Inhaltsverzeichnis
Kathrin Tsainis im Gespräch
Über die Autorin
Widmung
1 Komm, lass uns ein Rudel werden
2 Auf der Suche nach Doggy Right
3 Hallo Süßling
4 Morpheus, Philos, Enno?
Copyright
Kathrin Tsainis im Gespräch
In Ihrem Buch schreiben Sie über Ihr Singleleben mit Hund. Hat Enno Ihnen Glück gebracht?
Ich glaube ja nicht an Glück als Dauerzustand, aber Glücksmomente beschert er mir jede Menge: Seit ich ihn kenne, hat er mich an jedem einzelnen gemeinsamen Tag mindestens einmal zum Lachen und mein Herz schier zum Überlaufen gebracht. Ich finde, das ist eine stramme Leistung. Und wenn er mich nicht gerade auf die Palme bringt, wirkt er außerdem sehr beruhigend.
Sie teilen sich das Sorgerecht für Enno mit Ihrem Exmann. Ist das nicht kompliziert?
Sich als Paar zu trennen, aber weiterhin gemeinsam für den Anhang Verantwortung tragen zu wollen, ist in der Tat anspruchsvoll. Statt »Auf Nimmerwiedersehen!« zu sagen, muss man eine für alle Beteiligten erträgliche Form des Umgangs finden und sich immer wieder austauschen. Das hat Kraft gekostet, und natürlich brauchte auch Enno Zeit, um mit der neuen Situation klarzukommen, aber inzwischen läuft es erfreulich reibungslos, und ich denke, dass es der richtige Weg war und ist.
Darf Enno im Bett bleiben, wenn Mr Right kommt?
Das Thema haben wir beide längst unter uns geklärt: Enno schläft wieder im Körbchen. Die Umsetzung des Beschlusses war allerdings extrem nervenaufreibend, weil Enno bei der Durchsetzung seiner Ziele sehr ausdauernd und schamlos sein kann. Als echter Beagle versucht er zwar alle paar Wochen, mich doch wieder weichzukochen, aber ich bleibe standhaft - ich genieße es zu sehr, nicht mehr an seinen Hintern zu stoßen, wenn ich mich umdrehe.
Über die Autorin
Kathrin Tsainis, geboren 1967 in Nürnberg, studierte Psychologie und besuchte die Hamburger Journalistenschule. Sie arbeitete u. a. für BRIGITTE und Max, war Chefredakteurin von BRIGITTE Young Miss und ist seit 2006 Autorin bei BRIGITTE. Kathrin Tsainis hat die Romane 30 Kilo in drei Tagen und Tagediebe sowie die Margarete-Mitscherlich-Biografie Eine unbeugsame Frau veröffentlicht. Alle drei Bücher standen auf der Bestsellerliste. Sie lebt mit ihrem Hund Enno in Hamburg.
Für: na, wen wohl …
»Wer einen Hund zum Freund hat,kann viel von ihm lernen.«
(Ulrich Klever, Knaurs Grosses Hundebuch)
1 Komm, lass uns ein Rudel werden
Mein Leben änderte sich in Langeri, und ich bemerkte es nicht. Weil sich Veränderungen gerne anschleichen. Aus dem Hinterhalt, unauffällig wie Elitekämpfer, dann, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnet. Sähe man sie kommen, könnte man sich vorbereiten oder schnell weglaufen. Wenn man es will. Denn manchmal ist man offen für etwas Neues - weiß es nur noch nicht. So muss es wohl bei mir gewesen sein. Wie sehr sich mein Leben ändern, auf welche Wege es mich führen würde, davon hatte ich nicht die leiseste Ahnung.
Langeri ist ein Strand auf Paros, zehn Minuten Mofa-Fahrt von dem kleinen Ort entfernt, in dem wir oberhalb der Bucht ein Appartement gemietet hatten. Wie jeden Tag lagen wir in der Sonne, schwammen im kristallenen Wasser, und gegen Mittag aßen wir Pfirsiche und das Baklava, das wir am Morgen in dem Café neben dem Anleger gekauft hatten.
