Entfesselte Göttin - Christine Feehan - E-Book

Entfesselte Göttin E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Als die atemberaubend schöne Siena Arnotto im Auftrag ihres Großvaters ein Päckchen bei dem Gestaltwandler Elijah Lospostos abliefern soll, ahnt sie noch nicht, dass sich ihr Leben von nun an für immer verändern wird. Ein Blick auf den attraktiven Elijah und Siena ist klar, dass der Mann ihres Lebens vor ihr steht. Und dass auch in ihr das magische Erbe der Leopardenmenschen ruht. Doch noch bevor Siena und Elijah ihr Liebesglück genießen können, entdeckt Siena ein dunkles Geheimnis in ihrer Familiengeschichte. Ein Geheimnis, dass auch die Liebe zu Elijah für immer zerstören könnte ...

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Seitenzahl: 664

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DASBUCH

Als die atemberaubend schöne, aber schüchterne Siena Arnotto im Auftrag ihres Großvaters eine Kiste Wein bei dem Gestaltwandler Elijah Lospostos abliefern soll, ahnt sie noch nicht, dass sich ihr Leben von diesem Augenblick an für immer verändern wird. Ein Blick auf den attraktiven Elijah und Siena ist klar, dass der Mann ihres Lebens vor ihr steht. Und dass auch in ihr das magische Erbe der Leopardenmenschen ruht. Ehe sie sichs versieht, stürzt sich Siena in eine leidenschaftliche Affäre mit Elijah – obwohl das eigentlich sonst so gar nicht ihre Art ist. Dann überschlagen sich die Ereignisse: Die beiden Liebenden werden angegriffen, und Sienas Großvater wird heimtückisch ermordet. Siena entdeckt, dass ihr geliebter Nonno nicht der Mensch war, für den sie ihn immer gehalten hat und dass ein dunkles Geheimnis auf ihrer Familie lastet. Elijah scheint der Einzige zu sein, der ihr jetzt noch helfen kann, doch darf Siena ihm wirklich vertrauen …

DIELEOPRADENMENSCHEN-SAGA:

Erster Band: Wilde Magie

Zweiter Band: Magisches Feuer

Dritter Band: Wildes Begehren

Vierter Band: Feuer der Wildnis

Fünfter Band: Dunkle Liebe

Sechster Band: Geliebte Jägerin

Siebter Band: Entfesselte Göttin

DIEAUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie noch heute mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als sechzig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Auch in Deutschland ist sie mit ihrer Schattengänger-Saga, der Leopardenmenschen-Saga und der Shadows-Reihe äußerst erfolgreich.

Mehr zu Autorin und Werk erfahren Sie unter:

www.christinefeehan.com

Christine Feehan

Entfesselte Göttin

ROMAN

Aus dem Amerikanischen übersetztvon Ruth Sander

Titel der amerikanischen Originalausgabe

WILD CAT

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 06/2018

Redaktion: Sabine Kranzow

Copyright © 2015 by Christine Feehan

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Printed in Germany

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Shutterstock/Gabriel Georgescu

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-20684-0V002

www.heyne.de

Für Tarah, die Leoparden liebt!

1

Siena, bella, komm einmal kurz zu deinem alten nonno.«

Gehorsam ließ Siena ihre Autoschlüssel auf den Tisch im Flur fallen und ging ins Wohnzimmer, in dem ihr Großvater sich vorzugsweise aufhielt. Der Raum war sehr gemütlich und immer ein ganz klein wenig zu warm. Normalerweise machte ihr das nichts aus, doch aus irgendeinem Grund schien ihr Körper in letzter Zeit überhitzt zu sein. Sie fühlte sich oft unruhig und fiebrig. Sehr fiebrig. Ihre Haut fühlte sich zu eng an und spannte empfindlich. Ihre Kiefer taten weh. Ihre Brüste waren geschwollen und schmerzten, und zum ersten Mal im Leben spürte sie ein Brennen zwischen den Beinen. Es brannte wie verrückt. Schrecklich war das.

Diese Anfälle kamen und gingen nach Belieben, ohne erkennbaren Grund. Sie hatten vor einigen Wochen angefangen und wurden immer häufiger. Siena freute sich, dass sie nach Hause gekommen war, nachdem sie ihr Studium der Önologie abgeschlossen hatte, doch mit ihrem geliebten Großvater in diesem Zimmer zu sein, während ihr Körper in Flammen stand, war ausgesprochen unangenehm.

Sie musste aus dem Haus – so schnell wie möglich. In letzter Zeit waren die Anfälle so schlimm geworden, dass sie allen Ernstes daran dachte, in einen Erotikshop zu gehen und sich irgendein Spielzeug zu kaufen. Ein richtig gutes. Puh. Dabei hatte sie sich doch nie etwas aus Männern gemacht. Obwohl, das war nicht ganz richtig. Mit fünfzehn hatte sie sich in Elijah Lospostos verliebt. Er hatte ihr bei einem Essen gegenübergesessen, als sie in den Ferien vom Internat daheim war. Er war mindestens acht Jahre älter als sie. Vielleicht sogar zehn. Doch darauf kam es nicht an, denn schon auf den ersten Blick hatte sich tief in ihr etwas Wildes geregt. Sie konnte die Augen kaum von ihm lösen. Er war der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Im ganzen Leben. Und es gab jede Menge Männer, die bei ihrem Großvater arbeiteten.

Sie hatte sich große Mühe gegeben, Elijah nicht anzustarren, aber manchmal hatte sie gespürt, dass sein Blick auf ihr ruhte, und jedes Mal, wenn sie aufschaute, sah er sie gerade an. Das war keine Einbildung gewesen. Dann hatte er gelächelt. Aber sie nicht. Sie war rot geworden. Schrecklich. Er hatte versucht, sie in ein Gespräch zu verwickeln, und sie hatte nur gestammelt und war noch röter geworden. Furchtbar. Dabei war sie klug. Sehr klug sogar. Zu der Zeit belegte sie schon ein paar Kurse am College. Aber sie hatte es nicht geschafft, auch nur ein intelligentes Wort herauszubringen. Selbst im Nachhinein war sie noch peinlich berührt.

»Was gibt es, nonno?«, fragte sie. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und zerzauste ihm das Haar. Er hatte nach wie vor eine wilde Mähne. Schlohweiß, aber dicht wie ein Pelz, und seine dunkelbraunen Augen waren verblasst, aber immer noch scharf. »Ich wollte gerade ins Fitnessstudio fahren.« Weil sie unbedingt richtig hart trainieren musste. Bis sie so müde und erschöpft war, dass sie endlich Schlaf bekam. Sie sehnte sich geradezu verzweifelt danach.

»Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust, Bella, nur einen kleinen Gefallen für einen alten Mann, ja?«, sagte er schmeichelnd.

Als ob sie ihm jemals einen Wunsch abgeschlagen hätte. Sie war nur selten zu Hause. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie im Internat und dann im College verbracht, doch die Zwischenzeiten mit ihrem Großvater zu Hause waren ihr sehr wichtig. Er war ihr einziger lebender Verwandter. Es gab nur noch Antonio Arnotto und seine Enkelin. Nur sie beide.

»Und der wäre, nonno?« Sie versuchte, streng zu klingen. Doch als sie sah, wie die Lachfältchen um die Augen ihres Großvaters sich vertieften, wusste sie, dass er sie durchschaute. Sie setzte sich auf die Lehne seines Sessels und zerzauste seine silberne Mähne noch einmal.

»Ich möchte, dass du einem Freund eine Kiste von meinem besten Wein bringst. Er hatte letzte Woche Geburtstag, und ich habe vergessen, ihm ein Geschenk zu schicken. Wenn meine wunderschöne Enkelin es persönlich vorbeibringt, verzeiht er mir den Fehler sicher, no?«

Siena lachte. »Sieht so aus, als hättest du viele Freunde, deren Geburtstage und Jubiläen dir erst wieder einfallen, wenn ich nach Hause komme.«

Ihr Großvater zuckte die Schultern. »Ich werde nicht jünger, Siena, und du solltest anfangen, übers Heiraten und Kinderkriegen nachzudenken. Da fällt mir ein, dass Elijah auch noch nicht verheiratet ist, und er wird ebenfalls nicht jünger. Er sieht recht gut aus.« Ihr Großvater zwinkerte ihr zu.

Siena biss sich auf die Unterlippe, damit sie nicht rot wurde. Schon wenn sie Elijahs Namen hörte, fing ihr Herz an zu klopfen und ihr wurde flau im Magen. Er sah wirklich gut aus. Unglaublich gut. Und er war weit außerhalb ihrer Liga. Doch das wollte sie ihrem Großvater nicht sagen.

»Hör auf, mich zu verkuppeln. Du wirst deine Babys schon rechtzeitig kriegen, ich versprech’s.« Wenn ihr Körper weiter so lüstern war, vielleicht sogar eher, als ihm lieb war.

