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Harald Orth nimmt mit seinem Buch "Endzeit — kein Grund zur Panik. Hoffnungsvoll durch unsichere Zeiten" Endzeit-Szenarien der Vergangenheit und der Gegenwart mit einer Prise Humor und Ironie unter die Lupe. "Die apokalyptischen Reiter sind unterwegs" — diese und ähnliche Aussagen der Bibel über die Endzeit finden sich in manchem Facebook-Post. Oft mit dem Bezug zur Corona-Epidemie. Der Impfstoff wird dann zum "Zeichen des Tieres", mit entsprechenden Folgen für diejenigen, die ihn sich haben verabreichen lassen. Auch andere Prophetien der Bibel werden schnell für die Entwicklung von Verschwörungstheorien genutzt. Krisenzeiten lenken den Blick von Christen auf die biblischen Zukunftsaussagen. Mit Humor, Tiefgang und einer Prise Ironie nimmt Harald Orth Aussagen der Bibel über die "Endzeit" unter die Lupe und zeigt, welche sonderbaren Auslegungen dazu im Laufe der Kirchengeschichte schon existierten und welche "Blüten" sie getrieben haben. Er stellt verschiedene "Drehbücher" der Endzeit vor, beleuchtet die zentralen Texte der Bibel und gibt Handwerkszeug zum besseren Verstehen und Auslegen. Sein Buch will vor allem deutlich machen, was die Anliegen der biblischen Texte über die Endzeit wirklich sind: Sie wollen Mut machen in Krisenzeiten und dabei helfen, nicht in Panik zu verfallen, sondern auch in chaotischen Zeiten hoffnungsvoll mit Gott zu rechnen. Mit Impulsen und Fragen für Kleingruppen und Hauskreise.
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Seitenzahl: 317
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Die Bibelstellen sind, wenn nicht anders angegeben, im Neuen Testament sowie Gen, Ex und Ps der Neuen Genfer Übersetzung (NGÜ) entnommen (Neues Testament und Psalmen. Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft; Sprüche © 2015 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart; Genesis u. Exodus © 2020; Leviticus, Numeri, Deuteronomium. Copyright © 2021 Genfer Bibelgesellschaft Romanel-sur-Lausanne, Schweiz; Brunnen Verlag GmbH Gießen).
Das übrige Alte Testament folgt der Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LUT).
Sonst: Neues Leben. Die Bibel (NLB), © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen; Schlachter-Bibel (SLT). Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft.
© 2022 Brunnen Verlag GmbH, Gießen
Lektorat: Uwe Bertelmann
Umschlagfoto/Seitenhintergründe: Adobe Stock
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul, Brunnen Verlag
Satz: Brunnen Verlag GmbH
ISBN Buch: 978-3-7655-2134-8
ISBN E-Book: 978-3-7655-7656-0
www.brunnen-verlag.de
Harald Orth hat Fakten gesammelt und gewichtet, Geschichte befragt und die Bibel gelesen und interpretiert. Er kommt zu ermutigenden und herrlich nüchternen Aussagen über die sogenannte Endzeit. Dabei bleibt das Evangelium in der Mitte und wird nicht durch Spekulationen und fromme Sensationslust an den Rand gedrängt. Wunderbar.
(Ansgar Hörsting, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden)
Endlich mal ein Buch, das ermutigt, sich mit der Endzeit zu beschäftigen. Ohne Schnörkel und mit fundierten biblischen Aussagen hilft es, die Angst vor dem Thema zu verlieren.
(Maren Nisters, Buchhändlerin)
Vorwort
Einführung
1. Die Bielefeld-Verschwörung
2. Eine kleine Aufgabe am Anfang
3. Die biblischen Endzeitaussagen – Rohmaterial für christliche Verschwörungserzählungen?
4. Was uns erwartet
Kapitel 1: Prophetie und Endzeit in der Bibel – und was in der Kirchengeschichte daraus wurde
1. Fehldeutungen – und munter weitergemacht
2. Jesu Endzeitrede und wofür sie herhalten musste
Zum Weiterdenken 1
3. Die Endzeit-Agenda: der Antichrist, das Tausendjährige Reich und weitere Nebenschauplätze
4. Übertragungswege des Endzeitvirus
Spotlight 1
Der falsche Messias, Sabbatai Zwi, und die Erfindung des Döner Kebab
5. Der Blick zurück – und wir heute. Ein Fazit
Zum Weiterdenken 2
Kapitel 2: Ein Überblick über die verschiedenen Endzeitmodelle und ihre Konsequenzen
1. Joachim von Fiore und der geheime Schlüssel
2. Die beiden jüdischen Schöpfungsmodelle
3. Das Standbild-Modell
4. Das Modell der sieben Zeitalter der Kirche
5. Das Modell der zwei Heilswege (Dispensationalismus)
6. Das Modell der erneuerten Erde
Spotlight 2
Der schlafende Friedenskaiser und das Ende der Welt
7. Das Tausendjährige Reich – jetzt, in Zukunft oder gar nicht?
8. Weltuntergang oder Welterneuerung – die Modelle aus der Vogelperspektive
Zum Weiterdenken 3
Kapitel 3: Ein gründlicher Blick in die Bibel
1. Grundsätze biblischer Prophetie
2. Bilder, Visionen, Übertreibungen – wie soll man das verstehen?
3. Die Adlerperspektive
4. Bündnispolitik
5. Jesu Endzeitrede
Zum Weiterdenken 4
6. Aufbau und Auslegung der Offenbarung
7. Zum Tausendjährigen Reich
Spotlight 3
Die Zahl 666 und ihre sehr außergewöhnlichen Erfüllungen
8. Gottes Weg mit Israel
9. Die Visionen des Propheten Daniel
10. Hesekiel und der neue (dritte?) Tempel
11. Die prophetische Perspektive!
Zum Weiterdenken 5
Kapitel 4: Anstöße für den persönlichen Glauben
1. Wahrheit oder Verschwörung?
2. Ermahnen oder ermutigen?
3. Zunehmende Verfolgung oder völlige Gleichgültigkeit?
4. Wozu die (große) Trübsal?
5. Babylon oder Zion?
6. Fünf vor zwölf oder nicht?
7. Intelligenz oder Weisheit? In Bedrängnis zeigt sich der Unterschied
8. Echte Währung oder Falschgeld?
9. Nach mir die Sintflut?
10. Horrorszenario oder Liebesgeschichte?
Zum Weiterdenken 6
Anmerkungen
Bildnachweise
Eine umso festere Grundlage haben wir im prophetischen Wort, und es ist weise, darauf zu achten wie auf ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufstrahlt in euren Herzen.