Michalis, der Besitzer und nach eigener Auskunft bester Baklava-Bäcker der Kykladen, trug mindestens so viel Gold im Mund wie um den Hals und sprach mit der Geschwindigkeit eines Schnellfeuergewehrs halb Griechisch, halb Schwäbisch. Mehr als dreißig Jahre lang hatte er in Stuttgart-Untertürkheim gearbeitet. »Bei Daimler, beste Zeit in mei Läbe«, sagte er, und sein Blick schweifte in die Ferne.
Felix konnte das nicht so richtig nachvollziehen, weil es auf Paros doch viel schöner ist als in Stuttgart-Untertürkheim. Aber Michalis wollte davon nichts hören. Sein Herz war an Maultaschen, Kehrwoche und deutscher Gründlichkeit hängen geblieben, und so wie er sich mehr als dreißig Jahre lang nach Paros gesehnt hatte, so sehnte er sich jetzt nach Stuttgart-Untertürkheim. Mich erinnerte Michalis sehr an meinen Vater.
Michalis’ Baklava schmeckte fantastisch - honigsüß und schwer. Felix und ich knobelten um das letzte Stück. Ich gewann, ich bin eine große Knoblerin. Wir blinzelten hinauf in den babyblauen Himmel oder hinaus aufs glitzernde Meer, unterhielten uns über dieses und jenes und eigentlich nichts Besonderes. Für besondere Gespräche fanden wir es viel zu heiß. Es war ein ganz normaler Urlaubstag für ein ganz normales Paar Ende dreißig, das schon ein paar gemeinsame Jahre hinter sich und vor einer Standesbeamtin den Willen zu einer gemeinsamen Zukunft beurkundet hatte. Die perfekte Beute für sich aus dem Hinterhalt anschleichende Veränderungen.
Felix und ich sahen das andere Paar im selben Moment aus dem Wäldchen stapfen. Beide etwas jünger und schon sehr viel brauner als wir, er hätte gut und gern Marcus Schenkenberg doubeln können, sie war auch nicht übel: zart wie eine Primaballerina, raspelkurzes blondes Haar, endlos lange Beine. Er trug eine Louis-Vuitton-Tasche, einen Sonnenschirm und einen Klappstuhl, sie einen Welpen - schneeweiß, wuschelig und unglaublich niedlich.
Die drei ließen sich ein paar Meter neben uns nieder. Der Sonnenschirm wurde in den Sand gerammt, der Klappstuhl aufgestellt und danach das Hundchen ausgiebig bespielt: mit Bällchen und Stöckchen, beim Schwimmen auf Frauchens Arm und Wettrennen mit Herrchen. Das Marcus-Schenkenberg-Double ließ den Welpen gewinnen, die Primaballerina machte Fotos. Wir waren hypnotisiert.
»So ein Hund ist schon was Feines«, sagte Felix, der bis zu diesem Nachmittag auf Paros kein Interesse für Haustiere im Allgemeinen oder Hunde im Speziellen hatte erkennen lassen.
»Früher, zu Hause, da hatten wir auch mal einen«, sagte ich. »Finni - die war sehr süß.«
Ich liebe Hunde. Obwohl ich schon zweimal gebissen wurde: Von dem unberechenbaren Dobermann des Kohlenhändlers meines Heimatdorfs, und einige Jahre später dann, auf Klassenfahrt, schlug ein Spitz seine Zähne in meine Hand. Dabei hatte ich ihn nur streicheln wollen. Ich erzählte Felix von Finni, unserem Hund, vom Dobermann und dem Spitz und zeigte ihm meine Narben. Dann schwiegen wir wieder und sahen Herrchen, Frauchen und dem Welpen weiter beim Spielen zu.
»Warum haben wir eigentlich keinen Hund?«
Ich führte eine Reihe von sehr guten, sehr vernünftigen Gründen an: Felix’ Job als Manager in einem großen Biotech-Unternehmen, meinen Job als Chefredakteurin und unseren Wunsch, in der wenigen Freizeit, die wir hatten, so spontan und unabhängig wie nur irgend möglich zu bleiben, Felix, der beruflich viel unterwegs war, unsere Bereitschaft, dorthin zu gehen, wo eine noch interessantere Position auf einen von uns wartete. Es war erst ein paar Jahre her, da wären wir beinahe in New York gelandet.
