Wir haben dich gewollt - Myra Myrenburg - E-Book

Wir haben dich gewollt E-Book

Myra Myrenburg

5,0

Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Als Hildegard Kranzler erfuhr, daß sie Großmutter werden sollte, war sie fünfundvierzig Jahre alt. Sie saß vor ihrem Toilettentisch und musterte sich kritisch in dem schwungvoll geformten dreiteiligen Spiegel. Sie hatte soeben ihr erstes graues Haar entdeckt, und wenn das, was Judith in diesen Minuten äußerte, kein Hirngespinst war, würde sich die Zahl der grauen Haare in Windeseile verzehnfachen.»Sag es noch einmal, Schätzchen«, bat Hildegard, obwohl sie viel darum gegeben hätte, es nicht mehr hören zu müssen, zumindest nicht in den nächsten drei Jahren, aber das Schicksal hatte bereits anders entschieden.»Ich bekomme ein Baby«, wiederholte Judith und biß herzhaft in einen Schokoriegel, dessen bunt bedrucktes Silberpapier durch das offene Fenster entschwebte.»Aaah ja?« sagte Hildegard gedehnt. Sie kam sich unsagbar töricht vor, weil ihr sonst nichts einfiel, einfach gar nichts, denn die verzweifelte Hoffnung, es könne sich nur um einen dummen Scherz handeln, beseelte sie immer noch.»Im März«, fuhr Judith kauend fort, »so um den fünfzehnten herum.Hildegard sank auf dem flauschigen Hocker zusammen. Eine derart konkrete Angabe löschte auch den letzten Hoffnungsfunken aus.»Woher weißt du es so genau, Schätzchen?« fragte sie mit dumpfer Verwunderung, denn ihre Tochter war siebzehneinhalb und mit der Terminologie einer Schwangerschaft keineswegs vertraut.»Von Elaine«, sagte Judith in beschwichtigendem Ton, offenbar nahm sie an, daß dies zur Beruhigung beitrug, denn Elaine war nicht nur Hildegards Freundin, sondern auch die erfolgreichste Gynäkologin in Torreval, der schönen heißen Stadt an der karibischen Küste.Hildegard ließ die silberne Haarbürste auf die Glasplatte der Frisierkommode fallen, daß es klirrte.»Du hast – du hast dich untersuchen lassen?« stieß sie fassungslos hervor, ungläubig und heiser vor Erregung.»Na sicher«, erwiderte Judith schlicht, »was denn sonst?Minutenlang blieb es still in dem damenhaften Schlafzimmer mit den matt glänzenden pfirsichfarbenen Wänden, den wehenden cremeweißen golddurchwirkten Vorhängen und dem dunkel gebeizten Holzdekor.»Wer ist der Vater?

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Mami Bestseller – 6 –

Wir haben dich gewollt

Für ein junges Paar verändert sich die Welt

Myra Myrenburg

Als Hildegard Kranzler erfuhr, daß sie Großmutter werden sollte, war sie fünfundvierzig Jahre alt. Sie saß vor ihrem Toilettentisch und musterte sich kritisch in dem schwungvoll geformten dreiteiligen Spiegel. Sie hatte soeben ihr erstes graues Haar entdeckt, und wenn das, was Judith in diesen Minuten äußerte, kein Hirngespinst war, würde sich die Zahl der grauen Haare in Windeseile verzehnfachen.

»Sag es noch einmal, Schätzchen«, bat Hildegard, obwohl sie viel darum gegeben hätte, es nicht mehr hören zu müssen, zumindest nicht in den nächsten drei Jahren, aber das Schicksal hatte bereits anders entschieden.

»Ich bekomme ein Baby«, wiederholte Judith und biß herzhaft in einen Schokoriegel, dessen bunt bedrucktes Silberpapier durch das offene Fenster entschwebte.

