitdem hatte sich ihre ganze Lebenseinstellung geändert. Wenn sie es schon nicht lassen konnte, gelegentlich bis ans Limit zu gehen, dann sollte wenigstens etwas Sinnvolles dabei herauskommen. Sie hatte es nie bereut. Sie war gut in ihrem Job, und sie wußte es. Im Team wurde sie von jedermann geschätzt, und, was Astrid besonders freute: ihre Mutter war stolz auf sie. Damit hatte sie fast nicht mehr gerechnet, denn Gisela Lüdecke war äußerst anspruchsvoll in jeder nur möglichen Hinsicht, und von ihrer einzigen Tochter erwartete sie besonders viel. An diesem Tag, in einem abgelegenen Tal des Himalaya, als ihr klar wurde, daß sie ein Kind erwartete, empfand Astrid ein rauschhaftes Glücksgefühl und eine tiefe Dankbarkeit. Hatte sie nicht alles erreicht, was eine Frau erreichen konnte? War sie nicht vom Schicksal begünstigt gewesen von Anfang an? Ein nobles Elternhaus und wunderbare Menschen, die sie großgezogen – wahrlich, sie konnte sich nicht beklagen. Und all die guten Gaben, die sie in die Wiege gelegt bekommen hatte: Intelligenz, Mut, Tapferkeit, technisches Verständnis, Geschicklichkeit, Aufgeschlossenheit und dazu, was auch nicht ganz zu verachten war, eine äußere Erscheinung, die selbst in plumpen Steppjacken und Bergstiefeln noch bewundernde Blicke hervorrief.

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Mami Bestseller – 87 –

Hab Vertrauen, Jannik

... denn Liebe ist dir ganz gewiss

Myra Myrenburg

Als Astrid Lüdecke die Erkenntnis dämmerte, daß sie schwanger war, kreiste sie in einem Hubschrauber über einem Tal im Himalaya, das von oben aus betrachtet nicht größer erschien als eine Gebirgsspalte. Die Gegend war kürzlich von einem Erdbeben erschüttert worden, und wenn nicht alsbald Hilfe kam, würden die Menschen in dieser abgeschiedenen Region den Winter nicht überleben.

Der Hubschrauberpilot hieß Gerrit. Ebenso wie Astrid war er ein Spezialist für Rettungseinsätze. Gemeinsam hatten sie schon so manche Aktion der IHO durchgeführt, und auch diesmal würden sie nicht in das Basislager zurückkehren, ohne ihren Auftrag erfüllt zu haben.

Schwangerschaft hin oder her, auch der zweite Teil des Unternehmens mußte bewältigt werden, obwohl er bedeutend anstrengender war als der erste, zumindest für Astrid, die nach der Landung einen klapprigen LKW über schwindelnde Gebirgspfade steuern mußte, nachdem die Hilfsgüter aus dem Hubschrauber auf die Tragfläche des Lasters umgeladen worden waren.

Gerrit flog inzwischen zum Lager zurück, um die zweite Ladung zu holen, und erst bei Einbruch der Dunkelheit würde die Aktion dieses Tages beendet sein. Das Dorf lag nur dreißig Kilometer vom Landungsplatz entfernt, aber der Weg dorthin war so abenteuerlich, daß Astrid unwillkürlich die Luft anhielt, als sie den Wagen im Schrittempo um die halsbrecherischsten Kurven lenkte, die sie jemals befahren hatte. Und das wollte viel heißen, denn ursprünglich war sie Rallye-Fahrerin gewesen, bis sie durch Zufall zur IHO gestoßen war. Seitdem hatte sich ihre ganze Lebenseinstellung geändert. Wenn sie es schon nicht lassen konnte, gelegentlich bis ans Limit zu gehen, dann sollte wenigstens etwas Sinnvolles dabei herauskommen.

Sie hatte es nie bereut.

Sie war gut in ihrem Job, und sie wußte es. Im Team wurde sie von jedermann geschätzt, und, was Astrid besonders freute: ihre Mutter war stolz auf sie. Damit hatte sie fast nicht mehr gerechnet, denn Gisela Lüdecke war äußerst anspruchsvoll in jeder nur möglichen Hinsicht, und von ihrer einzigen Tochter erwartete sie besonders viel.

