Endlich Freyja ! - Anabella Freimann - E-Book

Endlich Freyja ! E-Book

Anabella Freimann

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Beschreibung

„Frauen kommen langsam, aber gewaltig“, sangen Ina Deter und Band in den 80ern. Dieser Titel passt zu Franziska. Nachdem sie ihr Leben eingezwängt in ein familiäres und gesellschaftliches Korsett eher fristet als lebt, sprengt sie mutig die inneren Fesseln und lebt ihr Frau-Sein in allen Facetten aus. Mit gelegentlichem, manchmal schmerzvollen Blick zurück in ihre wenig glückliche Kindheit und Jugend und dem frechen Trotz einer endlich erwachten reifen und schönen Frau der Gegenwart sprengt sie klischeehafte Tabus, die den Frauen ab 50 sowohl durch die eigenen Mütter und die Gesellschaft diktiert werden. Die leidenschaftlich lebendige Franziska setzt sich entschlossen über all das hinweg und macht sich auf den Weg in ihre Freiheit! Getrieben vom Durst nach frischem Wind unter den Flügeln ihrer Seele, getragen von ihren phantasievollen Vorstellungen eines freien Lebens voller Lust und Genuss sowie dem starken Verlangen ihres erwachten Körpers nach gelebter Erotik und beglückender Sexualität verlässt sie den trist gewordenen Ehealltag und ihren Heimatort. Franziska zieht nach Berlin. Hier entdeckt sie das Leben vollkommen neu. Sie lernt neue Menschen kennen, schließt neue Freundschaften. Nur sich selbst verpflichtet, ohne Beobachtung durch spießige Zeitgenossen erfährt sie auch ihre sinnlich-erotischen Begegnungen mit ungeahnter Tiefe. Köstlich prickelnd, aufregend und wunderbar belebend erlebt Franziska eine atemberaubend schöne Zeit. Sie kommt nicht nur endlich in sich selbst an, sondern begegnet einem Mann, der ihr vielleicht die Türe zu ihrem ganz besonderen Traum öffnen könnte – zu einer ganz großen freien (!) Liebe.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 538

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Eine fortgeschrittene Frau fortgeschrittenen Alters kann keine Macht der Welt im Zaume halten.

Anabella Freimann

Endlich Freyja!

© 2013 Anabella Freimann

Umschlaggestaltung: Karin Sehnert, www.karinsehnert.de

Lektorat u. Klappentext: Angelika Fleckenstein, www.spotsrock.de

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN:

978-3-8495-4352-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Startbereit

Pläne

Wer A sagt,

„Geburtstagsüberraschung“

Die Entdeckung eines Vulkans

Eine versuchte Erpressung

Damals war’s

Der geheime Ordner

Ein Amerikaner in Deutschland

Ostalgie, Rückblicke auf eine Ehe und zwei Seitensprungmänner

Das Elfte Gebot und ein Testergebnis

Männer und doch keine erotische Fotosession

Entdeckung der Lust. Ein Triebtäter. Eine Reise

Ich tu es endlich!

Freyjas Geburt

Das wahre Abenteuer beginnt

Endlich wieder online und ‚Die Lila Pause‘ lockt

Hermann 41, ein Gebet und der Goldene Vibrator

Möbel und internette Männer

Ein falscher Theatermensch und ein vielversprechendes Date in der großen Stadt

Lederlust, ein Job und Cybersex

Du darfst. Eine Generalprobe und noch ein Job

Ein Caféhaus-Date am Samstag und Matthias kommt

Mallorca-Fan, ein freier Mittwoch und der Blonde mit den himmelblauen Augen

Erotische Post und die Folgen eines Campari

Prosex, Hardy, Cedric, der Kleine mit dem Kleinen, und andere

Der große Blonde mit dem Adoniskörper und Rachegedanken

Victor. Jede Frau ist eine Diva. Sex im Fundbüro Ein Abschied

Cinderellas Schuhe. Bloß kein neuer Käfig

Lieber ein Spiegelzimmer!

Liebe, Sex und noch ein Seil

Eine Reise und ein klares ‘Jein’

Startbereit

1

Pläne

„Eine fortschrittliche Frau fortgeschrittenen Alters kann keine Macht der Welt im Zaume halten“ (Dorothy L. Sayers)

Franziska hielt ein Buch in der Hand, las aber nicht. Die Hängematte, in der sie lag, brachte nicht die gewünschte Entspannung. Sie spürte die Sonnenwärme auf ihren leicht gebräunten Armen und nahm den betäubenden Duft des lila Sommerflieders in sich auf. Schmetterlinge umkreisten die Blüten, tranken sich am Nektar satt und unternahmen einen Abstecher zum Rosenbeet. Ihr Blick wanderte weiter durch den Garten, zu den rankenden Stangenbohnen, auf die Kräuterspirale, die Blumenbeete mit den Sommerazaleen und dem Unkraut dazwischen. Da es am Tag vorher geregnet hatte, würde es ein Leichtes sein, Ordnung zu schaffen. Sie brauchte nur aufzustehen und die Harke aus dem Schuppen zu holen. Franziska aber blieb sitzen und schaute in den Himmel. Ein Flugzeug bohrte sich in eines der großen Wolkengebilde. Es verschwand, und nur ein Kondensstreifen war noch zu sehen.

Eine besondere Stimmung lag in der Luft. Tucholsky hatte dem Frühherbst den Namen „Fünfte Jahreszeit“ gegeben. Der Sommer liegt in den letzten Zügen, es ist ganz still, so still, dass man Angst hat, es könnte sogleich etwas Unvorhergesehenes, nicht Erwünschtes geschehen. Doch es kommt nur, was kommen muss, der Frühherbst.

Auch Franziska befand sich mitten im Herbst, sie hatte ihn schon neunundfünfzig Mal erlebt. Dabei fühlte sie sich noch so jung, so voller Tatendrang, so voller Lust auf Abenteuer, auf neue Erfahrungen, vor allem auf sinnliche, lustvolle, erotische.

Wenn jetzt zum Beispiel ihr Kurschatten auftauchen würde, mit dem sie vor etwa vier Jahren einige heiße Nächte verbracht hatte, dann würde sie dort anknüpfen, wo sie damals aufgehört hatten. Wie hieß er doch gleich? Sebastian. Groß war er gewesen; dunkle, schon etwas schüttere Haare hatte er und wunderschöne Augen. Wenn er sie anlächelte, schmolz sie dahin, wie Schnee in der Märzensonne.

Die kleine Affäre trug damals sehr zu ihrer Gesundung bei. Die Lebensfreude kehrte zurück. Sie blühten beide auf.

Franziska seufzte, als sie an den Abschied dachte, verdrängte die wehmütigen Gedanken jedoch, denn am Gartentor tauchte Matthias, ihr Ehemann, auf. Ein für sein Alter noch recht passabel aussehender, etwas behäbiger, netter Kerl mit Stirnglatze, sehr intelligent, schlagfertig, witzig; aber wenn es um Erotik ging, doch ziemlich schwerfällig und begriffsstutzig, um nicht zu sagen lustlos.

Franziska fühlte sich mit ihrem Mann verbunden und liebte ihn auch, aber auf eine Weise, die nichts mit Leidenschaft zu tun hatte. Die Lust auf seinen Körper hatte sie sich abgewöhnt. Um weiteren Enttäuschungen aus dem Weg zu gehen. Derer hatte es genug gegeben.

Mit einem leichten Kuss auf die Wange und einem abwesenden Lächeln begrüßte er sie: „Na, du scheinst die großen Ferien zu genießen. Wie viel Wochen sind’s denn noch? Zwei oder drei? Dein Leben möchte ich haben. Hat Tobias angerufen?“

Und dann, ohne auf ihre Antwort zu warten: „Hast du gesehen? Der Pegel der Elbe ist schon wieder angestiegen. Bloß gut, dass unser Haus hier oben steht!“

Matthias‘ soeben geäußerter Satz „Dein Leben möchte ich haben“, ärgerte sie. Trotzdem biss sie sich auf die Lippen. Ihr Leben? War das so toll?

Ihr fiel der Song von Udo Lindenberg ein: Gegen die Strömung, gegen den Wind. Diese Liedzeile ging ihr seit Tagen nicht aus dem Kopf. Ein mulmiges Gefühl rumorte seit langem in ihr. Es wurde von Monat zu Monat stärker. Sie wusste: Es musste etwas geschehen. Ihre Zeit war nahe.

Franziska und Matthias setzten sich in die Hollywoodschaukel und plauderten. Es ging wie so oft um das Thema Sicherheit. So war er eben. Da noch eine Alarmanlage anbringen und dort noch etwas isolieren.

„Und der Wasserkocher schaltet sich nicht allein ab. Und es sind wieder Betrüger am Werk, pass bloß am Geldautomaten auf!“

Sie unterbrach Matthias‘ Monolog.

„Wir müssen etwas besprechen. Erst einmal: Tobias fragt, an welchem der nächsten Wochenenden er uns mit Familie besuchen kann. Aber das ist nicht, was ich dir erzählen will. Die Chefin hat angerufen. Ich werde im neuen Schuljahr für 1 oder 2 Tage nach Gernhausen fahren. Du hast unseren Wagen die meiste Zeit, also brauche ich nun ein eigenes Auto.“

Der kleine hübsche Ort mit der erst kürzlich gebauten Schule lag zirka fünfzehn Kilometer entfernt, und es gab keine direkte Busverbindung dorthin. Also war der Autokauf unumgänglich.

Matthias reagierte verärgert.

