EQUAL PAY NOW! - Birte Meier - E-Book

EQUAL PAY NOW! E-Book

Birte Meier

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Beschreibung

Schluss mit Lohndiskriminierung!

Der Preis für den kleinen Unterschied? Ein bis zwei Eigentumswohnungen. Oder einfach eine angstfreie, sichere Existenz. In Deutschland verdienen Frauen immer noch weniger als Männer, auch für die gleiche Arbeit. Viele kostet das im Laufe ihres Lebens mehrere hunderttausend Euro – und die Freiheit, ein Leben zu führen wie ein Mann: Frei von der Demütigung, die mit der Mindervergütung einhergeht. Fast nirgendwo sonst in Europa verdienen Frauen so viel weniger als Männer. Lohndiskriminierung kann alle Branchen betreffen, von der Bürokraft bis zur Professorin. Das Problem geht Millionen an. Hinter dem harmlosen Begriff »Gender Pay Gap« verbirgt sich der wohl größte Lohnraub in der Geschichte der Republik. Gleichzeitig waren die Chancen, die Lohnlücke zu verringern, nie größer als heute. Dank neuer Gerichtsurteile und Regelungen, die derzeit die EU und die Bundesregierung planen, sind Frauen zwar immer noch benachteiligt, aber nicht mehr hilflos. Die preisgekrönte Journalistin Birte Meier beschreibt, welche Erfahrungen sie und andere machten, die sich gegen ungleiche Bezahlung wehrten, wie die Bundesrepublik im internationalen Vergleich dasteht, und was die Politik nun unternehmen muss. Zudem zeigt das Buch auf, wie Frauen konkret gegen Lohndiskriminierung vorgehen können.

»Gleichberechtigung voranbringen, ohne Angst vor persönlichen Nachteilen – dafür steht Birte Meier. Ihr Buch macht Mut und ist ein Appell, unsere Stimme zu erheben.« ― Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)

»Scheut nicht die Konfrontation - wenn man sich seiner Leistung bewusst ist, muss man es wirklich durchziehen. So wichtig, dass es dieses Buch gibt!« ― Regina Halmich, ehemalige Box-Weltmeisterin

»Ein starkes Buch über einen wichtigen Kampf. Lesebefehl, gerade für Männer.« ― Daniel Drepper, Vorsitzender der Journalist*innen-Vereinigung Netzwerk Recherche

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Seitenzahl: 275

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Buch

Fast nirgendwo sonst in Europa verdienen Frauen so viel weniger als Männer: 18 Prozent beträgt die Lohnlücke hierzulande immer noch. Hinter dem harmlosen Begriff »Gender Pay Gap« verbirgt sich der wohl größte Lohnraub in der Geschichte der Republik. Die preisgekrönte Journalistin Birte Meier erlebte persönlich, was es bedeutet, gleichen Lohn für gleiche Arbeit einzufordern. Als Wegbereiterin und Vorbild für viele Frauen beschreibt sie, welche Erfahrungen sie und andere machten, die sich gegen ungleiche Bezahlung wehrten, wie die Bundesrepublik im internationalen Vergleich dasteht und was die Politik nun unternehmen muss.

Autorin

Birte Meier ist Chefreporterin Investigativ bei RTLNEWS. Zuvor arbeitete sie viele Jahre als Redakteurin für die ZDF-Sendung »Frontal21«. Für ihre Recherchen erhielt siegemeinsam mit Kolleg*innen den Deutschen Wirtschaftsfilmpreis, den Umweltmedienpreis und den Friedrich-Vogel-Preis für Wirtschaftsjournalismus. Als Fellow am Thomas-Mann-Haus in Los Angeles erforschte sie, was Deutschland in puncto Equal Pay von Kalifornien lernen kann. Ihre Klage gegen das ZDF auf gleichen Lohn machte sie über journalistische Kreise hinaus bekannt.

BIRTE MEIER

Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer

Was wir jetzt tun können

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Die Schreibweise von Zitaten in veralteter Orthografie wurde modernisiert. Kommen Gesprächspartner*innen der Autorin mehrfach zu Wort, stammen ihre Zitate aus den mit ihnen geführten Interviews.Englischsprachige Übersetzungen von der Autorin, wenn nicht anders vermerkt.

Originalausgabe März 2023

Copyright © 2023: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: bookTRade UG Berlin, Tanja Ruzicska

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

KF ∙ IH

ISBN 978-3-641-30422-5V002

Inhalt

Intro

Der große Lohnraub

Der große kleine Unterschied

Der Staffellauf zu Equal Pay

Blinder Fleck

Die nackte Wahrheit

Böses Erwachen

Im Lohnlückendschungel

Der Fachjargon – das Wichtigste in Kürze

Der Streit um die »richtige« Lohnlücke

Im Reich der Mythen

Mythos eins: Es gibt gar keine Lohndiskriminierung

Mythos zwei: Frauen haben kein Verhandlungsgeschick

Mythos drei: Frauen wählen die falschen Berufe

Mythos vier: Tarifverträge schützen vor Diskriminierung

Mythos fünf: Frauen bringen es einfach nicht

Die Mühen des Klischees

Schweigekartell

Stigma

Auf eigene Gefahr

Eine kurze Geschichte der Lohndiskriminierung

Marathon durch die Instanzen

Wichtige Grundsatzurteile

Verfahrene Verfahren

Das Frauenveräppelungsgesetz

Die USA machen es vor

Die Wirtschaftslobby zerreibt ein Gesetz

Zahnloser Tiger

Profite aus dem Kleingedruckten

Diskriminiert und gemaßregelt

Splitterbombe

Verunglimpfung

Vertane Chance

Zerreißproben

Solidarität

Kündigung

Das Reich des Möglichen

Gute Ideen aus dem Ausland

Was wir tun können, damit die Politik endlich handelt

California Dreamin’

»Die moderne Frau spricht über Geld«

»A Girl’s Best Friend is Equal Pay«

Gut zu wissen

Wie finden Sie heraus, ob Sie diskriminiert werden?

