Endlich muss ich nicht mehr wollen, was ich alles darf - Hanna Dietz - E-Book

Endlich muss ich nicht mehr wollen, was ich alles darf E-Book

Hanna Dietz

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Beschreibung

Alter ist das, was passiert, während du dabei bist, dich jung zu fühlen. Ganz plötzlich ist dir nach Ingwertee zur Happy Hour und Relaxsessel statt Party, und die neueste Mode der Jugend verstehst du auch nicht mehr. Irgendwo Mitte 40 ist dir die Coolness abhandengekommen. Das Überraschendste daran ist: Sie fehlt dir gar nicht. Im Gegenteil! Es ist total befreiend, niemanden mehr beeindrucken zu müssen. Nicht mal mehr dich selbst. Mit viel Witz und Charme erzählt Bestsellerautorin Hanna Dietz von den Überraschungen, die die zweite Hälfte des Lebens bereithält, und erklärt, warum man sie die besten Jahre nennt: Weil es am schönsten ist, wenn wir endlich so sein können, wie wir schon immer sein wollten.

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Seitenzahl: 199

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Hanna Dietz

ENDLICH MUSS ICH NICHT MEHR WOLLEN, WAS ICH ALLES DARF

Hanna Dietz

ENDLICH MUSS ICH NICHT MEHR WOLLEN, WAS ICH ALLES DARF

Wie du entspannst, wenn du niemanden mehr beeindrucken willst

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

4. Auflage 2023

© 2022 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Wichtiger Hinweis:

Die gewählte männliche Form bezieht sich immer zugleich auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf konsequente Mehrfachbezeichnung wurde aufgrund besserer Lesbarkeit verzichtet.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/wannawit_vck

Satz: Satzwerk Huber, Germering

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0429-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-819-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-820-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

FÜR CHRISTIANE

DANKE FÜR ALLES! LIES DAS, KIND, DAS IST GUT. (INSIDERWITZE, VOL. I)

INHALT

Einleitung: Auf dem Sonnendeck des Lebens

Schmetterlingseffekte: Kleine Veränderungen, große Auswirkung

Das seltsame Imponierverhalten des Homo sapiens

Neu auf der To-do-Liste: Nichtstun

Risiken und Nebenwirkungen des Vergleichens

Im Flugmodus zum Glück

Ein bisschen Spießigkeit ist kein Weltuntergang

Man braucht kein Werkzeug, um seine Ansprüche runterzuschrauben

Wer bin ich – und wenn ja, warum?

Die heilsame Wirkung der Gelassenheit

Alter schützt vor Neugier nicht

Im Terminkalender steht jetzt »Zeit für mich«

Seine eigenen Fehler aushalten

Jede Veränderung ist auch ein Neuanfang

Heute koche ich mal Glückspilzragout! – Mein Fazit

EINLEITUNG: AUF DEM SONNENDECK DES LEBENS

Allein schon die verschiedenen Begriffe für die Zeit, in der man nicht mehr jung ist, aber auch noch nicht alt, sind verwirrend. Mal ist die Rede von Midlife-Crisis, mal von Alterspubertät, dann wieder von den besten Jahren. Ja, was denn nun? Letzten Endes sind alle Begrifflichkeiten sowieso nur der Versuch, Etiketten aufzukleben. Aber wenn man schon eine Überschrift für diesen Lebensabschnitt braucht, kann man doch auch etwas Hübsches nehmen. Zum Beispiel: auf dem Sonnendeck.