»Aaah ja?« sagte Hildegard gedehnt. Sie kam sich unsagbar töricht vor, weil ihr sonst nichts einfiel, einfach gar nichts, denn die verzweifelte Hoffnung, es könne sich nur um einen dummen Scherz handeln, beseelte sie immer noch.

»Im März«, fuhr Judith kauend fort, »so um den fünfzehnten herum.«

Hildegard sank auf dem flauschigen Hocker zusammen. Eine derart konkrete Angabe löschte auch den letzten Hoffnungsfunken aus.

»Woher weißt du es so genau, Schätzchen?« fragte sie mit dumpfer Verwunderung, denn ihre Tochter war siebzehneinhalb und mit der Terminologie einer Schwangerschaft keineswegs vertraut.

»Von Elaine«, sagte Judith in beschwichtigendem Ton, offenbar nahm sie an, daß dies zur Beruhigung beitrug, denn Elaine war nicht nur Hildegards Freundin, sondern auch die erfolgreichste Gynäkologin in Torreval, der schönen heißen Stadt an der karibischen Küste.

Hildegard ließ die silberne Haarbürste auf die Glasplatte der Frisierkommode fallen, daß es klirrte.

»Du hast – du hast dich untersuchen lassen?« stieß sie fassungslos hervor, ungläubig und heiser vor Erregung.

»Na sicher«, erwiderte Judith schlicht, »was denn sonst?«

Minutenlang blieb es still in dem damenhaften Schlafzimmer mit den matt glänzenden pfirsichfarbenen Wänden, den wehenden cremeweißen golddurchwirkten Vorhängen und dem dunkel gebeizten Holzdekor.

»Wer ist der Vater?« fragte Hildegard flüsternd.

»Benjamin natürlich«, sagte Judith laut und ein wenig vorwurfsvoll. »Wir sind doch schon ewig zusammen.«

Ewig? Anderthalb Jahre vielleicht, und abgesehen davon, war die Jugend denn nicht hinreichend aufgeklärt? War sie nicht, im Gegensatz zu den früheren bedauernswerten Generationen in der glücklichen Lage, ihr Schicksal selbst zu bestimmen?

»Ich habe das nicht eingesehen«, murrte Judith, als habe sie die Gedanken ihrer Mutter gelesen, »mich immerzu vollzustopfen mit Hormonen, kann doch nicht gesund sein.«

Immerhin bewahrt es dich vor unerwünschtem Nachwuchs, wollte Hildegard sagen, aber sie hielt an sich und murmelte statt dessen matt: »Darüber, beispielsweise, hättest du mit Elaine sprechen können – vorher allerdings, nicht nachher.«

»Tja«, seufzte Judith und lächelte verloren zum Fenster hinaus, »hinterher ist man meistens schlauer, nicht wahr?«

Dann schlug sie wieder den arglosen Beschwichtigungston an.

»Komm, mach keinen Streß, Mutsch! Ich dachte, du würdest es nicht so tragisch nehmen.«

»Na, hör mal! Du hast im nächsten Jahr dein Abitur vor dir. Statt dessen wirst du die Schule schmeißen und niederkommen, und der Himmel weiß, was danach sein wird. Und das soll ich nicht tragisch nehmen? Was sagt Benjamin denn dazu?«

Judith hob die Schultern unter dem lappigen alten T-Shirt, das sie zusammen mit zerknitterten schwarzen Boxershorts als Nachtwäsche trug und blinzelte ihre Mutter im Spiegel an. »Benjamin? Er freut sich.«

Hildegard mußte die Augen schließen beim Gedanken an Gerald und Lucie Holborn, Benjamins Eltern, amerikanische Geschäftsleute, die ständig zwischen Torreval und Washington und Miami Beach hin- und herpendelten, lederhäutig, hartgesotten, mit gebleichtem Haar und scharfen hellen Augen. Sie hatten zwei längst erwachsene, verheiratete Töchter irgendwo auf der Welt. Benjamin war der Nachzügler, deshalb hatten sie ihn so genannt.