Sie hatte schon damit angefangen, sich die Leibwächter ihres Großvaters genauer anzuschauen. Auch seine Nummer eins, Paolo, den Mann, mit dem er sie gerne verheiraten wollte. Paolo beobachtete sie auf Schritt und Tritt. Das war schon immer so gewesen. Sein Blick brannte sich förmlich in sie hinein. Er sah gut aus und war immer sehr höflich zu ihr gewesen, aber sie wusste, dass er ein Frauenheld war. Er hatte viele Freundinnen, und es ging das Gerücht, dass er sie nicht sehr gut behandelte. Sie hatte gehört, wie einige Hausmädchen und die Köchin sich darüber unterhielten, dass seine Frauen nichts zu lachen hätten. Deshalb wollte sie sich nicht mit ihm einlassen, obwohl sie wusste, dass er mehr als bereit dazu war.

»Ich werde nicht jünger«, wiederholte ihr Großvater und tätschelte ihre Hand. »Sei ein gutes Mädchen und liefere den Wein für mich ab. Bestell Elijah schöne Grüße und sag ihm, er soll sich nicht so rarmachen und gelegentlich mal vorbeikommen, um einen alten Mann zu besuchen.«

»Mach ich, nonnino.« Dabei küsste Siena ihn auf den Scheitel.

Plötzlich stellten sich ihre Nackenhaare auf, und ihr Magen krampfte. Ohne den Kopf zu drehen, wusste sie, dass Paolo Riso ins Zimmer gekommen war. Er bestand nur aus Muskeln, bewegte sich aber sehr geschmeidig und elegant und, was für einen so großen Mann erstaunlich war, absolut lautlos. Er war sehr intelligent, und ihr Großvater verließ sich in vielen Dingen auf ihn. Früher war sie immer gut mit ihm ausgekommen, doch in den letzten Jahren hatte sie sich bei ihren Besuchen zu Hause in seiner Gegenwart sehr unbehaglich gefühlt.

Siena schaute sich um und zwang sich zu lächeln. Paolos stechende Augen waren auf sie gerichtet und musterten sie aufmerksam. Sie verbargen irgendetwas. Etwas, das sie betraf – und das war nicht gut. Er stand ihrem Großvater sehr nahe und wurde von ihm wie ein Sohn behandelt. Schon allein dafür sollte sie ihn mögen, doch stattdessen wurde ihr seine Nähe immer unangenehmer.

Jedoch nicht so unangenehm wie die der Nummer zwei ihres Großvaters. Wenn Alonzo Massi ihr zu nah kam, verspannte sie sich von oben bis unten, bis ihr Körper vor Abscheu zitterte. Der Mann war furchterregend groß und muskulös. Seine Augen folgten ihr wie die einer Schlange, und er schien ebenso kaltblütig zu sein. Siena wusste nicht genau, was er tatsächlich für ihren Großvater machte, aber sie war ziemlich sicher, dass es nichts mit dem Weingut zu tun hatte.

»Hey, Paolo.« Sie lächelte ihn an. So zu tun, als wäre ihr Lächeln echt, das beherrschte sie perfekt. »Wie geht’s?«

»Gut, bella.« Er steuerte direkt auf sie zu.

Siena zwang sich, ruhig weiterzuatmen, denn sie wusste, was kommen würde. Er wurde immer dreister, und noch dazu vor den Augen ihres strahlenden Großvaters, dem das ganz offensichtlich gefiel. Paolo ergriff ihre Hände, zog sie auf die Füße, riss sie an sich und beugte sich herab. Schnell wandte Siena das Gesicht ab, damit seine Lippen statt ihrem Mund ihre Wange trafen.

Dennoch wurde tief in ihr etwas Wildes geweckt, das hervorkommen wollte. Siena war so schockiert, dass sie zurückwich, obwohl Paolo ihre Hände nicht losließ. Wachsam schaute er auf sie herab, während seine Augenfarbe sich veränderte und im dunklen Braun immer mehr gelbe Flecken erschienen, bis sie fast wie Katzenaugen aussahen, die sie ohne einen Lidschlag anstarrten.

Siena wurde heiß. Das war nicht gut. Sie versuchte, ihm ihre Hände zu entziehen.

»Ich muss gehen. Nonno hat mich gebeten, etwas für ihn abzuliefern, und ins Fitnessstudio möchte ich auch noch.«

Paolo runzelte die Stirn. Ohne ihre Hände loszulassen, schaute er sich nach ihrem Großvater um. »Vielleicht sollte das jemand anders übernehmen, Antonio.«

Sein Ton klang irgendwie seltsam. Wie eine Warnung. Oder eher ein Befehl? Wie auch immer, er gefiel ihr nicht. Entschlossen riss Siena sich von ihm los, selbst auf die Gefahr hin, unhöflich zu wirken. Sie hatte immer geglaubt, da wäre nichts von dem berüchtigten Temperament der Arnottos in ihr, doch nun wurde sie eines Besseren belehrt. Aus ihrer Unruhe war heftiger Freiheitsdrang geworden. Sie richtete sich gerade auf und wünschte, sie trüge Stöckelschuhe – doch sie konnte auch ohne hochnäsig wirken –, dann betrachtete sie Paolo mit ihrem herablassendsten Blick.

»Ich habe nonno versprochen, ein Geschenk zu Signor Lospostos zu bringen, und das werde ich auch tun.« Sie warf den Kopf so heftig zurück, dass ihr das taillenlange, dichte Haar ums Gesicht flog. Dann drückte sie ihrem Großvater noch einen Kuss auf den Scheitel und verließ das Zimmer mit einem kleinen Winken. »Addio,nonnino. Addio, Paolo. Sei so gut und pass auf meinen nonno auf.«

Ohne einen Blick zurück rannte sie die Treppe hoch in ihr Zimmer. Wenn sie Elijah Lospostos, dem wohl heißesten Mann im Universum, schon Wein vorbeibringen sollte, dann würde sie sich auch etwas Mühe mit ihrem Aussehen geben. Schnell stopfte sie ihre Sportsachen in eine Tasche und zog sich um. Sie wollte nicht zu gestylt wirken. Wahrscheinlich nahm er nicht einmal Notiz von ihr, gut aussehen wollte sie trotzdem.

Siena wusste, dass sie hübsch war. Der Spiegel zeigte es ihr. Ihre Haut war perfekt. Makellos. Und südländisch getönt. Auch ihre Augen waren ungewöhnlich schön. Sehr groß und katzenförmig, sodass sie sehr exotisch wirkten. Außerdem waren sie grün. Nicht nur irgendwie grün, sondern tiefgrün und leuchtend mit langen, dichten kohlschwarzen Wimpern darum herum. Diese Augen waren ein Segen.

Doch ihr Haar war ein Fluch, obwohl selbst sie zugeben musste, dass es wunderschön war. Sie hatte nur zu viel davon. Es wuchs und wuchs und hörte nicht auf. Sie hatte versucht, es abzuschneiden, doch dann war es nur noch schneller und dichter nachgewachsen, also hatte sie es aufgegeben und sich einfach mit ihrer altmodischen Frisur abgefunden. Nun fiel es in dichten, üppigen Wellen fast bis zu ihrem Po herab. Es war unmöglich, es zu bändigen, deshalb fasste sie es, wenn sie zu Hause war, meist am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammen, oder sie verflocht es zu einem Zopf. In der Schule musste sie natürlich ein wenig gesetzter erscheinen, deshalb steckte sie die kompliziert geflochtenen Zöpfe zu allerlei hübschen Knoten auf.

Ihre Nase war gerade, ihre Wangenknochen hoch und ihr Mund ein wenig zu voll, aber sie hatte von Natur aus schöne, gerade Zähne. Allerdings war sie recht klein. Das konnte sie nicht leugnen. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie versucht, ein paar Zentimeter größer zu werden, indem sie sich kopfüber an eine Reckstange hängte, doch das hatte nicht geholfen. Sie hatte eine schlanke Taille und einen schmalen Oberkörper, aber so wie ihr Mund waren auch ihre Hüften und ihre Brüste eher üppig. Ganz egal, wie viel sie trainierte und wie sehr sie auf ihr Essen achtete, sie hatte eben Kurven. Sehr weibliche Kurven.

Siena seufzte. Sie hatte Elijah einmal mit einem großen, dünnen Model aus einem Coffeeshop kommen sehen. Eine Frau mit blonden Haaren und blauen Augen. Er hatte den Arm um sie gelegt, und sie hatten sich angelacht. Dann hatte sie ihn aus der Ferne bei einer Party ihres Großvaters gesehen, als sie sechzehn war, und bei einer anderen, da war sie neunzehn, und jedes Mal hatte er ein anderes Model im Arm gehabt. Groß. Dünn. Bildschön. Und blond. Ein paar Jahre später auf einem Foto in einer Illustrierten das Gleiche. Groß. Dünn. Bildschön. Und blond. Schonwieder. Offenbar mochte er einen bestimmten Typ, und der war ganz anders als sie. Sie war klein, dunkel und kurvenreich. Außerdem wirkte sie sogar noch jünger, als sie ohnehin war, und alles andere als elegant. Wenn sie ihm den Wein brachte, schaute er sie sicher so an wie immer, als wäre sie ein Kind. Antonio Arnottos kleine Enkelin. Trotzdem wollte sie so gut wie möglich aussehen.