Wir haben die wilden Gewässer hinter uns gelassen. Haben einen Beruf erlernt, eine Familie gegründet und Kinder großgezogen (oder auch nicht) und eine Heimat gefunden (ob in einem Reihenhaus, einer Etagenwohnung oder einer Hütte am Strand). Wir haben unter großer Anstrengung den Motor ans Laufen gebracht und den Kurs bestimmt, den unser Dampfer ansteuert. Jetzt ist es an der Zeit, aufs Sonnendeck zu kommen und die Aussicht zu genießen. Das lohnt sich. Denn die ist richtig gut! In der Mitte des Lebens wartet nämlich die große Freiheit. Und das aus vier Gründen:

Wenn der Lack ab ist, kann man erst richtig glänzen

Ja, wir sind noch attraktiv – aber wir spielen jetzt in einer anderen Liga. Selbst wenn wir uns fit halten, kommen wir gegen das faltenfreie Leistungsvermögen von Jüngeren nicht mehr an. Zum Glück! Denn damit brauchen wir in diesem anstrengenden Wettbewerb auch nicht mehr anzutreten. Mitmischen tun wir trotzdem. Aber es geht uns nicht mehr um Rekorde und Siege und Idealmaße, sondern um den Spaß an der Freud. Und das macht uns erst richtig schön.

Die Kinder sind keine Kinder mehr

Die Kinder sind so groß und selbständig geworden, dass man nicht mehr an Haus und Abholzeiten und Schlafrhythmen gefesselt ist. Man hat wieder Zeit für sich. Und kann sie sich nehmen! Man kann ihnen eine Textnachricht schicken, dass man jetzt ins Schwimmbad fährt oder einkaufen oder Kaffee trinken. Und einfach aus dem Haus gehen. Man kann ihnen sagen, dass man Yoga macht und nicht gestört werden will. Und man wird tatsächlich nicht gestört. Was sich wie eine Selbstverständlichkeit anhört, ist für Mütter und Väter fast ein Wunder.

Die biologische Uhr hat ausgedient

Auch für kinderlose Singlefrauen gibt es auf dem Sonnendeck neue Freiheiten. Die Phase, in der man noch schnell einen Mann finden wollte, um vielleicht doch noch Kinder bekommen zu können, ist endgültig vorbei. Dieser Abschnitt liegt unwiederbringlich hinter einem. Und auch wenn der Abschied von diesem Lebenstraum sehr schmerzhaft sein kann, kann es eine Befreiung sein. Der Zeitdruck ist weg. Man kann in aller Ruhe auf die Suche nach einem Partner gehen. Oder eben auch gar nicht und sein Leben als Single genießen.

Bye-bye, Coolness!

Die Coolness, wie wir sie kannten und früher verehrten, ist uns irgendwo auf dem Weg abhandengekommen, genau wie die Fähigkeit, stundenlang auf dem Boden zu sitzen und das auch noch gemütlich zu finden. Coolness gehört der Jugend. Und das ist gut so. Denn wenn man erst auf dem Sonnendeck seinen Liegestuhl aufgeschlagen hat, weiß man: Man kann entweder cool sein. Oder das machen, was man möchte.

In diesem Lebensabschnitt bieten sich so viele Möglichkeiten. Wir können nach Portugal jetten oder mit dem Wohnwagen an den Biggesee fahren, wir können Aquarellmalerei betreiben, Poker spielen, unser eigenes Gemüse anbauen, uns endlich den Stapel noch ungelesener Bücher vornehmen, fliegenfischen oder uns für Obdachlose engagieren. Wir können in Vereinen gesellig sein, alleine den Kilimandscharo besteigen, uns bei GNTM anmelden oder einfach auf dem Balkon sitzen und den Vögeln lauschen. Das Beste daran ist: Wie wir unser Leben gestalten, ist immer richtig. Welche Hobbys und Ziele und Leidenschaften wir uns auch aussuchen, ob wir alte Pfade verlassen und neue Wege gehen oder einfach alles so lassen, wie es ist – es gibt keine falschen Entscheidungen.

Wenn wir das alles aus den richtigen Gründen tun.

Für uns.