»Weißt du, ich hätte wirklich gern einen Hund«, sagte ich, dass so ein Tier aber viel Aufmerksamkeit verlange, man im ersten halben Jahr rund um die Uhr damit beschäftigt sei, den Welpen zu erziehen und ein Rudel zu werden. Dass es danach auch nicht viel einfacher wird, weil man einen Hund schließlich nicht wie ein paar Schuhe in die Ecke stellen kann, wenn einem danach ist. Ein Hund werde zwölf, dreizehn, manchmal sogar fünfzehn Jahre alt, sagte ich, ein Hund sei eine Lebensentscheidung. Mit einer Katze, ja, mit einer Katze wäre es viel leichter. Weil eine Katze auch mal den ganzen Tag allein bleiben kann. Eine Katze muss kein Gassi gehen, da reicht ein Katzenklo, und eine Katze braucht keine Befehle zu beherrschen.
»Ich hätte aber lieber einen Hund.«
»Und ich glaube nicht, dass ein Hund in unser Leben passen würde. Vielleicht später, aber nicht jetzt. Ein Hund ist fast wie ein Kind, und wir wollten doch nie ein Kind.« Ich zerpflückte die klebrige Baklava-Schachtel zwischen meinen Füßen.
»Stimmt«, sagte Felix.
Wir blieben noch ein paar Tage auf Paros. Den Welpen sahen wir nicht wieder, und doch wurden wir ihn nicht mehr los: Ich dachte an ihn, an das, was Felix gesagt hatte, an die sehr guten, sehr vernünftigen Gründe, und Felix träumte eines Nachts von dem kleinen Hund, wie er mir am nächsten Morgen erzählte.
Wir verabschiedeten uns von unserem Appartement, von Langeri und Michalis, der uns einen Karton voller Süßigkeiten schenkte und uns auftrug, die alte Heimat zu grüßen. Wir fuhren zurück nach Hause, arbeiteten, machten an den Wochenenden Kurztrips. Wie früher. Fast. Denn immer wieder sprachen wir darüber, wie schön es doch wäre, eines Tag auch einen Hund zu haben. Irgendwann, wenn wir ruhiger geworden wären und die sehr guten, sehr vernünftigen Gründe hinter uns gelassen hätten, die ich anzuführen nicht müde wurde, weil es in jeder Beziehung einen geben muss, der aus Tatsachen gedrehte Taue an die Träume hängt.
Doch manchmal sind Wünsche stärker als Fakten, und Felix kann ungeheuer nachhaltig sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Begegneten wir einem Hund, sagte er »Schau mal, wie süß« oder »Spazieren gehen würde mit einem Hund noch viel mehr Spaß machen«. Eines Tages lag ein neuer Bildband auf dem Couchtisch - mit sehr vielen, sehr hübschen Welpenfotos. »War ganz billig«, sagte Felix, »lag auf dem Grabbeltisch.«
Und dann, ein halbes Jahr nach der Begegnung mit dem weißen Hündchen auf Paros, erzählte Felix, dass er sich mit einem Kollegen selbstständig machen wolle: »Super Sache, eine tolle Chance, das war schon immer mein Traum.« Er erklärte mir seinen Plan: kündigen, die Unmengen an Resturlaub nehmen, sich endlich einmal eine Pause gönnen, durchatmen, die Firmengründung vorbereiten und schließlich sein eigener Chef sein. Ein Chef mit Hund. »So eine Gelegenheit bekommen wir nicht wieder. Und wenn es bei mir richtig losgeht, ist der Welpe aus dem Gröbsten raus. Ich nehme ihn mit ins Büro, oder er geht zu dir in die Redaktion. Deine Mädels werden sich um ihn prügeln, und wir suchen noch einen Sitter für ihn, der einspringt, wenn alle Stricke reißen.« Pause, flehender Blick.
Ich seufzte. War geschwächt: vom Welpen, von Felix’ Salamitaktik und meiner Sehnsucht nach einem Hund. Der Plan war gut. Verführerisch. So verführerisch, dass daneben all die sehr guten, sehr vernünftigen Gründe und selbst meine Einwände gegen selbstständiges Unternehmertum lächerlich kleinkariert und feige wirkten.
