Gibt's das auch in romantisch? & Wer A sagt, muss auch Baby sagen - Hanna Dietz - E-Book
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Gibt's das auch in romantisch? & Wer A sagt, muss auch Baby sagen E-Book

Hanna Dietz

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Beschreibung

Romantische Komödien im Sammelband – »Gibt's das auch in romantisch? & Wer A sagt, muss auch Baby sagen« von Hanna Dietz jetzt als eBook bei dotbooks. GIBT'S DAS AUCH IN ROMANTISCH?: Lotte träumt vom perfekten Antrag – doch diese Träume zerschellen, als Jan inmitten grölender Formel-1-Fans einen Bierdosenverschluss als Ring zückt. Als auch die Flitterwochen ein Reinfall sind, stellt sie ihm ein Ultimatum: Romantik – oder Scheidung! Und siehe da, es funktioniert, Lotte schwebt auf Wolke 7. Bis ihr aufgeht, dass Jan all die süßen Ideen unmöglich allein gehabt haben kann … WER A SAGT, MUSS AUCH BABY SAGEN: Annas biologische Uhr tickt wie verrückt, doch ihr langjähriger Freund ist immer noch nicht für Kinder bereit. Anna will nicht länger warten: Immerhin kann Frau heutzutage auch ohne Mr. Right ein Baby kriegen! Auch ihre Freundin Eddy steht ihr bei, wenn sie zum Beispiel Mitarbeiter einer Samenbank mit Fragen löchert. Doch als Annas Hormone plötzlich zuschlagen, gibt es statt eines Plans erstmal jede Menge Chaos! Jetzt als eBook kaufen und genießen: der Liebesroman-Sammelband »Gibt's das auch in romantisch? & Wer A sagt, muss auch Baby sagen« von Hanna Dietz. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 524

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Über dieses Buch:

GIBT'S DAS AUCH IN ROMANTISCH?: Lotte träumt vom perfekten Antrag – doch diese Träume zerschellen, als Jan inmitten grölender Formel-1-Fans einen Bierdosenverschluss als Ring zückt. Als auch die Flitterwochen ein Reinfall sind, stellt sie ihm ein Ultimatum: Romantik – oder Scheidung! Und siehe da, es funktioniert, Lotte schwebt auf Wolke 7. Bis ihr aufgeht, dass Jan all die süßen Ideen unmöglich allein gehabt haben kann …

WER A SAGT, MUSS AUCH BABY SAGEN: Annas biologische Uhr tickt wie verrückt, doch ihr langjähriger Freund ist immer noch nicht für Kinder bereit. Anna will nicht länger warten: Immerhin kann Frau heutzutage auch ohne Mr. Right ein Baby kriegen! Auch ihre Freundin Eddy steht ihr bei, wenn sie zum Beispiel Mitarbeiter einer Samenbank mit Fragen löchert. Doch als Annas Hormone plötzlich zuschlagen, gibt es statt eines Plans erstmal jede Menge Chaos!

Über die Autorin:

Hanna Dietz wurde 1969 in Bonn geboren und studierte an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit 1993 arbeitet sie als freie Journalistin für das Radio und den WDR. Sie ist auch bekannt für ihre Kinderbücher unter dem Pseudonym Emma Flint.

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Sammelband-Originalausgabe März 2024

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Die Originalausgabe von »Gibt’s das auch in romantisch?« erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Mein unheimlich romantischer Mann « und 2010 unter dem Titel »Soll das ein Antrag sein?« bei Piper; Copyright © der Originalausgabe 2008 Piper Verlag GmbH, München; Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Die Originalausgabe von »Wer A sagt, muss auch Baby sagen« erschien erstmals 2007 unter dem Titel »Meuterei der Hormone« bei Piper; Copyright © der Originalausgabe 2007 Piper Verlag GmbH, München; Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-062-2

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Hanna Dietz

Gibt’s das auch in romantisch? & Wer A sagt, muss auch Baby sagen

Zwei Romane in einem eBook

dotbooks.

Gibt’s das auch in romantisch?

Wünschen wir uns nicht alle manchmal, auf Händen getragen zu werden? Schon seit langem träumt Lotte in herrlichstem Rosarot von dem Tag, an dem sie einen Heiratsantrag von ihrem Freund Jan bekommt. Doch all ihre Träume zerschellen, als er inmitten einer grölenden Menge von Formel-1-Fans einen Bierdosenverschluss als Ring zückt. Unromantischer geht’s ja wohl nicht! Als auch die Flitterwochen in Frankreich am Boden der Romantikskala rangieren, stellt Lotte ihrem frischgebackenen Mann ein Ultimatum: Romantik – oder Scheidung! Und siehe da, es funktioniert. Lotte schwebt auf Wolke 7 – bis ihr der Gedanke kommt, dass Jan all die süßen Ideen unmöglich allein gehabt haben kann …

Teil I

Männer muss man nehmen, wie sie sind,

aber man darf sie nicht so lassen.

Zsa Zsa Gabor, Hollywood-Diva

Kapitel 1

Im Mai vergangenen Jahres stellten zwei Ereignisse mein Leben auf den Kopf: Ich bekam einen Heiratsantrag, und ich kaufte mir eine Schiebermütze.

»Wie siehst du denn aus?« Sibylle starrte mich an, als hätte ich einen selbst gehäkelten Klorollenhalter auf dem Kopf.

»Wir hassen doch Schiebermützen!«, meinte Conny.

Die beiden hatten recht. In unseren Mode-Hass-Charts hatten wir der Schiebermütze einen Ehrenplatz eingeräumt – neben Ibiza-Stretch-Bikinis, Mokassins, T-Shirts mit Angebersprüchen wie »Remember my name, you’ll scream it tonight« und natürlich weißen Socken in Sandalen und hautfarbenen Füßlingen in Pumps. Wenn der Begriff Deppenkappe jemals für etwas gut gewesen ist, dann für die Schiebermütze und ihre noch groteskere Schwester, die Ballonmütze.

»Man kann doch wohl mal seine Meinung ändern«, sagte ich patzig. Meine dunklen Haare wellten elegant unter dem Mützenrand hervor, der bernsteinfarbene Tweed schmeichelte meinen braunen Augen. »Außerdem steht sie mir einfach gut.«

»Das ist nicht der Punkt«, sagte Sibylle.

»Ich hab auch schon mal überlegt, mir eine zu kaufen«, fügte Conny hinzu, »aber ihr wisst ja, ich kann keine Hüte tragen.«

Sie zeigte auf die Gucci-Sonnenbrille, die sie wie immer mit Haarspray auf dem Kopf einbetoniert hatte. Klar, dass da kein Hut drauf passte.

»Man muss einfach ab und zu mal was Neues wagen«, rechtfertigte ich mich, »es kann nämlich sein, dass man Sachen nur aus Gewohnheit jahrelang ablehnt und plötzlich feststellt, dass man was ganz Tolles verpasst.«

»Und was kommt als Nächstes? Leopardenleggings?« Sibylle lachte grimmig. »Trittst du Scientology bei? Oder wirst ein Fan von Nina Ruge?«

»Du könntest auch mal überlegen, was anders zu machen. Und aufhören zu rauchen. Wäre besser«, sagte ich spitz.

»Siehst du, Lotte, genau das meine ich. Ich bin Raucherin, klar? Das war ich mit zwanzig, das war ich mit dreißig, und das bin ich heute. Punkt. Ich bin Raucherin, und du bist Vegetarierin. So hat eben jeder sein Laster.«

»Haha, siehst du«, sagte ich triumphierend, »genau darüber habe ich auf dem Weg hierher nachgedacht.«

Unter den staunenden Augen meiner Freundinnen bestellte ich ein Salamibaguette. Ich hatte seit sechzehn Jahren kein Fleisch gegessen, aber jetzt würde ich meine Geschmacksknospen zu neuem Leben erwecken und von nun an regelmäßig pizzagroße Fleischlappen verschlingen. Wegen des ganzen Eiweißes würde ich jede Menge Muskeln bekommen und könnte wieder Spaghettiträgertops anziehen. Und Neckholdertops! Meine Güte, warum hatte ich bloß so lange damit gewartet?

»Guten Appetit!«, rief ich, als der Kellner das Baguette brachte, und biss mit Schwung hinein. »Oh, mein Gott«, keuchte ich wenig später und spuckte alles wieder aus. »Das schmeckt ja nach Brühwürfel!« Ich spülte mit meinem Chai Latte nach.

Sibylle grinste und zündete sich demonstrativ eine Zigarette an.

Am Wochenende darauf bekam ich den Heiratsantrag. Von meinem Freund Jan. Darauf hatte ich mein Leben lang im Allgemeinen und seit sieben Jahren im Besonderen gewartet.

Es war mir völlig klar gewesen, dass ich Jan heiraten würde, von dem Moment an, als ich ihn das erste Mal sah. Mit einem Satz war er aus seinem alten Alfa Romeo gesprungen und mit energischer Lässigkeit auf mich zugeschritten, und der Blick aus seinen grünblauen Augen hatte mir verraten, dass dieser Mann nicht nur gekommen war, um mich und meinen liegen gebliebenen Kadett an diesem Sonntagabend von der Severinsbrücke zu retten. Er trug Jeans, Boots und ein kurzärmeliges schwarzes Hemd, das am Oberarm einmal umgekrempelt war, sodass sein Bizeps besser zur Geltung kam.

Ich hätte mich ihm noch auf der Brücke hingegeben, hätten die Autofahrer nicht so gehupt, weil meine Karre die rechte Fahrbahn blockierte. So begaffte ich nur meinen gut aussehenden Retter, der sich unter die Motorhaube beugte, und ich wusste, dass meine Zukunft in diesen Händen lag, die mit wenigen Griffen den Kadett wieder fahrtüchtig machten.