(2. Petrus 1,19)
„Die Ahnung des Göttlichen in der Welt und die Hoffnung auf Unsterblichkeit machen das wahre Glück des Menschen aus.“
(Johann Joachim Spalding, 1714–1804)
Ist Corona eine endzeitliche Strafe Gottes? Gehört die Pandemie zum Gerichtshandeln des Schöpfers, mit der die letzten Tage beginnen? Ist Wladimir Putin der sogenannte Antichrist, der das Jüngste Gericht einläutet? Ist die Klimakatastrophe bereits in der Offenbarung des Johannes angekündigt? Das sind Fragen, die viele Menschen im Frühjahr 2022 beschäftigen, als ich dieses Vorwort schreibe. Müssen wir damit rechnen, dass noch weitere solcher globalen Krisen auf uns zukommen? Sind die vielen Krisen und Konflikte Teil einer globalen Verschwörung, wie Joachim Sonntag und viele andere „Endzeitpropheten“ behaupten?
Unter solchen und ähnlichen Überschriften finden sich Artikel und Bücher, Predigten und Vorträge in nahezu allen Medien, die offensichtlich auch mit zunehmender Häufigkeit konsumiert werden. Wie die Jünger ihren Herrn und Meister nach den Zeichen der Zeit und dem Lauf der Zukunft fragten (Mt 24,3), so sind auch heute viele gläubige und ungläubige Menschen auf der Suche nach Antworten auf die Fragen unserer Zeit. Und was liegt für Christen näher, als dazu in die Bibel zu schauen, die viele endzeitliche Texte beinhaltet und uns dazu anhält, diese auch zu lesen (Offb 1,3).
Hesekiel, einer der großen Propheten im alttestamentlichen Kanon, bekommt zu Beginn seines Dienstes den etwas seltsamen Auftrag, eine Schriftrolle zu essen (Hes 3,1 ff.). Ich kann mir gut vorstellen, dass ihn das einige Überwindung gekostet hat, denn die Vorhersagen über diese Rolle waren alles andere als gut (2,10). Aber er ist gehorsam, führt die Anweisung aus und bekennt anschließend: „Ich aß die Rolle, und sie schmeckte so süß wie Honig.“
Genau diese Eigenschaft haben die prophetisch-eschatologischen Worte unseres Herrn heute noch: Sich mit ihnen näher zu befassen, kostet manchmal etwas Überwindung, weil manche von ihnen verwirrend und unangenehm wirken. Danach aber stellt man fest, wie gut und wohltuend es ist, sich intensiv mit diesen bedeutenden Kapiteln über „die letzten Dinge“ zu beschäftigen. Und nicht selten kommen wir dabei zu neuen, bislang unbekannten Erkenntnissen, die uns herausfordern und unseren Horizont deutlich erweitern. Hesekiel würde jetzt sagen: Willkommen im Klub.
Ein Hausarzt hat von allen Bereichen des menschlichen Körpers grundlegend Ahnung und kann die meisten Fragen seiner Patienten verstehen, beantworten und ihnen helfen. Aber er ist kein Spezialist für Operationen am offenen Herzen, Bandscheibenvorfälle oder andere Spezialthemen. Dafür gibt es besondere Fachärzte. Nach diesem „Hausarzt-Konzept“ habe ich mein Buch „Endzeit – kein Grund zur Panik“ geschrieben. Ich behandle darin nahezu alle oder wenigstens die wichtigsten Fragen und Themen, die etwas mit der Endzeit zu tun haben, und prüfe zahlreiche Erfahrungen, Meinungen und Zusammenhänge anhand der biblischen Aussagen. Meine Absicht dabei ist es, dem Leser ein möglichst umfassendes Panorama zu allen wesentlichen eschatologischen Themen und Fragen zu bieten. Deshalb verzichte ich bewusst darauf, einzelne Spezialthemen in aller Tiefe und Ausführlichkeit zu behandeln, weil das den inhaltlichen Rahmen sprengen würde.
Gut und hilfreich ist es, endzeitliche Themen nicht nur alleine zu durchdenken, sondern in Gemeinschaft mit anderen, vertrauten Personen. Deshalb habe ich sechs Einheiten für Hauskreise und Kleingruppen hinzugefügt, die in regelmäßigen Abständen im Buch eingearbeitet sind und das Gelesene als Gesprächsanstöße zusammenfassen und aufgreifen („Zum Weiterdenken“). Dadurch eignet sich das Buch auch als Themenreihe im Team oder der ganzen Gemeinde. Im Gespräch mit anderen gewinnen die endzeitlichen Themen noch mal deutlich an Tiefe und Nachhaltigkeit und stärken die Gemeinschaft.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden zumeist das generische Maskulinum verwendet. Die Entscheidung für diese Schreibweise beinhaltet keine Wertung. In der Sache sind natürlich bei Personengruppen immer beide Geschlechter gemeint.
Ich selbst habe von der Arbeit an diesem Buch sehr profitiert und gewonnen. Zum einen, weil mein Horizont im Bereich der sogenannten Endzeitlehre dadurch deutlich erweitert wurde. Zum anderen ist aber auch mein Vertrauen in Gottes Wort gestärkt worden. Scheinbar endzeitliche Ereignisse wie Kriege und Katastrophen haben ihre Macht über meine Gedanken verloren zugunsten unseres wiederkommenden Herrn und seines unendlich tiefen und reichhaltigen Wortes. Solche Erfahrungen wünsche ich allen Lesern.
Ich danke meinem Gott, dass er mir in den Corona-Jahren die Zeit und die Energie für diese Aufgabe geschenkt hat und ich häufig die süße Erfahrung des Hesekiel machen durfte. Ich danke auch Uwe Bertelmann, dem theologischen Lektor des Brunnen Verlags, dass er meine manchmal etwas wirren Gedanken geordnet und an der ein oder anderen Stelle korrigiert hat. Solche Menschen sind sehr wertvoll.
Und nun wünsche ich Ihnen viele gute Erkenntnisse und neue, süße Erfahrungen beim „Essen“.