Sie entschied sich für eine weiche, verblichene Jeans und eine hellgrüne Bluse mit Satinbändern. Die Bluse betonte ihren schmalen Oberkörper. Die Farbe passte gut zu ihrer Haut und brachte ihre Augen zur Geltung. Das einzige wirkliche Problem waren die Schuhe. Sie trug immer High Heels, doch beim Anblick der schicken grünen Designerschuhe, die sie am liebsten zu der Bluse trug, zögerte sie. Sie wollte nicht den Anschein erwecken, dass sie versuchte, Elijahs Aufmerksamkeit zu erregen. Aber sie brauchte Selbstvertrauen, und diese Schuhe gaben es ihr. Sie zuckte die Achseln und streifte die Riemchenschuhe über.

Dann betrachtete sie ihr wildes Haar und biss sich auf die Lippe. Wie in aller Welt sollte sie diese Mähne bändigen? In so kurzer Zeit war das nicht möglich. Hastig schob sie es aus dem Gesicht und band es zu einem langen Pferdeschwanz zusammen. Auf Schmuck verzichtete sie gänzlich.

Dann betrachtete sie sich im Spiegel und übte. »Ich bin auf dem Weg zum Fitnessstudio und schaue nur vorbei, um ein Geburtstagsgeschenk von nonno zu bringen. Tut mir leid, dass es zu spät kommt, aber ich habe erst seit dieser Woche Ferien, und nonno hat es gern, wenn ich es persönlich …« Siena stöhnte. So hörte sie sich an wie ein dummes Schulmädchen, obwohl sie schon vierundzwanzig war. »Verdammt«, murmelte sie und kehrte ihrem Spiegelbild den Rücken. Sie sah auch so aus wie ein dummes Schulmädchen. Sie bräuchte ein paar Zentimeter mehr und ein paar Kurven weniger, um dem Typ Frau nahezukommen, auf den Elijah Lospostos stand, also warum gab sie sich überhaupt solche Mühe?

Schnell schnappte sie sich ihre Sporttasche und lief die Treppe hinunter, ehe sie etwas so Verrücktes tat, wie sich noch einmal umzuziehen. Sie wollte gerade wieder ins Wohnzimmer, das ihr Großvater inzwischen kaum noch zu verlassen schien, da blieb sie abrupt stehen, als sie hörte, wie er und Paolo sich leise, aber erregt unterhielten. Die beiden achteten darauf, nicht zu laut zu werden, doch in letzter Zeit hatte ihr Gehör sich auffällig verbessert. Gleichzeitig sah sie immer schlechter, manchmal tanzten sogar seltsame Farbschleier vor ihren Augen. Dann fühlte sie sich besonders unruhig und gereizt, und das Brennen zwischen ihren Beinen wurde unerträglich.

Siena stützte sich auf die Rückenlehne eines Stuhls direkt vor dem Wohnzimmer und umklammerte sie so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Dann atmete sie mehrmals tief durch, um einen neuerlichen Anfall zu verhindern. Die Knochen taten ihr weh. Ihre Finger verkrampften sich, und diese seltsame Wildheit nahm immer mehr Raum in ihr ein. Ihre überempfindliche Haut juckte schrecklich, und sie hätte schwören können, dass irgendetwas von innen fordernd dagegen drückte. Sie hatte Angst vor diesem Etwas. Es war schamlos, gierig und brünstig.

Sie senkte den Kopf und atmete verzweifelt gegen den Anfall an. Sie war froh, dass Paolo nicht in der Nähe war, denn der Klang seiner Stimme schien der Auslöser für ihre Reaktion zu sein.

»Ich sage dir, das ist keine gute Idee, Tonio. Es könnte schiefgehen.«

»Du machst dir zu viele Sorgen, Paolo. Wie immer. Sie ist jung und wunderschön. Er wird nur an sie denken. Nicht an meinen Wein. Oder irgendetwas anderes. Nur an sie.«

»Ich weiß nicht, warum du so wild darauf bist, deine Rache zu bekommen. Du bringst nicht nur Siena in Gefahr, sondern auch dich. Wenn irgendwelche Beweise zurückbleiben …«

»Marco weiß, was er tut. Mach dir keine Sorgen«, beschwichtigte ihr Großvater Paolo erneut.

»Sie ist kurz vor dem Han Vol Don. Ich spüre es. Meine andere Hälfte spürt es. Sie ist ganz kurz davor.«

»Gibt es sonst noch irgendwelche Hinweise?«

»Nein, es ist nur ein Gefühl. Sie darf das nicht tun, Tonio. Halt sie auf. Ich sage dir, dass es schiefgehen könnte. Wenn nicht alles reibungslos klappt, wenn sie nicht sofort wieder fährt …«

»Sie ist ein gutes Mädchen. Sie wird tun, was ich ihr gesagt habe, und dann zum Fitnessstudio fahren, wo viele Zeugen sie sehen.«

Zeugen? Sie ist kurz vor dem Han Vol Don? Was sollte das denn heißen? Beweise? Worüber redeten die beiden nur?

»Tonio«, stieß Paolo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Schluss jetzt«, fauchte ihr Großvater. »Das Thema ist erledigt. Geh jetzt zu ihr. Sag ihr, dass der Wein im Wagen ist, und dass sie jetzt fahren muss.«

Paolo fluchte auf Italienisch, aber Siena wusste, dass er gehorchen würde. Alle gehorchten ihrem Großvater. Er hatte mit seinen Weingütern und seinen köstlichen Reben ein Imperium aufgebaut. Er hatte mehr Geld, als er ausgeben konnte, und gute Freunde, aber auf seinem Weg hatte er sich auch viele Feinde gemacht.

Das tiefe Durchatmen half, und das Wilde in ihr legte sich wieder. Siena wandte sich rasch von der Wohnzimmertür ab und schlich leise zurück nach oben. Sie hatte keine Ahnung, warum sie das tat, es war eher instinktiv. Nonno und Paolo würden verärgert sein, sollten sie mitbekommen, dass sie ihre seltsame Unterhaltung belauscht hatte. Jedenfalls ihrem Ton nach zu schließen – sie hatten sich fast so angehört wie Verschwörer.

»Siena«, rief Paolo die Treppe hinauf. »Ich möchte dir etwas sagen, ehe du gehst. Dein Großvater will, dass du jetzt losfährst, damit du Elijah nicht verpasst.«

Sein strenger Tonfall schreckte sie ab. Er benahm sich ihr gegenüber immer herrischer. Selbst als sie tatsächlich noch ein Teenager gewesen war, hatte er sich das nicht herausgenommen. Aber nun ließ er sie nicht mehr aus den Augen. Sie wusste nicht genau, warum. Sie sah so jung aus, möglicherweise hielt er sie ja immer noch für einen Teenager? Dabei war sie kurz vor den Ferien vierundzwanzig geworden, doch niemand, nicht einmal ihr Großvater, hatte an ihren Geburtstag gedacht, also wie sollte Paolo das mitbekommen? Dabei hatte sie inzwischen jahrelang Weinbau und Önologie studiert und so viele Diplome und Auszeichnungen, dass selbst Paolo eigentlich wissen musste, wie intelligent sie war, und trotzdem sprach er mit ihr wie mit einem Kind. Natürlich war niemand zu ihren Abschlussfeiern gekommen – nicht einer –, also hatte er von alldem womöglich auch nichts mitbekommen. Anscheinend wollten sie alle glauben, sie wäre nach wie vor ein Schulkind.

»Ich komme«, rief sie, während sie ihre Tasche wieder aufhob und die Treppe hinablief. »Hat nonno den Wein in mein Auto packen lassen?«

Paolos Blick traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Er packte sie am Arm und zog sie dicht an sich.

Seine Berührung brachte etwas in ihrem Bauch zum Rumoren. Etwas Wildes, Gefährliches. Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, und sie konnte sich kaum davon abhalten, mit Zähnen und Klauen auf ihn loszugehen. Doch sie blieb ganz ruhig und atmete tief ein und aus.

»Du hast dich umgezogen?«, knurrte er. »Weil du zu Lospostos fährst, hast du dir etwas anderes angezogen?«

»Ich kann ja wohl nicht meine Sportsachen tragen, wenn ich einen wichtigen Besuch für meinen Großvater mache«, bemerkte sie ruhig und gelassen, trotz des seltsamen Drangs, ihm das Gesicht zu zerkratzen. »Du tust mir weh. Lass. Mich. Los.« Sie sah ihm direkt in die Augen. Sie sahen seltsam aus. Lauernd. So als ob er sich jeden Moment auf sie stürzen würde.

»Erst wenn du dir angehört hast, was bei diesem Besuch zu beachten ist.« Er zog sie weg von der Treppe und dem Wohnzimmer, wo ihr Großvater Fernsehen schaute, und führte sie in den Flur.