„Was? Muss das sein? Warum hast du dich nicht geweigert? Das Schulamt fragt wohl gar nicht, wie du da hinkommst in dieses Nest. Frechheit. Du kannst doch Einspruch erheben. Du nimmst viel zu viel hin. Lass dir doch nicht alles gefallen!“

Schon wieder musste Franziska an sich halten. Aber er hatte ja Recht. Sie nahm wirklich viel zu viel hin. Zum Beispiel die Situation in ihrer Ehe. Da musste sich etwas ändern. So oder so ….

Franziska antwortete etwas gereizt: „Ich habe mich dafür entschieden, weil sonst Beate in den sauren Apfel hätte beißen müssen. Wie soll sie das denn schaffen? Mit Baby und Kleinkind! So ist es nun mal in unserem jetzigen Schulsystem, es wird überall an Lehrkräften gespart, es wird zusammengelegt, es geht nicht mehr um eine kontinuierliche Arbeit an jeder Schule, nein, es werden einfach Löcher zugestopft!“

Sicher hätte Franziska Einspruch erheben können. Aber das ließ sie schön bleiben, denn erstens hätte dann ihre junge Kollegin den Job übernehmen müssen und außerdem wollte sie das Auto noch aus anderen Gründen.

Sie war es leid, immer erst fragen zu müssen, ob sie den gemeinsamen Wagen an einem bestimmten Tag benutzen könnte. „Du kannst doch den Bus nehmen,“ war eine seiner Antworten. Bestand sie auf ihrem Wunsch, hatte Matthias danach immer etwas zu bemängeln. Entweder war die Fußmatte hinterher nicht korrekt ausgerichtet, weil Franziska beim Aussteigen nicht darauf geachtet hatte. Oder der Rückspiegel war verstellt. Einmal hatte sie auch vergessen, den Kofferraum abzuschließen. Einen Grund fand er immer. Obwohl beide den Wagen vom gemeinsamen Geld angeschafft hatten, schien es so, als wäre Matthias der alleinige Besitzer.

Das ärgerte Franziska schon lange. Nun würde sich das Problem wie von selbst lösen. Sie brauchte noch nicht einmal ihre privaten Ansprüche geltend zu machen.

Matthias brummelte vor sich hin. Er mochte keine schnellen Entschlüsse. Sie erwiderte nichts und dachte an ihren Fahrlehrer, der ihr beigestanden hatte gegen einen sehr unangenehmen Prüfer, der sie in eine Falle gelockt hatte. Das war kurz vor der Wende gewesen.

„Fahren Sie mal hier links ran“, sagte der Prüfer.

Es war aber eine Einbahnstraße. Sie hatte damals gedacht: Na ja, wenn er es sagt, dann muss ich es tun. Also fuhr sie links ran.

Er darauf: „Was haben Sie jetzt gemacht? Wie können Sie hier anhalten? Hier ist Halteverbot!“

„Ja, aber“, hatte sie gestottert, „Sie haben es doch gesagt.“

Doch ihr Fahrlehrer half ihr und diskutierte lange und heftig mit dem Prüfer. Schließlich durfte sie weiterfahren und bestand. Der Satz des Prüfers klang ihr noch in den Ohren: „Na gut, hier ist Ihr Führerschein. Fahren Sie aber erst einmal auf unbelebten Strecken, bis Sie sicherer werden. Und lesen Sie vorher die Regeln zur Einbahnstraße!“

Inzwischen fuhr sie leidenschaftlich gern Auto, und nun vielleicht sogar mit einem eigenen Gefährt!

Erst am Abend, nach einer weiteren Diskussion, willigte Matthias notgedrungen in den Autokauf ein. Franziska freute sich sehr, denn ein eigenes Auto bedeutete auch Unabhängigkeit. Und das wusste er und hatte Angst davor. Die Tür zu einem anderen Leben wurde sichtbar. Franziska war im Begriff, die Klinke niederzudrücken. Er ahnte es wohl längst und konnte doch der Entwicklung nicht Einhalt gebieten. Vielleicht war er auch einfach zu träge dazu.

In den folgenden Tagen wurde alles für den Autokauf in die Wege geleitet. Die Farbe stand für sie von vornherein fest: Ihr Auto musste rot sein.

Matthias schüttelte nur den Kopf: „Das Unwichtigste, was es gibt, ist die Farbe! Was? Und einen CD-Player? Der lenkt nur vom Fahren ab.“

Franziska bestand hartnäckig auf ihren Wünschen. Er musste sich fügen.

In dem Autohaus gleich unten im Ort am Marktplatz stand genau solch ein Wagen auf dem Hof. Ein roter Opel Corsa. Sie ging zu ihm, strich sanft über die in der Sonne glänzende Motorhaube und flüsterte: „Magst du mein zukünftiger Begleiter werden? Ich nenne dich Roter Korsar, ja?“

Stolz nahm Franziska einige Tage später nach Erledigung der üblichen Formalitäten in ihrem Korsar Platz und ließ es sich nicht nehmen, den Wagen selbst aus dem Autohaus herauszufahren. Matthias stand stumm protestierend daneben. Wozu hatte er sich schließlich einen Tag freigenommen? Um nur zuzuschauen? Nun gerade, sagte sich Franziska. Im Hinterkopf hatte sie seinen Satz von dem „viel zu viel hinnehmen“. Und auch deshalb fuhr sie ihr Auto zügig und ohne anzustoßen durch die eher schmale Tür auf die Straße. Dabei sang sie vor sich hin: Gegen die Strömung, gegen den Wind, und dann fügte sie eine eigene Zeile hinzu: Will endlich leben, bin nicht mehr blind.

Punkt 1 ihres „Gegen die Strömung“-Plans konnte Franziska also abhaken. Der neue Wagen stand vor ihrem Reihenhaus.

Punkt 2 begann am gleichen Abend nach einem Streit. Der entstand so: Franziska war glücklich über ihr eigenes Auto. Vielleicht wollte sie ihr Glück mit ihm teilen. Immerhin war Matthias ja ihr Ehemann. Sie ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf seinen Schoß. Er schob sie unwirsch beiseite und schaute an ihr vorbei.

„Lass mich in Ruhe die Nachrichten sehen. Du verdeckst den Bildschirm. Dich scheint’s ja nicht zu interessieren, was in der Welt geschieht.“

Franziska verließ demonstrativ das Wohnzimmer. Natürlich interessierte sie sich fürs Weltgeschehen. Wobei sie aber versuchte, nicht alles Negative an sich herankommen zu lassen. Matthias meinte dann jedes mal: „Schönfärben nützt nichts“ Ein weiterer Spruch, den sie fast täglich von ihm zu hören bekam, lautete: „Das Leben ist hart.“

Zwecklos, mit ihm darüber zu diskutieren. Zwecklos auch in diesem speziellen Fall, ihm zu erklären, wie enttäuscht sie über seine Reaktion war.

Es hatte alles keinen Sinn. Existierte sie als Frau überhaupt noch für ihn? Er schien sie nur noch als Haushälterin, Köchin, Gärtnerin und manchmal als gute Freundin zu sehen. Mehr nicht.

„Das Leben ist hart, aber es muss nicht so bleiben, es muss sich etwas ändern. Und wenn du nichts ändern willst, dann tu ich’s“, flüsterte sie vor sich hin und ging tief gekränkt in ihr Zimmer.

Franziska musste etwas tun, um ihre Defizite auszugleichen. Kürzlich hatte sie in einer Zeitschrift einen Artikel gelesen. Eine Frau erzählte darin freimütig über ihre Erfahrungen mit Internetportalen, in denen die Möglichkeiten für Seitensprünge erläutert wurden. Das wollte sie jetzt genauer wissen! Und mit diesem Moment begann für sie das, was sie zukünftig das Seitensprung-Suchspiel nannte.

Rechner anwerfen. Das Schlüsselwort eingeben: Seitensprung. Die Suchmaschine spuckte erstaunlich viele Ergebnisse aus, mehrere Seiten lang. Sie las: Diskreter Seitensprung. Lust auf Seitensprung. Seriöser Seitensprung. Ihr Date. Ihr Traumpartner. Dein Traumpartner wartet auf dich. Seitensprung - anonym und sicher. Dating pur. Ihr Seitensprungjournal. Tipps und Tricks. Sehnsucht nach dem yahoo-Seitensprung. Kennenlernen bei ICQ. Dating live. Und so weiter und so fort.

Es gab sogar ein Seitensprung-Forum und sie las darin Interessantes über den Urtyp der erotischen und sexuell aktiven Frau: Sammlerin in der Urgesellschaft, Sammlerin in der heutigen Zeit. Damals zum Lebensunterhalt. Und heute? Sammeln von Männern statt von Beeren und Früchten?

Im Unterforum stand, dass viele „seitensprungwillige“ Frauen eigentlich nur wissen wollten, was ihnen wann, wo, wie und weshalb gefiele und Befriedigung verschaffe. Dies ließe sich am besten herausfinden, indem eine Frau möglichst viele unterschiedliche sexuelle Erfahrungen sammeln und sexuelle Praktiken ausprobieren würde. So könnte sie lernen, was sie mag und welcher Partner sexuell besonders gut zu ihr passe.

Franziskas Suchen war kein Ausprobieren. Und es war auch nicht aus einer spaßigen Idee geboren, nein, sie hatte echten Nachholbedarf nach jahrelangem sexuellem Notstand.

In diesem Moment stieß sie auf eine neue Seite. Es gab hier kein Entblößen an der ‚Eingangstür‘ und Fragen nach Sado-Maso und Co., sondern eine Seite, die leicht zu bedienen war, wo sie nur ihre Daten und Wünsche einsetzen musste und dann passende Partner vorgestellt bekam.

Wünsche? Er muss groß und Mann sein und selbstverständlich jünger als sie, außerdem intelligent und flexibel. Sie selbst gab sich den Namen „Giselle“. So wie im gleichnamigen Ballett wollte Franziska in der Seitensprungwelt herumtanzen. Mit möglichst wenig Boden unter den Füßen.