Harald Orth, im Frühjahr 2022
Predigten vom Autor zum Thema finden sich online unter:
www.kircheanders.de/endzeitreihe
Kennen Sie die Bielefeld-Verschwörung? Im Jahr 1993 fand in Kiel eine Studentenparty statt. Auf dieser feucht-fröhlichen Fete war auch ein „Ersti“ aus Bielefeld, der aus seiner Herkunft keinen Hehl machte. Da einige andere Gäste seine Heimatstadt aber nicht kannten, gingen sie von einem Täuschungsmanöver aus und sagten immer wieder: „Bielefeld? Das gibt’s doch gar nicht.“ Der Satz war geboren.
Drei Wochen später war Achim, einer der Partyteilnehmer, mit seinem Auto unterwegs auf der A 2. Als er an der Ausfahrt Bielefeld vorbeikam, war diese zufälligerweise wegen Bauarbeiten gesperrt und der Stadtname auf dem Straßenschild durchgestrichen. „Witzig“, dachte er und sagte zu sich selbst: „Bielefeld scheint es wirklich nicht zu geben.“
Diesen Gedanken von der Nicht-Existenz Bielefelds veröffentliche Achim etwas später mit leicht scherzhaftem Unterton im Internet, damals noch Usenet genannt – nicht wissend, was er damit auslöste. Denn das Scherzhafte der Nachricht war schnell verflogen. Was blieb, war der Gedanke einer mysteriösen Verschwörung um eine Stadt namens Bielefeld, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Über diesen Mythos und seine Entstehung kann man lachen. Man kann ihn auch als Hirngespinst junger Leute interpretieren und genervt den Kopf schütteln, nach dem Motto: Wer auf so etwas reinfällt, ist selbst dran schuld. Die Bielefeld-Verschwörung fällt auch tatsächlich eher unter die Rubrik Satire. Sie zeigt aber, wie schwierig es ist, solche Mythen mit vernünftigen Argumenten zu widerlegen oder zu beweisen. (Die Stadt Bielefeld hat eine Million Preisgeld ausgelobt für denjenigen, der den Beweis erbringt, dass es Bielefeld tatsächlich nicht gibt.)
Bei anderen scheinbaren Verschwörungen allerdings, die seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen, fällt es schwer, sie als Dumme-Jungen-Streiche abzutun. Es ist eben nicht mehr lustig, wenn behauptet wird, dass die Anschläge vom 11. September in den USA gemeinsam mit der Flüchtlingskrise aus dem Jahr 2015, dem Ukrainekrieg und der Coronapandemie gezielt gesteuert wurden und der Beginn der großen Trübsal sind, von der in der Offenbarung die Rede ist.
Die sich zuspitzenden Klimaverhältnisse oder die nicht nachlassenden Flüchtlingsströme; Stichworte wie Globalisierung, Gender oder Digitalisierung, ja sogar Personen wie Bill Gates, David Rockefeller oder der Rothschild-Clan – mit ein wenig Fantasie lassen sich alle möglichen und unmöglichen Theorien erspinnen und über die sozialen Medien wirkungsvoll verbreiten.
Ich möchte Ihnen zu Beginn eine kleine Aufgabe stellen: Bitte schauen Sie sich das nebenstehende Bild genau an und versuchen Sie, es zu deuten. Wichtig dabei sind die beiden Fragen: Wer ist gemeint? Und: Welche Botschaft soll vermittelt werden?
Abbildung 1: Spiegel-Cover vom 23.06.2018
Auflösung:
Die Zeichnung war auf dem Deckblatt des Spiegels in der Juli-Ausgabe im Jahr 2018 zu sehen und wurde von einer Expertenjury zum Cover des Jahres gekürt.
Die rautenförmig zusammenstehenden Hände weisen auf Frau Merkel, unsere ehemalige Bundeskanzlerin, hin. Die auslaufende Sanduhr im Zusammenhang mit der Überschrift „Endzeit“ soll die Botschaft vermitteln, dass ihre Kanzlerschaft nicht mehr lange anhält. Das Bild sieht also das bevorstehende Ende von Frau Merkel als Bundeskanzlerin unseres Landes kommen. Der Hintergrund dazu war eine Krise im Jahr 2018 zwischen CDU und SPD wegen scheinbar nicht zu klärender Asylfragen. Die Große Koalition drohte zu scheitern und damit eben auch die Kanzlerschaft von Frau Merkel. Das zumindest meinten einige „Propheten“.
Doch es kam alles ganz anders. Auf der Zielgeraden fanden die beiden Parteien doch noch zueinander. Man konnte sich über die Sachfragen einigen und die Chefin blieb im Amt. So weit, so gut!
An diesem Beispiel lässt sich exemplarisch nachvollziehen, was wir auch in vielen anderen Bereichen beobachten können:
In Krisenzeiten melden sich oft scheinbare Propheten zu Wort, die meinen zu wissen, wie die Krise ausgeht, um damit die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf sich ziehen.
Das wiederum gründet auf einem gesteigerten Interesse der Zuhörer an solchen „Visionen“. Gerade in Krisenzeiten sind wir offen und hellhörig für Botschaften, die über den Status quo hinausgehen und uns die Zukunft beschreiben. Im dunklen Tal will jeder wissen, wann und wo es wieder hell wird. Und wenn dann jemand kommt, der uns genau das sagen kann, hören wir ihm nur zu gerne zu. Ob diese „Prophetie“ dann tatsächlich eintritt, ist erst einmal zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass wir ein Geländer haben, an dem wir uns festhalten können.
Wenn hochrangige Fußballvereine ins untere Tabellendrittel rutschen und sich sogar mit Abstiegsgedanken beschäftigen müssen, wird sehr oft der Ruf nach einem Krisenmanager laut. Wird dann jemand gefunden, der Erfahrung mit solchen Unglückszeiten hat und zusätzlich noch einen sicheren (!) Plan, den Verein vor dem Schlimmsten zu bewahren, ist die Krise schon so gut wie behoben. Oder etwa nicht?
Es liegt scheinbar in der Natur des Menschen, dass wir unser Schicksal nicht einfach hinnehmen und uns ihm ergeben, sondern etwas dagegen unternehmen. Wir wollen unsere Zukunft positiv verändern oder zumindest uns darauf vorbereiten; und dazu gehört unausweichlich, dass wir die schlimmen Erfahrungen der Gegenwart verstehen und einordnen, um es künftig anders und besser zu machen.