Das klingt jetzt erst einmal sehr simpel. Ist es aber nicht. Denn die Welt, in der wir leben, ist extrem komplex und es gibt haufenweise Faktoren, die unsere Entscheidungen beeinflussen. Viele davon sind unbewusste Mechanismen, die uns dazu bringen, Sachen zu machen, die wir eigentlich nicht machen möchten. Oder Sachen nicht zu machen, die wir eigentlich machen wollen.

Ein wichtiger Mechanismus ist die Gewohnheit. Wir verhalten uns, wie wir es von uns gewohnt sind. Wie andere es von uns gewohnt sind. Wenn man aus diesen Gewohnheiten ausbrechen möchte, fangen die Schwierigkeiten an.

Denn wir alle haben einen lebenslangen Vertrag als Hauptdarstellerin in unserer eigenen Telenovela. In dieser Telenovela führt eine ziemlich schwierige Person die Regie: die Erwartungshaltung. Und die ist eine echte Diva! So kompliziert wie Bridget Jones, so durchtrieben wie Cersei Lennister und manchmal auch so unbarmherzig wie Cruella de Vil.

Was nicht heißt, dass wir die Erwartungshaltung nicht überlisten können. Aber bevor wir aufhören können, nach ihrer Pfeife zu tanzen, müssen wir sie erst einmal durchschauen. Und dann nach und nach unsere Rolle nach unseren Vorstellungen ändern – auf die Gefahr hin, dass das Publikum erst einmal nicht begeistert ist. Aber so ist es nun mal: Die echte Freiheit fängt erst an, wenn wir niemanden mehr beeindrucken wollen.

Nicht mal uns selbst.

SCHMETTERLINGSEFFEKTE: KLEINE VERÄNDERUNGEN, GROßE AUSWIRKUNG

HAPPY HOUR MIT INGWERTEE

Welche unvorhergesehenen Auswirkungen kleine Veränderungen haben können, war mir nicht bewusst, als es mich das erste Mal erwischte. Die Sonne strahlte an diesem Frühlingstag, an dem ich mich mit zwei Freundinnen aus der Schulzeit, Silke und Nicole, im Straßencafé traf, Aachener Straße in Köln. Hier ist immer was los. Hippe Leute schieben sich zwischen den Tischen der Cafés vorbei, urbanes Feeling total! Ein perfekter Anlass, meine neue petrolfarbene Jacke auszuführen, die ich im Schlussverkauf ergattert hatte. Kaum saßen wir an einem der kleinen Metalltische, quatschten wir drauflos. »Prosecco!«, rief Nicole, »zur Feier des Tages!«

Die Kellnerin brachte drei Gläser, wir aßen leckere Tapas und unterhielten uns. Meine neue Jacke war im Sitzen hinten doch etwas kurz und ich zupfte dran rum. Waren 21 Grad früher nicht wärmer gewesen?, dachte ich fröstelnd. Dabei fiel mir ein: »Silke, weißt du noch, wie deine Mutter uns immer vor Nierenbeckenentzündungen gewarnt hat?«, fragte ich.

»Oh Mann, klar!« Silke rollte die Augen. »Jedes Wochenende! Sie hat immer so getan, als stünden wir mit einem Bein im Grab, nur weil wir nicht warm genug angezogen waren.«

»Wer schön sein will, muss frieren«, warf Nicole unseren damaligen Wahlspruch ein und wir lachten kopfschüttelnd über die Erinnerung. Da sah ich die Decken auf einer Bank neben dem Eingang liegen. Perfekt! Ich stand auf. »Möchte eine von euch auch eine?«, fragte ich und deutete auf den Berg mit den kuscheligen Decken.

»Hast du meine Hose nicht gesehen?« Nicole schlug die schlanken Beine in Lederoptik übereinander. »Die verhülle ich doch nicht!«

Ich wickelte die Decke um mich und setzte mich.

»Und gleich nach der Sitzgymnastik fängt unsere beliebte Bingorunde an«, sagte Silke spöttisch und klappte ihre Sonnenbrille aus dem Haar auf ihre Nase.