Als Nächstes sollte sie ihr Profil erstellen. Sie überlegte: Wie beschreibe ich mein Äußeres? Bleibe ich ehrlich oder stelle ich mich ganz anders dar? Blond statt braun? Groß statt klein? Eines war klar: Hier kam kein Bild rein. Auch wenn dort stand: Mit einem Bild erhöhen Sie Ihre Chancen um mindestens 75 Prozent.

Nein, das war zu gefährlich. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn ein Elternteil ihrer Schüler sie hier fände! Der Aufruhr wäre eine Katastrophe! Andererseits müsste ja der Betreffende auch Schweigen bewahren. Er bewegte sich schließlich ebenfalls auf dem gleichen dünnen Eis!

Beschreiben wollte Franziska sich so, wie sie war. Gut aussehende Zwillingsfrau, etwa 1,60 m groß, dunkle lange Haare, schlank, sportlich, intelligent, sehr sinnlich, sucht passendes Gegenstück. Bei der Altersangabe schummelte sie ein wenig. Statt der 59 schrieb sie eine 54.

Um die Spannung zu erhöhen, verließ Franziska kurz ihren Lieblingsplatz am PC. Einige Stückchen ihrer Lieblingsschokolade mussten her. Vorher aber klickte sie die Seite weg und rief stattdessen die IKEA-Seite auf. Immerhin hatte der Slogan, wenn man ihn ein wenig veränderte, Ähnlichkeit mit ihrem Vorhaben: „Liebst du schon oder suchst du noch?“

Kaum zurück, war sie erstaunt über die bereits eingegangenen Rückmeldungen. Da waren so viele, die einen Seitensprung suchten oder eine Zweitbeziehung. Die meisten schrieben: Ich bin verheiratet und will es auch bleiben. Alles klar. Alles mitnehmen, jedoch die Bequemlichkeit nicht aufgeben.

Einer schrieb: „Darf ich dein langes Haar waschen?“

Franziska schrieb zurück: „Haare waschen? Ich bin doch hier richtig auf einer Datingseite, oder habe ich mich etwa in einen Frisiersalon verirrt?“

Der Typ erklärte ihr dann, dass sie schon richtig wäre, er aber nur dann „heiß“ würde, wenn er Frauenhaar zwischen die Finger bekäme. Nasses Haar, wohlgemerkt. „Je länger dieses Haar, umso besser“, fügte er noch hinzu. Sie lehnte dankend ab.

Franziska fand diese Vorstellung so witzig, dass sie unbedingt ihre Freundin Constanze noch anrufen musste, sie war Friseurin. Constanze prustete gleich los.

„Stell dir vor, der kommt aus irgendeinem Grund in einen Frisiersalon, vielleicht holt er seine Frau dort ab, und dann sieht er das viele nasse Haar! Wenn es ihn da mit Gewalt überkommt! Was dann?!“

Beide lachten schallend, und Franziska konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Matthias rief aus dem Wohnzimmer: „Was ist denn los? Was gibt’s denn Lustiges?“

„Ich telefoniere grad mit Constanze.“

„Ach so, na, dann grüß sie mal von mir!“

Constanze bat noch: „Erzähl mir morgen unbedingt, wie es weitergegangen ist. Ich muss in die Küche. Wird Zeit fürs Abendessen. Mein Oller hat Hunger.“

2

Wer A sagt, …

„Wenn du einen Platz an der Sonne willst, dann mache dich auf einen Sonnenbrand gefasst.“ (Anonyma)

Franziska schaute sich weiter auf der Plattform um. Die Bilder, oh je! Einige waren wirklich ordinär. Und da, einer mit Mamas Kittelschürze! Schließlich einer in Damenstrumpfhosen, durch die man sein bestes Stück sehen konnte. Was es alles gab! Seltsame Gelüste hatten manche Männer. Wahrscheinlich gab es Frauen, denen so etwas gefiel. Aber wahrscheinlicher war, dass es dem jeweiligen Mann eine gewisse Befriedigung verschaffte, wenn er sich vorstellte, wie eine Frau sein Bild musterte.

Dann meldete sich Klaus aus Dresden. Im Anhang seiner Nachricht befand sich ein Bild von ihm. Das schien er für alle Fälle bereit zu halten. Kein Anfänger also in der Schar der seitensprungwilligen Männer. Doch war er es selbst? Wahrscheinlich nicht. In der virtuellen Welt schickte so mancher ein Bild von einem jungen, athletisch gebauten Mann und war in Wirklichkeit klein und dick.

Sein Foto fiel etwas aus dem Rahmen. Franziska liebte das Ungewöhnliche, und daher gefiel ihr dieser Typ ausnehmend gut. Vorausgesetzt, er sah wirklich so aus: groß, sportlich und mit Glatze. Tätowierungen an den Armen. Breite Schultern. Ein neckisches Kettchen um den Hals. Sein Profil war sympathisch. Kein Häkchen bei: Sex an ungewöhnlichen Orten. Kein Lederfetischist. Kein Strumpfhosen- und Schürzenfan. Wie sah es mit nassem Haar aus? Nichts dergleichen.

Sie schickte ihm eine Kurznachricht. Mal sehen, ob er schnell und schlagfertig war. Oder lahm und an der Tastatur nicht geübt. Ersteres war der Fall. Smalltalk und Flirt in einem, Franziskas Finger kamen nicht zur Ruhe. Herrlich fand sie das!

Als sie am nächsten Tag ihren PC hochfuhr, wartete erneut eine E-Mail von Klaus auf sie.

„Liebe Giselle, irgendwie gefällst du mir. Deine Art, wie du reagierst und wie du schreibst, fasziniert mich. Du schreibst, du bist sinnlich. Ich auch, sehr, für einen Mann vielleicht sogar zu sehr? Eines aber möchte ich dir sagen: In der Liebe und im Sex darfst du nicht die geringsten Komplexe haben. Du musst frei sein und offen für alles. Und ich spüre, dass bei dir noch einiges aufzuholen ist.“

Franziska fühlte sich ertappt. Dieser Klaus kannte sie nicht und traf trotzdem ins Schwarze. Denn es verhielt sich wirklich so. Sie war mit Komplexen behaftet, zum Beispiel auch, was das einschlägige Sex-Vokabular betraf. Manche Wörter hasste sie regelrecht. Unter anderem die so genannten F-Wörter.

Sie antwortete ausweichend: „Woher willst du das wissen? Wir kennen uns doch gar nicht.“

Klaus schrieb zurück: „Ich spüre deine Komplexe ganz deutlich. Fühlst du dich etwa gut mit ihnen?“

Sie gab keine Antwort. Natürlich fühlte sie sich damit alles andere als gut. Aber das würde sie ihm nicht auf die Nase binden.

Und dann machte er ihr ein prickelndes Angebot: „Willst du lockerer werden? Soll ich dein Lehrer sein? Gib mir dein Okay und ich nenne dir deine erste Hausaufgabe!“

Das gefiel ihr. Sie sollte Hausaufgaben machen. Jetzt war also sie die Schülerin. Also meldete Franziska als Giselle ihrem Mister Teacher, dass sie einverstanden wäre. Und schon ging es los.

„Ich habe eine erste Aufgabe für dich. Sende mir einen Slip von dir. Es darf aber kein neuer sein.“

Was sollte sie? Ihm einen Slip senden? Das fing ja gut an. Einen Augenblick nur zögerte sie, doch dann war sie einverstanden.

Da lag noch die eben von der Leine geholte Wäsche. Sie überlegte nicht lange und nahm den roten, den sie nicht sonderlich leiden konnte, weil er an der Taille durchsichtige Spitze aufwies. Ihr nicht ganz flaches Bäuchlein schimmerte dort hindurch. Den würde sie nicht vermissen.

Neugierig und misstrauisch suchte Franziska seinen Namen im Adressverzeichnis der Stadt, die er als Wohnort angegeben hatte. Tatsächlich, es gab ihn. Also nahm sie einen Umschlag, beschriftete ihn, legte den roten Slip hinein und klebte den Brief zu.

Kaum hatte Franziska ihre erste Hausaufgabe erledigt, klingelte es an der Tür. Richtig, sie war ja mit ihrer Kollegin Carola verabredet. Sie wollten gemeinsam die Klassenfahrt im September planen. Aufgekratzt, wie sie war, wurde es ein sehr vergnügter Nachmittag mit Kaffee und Kuchen und dem neuesten Klatsch aus ihrer Gemeinde. Schließlich wollte Carola aufbrechen.

„Kannst du mich mitnehmen bis zum Briefkasten?“, bat Franziska.

Die beiden Frauen brachen auf. Im Garten bestaunten sie die Blütenpracht des Sommerflieders und Franziska brach ein paar Zweige für ihre Kollegin ab.

Eigentlich hätte der Slip-Transfer Zeit gehabt, aber sie konnte nicht abwarten. Es war nicht weit bis zur Poststelle. Carola hielt an, Franziska warf den Briefumschlag in den Kasten und verabschiedete sich von ihr. Den Rückweg nahm Franziska zu Fuß. Sie musste frische Luft in ihre Lungen bringen, um frische Gedanken haben zu können.

Sie war ungemein stolz auf sich. Ob es ihr jemand ansehen könnte, welche Vorgeschichte dieses braune Päckchen hatte? Sie stellte sich folgende Schlagzeile in der Zeitung vor: „Schamlose Lehrerin aus Sachsen verschickt Slip an Unbekannten“. „… roten Slip … “ würde noch wirkungsvoller klingen.