»Paolo.« Sein fester Griff tat richtig weh, und sie war ziemlich sicher, dass ihm das bewusst war. Sie beschloss, eine andere Taktik anzuwenden. »Warum magst du mich eigentlich nicht? Ich dachte, wir wären Freunde. Was habe ich getan, dass du immer so böse auf mich bist?« Sie musste sich dazu zwingen, diese Frage zu stellen, und sie tat es hauptsächlich, um ihn zu besänftigen, aber zum Teil auch, weil sie wirklich an der Antwort interessiert war.

Sie hatte den richtigen Weg gefunden. Sofort lockerte Paolo seinen Griff, und sein Gesicht wurde weicher. »Aber ich mag dich, Siena. Stell dich doch nicht dumm. Du bist jetzt erwachsen, und du weißt, dass du mir von deinem Großvater praktisch versprochen worden bist. Mir gefällt es einfach nicht, wenn du so irgendwo herumläufst, wo andere Männer auf falsche Gedanken kommen könnten.«

Siena wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Ihr Großvater betätigte sich gern als Heiratsvermittler, und sie konnte nicht bestreiten, dass er immer sagte, wenn er einmal nicht mehr da sei, würde Paolo auf sie aufpassen. Manchmal ging er sogar so weit zu sagen, dass er ihnen die Hochzeit des Jahrhunderts ausrichten würde.

»Paolo.« Sie atmete einmal tief durch. »Nonno will mich dauernd mit irgendjemandem verkuppeln. Erst vor ein paar Minuten hat er mir gesagt, es sei Zeit für Elijah Lospostos, sich eine Frau zu suchen.« Paolos Augen funkelten so gefährlich, dass sie plötzlich Angst bekam. »Ich bin zu jung, um zu heiraten. Ich möchte hier zu Hause noch viel über die geschäftliche Seite des Weinguts lernen. Im Moment suche ich nicht nach einem Mann. Ich gehe zwar zum Tanzen, aber ich halte mich beim Trinken zurück und bringe auch keine Zufallsbekanntschaften mit nach Hause. Das müsstest du doch wissen. Einer von nonnos Männern ist immer bei mir, und die berichten dir, was ich tue.«

»Du fährst zu Lospostos’ Haus, bestellst ihm die Nachricht von deinem Großvater und gibst ihm den Wein. Du gehst nicht rein. Der Mann ist gefährlich. Dein Großvater glaubt, alle Menschen wären seine Freunde. Aber Lospostos ist kein Freund. Liefre den Wein ab, unterhalt dich ein paar Minuten mit ihm und fahr dann wieder. Hast du mich verstanden?«

»Ich glaube nicht, dass ich …«

»Hast du mich verstanden?«, brüllte Paolo, packte wieder fest zu und schüttelte sie leicht.

Siena nickte brav, obwohl sie ihm am liebsten die Augen ausgekratzt hätte, doch sie hielt den Kopf gesenkt, damit er ihren rebellischen Blick nicht sah. »Ja, Paolo.«

Er starrte sie noch eine Weile einschüchternd an, ehe er sie losließ. Siena riss sich zusammen, um nicht gleich über die schmerzenden Stellen an ihrem Arm zu reiben. Sie wusste, dass sie blaue Flecken bekommen würde, und war versucht, zu ihrem Großvater zu marschieren und ihm zu zeigen, was Paolo mit ihr gemacht hatte. Es war nur so, dass sie anfing zu glauben, dass ihr nonno nichts anderes tun würde, als sie zu fragen, warum sie sich einem so guten Mann widersetzte. In seinen Augen konnte Paolo nichts falsch machen. In letzter Zeit beobachtete auch ihr geliebter, stolzer Großvater sie mit Argusaugen. Sie wusste nicht, worauf all diese Männer warteten, aber je länger es dauerte, desto angespannter wurde die Stimmung.

»Der Wein ist in deinem Auto«, sagte Paolo. Dann umfasste er ihr Kinn. »Sei vorsichtig, Siena.«

Sie zwinkerte mehrmals, damit er ihr die Angst und Wut nicht ansah. Sie wollte stark sein, aber sie hatte das Gefühl, dass ihr Leben aus den Angeln geriet, und sie wusste nicht einmal, warum. Misstrauisch sah Paolo ihr in die Augen.

»Habe ich dir wehgetan?«, fragte er sanft. »Ich mache mir eben Sorgen um dich, und manchmal geht mein Temperament mit mir durch. Dein nonno und ich sind über einiges, was er von dir verlangt, unterschiedlicher Meinung. Die Vorstellung, dass du in Gefahr geraten könntest, gefällt mir ganz und gar nicht.«

»Ich liefere doch nur seinen Wein aus, Paolo. Darum bittet nonno mich jedes Mal, wenn ich in den Ferien nach Hause komme, und ich habe es ihm noch nie abgeschlagen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nach allem, was er für mich getan hat. Es ist keine große Sache, ehrlich. Es macht mir nichts aus. Und ich werde vorsichtig sein. Vielleicht ist Lospostos ja gar nicht zu Hause, und ich lasse den Wein einfach mit einer Nachricht vor der Tür stehen.«

Sie sagte das nur, um ihn zu beruhigen. Sie verstand nicht mehr, was in ihrem Zuhause vorging. Aber vielleicht war sie auch einfach so oft weg gewesen, dass sie es nie richtig verstanden hatte.

Ihre Eltern waren bei einem Autobombenanschlag gestorben. Siena war klar, weshalb ihr Großvater sich so überbehütend verhielt, denn er war nie ganz über den Tod seines Sohnes hinweggekommen. Als sie noch klein gewesen war, hatte sie ihre Großmutter gehabt, die ganz vernarrt in sie gewesen war. Nach deren Tod wurde sie umgehend auf ein sehr teures, exklusives Internat geschickt. Sechs Jahre alt war sie damals und hatte große Angst, doch soviel sie auch weinte, sie konnte ihren Großvater nicht dazu überreden, sie bei sich zu behalten.

Natürlich war sie in allen Ferien nach Hause gekommen, und er hatte sie nach Strich und Faden verwöhnt. Sie hatten zusammengesessen und gelacht und bis in die Nacht Spiele gespielt, und er schien ihre Gesellschaft zu genießen. Als sie ihn nach den stets wachsamen Männern gefragt hatte, die immer um sie herum waren, hatte er ihr gesagt, dass es draußen in der Welt böse Menschen gäbe, denen es nicht gefalle, dass er mit seinen Reben und seinem Wein so erfolgreich war. Deshalb müsse er für ihren Schutz sorgen, also würden seine Leute auf sie aufpassen.

Als sie zehn Jahre alt gewesen war, hatte sie auf schreckliche Weise erfahren, dass er recht hatte. Ein paar Männer waren in ihr Zimmer in der Schule eingedrungen und hatten sie trotz ihrer heftigen Gegenwehr entführt. Sie hatte zwei entsetzliche Nächte in einem alten, verlassenen Lagerhaus verbracht, im Dunkeln, mit einer Binde über den Augen und an ein Bett gefesselt. Einer der Kidnapper war nett gewesen. Er hatte ihr Wasser gegeben und sie getröstet, doch die anderen hatten ihr mächtig Angst eingejagt. Dann waren die Männer ihres Großvaters gekommen, und es hatte einen fürchterlichen Schusswechsel gegeben, bei dem zwei der Entführer getötet wurden. Die anderen beiden waren draußen vor dem Gebäude gewesen und hatten fliehen können. Ihr Großvater hatte sie noch weitere zwei Jahre lang gejagt.

Als sie fünfzehn gewesen war, hatte man erneut versucht, sie zu entführen, doch Alonzo hatte es verhindert. Sie wusste nicht mehr viel davon, doch seither plagten sie furchtbare Albträume. Als sie einmal ihrem Großvater davon erzählt hatte, hatte er nur erwidert, sie solle sich keine Sorgen mehr machen und damit aufhören. Natürlich hörten die Albträume nicht einfach so auf, aber sie hatte ihm gegenüber nie wieder etwas davon erwähnt.

»Bleib aus dem Haus heraus, Siena«, warnte Paolo sie noch einmal.

Fast wäre sie zusammengezuckt. Sie war so in ihre Gedanken vertieft gewesen, dass sie beinahe vergessen hatte, dass er vor ihr stand. Er hatte ihrem Großvater immer gute Dienste geleistet. Sie schätzte, dass er fünfzehn bis zwanzig Jahre älter war als sie. Er hatte zu den Männern gehört, die sie bei der ersten Entführung befreit hatten, und war danach zu ihrem Leibwächter ernannt worden, ehe er zum Stellvertreter ihres Großvaters wurde.

Aus der Nähe betrachtet war er eigentlich recht hübsch, auch wenn sie nie darüber nachgedacht hatte. Aber sie fühlte sich nicht von ihm angezogen. Jedenfalls nicht so, wie es sein sollte. Also warum wurde sie schon wieder unruhig?