Fünf beliebte Tricks der Arbeitgeber

Survival-Tipps für mutige Frauen

Musteranfrage

DANKE!

Anmerkungen

Personenregister

Intro

Equal Pay Now! ist meine persönliche Geschichte. Und in wesentlichen Teilen auch wieder nicht: Stellvertretend für viele führe ich einen Rechtsstreit, der aufzeigt, warum Lohndiskriminierung kaum zu ahnden ist.

Geplant war das nicht.

Eigentlich hatte ich einfach nur gleich verdienen wollen.

Lange bevor ich mit meinem Präzedenzfall wider Willen Justizgeschichte schrieb, war ich Journalistin. Zu meinem Verfahren aber habe ich mich all die Jahre nicht öffentlich geäußert. Die Medien nahmen mich als die »vielfach ausgezeichnete Journalistin« wahr, die zu ihrer eigenen Klage stumm blieb wie ein Fisch. Eine schwierige rhetorische Figur. Doch ich wollte für die tägliche Zusammenarbeit im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen und die Gerichte respektieren. Da das Klagen allerdings kein Ende nimmt, auch wenn ich mich inzwischen bis vor das Bundesverfassungsgericht vorgekämpft habe, mag ich nicht mehr schweigen. Wer beruflich Missstände aufdeckt, tut sich schwer damit wegzuschauen, wenn sie im unmittelbaren Umfeld etabliert sind und nicht angegangen werden. Insbesondere dann, wenn sie so viele Menschen betreffen, wenn Gerichte sowie ein öffentlich-rechtlicher Sender ihren Teil dazu beitragen.

Der Einsatz für gleiche Löhne erfordere »revolutionäre Geduld«, sagt mir eine Juristin, die sich seit Jahrzehnten dafür stark macht. Diese Langmut fehlt mir. Und weil ich nicht möchte, dass Frauen weiterhin widerfährt, was ich erlebte, habe ich meine Geschichte aufgeschrieben und sie in diesem Buch mit den Erfahrungen anderer Frauen und wissenschaftlichen Studienergebnissen abgeglichen. Einige Interviewpartnerinnen sind darin auf Wunsch anonymisiert, um sie zu schützen. Zitate, die aus dem privaten Umfeld stammen, sind von den Gesprächspartner*innen autorisiert. Verantwortliche Unternehmen bat ich um Stellungnahmen. Die meisten Informationen aus dem Rechtsstreit mit dem ZDF wurden in Gerichtsverhandlungen öffentlich. Wo es mir zur Veranschaulichung übergreifender Sachverhalte unerlässlich schien, habe ich aus Schriftsätzen und internem Schriftverkehr zitiert.

Dennoch bleibt vieles ungesagt: Immer galt es, die Wahrung von Redaktionsinterna gegen das öffentliche Interesse abzuwägen. Wo möglich, verdeutlichen internationale Kontexte einen Sachverhalt, der in Deutschland viel zu selten erzählt wird.

»Kritisch, investigativ, unerschrocken«, lautet der Anspruch der ZDF-Sendung, deren Redakteurin ich jahrelang war. »Wir berichten, was ist. Wir schauen genau hin. Wir liefern Hintergründe, und wir klären auf, ordnen ein und regen zur Diskussion an«, legte das ZDF seinen Redakteur*innen im Namen von Menschenwürde, Wahrhaftigkeit, Pluralismus sowie Fairness als Kompass nahe: »In stürmischen Zeiten bleiben wir standhaft.«1 Etwas kitschig, aber im Kern zutreffend. Dies waren – und sind – meine journalistischen Leitlinien.

Und doch bleibt die Perspektive von Equal Pay Now! subjektiv. Unmöglich, alles abzubilden, was in den acht Jahren geschah, seitdem ich meine Klage eingereicht habe, oder was jemals zum Gender Pay Gap erforscht wurde. Möge dieses Buch dennoch eine Lücke in der öffentlichen Diskussion füllen und zur Klärung jener Fragen beitragen, mit der viele Frauen an mich herangetreten sind.

Historisch gilt der Kampf für gleiche Löhne meist als eine Angelegenheit zwischen Mann und Frau. Doch auch trans* Personen und Menschen mit dem Geschlechtseintrag divers können benachteiligt werden. Ja, sogar Männer können weniger verdienen.

Frauen allerdings sind von Lohndiskriminierung weiterhin deutlich häufiger betroffen als Männer. Auch deshalb schreibe ich aus ihrer Perspektive. Wer eine Frau ist, entscheidet dabei weder der Geschlechtseintrag im Pass noch vermeintlich eindeutige biologische Merkmale. Allein ausschlaggebend ist die selbst gewählte Identität. Ob die Gerichte das im Rahmen einer Klage auf gleichen Lohn allerdings auch so sehen, bedarf anwaltlicher Beratung.

Ich bin nicht nur eine Frau, die überzeugt ist, dass sie diskriminiert wurde, sondern auch eine weiße Akademikerin. Aufgewachsen in der westdeutschen Provinz, durfte ich von zahlreichen Stipendien profitieren und eine Zeitlang an einer amerikanischen Eliteuniversität studieren. Heute lebe ich in Berlin. Mein Einkommen liegt, ob als Frau benachteiligt oder nicht, deutlich über dem Durchschnitt – und über dem vieler freier Journalist*innen. Darum geht es bei Equal Pay aber nicht. Frauen haben schlicht das Recht, unter gleichen Voraussetzungen genauso gut – sprich: gleich viel – zu verdienen wie Männer.