»Und du meinst wirklich, dass wir das hinbekommen?«
Eine überflüssige Frage, gab es doch keinerlei Zweifel an Felix’ Antwort. Taktisch gesehen allerdings war sie unschätzbar wertvoll: Indem ich es Felix überließ, zu sagen, was ich hören wollte, hielt ich mir die Möglichkeit offen, die Verantwortung für ein etwaiges Scheitern des Plans später einmal bequem auf ihn abzuschieben. Auch die besten Ehefrauen brauchen die Illusion eines Hintertürchens, durch das sie, sollte es irgendwann ganz dick kommen, verschwinden können, um sich die Hände in Unschuld zu waschen. Vor allem, wenn sie endlich so weit sind, die aus sehr guten, sehr vernünftigen Gründen gedrehten Taue von den Träumen zu lösen.
Felix tat mir den Gefallen. Mit einem strahlenden »Logisch! Wenn man etwas wirklich möchte, schafft man es auch. Komm schon, lass uns ein Rudel werden!«
So fing es an.
2 Auf der Suche nach Doggy Right
Vielleicht hätten wir uns doch für ein Kind entscheiden sollen. Wenn man ein Kind will, hat man dauernd Sex und flüstert romantische Dinge, während man durch die Laken pflügt: »Komm, wir machen ein Baby« oder »Heute ist die Nacht, um Helden zu zeugen.« Man ist aufgeregt, voller Vorfreude und zwinkert einander zu, wenn man eine Party oder das Restaurant verlässt - zwei Verschwörer in geheimer Mission.
Hat es endlich geklappt, tanzt man glücklich durch die Wohnung, Frau muss ab sofort keine schweren Taschen mehr tragen und wird mit Pralinen und liebevoll drapierten Obsthäppchen verwöhnt. Mag sein, dass sie die ersten paar Monate mit Morgenübelkeit und anderen Schwangerschaftsmalaisen kämpft, dafür bekommt sie den besten Busen ihres Lebens und hat womöglich noch mehr Sex als in der Projektphase.
Zumindest möchte ich mir das so vorstellen - Fantasien sind die letzten Refugien, zu denen die Realität keinen Zutritt hat. Aber wir wollen kein Kind, sondern einen Hund. Wir haben keine Zeit für Lakenspielchen. Wir haben wichtige Fragen zu klären, denn anders als zukünftige Eltern kann sich ein Rudel in spe nicht zurücklehnen, der Natur ihren Lauf lassen und entspannt darauf warten, was sich das Schicksal ausdenken wird. Ein Rudel in spe trägt die Last der Entscheidungsfreiheit auf seinen Schultern: Rüde oder Hündin, vom Züchter oder aus dem Tierheim, Rassehund oder Mischling, und wenn Rasse, dann welche?
Dass es ein Rüde werden soll, darüber sind wir uns sofort einig: Felix meint, dass er eine Amazone im Haus herausfordernd genug finde, was ich ihm nicht übel nehme, und ich will kein Tier, das zeitweise Höschen tragen muss. Danach beginnt es, kompliziert zu werden. Ich plädiere für einen Hund aus dem Heim. Warum einen kaufen, wenn es so viele gibt, die keiner mehr haben will? Damit täten wir ein gutes Werk. Wir wären wie Angelina Jolie und Brad Pitt, Hunde-Brangelina, wir müssten dafür nicht einmal verreisen.
»Und im Tierheim gibt es auch Rassehunde«, sage ich.
Das mit den Rassehunden ist der Köder, den ich für Felix ausgelegt habe, denn Felix will absolut keinen Mischling. Da ist er eigen.
So ein Mix sei doch nichts, erklärte er mir. So verwässert sei das, nichts Halbes und nichts Ganzes, fast wie Eintopf. Felix hasst Eintopf.
Ich fand das elitär, zumal für jemanden, der mit einer Halbgriechin verheiratet ist, und nannte seine Haltung »lächerlich versnobt«, was Felix nun wiederum gar nicht hören wollte und mir Unsachlichkeit vorwarf.