»Keine Sorge«, sagte sie. Dann drehte sie sich um und ging ohne einen Blick zurück aus dem Haus. Was war bloß los mit ihr? Paolo hatte ihr wehgetan. Warum hatte sie darüber nachgedacht, wie gut er aussah? Und warum prickelte ihre Haut überall? Das durfte nicht sein.

Sie fuhr mit offenem Verdeck und ließ sich den Wind durchs Haar wehen. Dass die langen Strähnen sich dabei verflochten und sie schrecklich aussehen würde, wenn sie bei Elijah ankam, kümmerte sie nicht. Sie brauchte kühle Luft auf der heißen Haut. Sie musste tief durchatmen, weit weg von dem Haus, das einmal ihr Heim gewesen war und ihr nun wie ein Gefängnis vorkam. Alle beobachteten sie. Als warteten sie auf irgendetwas. Jede Bewegung, die sie machte, wurde registriert. Sie hasste das. Das war auch der Grund, warum sie den hochmodernen Fitnessraum mied, den ihr Großvater extra für sie eingerichtet hatte, und stattdessen beschlossen hatte, sich all den Augen, die seit ihrer Rückkehr auf ihr ruhten, gelegentlich zu entziehen.

Elijah wohnte auf einem großen Anwesen nicht weit vom Haus ihres Großvaters im Hügelland westlich von San Antonio und Austin. Sein Grundstück lag nahe an Jake Bannaconnis riesiger Ranch. In dieser Gegend lebten alle Millionäre, wobei Bannaconni laut Forbes sogar Milliardär war. Jedenfalls lagen die meisten größeren Grundstücke und Ranchen außerhalb der Stadt. Siena wusste, dass Bannaconni mit dem Hubschrauber zur Arbeit flog, und fragte sich, wie Elijah eigentlich sein Geld verdiente.

Natürlich gab es immer Gerüchte. Ihr Großvater zum Beispiel stammte aus Italien. Er war mit seiner Frau in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Er hatte hart gearbeitet, um sein Weingut zu bekommen, und obwohl er sein Geld redlich verdient hatte, gab es immer wieder böse Verdächtigungen. Genau wie bei Elijahs Familie. Sie war spanisch und kam aus Südamerika. Da Siena wusste, dass ihr Großvater ein guter Mensch war, der sein ganzes Leben geschuftet hatte, damit es seiner Familie gut ging, wollte sie Elijah nicht nach dem beurteilen, was man sich über ihn erzählte.

Das große schmiedeeiserne Tor an der Zufahrt zu seiner Ranch war geschlossen, also beugte sie sich aus dem Auto, schaute in die Kamera und erklärte den Grund ihres Kommens. Dann wartete sie mit klopfendem Herzen und zwirbelte eine Strähne aus ihrem Pferdeschwanz um den Finger, was sie automatisch machte, wenn sie nervös war. Plötzlich schwangen die Torflügel auf, und sie fuhr über den langen, gewundenen Weg zum Haus.

Sie wusste, dass das nicht der eigentliche Familiensitz war, jenes riesige Haus, das Elijahs Vater gehört hatte, ehe er ermordet worden war. Es wurde gemunkelt, dass Elijahs Onkel den Anschlag auf seinen Vater angeordnet habe und dass dann der Onkel ermordet worden sei, sodass schließlich Elijah zum Familienoberhaupt wurde. Nein, dieses Haus hier hatte Elijah gekauft, um sich darin mit seinen Frauen zu vergnügen. Den großen, dünnen, blonden, bildschönen Frauen. Siena seufzte, denn sie wusste, dass sie viel zu viel Zeit in der Schule verbracht hatte, wo sie aus verschiedenen Gründen nur wenig Selbstbewusstsein entwickelt hatte. Und das Leben im Haus ihres Großvaters, mit all den Männern um sie herum, hatte auch nicht gerade geholfen.

Sie hatte sich immer wie eine Außenseiterin gefühlt. Nein, nicht immer, korrigierte sie sich selbst. Nicht als ihre Großmutter noch gelebt hatte, aber an die Zeit konnte sie sich kaum noch erinnern. In ihrer Schulzeit war sie ziemlich isoliert gewesen. Sie hatte keine Freundinnen gehabt, dafür hatten die Männer ihres Großvaters gesorgt. Ständig zwei Riesenkerle um sich herum zu haben, hatte sie angeberisch wirken lassen. Selbst manche Lehrer waren zusammengezuckt, wenn sie mit ihren Leibwächtern in die Klasse gekommen war. Deshalb war sie im Umgang mit Menschen nicht sonderlich erfahren. Sie kam nicht besonders gut mit ihnen aus und blieb die meiste Zeit für sich allein, sogar zu Hause, obwohl sie manchmal tanzen ging, denn das liebte sie.

Der Weg zu Elijahs Haus kam ihr endlos vor. Er war gepflastert, doch das Land, das sich rechts und links erstreckte so weit das Auge reichte, war naturbelassen und voller Bäume und Büsche. Ganz anders als das gepflegte Grundstück ihres Großvaters. Die einzigen Blumen, die hier wuchsen, waren Wildblumen. Auch ein paar Ölquellen am Zaun an der Grundstücksgrenze sah sie im Vorbeifahren, und das wunderte sie nicht. Schließlich war Bannaconni, der nächste Nachbar, bekannt dafür, dass er immer wieder Öl fand, selbst an den ungewöhnlichsten Stellen.

Siena fuhr langsamer und hielt schließlich an, um das wilde Land zu betrachten. Ein Teil von ihr sehnte sich danach, aus dem Auto zu springen und einfach loszulaufen, sich in dieser urwüchsigen Landschaft zu verlieren. Lange saß sie so da und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie war einsam. In der Schule und zu Hause. Ganz einfach einsam. Sie hatte keine Freundin, mit der sie ausgehen konnte. Und keinen Freund, der sie zum Essen einlud oder mit ihr zusammen Filme anschaute.

Sie hatte nur ihren Großvater, der in letzter Zeit weit weg zu sein schien, so als würde er von ihr ferngehalten und stünde unter der Fuchtel von Paolo und Alonzo. Sie sah ihren nonno kaum noch, ohne dass einer von den beiden dabei war. Sie waren immer an seiner Seite. Alonzo wirkte eiskalt, während Paolo sie anstarrte wie ein Raubtier, das die Schwäche seiner Beute wittert.

Aber sie war nicht schwach, sondern einfach nur orientierungslos. Ohne ein echtes Ziel. Sie hatte gerade ihr Studium abgeschlossen und keine Entschuldigung mehr dafür, ihrem Zuhause fernzubleiben. Sie hatte die meisten Sommer und Ferien damit verbracht, praktische Erfahrung in den Weinbergen zu sammeln und zu lernen, wie man die Reben pflegt, denn sie sollte einmal alles erben. Die Weinberge und die Kellerei. Alle Geschäfte ihres Großvaters. Er hatte keine anderen lebenden Verwandten. Nur sie.

Siena schaute über das wilde, verlockende Land. Sie musste ihr Leben irgendwie in den Griff bekommen. Plötzlich begriff sie, dass sie in die Schule geflüchtet war. Sie war weggelaufen. Sie wollte nicht mehr zu Hause sein. Es war keine Zuflucht und kein Hafen, sondern ein fremder Ort voller Männer, die sie missachteten. Sie musste mit ihrem Großvater reden, ohne dass Paolo oder Alonzo dabei waren, und ihm erklären, dass sie sehr viel mehr Freiraum brauchte.

Sie hatte ihr eigenes Geld. Ihre Großmutter hatte ihr einen Treuhänderfonds hinterlassen. Und ihre Eltern hatten ihr einen zweiten Fonds vermacht. Sie musste nicht bei ihrem Großvater bleiben, wenn sie sich nicht mit ihm einigen konnte. Sie musste ihren Mut zusammennehmen und ihm endlich die Stirn bieten. Es war Zeit, die Leibwächter loszuwerden. Sie hatte es satt, ständig unter den Augen einer ganzen Armee zu leben. Denn genau das waren diese Männer für sie. Soldaten.

Seufzend holte sie noch einmal tief Luft und fuhr weiter. Ihr Herz klopfte heftig, weil sie sich so freute, Elijah wiederzusehen. Seit dem letzten Abendessen, als sie neunzehn gewesen war, war sie ihm nicht mehr nahegekommen. Auch damals hatte sein Blick, wie beim ersten Abendessen, mehr als einmal auf ihr geruht und ihr Herz genauso heftig zum Klopfen gebracht wie in diesem Augenblick. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass ihr Körper in letzter Zeit von unkontrollierbaren Hormonen geflutet wurde, war es wohl nicht besonders gut, ihm allein zu begegnen.

Siena beschloss, den Wein vor seiner Tür abzustellen und Paolos Anweisung, das Haus besser nicht zu betreten, doch zu befolgen. Das war das Einzige, was sie tun konnte, wenn sie sich nicht völlig lächerlich machen wollte. Sie war nicht einmal sicher, ob sie mit ihm reden konnte. Ob sie es schaffte, überhaupt ein Wort herauszubekommen. Vielleicht hatte sie ja Glück und es waren irgendwelche Sicherheitsleute, die sie hereingelassen hatten.