Leben wir in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg?
Wie oft haben uns Politiker und viele Zeitgenossen in den vergangenen Monaten und Jahren die Diagnose gestellt, dass dem so sei? Es ist nicht nur von einer schweren Krise die Rede, sondern von vielen, die uns und unsere Welt immer weiter überfordern: Klima- und Umweltkrise, Flüchtlingskrise, Demokratiekrise, Währungskrise, Nahostkrise, Ernährungskrise, die Coronakrise und der Krieg in der Ukraine mit seinen weltweiten Konsequenzen, angezettelt durch die sinnlose und ungerechtfertigte russische Invasion. Die Liste ließe sich mühelos um einige weitere Krisen verlängern, die in ihrer Gesamtheit sehr beängstigend und entmutigend wirken.
Bernd Ulrich bezeichnet unsere Zeit als die „Flaschenhals-Phase“, die dadurch gekennzeichnet ist, dass immer mehr Menschen auf immer enger werdendem Raum zusammenleben und somit immer häufiger an ihre Grenzen stoßen. Seiner Meinung nach braucht es zur Lösung der globalen Krisen und Konflikte nicht nur gute Konfliktmanager und kühne Visionen, sondern utopische Durchbrüche. Ansonsten mutieren die aktuellen Erfahrungen seiner Meinung nach vollends zur Hölle.1
Damit ist ein Stichwort gefallen, was uns wieder zu den scheinbaren Propheten bringt. Denn es bewahrheitet sich einmal mehr die Beobachtung, dass in diesen Krisenzeiten immer mehr Stimmen zu hören sind, die zu wissen glauben, dass der Zeiger der Weltuhr zwölf geschlagen hat und Himmel und Hölle sich bald einstellen werden. Gerade in frommen Kreisen liegt die Versuchung offensichtlich nahe, die derzeitigen Erfahrungen mit apokalyptischen und prophetischen Bibeltexten zu vergleichen und daraus Resultate zu ziehen.
Nun enthält die Bibel leider keinen eindeutigen und für alle Leser gleichermaßen verständlichen endzeitlichen Fahrplan. Die Passagen, die von der Zukunft der Welt handeln, sind oft durch Bilder, Zahlen und Visionen verschlüsselt, die aus einer uns völlig fremden Zeit und Kultur stammen. Hinzu kommt, dass die Schreiber dieser eschatologischen Abschnitte ihre Visionen zum Teil selbst nicht richtig verstehen und einordnen konnten, weil es göttliche Eingaben waren (2Petr 1,21; Dan 8,15; Hes 21,5). Selbst das klassische „Endzeitbuch“, die Offenbarung des Johannes, führt bei genauer Betrachtung zu dem Schluss, dass sie keinen linearen Endzeitfahrplan entfalten will, bei dem wir mit fortlaufenden Kapiteln eine Endzeitchronologie erhalten würden.
Das alles macht die Suche nach tragfähigen Aussagen aber oft noch komplizierter, es für uns heute nicht einfacher und ist ein wesentlicher Grund dafür, dass viele als sicher geglaubte Auslegungen in vergangenen Jahren sich nicht oder ganz anders erfüllten als vorhergesagt (dazu im nächsten Kapitel mehr). Ähnlich wie bei anderen Welterklärungstheorien und Ideologien lassen sich auch in die prophetischen Texte der Bibel die eigenen Vorstellungen hineinlesen. Und wenn man diese „neuen Erkenntnisse“ nur fest und lange genug behauptet, finden sich auch Menschen, die daran glauben. Ähnlich wie bei dem Bielefeld-Mythos.
Oder ist vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit an der ein oder anderen Welterklärung auf vermeintlicher Basis der biblischen Prophetie, die uns momentan fast täglich erreicht? Kann es sein, dass wir tatsächlich das Ende von Mutter Erde bald erleben werden und Gott uns durch die derzeitigen Ereignisse darauf vorbereiten will? Gehen wir als Christen zu sorglos und naiv mit diesen Vorboten der letzten Tage um?
Das alles sind berechtigte und spannende Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Unsere Welt ist unübersichtlich und die Entwicklung der Dinge unabsehbar geworden. Da sehnt man sich nach Background-Informationen, nach einer Erklärung der Zusammenhänge und am besten nach verlässlichen Infos über die Zukunft. Aber zu viele sind in der Vergangenheit schon mit ihren Vorhersagen und Berechnungen gescheitert und haben dadurch erhebliche Schäden verursacht. Genau daraus können wir lernen. Dennoch ist es überaus lohnenswert, sich näher mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, um eben nicht in Torschlusspanik zu verfallen, wenn wieder einmal irgendein Prophet danach schreit.
Ich möchte im vorliegenden Buch sowohl die biblischen, prophetischen Aussagen ebenso wie einige der zahlreichen Erklärungsversuche der Vergangenheit etwas genauer unter die Lupe nehmen. Viele Überzeugungen zur Endzeit und ihrer Vorboten haben sich über mehrere Jahrhunderte gefestigt und sind als vermeintliche Fakten von einer Generation zur nächsten weitergegeben worden – oft innerhalb einer bestimmten Glaubenstradition oder Denomination. Einige von diesen scheinbaren Wahrheiten werde ich als Fake News entlarven; andere neu ins Zentrum rücken, um Zusammenhänge besser zu verstehen.
Eschatologie (die Lehre von den letzten Dingen) hat einige Gemeinsamkeiten mit der Bielefeld-Verschwörung: Wenn man seine Meinung auf Halbwissen und Zufälle gründet, kann daraus sehr schnell ein Gerücht oder eine Verschwörung werden. Wenn man den Dingen auf den Grund geht und sie sorgfältig untersucht, erscheint manches in einem neuen Licht und wird verständlicher.