Während der letzten drei Jahre war er in Torreval in die amerikanische Schule gegangen, hatte vor ein paar Wochen seinen Abschluß gemacht und man konnte getrost davon ausgehen, daß er für das Herbstsemester bereits an einer Universität eingeschrieben war.

»Soso, er freut sich«, murmelte Hildegard. »Soll das heißen, er will dich heiraten?«

»Er will unbedingt. Die Frage ist nur, ob ich es will«, antwortete ihre Tochter mit einem grüblerischen Ausdruck im weichen, sanft gerundeten Gesicht. »Das steht nämlich noch gar nicht fest. Wenn ich mir ansehe, was aus den meisten geworden ist, wenn sie erst mal verheiratet sind – nimm nur Robert und Lioba oder Alex und Cindy – solange sie nur miteinander gingen, waren sie ein Herz und eine Seele, und kaum waren sie verheiratet – boing –« Julia schlug sich mit der rechten Faust auf die linke Handfläche, »gab es nur noch Zoff und Zank und Tränen. Also, das fällt mir wirklich auf. Ist doch komisch, nicht?«

»Vielleicht waren sie zu verwöhnt oder zu unreif, wer weiß das schon. Ihr alle habt keine Ahnung vom Ernst des Lebens, Schätzchen, und was dich und Benjamin betrifft – ihr seid noch dazu so schrecklich jung. Er kann doch höchstens achtzehn sein.«

»Stimmt, aber wenn das Baby kommt, ist er neunzehn, und außerdem«, Judith massierte sich die nackten braunen Unterarme und starrte gedankenverloren vor sich hin, »sind ältere, verheiratete Leute ja auch nicht übermäßig happy. Sie machen vielleicht kein so großes Drama daraus wie Robert und Lioba, aber irgendwie – also, ich weiß nicht, vielleicht ist nach so langer Zeit einfach die Luft raus. Kann ja sein, nicht?«

»Schon möglich«, sagte Hildegard stirnrunzelnd und ein wenig irritiert, »aber auf die anderen kommt es nicht an, nur auf dich und Benjamin und in gewisser Weise wohl auch auf das Kind. Ich nehme an, du willst es bekommen und behalten.«

»Klar! Wieso nicht?«

»Es wird dein Leben total verändern, Schätzchen.«

»Ach sooo«, Judith klang hörbar erleichtert, »ich dachte schon, du willst mich aufmerksam machen auf die Kellers und die Achenbachs, die so gern ein Kind adoptieren würden und bis jetzt nicht weitergekommen sind wegen der neuen strengen Gesetze hier. Und überhaupt, es soll ja gar nicht so einfach sein.«

»Richtig.«

»Also, für mich käme das nie in Frage«, sagte Judith sehr entschlossen und zog einen zweiten, sehr zerdrückten Schokoriegel aus der Tasche ihrer Boxershorts. »Und für Benjamin auch nicht. Ich glaube«, sie knüllte das Silberpapier zu einem Kügelchen zusammen, warf es in die Luft und fing es geschickt wieder auf, »wir sollten doch lieber heiraten, damit keiner von euch auf so komische Gedanken kommt. Heute ist Zeugnisverteilung und anschließend die übliche Schuljahresabschlußfeier. Was meinst du, soll ich anziehen?«

»Egal was«, rief Hildegard mit einem Blick auf die kleine, antike Uhr unter dem Glassturz, »Hauptsache es geht schnell. Du hast noch zehn Minuten Zeit.«

»Ach, das schaffe ich locker«, erwiderte Judith lässig, küßte ihre Mutter auf die Schläfe und war im nächsten Moment verschwunden wie ein Geist.

Es war halb acht.

Die Geräusche des Hauses drangen nur gedämpft hinauf in das pfirsichfarbene Zimmer. Unten ging alles seinen gewohnten Gang, wie immer um diese Tageszeit. Letitia führte die Oberaufsicht in der Küche. Armando, der Fahrer, war von seiner ersten Dienstfahrt schon zurück und konnte Judith gleich zur Schule bringen.