Dieser Anspruch hat mich viel gekostet, vor allem wertvolle Lebenszeit. Existenzgefährdend im finanziellen Sinne aber war er nie – irgendwie wäre es schon weitergegangen, wenngleich auf niedrigerem Niveau. Viele sind weniger privilegiert, erhielten nicht die Chance zu studieren, berufliche Netzwerke zu knüpfen und zu pflegen.

Wer sich gegen Lohndiskriminierung wehrt, setzt alles aufs Spiel. Das muss man, das muss frau sich leisten können. Frauen etwa, die von Armut bedroht sind, können dies nicht ohne weiteres – dabei sind gerade sie besonders darauf angewiesen. Alleinerziehende beispielsweise oder Geflüchtete ohne langfristigen Aufenthaltstitel. So ist dieses Buch unbeabsichtigt die Geschichte meist weißer Frauen mit in der Regel akademischem Hintergrund geworden. Eine Geschichte von Frauen, die unter den Benachteiligten dieser Welt privilegiert sind – und leichter Mittel und Wege finden, gegen die Ungerechtigkeit anzugehen. Einfach, weil sie es sich leisten können aufzubegehren. Ich kann nur wünschen, dass die juristischen Grundsatzurteile, die sie erstritten haben und hoffentlich noch erstreiten werden, auch jenen helfen, die sich nicht so vehement wehren können. Und darauf hoffen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit Politik und Justiz daran erinnert, dass es ihre Aufgabe ist, für Gerechtigkeit zu sorgen – und nicht die einzelner Klägerinnen.

»Was wir jetzt tun können« verspricht der Untertitel dieses Buchs. »Wir« – damit sind alle gemeint. Meist wird der Kampf für Equal Pay als Frauenangelegenheit gehandelt. Dabei lässt er sich auch als gelebter Verfassungspatriotismus interpretieren: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«, heißt es in Artikel 3 des Grundgesetzes. Und weiter: »Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.«

Das einzufordern, ist nicht nur Aufgabe von Frauen.

Der große Lohnraub

Das juristische Drama, das jahrelang mein Leben bestimmen wird, erlebt seine Premiere im fünften Stock eines Nachkriegszweckbaus, den sich das Berliner Arbeitsgericht mit einer Möbelkette teilt. In Saal 513 geht es eher museal zu, auch wenn das Thema des angekündigten Stücks brandaktuell ist: Der Sender, der mich beschäftigt, will mich nicht freiwillig wie einen Mann bezahlen. Nun sollen jene Personen den Konflikt klären, die erhöht und hinter einer Sichtblende aus Eiche im Saal Platz genommen haben: der Vorsitzende Richter Michael Ernst, jenseits der 50, sowie zu seiner Linken, vorgeschlagen von der Arbeitnehmerseite, ein ehrenamtlicher Schöffe im kurzärmeligen Karohemd. Zu seiner Rechten, für die Arbeitgeberseite, eine ebenfalls ehrenamtliche Schöffin im geblümten Kleid. Zum Auftakt reißt der Vorsitzende einen Witz: »Mein Freund, der Baum, ist tot«, kommentiert er die umfangreichen Akten. Er habe alles gelesen, versichert er. Und fügt, wie eine Reporterin von der DuMont Redaktionsgemeinschaft notiert, hinzu: »Ich weiß aber nicht, ob ich alles verstanden habe.«2

Es läuft nicht gut für mich.

Dabei stellt sich der Sachverhalt ganz einfach dar: Männliche Kollegen verdienen besser als ich, egal ob sie älter oder jünger sind, länger im Betrieb oder kürzer, mehr oder weniger erfolgreich.3 »Warum?«, will ich wissen, denn bisher habe ich keine schlüssige Erklärung dafür gefunden. »Weil die Kollegen besser verhandelt haben?«, mutmaßt Richter Ernst und fügt hinzu: »Das nennt man Kapitalismus.«4 Als handele es sich beim ZDF nicht um eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die nach Tarifverträgen zu vergüten hat, sondern um ein Start-up.

Außerdem, teilt Richter Ernst mit forschem Blick durch seine Pilotenbrille dem Saal mit, würden Frauen ja bekanntlich schwanger. Ich habe allerdings gar keine Kinder. »Willkommen im Mittelalter«, protestiert eine Freundin im Publikum lautstark und entgeht nur knapp einem Ordnungsgeld.5 Im Saal wird es unruhig. »Ruhe auf den billigen Plätzen«, herrscht der Mann, den der Staat bestellt hat, um über mein Grundrecht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu richten, die Frauen auf den Holzbänken an: »So einfach, meine Damen, ist das nicht, auch wenn sie noch so laut stöhnen!«6

Was wie eine Szene aus den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wirkt, hat sich im Dezember 2016 zugetragen. Am Ende legt mir der ZDF-Anwalt nahe, den Sender zu verlassen, »in angemessen beleidigtem Tonfall«, wie die anwesende Reporterin bemerkt und energisch unterstützt von Richter Ernst.7 Damit habe ich nicht gerechnet: »Ich möchte nicht weiter eingeschüchtert werden, es kann doch nicht sein, dass es mich meinen Job kostet, wenn ich mein Recht einfordere«, ringe ich offenbar merklich um Haltung. So hat es der Spiegel dokumentiert, der, vielen Dank, außerdem festhält, dass ich meine Fassung dann doch noch behalte.8

Ich verliere krachend.

Aber aufgeben will ich nicht.

Stattdessen werde ich unfreiwillig zu einer Art Jeanne d’Arc der Lohnlücke.