Sie bog auf den kreisrunden Vorplatz ein und schaute zum Haus empor. Es war keine Villa wie ihr Zuhause, aber es war wunderschön. Perfekt proportioniert. Einladend. Und kein bisschen protzig. Die umlaufende Veranda mit den riesigen Säulen, die das schräge Dach stützten und den breiten, einladenden Eingangsbereich beschatteten, gefiel ihr besonders gut.

Elijah stand wartend in der Tür. Er trug eine enge Jeans, die tief auf seinen Hüften saß und sich liebevoll an seinen extrem hübschen Hintern schmiegte. Langsam ließ Siena den Atem entweichen. Die Jeans war nicht ganz zu, die oberen beiden Knöpfe standen offen. Außerdem trug er kein T-Shirt und zeigte ganz ungeniert seine muskelbepackte Brust. Sein kohlrabenschwarzes Haar war so wirr und feucht, als käme er gerade aus der Dusche. Siena schluckte schwer und versuchte, ihn nicht anzustarren, während ihre ohnehin schon zu hohe Temperatur um einige weitere Grade anstieg. Sie hatte vergessen, wie umwerfend er aussah, auf eine sehr männliche Weise – denn an ihm war nichts Weiches. Und obwohl er mit seinen bloßen Füßen sehr lässig wirkte, schien er vor Wut zu kochen.

Sie verstand nicht, warum er so ärgerlich war, es sei denn, sie hatte ihn bei einem Techtelmechtel mit einer anderen Frau gestört. Sie errötete. Natürlich, er hatte bestimmt eine Frau bei sich. Sie hatte sich nicht angekündigt. Ihr Großvater wollte das nicht, denn es sollte stets eine Überraschung sein, wenn sie aus irgendeinem Anlass seinen besten Wein vorbeibrachte. Dass Elijah wütend wurde, wenn sie mitten in den Besuch einer willigen jungen Dame hineinplatzte, verstand sie.

Trotzdem sah er großartig aus. Sehr attraktiv und maskulin. Aber gefährlich. Das Wilde in ihr sprang sofort auf ihn an und ihr wurde heiß. Glühend heiß. Sie schaffte es nicht, den Blick von ihm loszureißen. Selbst dass er wahrscheinlich eine Frau im Haus hatte, änderte nichts daran. Sicher sah er ihr an, wie erhitzt sie war. Ihre Brüste schmerzten. Ihr Unterleib zog sich zusammen. Und das Brennen zwischen ihren Beinen war so schlimm wie nie. Dazu kam der wahnsinnige Drang, sich ihm an den Hals zu werfen, ihm die Kleider vom Leib zu reißen und ihn zu bitten, sie zu nehmen.

Siena umfasste das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. Seine Augen glitten über sie hinweg und musterten sie so intensiv, dass sie sich entblößt fühlte. Sie hatte noch nie im Leben einen anziehenderen Mann gesehen.

»Siena«, sagte er leise und kam einen Schritt auf sie zu.

Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Großer Gott. Er war so schön und männlich. Ein Athlet mit breiten Schultern und einer breiten Brust. Bei jeder Bewegung konnte man das Spiel seiner gut definierten Muskeln verfolgen. Er bot einen so verführerischen Anblick, dass sie tief in sich ihren Puls pochen fühlte. Die breiten Schultern verengten sich zu einer schmalen Taille, und als ihre Augen noch tiefer wanderten, verschlug es ihr den Atem.

»Siena«, sagte er wieder, diesmal etwas strenger. Es klang fast wie ein Befehl.

Sie schluckte schwer und atmete noch einmal langsam aus. »Elijah.« Sie brachte den Namen kaum heraus. Sie erkannte ihre Stimme nicht wieder. Sie klang rauchig und sexy. Ganz und gar nicht nach ihr.

Stumm starrten sie einander an. Unwillkürlich hielt Siena den Atem an, bis ihre Lungen schmerzhaft brannten. Er schien alle Luft aus der Atmosphäre zu saugen. Er sah aus wie ein Raubtier. Gefährlich und Furcht einflößend. Aber unwiderstehlich. Sie leckte sich über die Lippen und hielt sich verzweifelt am Lenkrad fest, denn sonst würde etwas Schreckliches passieren. Das Blut, das in ihren Ohren dröhnte, hatte ihren gesunden Menschenverstand weggeschwemmt.

»Mein Großvater schickt dir nachträglich ein Geschenk zum Geburtstag. Eine Kiste von seinem Wein.« Sie geriet beinahe ins Stottern mit ihrer neuen Stimme, die so sinnlich und hungrig klang.

Elijahs Blick wanderte über ihr Gesicht und richtete sich dann auf ihre Brust. Sie hatte ihre Atmung nicht mehr unter Kontrolle. »So macht er es also. Er benutzt dich. Steckst du etwa mit ihm unter einer Decke? Erledigst du jetzt die Drecksarbeit für ihn?« Er knurrte fast.

Sie hatte keine Ahnung, wovon er redete. Zudem rauschte das Blut in ihren Ohren so laut, dass sie ihn kaum verstand. Sie konnte nicht mehr richtig denken. Ihr Verstand ließ sie ebenso im Stich wie ihr Körper. Ihr war so heiß, dass es ihr so vorkam, als stünden ihre Brüste in Flammen. Sie musste fahren. Instinktiv griff sie nach dem Autoschlüssel.

»Nicht«, sagte Elijah leise. Siena erstarrte und schaute ihn an. »Steig sofort aus diesem verfluchten Auto.«

Sie wagte es nicht, ihm zu gehorchen, denn seine Stimme war genauso lüstern und hungrig wie ihre. Sie versuchte, den Kopf zu schütteln und ihm zu sagen, dass das keine gute Idee sei, aber er war schon bei ihr und löste ihren Sicherheitsgurt. Dann hob er sie einfach aus dem Auto und trug sie ins Haus. In das Haus.

Seine Hände brannten sich durch ihre Haut. Überrascht hielt sie sich an ihm fest und suchte seinen Blick. Sie fürchtete, dass sie jeden Augenblick Feuer fangen würde. Dann schlug Elijah die Tür zu und stellte sie ab. Sie atmete schwer, ihr Magen rebellierte, und zwischen ihren Beinen verbreitete sich feuchte Hitze.

»Zieh die Schuhe aus.« Das war ein Befehl, in einem harten, rauen Tonfall, bei dem es sie heiß überlief.

Wieder leckte sie sich über ihre Lippen und schaute zu ihm auf. Sie befand sich in einer absolut misslichen Lage, war dabei aber so fasziniert von ihm, dass sie sich nicht rühren konnte.

Ungeduldig bückte er sich, hob ihre Beine eins nach dem anderen an und zwang sie, die hellgrünen Riemchenschuhe auszuziehen. Unsicher wich sie auf nackten Füßen vor ihm zurück.

»Ich sollte nicht hier sein. Nicht hier im Haus«, platzte es dummerweise aus ihr heraus.

2

Drohend kam Elijah auf sie zu. Die brennende Wut in seinen Augen heizte den ganzen Raum auf. Siena hatte keine Ahnung, warum er so zornig war. Als sie mit dem Rücken an die Wand stieß, schrie sie erschrocken auf und versuchte wegzulaufen, doch er klatschte rechts und links von ihr die Hände an die Wand und fing sie ein.

»Ja, das kann ich mir vorstellen«, zischte er reglos. Sein Blick war so stechend, dass sie sich davon förmlich an die Wand geheftet fühlte. Wie hypnotisiert. Eine Beute. Unfähig, sich zu bewegen.

Plötzlich griff er nach dem Gummiband, das sie um ihren Pferdeschwanz geschlungen hatte, riss es herunter und fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. »Genauso weich wie es aussieht. Ist das bei deiner Haut auch so, hm?«

Sie konnte den Blick nicht von seinen Augen lösen. Seine Pupillen waren fast verschwunden, und er war ihr so nah, dass sein Atem sie streifte. Und dann ballte er die Hand in ihrem Haar und zog ihren Kopf zurück. Ihr hämmerndes Herz setzte einen Schlag aus, und ein Angstschauer rieselte ihr über den Rücken. Ihre Brüste waren so prall, dass sie schmerzten, und ihr heißer Schoß verkrampfte sich. Fasziniert von der düsteren Lust in seinen Augen, dem Hunger, der ihren eigenen noch größer werden ließ, starrte sie ihn gespannt an.

Dann drückte Elijah seinen Mund auf ihren, und sie war verloren. Sie hätte ihm kaum sagen können, dass sie nicht wusste, was sie tat. Sie hatte ja nicht einmal mehr Zeit zu denken. Es war unmöglich. Das Blut, das donnernd durch ihre Ohren rauschte, raubte ihr den Verstand.