Der Brangelina-Tierheim-Idee kann er genauso wenig abgewinnen. Stattdessen liest er mir, Sachlichkeit in Person, eine Passage aus einem unserer neuen Fachbücher vor, die wir stapelweise in die Wohnung geschleppt haben, um uns für das neue Leben zu dritt vor möglichst vielen Anfängerfehlern zu schützen. Dass man für einen Hund mit Vorgeschichte sehr viel Erfahrung und Zeit mitbringen sollte, heißt es da, und dass eine solche Entscheidung wohlüberlegt sein muss, weil man nie so genau wissen kann, was er schon alles erlebt hat.
»Siehst du«, Felix tippt auf die Worte »verhaltensauffällig«, »neurotisiert« und »Problemhund«, und seine Stimme bekommt etwas Pastorenhaftes, als er »das willst du nicht« sagt.
Das war’s mit meiner Bereitschaft zum guten Werk. Ich könnte natürlich ins Feld führen, dass es im Tierheim auch Welpen gibt, Rassehundwelpen sogar, und diese, weil sie nun einmal Welpen sind, noch nicht allzu viel Gelegenheit zur Entwicklung von Neurosen hatten. Doch ich schweige. Ich weiß, wann ich mich geschlagen geben muss. Weil ich Felix gut genug kenne und wir jetzt, an dieser Stelle des Entscheidungsprozesses, noch ungefähr vierhundert Rassen vor uns haben - oder ungefähr vierhundert Gelegenheiten, uns zu streiten.
Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen, denn bereits in diesem frühen Stadium unserer Diskussionen ist eine harte, saure Frucht vom Baum der Erkenntnis direkt auf meinen Kopf geplumpst: Offensichtlich kann auch ein Hund, selbst einer, den man noch gar nicht hat, genau wie ein Kind das verstärken, was in einer Beziehung vorhanden ist. In unserem Fall sind das ziemlich unterschiedliche Vorstellungen über ziemliche viele Dinge.
Fell zum Beispiel. Oder Sportlichkeit. Größe. Was süß oder nicht süß ist. Wuschelige Hunde, Bearded Collies oder Bobtails, finde ich ganz besonders süß - im Gegensatz zu Felix.
»Vergiss es! Die sehen doch nichts, und so ein Langhaariger trägt nur Dreck in die Wohnung, außerdem stinkt er, wenn er nass wird. Und wie ich uns kenne, vergessen wir, ihn zu bürsten, dann verfilzt die Matte, und er stinkt noch mehr.«
Ich streike beim Neufundländer: »Über sechzig Kilo schwer?? Willst du den in den vierten Stock tragen? Du weißt doch, dass Hunde keine Treppen steigen sollen …«
»Ist aber ein toller Schwimmer.«
Schwimmen ist Felix’ neuestes Hobby.
Den Englischen Bulldog, der mir schon immer gut gefallen hat, findet er zu fett (»Das kann nicht gesund sein. Ich will einen Hund, mit dem ich joggen gehen kann«) und zu hässlich (»Als hätten Lino Ventura und Trude Herr einen Welpen gezeugt«).
Labrador?
»Hat doch jeder!« (Ich)
Westie?
»Oma-Hund!« (Felix)
Dogge?
»Langsam fängst du an zu nerven!« (Ich).
Schließlich können wir uns auf Pyrenäen-Schäferhund und Border Collie verständigen: mittellanges Fell, mittelgroß, sportlich-lauffreudig, aber auch verschmust und süß. Dass sowohl der Pyrenäen-Schäferhund als auch der Border Collie extrem viel Auslauf brauchen, Arbeitshunde sind, die ohne Beschäftigung wie etwa Vieh hüten todunglücklich werden und am liebsten in großen Häusern mit Garten wohnen, teilen uns die Züchter, die wir anrufen, in ebenso schonungsloser wie professioneller Offenheit mit.
Da wir für die nähere Zukunft weder Haus noch Vieh planen und keinen traurigen Hund wollen, suchen und verwerfen wir wieder von vorn, streiten uns zwischendurch ein bisschen, versöhnen uns wieder, fahnden weiter, verlieren fast Lust und Glauben - und stoßen auf das Foto eines Beagles.