An diesem Tag, in einem abgelegenen Tal des Himalaya, als ihr klar wurde, daß sie ein Kind erwartete, empfand Astrid ein rauschhaftes Glücksgefühl und eine tiefe Dankbarkeit. Hatte sie nicht alles erreicht, was eine Frau erreichen konnte? War sie nicht vom Schicksal begünstigt gewesen von Anfang an? Ein nobles Elternhaus und wunderbare Menschen, die sie großgezogen – wahrlich, sie konnte sich nicht beklagen. Und all die guten Gaben, die sie in die Wiege gelegt bekommen hatte: Intelligenz, Mut, Tapferkeit, technisches Verständnis, Geschicklichkeit, Aufgeschlossenheit und dazu, was auch nicht ganz zu verachten war, eine äußere Erscheinung, die selbst in plumpen Steppjacken und Bergstiefeln noch bewundernde Blicke hervorrief.

Ja, sie hatte enorm viel Glück gehabt, auch in der Liebe, nämlich mit Florian, dem sie ihren Einstieg in die IHO verdankte. Er war ihr in Kaschmir über den Weg gelaufen, wo sie mit einer Gruppe Extremsportler unterwegs war. Er hatte sie sozusagen abgeworben und in die Organisation eingeführt, die ein Allround-Genie, wie sie eines war, händeringend brauchen konnte.

Florian war der Arzt vor Ort gewesen, ein Mitglied auf Zeit, wie die meisten, die weder dem Technischen Hilfswerk angehörten noch einem internationalen Gesundheitsdienst. Er kam aus Karlsruhe, einer Stadt, von der Astrid gehört hatte, ihre Einwohnerschaft bestünde in der Hauptsache aus wohlhabenden Pensionären.

Florian bestritt dies lebhaft, führte sich selbst als bestes Beispiel an und war nicht davon abzubringen, genau dorthin zurückzukehren, woher er gekommen war. Dennoch: er war die Liebe ihres Lebens. Sein schmaler, dunkler Kopf tauchte in ihren Tagträumen auf, seine braunen Augen blickten voller Wärme zu ihr hinüber, seine Stimme, tief und weich, vibrierend vor Zärtlichkeit, war imstande, die Distanz von Zeit und Raum zu überwinden und sich auch dann in Erinnerung zu bringen, wenn kein Telefon weit und breit existierte.

Sie hatten einen gemeinsamen Stern am Firmament, den sie zu einer bestimmten Stunde anschauten, und wenn sie sich nicht sehr irrte, würden sie bald auch ein gemeinsames Kind haben.

Kein Wunder, daß sie randvoll war von Glücksgefühl, von Dankbarkeit und freudiger Erwartung.

Das Tal, als sie es erreichte, weitete sich vor ihren Augen, wurde licht durch die Sonne, die hoch über einer riesigen Bergwand stand, und empfand sie mit seinem Zauber, von dem bereits in alten Schriften die Rede gewesen war. Hier hatte man Shangrila vermutet, das legendäre Tal des Himmels, das dem Paradies vergleichbar war.

Aber schon bevor das Erdbeben die Region heimsuchte, hatten politische Zwistigkeiten den Ruf des Tales zerstört. Astrid, die ohnehin nie an ein Paradies auf Erden geglaubt hatte, weder in Kaschmir noch anderswo, fühlte sich durch den Blick auf das Tal an diesem Morgen jedoch seltsam berührt.

Vergessen waren die Strapazen der Anreise, als sie den Laster am Rande des Dorfes parkte, wo sich in aller Eile eine große Menschenschar versammelte, um die begehrten Güter in Empfang zu nehmen.

Ihr helles Haar lugte leuchtend unter der Fellmütze hervor. Ihr Gesicht strahlte, als sie sich zu einer Tasse heißen Tee an einem provisorischen Tisch unter freiem Himmel niederließ. Sie zuckte mit keiner Wimper, als sie feststellte, daß der Tee nicht gezuckert, sondern gebuttert war. Denn inzwischen kannte sie sich aus in den Eßgewohnheiten nicht nur im Himalaya, sondern auch anderswo, und sie wußte, daß Gastfreundschaft selbstverständlich war, selbst dort, wo kein Stein mehr auf dem anderen stand.

Dreimal fuhr Astrid an diesem Tag den Laster vom Landeplatz zum Dorf. Dann bestieg sie den Hubschrauber und flog mit Gerrit zurück zum Basislager.

Nachdem sie sich einen kurzen Aufenthalt in der Dusche erkämpft hatte – es gab nur zwei, die funktionierten, für ein Dutzend Personen, hauptsächlich Mannsleute –, versuchte sie mehrmals, in Karlsruhe anzurufen.

Vergeblich.

Die telefonische Verbindung nach Deutschland klappte wieder mal überhaupt nicht.

Dafür war der Himmel klar, und wenn schon die Technik versagte, blieb immer noch die Telepathie. Draußen vor der Unterkunft stand Astrid und blickte zum Himmel hinauf, rief in ihrem Herzen nach Florian und konzentrierte sich auf ihren gemeinsamen Stern, der zu dieser Stunde hoch über den Wipfeln einer Baumgruppe stand.