In den sozialen Medien kursieren zwischenzeitlich Tweets wie »#WirsindBirteMeier« und »Hätt gern Eier wie Birte Meier«.9

Equal Pay, gleicher Lohn, dachte ich, das kann doch nicht so schwer sein. Schließlich habe ich das uneingeschränkte Wahlrecht, zahle den gleichen Steuersatz und bekomme im Laden auch keinen Frauenrabatt. Warum also soll ich mich mit weniger Gehalt abfinden? Und zwar richtig viel weniger, mindestens um die 800 Euro im Monat, wie mir das ZDF später wird mitteilen müssen.10 Weil ich mich zum Pinkeln hinsetze?

Das ist nicht euer Ernst, empörte ich mich. Geht doch um Gleichberechtigung! Garantiert das Grundgesetz! Kann also wirklich nicht so schwer sein.

Oh doch.

Ist es.

Hart erkämpfter Sieg

Nach der Verhandlung trotte ich wie ein geprügelter Hund mit Freund*innen und Kolleg*innen in ein Café. Niemand sagt etwas, nur das Handy bimmelt unentwegt. Eine bestellt Schnaps für alle. Schließlich bricht die Lieblingskollegin das Schweigen: »Du verdienst weniger, weil du eine Schei*e hast«, zitiert sie den Giulia-Becker-YouTube-Hit Verdammte Scheide aus Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale und formt mit den Händen eine Raute: »So einfach ist das.«

Die Gerichte sehen das anders.

Ich verliere nicht nur die erste, sondern auch die zweite Instanz: hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen. Ein Maskulinist triumphiert im Netz: »Sie kämpfte tapfer und verlor.«11 Einige Kollegen grüßen nicht mehr, und meine Chefin warnt längst unverhohlen vor »Krieg« in der Redaktion.12 Das ZDF schickt mich von der Hauptstadt in die Provinz, vom Primetime-Programm zum Spartensender.13 Hartnäckigkeit gilt zwar als Kerntugend investigativer Journalist*innen – jedoch nicht, wenn sie sich gegen den eigenen Arbeitgeber richtet. Begutachten die Zuständigen meine Beiträge vor der Sendung, höre ich schon mal einen Kommentar wie: »Leider gut« – was der Sender aber nicht als Reaktion auf mein Begehr, sondern auf »schreckliche Bilder von toten syrischen Kindern« in einem Beitrag verstanden wissen will.14

Dass ich die noch lange nicht endende Tortur überhaupt überstehe, verdanke ich fantastischen Freund*innen, loyalen Kolleg*innen und Verbänden, die jederzeit zur Stelle sind. Solidarität wird über mir ausgekippt, als hätten alle nur darauf gewartet, dass sich endlich mal eine traut aufzubegehren. Sie kommt auch von unerwarteter Seite. »Liebe Kollegin Meier, Sie machen 1a-Stücke. Warum sollten Sie dafür weniger verdienen als meine lieben Geschlechtsgenossen in Ihrer Redaktion?«, schreibt beispielsweise ein mir unbekannter Kollege von der ARD: »Das Absurde ist, dass es in (hoffentlich spätestens) 20 Jahren heißen wird: Was, Frauen haben bei identischer Qualifikation, identischer Betriebszugehörigkeit und identischem Aufgabenprofil weniger verdient als Männer? Nur weil sie Frauen sind? Unfassbar. Peinlich. Bitte halten Sie unbedingt durch!« Er ist nicht der einzige Mann, der mich seiner Unterstützung versichert.

Ich halte durch. Und erreiche Jahre später einen ersten Teilerfolg beim Erfurter Bundesarbeitsgericht. »Hart erkämpfter Sieg« titelt die Süddeutsche Zeitung 2020.15

Auf das Präzedenzurteil können Frauen nun bauen.

Immerhin.

Ob und in welcher Höhe ich Geld sehen könnte, ist damit allerdings noch lange nicht entschieden. Erst muss sich auch noch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe meiner Sache annehmen. Der im Sommer 2022 veröffentlichte Beschluss hat salomonischen Charakter: Formal sei man, so das Gericht, nicht zuständig. Denn inzwischen hat sich die Rechtsprechung geändert, weshalb die Richter*innen keine inhaltliche Entscheidung darüber fällen, ob ich diskriminiert wurde. Um dies klarstellen zu lassen, soll ich mich erneut an die Arbeitsgerichte wenden. Dafür gibt Karlsruhe Arbeitsrichter*innen wie Michael Ernst einen ziemlich deutlichen Wink: Eine »Zahlungsklage könnte daher Erfolg haben. Dass dem andere Gründe entgegenstünden, ist jedenfalls aus den Darlegungen nicht erkennbar.«16

Wieder ein Teilerfolg.

Für mich bedeutet dieser Fortschritt allerdings auch: Zurück auf Los, ans Arbeitsgericht Berlin. Demnächst sitze ich womöglich wieder im Saal 513, die Möbelkette ist ja auch noch da. Nach sieben Jahren Klagen fühlt sich das an wie eine Szene aus »Und täglich grüßt das Murmeltier«.

Wenigstens habe ich mittlerweile einiges gelernt: Etwa, was alles schiefläuft bei der Debatte um die sogenannte Lohnlücke. Oder dass die Fronten beim Kampf um Equal Pay ganz anders verlaufen als erwartet: weniger zwischen den Geschlechtern als vielmehr zwischen den Anständigen und den Unanständigen. Und wie hinterwäldlerisch Deutschland sich dabei anstellt, wenn es um diesen »kleinen« Unterschied geht, der so viel Ungerechtigkeit produziert.