In Apg 8 finden wir die spannende Begegnung zwischen Philippus und dem sogenannten Kämmerer aus Äthiopien. Letzterer war auf dem Rückweg von Jerusalem und hatte sich als Reiselektüre für den langen Weg den Propheten Jesaja gekauft. Als Einstieg in den christlichen bzw. jüdischen Glauben ist das schon sehr anspruchsvoll. Deshalb lautete die erste Frage, die Philippus diesem Mann stellt: „Verstehst du denn, was du da liest?“ Darauf gab der Kämmerer zu, dass er es leider nicht versteht, weil ihm die Anleitung fehlt. Eine typische Erfahrung im Umgang mit prophetischen Schriften: Zwischen Lesen und Verstehen klafft oft eine große Lücke, was manche von uns resignieren lässt. Nicht so der Kämmerer, denn er hatte in Philippus einen kompetenten Kenner der Bibel und bekam von ihm sehr gute Antworten und Hinweise zum besseren Verstehen. Ähnlich hoffe ich und wünsche mir, dass mein Buch einen kleinen Beitrag auf dem Weg vom Lesen zum Verstehen prophetischer Schriften leistet und der ein oder andere Leser dadurch im Glauben gestärkt wird.
Vor allem geht es aber darum zu entdecken: Die biblischen Aussagen über die Zukunft wollen nicht Angst machen vor einer „Endzeit“, sondern ermutigen. Der Untertitel „Kein Grund zur Panik“ ist ernst gemeint, weil nahezu alle endzeitlichen Texte der Bibel genau das beabsichtigen: nicht in Angst und Panik zu verfallen, sondern im Vertrauen auf den Schöpfer die Häupter erheben, auch wenn die Umstände schwieriger werden (Lk 21,28). Wir leben in chaotischen, unsicheren, immer „apokalyptischer“ werdenden Zeiten. Damit befinden wir uns in guter Gesellschaft. Das ging dem Apostel Johannes, Martin Luther und vielen anderen Christen in den letzten zweitausend Jahren ganz genauso. Und sie fanden Trost, Kraft und Orientierung in dem, was Gott über diese Welt und ihre Zukunft sagt. Lassen Sie es uns gemeinsam entdecken.
Keine andere Religion oder Weltanschauung auf unserer Erde verfügt über eine solch differenzierte, komplexe und vor allem hoffnungsvolle Endzeitlehre wie das Christentum. Auch nicht die beiden verwandten großen Religionen Judentum und Islam. Im Judentum hängt die Eschatologie sehr stark an der Lehre des Messias. Mit seinem Kommen verbinden die orthodoxen Juden bis heute den Beginn der Heilszeit. Da sie Jesus Christus als Messias nach wie vor ablehnen, gilt dies logischerweise auch für das Neue Testament und die darin enthaltenen Hinweise zum Weltende. Ihre Glaubensüberzeugungen entnehmen sie überwiegend dem Alten Testament (der Tora) und dem Talmud (Auslegung der Tora und weitere Gesetztestexte). In diesen sind aber „nur“ Ansätze bzw. erst im Licht des Neuen Testaments verständliche Ausführungen zur Endzeit enthalten. So kennt z. B. der Talmud die Lehre vom sechstausendjährigen Verlauf der Weltgeschichte, der sich in drei Zeitalter von je zweitausend Jahren aufteilt. Auf diese und auch auf alttestamentliche Texte und ihre Auslegung im Judentum werde ich in Kapitel 2, „Überblick über die verschiedenen Endzeitmodelle“, noch eingehen.
Nach islamischer Lehre wird der Mensch sehr deutlich darauf hingewiesen, dass sein Verhalten hier auf Erden erhebliche Konsequenzen für das Jenseits hat. Im Koran bzw. im Hadith (Überlieferung) wird erwähnt, dass nach dem Tod alle Taten und Worte des Menschen auf eine Waage gelegt werden. Die bösen auf die eine und die guten auf die andere Seite. Zu welcher Seite sich die Waage neigt, entscheidet dann über den Ort, an dem der Mensch seine Ewigkeit verbringt. Das nahende Weltende kündigt sich dadurch an, dass die Verhältnisse und Zustände auf Erden immer schlechter werden, weil das islamische Gesetz nicht mehr beachtet wird. In der weiteren Eschatologie des Islam tritt, ähnlich wie im Christentum, als Vorbote des Jüngsten Gerichts ein Antichrist, al Dajjal, auf. Dieser verführt die Menschen zum Abfall von Gott. Wenn seine Wirkungszeit zu Ende ist, erscheint Jesus und tötet den Antichristen, um sich anschließend Mohammed zu unterwerfen. Außerdem vernichtet er alle Schweine, Kreuze, Synagogen und Kirchen und tötet alle Christen, die den Islam nicht annehmen wollen. Nach Gericht und Urteil Gottes versinken die Verdammten in der Hölle, während die Guten in den Himmel kommen, wo sie sich an Wein und Jungfrauen erfreuen. Weitere Aussagen zur Eschatologie des Islam differenzieren je nach Glaubensrichtung (Sunniten, Schiiten, Aleviten etc.).
Abbildung 2: Islamische Waage der guten und der schlechten Taten
Von Gnade und Vergebung, stellvertretendem Leiden und Heilsgewissheit, einem liebenden Gott, der seinen Sohn für die Schuld aller Menschen sterben ließ, und einer Hoffnung, die nicht auf meinen eigenen Taten beruht, finden wir in den beiden monotheistischen Religionen sehr wenig bis gar nichts. Diese Themen sind erst durch Jesus Christus und das Neue Testament ins Zentrum gerückt und haben die Lehre von der Endzeit deutlich geprägt und beeinflusst. Anders gesagt:
Die Auferstehung, und damit die Lehre von den letzten Dingen, steht im Zentrum des Christentums. Hier liegt der wesentliche Unterschied zu allen anderen Religionen.