Es gab nur noch diesen Mund, der sich so hart und brutal auf ihren presste. So fordernd und hemmungslos. Schnell schlang sie die Arme um seinen Nacken, schob die Finger in das dichte, wellige Haar, stellte sich auf die Zehenspitzen und machte mit. Verlor sich in der Schönheit dieses gierigen, feuchten, endlosen Kusses. Ließ sich willig von seinem Feuer anstecken, wollte, dass er sie verschlang. So wie sie ihn. Denn sie war heißhungrig auf ihn. Konnte ihm gar nicht nah genug kommen.

Seine Muskeln waren hart und seine Haut heiß – fast so heiß wie ihre. Aneinandergepresst verzehrten sie einander. Dann riss er ihr plötzlich die Bluse herunter, sodass ihre üppigen Brüste hervorquollen und sich ihm einladend darboten.

Als sein Mund sich von ihrem löste und an ihrem Hals herunter zur linken Brust wanderte, schrie sie protestierend auf. Schnell legte er eine Hand auf ihre rechte Brust und knetete sie, während Siena vor Sehnsucht zu schluchzen begann. Dabei war er kein bisschen sanft. Rau und tyrannisch stimulierte er sie so, dass sie ihn beinahe angefleht hätte, sie zu nehmen.

Gnadenlos trieb er sie immer weiter, ließ sie nicht zu Atem kommen, bis ihr Verlangen so unerträglich geworden war, dass sie ihm am liebsten die Kleider heruntergerissen hätte, um sich an ihm zu reiben wie eine rollige Katze.

Gierig leckte sie über seine Brust. Sie wollte eine Kostprobe von dem feinen Schweißfilm, der seine Haut bedeckte. Er schmeckte sehr männlich. Genauso animalisch und wild, wie sie sich gerade fühlte. Und sie hatte noch längst nicht genug, sie wollte mehr von ihm. Atemlos machte sie sich an den Knöpfen seiner Jeans zu schaffen, während er ihre einfach samt Slip herunterzog. Eine riesige Erleichterung für ihre fiebrige Haut.

»Zieh die Hose aus.«

Seine Stimme klang eigenartig, obwohl sie seine Worte wegen des seltsamen Dröhnens in den Ohren kaum verstand.

Ungeduldig riss er ihr die Jeans einfach herunter, kniete sich vor sie, spreizte ihre Beine, und dann war sein Mund da. Seine Zunge. Seine Finger. Und sie kam. Hielt mit zitternden Beinen, kreisenden Hüften und überempfindlichen Brüsten einem Erdbeben stand, das sie bis ins Mark erschütterte. Doch er hatte kein Erbarmen und hörte nicht auf.

»Mehr«, knurrte er beinahe zornig. »Noch mal.«

Sie stand bereits in Flammen, sie brannte lichterloh. Aber sie hatte keine Zeit zu denken. Oder nach Luft zu schnappen. Sie konnte nur noch fühlen. Nur fühlen. Eine Hand auf seine Schulter gestützt zerrte sie mit der anderen an seinem Haar und versuchte stehen zu bleiben, obwohl sie den Boden unter den Füßen verlor. Und abhob. Sie konnte nicht anders. Er ließ ihr keine andere Wahl. Er hatte sie so schnell und rücksichtslos erneut zum Gipfel getrieben, dass sie einfach entschwebte.

Dann war sein Mund fort, und Elijah schob sich rasch selber die Jeans herunter bis zu den Knöcheln. Dann zog er Siena neben sich auf die Knie und brachte ihren Kopf nah an sein Glied heran. Es war erschreckend groß. Größer, als sie es für möglich gehalten hätte, und sie fürchtete, dass es nirgendwo hineinpasste. Weder in ihren Mund noch in andere Öffnungen. Sie wusste, dass sie ihn warnen sollte. Ihm sagen sollte, dass sie das noch nie getan hatte. Sie hatte keine Ahnung, was er von ihr erwartete, aber sie wollte ihn, und seine Hände drängten sie.

»Deinen Mund, sofort. Ich brauche das jetzt.«

Sein ruppiger Tonfall erregte sie. Er schien genauso sexsüchtig zu sein wie sie. Langsam leckte sie über sein Glied, schloss die Augen, schob den Mund über die breite Spitze und spürte, wie es noch weiter anschwoll und sich höher aufrichtete. Seine Hände zogen so fest an ihrem Haar, dass es wehtat, doch der Schmerz steigerte ihren wahnsinnigen Hunger nur.

Ihre innere Anspannung war so groß, dass sie fast geweint hätte. So sehr sehnte sie sich danach, erlöst zu werden. Endlich Befriedigung zu finden. Dieser fürchterliche Hunger musste gestillt werden, und nur Elijah schien zu wissen, wie man das machte. Sie jedenfalls nicht. Folgsam setzte sie ihren Mund und ihre Zunge so ein, wie er es ihr mit gepresster Stimme befahl. Zumindest versuchte sie es. Denn ihr Mund sollte beinahe so brutal sein wie seiner zuvor.

Plötzlich zog er sich von ihr zurück, drückte sie auf den Boden, riss ihre Beine auseinander, kniete sich dazwischen und sah sie an. Sein Gesicht war eine finstere Maske mit tief eingekerbten sinnlichen Zügen und lüsternen Augen, die glänzten vor Gier.

»Beeil dich«, flüsterte sie.

Da bohrte er sich gnadenlos durch ihre protestierenden Muskeln und die dünne Barriere. Ein heißer, heller Schmerz durchzuckte sie, und sie öffnete den Mund, um zu schreien, doch kein Laut kam heraus, als sie seinen Blick sah. Dann senkte er den Kopf und machte sich über ihre Brüste her.

»Verdammt, bist du eng. Wie eine glühend heiße Faust.« Während er das sagte, weidete sich sein Mund an ihrer Brustspitze.

Siena konnte nicht antworten, ihr fehlten die Worte, denn er hatte blitzschnell ein Feuer entzündet, das noch heißer brannte als alle vorherigen. Und bei jedem tiefen Stoß, der sie durchrüttelte, wuchs die Wollust, die den Schmerz überdeckte so sehr, dass sie fast Angst bekam. Dennoch machte sie eifrig mit, fuhr ihm mit den Nägeln über den Rücken, packte ihn an den Hüften, zog ihn an sich und kam ihm entgegen.

Rasch schob Elijah eine Hand zwischen sie beide, fand ihre Klitoris, und sie explodierte ein drittes Mal. Wieder öffnete sie den Mund, um zu schreien, und kein Laut kam heraus. Sie war zu erschrocken über die wilde Hitze und die hemmungslose Leidenschaft, die sie beide übermannt hatten. Die unvorstellbare Lust.

Dreimal stieß Elijah noch zu, während sie ihn fest umklammerte und über die Schwelle trieb, dann gehörte er ihr, und sie presste ihn bis auf den letzten Tropfen aus. Keuchend und schweißüberströmt blieben sie ineinander verflochten auf dem Boden in der Eingangshalle liegen. Sienas Jeans war fort, ihre Bluse zerrissen. Elijahs hing ihm noch um die Knöchel. Ihre Brüste ragten aus der zerrissenen Bluse hervor, und als er den Kopf hob, streifte er sie mit dem Mund. Sofort überlief sie ein weiterer erregender Schauer, und sein Glied wurde in heißer Feuchtigkeit gebadet.

Doch dann veränderte sein Gesicht sich abrupt, und seine weichen Augen wurden hart und wachsam. Hastig glitt er aus ihr heraus, rollte sich mit ihr herum, riss mit einer Hand eine Pistole unter einem Tisch hervor und warf sich schützend vor sie. Als sich Siena umschauen wollte, drückte er ihren Kopf schnell wieder nach unten.

Dann schoss er dreimal schnell hintereinander, während gleichzeitig zwei weitere Schüsse knallten. Einer traf die Wand hinter ihr, direkt über ihrem Kopf, die andere schlug hinter ihr in die Holzdielen ein. Gleich darauf fiel etwas sehr Schweres zu Boden.

Geschmeidig sprang Elijah auf und zog eilig seine Jeans hoch, ohne dass der Lauf der Pistole ins Wanken geriet. Siena blieb geschockt liegen. Sie verstand nicht genau, was gerade geschehen war. Dann sah sie, wie er sich ein paar Schritte entfernte, wo ein Mann in einem dunklen Anzug in einer Blutlache am Boden dalag, keine zwei Meter von ihr entfernt. Elijah stieß mit dem Fuß eine Pistole beiseite, die der Mann in seiner ausgestreckten Hand hielt.

Siena erschrak und krabbelte rückwärts, während Elijah nach dem Puls des Mannes suchte. Als er keinen fand, wandte er sich ihr zu. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war Furcht einflößend. Mit drei langen Schritten war er bei ihr, riss sie hoch und hielt ihr die Pistole an den Kopf.

»Sag mir einen Grund, warum ich dir nicht das verdammte Hirn wegpusten soll. Mich so reinzulegen. Du elende Hure. Glaubst du, ich wäre so dumm, dass ich nicht begreife, was ihr vorhabt? Dass ihr mich ablenken wolltet, damit dieser Bastard mich abknallen kann?« Er fluchte ein paar hässliche Worte auf Spanisch in sich hinein, stieß sie von sich weg und packte sie dann beim Haar.