Der große kleine Unterschied

Der Preis, eine Frau zu sein, kann in Deutschland ein bis zwei Eigentumswohnungen betragen. Ein sorgenfreies Leben im Alter. Oder einfach eine angstfreie, sichere Existenz. Fast nirgendwo sonst in Europa verdienen Frauen so viel weniger als Männer: 18 Prozent beträgt hierzulande die Lohnlücke.17 Das Ganze ist kompliziert, vorab jedoch so viel: Nur ein Teil davon ist erklärbar, etwa weil Frauen seltener Führungspositionen bekleiden.

Lohndiskriminierung ist in allen Branchen möglich, von der Bürokraft bis zur Professorin. Das Problem betrifft Millionen: 40 Prozent der Teilnehmerinnen einer Zeit-Umfrage erklärten 2019, weniger zu verdienen als gleichrangige Kollegen. Doch wer sich wehrt, wird häufig angefeindet: »Für eine Frau ganz schön geldgeil«, heißt es dann.18 Als meine Klage öffentlich wird, erzählen mir etliche Frauen von ihrem Verdacht, weniger zu verdienen als vergleichbare Kollegen. Doch kaum eine traut sich, dagegen vorzugehen. Die Forderung nach Equal Pay ist tabu.

Dabei geht es nicht nur um das schnöde Geld.

Sondern auch um Wertschätzung.

Und um Freiheit: Equal Pay bedeutet, leben zu können wie Männer, zumindest was den Kontostand angeht – freier von finanziellen Engpässen, mit weniger Angst vor Scheidung und Armut im Alter. Ein Erwerbsleben ohne die Demütigung, die mit einer Mindervergütung einhergeht. Oder, in den Worten des britisch-amerikanischen Satirikers John Oliver, der Experten kommentiert, die darüber streiten, mit wie viel Prozent genau die amerikanische Lohnlücke nun zu beziffern sei: »If someone takes a dump on my desk, the size of the dump is not the issue« – wenn mir jemand einen Haufen auf den Schreibtisch setzt, ist nicht die Größe dieses Haufens das Problem.19

Wussten Sie, dass das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit schon in den sogenannten Römischen Verträgen festgehalten wurde, die 1957 den Grundstein zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) legten? Frankreich befürchtete damals eine Verzerrung des Wettbewerbs, denn dort war – anders als in Deutschland – ungleiche Bezahlung schon verboten. Heute lautet Artikel 157 der Europäischen Verträge: »Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.«

In Deutschland existiert das europäische Prinzip lange vor allem auf dem Papier. Wenig motivierte, bisweilen fast unwillig scheinende Arbeitsgerichte weigern sich in der Praxis jahrzehntelang, es anzuwenden. Und die Politik ist zu feige, es in ein deutsches Gesetz zu fassen. Stattdessen eröffnet der Staat Unternehmen unendlich viele Schlupflöcher, Männer besser zu bezahlen.

Frauen schlechter zu vergüten war so einfach, wie einem kleinen Kind einen Lolli wegzunehmen – nur ungleich lukrativer. Hinter dem Begriff Lohnlücke oder Gender Pay Gap, wie es oft heißt, verbirgt sich der wohl größte Lohnraub in der Geschichte der Bundesrepublik.

Stellen Sie sich bitte vor, Sie verfügten über mehrere Hunderttausend Euro. Geld, das Sie sich mit harter Arbeit verdient haben. Was würde sich für Sie ändern? Sehen Sie das Häuschen am Stadtrand, von dem Sie so lange geträumt haben? Die Auszeit, die Sie sich immer schon nehmen wollten? Möglicherweise sogar eine Lebensentscheidung, die Sie ganz anders fällen würden?

Was, wenn ein Dieb Ihnen nun diesen Schatz stehlen würde?

Wie reagieren Sie? Gehen Sie zur Polizei und setzen alle Hebel in Bewegung, damit Sie Ihr Geld wiederbekommen? Oder sagen Sie sich: Tja, da kann man leider nichts tun. Ärgerlich, aber so ist es. Im Grunde bin ich ja selbst schuld, ich hätte besser aufpassen müssen.

Wohl eher nicht.

Warum also tun das so viele beim Thema Equal Pay?

Warum lassen sich Frauen von der Saga einlullen, sie seien selbst schuld an allem? Weil sie sich bei der Wahl der Ausbildung mehr so für das Soziale interessieren statt für die deutsche Ingenieurskunst? Weil sie Kinder bekommen und diese zu lange betreuen, sodass sie, leider, leider, in die Teilzeitfalle geraten? Weil ihnen für eine Karriere die Härte fehlt, wohingegen Männer sich so gerne raufen, das weiß ja jeder, und weil Frauen, unterambitioniert, wie sie sind, ohnehin nicht verhandeln können – kurzum, weil sie es im Grunde ja nicht anders gewollt haben?

Dabei haben wir doch eine viel bessere Geschichte zu bieten. Eine, die den Arbeitgebern nicht so gut zupasskommt und den Blick aufs Wesentliche freigibt. Wir müssen sie nur erzählen.

Wie zum Beispiel UN-Generalsekretär António Guterres.

Rückständige Politik

Längst geißelt der oberste Verwaltungschef der Vereinten Nationen (UN) die »dumme« Diskriminierung von Frauen weltweit, auch bei der Bezahlung, und vergleicht sie mit historischen »Schandflecken« wie Sklaverei und Kolonialismus.20 Deutschland aber diskutiert über den Gender Pay Gap immer noch, als gäbe es dazu weder historische noch wissenschaftliche Erkenntnisse. Als wäre faire Bezahlung nur ein Nice-to-have, kein Grundrecht. Alle haben eine Meinung und die meisten eine Anekdote parat – aber kaum jemand eine Ahnung. Ist halt irgendwas mit Gender. Oder, in den Worten des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder: Gedöns.

Nein, bei Lohndiskriminierung geht es nicht nur um irgendwas mit Gender.