Rupert Kranzler, der Herr des Hauses, deutscher Botschafter in Torreval, hatte bereits um sechs Uhr ein paar Runden im Pool geschwommen, anschließend gefrühstückt, die Nachrichten gehört und die Zeitung gelesen. Seit zwanzig Minuten saß er an seinem überdimensionalen Schreibtisch in einem alten Kastell mit Blick über den Hafen, das die deutsche diplomatische Vertretung beherbergte.

Hildegard versuchte sich zu sammeln und den Terminplan ihres Mannes zu rekapitulieren. Um ihm die jüngste Neuigkeit so schonend wie möglich beizubringen, mußte man einen günstigen Moment erwischen. Rupert war ein Stimmungsmensch. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß seine Reaktion weitgehend von seiner inneren und äußeren Verfassung abhing. Je nachdem, wie schwer er die ganze Sache nahm, mußte sie mit massiven Vorwürfen rechnen, denn Rupert vertrat den Standpunkt, daß die Erziehung seiner Tochter ausschließlich in den Händen der Mutter lag. Wie es gewesen wäre, wenn sie einen Sohn gehabt hätten, blieb dahingestellt, denn Judith war ihr einziges Kind, das ihnen bisher keine nennenswerten Sorgen gemacht hatte.

Am besten, dachte Hildegard, wartete man den frühen Abend ab, wenn Rupert noch einmal geschwommen und sich umgezogen hatte. Dann, wenn er in Erwartung des Essens mit einem leichten Drink auf der Terrasse saß, konnte man am ehesten auf eine entspannte Atmosphäre und eine milde Stimmung hoffen.

Normalerweise, bei den vielen kleinen Unebenheiten, die es im Leben eines Kindes auszugleichen galt, hatte sie ihn gar nicht zugezogen. Aber diesmal kam sie nicht daran vorbei. Diesmal ging es nicht um Nachhilfestunden in Mathematik, nicht um die Wahl eines Ferienlagers, nicht um die Aufgabe des Klavierunterrichts, nicht einmal um die Frage, ob und mit wem Judith übers Wochenende nach Costa Hermigua fahren durfte.

Nun ja.

Manches konnte man sich nicht aussuchen. Man mußte es nehmen, wie es kam, und das, was jetzt wie ein schwerer Schicksalsschlag aussah, würde sich später vielleicht als Vorteil erweisen.

Kann sein, dachte Hildegard, kann auch nicht sein. Jedenfalls wollte sie so lange wie möglich an ihrer positiven Grundeinstellung festhalten. Ohne einen gewissen angeborenen Optimismus hätte sie die vielen Stationen auf Ruperts beruflichem Weg gar nicht bewältigen können, deren jede mit einem mehr oder weniger krassen Ortswechsel verbunden gewesen war. Und bei weitem nicht überall hatte sie eine so angenehme, heiter beschwingte Umgebung vorgefunden wie hier in Torreval, wo keine politischen Spannungen herrschten und man bei aller karibischen Lebensfreude nicht auf die Segnungen des technischen Fortschritts und der europäischen Kultur zu verzichten brauchte.

Insofern, dachte Hildegard, hätte sich manches schlechter fügen können, zum Beispiel im Kongo oder in Malaysia, nicht zu reden von den vielen neuen Republiken, die aus dem alten Rußland hervorgegangen waren, oder auch in China, wo die Sprache ein schier unüberwindliches Hindernis darstellte.

Nachdem sie sich auf diese Art ermutigt und innerlich gerüstet hatte, stand Hildegard auf und ging zum Telefon, das neben ihrem Bett stand, um Elaine Thompson anzurufen.

*

Die Jahresabschlußfeier der internationalen Schule war ein erhebendes Ereignis, von musikalischen Beiträgen umrahmt und verschiedenen Ansprachen begleitet.