Der Apostel Paulus schreibt im Korintherbrief: „Und wenn Christus nicht auferstanden ist, ist es sinnlos, dass wir das Evangelium verkünden, und sinnlos, dass ihr daran glaubt“ (1Kor 15,14). Daraus folgt im Umkehrschluss: Wenn er auferstanden ist, und davon gehen wir aus, dann ist die Lehre von der Auferstehung der Toten und alles damit Zusammenhängende die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens. Oder, wie Jürgen Moltmann es treffend formuliert, ist „das Eschatologische nicht etwas am Christentum, sondern es ist schlechterdings das Medium des christlichen Glaubens, der Ton, auf den hin alles gestimmt ist, die Farbe der Morgenröte eines erwarteten neuen Tages, in die hier alles getaucht ist“.2
Allerdings enthält die Bibel, wie bereits erwähnt, keinen durchgängigen und einheitlichen „Fahrplan“ der letzten Tage, der für die Menschen aller Zeiten gleichermaßen abrufbar und verständlich wäre. Im Gegenteil: Manche prophetischen Texte wirken kompliziert und zum Teil widersprüchlich. Gerade weil zwischen der Entstehung einzelner Visionen und Weissagungen zum Teil lange Zeiträume liegen und seit ihrer Abfassung zwei- bis dreitausend Jahre vergangen sind, ist die Auslegung der endzeitlichen bzw. prophetischen Bibeltexte nicht so einfach, wie manche sich es wünschen. Hinzu kommt, dass viele Autoren und Bibelausleger prophetische Aussagen und Vokabeln aus verschiedenen biblischen Büchern oft wahllos miteinander vermischen, wodurch alles noch schwieriger wird. Dadurch entstehen Fragen und Verbindungen, die ursprünglich vielleicht nichts miteinander zu tun haben. Sind z. B. die folgenden biblischen Begriffe „Der Widersacher“ (1Petr 5,8), „Der Mensch des Frevels […] der Sohn des Verderbens“ (2Thess 2,33), „Der Verführer schlechthin“ (2Joh 1,7) und „Der Antichrist“ (1Joh 2,18) allesamt nur verschiedene Bezeichnungen für ein und dieselbe Person oder sind ganz verschiedene Gestalten gemeint? Ist mit dem Tausendjährigen Reich aus Offb 20 dasselbe Reich gemeint, was Jesaja in seinem elften Kapitel als das messianische Friedensreich bezeichnet? Wenn ja, wie hängen beide zusammen und wann wird das eintreffen? Wird die weltweite Gemeinde Jesus Christi vor, nach oder während dieser Zeit entrückt? Und was geschieht dann mit den Übriggebliebenen? Was hat es mit dem Antichristen und der großen Trübsal auf sich? Stehen sie miteinander in Verbindung? Wenn ja, wie? Fragen über Fragen, die zeigen, dass einfache Antworten meist nicht weiterhelfen, sondern behutsames und gründliches Vorgehen nötig ist.
Schon viele haben in der Vergangenheit versucht, konkrete Erfüllungen und Anwendungen – meistens zu ihren eigenen Lebzeiten – aus den biblischen Befunden herauszulesen und sind damit gründlich gescheitert. Einige Beispiele davon werden wir uns im Folgenden näher ansehen. Nicht um uns über diese Menschen und ihre Arbeit zu erheben, sondern um eine gewisse Sensibilität und Ausgewogenheit im Umgang mit prophetischen Texten zu lernen und davon für unseren persönlichen Glauben zu profitieren.
Der Apostel Petrus schreibt:
„Darüber hinaus haben wir die Botschaft der Propheten, die durch und durch zuverlässig ist. Ihr tut gut daran, euch an sie zu halten, denn sie ist wie eine Lampe, die an einem dunklen Ort scheint. Haltet euch an diese Botschaft, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns es in euren Herzen hell werden lässt.“ (2Petr 1,19)
Die Absicht prophetischer Texte ist, wie Petrus hier schreibt, die Zeit bis zum Aufgehen des Morgensterns zu beleuchten; uns Wegweisung und Orientierung zu geben, sodass wir in dieser Wartezeit nicht irregehen und vom Weg abkommen. Prophetie dient also primär als Brücke, um vom einen Ufer (Diesseits) zum anderen (Jenseits) zu gelangen. Deshalb kann es gar nicht wichtig genug sein, sich mit solchen Texten zu befassen. Leider verleiten prophetische Abschnitte oft auch zu extremen Ansichten und Auslegungen, die alle irgendwie gut gemeint sind, aber eben von dem Weg abkommen, den die biblische Prophetie beleuchtet.
Schon der Apostel Paulus lebte in einer solch intensiven Naherwartung des wiederkommenden Herrn, dass er den Thessalonichern schrieb:
„Wir, die wir noch leben und bis zur Ankunft des Herrn am Leben bleiben, werden denen nicht zuvorkommen, die entschlafen sind.“ (1Thess 4,154)
Die übersteigerte Naherwartung hatte bei einigen seiner Leser offensichtlich dazu geführt, dass sie ihre täglichen Pflichten außer Acht ließen, um sich ausschließlich auf den Jüngsten Tag und den Einzug ins Himmlische Jerusalem vorzubereiten. Das zumindest kann man der ernsten Ermahnung entnehmen, die Paulus in seinem zweiten Brief anklingen lässt und die in der Lutherbibel überschrieben ist mit dem Titel „Warnung vor Müßiggang“ (2Thess 3,6-16). Man könnte auch sagen: Paulus rudert wieder ein wenig zurück, nachdem er gemerkt hat, was seine vielleicht etwas zu vollmundig geäußerte Hoffnung auf die baldige Wiederkunft des Herrn ausgelöst hat. Der Jüngste Tag kam doch nicht so schnell wie gedacht, also galt es, die alltäglichen Arbeiten und Pflichten wieder aufzunehmen. Christliche Prophetie ist eben nicht so einfach.
Ganz ähnliche Erfahrungen mit dem Nichteintreffen endzeitlicher Interpretationen und Auslegungen, der sogenannten Parusieverzögerung, haben seitdem unzählig viele Nachfolger und Gemeinschaften auf der ganzen Welt gemacht. Dabei blieb es in den meisten Fällen nicht bei einer bloßen Ermahnung vonseiten des Leiters, um alle Gläubigen wieder einzunorden. Im Gegenteil: Vielfach sorgte das Ausbleiben des errechneten Tages für neues und noch größeres Engagement unter den Beteiligten, einen neuen Termin zu finden und sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln darauf einzustellen. Der Gedanke, dass die eigene Vorgehensweise falsch sein könnte, kam den allerwenigsten.
Die meisten Endzeitspezialisten waren oder sind so sehr in ihrer eschatologischen Blase gefangen, dass sie nicht mehr über den eigenen Tellerrand hinausschauen können oder wollen.