Bei einer erfolgreichen Klage werden Gehälter auch rückwirkend fällig. Für Unternehmen geht es also ans Eingemachte, um Pfründe und Profite – erzielt auf Kosten der Frauen. Um dagegen vorgehen zu können, bräuchten Mitarbeiterinnen ein ordentliches Gesetz.

Aber Deutschland fristet in diesem Punkt ein rückständiges Inseldasein. Während wir noch glauben, dass Unterbezahlung zum weiblichen Dasein gehört wie Menstruation oder Menopause, erzielen Frauen auf der ganzen Welt Erfolge im Kampf um gleiche Bezahlung.

Zum Beispiel in Großbritannien.

Dort erstreiten Supermarktangestellte gerade geschätzt acht Milliarden Pfund, weil die Frauen in den Läden weniger verdienen als die Männer in den Lagern – obwohl viele dieselben Waren ein- und auspacken. Die Stadt Glasgow muss ihre Konzerthalle in einem komplizierten Immobiliendeal versilbern, um die Vergleichssumme aufzutreiben, mit der sie jahrelang schlechter bezahlte Mitarbeiterinnen nach langem Streit endlich befriedet.

Oder in den USA.

Dort gibt der Fußballverband seinen erbitterten Widerstand auf und zahlt 24 Millionen Dollar – an die Spielerinnen um Kapitänin Megan Rapinoe und in einen Fonds, der Fußballerinnen zugutekommen soll. Auch der Internetkonzern Google/Alphabet einigt sich mit seinen Mitarbeiterinnen: 118 Millionen Dollar. Tausende US-Amerikanerinnen klagen. Gegen den Turnschuh-Hersteller Nike, den Software-Riesen Oracle, den Paketversand UPS und andere Firmen.

Oder auch Australien.

Dort starten Surferinnen 2021 eine Petition, damit sie und andere Sportlerinnen dieselben Preisgelder erhalten wie Männer.

Die politischen Rezepte für Equal Pay sind auf der ganzen Welt ähnlich: Transparenz. Beweislastumkehr. Rechtfertigung. Sanktionen. Maßregelungsverbot. Klingt wie juristisches Kauderwelsch – benennt aber Errungenschaften, die für Frauen viel Geld wert sind. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Auch in Deutschland könnte das funktionieren. Ohne Not aber legt sich die Politik nicht mit den mächtigen Arbeitgeberverbänden an. Hehre Ziele werden auch in den wirtschaftsfreundlichen Jahren unter Bundeskanzlerin Angela Merkel geäußert. Doch das geplante Lohngerechtigkeitsgesetz, das Frauen zu gleichem Lohn verhelfen soll, verkümmert zum sogenannten Entgelttransparenzgesetz.

Das muss nicht so bleiben.

Mittlerweile ergreifen Beschäftigte die Flucht nach vorn.

Es ist wie bei einem Staffellauf: Je mehr Frauen mitmachen, desto besser.

Der Staffellauf zu Equal Pay

Eine Dinnerparty im Berliner Prenzlauer Berg. Miriam Altenberg, die in Wirklichkeit anders heißt, lädt zum Women Empowerment Drink. In der offenen Wohnküche eines sanierten Altbaus sitzen sieben ehemalige Kolleginnen, IT-, Marketing- und Vertriebsfachkräfte, einige von ihnen aus Osteuropa. Über Pizza Rucola und Rosé berichten sie entnervt vom frauenfeindlichen Arbeitsklima in der Softwarefirma, bei der sie in der Autozulieferindustrie beschäftigt sind oder waren. Gerade deshalb feiern sie Miriam Altenberg. Denn die Softwarearchitektin hat einen Erfolg errungen. Zwei Jahre musste sie auf Equal Pay klagen, dann endlich knickte ihr Arbeitgeber ein. Klar wäre ein Sieg vor Gericht auch schön gewesen, meint sie, aber der Vergleich bereitet ihr schon jetzt Genugtuung: »Gewinnen ist zum Gewinnen, Geld zum Leben da«, bringt sie es auf den Punkt.

Das wichtigste Präzedenzurteil der vergangenen Jahrzehnte erstreitet Gabriele Gamroth-Günther aus Göttingen. Sie leitet eine Schadenabteilung einer niedersächsischen Versicherung. Erst gewann sie vor dem Bundesarbeitsgericht, dann sprach ihr das Landesarbeitsgericht Niedersachsen rund 6000 Euro entgangenes Gehalt für sechs Monate zu. Jetzt holt sie sich den ausstehenden Lohn der folgenden Jahre. Es geht um einen hohen fünfstelligen Betrag.21

Dass Frauen den Schritt vor Gericht wagen, ist relativ neu. Jahrelang bin ich die einzige weit und breit. Nun sind wir immerhin schon ein kleiner Klägerinnen-Club, in dem wir den Staffelstab hin und her reichen oder neuen Mitstreiterinnen weitergeben: Susanne Dumas aus Dresden gehört dazu, die im Außendienst eines sächsischen Metallunternehmens tätig war. Astrid Siemes-Knoblich, die als Bürgermeisterin des südbadischen Müllheim weniger verdiente als zwei Amtskollegen – und noch einige andere, die nicht genannt werden wollen. »Diese Bewusstseinsveränderung von Frauen ist nicht zu unterschätzen. Frauen, die sagen: Ich bin wütend, mir geschieht Unrecht und ich habe Ansprüche. Ich will das nicht, dass das immer noch ein Problem ist«, stellt Johanna Wenckebach fest, wissenschaftliche Direktorin des gewerkschaftsnahen Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht und ehrenamtliche Richterin am Bundesarbeitsgericht.22

Und das Beste daran ist: Sie alle haben nun eine echte Chance zu gewinnen. Oder zumindest einen Vergleich zu erzielen, sodass sie nicht mehr auf dem Schaden sitzen bleiben.