Am nächsten Abend kam Klaus‘ Rückmeldung: „Ich habe deinen roten Slip erhalten. Wieso ist er aber so neu und nicht gebraucht? Schade, du warst keine gehorsame Schülerin. Ich kann dir deshalb nur eine Drei geben.“

Franziska war irritiert, doch schon mit der nächsten Nachricht kamen weitere Aufgaben.

„Ich möchte Fotos von dir. Ziehe einen Liebestöter an, du hast sicher so etwas im Schrank. Mache davon aber erst dann ein Bild, wenn du ihn den ganzen Tag getragen hast. Verstehst du, benutzt soll er sein, so, dass man es erkennen kann! Ziehe ihn am Abend aus und mache das nächste Bild. Nun gehe mit dem Objektiv noch näher heran, ich will jetzt alles sehen ….“

Das reichte. Darauf hatte sie keine Lust, dass jemand so über sie bestimmte. Sie stellte sich stumm. Nach einigen Tagen des Schweigens kam eine SMS: „Deine Strafe folgt in der Mail“ Dort stand: „Du hast deinen Lehrer sehr lange warten lassen. Nicht nur das: Du hast deine Hausaufgaben nicht erledigt. Du hast eine Strafe verdient. Ich muss dir eine Fünf geben. Doch ich will es vergessen, wenn du bereit bist, dich mit mir in der nächsten Woche zu treffen. Ich habe eine kleine Pension ausfindig gemacht, ganz in deiner Nähe. Du kannst mir dann deinen roten Slip, den ich dort tragen werde, vom Leibe reißen. Weitere Regieanweisungen folgen.“

Eine Pension in ihrer Nähe? Franziska kannte eine in Gernhausen. Und dort sollte sie? Abgründe. Der Zorn erwachte in Franziska und sie schrieb Mister Teacher, er solle ihren Slip behalten und ihn sich dahin stecken, wo er wolle. Nein, das war noch zu sanft. Sie veränderte den Text: „Nimm ihn und pinkle meinetwegen selbst darauf, berausche dich an diesem besonderen Duft, atme ihn ein, aber lass mich dabei aus dem Spiel. Suche dir eine andere willige Schülerin. Ich bin es nie gewesen.“

Danach löschte sie ihren Account und legte sicherheitshalber gleich eine neue E-Mail-Adresse an. Es kamen noch einige SMS, dann gab der Slip-Experte aus Dresden auf.

Franziskas Bedarf am Seitensprung-Spiel war vorerst gedeckt. Sie nahm sich fest vor, die restliche Ferienzeit lieber für sinnvollere Tätigkeiten zu nutzen. Gleich am nächsten Morgen würde sie den Garten in Ordnung bringen. Es wurde auch höchste Zeit, wieder mehr für ihre Kondition tun. Ihre Laufstrecke am Elbufer hatte sie schon lange nicht mehr gesehen

3

„Geburtstagsüberraschung.“

„Viele, von denen man glaubt, sie seien gestorben, sind bloß verheiratet“

(Francoise Sagan)

Nachdem Franziska am nächsten Morgen ihre Nordic-Walking-Tour beendet hatte, buddelte sie einige Minuten halbherzig im Garten herum und wartete auf die Postfrau. Mit der konnte man wunderbar plaudern. Dieses Mal aber rief Sybille schon von weitem: „Heute keine Zeit für Smalltalk, ich hab’s eilig. Hier hast du einen ganzen Schwung Kataloge. Aber nicht so viel bestellen!“ Sie schmunzelte und stieg in ihr Postauto ein, das auf der anderen Straßenseite stand.Mehrere Werbekataloge befanden sich dabei. Mode, Garten, Werkzeuge, Reisen. Als ihr Blick auf einen Reiseprospekt fiel, kam ihr eine Idee. Sie nahm auf der kleinen blauen Bank Platz, die direkt an der Hauswand stand, und blätterte darin. Matthias hatte am Samstag Geburtstag und sie könnten eine Kurzreise machen. Vielleicht würde es ja doch noch einmal ‚funken‘ zwischen ihnen? Sie hatte da immer noch gewisse Fantasien und Vorstellungen.

Heute war Montag. Franziska wusste aus Erfahrung, dass sie dieses Vorhaben Schritt für Schritt planen musste, um Matthias für diese Reise zu gewinnen. Erste Etappe: Katalog aufschlagen und wie zufällig neben seinem Fernsehsessel liegenlassen. Mit der Fernbedienung „beschweren“. Vielleicht noch eine hingeworfenen Bemerkung: „Schau mal, die schönen Fotos!“

Und dann bloß keine weiteren Bemerkungen fallen lassen. Vielleicht käme Matthias selbst auf die Idee, eine Kurzreise zu unternehmen?

Am nächsten Abend Etappe zwei: „Was machen wir denn an deinem Geburtstag? Möchtest du, dass Besuch kommt?“

Er würde garantiert antworten: „Besuch? Nur das nicht, du weißt doch, wie ich darüber denke! Warum fragst du denn?“

Jetzt wieder sie : „Wenn wir nun einfach wegfahren?“

„Wohin denn so kurzfristig?“

Das würde der Moment sein, in dem Franziska nach dem Reisekatalog fragen würde, den er dann herbeiholen könnte. Beim Blättern würden sie – wie zufällig - die kleine Pension in Bayern entdecken, in der sie sich vor einigen Jahren sehr wohlgefühlt hatten.

Tatsächlich lief alles planmäßig. Matthias reagierte, wie von Franziska beabsichtigt, und er sagte die kleine Reise zu.

Für ihn war der Hauptgrund, dass er zu seinem Geburtstag nicht zu Hause sein wollte. In ihrem Ort pflegten sich alle Bewohner selbst einzuladen, und er konnte so viel Nähe nicht ertragen.

In der Reisegruppe waren noch zwei Plätze frei. Also hieß es schnell Koffer packen. Das bedeutete für Franziska Vorfreude pur. Matthias überließ ihr auch seinen Koffer - immer dasselbe. Sie mochte Männer, die Wert auf ihr Äußeres legten, aber Matthias gehörte nicht dazu. Dafür legte er Wert auf andere Dinge, die man beim Verreisen erledigen musste.

Jedes Mal, auch wenn sie nur einen Tag wegführen, ging er mit seiner Checkliste herum und überprüfte vom Keller bis zum Dachboden, ob alle Fenster geschlossen, alle technischen Geräte vom Netz getrennt und die Antennenkabel herausgezogen waren, ob das Wasser abgestellt war und mehr. Daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt, es war ja auch nicht verkehrt. Aber es artete aus. Sie erinnerte sich an einen Urlaub im Thüringer Wald, den sie am zweiten Tag abbrachen, weil Matthias nicht mehr wusste, ob er das angelehnte Badfenster vor der Abreise ordnungsgemäß geschlossen hatte.

Am Samstag ließ Franziska ihn seinen Rundgang machen und hoffte, dass der Kurzurlaub harmonisch und vielleicht sogar erotisch verlaufen würde.

Sie hatte sich für seinen Geburtstag etwas Besonderes ausgedacht. Sie hatte ein Gedicht geschrieben mit dem Titel „Das kleine Schwarze“, natürlich ein erotisches Gedicht. Es ging um das An- und Ausziehen von schwarzen Dessous, die sie so liebte. Matthias weniger, deswegen war es auch ein Balanceakt. Sie hoffte jedenfalls das Beste.

Das Hotel war wie beim letzten Mal angenehm und gemütlich. Nach dem Abendessen ging Franziska bereits ins Zimmer und wartete auf Matthias, um ihr Gedicht mit privater Vorstellung zu überreichen. Doch er kam nicht. Ungeduldig ging sie wieder in die Hotelhalle und sah ihn dort mit mehreren Männern an der Bar sitzen. Sie gestikulierten, lachten laut und hatten bereits einiges an Alkohol getrunken. Als er sie erblickte, riss er sich los und folgte ihr, wenn auch etwas widerstrebend.

Endlich. Franziska platzierte ihren Mann auf dem Bett und drehte das Licht herunter, sah ihn verführerisch an, rezitierte die erste Strophe des Gedichts „Das kleine Schwarze“ und begann den Striptease. Langsam knöpfte sie die Nylons von den Strapsen, erst den einen, dann den anderen, und warf Matthias die Nylons zu. Sie hatte das zu Hause vor dem großen Spiegel geübt.

Aber was tat er? Er kam nicht auf sie zu, umarmte sie nicht, fasste sie nicht an. Er lachte. Es war peinlich für sie. Sofort unterbrach sie ihren Striptease und ließ ihrem Ärger freien Lauf.

„Wie du willst, dann eben nicht! Vielleicht hat ein anderer mehr Interesse? Das habe ich nicht nötig, mich von dir so beleidigen zu lassen.“

Doch dann war es mit der Beherrschung vorbei. Sie weinte wie ein Kind. Und er? Anstatt sie in den Arm zu nehmen, sagte er nur: „Hör mit der Heulerei auf. Du bist hysterisch. Ich kann’s nicht mehr ertragen.“

Wut machte sich in ihr breit. Diesen einen Versuch war es noch wert gewesen. Nun aber war es entschieden. Nie wieder würde sie etwas Ähnliches probieren. Ihr Mann war einfach nicht mehr an Sex und Erotik interessiert. Sie musste neue Wege finden, ihre Leidenschaften und Bedürfnisse auszuleben. Denn sie wollte nicht noch einmal durch stetig unterdrückte sexuelle Wünsche krank werden.

Einen Tag noch dauerte der Kurzurlaub. Die beiden stritten oder schwiegen sich an. Sie versuchten, sich aus dem Weg zu gehen, was in der kleinen Reisegruppe nicht so gut gelang. Nachts rückte Franziska ganz weit von ihm weg, an die äußerste Kante ihres Bettes. Sie hätte es nicht ertragen, berührt zu werden. Davon abgesehen, dass er gar nicht erst den Versuch unternahm.

