Er, sie, ich - Angelika B. Klein - E-Book

Er, sie, ich E-Book

Angelika B. Klein

0,0

Beschreibung

Liebe - Angst - Tod ER - liebt sie, aber ignoriert die anonymen Drohungen SIE - hat Angst, dass ihre Vergangenheit sie einholt ICH - bringe den Tod Elena hatte bisher kein Glück mit ihren früheren Beziehungen, denn sie nahmen allesamt ein tragisches Ende. Als die Ben kennenlernt, schiebt sie ihre Befürchtungen beiseite und lässt sich auf ihn ein. Doch dann taucht der erste Drohbrief auf und ihr wird klar - die Vergangenheit hat sie eingeholt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 337

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Weitere Titel von Angelika B. Klein:

Leidenschaft, die dir Leiden schafft

Sehnsucht, die du sehnlichst suchst

Schuld, die dich schuldig macht

Im Schatten des Unrechts

Im Stillen

2,8 Tage

Tag Null

Autorin

Angelika B. Klein wurde 1969 geboren und lebt mit ihrem Ehemann sowie den beiden Kindern in München. Sie schreibt spannende Liebesromane für Jugendliche und Erwachsene sowie Thriller.

Alle Handlungen und Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Sollten sich einzelne Namen oder Örtlichkeiten auf reale Personen beziehen, so sind diese rein zufällig.

www.facebook.com/AngelikaB.Klein

instagram: angelikab.klein

Inhalt

Liebe – Angst- Tod

ER - liebt sie, aber ignoriert die anonymen Drohungen

SIE - hat Angst, dass ihre Vergangenheit sie einholt

ICH - bringe den Tod!

Elena hatte bisher kein Glück mit früheren Beziehungen, denn sie nahmen allesamt ein tragisches Ende. Als sie Ben kennenlernt, schiebt sie ihre Befürchtungen beiseite und lässt sich auf ihn ein.

Doch dann taucht der erste Drohbrief auf und ihr wird klar - die Vergangenheit hat sie eingeholt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Epilog

PROLOG

„Bleib stehen!“, schrie ich mein Gegenüber an und richtete die Pistole auf sein Gesicht.

„Hör zu! Ich weiß, dass das schwer für dich zu verstehen ist … aber du willst das eigentlich gar nicht.“ Beruhigend hob er seine Hände, während sein Blick meine Augen fixierte. „Leg die Waffe weg und lass uns darüber reden!“

„Noch einen Schritt näher und ich schieße!“, drohte ich angespannt.

„Schon gut! Ich bleibe, wo ich bin! Bist du sicher, dass du ihr damit einen Gefallen tust. Sie …“

„Halt dein Maul!“, fauchte ich. „Ich habe dich oft genug gewarnt! Aber du wolltest nicht hören. Tja … jetzt musst du wohl fühlen!“

Langsam schüttelte er den Kopf, sah mich verständnislos an. Jemand anderes hätte wohl Mitleid mit ihm gehabt, so schuldbewusst und überrascht wie er aussah. Aber ich ließ mich schon lange nicht mehr von vorgetäuschten Emotionen irreführen. Ich wusste, welches Tier im Innern dieses Mannes lauerte. Damit war jetzt Schluss!

„Dreh dich um!“, forderte ich ihn deutlich auf.

Verwirrt huschte sein Blick durch den Raum. „Und dann? Willst du mich etwa rücklings erschießen?“ Eine Mischung aus Angst und Fassungslosigkeit klang aus seiner Stimme.

„Dann springst du vom Balkon und lässt es wie einen Selbstmord aussehen!“, erklärte ich ruhig und emotionslos.

„WAS?“, schrie er mich panisch an. „Spinnst du jetzt total?“ In seinem Gesicht bildeten sich kleine rote Flecken, die mir eine leichte Vorahnung von dem gaben, was sich in seinem Innern abspielen musste.

„Muss ich mich wirklich wiederholen? Tu uns allen einen Gefallen und erlöse uns von deiner Anwesenheit! Niemand wird um dich trauern!“

Er öffnete den Mund, schloss ihn jedoch nach wenigen Sekunden wieder, da er kein Wort herausbrachte. Anschließend wich er einen Schritt zurück.