Zum Dank lud ich ihn in den Biergarten ein, und schon nach dem zweiten Alsterwasser nahm er meine Hand. Von da an malte ich mir heimlich aus, wie er um selbige anhalten würde, und ein Szenario war romantischer als das andere. Als kleines Mädchen hatte ich die klassische Variante vor Augen gehabt: Prinz in schillerndem Dress kommt auf weißem Pferd angeritten, fällt vor mir auf die Knie und schenkt mir einen Glitzerring, als Vorschuss auf das Königreich zur Hochzeit. Das Volk jubiliert, wirft seine Hüte in die Luft, und Fanfaren posaunen das Glück in alle Welt.

Im Lauf der Jahre wurde mir bewusst, dass es wahrscheinlich anders kommen würde. Auf den schillernden Prinzendress war ich sowieso nicht mehr scharf – wer will schon einen Mann in Pumphosen heiraten? Und als ich die entscheidenden Olympischen Spiele verpasst hatte, um mir einen feschen Kronprinzen zu angeln (blöde Mary Donaldson!), legte ich die Sache mit dem Königreich zu den Akten. Aber den Antrag malte ich mir weiterhin in den buntesten Farben aus.

Als ich mir mal nach Weihnachten einen Stepper gekauft hatte, waren diese Heiratsantragsphantasien Teil meiner Motivationsstrategie gewesen. Während ich steppte, träumte ich von Kutschen und Wasserfällen, von einer festlichen Tafel inklusive Kerzenschein und Ring im Dessert, von Feuerwerk und Champagner. Bei intensiven Trainingseinheiten (länger als zehn Minuten) motivierte ich mich mit filmreifen Anträgen: Jan mietet Plakatwand, Jan steht im Rheinenergie-Stadion im Mittelkreis und fragt via Leinwand und Lautsprecher, ob ich seine Frau werde (dabei gehe ich nie zum Fußball). Sogar einen Doppeldeckerflug (dabei habe ich Flugangst) und einen Tauchgang in ein buntes Riff (wo ich mich doch vor großen Fischen fürchte) hatte ich mir vorgestellt.

Nach einer Woche fielen mir keine Varianten mehr ein. Der Stepper verstaubt seitdem im Keller. Anderthalb Kilo Weihnachtshüftgold blieben und die Sicherheit, dass mir Jan eines Tages einen wunderbaren Antrag machen würde. Jan, der ein defektes Kabel mit Leukoplast flicken und Weinflaschen ohne Korkenzieher öffnen konnte. Jan, der sich nicht scheute, sein Leben zu riskieren, um andere zu retten, der als Sechzehnjähriger einen Jungen vor dem Ertrinken im eiskalten See bewahrt hatte. Jan, der immer alles von der positiven Seite sah, der mich auf langweiligen Partys zum Lachen brachte, indem er sich lustige Geschichten über die Gäste ausdachte. Jan, der Zahntechniker, der in mühsamster Kleinarbeit den exakten Farbton einer Zahnkrone mischte, um das Lächeln einer Kundin perfekt zu machen. Dieser Jan, mein Jan, hatte – da war ich mir sicher – genug Phantasie, um meine kühnsten Antragsträume noch zu übertreffen.

Aber jeder weiß, dass Theorie und Praxis zwei grundverschiedene Dinge sind, besonders wenn es um Männer geht.

Außer meinen Freundinnen Conny und Sibylle kennt niemand die wahre Geschichte meines Heiratsantrags. Ich hab mich nie getraut, sie zu erzählen. Denn ich wollte kein Mitleid, sondern Tränen der Rührung. Ich meine, gibt es einen besseren Garanten für Tränen als einen Heiratsantrag? Gibt es einen Moment, der einen mehr überwältigen kann – abgesehen von der Geburt eines Kindes oder einem Doppelwhopper nach einer zweiwöchigen Ananas-Diät?

Mein früherer Nachbar hat für seine Frau Tausende Lichter in Papiertüten auf den Strand von Juist gestellt und sie auf einen Helikopterflug eingeladen. Von oben las sie dann Willst Du mich heiraten? Ich hab geheult, als sie mir das erzählte. Der Mann einer Freundin ging in einem Nobelrestaurant auf die Knie und überreichte ihr einen fetten Klunker, es regnete Rosenblätter, und der Küchenchef brachte ein Himbeersoufflé in Herzform. Auch bei dieser Geschichte habe ich geheult. Ich heule immer bei Heiratsanträgen. Bei meinem nicht. Bei meinem heulten nur die Motoren.

Es war so: Mein Freund Jan hatte Karten für das Formel-1-Rennen am Hockenheimring geschenkt bekommen. Ich hatte mir vorgenommen, das ganze Wochenende zwischen Badewanne, Sofa und Kühlschrank zu pendeln und die Ruhe zu genießen. Aber dann wurde sein bester Freund Frank krank, und Jan bettelte so lange, bis ich einwilligte mitzukommen. Ich zog meine älteste Jeans an und verbannte meine Ansprüche an Komfort und Hygiene und fuhr mit. Ihm zuliebe.

Schon bei der Ankunft bereute ich meinen Entschluss. Was finden Männer bloß an Formel 1? Ohrenbetäubender Lärm, der Geruch von Benzin und verbrannten Reifen, und das alles, um ein paar Sekunden einen roten Ferrari an sich vorbeiflitzen zu sehen. Lächerlich. Das wichtigste Utensil bei dieser Wochenendreise: Ohropax. Hab ich vergessen zu erwähnen, dass wir im Zelt übernachteten? Inmitten grölender Freaks, die eine Kopie der Cheops-Pyramide bauten – aus leeren Bierdosen!

Ich hatte also samstags das Qualifying hinter mich gebracht und eine Nacht auf der Isomatte überstanden, mit einem schnarchenden Jan neben mir. Morgens wachte ich mit derart stechenden Kopfschmerzen auf, als wäre mir Michael Schumacher persönlich über den Schädel gefahren. Wir frühstückten Sardinen aus der Dose und tranken warme Cola. Auf der Tribüne trank Jan Bier und aß Pommes spezial mit Zwiebeln. Nick Heidfeld heizte gerade an uns vorbei, da brüllte mir Jan irgendwas in mein verstöpseltes Ohr. »Sag das noch mal!«, rief ich und holte das Ohropax raus. Ralf Schumacher und irgendein grünes Gefährt rangelten um den besten Platz, und einer der Wagen schrappte an der Tribünenwand entlang.

»Das wär echt geil, wenn wir heiraten würden!«, schrie Jan.

»Was hast du gesagt?«, brüllte ich. Ein Pulk Autos zischte an uns vorbei.

»Heiraten! Wir!« Er unterstrich das Angebot mit seinem Arm, der zwischen ihm und mir hin- und herwedelte. Ich brauchte etwa dreißig Sekunden, um die Umgebung abzuchecken: nach Musikanten, Feuerwerk, Rosenblätterregen, einem Prominenten, der nur für mich sang, einem Flugzeug, das meinen Namen in den Himmel schrieb, nach den anderen Zuschauern, die über die entscheidende Wendung in meinem Leben das Rennen ignorierten, um in ohrenbetäubenden Jubel auszubrechen.

Nichts passierte. Die Menge glotzte auf die vorbeirauschenden Boliden. Ein Sprecher kommentierte über Lautsprecher die Entwicklungen in der Boxengasse. Jan sah mich erwartungsvoll an.

»Soll das ein Antrag sein?«, schrie ich. Er nickte, stolz wie ein kleines Kind. Da war es geschehen. An jedem Jahrestag, an Silvester, in jedem Urlaub, an jedem meiner Geburtstage hatte ich gehofft, dass er es endlich tun würde. Und jetzt das. Aber was soll’s, dachte ich mir, das Ergebnis zählte. Ich würde heiraten!

»Ja!«, brüllte ich, ergriffen von meiner generösen Entscheidung, über die Umstände des Antrags abzusehen. In diesem Moment ertönte Applaus. Ich sah mich um, ob nicht doch eine Kamera die Szene aufgenommen hatte und wir gerade im Fokus des Interesses standen. Aber Grund des Applauses war wohl eher Michael Schumacher, der mit hochgereckter Faust die Ziellinie überquerte.

»Super!«, schrie Jan, und ich bin mir nicht sicher, ob er meine Antwort meinte oder den Sieg seines Idols.

»Du Arme«, sagte Conny, als ich ihr und Sibylle die Geschichte erzählt hatte.

»Was für ein Idiot!«, meinte Sibylle.

Wir saßen beim Mexikaner und tranken Caipirinha. Ich brauchte eine Menge davon. Irgendwie musste sich doch das berauschende Gefühl eines Heiratsantrags einstellen.

»Von Kerzen und Himbeersoufflés einmal abgesehen, wenigstens auf die Knie hätte er fallen müssen!«

Conny sagte: »Er ist doch sonst nicht so …«

»Bescheuert?«, fragte Sibylle.

»Bei allem, was mit Motorsport zu tun hat, dreht er eben durch.« Ich fand selber, dass das wie eine lahme Ausrede klang.

»Aber er hätte dir wenigstens sagen können, dass du seine Traumfrau bist«, wandte Conny ein.

»Genau!«, rief ich und schlürfte meinen Caipi aus, »ich bin seine Traumfrau!«

»Ich dachte, du wolltest gar nicht heiraten!«, brummte Sibylle.

»Ich hab nur gesagt, heiraten ist nicht wichtig«, erklärte ich, »und das habe ich nur gesagt, damit es nicht so aussieht, als ob ich die ganze Zeit drauf warte. Das ist doch megapeinlich, wenn man überall herumposaunt, dass man gerne heiraten möchte, und man wird einfach nicht gefragt.«

»Und jetzt? Willst du wirklich heiraten?«, fragte Sibylle.

»Sie hat doch schon Ja gesagt«, meinte Conny.