Judith saß zwischen ihren Freundinnen Valerie und Patricia, blätterte verstohlen in ihrem Zeugnisheft und unterdrückte nur mit Mühe ihre Ungeduld. Erstens kam ihr die Feier zum Gähnen langweilig vor, zweitens war sie noch vor dem Mittagessen mit Benjamin an der Uferpromenade verabredet. Außerdem, da sie wußte, daß sie das nächste Schuljahr nicht mehr abschließen würde, hatte sie das Gefühl, als gingen sie das alles jetzt schon nichts mehr an.

Schade um die ziemlich guten Noten, die das Zeugnis zierten und als Basis für ein annehmbares Abitur durchaus geeignet gewesen wären. Aber, wie ihre Mutter immer sagte: alles kann man nicht haben. Und das Baby, die aufregendste Sache der Welt, war dem Abitur natürlich vorzuziehen.

Noch wußten Valerie und Patricia nichts von den glücklichen Umständen, in denen sich Judith befand, und es konnte sogar sein, daß sie diese Umstände nicht für besonders glücklich hielten, was allerdings kaum vorstellbar war.

Judith nämlich fand sich selbst eher beneidenswert als bemitleidenswert, schon deshalb, weil Benjamin so treu und unerschütterlich zu ihr stand; weil sie immer noch lieb miteinander umgingen, vergnügt miteinander

waren und sich immer umeinander kümmerten. Ja, das taten sie, das hatten sie von Anfang an getan.

Keine Sorge, die sie nicht geteilt, keine Hilfe, die sie einander verweigert hätten. Sie hatte ihm Gesellschaft geleistet, wenn seine Eltern in den Staaten waren und er sich in dem großen Haus verloren fühlte, er hatte ihr Rückenschwimmen beigebracht und die richtige Atemtechnik, so daß sie endlich keine Panikanfälle im Wasser mehr bekam.

Sie hatte ihm in seinen schwachen Fächern geholfen, Fremdsprachen hauptsächlich, und er ihr in Mathematik. Sie hatten schon lange keine Geheimnisse mehr voreinander. Sie vertrauten einander rückhaltlos, und so war es ihnen gelungen, gemeinsam alle großen und kleinen Ängste abzubauen.

All dies konnte man anderen Leuten natürlich nicht erklären, weder Valerie noch Patricia noch Benjamins Schulfreunden und am allerwenigsten den beiderseitigen Eltern.

Man mußte schon froh sein, wenn sie einem keine Steine in den Weg legten, beispielsweise die Zustimmung zur gesetzlichen Eheschließung verweigerten. Denn, wie Elaine Thompson ihr kürzlich erklärt hatte, brauchte Judith dazu die schriftliche Einwilligung ihrer Eltern, weil sie noch nicht großjährig war.

Nun, am zehnten Januar wurde sie achtzehn. Notfalls würden sie mit der Hochzeit so lange warten. Aber sie glaubte nicht ernstlich daran, daß es derart gravierende Schwierigkeiten geben würde. Mit ihrer Mutter keinesfalls, und ihr Vater war erfahrungsgemäß viel zu beschäftigt, um sich mehr zu engagieren als unbedingt nötig war.

Die Feier neigte sich dem Ende zu. Der gemischte Chor, dem Judith früher einmal angehört hatte, sang einen schönen deutschen Kanon und anschließend ein englisches Volkslied, und wie immer schloß er mit der französischen Version von ›Nehmt Abschied, Brüder‹.

Dann erhob sich das übliche freudige Raunen, begleitet vom Scharren unzähliger Füße. Man wünschte sich gegenseitig schöne Ferien und drängte dem Ausgang zu.

Judith verabschiedete sich von Patricia, die schon morgen mit ihren Eltern nach London reisen würde, und verabredete sich lose mit Valerie für einen Tag in der nächsten Woche, vorzugsweise den Dienstag, dann gab es im Café Europa Waffeln mit heißen Kirschen und Vanilleeis.

Es war elf Uhr vormittags.