Ein Beagle: Warum sind wir nicht früher darauf gekommen? Hübsch sieht er aus, so nett und freundlich, ein bisschen frech und sehr stolz. Verspielt ist er, lesen wir, ausdauernd, gutmütig und anschmiegsam, gleichzeitig sehr unabhängig und eigenwillig, lebhaft, aber kein Kläffer, und ziemlich stur. Das schreckt uns nicht: Sturer als Felix oder ich kann kein Hund sein.
Und plötzlich melden sich unsere Bäuche, die oft so viel schlauer sind als unsere Köpfe. Vielleicht ist es nur die Erschöpfung, die uns genauer hinhören lässt, der Wunsch, endlich ans Ziel zu kommen, doch unsere Bäuche rufen lauthals: »Das ist er!« Ohne Wenn, Aber und Kompromisse.
Wir finden einen Züchter, der gerade einen neuen Wurf hat - und uns nicht vom Beagle abrät. Schauen uns im Netz die Bilder der Welpen an und verlieben uns Hals über Kopf in einen kleinen Rüden mit strammen Beinchen und riesigen Schlappohren, der aussieht, als habe man einen Latte macchiato über ihm ausgegossen: helles Braun und dazwischen ein paar weiße Flecken.
»Ein Bi-Color«, sagt Felix, »die gibt’s nicht so oft. Die meisten haben noch Schwarz dabei.«
»Goldig«, sage ich.
In dieser Nacht gehen wir zum ersten Mal seit langer Zeit ohne Hundebücher ins Bett.
»Das war eine verdammt schwere Geburt«, flüstert Felix.
»Aber jetzt haben wir Doggy Right gefunden«, flüstere ich zurück. »In zwei Monaten sind wir zu dritt. Ich glaube, wir bekommen den tollsten Hund der Welt.«
3 Hallo Süßling
»Wir kriegen Nachwuchs«, sagen wir; »Bald sind wir zu dritt« oder »Enkel unterwegs« - ein kleiner Gag für Familie und Freunde. Wir feixen, kosten den kurzen Moment der Stille aus, und bevor Taschentücher gezückt oder Champagnerflaschen geköpft werden, enthüllen wir die ganze Wahrheit. Unsere Auftritte sind bühnenreif, der Effekt ist selten der gewünschte: Dass es sich bei dem Nachwuchs um vierbeinigen handeln wird, stößt nicht überall auf Verständnis.
»Ein Hund? Ihr? Seit wann wollt ihr denn einen Hund? Und wie wollt ihr Workaholics das bitte hinbekommen?«, fragt mein großer Bruder.
Ich setze ihm unseren Plan auseinander. Sage, dass wir an einem Punkt in unserem Leben angelangt seien, an dem wir begriffen haben, dass es mehr gibt als Arbeit und Karriere, an dem wir Neues wagen wollen.
Er scheint nicht restlos überzeugt.
Sanne, eine meiner engsten Freundinnen, nennt uns »die ewig Abtrünnigen«, meint dann aber, der kleine Beagle sei wirklich besonders hübsch, als wir ihr und ihrem Mann Sven beim Abendessen das Foto zeigen, das ich aus dem Internet heruntergeladen habe. Sanne bietet sich sogar an, als Sitter einzuspringen. Sie gehört zu jenen unverwüstlichen Multi-Taskerinnen, auf deren Schultern immer noch ein Freundschaftsdienst passt. Dabei sind Sanne und Sven mit zwei Töchtern und einer gut gehenden Catering-Firma schon mehr als ausgelastet.
Meine Mutter dagegen ist schwer enttäuscht. Sie gibt es zwar nicht zu, doch sie kann nicht verstehen, warum Felix und ich keine Familie gründen wollen. »Und dabei hätte ich so gern ein paar Babyjäckchen gestrickt«, murmelt sie in den Telefonhörer, was im Vergleich zum ersten spontanen Freudenschrei auf das »Enkel«-Stichwort so matt klingt, dass ich mich für meine unsensible Finte schäme. Geht es um Enkel, verstehen die meisten Mütter wenig Spaß.