»Und wo ist dann der Ring?«

»Das stimmt. Lotte trägt gar keinen Ring.«

»Noch ’ne Runde?« Ich winkte Kim hinter der Bar mit dem leeren Glas.

»Lotte, wieso trägst du keinen Ring?«, wollte Conny wissen.

Weil ich versuchte, das Niederschmetterndste an dem ganzen Antrag zu verdrängen. Weil das der Beweis für den absolut verkorkstesten Heiratsantrag aller Zeiten war. Weil mich das ein für allemal zum Gespött der Leute machen würde. Aber es waren schließlich meine besten Freundinnen, mit denen ich am Tisch saß. Also holte ich ihn aus meiner Jackentasche und warf ihn auf den Tisch.

»Was ist das?«, fragte Sibylle.

»Das, liebe Geschworene, ist Beweisstück A.«

Conny beugte sich näher zur Tischplatte. »Sieht aus wie ein …«

»Ja, ist es auch.«

»Wo hat er ihn her?«

»Na, ihr kennt doch den Film mit Audrey Hepburn: Frühstück bei Tuborgs«, sagte ich sarkastisch.

»Dein Verlobungsring stammt von einer Dose Tuborg?«, schnaubte Sibylle.

Die unverbesserlich optimistische Conny fragte: »Passt er denn wenigstens?«

»Natürlich nicht. Bei dem Versuch, ihn überzustreifen, hab ich mich geschnitten.« Wir drei starrten das kleine Stück Weißblech an, das meinen Bund fürs Leben besiegelt hatte.

»Du Arme.« Conny legte mir tröstend die Hand auf den Arm.

»Noch nicht mal Weißgold, sondern Weißblech!« Sibylles Stimme überschlug sich fast. »Du weißt, worauf du dich da einlässt?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ja. Ich glaub schon.«

»Ich glaub nicht«, sagte Sibylle. »Denk lieber noch mal drüber nach.«

Nachdenken. Schlechte Sache. Gefährlich und unbarmherzig. Da kann man ja gleich »der Realität ins Auge sehen« oder »in die Höhle des Löwen gehen« oder »sich auf die Körperfettwaage stellen«. Ich schlürfte meinen Cocktail aus und wusste, dass Sibylle recht hatte. Ich musste nachdenken.

»Hey, Kim, noch ’ne Runde!«, rief ich.

Ich dachte sieben Caiprinhas lang nach, und dann brachte mich ein Taxi nach Hause. Jan saß wie immer, wenn er nicht in der Garage an alten Autos bastelte, an seinem Computer und recherchierte, wie man am besten an alten Autos bastelt. Als die Tür aufflog, rief er: »Lotte, bist du’s?«

»Ich bin’s, mein Prinz«, lallte ich und hielt mich am Türrahmen fest. Wenigstens besaß Jan so viel Ritterlichkeit, mir einen Eimer neben das Bett zu stellen.

Kapitel 2

Am nächsten Tag war mir schlecht. Und das nicht nur wegen der vielen Cocktails, sondern auch, weil mich das Nachdenken auf ein Problem aufmerksam gemacht hatte, das bisher unbemerkt geblieben war. Das ist ja das Miese an Beziehungsproblemen: sie können schon lange da sein, am Esstisch sitzen, sich auf dem Sofa lümmeln, und wenn man eines Tages sagt: »Hey, Problem, was machst du denn hier?«, dann antwortet es ganz frech: »Was soll die bescheuerte Frage, ich wohne hier«, steht auf und holt sich das letzte Bier aus dem Kühlschrank. Wenn Probleme unentdeckt unter uns weilen, dann liegt das entweder an Bequemlichkeit (bei Männern) oder an der rosaroten Brille (bei Frauen).

Es war also höchste Zeit, die rosarote Brille abzulegen und mir einmal die Fakten anzusehen. Ich erstellte eine wunderbare Tabelle, unterlegte die linke Spalte mit einem pinkfarbenen Hintergrund und die rechte mit einem blauen Himmel. Über die linke Spalte schrieb ich Rosarote Brille, über die rechte Klare Sicht. Dann überlegte ich.

»Hey, Charlotte, alles klar?« Meine Lieblingskollegin und Büronachbarin Jolanda kam herein.

»Mmmh. Hab einen Heiratsantrag bekommen.«

»Echt?«, rief sie. »Musste mir nachher unbedingt erzählen.« Sie wedelte mit ihrer Mappe und war wieder weg.

Ich schrieb:

Rosarote Brille: Er denkt immer an den Jahrestag.

Klare Sicht: Ab zwei Wochen vorher erwähne ich den Jahrestag subtil etwa drei Mal pro Tag. Außerdem beschränke ich mich auf die wichtigsten Jubiläen: die erste Begegnung, der erste Kuss, der erste Sex. Glück für Jan: Diese Jubiläen fallen bei uns auf ein einziges Datum.

Rosarote Brille: Er schaut mit mir gerne den Sternenhimmel an.

Klare Sicht: Dabei labert er unaufhörlich von schwarzen Löchern und explodierenden Space-Shuttles.

Rosarote Brille: Er schenkt mir I love Milka-Pralinen zum Geburtstag, das ist doch wohl romantisch.

Klare Sicht: Wie alt sind wir? Vierzehn? Fehlt nur noch eine Flasche Asti Spumante.

Rosarote Brille: Ich habe ständig Rosen von ihm in der Vase.

Klare Sicht: Sie stammen aus den Anfängen unserer Beziehung, ich hatte sie getrocknet und fege jede Woche die Brösel unter der Vase weg.

Rosarote Brille: Er würde liebend gerne mit mir einen Tanzkurs machen, aber wegen seines kaputten Meniskus kann er es nicht.

Klare Sicht: Wieso hat er eigentlich beim Kicken mit den Jungs keine Probleme damit?

Rosarote Brille: Er mag romantische Spaziergänge im funkelnden Schnee, das sagt er immer wieder.

Klare Sicht: Im Rheinland liegt so wenig Schnee, da könnte er auch sagen, er holt mir jeden Tag eine Kokosnuss von der Palme.

Rosarote Brille: Ich habe einen Heiratsantrag bekommen.

Klare Sicht: Der Antrag war mehr als deprimierend.

Ich starrte auf die Liste. Was war mit Jan los? Er musste doch wissen, dass Frauen Romantik wollen! Ich meine, das ist das Natürlichste auf der Welt! »Das Natürlichste auf der Welt ist FKK – und trotzdem macht es längst nicht jeder«, hörte ich Sibylle im Geiste darauf antworten.

Mein Kopf schmerzte, mein Magen rotierte, als ich mit Schriftgröße 36 unter die Tabelle den Namen des Problems in meiner Beziehung schrieb: Unromantik.

»Dieses Wort gibt es nicht«, sagte das Problem.

»Meinetwegen, dann heißt du eben Romantikmangel.«

»Das klingt auch nicht schön. Kannst du mich nicht irgendwie anders nennen?«

»Wie denn?«

»Nicht so negativ.«

»Also, du bist das Gegenteil von Romantik. Wie soll ich dich deiner Meinung nach nennen?«

»Wie wäre es mit Routine?«

Ich starrte es an. »Meinetwegen«, seufzte ich und schrieb Routine unter meine Liste. Ob das wirklich besser klang als Romantikmangel? Und war es wirklich die Routine des Alltags, die Jan davon abhielt, romantisch zu sein?

»Charlotte, Konferenz, aber dalli!« Der Kommandoton von Patrizia, dem Creative Director unserer Werbeagentur, duldete keinen Aufschub. Sie war die älteste Tochter unserer Chefin Gila Schönhausen, bekannt als das »Gilamonster«, seit Jolanda eine Rundmail über die Gila-Krustenechse versandt hatte, die einzige giftige Echsenart, die sich in ihr Opfer verbeißt und auf ihm herumkaut, um so das Gift zu injizieren.

Das Gilamonster hatte die braune Haut eines strapazierten Clubsofas. Ihr kinnlanges schwarzes, leicht auftoupiertes Haar zierte eine schlohweiße Strähne an der Seite. Sie war so stolz auf ihre schlanke Figur, dass sie sich beharrlich weigerte, ein ihrem Alter entsprechendes Outfit zu wählen (beispielsweise ein Chanel-Kostüm in Hellgrau oder Rosé). Sie trug wie immer einen knallengen Hosenanzug aus schwarzem Leder und zu viel Make-up. Ihr Kajalstift musste so dick sein wie ein Edding. Ihre kleinen eisblauen Augen wurden durch die dunkle Umrandung noch kleiner. Was in der »Vogue« und anderen Revolverblättern als »Smokey Eyes« bezeichnet wurde, war bei ihr eher ein verunglückter Gruftie-Look.

»Synergieeffekt« war eines ihrer Lieblingsworte, und darunter verstand sie, dass wir schufteten und sie und ihre beiden Töchter die Lorbeeren ernteten. Außer Patrizia arbeitete auch noch Gilas jüngere Tochter Chiara bei uns, wobei »arbeitete« vielleicht das falsche Wort war. »Sie beehrt uns mit ihrer Anwesenheit«, lästerten wir, wenn Chiara gegen elf Uhr in der Agentur auftauchte, sich aus dem Kühlschrank im Foyer eine Cola light nahm und die langen Beine auf ihren Schreibtisch schwang. Das war auch der einzige Zweck, den ihr Schreibtisch zu erfüllen hatte. Chiara war nur für eines gut: bei männlichen Kunden das Hirn auszuschalten. Das aber konnte sie verdammt gut, denn – und hier zitiere ich meinen Kollegen Chris – ihr Dekolleté war so verführerisch wie ein Swimmingpool bei dreißig Grad: Ein Mann wünschte sich nichts weiter, als sich die Kleider vom Leib zu reißen und einen Kopfsprung hineinzumachen.