Franziska wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie selbst hatte sich in den Dessous zu Hause vor dem Spiegel sehr erotisch und verführerisch gefunden. Mit ihrer Digicam hatte sie Fotos gemacht und auf ihrem PC gespeichert. Also beschloss sie, sich selbst die Anerkennung zu geben, die Matthias ihr nicht geben wollte oder konnte. Auch wenn ihr das auf Dauer keine Lösung schien.

Wieder zurück im Alltag gab sie sich einen Ruck. Vorerst gab es keine Lösung für ihr ganz persönliches Problem. Also würde sie die restliche Ferienzeit vor allem dazu nutzen, um sich intensiv auf ihr letztes Schuljahr vorzubereiten. Vorher wollte sie ihr Zimmer umräumen. Den Schreibtisch mit dem PC schob sie links an die Wand. So hatte man von der Tür aus den Blick aufs Fenster und nicht wie bisher auf den Bildschirm.

Mit Constanze hatte sie viel zu bereden und traf sich deshalb einige Male mit ihr in der Eisdiele. Sobald die Schule wieder begonnen hatte, würde dafür nur wenig Zeit sein.

Eines Abends fragte Matthias ganz plötzlich: „Wollen wir nicht wieder mal zu IKEA fahren? Ich weiß doch, dass es dir dort immer gefällt. Vielleicht finden wir bei der Gelegenheit etwas Passendes für das Gästezimmer, bevor Tobias zu Besuch kommt.“

Von ihm solch ein Vorschlag? Er schien etwas wieder gut machen zu wollen. Sie verkniff sich jegliche spitze Bemerkung und antwortete freudig: „Gerne, von mir aus gleich morgen, wenn du magst!“

Nach dem ausgedehnten Samstagsfrühstück fuhren sie los. Matthias wollte ihren Wagen gern einmal ausprobieren und sie gab ihm bereitwillig den Zündschlüssel. Das nächste IKEA-Einrichtungshaus befand sich in Dresden. Das Wetter war prächtig, und beide fuhren in bester Laune los.

Im Gewerbegebiet befand sich auch ein Baumarkt. Matthias machte Franziska darauf aufmerksam und sie meinte: „Willst du nicht erst einmal da reinschauen? Ich kann inzwischen schon allein nach Möbeln Ausschau halten.“

Das ließ sich Matthias natürlich nicht zweimal sagen, und auch Franziska kam es sehr gelegen. Allein durch ein Kaufhaus schlendern macht Frauen schließlich mehr Spaß. Da war Franziska keine Ausnahme.Im Einrichtungshaus träumte sie plötzlich mit offenen Augen und hoffte, dass Matthias nicht so schnell wieder kommen würde. Sie träumte davon, sich selbst Möbel auszusuchen. Für ihre eigene Wohnung. Und nicht für das Gästezimmer zu Hause. In einer fremden Stadt. Sie schwebte regelrecht durch die Räume und schaute glückstrahlend um sich.

Eine Verkäuferin kam und fragte: „Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie etwas Bestimmtes?“

„Vielen Dank, aber ich muss mir erst einmal selbst Klarheit verschaffen.“

Leise, wie in einem Trancezustand, sprach sie vor sich hin: „Ich trenne mich von meinem Ehemann. Ich brauche dort, wo ich sein werde, nur eine preiswerte Einzimmerwohnung, aber mit Küche, Bad und Balkon. Was benötige ich dafür? Oh, gar nicht viel. Ein breites Bett, eine bequeme Couch, ein paar Regale, einen Tisch, zwei Sessel. Dann noch diese Gardinen, jenen Teppich und ein paar Kleinigkeiten.“

Franziska setzte sich in einen IKEA-Sessel, schaukelte ein bisschen hin und her, schloss die Augen und überließ sich ihren Fantasien. Sie sah sich in ihrer eigenen Wohnung herumlaufen und spürte förmlich das Glücksgefühl, das sie dabei haben würde.

Matthias‘ Stimme riss sie abrupt aus ihren Fantasien: „Hast du schon etwas gefunden?“

„Nein“, antwortete sie laut, „habe ich nicht.“

Was eigentlich nicht der Wahrheit entsprach. Doch dieser gedankliche Möbelkauf ging niemanden etwas an. Schon gar nicht Matthias. Nur sie allein.

Matthias nestelte an seiner Tüte mit Schrauben herum und wunderte sich. Sonst war Franziska doch ziemlich entschlussfreudig bei Neuanschaffungen gewesen! Irgend etwas schien sie zu beschäftigen. Doch er fragte nicht nach. So wichtig würde es schon nicht sein. Er selbst hatte sowieso keine rechte Lust zum Möbelkauf, also schlenderten sie kurz an der Abteilung mit den Schränken vorbei und suchten den kürzesten Weg zum Ausgang.

Auf der Rückfahrt nahm Franziska wieder das Steuer in die Hand. Aber es machte ihr keinen rechten Spaß. Mit Matthias als Beifahrer war das Autofahren nicht angenehm. Er konnte es einfach nicht lassen, ihr Hinweise zu geben wie: „Schalt doch mal in den nächsten Gang!“ Und: „Nicht so schnell schalten. Mehr mit Gefühl!“

Aha, beim Auto hatte er das Gespür fürs Gefühl. Wie verhielt es sich denn, wenn es um sie ging?

Franziska nahm sich fest vor, beim nächsten kritischen Wort anzuhalten. Das kam schneller als gedacht.

„Willst du nicht endlich den lahmen Käfer überholen?“

Sie schwieg, hielt aber am nächsten Parkplatz an und sagte mitten in sein erstauntes Gesicht hinein: „Wer ist der Kraftfahrer? Du oder ich? Also bitte, Ruhe, ja?“

„Du hast eben kein Gefühl fürs Autofahren. Dir fehlt einfach das technische Verständnis.“

Franziska konterte: „Vielleicht. Aber du hast kein Gefühl für Frauen. Dir fehlt einfach das psychologische Einfühlungsvermögen.“

Mit diesen Worten startete sie den Motor. Matthias grinste in sich hinein, weil er nicht gleich ansprang.

„Kein Wort mehr!“, rief Franziska, jetzt wütend geworden.

Die weitere Fahrt verlief schweigend.

Matthias fuhr am Abend noch zu einem Arbeitskollegen. Das war Franziska recht, denn sie hatte noch etwas Wichtiges vor.

Sie nahm ihren fiktiven Möbelkauf wieder in Angriff. Dazu ging sie auf die Website von IKEA, packte nacheinander alle ihre Möbel in den Einkaufskorb, änderte mehrmals spielerisch die Auswahl, fügte einige Accessoires wie Kissen und Decken hinzu und schaute sich schließlich die lange Liste an.

Matthias betrat das Zimmer, um ‚Gute Nacht‘ zu sagen. Sie hatte ihn gar nicht kommen hören. Schnell minimierte sie die IKEA-Seite, doch er hatte das Zimmer schon wieder verlassen.

Nun öffnete sie den Link wieder und schaute sich den Warenkorb an. Eine stattliche Summe müsste sie dafür bezahlen. Müsste. Heute noch Konjunktiv. Irgendwann Wirklichkeit. Mit diesem Gedanken und einem Versprechen, dass sie sich gab, löschte sie seufzend Stück für Stück aus dem Inhalt des Warenkorbs.

Franziska schaute auf die Uhr. Es war schon kurz vor Mitternacht. Bei IKEA online schien ihr jedes Zeitgefühl verloren gegangen zu sein.

Deshalb verschob sie das Pflegen ihres alten-neuen Hobbys auf den nächsten Abend. Morgen war auch noch ein Tag. Aber eines wusste sie heute schon: Sie würde nicht wie bei IKEA den Inhalt des Warenkorbs löschen. Sie würde im Gegenteil alles bestellen.

Am nächsten Abend saß sie mit glühenden Wangen vor dem PC und suchte erotische Wäsche, sie wählte sorgfältig aus und bestellte mit Eilservice. Weil sie es nicht erwarten konnte, die verführerischen Dessous anzuprobieren und sich dabei vor dem Spiegel zu sehen.

Ihr heimliches Dessous-Lager wuchs. Da gab es die schwarze Korsage mit Strapsen und den passendem Stringtanga, bestickt mit roten Blumen. Da gab es die blau-weiß-gestreiften Dessous, die roten, die weißen, und die aus schwarzer Spitze. Es gab sogar ein echtes Korsett zum Schnüren mit unendlich vielen Häkchen und Ösen und natürlich die passenden halterlosen Strümpfe. Sogar ein Paar schwarze High Heels mit einem Wahnsinns-12-cm-Absatz kaufte sie sich. Wenn sie allein war, probierte sie mit ihnen den perfekten verführerischen Gang. Sie fühlte sich dann wie eine Männer beherrschende Jägerin, die bald die Jagd nach appetitlichem Wild eröffnen würde.

Damit die Jägerin auch über das nötige Durchhaltevermögen verfügte, blieb sie eisern, was das morgendliche Laufen anging. Sie versuchte außerdem, ihre Schokoladennaschsucht einzustellen. Die Waage hatte eine kleine Gewichtszunahme gezeigt und der Spiegel die negative Auswirkung: Einige Häkchen am Korsett ließen sich nur noch mit Mühe schließen.

Der kleine Schreck über die Gewichtszunahme war das geringere Übel. Die Anzeige auf der Waage zu entziffern, gestaltete sich für Franziska zu einem echten Problem. Ihre Augen schienen sich verschlechtert zu haben.