»Bitte Elijah«, flüsterte sie verschreckt. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Schlimmer noch, ihr Hirn wollte nicht arbeiten. Sie stand unter Schock. Ein toter Mann lag nur ein paar Schritte von ihr entfernt, sie hatte gerade zum ersten Mal im Leben Sex gehabt – ruppigen Sex – unglaublichen Sex, und er warf ihr vor, diesem Attentäter irgendwie geholfen zu haben.

»Was?«, fauchte er, während er sie an den Haaren durch die Halle zog.

Siena schrie auf und versuchte, seine Hand zu fassen zu bekommen. Sein Griff war so fest, dass er ihr die Tränen in die Augen trieb. Doch sie konnte sich nicht befreien und wurde an den Haaren zur Tür geschleift.

»Hast du etwa geglaubt, du könntest mich mit deiner erbärmlichen Vorstellung so verwirren, dass euer verfluchter Auftragskiller eine perfekte Zielscheibe hat? Seid ihr so an die anderen armen Teufel herangekommen? Du bist die schlechteste Schwanzlutscherin, die mir je untergekommen ist, also hätten sie besser darauf verzichten sollen. Aber ich schätze, da sie alt waren, war es ihnen egal. Hauptsache, sie kriegen überhaupt mal wieder einen geblasen. Jetzt sieh zu, dass du aus meinem Haus kommst, ehe ich es mir anders überlege und dich doch noch erschieße.« Als er sie an dem Toten vorbeischob, schnappte er sich rasch ihre Jeans.

Siena war wie betäubt. Sie hörte ihn kaum, aber sie wusste, dass das, was er sagte, ein Leben lang in ihr Hirn eingebrannt sein würde, doch ihr entsetzter Blick war an dem toten Mann hängen geblieben, denn sie kannte ihn – er arbeitete für ihren Großvater.

»Wenn du dich für deinen Großvater zur Hure machen willst, solltest du dringend ein paar Stunden nehmen. Wie kann eine Frau nur so alt werden, ohne zu lernen, wie man einen Schwanz lutscht?« Da ihre Nerven bereits bloß lagen, traf sie die Verachtung in seiner Stimme besonders. »Du bist absolut lächerlich. Da habe ich ja in der Highschool schon Besseres erlebt. Ach, was rede ich. Vorher schon. Ich hatte gar nicht vor, dich zu vögeln, ich wollte nur wissen, wie weit du gehen würdest. Geh mir bloß aus den Augen, und hoffentlich sehe ich dich nie wieder, verdammt noch mal.«

Er schubste sie aus dem Haus, warf ihr die Jeans nach, schlug die Tür zu und verschloss sie hinter ihr. Siena hörte, wie er den Riegel vorschob. Starr vor Schreck und unfähig zu denken blieb sie auf zitternden Beinen stehen, an denen Blut und Samen herunterliefen. Dann lehnte sie sich an die Tür und versuchte in einer Art automatischen Reaktion, ihre Jeans anzuziehen, doch sie war so wacklig auf den Beinen, dass sie dabei fast hingefallen wäre. Es gelang ihr nicht, einen Fuß anzuheben. Also atmete sie mehrmals tief durch, schleppte sich, die zerknüllte Jeans in der Hand, langsam zu ihrem Auto und stieg ein.

Die schrecklichen Dinge, die Elijah gesagt hatte, gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Die Schlechteste, die mir je untergekommen ist. Sie war so berauscht gewesen von dieser ersten sexuellen Begegnung, dass sie ihren Fantasien freien Lauf gelassen hatte. Sie hatte ihn geliebt. Wirklich geliebt. Fast schon vergöttert. Sie war so dumm. So naiv. Die Schlechteste, die ihm je untergekommen war.

Elijah war im wahrsten Sinne des Wortes ihr Traummann gewesen, denn sie hatte fast jede Nacht von ihm geträumt. Und ständig an ihn gedacht. Alle Zeitungen und Zeitschriften nach Fotos und Artikeln über ihn durchforstet. Sie wusste, wann er nach Südamerika fuhr. Und wann er wiederkam. Da habe ich ja in der Highschool schon Besseres erlebt. Ach, was rede ich. Vorher schon. Er hatte sie eine Hure genannt.

Hatte sie sich wirklich zur Hure gemacht? Weil sie ihn ihrem Großvater zuliebe abgelenkt hatte? Sie kannte den Mann, der in der Blutlache in Elijahs Eingangshalle lag. Er hieß Marco Capello. Sie kannte ihn schon ihr ganzes Leben. Elijah glaubte, dass sie mit anderen Männern dasselbe gemacht hatte wie mit ihm. Mit alten Männern. Alten Freunden, denn die einzigen Männer, denen sie jemals Wein gebracht hatte, waren langjährige Freunde ihres Großvaters gewesen, die sie von Kindesbeinen an kannte. Elijah glaubte, dass sie diese Männer befriedigt hatte, damit ein Auftragskiller an sie herankommen konnte. Das dachte ihr Traummann von ihr.

Siena presste eine Hand auf den Mund, damit sie nicht anfing zu schreien. Tränen liefen ihr über die Wangen und nahmen ihr die Sicht. Sie wischte sie fort, denn sie musste etwas tun. Am liebsten wäre sie weggelaufen. Doch sie wusste, dass sie nirgendwohin flüchten konnte, weil das, was passiert war, was Elijah zu ihr gesagt hatte, sie überallhin verfolgen würde. Diesen Abend würde sie nie mehr vergessen.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr die Brüste aus der Bluse hingen. Mit bebender Hand startete sie ihren Wagen und fuhr barbusig, die Jeans immer noch in einer Hand, ein wenig zu waghalsig über den langen, gewundenen Weg, der vom Haus wegführte, während ihr Blut und Elijahs Samen den Fahrersitz beschmutzten.

Es war ihr egal. Sie musste aus seiner Sichtweite heraus, das war das Wichtigste. Erst kurz vor dem Tor hielt sie an. Ihr war schlecht. Sie stieg aus, um sich zu übergeben, und beugte sich dabei weit vor. Ihre zitternden Beine trugen sie kaum. Sie überlegte. Den ersten Besuch hatte sie vor ein paar Monaten gemacht, als sie in den Semesterferien nach Hause gekommen war. Etwas völlig Normales, sie kam schließlich immer in den Ferien nach Hause.

Damals hatte ihr Großvater sie gebeten, einem seiner ältesten Freunde eine Kiste Wein zu bringen. Don Miguel war in seinem Alter und hatte oft bei ihnen gegessen, mit ihr Domino gespielt und gescherzt. Sie hatte ihn sehr gern gemocht. Sie war eine Stunde bei ihm geblieben und hatte ihr Lieblingsspiel mit ihm gespielt, ehe sie sich mit einem Kuss auf die Wange von ihm verabschiedet hatte. Am nächsten Tag war sie zur Uni zurückgekehrt, und kurz darauf, am ersten Tag des Semesters, hatte ihr Großvater angerufen und ihr mitgeteilt, dass Don Miguel gestorben sei. Sie hatte nicht nach dem Grund gefragt, weil der Mann in den Achtzigern gewesen war und alle wussten, dass er ein schwaches Herz hatte. Es wäre wohl besser gewesen, wenn sie es getan hätte.

Siena unterdrückte ein Schluchzen und presste erneut eine Hand auf den Mund. Den zweiten Besuch hatte sie gemacht, als man sie nach Hause gerufen hatte, weil ihr Großvater krank war – eine Grippe, wie sich herausstellte. Kurz bevor sie wieder fahren wollte, hatte er sie gebeten, eine Kiste seines besten Weins zu einem anderen Freund zu bringen. Carlo Bianchi hatte früher lange Zeit für ihn gearbeitet, dann aber ein eigenes Geschäft aufgezogen und sehr viel Erfolg damit gehabt. Trotzdem waren die beiden Männer gute Freunde geblieben. Wieder hatte sie sich eine Stunde Zeit genommen und mit Carlo gelacht und gescherzt. Auch ihn hatte sie gern gemocht. Und auch er war etwa im Alter ihres Großvaters gewesen und hatte sie stets wie eine Enkeltochter behandelt. Drei Tage später hatte sie erfahren, dass er gestorben war – dass jemand in sein Haus eingebrochen war und ihn erschossen hatte.

Zu seiner Beerdigung war sie nach Hause zurückgekommen. Ihr Großvater hatte bei der Feier eine Rede gehalten, doch ihm versagte währenddessen die tränenerstickte Stimme, sodass Siena aufgestanden war und die Rede für ihn zu Ende brachte. Während der gesamten Messe hatte ihr Großvater still geweint. Sie war nicht von seiner Seite gewichen, aus Sorge, er könnte krank werden, wenn nur ein paar Wochen nach dem ersten ein weiterer so enger Freund starb.