Ich pflanzte mich in die Ecke des gläsernen Konferenzraums und hoffte, dass ich nicht auffallen würde. Beim Aufstehen hatte ich gar nicht gemerkt, wie übel mir tatsächlich war, sonst hätte ich mich vielleicht krankgemeldet.

»Ich höre«, sagte das Gilamonster. Das war ihre persönliche, sehr motivierende Art, Mitarbeiterbesprechungen zu beginnen.

Patrizia gab das Stichwort. »Die Kampagne für den Burgen-Tourismus, wie weit seid ihr mit dem Konzept?«

Die Frage ging an Chris und mich. Mir lief es kalt den Rücken runter und heiß die Speiseröhre hoch. Chris und ich hatten uns am Freitag darauf geeinigt, uns übers Wochenende Slogans einfallen zu lassen für die Burgen entlang des Rheins, die eine Art Bed and Breakfast anbieten wollten. Wegen des Antrags hatte ich es vergessen.

»Chris? Charlotte?«, fragte Patrizia.

Das Gilamonster fixierte mich mit stechendem Blick. Chris’ Stummheit schien sie nicht zu bemerken, typisch, er war ein junger Mann und ein Schleimer. Ein Angestellter, wie das Gilamonster ihn sich wünschte. Meine Chefin trommelte mit knallroten Fingernägeln auf der Tischplatte herum und sagte mit Kettenraucher-Stimme: »Charlotte sieht etwas derangiert aus. Was ist das, was sie auf dem Kopf hat? Eine Frisur oder ein platt getretener Hamster?«

Mir brach der Schweiß aus. Meine Kollegen schauten verlegen. Denn jeder wusste, was passiert war. Das Gilamonster hatte sich in sein Opfer verbissen.

»Wir sollten Charlotte in Ruhe lassen, bis sie sich in der Lage sieht, zu diesem Unternehmen etwas Produktives beisteuern zu können«, höhnte sie.

»Charlotte hat …«, setzte Jolanda an.

Das Gilamonster unterbrach: »Charlotte wird nichts dagegen haben, heute länger zu bleiben.« Ich morste Jolanda mit den Augen, sie solle meinen neuen Familienstand bitte nicht erwähnen. »Wenn aber Lotte nichts zum Erfolg unserer Agentur beizutragen hat, dann sehe ich mich gezwungen, das Arbeitsverhältnis zu überdenk …«

»Charlotte ist verlobt«, platzte Jolanda dazwischen. »Glückwunsch!« Sie fing an zu klatschen.

Das Gilamonster betrachtete mich mit dem Interesse, das nur ein Beutetier ohne Chance erwecken kann. »Aha«, sagte sie. »Und was geht uns das an?«

»Na ja, ich dachte …«, sagte Jolanda.

»Schsch. Wir wollen die Braut dazu hören.«

Ich starrte auf die Tischplatte und hoffte, dass ein Feueralarm oder ein Meteoriteneinschlag mich retten würde. Komm, Lotte, du schaffst das.

»Äh, also vielleicht«, fing ich an, »könnte man unter dem Slogan ›Good Knights‹ das Übernachten auf der Burg vermarkten. Geschrieben heißt es gute Ritter, gesprochen gute Nächte. Das spricht deutsche wie auch internationale Gäste an …«

»Sie ist wirklich schwer von Begriff«, sagte das Gilamonster.

»Man kann das Konzept natürlich auch ändern«, beeilte ich mich zu sagen.

»Charlotte versteht nicht, dass sie gefälligst von ihrem Heiratsantrag berichten soll.« Das Gilamonster schaute mich kalt an. »Der Heiratsantrag! Los, überrasch mich!« Ob sie wohl überrascht wäre, wenn ich ihr mit der Thermoskanne eins überbraten würde?

Was sollte ich machen? Dieser Heiratsantrag war wirklich nichts für Publikum. Denk nach, Lotte. »Also, äh, es war auf dem Hockenheimring.« Ich schaute in die gespannten Gesichter. »Beim Formel-1-Rennen.«

»Ach, das hab ich im Fernsehen gesehen, da waren auch Boris Becker, Heidi Klum und Anastacia!«, rief Jolanda aufmunternd. »Ihr wart also auf der VIP-Tribüne?«

»Ja, das kann man so sagen.« Schließlich war um meine Hand angehalten worden, und damit war ich doch wohl very important. »Das Rennen ist in vollem Gange, Michael Schumacher liegt vorn, und plötzlich liegt mir mein Freund Jan zu Füßen. In der Hand einen riesigen Rosenstrauß.« Ich machte eine Pause, so gerührt war ich von dem Anblick meines Freundes in seinem Armani-Anzug, der mich mit Hundeblick ansieht. Boris Becker lässt einen Moment die Finger von der dunkelhaarigen Frau, die Reporter wenden sich von Heidi Klum ab und richten ihre Kameras auf uns. Im Hintergrund machen sich die Kellner bereit, Champagner für alle auszuschenken. Die Jazzband hält gespannt inne, um gleich den Hochzeitswalzer zu intonieren.

»Und dann?«, fragte Patrizia.

»Und dann hat er gefragt, ob ich ihn heiraten möchte.«

»Und dann?«

»Dann hab ich Ja gesagt.«

»Und was sonst?«

»Na ja, sonst eigentlich … nix.« Ich zuckte mit den Schultern. Meine Kolleginnen guckten enttäuscht. Das Gilamonster schnippte mit den Fingern und sagte: »So, Patrizia, jetzt du.«

Alle stöhnten auf. Das hatte ich ganz vergessen! Patrizia und ihr Heiratsantrag, den sie seit Jahren zum Besten gab. Sie ließ langsam ihren Blick über die Menge schweifen. Und erzählte weit ausholend die Geschichte, wie ihr Mann Udo ein Kino für sie gemietet hatte, wie der Ring im Popcorn versteckt war und wie dann einer der Schauspieler im Film sie plötzlich gefragt hatte: »Patrizia, dein Udo liebt dich über alles. Willst du ihn heiraten?«

»Mein Gott«, seufzte das Gilamonster wie immer.

»Ich rufe: Ja, ja, ja! Und er steckt mir den Ring an den Finger!« Patrizia hielt ihre Hand hoch. »Ein Smaragd aus Indien, den Udos Urgroßmutter von Königin Victoria geschenkt bekommen hatte.«

»Das nenne ich einen Heiratsantrag!«, sagte das Gilamonster.

»Zeig mal deinen Ring«, rief Jolanda mir zu.

»Äh, der muss noch enger gemacht werden«, stammelte ich.

Nach der Konferenz schlich ich zu meinem Schreibtisch. Patrizia kam zu mir, offiziell, weil sie mit mir etwas für das Burgen-Konzept besprechen wollte. Aber eigentlich wollte sie mir nur unter die Nase reiben, was für eine phantastische Hochzeit sie und ihr Udo gehabt hatten, natürlich im Kölner Dom.

Ich hörte mir das Gesülze an und dachte: Na warte. Ich hatte zwar keinen tollen Heiratsantrag, aber meine Hochzeit würde eine Märchenhochzeit werden. Dafür würde ich schon sorgen.

Ich brannte darauf, meinen Eltern die gute Neuigkeit zu berichten, und konnte nicht bis zum Wochenende warten, wenn Jan vielleicht auch Zeit gehabt hätte. Außerdem hätte ich dann bei der beschämenden Wahrheit bleiben müssen.

Wie immer, wenn meine Mutter öffnete, rief sie: »Kind, du hast doch einen Schlüssel.«

»Wonach riecht es hier?«, fragte ich. Sie wandte sich ab und murmelte: »Das kommt von der Ketose.«

»Von was?«

»Von der Ketose. Das nennt man so, wenn der Körper keine Kohlenhydrate mehr bekommt und deswegen Fett verbrennt.«

»Auweia, was ist das denn für eine schreckliche Diät?«

»Das ist Atkins!« Sie ging vor mir her ins Wohnzimmer. »Man darf essen, so viel man will! Fleisch, Sahne, Eier, Butter, Käse!«

»Und davon kriegt man so einen Mundgeruch?«

Überall stank es nach verfaulten Eiern. Das war schlimmer als im Hungerwinter 2003/2004, als bei meinen Eltern »Magic Kohlsuppe« angesagt war und das ganze Haus roch wie eine Mietskaserne im Dezember 1916.

»Daran merkt man, ob es funktioniert! Ich habe schon ein Kilo abgenommen«, rief meine Mutter stolz. »Willst du Kaffee? Kekse gibt es nicht.« Das war nun wirklich nichts Neues. Ob meine Eltern Slim-Fast-Zeug tranken oder Weightwatcher-Menüs aßen – Gebäck aller Art stand immer auf dem Index. Außer an Ostern, Weihnachten und Geburtstagen. Da wurden Süßigkeiten gefressen, als ob es kein Morgen gäbe.

»Es gibt Neuigkeiten!«, rief ich, als mein Vater reinkam. »Wo ist Lorchen?«

»Deine Schwester ist oben.«

Oma spazierte herein. Sie knabberte Neapolitaner-Waffeln.

»Hallo, Omanda«, begrüßte ich sie. Sie hieß Amanda, und aus Oma Amanda hatten wir als Kinder Omanda gemacht.

»Ach, Lottinchen, mein Kind. Wie geht es dir? Du strahlst so!«

»Omanda«, tadelte meine Mutter angesichts der Waffelkrümel, »ich habe gerade erst geputzt.«

»Willst du auch eine?«, fragte Omanda freundlich. »Ach nein, du darfst ja nicht. Aber du, Lotte.« Sie reichte mir die Packung.

»Jetzt ist es gut«, knirschte mein Vater. »Weg mit dem ungesunden Zeug.«

»Nimm du dir ein Kotelett, Siggi, und lass anderen ihr Vergnügen!«, meinte Omanda. Ein paar Krümel fielen von ihrem Pullover auf den Tisch, die meine Mutter mit anklagendem Gesichtsausdruck wegwischte.