Ich schlage ihr vor, etwas zu nähen, einen Kissenüberzug oder ein Deckchen. Das würde unser Budget entlasten.
So richtig mag sie sich für diese Idee aber nicht begeistern, und Felix und mir bleibt nichts anderes übrig, als uns im Tierfachhandel auszustatten. Was so ein Hund alles braucht! Fress- und Trinknäpfe, große für zu Hause, kleine für unterwegs, am besten solche, die an der Unterseite einen Gummirand haben, damit sie nicht auf dem Boden herumrutschen. Futter- und Leckerchenbeutel, ein Bettchen, Kissen, Plaids, eine Transportkiste, Bürste, Welpenshampoo und Pfötchensalbe, Knochen aus Büffelhaut, mit dem unser Kleiner seine Kaumuskulatur trainieren und gleichzeitig seine Zähnchen reinigen kann. Halsband und Leine natürlich. Aber welche bloß? Eine zum Abrollen? Die ist länger. Praktisch für einen jungen Hund, der noch nicht allein herumlaufen kann: Er hat einen größeren Bewegungsradius und ist trotzdem unter Kontrolle. Oder doch lieber eine aus weichem Leder mit Karabinerhaken? Die finde ich hübscher. Am Ende nehmen wir beide - falls wir eine verlieren.
Außerdem Spielzeug. Wir kaufen tonnenweise Spielzeug. Unser Hund soll es gut bei uns haben. Wir packen kleine Bälle, unterarmdicke Seile, ein Plüschschweinchen und ein gerupftes Quietsch-Huhn aus Gummi ein. Dazu ein schweres Holzbrett mit Fächern, in denen man Futter versteckt, das der Hund dann finden und herausholen soll. Das fördere seine Intelligenz, steht auf der Verpackung. Als Felix den Preis sieht, hüstelt er, sammelt sich wieder und meint, wer einen klugen Hund wolle, müsse eben investieren.
An einem Samstagmorgen ist es so weit: Wir fahren los Richtung Norden, um den Welpen abzuholen. Wir sind gespannt und ziemlich aufgeregt, das Foto aus dem Internet steckt in meiner Brieftasche. Ich hätte es gar nicht gebraucht, ich erkenne ihn sofort. Er ist der Schönste von allen, mollig und tapsig, wie von einem Kinderbuch-Illustrator gezeichnet: dicke weiße X-Beinchen, die beigefarbenen Schlappohren hängen wie zwei Pfannkuchen an seinem runden Köpfchen, hellwache braune Kulleraugen, kurzer, weißer Nasenrücken und eine rosa Schmuseschnauze. Er sieht uns, kommt angeflitzt, rennt dabei zwei seiner Brüder um und beschnüffelt unsere Schuhe.
»Er ist der Banden-Chef«, sagt Felix mit Herrchen-Stolz in der Stimme, »der lässt sich nicht die Wurst vom Brot klauen.«
Der Züchter, ein stoppelbärtiger Hüne mit Jägerhütchen und Pranken wie Mistgabeln, hebt unseren Welpen hoch und legt ihn mir in den Arm - zwei Handvoll Hund, weich, zart, kaum schwerer als ein dickes Kaninchen.
»Hallo Süßling.« Ich stecke meine Nase in seinen warmen Nacken. Er riecht wie eine edle Salami oder eine Nusstorte, irgendwie würzig.
Felix macht Fotos und will ihn auch mal nehmen. Felix sieht sehr glücklich aus in diesem Moment.
»Kann sein, dass er sich beim Autofahren übergibt«, stört der Züchter die Idylle, »die Kleinen kotzen alle, aber das gibt sich meistens.«
Er führt uns herum, zeigt uns das alpenländisch angehauchte Holz-Gartenhaus, in dem die Hündchen seit ihrer Geburt wohnen, stellt uns die Mutter vor, eine schlanke, hochbeinige Beagle-Dame, die nach einem Stelldichein mit einem dänischen Champion die sieben Jungen zur Welt gebracht hat, die uns nun zwischen den Beinen herumwuseln, und schließlich sitzen wir im Büro, um die Formalitäten zu erledigen. Die Bücher und Aktenordner auf den unteren Regalborden sehen arg mitgenommen aus.