Matthias kam ins Bad und meinte: „Kein Wunder, du sitzt ja auch viel zu lange am PC! Und außerdem, auch wenn du es mir übel nimmst, wir sind nicht mehr die Jüngsten. Wir werden eben älter!“

„Ich lenke mich ja nur ab am PC, du weißt schon, wovon. Und im Übrigen, danke für das „Kompliment“.“

„Na, stimmt doch, was das Altern angeht. Und das andere: Komm mir nicht schon wieder damit. Gib dich endlich damit zufrieden, dass Sex für uns beide kein Thema mehr ist. Ablenken tust eher du, und zwar vom eigentlichen Thema. Du musst mal zum Augenarzt gehen, im Ernst! Möglichst noch in den restlichen Ferientagen! Ich habe dich beim Lesen beobachtet, so weit weg hält man kein Buch vor die Augen!“

Matthias hatte in diesem Punkt Recht. Doch anstatt ihm zuzustimmen, biss sie sich lieber auf die Lippen, und antwortete: „Aha, du hast mich beim Lesen beobachtet. Beobachtest du mich auch mal, wenn ich im Neglige vor dir stehe?“ Er verließ schweigend das Zimmer. Es war vorbei, und sie sollte es endlich abhaken. Was aber hatte er noch gesagt? Dass Sex kein Thema für sie beide mehr sei? Gut, akzeptiert, was ihn anbelangte. Nicht aber, was sie anging!

Gleich am nächsten Morgen würde sie mit ihrem Doktor telefonieren, um einen baldigen Termin zu bekommen.

Leider teilte ihr der automatische Anrufbeantworter mit, dass die Praxis wegen Urlaubs geschlossen war. Sollte sie die Vertretung aufsuchen?

So wichtig war es doch eigentlich auch nicht. Wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie immerhin mit einiger Mühe das Entsprechende entziffern.

Auf der anderen Seite verlockte das Wetter geradezu zu einem Ausflug mit ihrem kleinen Corsa. Sie setzte sich ans Steuer und düste los. Ein erhebendes Gefühl bemächtigte sich ihrer. Am liebsten wäre sie immerzu gefahren, ohne anzuhalten, weit weg, ohne direktes Ziel. In eine fremde Stadt, wo ihre eigene Wohnung nur auf sie wartete. Und der Mann ihrer Träume. Einer, dem Sex noch viel bedeutete. Irgendwann würde sie das alles erleben, davon war sie fest überzeugt. Doch jetzt musste sie sich konzentrieren und ihre Wünsche beiseite schieben, denn auf den Straßen herrschte dichter Verkehr. Nach einigem Suchen fand sie die Arztpraxis.

Sie hatte Glück. Der Warteraum war fast leer. Die „Bunte“, die aus dem Leben der Reichen und Schönen berichtete, die voller Klatsch und Tratsch war, konnte sie nicht auslesen, denn schon nach kurzer Zeit wurde sie aufgerufen. Der eine Artikel „Tipps für einen unbemerkten Seitensprung“ hätte sie brennend interessiert.

Der Arzt untersuchte ihre Augen sehr gründlich und meinte danach lächelnd: „Sie werden wohl in Ihrem Alter um eine Lesebrille nicht herumkommen.“

Der Arzt hatte das Wort „Alter“ in den Mund genommen. Genau wie Matthias. Eine Lesebrille bedeutete keinen Beinbruch. Und für Franziska bedeutete die Verordnung neben dem besseren Sehen eine Möglichkeit, die Brille als modisches Accessoire einzusetzen. Das Gestell sollte zu ihrer Haarfarbe passte. Rot-und Brauntöne müsste es enthalten. Oder doch auffällig in Grün gehalten? Als Pendant zu den roten Strähnchen?

Das Wartezimmer hatte sich inzwischen gefüllt. Eine Frau nahm gerade die Zeitschrift mit dem interessanten Artikel in die Hand. So ein Pech! Franziska nahm sich vor, diese Ausgabe bei ihrem Zeitschriftenhändler am Markt zu erwerben.

Die nächsten Tage verbrachte Franziska weniger vor dem PC, dafür ging sie viel wandern in Richtung Schrammsteine. Sie lächelte den durchtrainierten Wanderern mit schweren Rucksäcken zu, lief aber hastig an ihnen vorbei, als wollte sie selbst vor etwas davonlaufen. Die Vergänglichkeit allen Lebens wurde ihr mit einem Mal bewusster. Auch ihre eigene. Etwas in ihr flüsterte: Du hast nicht mehr so viel Zeit. Worauf wartest du? Wage es endlich!

Franziskas Blicke umfassten die schroffen Felsen und den Lauf der Elbe im Tal und schweiften schließlich in die Ferne. In dieser Minute dachte sie wie - der an das Versprechen, das sie sich gegeben hatte: Sie wollte ihren heimlichen Wünschen endlich Taten folgen lassen. Doch vorerst wollte sie ihre Tätigkeit als Lehrerin ordnungsgemäß beenden.

4

Die Entdeckung eines Vulkans

„Die nur aus Angst vor Schande nichts begeht, die hat es schon begangen.“

(Montaigne)

Das neue Schuljahr hatte begonnen. Es war das letzte bis zu den „ewigen Ferien“. So nannte Franziska voller Vorfreude die Zeit, wenn sie mit Sechzig in den Vorruhestand gehen würde. In ihrem Fall würde sich die Vorruhe allerdings eher als Vorunruhe definieren lassen. Auf keinen Fall hieß das: Ruhe, Langeweile, immer für die Enkel da sein, nur noch die brave Ehefrau sein, nur noch den Haushalt und den Garten oder dieses „Was koche ich heute?“ im Kopf haben. Sie wollte selbst bestimmen können über ihre Zeit. Und sie wollte ihr Ziel, das bis jetzt noch diffus in der Ferne lag, Schritt für Schritt verfolgen. Bis dahin wollte sie aber nicht untätig bleiben.

Ein Englisch-Sprachkurs stand auf dem Programm, und sie wollte Tango tanzen lernen. Ja, Tanzen war schon immer ihre Leidenschaft gewesen. Tanz bedeutete für Franziska eine besondere Art von Erotik. Wenn zwei miteinander tanzen, so Franziskas private Deutung, sieht man, ob sie sich lieben oder ob es einfach nur ein mehr oder weniger rhythmisches Bewegen auf der Tanzfläche ist.

Franziska wäre in den ersten Ehejahren auch gern mit Matthias verschmolzen. Aber nach ihrem letzten Tanz in den Mai beim Betriebsvergnügen der Bergakademie schob sie diesen Gedanken endgültig beiseite. Nicht noch einmal wollte sie indirekt zum Gelächter der Zuschauenden beitragen.

Es hatte so schön begonnen. Eine Tangomelodie erklang. Franziska bekam feuchte Augen. Matthias meinte: „Komm, wir tanzen mal“ Sehr romantisch klang die Aufforderung ja nicht gerade, aber immerhin wollte er mit ihr tanzen.

Was aber tat er? Er zog sie nicht etwa zärtlich an sich und schaute sie schon gar nicht feurig an. Stattdessen warf er sie auf der Tanzfläche wie eine Marionette hin und her, so dass schließlich er und sie den Halt verloren und sich gerade noch an einem Tisch festhalten konnten, der am Rand der Tanzfläche stand. Franziska schimpfte: „Und das soll Tango sein?“

Er darauf: „Du verstehst aber auch gar keinen Spaß!“

Nein, in dem Fall verstand sie wirklich keinen.

Es musste ja nicht der Ehemann sein, mit dem man sich nach Tangoklängen bewegt. Irgendwo in einer anderen Stadt wartete vielleicht der Traummann nur auf sein Stichwort. Und dieses Stichwort passte bestimmt zu Udo Lindenbergs Song.

Vorerst allerdings musste Franziska ihren „Tanz“ auf einem anderen Vulkan erlernen. Und der hieß Abordnung nach Gernhausen, der sie zugestimmt hatte. Franziska konnte sich nicht erinnern, jemals während ihrer Dienstzeit Schwierigkeiten mit der Disziplin gehabt zu haben. An dieser fremden Schule aber kannte man sie nicht, und die Kinder waren ihre Art nicht gewöhnt. Vor allem mit dieser zweiten Klasse wurde ihr plötzlich jede Unterrichtsstunde zur Qual.

Die Kinder hatten keine Regeln. Wenn eine neue Unterrichtsstunde begann und das Stundenklingeln zu hören war, bedeutete es für Schüler dieser Klasse noch lange nicht, ruhiger zu werden oder sich auf ihre Plätze zu begeben. Nein, sie schrien lustig weiter laut herum.

Franziska stand vor der Klasse wie ein blutiger Anfänger. Was tun? Am liebsten wäre sie weinend davongerannt. Doch es half alles nichts. Sie konnte nicht davonrennen. Nach der Pause, als die nächste Stunde begann, sprach sie sich selbst Mut zu: Das werde ich jetzt schaffen. Ist mein heimliches PC-Doppelleben nicht viel nervenaufreibender als diese Situation? Sie betrat das Klassenzimmer mit den lärmenden Kindern, innerlich ganz ruhig. Aber dann holte sie tief Luft, nahm das Tafellineal in beide Hände, schlug damit auf den Lehrertisch und schrie disharmonisch und schrill: „Seid ihr eigentlich noch zu retten?“

Verdutzt schauten die Schüler auf, sich keiner Schuld bewusst. Urplötzlich trat Stille im Raum ein. Franziska gab noch eins drauf, diesmal nicht mehr so schrill, aber immer noch außerordentlich laut: „Marsch an eure Plätze, der Unterricht hat begonnen!“

Danach war zwar nicht alles gut, aber es ging schrittweise aufwärts. Der Unterricht verlief störungsfrei und angenehm. Sie konnte nun auch mit Lob und anerkennenden Worten arbeiten. Als das Schuljahr und ihre Abordnung sich dem Ende zuneigten, waren die Kinder ihr ans Herz gewachsen und der Abschied fiel ihr nicht leicht. Doch bis es soweit war, musste sie Lehrgeld zahlen.