In dem Moment schlurfte Lorchen herein. Sie war vier Jahre älter als ich und wohnte noch immer zu Hause. Sie könne es unseren Eltern nicht antun, auch auszuziehen, pflegte sie mit leidender Miene zu sagen.

Statt mich zu begrüßen, ging sie zum Kühlschrank. »Ist keine Salami mehr da?«, fragte sie anklagend.

»Nein, Lorchen, nur Fleischwurst.«

»Diese Fleischwurst ist widerlich«, sagte Lorchen und verdrückte ein Stück so groß wie ein Brötchen.

»Die Stimmung hier ist ja prächtig!«, stellte ich fest.

»Das liegt an dem ganzen Fleisch«, meinte Omanda, »das macht aggressiv.«

»Du hältst den Mund, Mutter, sonst steck ich dich ins Heim«, brummte mein Vater.

»Schon wieder die alte Leier, Siggi«, stöhnte Omanda, »mach doch. Da bin ich wenigstens unter normalen Menschen.«

Das war das Stichwort meiner Mutter, die wie immer sagte: »Omanda, sei nicht so undank …«

»Ich bin verlobt«, warf ich ein.

Lorchen schluckte.

»Oh, wie schön!«, rief Omanda.

»Wirklich?«, bemerkte mein Vater.

»Mit Jan?«, wollte meine Schwester wissen.

»Mit wem sonst?«

Meine Mutter umarmte mich mit Tränen in den Augen. Lorchen nahm sich noch ein Stück Fleischwurst.

»Er hat mich nicht gefragt«, stellte mein Vater fest.

»Das braucht Jan ja nun wirklich nicht, Siggi!«, sagte Mutter, löste ihre Umarmung und gab mir einen Kuss. »Ich gratuliere dir von ganzem Herzen. Und jetzt erzähl: Wie war der Antrag?«

Meine Mutter hing an meinen Lippen. Hockenheimring, VIP-Loge, Übertragung des Antrags auf die Leinwand, Champagner, Hochzeitswalzer über die Lautsprecher. Als ich erwähnte, wie Boris Becker uns gratulierte, war sogar meine Schwester für einen Moment beeindruckt.

»Wie romantisch«, seufzte meine Mutter. »Und der Ring?«

Ich führte ihn vor. »Es ist ein besonderes Stück«, zitierte ich den Juwelier, »Diamant mit 1,4 Karat im Princess-Schliff.«

»Der war bestimmt nicht billig«, sagte meine Mutter. War er auch nicht. Ich hatte genau einen halben Monatslohn bezahlt.

»Keinen Ton hat er zu mir gesagt«, lamentierte mein Vater.

»Siggi, nun hör auf zu jammern«, sagte Omanda.

»Ihr werdet bestimmt eine sehr romantische Hochzeit haben«, sagte meine Mutter.

»Und wie«, rief ich aufgeregt, »wir heiraten im Kölner Dom!«

»Oh, mein Gott!«, hauchte meine Mutter. »Genau wie wir! Wie wir uns es immer gewünscht haben.«

Ich ignorierte das grunzende Geräusch, das Lorchen von sich gab.

»Unsere Hochzeit wird der helle Wahnsinn!«

»Und wir wollen gern unseren Teil beitragen, nicht wahr, Siggi?«

»Ja«, brummelte er. »Da ihr im Dom heiratet, werden wir die Hochzeit bezahlen! Das haben deine Mutter und ich schon vor einiger Zeit ausgemacht.«

»Was? Das ist ja super! Vielen, vielen Dank!« Ich fiel meinen Eltern um den Hals.

»Kommt, wir machen einen Sekt auf«, sagte mein Vater. »Das ist ja wohl ein Grund zum Feiern!«

Kapitel 3

»Was hältst Du vom Ave Maria?«

Jan schaute gar nicht von seinem Oldtimer-Magazin hoch. »Ist das dieser Kaffeelikör?«

»Aua!« Vor Schreck über das Ausmaß seiner Bildungslücke verbrannte ich mir die Zunge am heißen Tee. Er kannte das katholische Gebet nicht, das in gesungener Version steinerweichend schön war! Das Lied, das Andrea Botticelli sich geweigert hatte, bei der Scientology-Hochzeit von Tom Cruise und Katie Holmes zu singen! Das Lied, das jeder Hochzeitsgästeschar unwillkürlich die Tränen in die Augen trieb. Das Ave Maria hatte ich schon eingeplant als erste harte Belastungsprobe für meinen wasserfesten Mascara.

»Jan, der Likör heißt Tia Maria. Das Ave Maria ist ein wunderschönes Lied.«

»Ach was«, sagte er und schmunzelte.

»Du wusstest das?«

»Na klar wusste ich das! Andrea Bocelli wollte es nicht auf der Hochzeit von Tom Cruise und Katie Holmes singen.«

»Aber …! Du Schuft!« Ich knuffte ihn in den Oberarm. Er warf sein Magazin weg und revanchierte sich, indem er mich kitzelte, bis ich um Gnade winselte. Er küsste mich am Hals, aber ich unterbrach: »Wir sollten eine Opernsängerin engagieren.«

»Ich dachte, du wolltest eine Putzfrau?« Er grinste. »Aber wenn du lieber eine Opernsängerin einstellen möchtest, bitte!«

»Jetzt hör auf mit den blöden Witzen, Jan.« Ich schob ihn von mir weg. »Ich meine es ernst. Bei der Akustik klingt eine Opernsängerin bestimmt super!«

Jan sah mich nur verständnislos an.

»Na, für unsere Hochzeit im Kölner Dom!«, rief ich.

»Wie bitte?«

»Du erinnerst dich doch sicher daran, dass wir heiraten wollen!« Es sollte wie ein Scherz klingen, aber meine plötzlich aufkeimende Panik verwandelte es in eine Anklage.

»Ja sicher, aber wer hat denn gesagt, dass wir kirchlich heiraten? Ich auf keinen Fall.«

»Was?« Damit hatte ich nicht gerechnet. »Aber Jan, wir müssen im Dom heiraten!« Der Einmarsch, die Blumenkinder, das Kleid! Wie sollte sich die meterlange Schleppe entfalten können, wenn nicht in einem Kirchengang?

»Blödsinn, Lotte. Standesamt reicht völlig.«

Romantikmangel – Alarmstufe rot! Lotte, jetzt geht es um alles oder nichts!

»Jan«, sagte ich, »wir müssen im Dom heiraten!«

»Du weißt doch, dass ich was gegen die katholische Kirche habe.«

Ich atmete auf. »Prima. Das ist ja kein Grund, nicht im Dom zu heiraten.«

»Wenn man was gegen die katholische Kirche hat, ist das doch wohl ein Grund, nicht kirchlich heiraten zu wollen!«

»Meine Güte, Jan«, sagte ich, »jeder hat irgendwas gegen die katholische Kirche. Aber doch nicht, wenn er selber heiratet.«

Er verdrehte die Augen. »Ich schon.«

»Was?« Das durfte doch nicht wahr sein! Da hatte ich unter den Millionen von Männern den einen erwischt, den ein paar läppische moralische Bedenken vom Heiraten in einer Kirche abhielten.

Das bedeutete aber auch … Schock! »Aber Jan, wir müssen im Dom heiraten.«

»Lotte, und wenn du es noch zehn Mal wiederholst, nein!«

Mir schossen die Tränen in die Augen.

»Warum willst du denn unbedingt dort heiraten?«, fragte er sanft.

Jetzt war die Zeit gekommen, das beste Argument nach der meterlangen Schleppe anzuführen. »Weil meine Eltern nur dann die Hochzeit bezahlen.«

»Ach, Lotte, das ist doch völlig egal!«

Ich hörte auf zu schluchzen. Gleich wird er sagen, dass er Jahrzehnte dafür gespart hat. Oder dass sein Vater, der alte Griesgram, sie bezahlt, obwohl er von Hochzeiten nichts mehr wissen will, seit seine Frau abgehauen ist.

»Wieso?«, fragte ich hoffnungsvoll.

»Dann feiern wir eben mit Würstchen und Bier am Rheinufer.«

»Wie bitte?« Hatte er gerade eine Rheinfete vorgeschlagen? Eine Feier, bei der nachher Sand in den Schuhen, im CD-Spieler und im Kartoffelsalat war? Wo man schon mit einem Jeansrock overdressed war? Mit anderen Worten: Wollte er mich komplett verarschen?

Mir wurde schwindelig. »Jan, das geht nicht. Der Dom …«

»Lotte, nein.«

»Ich will das aber unbedingt.« Ich merkte, wie mein Ton quengeliger wurde.

Jan seufzte. »Ich werde nicht vor Gott und einem verklemmten Pfarrer heiraten. Ende der Diskussion.«

»Du bist gemein«, schluchzte ich.

Jan nahm mich in den Arm. »Ach, Lotte, komm schon, wir machen eine schöne standesamtliche Trauung und eine Superfete. Hauptsache, wir heiraten.«

Ich wischte mir eine Träne aus dem Auge.

»Und die Fete kannst du ganz alleine planen, wenn du möchtest.«

»Wirklich?«

»Na klar, ich weiß doch, wie viel dir daran liegt.«

Und ich wusste, dass er sich sowieso nicht darum kümmern würde. Er küsste mich, und vor meinem inneren Auge schrieb ich bereits die Hochzeits-To-do-Liste. Wenn ich schon nicht im Dom heiratete, würde der Rest der Feierlichkeiten das Romantikminus wieder wettmachen müssen. Ich würde eine unvergessliche Hochzeit organisieren und bis dahin aus Jan einen romantischen Mann machen! Und von der Hochzeit wären meine Eltern dann auch ohne Dom so beeindruckt, dass sie die Feier trotzdem bezahlen würden. Genau. Deshalb würde ich ihnen das auch vorher gar nicht sagen. Ich würde sie einfach mit Tatsachen überzeugen. Wie bei einer spitzenmäßig gelungenen Präsentation würde ich ihnen klarmachen, dass sie ihr Geld in dieser Hochzeit genial angelegt hatten – indem sie nämlich ihre Tochter glücklich gemacht hatten. Und das wollen Eltern doch schließlich, oder?