Rüdiger Maas spricht in diesem Zusammenhang von einer kognitiven Dissonanz. Ein innerer Konflikt also, der dadurch entsteht, dass die Realität einer Sache nicht mit meinen Plänen und Vorstellungen übereinstimmt.5 Um diese Spannung aufzulösen, suchen sich viele Menschen eigene Antworten und Erklärungen für den Konflikt, die zwar meist völlig unsachlich und verkehrt sind, mit denen sie aber besser leben können, als zuzugeben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Es ist wie bei einem Ruderwettkampf, bei dem man ein Boot sieht, in dem nur ein Ruderer sitzt, aber fünf Steuermänner. Bei den anderen Booten ist es genau umgekehrt. Nach der ersten Minute des Wettkampfs liegt das falsch besetzte Boot natürlich schon weit zurück, obwohl die fünf Steuermänner ihren Ruderer laut und deutlich anschreien. Darauf fragt ein Sponsor, der am Ufer steht, den Trainer, was er denn zu tun gedenke, um Abhilfe zu schaffen. Seine Antwort: „Motivieren! Wie müssen den Mann noch mehr motivieren.“
Die korrekte Lösung des Problems wäre natürlich, über die Fehlbesetzung nachzudenken, die man ja im Vergleich mit den anderen Booten hätte erkennen können. Diesen Fehler wollte der Trainer sich aber nicht eingestehen, erst recht nicht gegenüber einem Geldgeber. Stattdessen schob er dem armen Ruderer und dessen mangelnder Motivation die Schuld in die Schuhe.
Genau dieses Muster im Umgang mit dem inneren Konflikt finden wir häufig bei Menschen und Gruppierungen, die die Worte und Verse der Bibel falsch ausgelegt oder eigene Prophetien und Visionen verkehrt gedeutet haben. Noch deutlicher wird es bei scheinbaren Propheten, die mit ihrem errechneten Termin für den Jüngsten Tag danebenlagen. Wie in allen anderen Bereichen gilt auch hier: Fehler sind nicht grundsätzlich schlecht, sondern manchmal sogar hilfreich, wenn wir daraus lernen und die richtigen Schlüsse ziehen. Wenn nicht, wird alles oft noch schlimmer und verrückter, weil die „Scheinlösungen“ den falsch eingeschlagenen Weg nur noch verlängern.
William Miller, der Sohn eines Farmerehepaars aus Pittsfield, Massachusetts (USA), zog sich im Jahr 1816 zu einem zweijährigen, intensiven Bibelstudium zurück, zu dem er ganz bewusst keine Kommentare oder Auslegungen zu Hilfe nahm. Ausschließlich das Wort Gottes sollte zu ihm reden und sich möglichst selbst auslegen. Ein Resultat dieser Sabbatzeit war die Erkenntnis des „zweiten Advents“, also der Wiederkunft Jesu auf die Erde, und zwar im Jahre 1843. Ausschlaggebend für diese Einsicht war die Zahl 2300 aus Dan 8,14 im Zusammenhang mit den 70 Jahrwochen aus Dan 9,24. Beginnend mit der Rückkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft im Jahr 457 v. Chr. kam Miller somit auf das Jahr 1843. Diese Berechnung war fortan die Grundlage seines umfangreichen Predigtdienstes.
Seine (neue) Botschaft vom nahenden Weltende traf in eine Zeit, in der viele Menschen durch große Umbrüche, Enttäuschungen und seltsame Naturvorgänge verunsichert waren. Die Aussicht auf die baldige Wiederkunft Jesu wurde daher begeistert aufgenommen und zog bis zu 1 Millionen Menschen in ihren Bann. Je näher der Termin rückte, desto enthusiastischer wandten sich seine Anhänger dem Ereignis zu, verkauften zum Teil ihr komplettes Hab und Gut und dachten nur noch bis zum Jahr 1843.
Als das Datum aber verstrich, ohne dass die angekündigte Wiederkunft geschah (kognitive Dissonanz), kamen Miller und seine Anhänger in Erklärungsnot. Es begann die zweite Phase der sog. Miller-Bewegung, die Zeit der „neuen Erkenntnisse“: Als Erstes wurde ein Fehler in Millers Berechnung gefunden und der Jüngste Tag um ein halbes Jahr verschoben. Als dieser Termin wieder ohne erkennbare Folgen überschritten war, einigte man sich auf einen zehnjährigen Aufschub. Aber auch diese Rechnung ging leider nicht auf. Dann kam die Einsicht, dass Jesus im Jahr 1843/44 nicht auf Erden eingezogen sei, sondern ins himmlische Allerheiligste, um die dortige nötige Reinigung der Sünden vorzunehmen, die als Voraussetzung seiner Wiederkunft galt. Infolge dieser theologischen Neuorientierung wurden weitere zentrale Lehren angepasst (z. B. die von der verschlossenen Tür oder die der drei Engelsbotschaften), bis schließlich die Einhaltung des Sabbats als die zentrale biblische Aufgabe erkannt wurde. Fortan galt es, diese Neuerkenntnis auszubauen und so ins Zentrum der Bewegung zu rücken, dass die von den Fehlberechnungen enttäuschten Anhänger eine halbwegs gute Erklärung und eine neue Sicht der Dinge bekamen. Aus der anfänglichen Endzeitbewegung wurde eine missionarische Bewegung mit dem zentralen Auftrag, die Einhaltung des Sabbats zu propagieren.6
Es war die Geburtsstunde der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten.
An diesem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass der eigentliche wunde Punkt im Umgang mit prophetischen Bibeltexten bzw. endzeitlichen Aussagen nicht die Bibelstellen sind oder die schmerzhafte Erfahrung, diese falsch gedeutet zu haben. Das passiert vielen Exegeten bis heute.
Der wesentliche Fehler liegt in der Tatsache, den eigenen Fehler nicht wahrhaben zu wollen und stattdessen weitere hinzuzufügen.
Die ehemaligen „Ernsten Bibelforscher“ (heute: Zeugen Jehovas) haben zwischen 1874 und 1975 mindestens neunmal das Weltende vorhergesagt.7
Neunmal waren sie sich aufgrund ihrer Bibelstudien und Visionen sicher, dass der jeweils neue Termin nun der definitiv letzte und richtige wäre. Neunmal haben sie sich geirrt. Heute haben sie ihre Endzeitlehre dahingehend angepasst, dass Jesus inzwischen tatsächlich wiedergekommen sei, aber leider nur für die wahrhaft Gläubigen erkennbar. Anders gesagt: Wer Jesus noch nicht gesehen hat, der glaubt nicht richtig. Das typische Muster: Schuld ist immer der arme Ruderer.