»Haha«, grinste ich und freute mich über die gemütliche Wärme, die sich in meinem Rücken und an meinen Beinen ausbreitete. Die Kellnerin räumte die Teller ab und legte eine Cocktailkarte auf den Tisch. »Oh, jetzt ist Happy Hour«, rief Nicole. »Ich nehme einen Mojito. Und ihr?«

Silke entschied sich für einen Caipirinha. Die beiden schauten mich an. Ich warf schnell einen Blick in die Karte. Auf einmal hatte ich große Lust auf einen heißen Tee.

»Ich nehme den Ingwertee«, sagte ich zu der Kellnerin. Erst als sie weg war, bemerkte ich, dass meine Freundinnen mich ungläubig musterten. »Ich glaub, ich hab es auf den Ohren. Irgendwie hab ich Ingwertee verstanden, dabei hast du doch bestimmt Margarita gesagt, oder?«, fragte Silke.

»Sie hat auf jeden Fall Margarita gesagt«, bestätigte Nicole. »Ich meine, Ingwertee! Zur Happy Hour! Das wäre ja total schräg. Die Leute würden uns für verrückt halten.«

»Dabei sind wir es auch«, vollendete Silke unser Motto von früher.

»Ähm. Ja. Da war mir gerade nach«, sagte ich leicht verlegen und zog die Decke etwas höher. Als die beiden merkten, dass ich es ernst meinte, schauten sie mich verwundert an.

»Ist alles in Ordnung?«, wollte Silke wissen.

»Ja, genau. Erst die Decke. Jetzt Tee«, hakte Nicole nach. »Bist du irgendwie krank?«

Ich horchte in mich rein, ob mich irgendwelche Bazillen piesackten, der Hals kratzte oder ich sonstige Anzeichen für eine Erkältung spürte. Aber der Gesundheitsscan blieb erschreckend unauffällig. Da stimmte doch was nicht. Ich hatte nicht mal drüber nachgedacht, wie ich mit diesen Insignien des Vorruhestands in der Öffentlichkeit wirken könnte. Es war mir für einen Moment völlig egal gewesen. Das ließ nur eine andere, äußerst alarmierende Diagnose zu. Es war keine drohende Erkältung. Es war schlimmer! Ich war offensichtlich uncool geworden.

»Nee«, beeilte ich mich zu sagen, »das war natürlich Quatsch mit dem Ingwertee. Was für eine blödsinnige Idee!« Ich riss mir die Decke von den Beinen, lief schnell rein zur Kellnerin und bestellte ordnungsgemäß eine Margarita. Auf dem Weg legte ich verschämt die Decke zurück. Meine Freundinnen atmeten auf und ich freute mich, dass wir danach wie früher »auf uns« anstoßen konnten.

MANCHMAL BLÄTTERT MAN EINE SEITE UM UND IST MITTEN IM NÄCHSTEN AKT

Im Grunde war die Happy Hour mit Ingwertee keine große Sache. Außer für mich. Es war nämlich das erste Mal, dass ich bemerkt habe, dass sich etwas geändert hatte. Dass ich mich geändert hatte. Dass Sachen, die für mich mal selbstverständlich waren, es auf einmal nicht mehr sind. In der Theorie des Schreibens würde man das ein »auslösendes Ereignis« nennen. Einen »Wendepunkt« in der Geschichte. Keiner von den ganz großen Wendepunkten, wo einem eine Schatzkarte in die Hände fällt oder man im Garten über eine Leiche stolpert und nichts mehr ist wie vorher. Eher ein Wendepunkt der stillen Sorte. Wie wenn man seine Lieblingshose nach längerer Zeit aus dem Schrank holt und sie auf einmal nicht mehr passt. Da kündigt man auch nicht seinen Job oder verlässt seinen Mann oder macht sonst irgendwas Revolutionäres. Nein, man überlegt einfach, wie das passieren konnte, und was man als Nächstes unternehmen soll: Diät oder Shoppen.