Die Heimfahrt nach 14 Uhr verlief dann aber partymäßig. Franziska drehte den CD-Player auf, dass es in den Ohren dröhnte und ihr Körper dabei vibrierte. Sie hörte die selbstgebrannte CD mit ihren Lieblingstiteln und erinnerte sich dabei, wann, wo und mit wem sie das erste Mal Elton John und Queen gehört hatte. Sie schmunzelte, denn nähere Einzelheiten kannte, außer Franziska, nur ein gewisser schmalgliedriger Mediziner … Voller Vorfreude sang sie mit und dachte dabei an ihre „Belohnung“ Diese hieß schlicht und einfach „Freitag“.

Freitag bedeutete für sie: Unterrichtsfrei. Um Entlassungen zu vermeiden, hatten sich die Lehrer ihrer Schule entschlossen, verkürzt zu arbeiten. Weniger Stunden, weniger Gehalt, dafür aber das Freitagsgeschenk! Jede Woche aufs Neue.

Auch wartete am Abend ihr Seitensprungsuchspiel auf sie. Die Ratgeberzeitschrift, in der Franziska inzwischen den Artikel studiert hatte, konnte ihr dabei wenig helfen. So weit war sie noch nicht, dass sie heimliche SMS sofort löschen und Restaurantsrechnungen sofort vernichten sollte.

Aber hier konnte sie flirten und einfach still genießen. Franziska kommunizierte mit Männern, die sie nie gesehen hatte und die sie höchstwahrscheinlich auch nie treffen wollte, mit denen sie sich einfach austauschte über den Tag, über die Stimmung. Doch das sollte sich bald ändern.

Das Verhängnis nahte in Gestalt von Peter aus dem Vogtland. Schon einmal war Franziska einem Peter begegnet. Sie musste etwa vierzehn Jahre alt gewesen sein.

Sie sah ihn noch wie damals vor sich: Er kam aus dem Nachbarort und war zu Besuch bei seiner Tante. Franziska stand nichtsahnend auf der Straße am Hoftor. Er raste mit seinem Rennrad auf sie zu, bremste plötzlich, wirbelte dabei viel Staub auf und sprach sie an. Sie wollte schon wegrennen. Doch er war schneller.

„Kommst du nächsten Sonntag mit zur Kirmes? Bei uns gibt’s einen Rummel mit Kettenkarussell und danach können wir noch spazieren gehen. Du gefällst mir.“

Franziska wurde puterrot, schwieg verdutzt, nickte verlegen und hatte Angst, dass er sich ihr noch mehr nähern würde. Schnell versuchte sie deshalb, das Hoftor zu schließen, was ihr vor Aufregung erst beim zweiten Versuch gelang.

Sie konnte die Woche über keinen klaren Gedanken fassen. Noch nie hatte sie ein Junge so direkt angesprochen. Was sollte sie bloß tun? Zwar hatte sie ihm zugenickt, aber sie würde natürlich nicht auf diesen Rummel gehen, denn sie hatte Angst vor dem Spazierengehen und was da noch passieren könnte.

Der Sonntag kam. Sie verließ gleich nach dem Mittagessen den elterlichen Hof durch die Hintertür und schlich sich in den Wald. Doch ihre Gedanken weilten bei ihm. Bestimmt würde er jetzt am Zaun auf sie warten. Vielleicht wäre sogar etwas Spannendes, Schönes passiert und sie würde es nun nie mehr erleben?

Es dämmerte, als sie schließlich den Weg nach Hause nahm. Natürlich stand jetzt kein Peter mehr wartend am Zaun.Sie wusste nicht, ob sie darüber froh oder traurig sein sollte.

Nun wollte da wieder ein Peter in ihr Leben treten, diesmal ohne Einladung zur Kirmes. Er kam aus dem Vogtland und hatte eine besondere Art, die Dinge beim Namen zu nennen. Er sprach von Sehnsucht und Romantik, schwärmte von erotischen Abenden und einem gemeinsamen Aufwachen am Morgen. Das alles wollte er mit ihr, der verheirateten Franziska, erleben. Er war geschieden und sagte ihr, wie attraktiv und selbstbewusst er sie fände. Er schickte ihr Bilder von Sonnenaufgängen, die sie so liebte. Sich selbst nannte er „Aufgehende Sonne“. Sie war für ihn das „Wild Horse“. Und als sie ihm zum dritten Mal eine Absage für ein Treffen sendete, schrieb er: „Wenn später die Pferde auf der Koppel weiden und die Hengste nach den Stuten äugen, wirst du traurig wiehern, weil du nicht wenigstens einmal dabei gewesen bist. Höre in dich hinein und trau dich. Sag ja, du wirst es nicht bereuen.“

Worte. Franziska stand auf Worte. Die Stute ließ sich überreden. Sie wollte nicht abseits auf der Koppel stehen. Nein, sie wollte diesen erwachsenen Peter, den Hengst, kennenlernen.

Zwar warnte sie irgend etwas vor diesem Mann, aber die aufkommenden Bedenken wurden schnell durch ihre Neugier und ihre Lustgefühle überlagert.

Viele Abende chatteten sie miteinander und malten sich ihr erstes Treffen aus. Sie tat das mit viel Romantik. Er allerdings wurde zusehends nüchterner und karger in seiner Wortwahl. Franziska sprach ihn daraufhin an. Er meinte, Planung sei jetzt alles. Das andere kommt später wieder. Er bestellte ein Zimmer in einem Stundenhotel.

An dem Freitag, als das Date stattfinden sollte, blieben sie über ihre Handys in Verbindung.

Er: „Jetzt fahre ich los.“

Sie: „Und ich bin jetzt auf der Autobahn. Noch etwa fünfundvierzig Minuten. Ich bin aufgeregt.“

Er - sehr laut und nüchtern: „So ein Mist. Ich habe die richtige Abfahrt verpasst. Wie muss ich jetzt fahren?“

Franziska ärgerte sich, auch über seine Wortwahl, gab ihm dann aber die Fahrtroute durch. Sie selbst stand längst auf dem Parkplatz vor dem Hotel. Ungeduldig schaute sie in die Richtung, aus der er kommen musste. Endlich sah sie ihn.

Er kam ihr entgegen. Auf der Freitreppe vor dem Hotel trafen sie sich und gingen Stufe für Stufe aufeinander zu. Er sagte: „Hallo, schöne Frau, kennen wir uns nicht?“

Etwas verlegen antwortete sie: „Bis jetzt noch nicht genauer.“

Er grinste: „Das können wir ändern.“

Sie umarmten sich leicht, wobei Franziska sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Er war tatsächlich so groß wie im Seitensprungprofil angegeben.

Ihr Herz klopfte, und sie hatte auch ein wenig Angst. Sie kannte ihn nicht. Wenn er nun ein Mörder war? Schließlich waren die Zeitungen voll von solchen Horrorgeschichten. Sie gingen ins Restaurant und erst bei einem Kaffee konnte sich Franziska beruhigen.

Sie trank ihn schlückchenweise und ganz gegen ihre Gewohnheit mit Milch und Zucker. Dabei beobachtete sie ihn. Er wirkte harmlos, schon gar nicht wie einer, der eine Frau umbringen will. Und ein Mörder würde sich schließlich nicht mit Ausweis in einer Hotelrezeption anmelden!

Peter hatte schöne braune Augen. Sein Blick allerdings war nicht sanft und zärtlich, sondern eher kühl. Als er seine Mütze abnahm, sah Franziska eine ausgeprägte Stirnglatze. Ach, deshalb der Cowboyhut auf dem Foto? Jedoch das alles spielte jetzt keine Rolle mehr. Denn er beugte sich etwas vor und fixierte sie mit seinem Blick. Er musste die Worte nicht sagen. Sie las aus seinen Augen: Ich will jetzt Sex mit dir haben. Als er seine großen Hände mit leichtem Druck auf ihre Oberschenkel legte, interessierte sie keine Stirnglatze mehr. Ihr war nach anderen Körperregionen zumute.

Peter winkte den Kellner heran, bezahlte und holte an der Rezeption den Zimmerschlüssel.

Franziska war das ungemein peinlich, weil der Angestellte kurz in Richtung des Tisches schaute und seinem Kollegen etwas zuflüsterte. Vielleicht sagte er zu ihm: Schau mal, die wollen Sex; und die Kleine scheint es kaum erwarten zu können. Wie schmeckt Sex ohne Liebe? Sie wollte das jetzt wissen. Und gleich würde sie es auch wissen. Sie stand auf und folgte Peter den langen kalten Flur entlang bis zur Zimmernummer 201. Er schloss auf.

Franziska schaute sich kurz um. Das Zimmer war kalt und lieblos möbliert. Kein Bild an den Wänden. Ein Bettvorleger mit ausgeblichenem Muster. Ein Schrank, ein Tisch, zwei Stühle. Eine Dusche. Und natürlich das Bett. Mit gestärkter sauberer Bettwäsche bezogen, wobei das ehemalige Weiß einem Grauton gewichen war. Alles wirkte abgewohnt und ungemütlich. Sie nahm seinen Männergeruch wahr. Nicht unangenehm, eher seifig-schweißig. Das hätte sie ein anderes Mal ungemein gestört.