Ihre Erfolgsaussichten verdanken sie dem kleinen »Klägerinnen-Club« und vor allem den fortschrittlichen Richter*innen vom Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts. Die nämlich beenden 2021 die irrsinnige Praxis ihrer Kolleg*innen an den unteren Instanzen, an der ich einst scheiterte: Steht fest, dass eine Klägerin weniger verdient als ein vergleichbarer Kollege, weil das etwa die Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz ergibt, muss sie nun nicht mehr belegen, dass sie wegen ihres Geschlechts weniger verdient.23 Dies im Fall von ungleichem Lohn zu tun ist nämlich schlicht unmöglich – es sei denn, Vorgesetzte erscheinen freiwillig zum Lügendetektortest.

Nun gilt, was in großen Teilen der EU, in Großbritannien und in den USA seit Jahrzehnten gängige Praxis ist: Wird ungleich vergütet, braucht der Arbeitgeber dafür gute Gründe. Die Beweislast ist umgekehrt.

Ein juristischer Quantensprung.

Empfahlen Arbeitsrechtler*innen Firmen bislang, Equal-Pay-Klagen einfach auszusitzen (nach dem Motto: »Das hält die eh nicht durch«), raten sie ihnen nun dringend an, ihre Bezahlpraxis zu überprüfen. Die bislang »oftmals zum Scheitern verurteilten« Equal-Pay-Klagen würden, so die Begründung, wahrscheinlich bald zu »hohen Nachzahlungen und Gehaltsanpassungen« führen.24

In Zukunft dürfte die Empfehlung sogar noch unmissverständlicher ausfallen, da auch die Politik langsam aufwacht. Zumindest in Europa ist man schon weiter als in Deutschland: Die endgültige Verabschiedung einer neuen, scharfen Richtlinie für mehr Lohntransparenz gilt als reine Formsache: Firmen müssen danach interne Lohnlücken veröffentlichen. Wer ungleich vergütet, zahlt Strafe. Und Vorgesetzte sollen ihrer Belegschaft nicht mehr verbieten dürfen, über Gehälter zu sprechen.25 Denn Frauen müssen sich endlich »zur Wehr setzen können und das bekommen, was ihnen zusteht«, freut sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Bei so viel Engagement in Brüssel will auch die Ampel-Bundesregierung nicht zurückstehen. »Wir haben 2022. Frauen und Männer sollten gleich bezahlt werden«, twittert Bundeskanzler Olaf Scholz im Juli und fordert gleiche Bezahlung für die Fußball-Frauennationalmannschaft: »#equalpay«. Auch alle anderen Frauen will die Regierung laut Koalitionsvertrag stärken: An ihrer statt sollen in Zukunft Verbände für Equal Pay klagen können, was den Weg vor Gericht erheblich erleichtern würde. Ein wichtiger Schritt nach vorn – wenngleich nur ein erster. Denn noch immer liegt der Ball bei den Frauen und nicht den Unternehmen, deren Aufgabe es ja eigentlich wäre, gleich zu bezahlen, anstatt sich erst dazu auffordern zu lassen.

Blinder Fleck

»Lohndiskriminierung ist das schmutzige Geheimnis des Gender Pay Gap«, schreibt Carrie Gracie, die 2018 ihren Job als China-Korrespondentin der British Broadcasting Corporation (BBC) hinwarf, nachdem sie herausfand, dass ihr Kollege im Bundesdistrikt Washington als Nordamerika-Korrespondent mindestens 50 Prozent mehr Gehalt als sie bekam – vermutlich sogar eher fast das doppelte.26 Der britische Sender hatte seine Spitzen-Jahresgehälter über 150 000 Pfund offenlegen müssen. Die Liste sorgt für Aufregung: Die Nummer eins, Starmoderator Chris Evans, erhält 1,7 Millionen Pfund mehr als die bestverdienende Kollegin. Viele Frauen jedoch fehlen: Sarah Montague, die Moderatorin der bekanntesten Radiosendung am Morgen, wird nicht aufgeführt – wohl aber ihr Co-Moderator mit rund 600 000 Pfund.

Gemeinsam mit 200 weiteren Frauen reicht Carrie Gracie eine Beschwerde bei der Zentrale der BBC ein. Sie wird zur Galionsfigur des britischen Protests gegen Lohndiskriminierung: »Darüber wird nicht ausreichend gesprochen, es wird nicht genügend erfasst und überhaupt nur selten behoben.«27

Das gilt erst recht für Deutschland und Österreich. Weil es so wenige Frauen gibt, die es bisher versucht haben, weiß hier kaum jemand, welche Scherkräfte eine Frau in Gang setzt, wenn sie gleiche Vergütung begehrt. Trotz erster Erfolge bleibt Lohndiskriminierung ein blinder Fleck – erst wenn wir dieses »schmutzige Geheimnis« endlich lüften, schaffen wir den Kulturwandel, der Equal Pay ermöglicht.

Dass eine solche Wende durchaus möglich ist, zeigt sich beispielsweise in Kalifornien. Frauen fordern dort ganz selbstverständlich ihr Recht ein. Keine schämt sich dafür. Für sie gilt Equal Pay als ein Must-have und nicht als ein Tabu.

Klingt doch nach Freiheit, oder?

Allerdings kommt die nicht von allein.

Frauen müssen sie sich schon holen. Sonst wird auch die nächste Generation Mädchen noch darauf warten müssen, dass ihre Arbeit nach Leistung entlohnt wird und nicht nach Geschlecht.

Die nackte Wahrheit

Nie hätte ich gedacht, dass eine simple Zahl mich so unfassbar wütend machen könnte.