Obwohl es noch sehr nett gewesen war mit Silke und Nicole zur Happy Hour, hat es mich trotzdem gewurmt. Warum hatte ich mich von meinen Freundinnen zu etwas überreden lassen, was ich eigentlich nicht wollte? Ich überlegte, ob ich mich auch über die beiden ärgern sollte, weil sie mich dazu gebracht hatten, doch den Cocktail zu bestellen. Und die Decke aufzugeben. Aber erstens war es meine Entscheidung gewesen. Und zweitens haben auch sie sich nur an ihren Text gehalten. Sie haben die Szene genauso gespielt, wie wir sie schon hundertmal gespielt haben. Sie haben sich an die Regieanweisung gehalten. Nur ich nicht!

Die Regieanweisung, unsere Erwartungshaltung nämlich, hatte vorgegeben: »Ihr habt einen lustigen Abend wie früher.« Als ich die Decke geholt habe, hat die Regisseurin schon verwirrt die Augenbraue hochgezogen. Bei der Happy Hour bin ich dann komplett aus meiner Rolle ausgebrochen. Meine Freundinnen haben unsere typischen Witze gerissen – und damit sie damit aufhören, habe ich den Tee abbestellt und den Cocktail genommen.

Ich habe nicht das gemacht, was ich eigentlich wollte. Weil etwas anderes von mir erwartet wurde. Und weil ich beeindrucken wollte:

meine Freundinnen, um ihnen zu beweisen, dass ich noch immer die Hanna bin, mit der man feiern gehen und Spaß haben kann.

das Kölner Szene-Café, wo schon die Kellner hip sind, und die Gäste erst recht, und wo ich beweisen wollte, dass ich jung geblieben war und noch dazugehörte.

mich natürlich. Auch mir wollte ich beweisen, dass ich noch keine langweilige alte Schachtel bin, die während der Happy Hour mit Omadecke über den Beinen am Tee nippt.

Bin ich noch nicht bereit fürs Sonnendeck? Muss ich mich, bevor ich es mir dort gemütlich machen kann, erst einmal sortieren? Und überlegen: Wer bin ich jetzt eigentlich?

ALTER IST DAS, WAS PASSIERT, WÄHREND DU DABEI BIST, DICH JUNG ZU FÜHLEN

Ich erzählte die Geschichte ein paar Tage später in der Redaktion meiner Kollegin Anja. »Meine Freundinnen haben mich angeguckt, als wäre ich verrückt geworden«, fasste ich zusammen. »Und das bin ich anscheinend auch.« Ich hoffte sehr, dass sie mir widersprach. Stattdessen schaute Anja mich ganz ernst an, schluckte und antwortete fast flüsternd: »Ich hab mir einen Oodie gekauft.«

»Einen was?«, wollte ich wissen. Sie zeigte mir Fotos. Ein Oodie ist ein knielanges Deckenzelt mit Kapuze aus gefüttertem Fleecestoff. Anja hatte sich das Modell »Knoblauchbrot« ausgesucht. Eigentlich wollte sie den blauen mit den Ottern drauf, die Sushi essen und fröhlich grinsen. Aber der war ausverkauft. Jetzt hat sie also ein gelbes Deckenzelt, auf dem Toastbrote abgebildet sind. Ich versuchte, diplomatisch zu bleiben: »Das sieht gemütlich aus.«

»Das Teil ist auch wirklich sooo gemütlich und kuschelig warm, das glaubst du nicht«, schwärmte sie und betrachtete zärtlich die Bilder auf ihrem Smartphone. »Mein Leben ist wirklich ein anderes geworden.«

»Und was sagt Rainer dazu?«, fragte ich vorsichtig.