Doch die Lava kochte über und floss aus dem Vulkan heraus. Es gab kein Halten mehr. Sachen vom Leibe reißen. Keine Hemmungen haben. Er war für nackte Haut. Ihre Dessous schienen ihn nicht zu interessieren. Aber die Halterlosen blieben an den Beinen. Alles war erlaubt. Sie passten beim Sex perfekt zusammen. Es gab wilde Küsse, keine zärtlichen. Gierig fielen sie übereinander her.

„Los, nun noch mal eine andere Stellung! Im Stehen?“

„Okay, aber da musst du mich hochheben!“

Der Hengst hob die Stute mit Leichtigkeit hoch und schob sich wieder in sie hinein. Im Zimmer roch es regelrecht nach Sex. Aber nicht nach Liebe. Nein. Die hatte hier nicht das Geringste zu suchen.

Zeitig genug kam Franziska zu Hause an. Sie war allein. Die Zeit benötigte sie, um wieder zu sich zu kommen. Matthias würde erst am späten Abend da sein. Nach der Arbeit hatte er noch eine Besprechung in der Akademie, die ihm sehr wichtig erschien. Es ging wohl um alternative Energien. Nun, da hätte sie doch mitreden können. Sie hatte auch alternative Energien gefunden. Geheime, die aber sicher nicht von Dauer waren.

Sie nahm ein Bad und rubbelte sich die Haut, bis sie rot anlief. War es die zu spät eintretende Schamröte? Sie wollte wohl eher die Erinnerung abwaschen. Doch das gelang ihr nicht. Nur der Geruch vom erlebten Sex verschwand. Nach etwa einer Stunde ließ sie den Erinnerungsfilm zu, der nur darauf wartete, abgespult zu werden. Sie ging in ihr Zimmer und schüttelte immerzu ihren Kopf. Als wollte sie die Erinnerung aus sich herausschütteln. Es gelang ihr nicht, aber dann versuchte sie die Situation mit Humor zu nehmen. Was war das denn gewesen? Mechanischer Rein-Raus-Sex. Mehr nicht. Nun, da konnte sie auch gleich ihren Vibrator zur Hand nehmen. Augen zu und Fantasie plus Schalter betätigen. So einfach!

Es war ein milder Abend und nachdem sie die Wäsche aus der Maschine geholt und auf die Leine gehängt hatte, setzte sie sich auf die Bank unter dem Apfelbaum. Nachbars Katze wartete schon auf die abendliche Streicheleinheit. Die bekam sie und schnurrte zufrieden. War auch Franziska zufrieden? Nein. Die unterschiedlichsten Gefühle bewegten sie. Sie war verwirrt, erschöpft, ermattet. Aber nicht wohlig ermattet. Und nicht glücklich.

Als Matthias schließlich nach Hause kam, schlief Franziska schon tief und fest. Vielleicht durch die Nutzung der alternativen Energien?

Einmal ist keinmal, sagte sich Franziska und traf sich am nächsten Freitag erneut mit Mister Hengst zum Rein-Raus-Sex. Erhoffte sie sich dieses Mal Zärtlichkeit und Geborgenheit? Glaubte sie dieses zweite Mal Streicheleinheiten wie Nachbars Katze zu bekommen?

Der Ablauf war in etwa derselbe wie beim ersten Mal. Sie zogen sich gegenseitig aus und fielen übereinander her. Vielleicht ging alles sogar etwas flüssiger vonstatten. Plötzlich klopfte es an die Tür. Sie hatten in der Eile die Außentür nicht verschlossen. Zum Glück aber die Zwischentür. Wollte hier jemandem nach dem Rechten sehen? Vielleicht gab es hier einen Moralapostel. Denn moralisch ging es wirklich nicht zu in diesem tristen Zimmer. Aber dafür wild. Doch niemand begehrte Einlass.

Auch Peter schien nach Sex regelrecht zu lechzen. Bei diesem Treffen gab es allerdings eine kleine Missstimmung. Er stand auf und holte aus seiner Jackentasche eine Kamera. Die zückte er plötzlich. Franziska rief irritiert: „Was soll das jetzt? Leg die Kamera weg!“

„Schau doch mal selbst, du siehst so geil aus, ich hab ja nichts Anstößiges fotografiert!“

Sie schaute sich das Bild auf dem Display an. Ja, doch! Erotisch, sinnlich, so sah sie aus. Man sah nur ihr Gesicht und die Schultern. Nun gut, sollte er es behalten, als Erinnerung. Sie würde ihn sowieso nicht wiedersehen. Das hatte sie sich selbst versprochen.

Heimwärts fahrend schimpfte sie laut mit sich selbst.

„Na, wie geht’s dir jetzt, du sexsüchtiges Wesen? Was hast du nun von den vielen Orgasmen? Etwa immer noch nicht genug? Das war doch alles so was von billig. Ihr habt - aha, du willst es nicht aussprechen? Oh doch, das Wort passt hier: Ihr habt gefickt. Igitt. Fast wie in einem Bordell, nur, dass du den Kerl selbst ausgesucht hast und keine Bezahlung bekamst. Das wird noch einmal ein schlimmes Ende nehmen.“

5

Eine versuchte Erpressung

„Wenn Männer aufs Ganze gehen, meinen sie meistens die untere Hälfte.“ (Helen Vita)

Schlimmes Ende? Immer noch besser als mit dem Strom schwimmen, antwortete Franziska sich selbst. Bei Nietzsche hatte sie gelesen: „Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem Schafsein.“

Sie wollte kein Schaf sein. Kein dummes, geduldiges, braves, williges. Sie wollte leben, alles ausleben, was in ihr brodelte. Mit allen Konsequenzen. Franziska loggte sich am Samstagabend erneut auf der Datingseite ein.

Der Teufel musste sie geritten haben, als sie an diesem Tag erstmalig ein Foto von sich in ihrem Profil veröffentlichte.

Sie hatte das Foto solange zurecht geschnitten und bearbeitet, bis man lediglich ihren Hinterkopf mit den langen Haaren sowie die Schultern mit den schmalen schwarzen BH-Trägern sah. Weiter nichts. Doch Peter war das wohl schon zu viel. Er schrieb ihr eine Kurznachricht, die sie aber nicht gleich beantworten konnte. Denn durch das hineingesetzte Bild tummelten sich nun noch mehr Männer auf ihrem Profil, die mit ihr chatten wollten. Bis sie sich zu seiner Nachricht durchgearbeitet hatte, dauerte es einige Minuten. Er schien ungeduldig geworden zu sein. Er, der Hengst, schrieb seiner Stute: „Nimm sofort das Bild raus. Was du unter dem T-Shirt anhast, muss hier keiner außer mir wissen. Ich bin dein Hengst, merk dir das. Und überhaupt, melde dich mal von der Seite ab, die Männer sind kein Umgang für dich!“

Was sollte das alles? Wollte er sie bekehren? Es schien so, denn er schrieb: „Es geht mir hier um die Moral, um deine Moral. Du bist schließlich Lehrerin.“

Seltsame Moral, war er doch auch dort im Seitensprungrevier angemeldet!

Nun begann der Terror. Peter wollte sie zwingen, sich dort als Mitglied abzumelden.

„Du bist in meinen Augen eine Hure, damit du es weißt. Du bist nicht besser als die Nutten hier. Geh weg, bevor es zu spät ist! Ich gebe dir dreißig Minuten.“

Franziska war sprachlos. Sie verstand nicht, was da ablief. Deshalb schrieb sie zurück: „Was soll das, spinnst du jetzt total?“

Plötzlich bekam sie eine Kurzmeldung von Amigo, einem anderen User: „Was hast du nur angestellt, bei dir stehen schon zwei Regelverstöße. Noch einer, und du fliegst raus!!!“

Sie konnte sich denken, wer das veranlasst hatte. Und da war er auch schon: „Du bist immer noch da? Ich habe dich beim Support gemeldet. Du hast mich beschimpft und finanzielle Forderungen an mich gestellt. Verschwinde, verstanden?“

Welche Lügen würde er sich noch ausdenken?

Franziska saß vor dem PC, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Da klingelte das Telefon. Matthias schlief. Sie griff beim ersten Klingeln hastig nach dem Hörer. Ihre Hände zitterten. Mit Grabesstimme tönte es aus dem Hörer: „Ihre Frau ist eine Hure. Sie geht fremd.“

Franziska legte auf. Sie saß auf ihrem Stuhl wie festgenagelt. Was sollte sie tun? Erst einmal nachgeben? Sich dort abmelden? Nein! Sie vertrug es nicht, unter Druck gesetzt zu werden. Wütend schrieb sie ihm zurück: „Du bist ein gottverdammter Lügner! Und was sollte das Telefonat eben?“

Er antwortete: „Oh, welch schmutzige Worte aus diesem schönen Mund! Geh aus der Seite raus, sonst sorge ich dafür, dass du in deinem Ort als Nutte bekannt wirst.“

Alles sträubte sich in ihr gegen diese Bevormundung. Sie geriet immer mehr in Panik. Und das, genau das wollte er wohl erreichen.

Dann wieder eine Nachricht: „Bist du immer noch da? Wie du willst. Ich informiere morgen deine Dienststelle. Einen Brief werde ich schicken, vielleicht liegt sogar ein Bild darin, du weißt schon, von wem!“

Franziska stockte der Atem. Sie konnte es nicht glauben. Sie waren sich doch so nahe gewesen. Wo waren seine romantischen Worte aus der Anfangszeit geblieben? Warum nur reagierte er jetzt so seltsam, so gemein? Und das Foto, wieso tat er so etwas? Eifersucht? Ihre Menschenkenntnis musste sie wohl vollkommen verlassen haben, als sie sich mit ihm näher eingelassen hatte. Sie stand Ängste aus, unbeschreibliche, unangemessene. Und eben diese Ängste blockierten regelrecht ihr logisches Denken, ließen diese Panik immer mehr wachsen.