Burg Rheindorf

Freiherr Ludwig von Lüfter

Bonn

An

Charlotte Amanda Schwermer

Loreleystr. 8

Köln

12. Mai

Sehr geehrte Frau Schwermer,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Sehr gerne würden wir Sie und Ihre Gäste anlässlich Ihrer Hochzeit auf unserer Burg begrüßen. Das mittelalterliche Ambiente bietet eine einzigartige romantische Atmosphäre für Ihre Feier. Zur Verfügung stehen Ihnen der Rittersaal, der Prinzessinnen-Salon und die weitläufigen Terrassen mit Blick auf das Siebengebirge. Allerdings sieht es mit Ihrem Wunschtermin, dem 7.7., schlecht aus, auch der 8.8. ist bereits seit Langem belegt. Wir können Ihnen lediglich noch Mittwoch, den 21.7. oder Dienstag, den 27.7. anbieten.

Bitte geben Sie uns baldmöglichst Bescheid, ob Sie bei uns Ihre Eheschließung feiern wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Freiherr von Lüfter

»Mehr als Kleinigkeiten will ich gar nicht von ihm!«, sagte ich generös. »ich brauche kein Diamantencollier oder einen Trip nach Mauritius.«

»Selbst schuld«, warf Sibylle ein.

»Mir würde eine Liebesbotschaft auf dem Badezimmerspiegel oder ein wunderschöner Rosenstrauß reichen. Oder ein Abendessen im Kerzenschein, ohne dass Jan den Kerzenrand knetet, bis der Docht im heißen Wachs ertrinkt. Kleinigkeiten eben.«

»Genau«, ereiferte sich Conny, »aber auf die kommt es an! Ist im Flugzeug genauso: Wenn die Leute nicht abstürzen, sind sie zufrieden. Gibst du ihnen ein Tütchen Erdnüsse dazu, machst du sie glücklich.«

»Und wie willst du Jan romantisch machen?«, wollte Sibylle wissen.

»Ich werde ihm zeigen, wie viel schöner es ist, wenn man sich mit kleinen Dingen das Leben versüßt!«

»Männer verstehen Andeutungen nicht, das ist dir doch wohl klar, oder?«

»Und was soll ich machen? Ihm sagen: Überrasch mich mit einem Blumenstrauß? Das ist Blödsinn. Romantik muss freiwillig sein, das liegt in der Natur der Sache. Sie muss aus ihm selber kommen. Nur dann zählt sie.«

»Du willst ihm Romantik beibringen, aber sie soll aus ihm selber kommen?« Sibylle zog die Stirn kraus. »Das funktioniert bei meinen Schülern auch nie.« Sie war Mathe- und Physiklehrerin an einem Gymnasium.

»Männer müssen nun mal den Eindruck haben, es sei ihre eigene Idee gewesen«, bestätigte Conny. »Walter denkt auch, er hätte mich darauf gebracht, die neue Stelle anzunehmen.« Sie hatte ihre Stelle als Flugbegleiterin bei der Lufthansa gekündigt und arbeitete jetzt in einem Call-Center. So war sie abends immer zu Hause und konnte ihn besser kontrollieren. Walter stand unter dringendem Verdacht, es mit der Treue nicht so genau zu nehmen.

»Aber Walter hat dich aufgefordert zu kündigen, damit du ihn abends bekochen kannst!«, rief Sibylle erstaunt.

»Ja, und?«, entrüstete sich Conny. »In eine Beziehung muss man eben investieren. Nur dann kann sich was ändern.«

Sibylle rollte mit den Augen. »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass Walter sich ändert?«

»Doch, natürlich.«

»Menschen ändern sich aber nicht! Und Männer erst recht nicht. Niemals und unter keinen Umständen.«

Die Endgültigkeit in ihrer Stimme machte mir Angst. »Aber du hast doch früher immer gesagt, man muss den anderen so akzeptieren, wie man ihn sich zurechtgebogen hat«, meinte ich.

»Ja, früher!«, schnaubte Sibylle. »Aber damals waren es nur Jungs, und schon da hat es nicht funktioniert. Wie soll es dann bei Männern gehen?« Sie trank ihren Wein aus. »Da ist nichts mehr zu machen. Du kannst ihnen ja nicht einfach ein neues Betriebssystem aufspielen. Obwohl das eine gute Sache wäre. Männer – jetzt mit Windows 8.0.«

Conny und ich starrten sie an.

»Jetzt guckt nicht so, als hätte ich den Weihnachtsmann umgebracht.«

»Das glaub ich nicht. Männer können sich sehr wohl ändern«, sagte ich schnell.

»Genau!« Conny fasste sich nervös an ihre Sonnenbrille.

»Nennt mir einen Mann, der sich geändert hat«, forderte Sibylle uns auf.

Ich überlegte. »George Clooney war eine Katastrophe als Schauspieler in der ersten Emergency-Room-Folge. Und jetzt hat er einen Oscar!«

»Das hat aber nichts mit seinem Charakter zu tun!«

»Robert Downey junior ist jetzt clean!«, meinte ich.

»Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er einen Rückfall hat! Männer bleiben nun mal, wie sie sind.«

Conny sah aus, als sei sie den Tränen nahe. Ich tätschelte ihr den Arm und warf Sibylle einen strafenden Blick zu. Manchmal machte mich ihre Selbstgerechtigkeit rasend. Vor allem, weil sie seit Ewigkeiten keinen Freund mehr gehabt hatte. Das wiederum lag an dem Männertest, den sie entwickelt hatte. Dazu lud sie die Männer zum Kochen ein. Und dann gab sie ihnen Gemüse zu schneiden. An diesem Test scheiterten fast alle. Sie stellten sich beim Möhrenschneiden absichtlich dumm an, spielten vorpubertäre Spiele mit Gurken, erwarteten für jede geschälte Kartoffel Beifall oder berichteten beim Anblick eines Blumenkohls mit weinerlicher Stimme von den Verdiensten ihrer Mütter am Herd. Zeig mir, wie du Gemüse behandelst, und ich sage dir, wer du bist. Dieses Auswahlsystem hatte Sibylle für sich perfektioniert. Bestanden hatte noch keiner.

Doch wenn Sibylle die Hoffnung aufgegeben hatte, dann war das ihr Problem. Ich war optimistisch. Wenn ich mir eine Schiebermütze kaufen konnte, war alles möglich.

Ich war es gewohnt, meine Sachen selber zu regeln. Wenn mir jemand sagte, wie. Da mir meine Freundinnen keine guten Tipps gegeben hatten, begann ich mir den Kopf zu zerbrechen, wie ich die Sache mit der Romantik am besten angehen sollte. Als ich nach Hause kam und Jan rief: »Hallo, Lotte, da bist du ja!«, wurde mir schlagartig klar, woran ich als Erstes arbeiten würde: an einem neuen, romantischen Kosenamen.

Ich meine, in einer Beziehung hat man ja wohl Anrecht auf einen angemessenen Kosenamen! Darunter verstehe ich übrigens nicht »Schatz« oder »Süße«, weil das eindeutig Gleichmachungstitel sind, die nur dazu dienen, das Ausrufen des falschen Namens im Bett zu verhindern. Nein, es muss schon etwas ausgefallener sein. Wobei ein Kosename natürlich nicht übertrieben sein darf. Bei völlig aufgebauschten Kreationen, die in Wahnsinnslautstärke rausposaunt werden, merkt man direkt, dass irgendwas im Busch ist. Ich kannte mal ein Paar, da rief sie ihn »Hasibärchenmausemaus« und er sie »Schnuckischnatzischnuffelchen«. Kurz darauf war es so weit, dass sie von ihm nur noch als »Riesenarsch« sprach und er sie als »Schlampe« betitelte. Ich glaube, sie durfte in dem Haus wohnen bleiben und er bekam dafür das Segelboot.

Für Jan hatte ich haufenweise tolle Namen ersonnen. Anfangs hielt ich mich an Allerweltsnamen wie Traummann, Hase und Bärchen, weil ich abwarten wollte, welchen Namen er für mich wählen würde, um dann ein männliches Pendant zu finden. Weil er mich beharrlich Lotte nannte, versuchte ich seine Kreativität anzuregen, nannte ihn mal Millernbabe (weil er Fan des Fußballclubs St. Pauli ist), mal Mr Bombastic, Ed von Schleck oder Turnvater Jan.

Schließlich fand ich den perfekten Namen für ihn: Romeo. Ja klar, schon tausendmal da gewesen, nichts Besonderes, hätte man denken können. Aber der Name hatte nichts mit Shakespeare zu tun, sondern bezog sich auf seinen Alfa Romeo, mit dem er damals angehalten hatte, um mich und meinen Kadett zu retten. Natürlich hätte ich »Julia« als Retourkutsche nicht wirklich originell gefunden, aber es lag doch so offensichtlich auf der Hand, dass er es wenigstens hätte versuchen können! Aber er sagte weiterhin Lotte. Manchmal auch im Scherz Flotte Lotte. Aber das war unter aller Kanone, denn das erinnerte mich wahlweise an Haushaltsgeräte oder an Diarrhö. Es war also höchste Zeit, dass ich einen schönen Namen bekam. Und ich beschloss, es besonders geschickt anzustellen.