Sie seufzte. »Er weiß es noch nicht. Bisher hab ich den Oodie nur getragen, wenn ich allein war. Zum Glück arbeitet er so viel.«

»Du hast also eine heimliche Affäre mit einem gigantischen Hoodie und ich bestelle Tee statt Cocktails«, fasste ich die Geschehnisse noch einmal zusammen und musste auf einmal lachen. Das einzig Beruhigende an dieser ganzen Sache war, dass ich offensichtlich nicht allein war auf meinem Weg in die Uncoolness. Ansonsten war geradezu erschütternd, was da mit uns passierte!

»Aber wie kann das sein?«, fragte ich entrüstet. »Ich bin doch viel zu jung für Ingwertee zur Happy Hour.«

»Offensichtlich nicht«, gab Anja zurück. »Du wolltest den haben, also passt das zu dir.« Als sie meine betretene Miene bemerkte, erklärte sie weiter: »Man liest überall den Spruch: Man ist so alt, wie man sich fühlt. Ich finde aber, das ist totaler Quatsch. Damit soll einem nur eingeredet werden, man habe es selbst in der Hand, wie alt man wirklich ist. Dabei stimmt das nicht. Man ist so alt, wie man nun mal alt ist. Ob man will oder nicht. Und in unserem Alter braucht eine Frau manchmal eben einen Oodie und einen Ingwertee«, sagte sie und stand auf, um zu einer Pressekonferenz zu fahren.

Ich blieb noch einen Moment an meinem Schreibtisch sitzen und dachte darüber nach, ob Alter eine unvermeidliche Tatsache ist, der man sich früher oder später beugen muss, oder bloß ein Konzept, das man individuell mit dem Inhalt seiner Wahl füllen kann.

Hat man aber die Wahl, wird es schon wieder kompliziert. Schließlich ist der Mensch ein soziales Wesen und als soziales Wesen orientiert man sich an der Gesellschaft, von der man sich Anerkennung erhofft. Schon ist man wieder beeinflussbar. Von seinem Umfeld aus Freunden und Bekannten – oder wie es in Soziologie und Pädagogik genannt wird: die Peergroup. Das ist eine soziale Gruppe, der man sich zugehörig fühlt. Sie kann großen Einfluss auf das Verhalten haben. Nicht nur bei Jugendlichen.

Und von den Medien ist man ohne Frage auch beeinflusst. Sie prägen das Bild, wie man in den besten Jahren optimalerweise zu sein hat: aktiv, möglichst faltenfrei, schlank, abenteuerlustig – mit anderen Worten jung geblieben – und gleichzeitig gelassen, souverän und selbstbestimmt. Das Beste aus zwei Welten sozusagen.

Dieses Bild der Medien von Menschen ab 40 aufwärts ist sehr schön. Und ich hoffe sehr, ich fühle mich irgendwann genauso, wie es in den Zeitschriften und Magazinen dargestellt wird. Bisher ist das eher nicht der Fall. Ich fühle mich einfach verwirrt.

Vielleicht ist der Begriff Alterspubertät, von dem neuerdings die Rede ist, doch ein sehr passender. Denn genau wie in der ersten Pubertät bemerkt man in der Mitte des Lebens körperliche Veränderungen, die plötzlich ganz andere Bedürfnisse wecken als die, die man bisher kannte. Nur geht es eben nicht um Pickelcreme, erste Liebe und die Einführung in die Welt der alkoholischen Getränke, sondern um Ingwertee, Heizdecken und Vorsorgeuntersuchungen. Und natürlich um die große Frage:

Wie schaffe ich es, die besten Jahre tatsächlich zu den besten meines Lebens zu machen?

Was muss ich dafür tun? Und was lassen?

Die Antworten darauf sind nicht einfach zu finden. Sie sind quasi verschlüsselt – durch eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten, die sich in der Lebensmitte plötzlich bieten, und durch die Veränderungen des Körpers, den man neu kennenlernen muss.

Es ist, als ob man erst einmal den Code knacken müsste für das, was in einem vorgeht.