In Karlsruhe war es jetzt acht Uhr abends. Hoffentlich konnte Florian den Stern sehen! Hoffentlich hatte er eine klare Sicht. Hoffentlich war ihm nichts dazwischengekommen. Sie wollte sich so gern vorstellen, wie sich ihre Blicke trafen, dort oben am Himmelszelt.

Künftig würde sie nicht nur an Florian denken, wenn sie den Stern sah, sondern auch an das Kind, das sie im nächsten Jahr zur Welt bringen würde.

*

Das Leben in Karlsruhe war gar nicht so übel.

Insgeheim hatte Astrid befürchtet, daß sie vor Langeweile vergehen würde, aber dazu hatte sie keinen Grund. Nach ihrer Rückkehr aus dem Himalaya war sie nicht, wie sonst üblich, zuerst nach Hause ins Hannoversche zu ihrer Mutter gefahren, sondern schnurstracks zu Florian.

Er hatte sich überhaupt nicht verändert, weder äußerlich noch innerlich. Das war so bei ihm, er blieb wie er war, unterwarf sich keinem Trend, keiner Mode und er lebte noch genauso bescheiden wie in seiner Studentenzeit.

Die Wohnung in der Höhenstraße teilte er mit seinem Freund Tom Heller, und als Astrid kam, rückten sie bereitwillig zusammen, überließen ihr das gemeinsame Wohnzimmer und hatten nichts dagegen, daß sie sich an den Kosten beteiligte.

Florian arbeitete als Assistenzarzt in einem großen Klinikum. Tom war Physiker, hatte erst kürzlich sein Studium beendet und schrieb derzeit an seiner Doktorarbeit. Nachts fuhr er Taxi. Beide waren knapp dreißig und ständig knapp bei Kasse, aber dennoch guten Mutes. Sie waren anspruchsvoll, teilten sich einen betagten Kleinwagen, fuhren meistens mit dem Rad, trugen Jeans und T-Shirts im Sommer und dasselbe mit Parkas drüber im Winter.

Beide konnten ausgezeichnet kochen – besser als Astrid – und verrichteten klaglos jede Hausarbeit.

Florians Freude über die vermutete Schwangerschaft seiner Freundin war herzlich und aufrichtig, aber er bestand natürlich auf einer gynäkologischen Untersuchung, die den letzten Zweifel beseitigen sollte.

Ende November ging Astrid zu Frau Doktor Hillebrecht, einer von Florians Kollegen wärmstens empfohlenen Ärztin, und sie erfuhr, was sie ohnehin wußte, nämlich daß sie in der ersten Junihälfte ein Kind zur Welt bringen würde.

Am Abend dieses Tages wurde in der Höhenstraße 14, zweiter Stock, gefeiert wie noch nie. Sektkorken knallten, Freunde und Verwandte wurden angerufen und eine Menge alberner Pläne entworfen.

Tom brachte ein improvisiertes Festessen auf den Tisch, Florian malte einen phantasievollen Stammbaum auf einen großen Bogen Packpapier und heftete ihn an die Küchentür. Astrid überließ sich der heiter gelösten Stimmung, aß mit Appetit und fühlte sich rundherum wohl.

Ein paar Tage später fuhr sie nach Holstenbeck, einem Villenvorort von Hannover, wo sie aufgewachsen war und von ihrer Mutter erwartet wurde. Seit Astrid bei IHO tätig war, hatte sie nur unregelmäßig Urlaub, und seit sie Florian kannte, hatte sie ihre gesamte Freizeit mit ihm verbracht.

Menschenskind, Mutter, wollte sie rufen, munter und gut gelaunt, als sie durch die schwere Eingangstür trat, die mit einem Kranz aus Tannengrün, Strohsternen und roten Schleifchen geschmückt war, wie lange haben wir uns nicht gesehen? Zehn Monate? Ein Jahr?

Aber die Worte blieben ihr im Hals stecken, denn ihre Mutter kam ihr nicht wie sonst mit raschen Schritten und ausgestreckten Händen entgegen.

Gisela Lüdecke saß im Rollstuhl, ihr Haar war nicht mehr honigblond, sondern schlohweiß, und ihre Stimme klang ein wenig schleppend.

»Komm her, laß dich umarmen«, sagte sie mit einem Lächeln, das ihrer Tochter Tränen in die Augen trieb, »und glaub mir – es ist längst nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht.«

»Na hör mal!« stieß Astrid entgeistert hervor. Während sie noch nach Worten suchte, lenkte ihre Mutter den Rollstuhl bereits mit großer Geschicklichkeit quer durch die Diele in die riesige Küche, wo sie vorsichtig ausstieg.