Ich ging zu Jan an den Computer. Zur Arbeit zog er schicke Hemden an, aber zu Hause trug er fast immer das braune Kapuzensweatshirt mit Totenkopf und dem Schriftzug St. Pauli, das an den Ellbogen verschlissen war. Ich wuschelte ihm durch das kräftige Haar. »Hey, Romeo. Wieso nennen dich deine Freunde von der Schule eigentlich Rod?«

»Das weißt du doch, Lotte. Weil ich damals den alten Ford meiner Oma zu einem Hot Rod umgebaut hab.«

»Und gefällt dir der Spitzname?«

»Mmhh. Weiß nicht.« Er wandte sich einen Moment vom Bildschirm ab. »Hab ich nie drüber nachgedacht.«

»Ehrlich nicht? Komisch. Ich hab mir auf der Schule so sehr einen coolen Spitznamen gewünscht. «

»Wie wolltest du denn heißen?« Er zog mich auf seinen Schoß.

»Aber du darfst nicht lachen!«

»Versprochen.« In seinen Augen lauerte der Schalk.

»Also, in der Grundschule wollte ich unbedingt Pippilotta genannt werden, weil ich Pippi Langstrumpf so toll fand und weil Lotte und Pippilotta so ähnlich klingen.«

»Und haben die anderen Kinder dich so genannt?«

»Natürlich nicht. Und das, obwohl ich mich jeden Karneval als Pippi Langstrumpf verkleidet habe.«

»Oh, heiß! Mit sexy roten Zöpfen?« Er steckte seine Hand unter mein T-Shirt.

»Ja, klar.«

»Und mit Minirock und Strapsen und so?« Er fummelte an meinem BH rum.

»Ach, Pippilotta war irgendwann out. Außerdem gibt es nichts Peinlicheres, als sich selber einen Spitznamen zu verpassen.« Mensch, Lotte, das war geschickt. Jetzt muss er es kapieren!

»Würdest du dich für mich als Pippi Langstrumpf verkleiden?« Er fing an, an meinem Bauch herumzuknabbern. Seine Bartstoppeln kratzten, und ich schob ihn von mir weg.

»Hör mal, Jan, ich will nicht Pippi Langstrumpf sein!«

Er sah mich erstaunt an. »Na gut, wenn du meinst …«

Endlich, er hatte es gerafft! Göttliche wäre zwar etwas überkandidelt, würde ich zur Not aber nehmen.

»Dann möchtest du vielleicht …« Wenn er mich Pummelpo nennt, mache ich Schluss. »… das Zimmermädchen sein. Du brauchst auch nur Schürze und Häubchen zu tragen.«

Ich stöhnte genervt, stand auf und ordnete meine Kleidung.

»Was ist denn los, Lotte? Hab ich irgendwas falsch gemacht?«

»Du kapierst aber auch gar nichts. Du nennst mich nicht mal Süße oder Schatz!«, fauchte ich.

»Hä? Ich dachte, du magst diese Kosenamen nicht! Irgendwie kapier ich nicht, worauf du hinauswillst.«

Ich sagte nichts. Diesmal würde ich es ihm nicht so leicht machen. Dass ich mir selber einen Kosenamen geben sollte, ging wirklich zu weit. Das war genauso schlimm, wie sich selbst einen Verlobungsring zu kaufen. Ich wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht rum.

»Was ist?«, fragte er. »Ist das eine neue Kampfsportart, die ich noch nicht kenne?«

Richtig, Extremes Zaunpfahlwinken. Ich drehte mich um die eigene Achse, löste den Ring und ließ ihn fallen. Er rollte direkt vor Jans Füße. Er hob ihn auf und betrachtete ihn. »Für Prinzessin, für immer«, las er die Inschrift. »Was ist das, Lotte?«

»Das ist mein neuer Ring.«

Er schaute mich merkwürdig an. Jetzt würde er einsehen, wie schlecht er mich behandelte! »Hast du eine Affäre?«

»Wie bitte? Nein, natürlich nicht«, sagte ich pikiert.

»Sei ehrlich, Lotte. Woher hast du den Ring?«

»Hab ich mir selbst gekauft«, murmelte ich, »zur Verlobung. Weil du mir keinen geschenkt hast und alle gelacht haben.«

»Was?« Er war total konsterniert.

»Ja, alle haben gelacht wegen diesem Ding, diesem Dosenverschluss.«

Jan sah mich perplex an. Aber anstatt sich zu entschuldigen, fing er an zu lachen. »Das gibt’s nicht! Du kaufst dir einen Ring nur wegen der Meinung anderer Leute?«

»Nein, nicht nur …« Ich wollte ihm von meinem Traumantrag erzählen, von Himbeersoufflés und Wunderkerzen, aber all das blieb mir im Hals stecken, weil Jan lachte wie ein Irrer.

»Und eine Inschrift hast du dir auch machen lassen!« Er wischte sich die Augen. »Oh Mann, Lotte, du bist echt schräg drauf. Aber genau dafür liebe ich dich.« Er wollte mich umarmen, aber ich entzog mich ihm. »Komm, Lotte«, sagte er, »sei nicht sauer. Meinst du wirklich, ich schenke dir nichts zur Verlobung?«

Er setzte sich an den Schreibtisch und klopfte auf seine Beine als Einladung zum Sitzen. Ich gehorchte. Jetzt würde er sicher eine Ringdose aus einer Schublade ziehen. Vielleicht mit einem alten Erbstück von Queen Elizabeth. Aber Jan schnappte sich die Maus und klickte auf ebay. »Guck mal hier, Lotte, das habe ich dir ersteigert.«

Ich traute meinen Augen nicht.

Eine neue Freisprechanlage fürs Auto.

»Weil deine so rauscht, dass du davon Kopfschmerzen kriegst.«

Burg Rheindorf

Freiherr Ludwig von Lüfter

Bonn

An

Charlotte Amanda Schwermer

Loreleystr. 8

Köln

25. Mai

Sehr geehrte Frau Schwermer,

wir sind hocherfreut, dass Sie sich zu einer Feier auf unserer Burg entschieden haben. Wir werden Sie und Ihre Gäste also am 27. 7. bei uns begrüßen.

Allerdings muss ich Ihnen leider sagen, dass der Wassergraben seit 1875 kein Wasser mehr führt und wir ihn auch leider nicht für Ihre Zwecke fluten lassen können, um darauf weiße Schwäne und venezianische Gondeln fahren zu lassen. Seien Sie aber versichert, dass unsere Burg genügend romantische Ecken wie zum Beispiel die festlich illuminierte Candlelight-Bar zu bieten hat. Wir freuen uns auf Sie und Ihre Gäste!

Mit freundlichen Grüßen

Freiherr von Lüfter

Kapitel 4

Es kostete mich wirklich Mühe, mich nicht entmutigen zu lassen. Aber als ich die neue Ausgabe meiner Lieblingszeitschrift las, wurde mir sofort klar, dass ich es wirklich falsch angepackt hatte. Darin wurden nämlich die ultimativen »zehn Wege, Ihren Mann zu ändern« verraten:

Gehen Sie mit gutem Beispiel voran.

Loben Sie ihn – selbst für Kleinigkeiten.

Lassen Sie ins Gespräch einfließen, wie Sie es gerne hätten.

Sagen Sie ihm, wie Sie sich fühlen. Bleiben Sie dabei sachlich.

Vermeiden Sie Sätze, die die Worte »immer« und »alles« enthalten.

Rechnen Sie nicht auf. Das bringt nichts. Atmen Sie tief durch, und verlieren Sie Ihr Ziel nicht aus den Augen.

Neukonditionierung: Wenn er etwas schlecht gemacht hat, haben Sie abends Kopfschmerzen.

Wenn er etwas gut gemacht hat, küssen Sie ihn.

Wenn er etwas sehr gut gemacht hat, schlafen Sie mit ihm.

Wenn das nicht funktioniert, verlassen Sie ihn.

Gut. Der letzte Satz irritierte mich. Aber so weit war es noch lange nicht.

Punkt 1: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran.

Ich kaufte drei Dutzend Rosen und rupfte die Blätter ab, verstreute sie in der Wohnung und auf unserem Bett. Ich klebte Zettelchen mit Liebesbotschaften überall da hin, wo er sie sehen würde. Auf den Bierkasten, auf den Werkzeugkasten und den Computer. Ich kochte »Rezepte aus der Liebesküche« und zündete Teelichter und Kerzen an.

Die Tür ging auf, und Jan kam rein. »Wonach riecht es hier?«, fragte er.

Punkt 2: Loben Sie ihn!

»Prima, dass dir das aufgefallen ist! Das ist eine Duftkerze!«

»Das stinkt ja abartig.«

Punkt 3: Lassen Sie ins Gespräch einfließen, wie Sie es gerne hätten.

»Ich finde das gut. Das ist Vanille.«

»Wenn dir das gefällt, bitte. Ich muss raus, mir wird schlecht.«

Punkt 4: Sagen Sie ihm, wie Sie sich fühlen. Bleiben Sie dabei sachlich.

»Das fände ich sehr schade. Ich habe eine Überraschung vorbereitet und mir viel Mühe gegeben.« Ich machte die Tür zum Wohnzimmer auf, deutete auf das Essen und die Rosenblätter.

»Komme gleich, muss kurz in die Garage. Dauert nur ein paar Minuten.«

»Das kenne ich. Alles dauert bei dir angeblich nur ein paar Minuten. Aber dann bist du immer eine halbe Stunde weg!«

Er verzog genervt den Mund. Mist. Punkt 5 vergessen. Vermeiden Sie Sätze, die die Worte »immer« und »alles« enthalten.

Ich ging über zu Punkt 7, der Neukonditionierung. »Beeil dich einfach.« Ich zeigte ihm den neuen BH. Es funktionierte! Eine Minute später kam er wieder und hatte nicht mal ölverschmierte Finger.

»Ist das nicht romantisch?«, fragte ich, als wir wenig später am festlich gedeckten Tisch saßen.

»Schmeckt köstlich. Und was gibt es zum Dessert?«

»Das wirst du schon sehen.« Ich schlug kokett die Augen auf.