Besonders für Frauen ab Mitte 40 sind die hormonellen Kapriolen eine Herausforderung. Wenn man über Jahrzehnte in einem berechenbaren Zyklus gelebt hat, auf den man sich trotz seines stimmungsschwankenden Naturells blind verlassen konnte, ist es geradezu beängstigend, wenn dieser Zyklus auf einmal willkürlich die Reihenfolge ändert und ohne Ankündigung macht, was er will.

Wie bei der Zusammenfassung von Let’s dance: Da werden jeweils für ein paar Sekunden die Tanzpaare gezeigt, die sich zu den unterschiedlichsten Klängen drehen. Walzer, Tango, Salsa, Jive, Cha-Cha-Cha. So ähnlich fühlen sich die Wechseljahre auch an. Rasend schnell ändert sich der Rhythmus; und es ist kein Wunder, wenn man aus dem Takt kommt.

Hinzu kommt, dass man auch die Zeichen nicht mehr richtig deuten kann.

Früher wusste man genau, was in den nächsten Tagen zu erwarten ist. Wie ein Meteorologe, der angesichts der Satellitenbilder erkennt: Ein Tiefdruckgebiet ist von Norden im Anmarsch und bringt Nebel und Graupelschauer. In den Wechseljahren entpuppt sich dann aber zum Beispiel ein angekündigtes Hoch doch als Regenwetter, und ein aufziehender Sturm löst sich auf einmal in nichts auf. Ständig muss man sich überraschen lassen.

Mich verunsichert das. Und es nervt! Wenn ich jetzt schlechte Laune habe, kann ich es nicht mal mehr aufs PMS schieben. Was ja bedeuten könnte, dass schlechte Laune ganz alleine meine Schuld ist!

Kein Wunder, dass man ein bisschen Zeit braucht, um sich an diesen Wahnsinn zu gewöhnen. Vor allem, weil es auch noch andere körperliche Veränderungen gibt, die bisweilen unangekündigt auftauchen.

WER AUFTRUMPFEN WILL, BRAUCHT GUTE KARTEN

Wendepunkt Nummer zwei ereilte mich ebenso unvorbereitet. Bei einem Pressetermin im Literaturkeller. Was mir meinen guten Vorsatz in Erinnerung rief: Wenn ich mal groß bin, werde ich mich nie mehr blamieren. Und das schaffe ich bestimmt auch. Wenn ich endlich damit aufhöre, beeindrucken zu wollen.

Ich freute mich auf den Termin, bei dem die Bestsellerautorin Ursula Poznanski ihren neuen Krimi vorstellen sollte. Der Organisator war Jörn Himmelrath, ein alter Bekannter von mir. Als ich vor Ewigkeiten bei einem Jugendmagazin des WDR gearbeitet hatte, waren wir uns das erste Mal begegnet. Er hatte damals eine Künstleragentur gehabt und für unsere Sendung den einen oder anderen Showact besorgt. Er war mir als besonders kompetent aufgefallen, weil er mir immer wieder Komplimente für meine blauen Augen gemacht hatte. Jetzt betreute er verschiedene Literaturevents. Das letzte Mal gesehen hatte ich ihn vor einem Jahr. Da war ich völlig geplättet gewesen, weil aus dem leicht teigigen Witzbold mit der gewellten braunen Helmfrisur ein drahtiger, graumelierter Charmeur im schwarzen Slim-Fit-Sakko geworden war. Der lebende Beweis dafür, dass das Alter nicht zwangsläufig aufs Abstellgleis führen muss, sondern man wirklich cooler und attraktiver werden kann, auch wenn man nicht George Clooney heißt.

Das Ambiente im Literaturkeller würde mir dabei in die Karten spielen. Schummeriges Licht ist in Sachen Verjüngungseffekt mindestens so wirkungsvoll wie ein Facelift, nur ohne die fiesen Risiken und Nebenwirkungen – wie zum Beispiel Horrorfratze. Einfachste Methode also, jung und schön zu sein, ist, das Licht zu dimmen.