Als Resümee dieses kleinen Ausflugs können wir also festhalten: Wer sich mit Endzeitfragen beschäftigt, sollte immer ein großes Maß an Bescheidenheit und Korrekturbereitschaft mitbringen, sonst kann daraus ein großer Schaden entstehen.
„Bloßes Wissen macht überheblich“ (1Kor 8,1), schreibt Paulus an die Korinther. Man kann auch sagen: Es schafft eine unrealistische, aber angenehme Größe, Wichtigkeit und Bedeutung, die keiner gerne aufgibt. Genau das können wir bei ganz vielen Menschen beobachten, wenn sie sich mit Eschatologie beschäftigen. Neue, spannende Einsichten in die sogenannten letzten Zeiten zu bekommen, die andere (noch) nicht haben, verleitet dazu, sich selbst und seine Visionen oder Erkenntnisse zu wichtig und absolut zu setzen. Im Umgang mit Gottes Wort und erst recht mit Endzeitfragen ist das eine gefährliche Überschätzung. Wenn schon der gerechte und gottesfürchtige Hiob am Ende seiner Tage feststellen musste, dass er die meiste Zeit seines Lebens Gott falsch oder nur ansatzweise verstanden hatte (Hiob 42,5) und deshalb der Korrektur bedurfte – ebenso wie Abraham, David, Petrus, die Emmausjünger und viele andere –, wie sehr sollten wir genau das nicht auch uns selbst zugestehen?!
Wie schwierig und herausfordernd ein ausgewogener Umgang mit den prophetischen Schriften war und ist, zeigt sich auch daran, dass manche Gelehrte auf der anderen Seite vom Pferd herunterfielen und das Lesen und Auslegen der Offenbarung untersagten bzw. sie als unrealistische Schrift zweiter Klasse deklarierten. Offensichtlich wussten sie keine andere Möglichkeit, um die chiliastischen Bewegungen ihrer Zeit zu unterbinden. Origenes, der wohl einflussreichste Theologe der alten Kirche, sah z. B. aufgrund der vielen endzeitlichen Bewegungen offenbar nur den einen Ausweg darin, dass er alle endzeitlichen Texte der Bibel als Eschatologie der Seele beschrieb. Demnach sind alle Ereignisse, die die Bibel für das Weltende und darüber hinaus beschreibt, als ein Gleichnis dessen aufzufassen, was in der Seele eines Menschen geschieht, der sich (zu) stark mit diesen Texten beschäftigt. So ähnlich umschreibt es später auch der Kirchenvater Augustin in seinem berühmten Werk „Der Gottessstaat“.
Diese ablehnende Interpretation der Endzeittexte hatte sich in der alten Kirche so schnell und umfassend durchgesetzt, dass das Konzil von Ephesus (431 n. Chr.) alle Millenniumsvorstellungen zum Aberglauben abstempelte.8
Der größte Teil der sog. Ostkirche (Sammelbegriff aller orthodoxen Kirchen) hat die Offenbarung für einige Jahrhunderte lang fast gänzlich ignoriert und damit ihre ablehnende Haltung sehr deutlich gemacht. Martin Luther äußerte sich in seinem Septembertestament von 1522 ganz ähnlich ablehnend zum letzten Buch der Bibel, indem er schreibt, „daß Christus darinnen weder gelehrt noch erkannt wird“. Ebenso sahen auch andere Reformatoren wie Huldrych Zwingli und Johannes Calvin die Apokalypse als nebensächliche Schrift an, die keiner Beachtung wert wäre.
Das alles waren aber meist nur Meinungen und Empfehlungen einzelner bekannter Persönlichkeiten, die die dadurch verursachten Wellen und Bewegungen im Volk bremsen wollten. Der Glaube und die Frömmigkeit vieler bibellesender Menschen wurden dadurch aber nicht nachhaltig erreicht und beeinflusst. Im Gegenteil: Für viele Gläubige war und ist die Vorstellung eines Jüngsten Gerichts, in dem Gerechtigkeit geübt wird, und einer herrlichen, schmerzfreien Ewigkeit an der Seite ihres Herrn Trost und Hoffnung zugleich. Echter biblischer Glaube hat immer das herrliche Jenseits im Handgepäck, wie das Johannesevangelium an zahlreichen Stellen belegt. Deshalb waren die eschatologischen Texte der Bibel aus dem Alltag der Gläubigen nicht mehr wegzudenken und gehören bis heute zu den meistgelesenen Seiten der Bibel überhaupt.
Im Laufe der Kirchengeschichte haben zahlreiche fromme Menschen sehr viel Trost in den endzeitlichen Perikopen gefunden, gerade weil sie darin ihrem Herrn auf ganz besondere Weise begegnen. „Es berührt mich jedes Mal neu, wenn ich diese Abschnitte lese, weil ich den Eindruck habe, dass Gott mich darin ein Stück in seinen Himmel hebt.“ So bekannte es mir eine leider schon verstorbene Christin.
Extreme Positionen zu den prophetischen Texten der Bibel geben selten den inneren Wert und Gehalt wieder, den das Wort Gottes vermitteln will.
Weder in einer überzogenen, selbst erzeugten Naherwartung noch einer gänzlichen Ablehnung dieser Themen finden wir Antworten auf unsere Fragen und Wegweisung für die Zukunft. Die biblische Absicht im Umgang mit prophetischen Texten ist eine andere.
Petrus fordert seine Leser in seinem ersten Brief dazu auf, jederzeit in der Lage zu sein, über ihre Hoffnung Rechenschaft geben zu können (1Petr 3,15). Frage: Warum ausgerechnet über die Hoffnung und nicht über irgendwelche anderen geistlich wichtigen Dinge? Antwort: Weil die Hoffnung die alles entscheidende Gabe ist, die uns in aller Bedrängnis durchhalten und glauben lässt bis zum Schluss. Das griechische Wort für Hoffnung (elpis) bedeutet auch „Erwarten“. Somit ist klar, weshalb Petrus das hier nennt: Hoffnung und Endzeit sind die beiden Seiten ein und derselben Münze, die uns an den wiederkommenden Herrn erinnern soll. Das ist die Absicht der Endzeitpassagen in der Bibel.
„Später, als Jesus auf dem Ölberg saß und mit seinen Jüngern allein war, wandten sie sich an ihn und baten: ‚Sag uns doch: Wann wird das geschehen, und welches Zeichen wird deine Wiederkunft und das Ende der Welt ankündigen?‘