Es ist kurz vor Weihnachten 2014, die Redaktion des ZDF-Politikmagazins, für das ich lange arbeite, trifft sich in einer rustikalen Berliner Kneipe im Prenzlauer Berg zum Fest. Die vorhergehenden Betriebsfeiern verlaufen eher trüb. Der einstige Redaktionsleiter äußert, Frauen hätten im politischen Journalismus nichts zu suchen.28 In einem Film, mit dem ihn die Redaktion zu seiner anstehenden Pensionierung satirisch-humorvoll verabschiedet, sagt er in die Kamera: »Frauen und Magazine – schwierig, ganz schwierig. Denen fehlt eben einfach die Härte. Die meisten haben ohnehin nicht gedient, die sind nicht wirklich auf Konfrontation aus. Die interessieren sich dann halt doch immer mehr so fürs Soziale.« Vor Gericht wird das ZDF später vortragen lassen, die Äußerungen habe die Redaktionsleiterin »gescriptet«.29

Eine Kollegin steht am Holztresen, neben ihr der kürzlich pensionierte Redaktionsleiter. Wer in einem solchen Team als vergleichsweise junge Redakteurin arbeitet, droht ganz unten in der Hackordnung zu landen. Da ist ein Kräftemessen mit dem ehemaligen Chef genau der richtige Move, um die Hierarchie zu klären, denkt sich wohl die Kollegin. Sie reißen einige Witze rund um sein Steckenpferd Bundeswehr. Dann fordert sie den Alten zu einer Runde Wodka auf. Er schlägt ein. Der Anfang ist gemacht.

Bald geben sich auch die aktuellen Chef*innen großzügig. Schon lange hege ich den Verdacht, als Frau schlechter bezahlt zu werden. Beschäftigt werde ich als eine von vielen sogenannten »fest-freien Mitarbeiter*innen«: Häufig eingesetzt wie Festangestellte, bekommen sie ein monatliches Fixgehalt, sind jedoch formal als freie Mitarbeiter*innen beschäftigt. Als der Sender einige Jahre zuvor einen neuen Tarifvertrag für langjährige Fest-Freie einführt, hat er mich – als einzige Frau unter neun vergleichbar Beschäftigten – schlechter einsortiert als die acht Männer.30 Erst soll ich in eine schlechtere Vergütungsgruppe rutschen, dann wird es »nur« eine niedrigere Stufe.31 Begründet wird das unter anderem mit der längeren Betriebszugehörigkeit der Kollegen. Doch schon bald gibt es Gerüchte, dass noch ein weiterer Mann, nennen wir ihn Peter, mehr verdiene. Peter ist einige Jahre jünger als ich und wechselte eindeutig nach mir ins ZDF.32

Ich nutze also die Gunst der feucht-fröhlichen Stunde – denn nüchtern habe ich den offiziellen Weg schon ausgeschöpft und Gleichstellungsbeauftragte, Chefredakteur und Personalrat erfolglos bemüht. Nach einigen Runden Wodka weiß ich: Peter verdient damals mehrere Hundert Euro im Monat mehr als ich. Und sehr viele Hundert Euro mehr als die Lieblingskollegin. Dabei hatte die kurz vor ihm beim Sender angefangen, bei gleich langer Berufserfahrung und ähnlicher Ausbildung – und vorheriger mehrjähriger Tätigkeit für ein ARD-Politikmagazin.

Mit einem Schlag ist klar: Die Gründe, die mir der Sender für meinen niedrigeren Verdienst mitgeteilt hat, können nicht zutreffen.

Neben Peter verdienen mindestens zwei weitere Kollegen mehr als ich. Dabei müssten sie nach der mir mitgeteilten Logik eigentlich weniger verdienen, auch wenn sie, wie Peter, in einem anderen Tarifvertrag für Fest-Freie beschäftigt sind. Denn sie kommen Jahre nach mir ins ZDF und verfügen über weniger einschlägige Berufserfahrung.33 Einer von ihnen arbeitet mir für eine Dokumentation zu. Immerhin verdient ein Dritter, der ein Jahr später in der Redaktion starten wird, nicht auch noch mehr. Zwischen dem Berufsanfänger und mir liegen 18 Jahre Berufserfahrung und nur einige wenige Hundert Euro im Monat.

Es sieht ganz so aus, als ob ich jahrelang falsch informiert, wenn nicht sogar bewusst angelogen wurde.

Böses Erwachen

Tage nach der Feier schwanke ich zwischen Taubheit und einer Art Kettensägen-Vision, deren Schauplatz die ZDF-Verwaltung ist. Mit dieser Reaktion bin ich nicht allein, auch wenn nur wenige Frauen öffentlich darüber sprechen, welche Emotionen der Verdacht bei ihnen auslöst, aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt zu werden. »Es ist, als wenn die Chefs Nacktbilder von dir im Büro aufgehängt hätten und jedes Mal lachen, wenn sie dich sehen«, beschreibt die Moderatorin Samira Ahmed ihr Gefühl.34 Sie wird Jahre nach mir vor Gericht ziehen und gegen die BBC gewinnen, weil sie zu Unrecht zu wenig verdient – weniger als ein Sechstel dessen, was der Kollege nach Hause trägt.

Eine meiner Kolleginnen wird sich viele Monate nach meinem persönlichen Schockmoment eines Abends unvermittelt zwischen zwei parkende Autos bücken, um sich spontan zu übergeben, als sie erfährt, dass sie weniger verdient als gleich mehrere jüngere Kollegen.

»Es hat einfach wehgetan, es war wirklich schlimm«, erzählt die Schreinermeisterin Edeltraud Walla, die 2009 erfährt, dass ein gleichwertiger Werkstattleiter im Monat gute 1300 Euro mehr verdient.35