Der Züchter bemerkt meinen Blick. »Die Racker knabbern eben gern«, sagt er achselzuckend und zieht den Kaufvertrag, das Impfbuch und einen Futterplan aus der Schublade. »Wenn irgendwas sein sollte, sie mit ihm nicht klarkommen, ihn nicht mehr wollen oder sich scheiden lassen, nehmen wir ihn zurück. Neulich war eine Frau hier, der ist der Mann gestorben, und allein konnte sie den Beagle nicht halten.« Er zupft an seinem Jägerhütchen, bevor er weiterredet. »Den vollen Preis können wir Ihnen natürlich nicht zurückerstatten, aber dafür müssen Sie ihn nicht ins Tierheim geben.«
Der Mann hat ein Gemüt wie ein Akkord-Schlachter. Wie kann man in einem so besonderen Moment von Scheidung oder Tod sprechen? Auf die Idee kommen, dass wir uns damit beschäftigen wollen? Hier, jetzt? An diesem Tag glaube ich noch fest an eine wunderbare Zukunft zu dritt.
Zum Abschied gibt uns der Züchter eine alte, graue Sportsocke, »damit er noch einen vertrauten Geruch in der Nase hat«, und zum ersten Mal wird mir bewusst, was wir hier tun: Wir zählen Geld auf den Tisch des Hauses, als wollten wir uns eine neue Spülmaschine zulegen, rei ßen einen Welpen aus seiner Familie und verschleppen ihn vom Land in die Großstadt, wo er niemanden kennt und ihm nur noch eine alte, graue Sportsocke als Erinnerung an seine Mutter und die Geschwister bleibt.
In diesem Moment gebe ich unserem kleinen Hund im Stillen ein großes Versprechen: Dass wir uns immer um ihn kümmern werden, er ganz bestimmt bald kein Heimweh mehr haben und sehr glücklich bei uns sein wird.
Dann fahren wir zurück in ein neues Leben. Der Welpe schläft sofort auf meiner Brust ein, die alte, graue Socke neben seiner Schnauze. Er kotzt kein einziges Mal.
4 Morpheus, Philos, Enno?
»Bist du wach?«
»Hm …« Felix dreht sich zu mir.
»Schauen wir noch mal nach dem Baby?«
Wir stehen auf, vorsichtig und leise, schalten die Nachttischlampe an, über die wir ein Tuch gelegt haben, damit es für den Kleinen nicht zu hell ist. Er schläft neben unserem Bett, er soll sich nicht verlassen fühlen.
»Guck mal, wie seine Nase wackelt«, sagt Felix.
Wir lauschen seinem Atem, seinem Herzschlag, und als er die Augen öffnet und uns unverwandt ansieht, flüstere ich ihm »alles in Ordnung, Schatz« ins Ohr, »mummel dich wieder ein, träum was Schönes. Morgen früh gehen wir Gassi, dann zeigen wir dir dein neues Revier.«
Ich glaube, er fühlt sich wohl bei uns: Er mag sein Bettchen und das Schweinchen darin, vor dem Schlafengehen haben wir noch ein bisschen Ball gespielt, sind mit ihm auf allen vieren durch die Wohnung gekrabbelt, und ich habe die unteren Borde der Bücherregale leer geräumt.
Die Socke interessiert unseren Beagle schon am nächsten Morgen nicht mehr. Jetzt sind wir ein Rudel. Nur mit dem Namen des Hundchens gibt es ein Problem - obwohl wir uns darüber viele Gedanken gemacht haben. Mir war gar nicht klar, wie schwierig es ist, einen guten Namen zu finden.
»Finni« ist mir damals gleich eingefallen. Mein Bruder hatte den Dackel-Spaniel-Mischling, das Produkt einer leidenschaftlichen
BRIGITTE-Buch im Diana Verlag Originalausgabe 11/2008
Copyright © 2008 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH Redaktion: Ingrid Exo Herstellung: Gabriele Kutscha
eISBN : 978-3-641-03393-4
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