»Siehst du, kleine Strecken kann ich schon wieder im Gehen bewältigen«, sagte sie, stützte sich am langen Tisch ab und griff nach der Kaffeedose.

»Aber dein Haar«, stammelte Astrid, der einfach nichts anderes einfiel, »was ist passiert, daß du über Nacht weiß geworden bist?«

»Ach was«, Gisela Lüdecke schüttelte unwillig den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die gepflegte Frisur, »bin seit Jahren ergraut, nur war ich bis jetzt immer durchgehend gefärbt, und zwar in meiner Naturfarbe.«

»Aber das hätte ich doch merken müssen!«

»Wieso denn! Ich habe einen berühmten Frisör und eine ausgezeichnete Visagistin, die meinen Teint auf die Haarfarbe abgestimmt hat. Vergiß nicht, Schätzchen, daß ich im Showbusineß arbeite!«

Gisela lächelte verschmitzt, aber Astrid ging nicht darauf ein.

»Du bist Fernsehmoderatorin«, sagte sie abweisend, »du hast deine eigene Sendung. Mit Showbusineß hat das nichts zu tun, gar nichts.«

»Nun sei doch nicht so tierisch ernst«, rief ihre Mutter und schaltete die Kaffeemaschine ein, »deck lieber den Tisch für drei Personen und nimm das Gebäck aus dem Kühlschrank!«

»Wer kommt noch?«

»Eigentlich hatte ich eine kleine Wiedersehensfeier geplant mit der Verwandtschaft und anderen bekannten Gesichtern. Aber davon habe ich abgesehen, als ich die frohe Botschaft von deiner Schwangerschaft erhielt, in der Annahme, wir hätten vielleicht zuviel Privates zu bereden in zu kurzer Zeit. Deshalb kommt nur Babette, sie wäre sowieso heute gekommen, und sie ist ja kein Besuch im strengen Sinne, nicht wahr?«

Nein. Natürlich nicht.

Astrid hätte auch gegen eine größere Runde nichts einzuwenden gehabt. Mit Babette, der langjährigen Sekretärin ihrer Mutter, hatte sie sogar fest gerechnet.

»So, und jetzt erzähl mal«, befahl Gisela Lüdecke, tastete sich an den Tisch und ließ sich auf einem Stuhl am Kopfende nieder. Die Ähnlichkeit zwischen ihnen war nicht zu übersehen, obwohl die Krankheit gewisse Spuren hinterlassen hatte.

»Zuerst will ich wissen, warum du das alles nur am Rande erwähnt hast«, sagte Astrid, immer noch grollend, »was hast du eigentlich gehabt? Einen Schlaganfall?«

»Ja, so was Ähnliches. Ich habe dich aber immer auf dem laufenden gehalten.«

»Schön wär’s! Tatsache ist, du hast es heruntergespielt, die ganze Zeit, und du tust es immer noch. Darin bist du wirklich ganz groß! Mutter, das ist nicht fair!«

»So, und jetzt haben wir lange genug von mir geredet«, unterbrach Gisela Lüdecke, »der Kaffee ist fertig. Du kannst schon mal eingießen. Wann dürfen wir den neuen Erdenbürger denn erwarten?«

»Anfang Juni. Ich hab’s nun auch schwarz auf weiß.«

»Wie hat der junge Vater die Neuigkeit aufgenommen?«

»Er ist total aus dem Häuschen vor Freude.«

»Dann ist wohl mit einer Hochzeit in absehbarer Zeit zu rechnen?«

»Du, das haben wir eigentlich nicht vor.«

»Warum nicht?«

»Wir lieben uns, das ist die Hauptsache. Oder siehst du das anders?«

»Ich weiß es nicht, Astrid«, sagte Gisela langsam, »zu meiner Zeit hat sich die Frage nicht gestellt. Grundsätzlich bin ich der Ansicht, daß ihr beide allein darüber zu entscheiden habt. Ich halte euch für alt genug, gescheit genug und reif genug, das Richtige zu tun, und darüber hinaus…«

»Ja?« fragte Astrid aufmerksam.

»Müßt ihr imstande sein, die Tragweite eurer Entscheidung zu überblicken.«

»Klar, aber kritisch betrachtet machen wir doch nichts falsch, wenn wir alles lassen wie es ist. Heiraten können wir jederzeit immer noch.«

Gisela hob die Schultern, nippte an ihrem Kaffee und nickte ihrer Tochter zu.

»Nun, wie gesagt, es bleibt eure alleinige Entscheidung. Ich will ja bloß wissen, wie es weitergehen soll. Ein Kind verändert dein Leben, soviel kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Wie stellst du dir die Zukunft vor, beruflich gesehen?«