Auf dem Weg in den Literaturkeller war ich bester Dinge. Vor ein paar Tagen war ich zufällig beim Friseur gewesen. Graumeliert funktioniert bei mir leider nicht so. (Der George-Clooney-Gender-Gap!) Aber mit Sonnenreflexen im Haar, meiner figurschmeichelnden schwarzen Bluse und dem kaschierenden Frühlingsmantel fühlte ich mich super. Um meine Augen in Szene zu setzen und meinem Image bei Jörn Himmelrath gerecht zu werden, hatte ich Kontaktlinsen statt der üblichen Brille gewählt. Früher trug ich die immer. Heute sind sie mir eher lästig, weil die Augen so schnell trocken werden und ich außerdem manchmal unter der Brille hindurch linsen muss, wenn ich in der Nähe etwas lesen möchte. Aber heute hatte ich Kontaktlinsen angezogen, für ein kleines bisschen harmloses Flirten mit Jörn Himmelrath.

Das Kamerateam würde später dazustoßen, wenn wir das Exklusivinterview mit der Autorin machen würden. Umso mehr konnte ich mich gleich zu Beginn auf meinen alten Bekannten konzentrieren. Ich fuhr mir noch mal durch mein blondgesträhntes Haar und stieg die Treppe in den Keller runter. Indirekte Leuchten und LED-Kerzen tauchten das Gewölbe in goldenes Licht. Jörn kam mir entgegen. Schlank in Jeans, mit schwarzem Jackett und schwarzem Hemd. Er begrüßte mich und verriet dabei, dass es leider eine kleine Last-minute-Planänderung gäbe. Poznanski sei verhindert. Ein Kölner Nachwuchsautor würde seinen Debütroman präsentieren. »Aber das ist ja sicher auch was für euch als Lokalredaktion«, sagte er.

»Natürlich«, sagte ich und klimperte mit den Wimpern. Er zwinkerte mir zu. »Immer noch so strahlende Augen.« Na also, dachte ich befriedigt, Mission erfolgreich. Er drückte mir einen Zettel in die Hand. »Da steht alles drauf, was du wissen musst.« Er eilte weiter. Da stand ich also mit strahlenden Augen im schummrigen Licht und blickte auf den Zettel mit den Infos. Verschwommene Buchstabensuppe tanzte mir entgegen. Den fettgedruckten Titel konnte ich lesen. Der Rest bewegte sich wie ein Knäuel Ameisenstraßen auf dem Papier und blieb nicht lange genug still, als dass ich etwas entziffern konnte. Und mit den blöden Kontaktlinsen konnte ich auch nicht unter dem Brillenrand durchschauen. Mist! Ich hielt den Zettel immer weiter weg und kniff die Augen zusammen. Es nützte nichts. Der weißbärtige Reporter vom Kölner Stadt-Anzeiger warf mir einen belustigten Blick zu. Er balancierte eine Lesebrille auf der Nasenspitze. Um seine Falten zu vertuschen, hätte es schon stockfinster sein müssen.

Ich lächelte ihm zu und faltete schnell den Zettel zusammen, um diese peinliche Blindfisch-Posse zu beenden. Routine würde mich retten. Ich kannte den Titel, den Rest würde der Autor schon erklären. Die Standardfragen lauteten: Worum geht es? Wie sind Sie darauf gekommen? Für wen ist das Buch geeignet?

Im Nachhinein werfe ich mir natürlich vor, dass ich den Titel des Buches vorher nicht doch hinterfragt habe. Aber in einer Welt, in der Vulgärdeutsch bei Radiomoderatoren offenbar als hip gilt, sogar der Schnurrbartkunst verfallene Trödel-Opis Bücher über Arschlöcher schreiben und Bestsellerlisten reihenweise Titel enthalten, in denen die Begriffe »Scheiße«, »Arsch« oder »Fuck« vorkommen, wundert einen gar nichts mehr.