»Was ist das denn?« Er pickte mit der Gabel im Salat.

»Das sind Granatapfelkerne.« Ich war stolz, das sagen zu können, es klang so weltgewandt. Dem Granatapfel war im Buch »Rezepte aus der Liebesküche« ein Extrakapitel gewidmet. Schon Eva hatte Adam damit verführt. Und die kleinen leuchtend roten Kerne waren ein Symbol der Fruchtbarkeit.

»Sehen aus wie Alien-Eier.« Jan zog eine Grimasse, als ob er würgen müsste, und rief: »Sergeant Ripley, retten Sie mich! Sie haben von mir Besitz ergriffen!« Mit versteinerter Miene verfolgte ich das Schauspiel. Jan verdrehte die Augen und wand sich hin und her. Als er sich anschickte, sich auf den Boden zu werfen, sagte ich: »Jan, lass das.«

»Mann, Lotte, lach doch mal.«

»Darüber kann ich nicht lachen.«

»Früher hättest du darüber gelacht. Warum jetzt nicht?«

Weil ich den Film »Alien« schrecklich fand. Weil Romantik eine ernste Sache war. »Mit Essen spielt man nicht«, mahnte ich gespielt oberlehrerhaft. Es sollte lustig klingen, kam aber irgendwie anders heraus.

»Oh, entschuldige bitte, ich vergaß, politisch korrekt zu sein«, spottete er. »Aber keine Sorge, Lotte, ich denke den ganzen Tag daran, dass die Kinder in Afrika sich das nicht leisten können.«

Was sollte das denn bitteschön? Aber ich beschloss, mich nicht aufzuregen.

Atmen Sie tief durch, und verlieren Sie Ihr Ziel nicht aus den Augen.

Ich lauschte eine Weile der Kuschelrock-CD Nr. achtundzwanzig. Jan aß artig seinen aphrodisierenden Selleriesalat, immerhin. Sellerie galt als Viagra des Altertums, hatte ich mir sagen lassen. Vielleicht würde es heute mal zu aufregendem Sex kommen, statt des üblichen sonntäglichen Frühschoppen-Poppens, bevor Jan in den Park zum Kicken ging.

»Aber ist das nicht wirklich romantisch? Findest du nicht auch? Ich finde das wirklich schön, so romantisch eben.«

Er schwieg. War er etwa eingeschnappt? Dabei war ich diejenige, die von Rechts wegen hätte eingeschnappt sein dürfen. »Was ist, Jan? Du könntest mir wenigstens antworten.«

»Worauf?«

»Na, auf das hier.« Ich zeigte auf die Rosenblätter, die Kerzen, das Essen. »Das ist so romantisch.«

»Wie oft willst du das denn noch sagen?«, stöhnte er genervt.

»Bis du es kapierst«, fuhr ich hoch.

»Mann, Lotte, entspann dich. Kerzen, Essen, romantisch. Und?«

»Nichts und. Ich finde das schön, so romantisch.«

»Das sagtest du bereits ungefähr hundert Mal«, stöhnte er. »Leg mal eine andere Platte auf.«

»Typisch. Du machst aber auch immer jede romantische Stimmung kaputt.«

»Wie bitte? Ich?«

»Ja. Du! Und ich geh jetzt ins Bett.« Bevor er antworten konnte, sprang ich auf und sagte: »Ich hab nämlich Kopfschmerzen.« Und das nicht wegen der Freisprechanlage.

Als Nächstes plante ich den Besuch einer Ausstellung über die Malerei der Romantik, Caspar David Friedrich und Konsorten. Jan ging äußerst ungern in Museen, es sei denn, es wurden Oldtimer ausgestellt oder Freibier ausgeschenkt. So war ich froh, dass er einwilligte, und hatte vor, mich an dem Abend mit leidenschaftlichem Sex zu revanchieren. Leider wurde nichts daraus. Denn vor dem Museum trafen wir Jans Exfreundin Annabel. Ausgerechnet die!

An dieser Stelle sollte ich vielleicht die Vorgeschichte nachtragen: Als ich bei Jan einzog, fiel mir nämlich ein Katalog in die Hände – ein Unterwäschekatalog! Ich hatte neckisch gefragt, wozu er den aufhebe, und hatte einen Witz oder eine sentimentale Anekdote aus Jugendtagen erwartet. Aber Jan sagte nur: »Ach, das Mädel auf dem Titelblatt ist eine Exfreundin von mir.«

Ich hätte mich beinahe in den Umzugskarton übergeben. Annabel hatte Locken in Nougatbraun. Glänzende, wunderschöne Locken. Dazu passten ihre Rehaugen mit den langen Wimpern. Sie steckte in einem schwarzen Spitzenmieder mit Strapsen. Keine Spur einer Delle am Oberschenkel, keine Speckfalte am Rücken, nicht mal ein Bauchansatz.

»Solche Fotos sind ganz schön retuschiert, oder?«

»Nein, ist eigentlich gut getroffen.«

Ich unterdrückte ein hysterisches Lachen. Reiß dich zusammen, Charlotte. Du bist jetzt seine Freundin. Wenn Annabel so klasse wäre, dann wäre sie noch mit ihm zusammen. Du brauchst keine Angst zu haben vor einer Exfreundin. Ich versuchte, möglichst normal zu klingen.

»Wirklich? Und warum habt ihr euch getrennt?«

Sie war zu oberflächlich, sie hat stundenlang gekotzt, um ihre Figur zu halten, war eine Nymphomanin, die mit jedem Fotografen in die Kiste gestieg…

»Sie hat damals ein Angebot von einer Modelagentur in New York angenommen.«

Lalala. Das macht gar nichts. Lalala. Ein Ozean liegt zwischen uns. Lalala. »Und was macht sie jetzt?«

Bitte, lieber Beziehungsgott, lass sie vier Kinder bekommen haben und fett geworden sein. Lass sie eine übellaunige Tierschützerin geworden sein, die mit neunundachtzig Katzen, sieben Pferden und drei Iltissen auf einer Farm in Iowa wohnt. Lass sie einen Schönheitschirurgen geheiratet haben, der so lange an ihr herumgeschnippelt hat, bis sie aussah wie Michael Jackson.

»Sie hat in New York Fotografie studiert. Was sie jetzt macht, weiß ich nicht.«

Das lag jetzt sieben Jahre zurück. Und da war sie. Kam lächelnd auf Jan zu. Die Zeit schien spurlos an ihren Hüften vorbeigegangen zu sein. Sie trug ein Blumenkleid aus Viskose, das sich an ihre schlanke Taille schmiegte, der Rock umschmeichelte ihre braunen Beine, ihre schmalen Füße steckten in Stilettos, die sie so unbekümmert trug wie ich meine Lieblingssneakers.

»Jan!«, rief sie. Ihre Zähne waren weißer als eine Schneewehe in der Antarktis.

»Annabel, was machst du denn hier?«, meinte Jan erstaunt.

Sie begrüßten sich mit einem Küsschen auf die Wange. Ich versuchte auf die Schnelle, mein Repertoire an Schlagfertigkeiten abzurufen, das Exfreundinnen blass und klein und dumm wie Brot aussehen ließ. Da sie mich sicher ignorieren würde, würde ich sie einfach als Erste zwingen, sich mit mir auseinanderzusetz …

»Hallo!«, sagte sie freundlich und streckte mir die Hand hin. »Ich bin Annabel.«

»Äh, hallo. Ich bin Lotte.«

»Hallo, Lotte. Tolles Kleid! Ist das von Max Mara?«

»Von H&M.«

Entweder war sie doof wie Bohnenstroh. Oder total gerissen.

»Sieht sehr gut aus.« Sie lächelte mich an. Wollte sie mich etwa zwingen, ihr ein Kompliment zu machen? Normalerweise war der sicherste Weg, ein Kompliment abzustauben, einer anderen Frau zu sagen, dass sie gut aussah. Ich würde aber nicht drauf reinfallen und verkniff mir die Retourkutsche. Einem Unterwäschemodel zu sagen, dass es gut aussah, war wie Sahne auf Tiramisu. Absolut überflüssig.

»Ich hab letztens noch an dich gedacht, Jan.«

Aha. Das war der klassische Aufmacher des Ach-wie-war-das-doch-früher-schön-und-sollen-wir-es-nicht-noch-mal-versuchen-Gesprächs. Jetzt würde sie irgendeine Geschichte erzählen, um zu beweisen, was sie für ein tolles Paar gewesen waren. Aber das würde ich zu verhindern wissen. Ich würde ganz cool das Gespräch auf eine andere Ebene lenken. Meine Bemerkung würde vor Intellekt und Humor strotzen, und dann wüsste sie nichts mehr zu sagen und würde abdampfen. Ha! Jetzt musste mir nur irgendwas einfallen.

»Also, ich war auf Kuba …«, fing sie an.

»Ach, Kuba«, warf ich ein, »fahren da nicht die ganzen frustrierten Frauen hin, um sich einen Beachboy zu mieten?«

»Nein, das ist Jamaica«, gab Annabel zurück. Ich war sicher, eine Spur Gehässigkeit wahrgenommen zu haben. »Jedenfalls gibt es auf Kuba so viele Oldtimer, und da habe ich gedacht, dass dir das sicher auch gefallen würde, Jan.« Dann wandte sie sich an mich: »Und Klamotten gibt es da! Superschick, superbillig. Dieses Kleid hier hat gerade mal zehn Euro gekostet. Da müsst ihr unbedingt mal hinfahren.«

Ihr. Dieses Miststück. Tut so, als hätte sie mich als seine Freundin akzeptiert. Wirklich sehr geschickt, diese Taktik.

»Wir sind verlobt«, platzte es aus mir heraus.

»Ehrlich?«, rief sie. »Das gibt’s doch nicht!«

Ich schaute sie triumphierend an.