„Glaub mir, wenn du aus dem zehnten Stock auf dem Asphalt aufschlägst schmerzt das weniger, als wenn ich dir eine Kugel in die Brust jage! Doch sterben wirst du auf jeden Fall!“ Es gelang mir nicht wirklich, die Worte tröstlich klingen zu lassen. Dafür verachtete ich mein Gegenüber zu sehr. Ungeduldig deutete ich mit der Waffe an, dass er weitergehen solle.

Langsam drehte er sich um, schritt auf das Geländer des mittelgroßen Balkons zu, legte seine Hände auf die Brüstung und blickte nach unten. „Ich kann das nicht!“, flüsterte er in die windstille Nacht.

„Jetzt spring endlich!“, forderte ich mit Nachdruck. Ich wusste, dass mir die Zeit davonlief.

Plötzlich drehte er sich um. Aus seinen Augen schlug mir eine Entschlossenheit entgegen, die mich erschaudern ließ. Er lehnte sich an das Geländer und verschränkte selbstsicher die Arme vor seiner Brust.

„Dann musst du mich eben erschießen!“, sagte er ungewöhnlich ruhig.

„Wenn du glaubst, ich traue mich das nicht, dann irrst du dich!“

Herablassend verzog er seinen Mund zu einem Grinsen. „Ich habe keine …“

In diesem Augenblick zerriss ein Schuss die Stille.

Meine letzte Wahrnehmung galt seinem Körper, der rückwärts über die Brüstung fiel.

Im nächsten Moment versank ich in Dunkelheit.

Kapitel 1

ER

Mit Engelszungen redete Benjamin Teschner auf seine Gesprächspartnerin am Telefon ein. „Natürlich, Frau Brandner, das ist überhaupt kein Problem!“ Genervt und glücklicherweise von seiner Kundin unbemerkt, verdrehte er die Augen. Genau solche Unterhaltungen, mit äußerst anstrengenden Auftraggebern, ließen ihn ernsthaft darüber nachdenken, warum er sich ausgerechnet diesen Beruf ausgesucht hatte. Er liebte seine Tätigkeit als Architekt und Bauleiter, kam aber regelmäßig an seine Grenzen, wenn Kunden, wie Frau Brandner, im Nachhinein Wünsche äußerten, welche nur durch aufwendige Umplanungen des Bauablaufs realisiert werden konnten. Dabei war es ihm persönlich egal, dass die Umsetzung der unverhältnismäßig aufwendigen und seiner Meinung nach oftmals unsinnigen Vorstellungen der Kunden, das Bauvorhaben nicht selten um ein Vielfaches verteuerte. Schließlich verdiente er daran, wenn der Wert des Bauprojektes stieg, da er sein Honorar prozentual abrechnete. Was ihn wirklich störte und manchmal so sehr nervte, dass er sich auf die Zunge beißen und im Stillen bis zehn zählen musste, war die Tatsache, dass er sich nicht gerne vorschreiben ließ, wie er seine Arbeit zu verrichten hatte. Natürlich wusste er, dass Architekten nach den Wünschen und Vorstellungen ihrer Auftraggeber agieren mussten, jedoch fehlte ihm die Charaktereigenschaft, mit schwierigen Menschen ruhig und sachlich das Thema zu besprechen, ohne dass sein Blutdruck in gefährliche Höhen stieg.

„Das freut mich zu hören, Herr Teschner. Schließlich haben Sie selbst bei unserer ersten Besprechung einen Whirlpool auf der Dachterrasse vorgeschlagen“, trällerte Frau Brandner in den Hörer.

„Das ist richtig. Allerdings wäre es wesentlich einfacher gewesen, wenn Sie sich bereits vor Baubeginn für diesen Whirlpool entschieden hätten. Sie wollten doch ursprünglich nur einen Kunstrasen und Pflanzen auslegen“, erinnerte Benjamin seine Kundin mit gepresster Freundlichkeit. Dass er seit einem Monat seine Planung abgeschlossen, die Baugenehmigung eingereicht und die Handwerker zeitlich aufeinander abgestimmt hatte, spielte für die betagte Kundin offenbar keine Rolle.

„Aber Sie bekommen das noch hin, oder?“, wollte seine Gesprächspartnerin wissen, wobei Benjamin in diesem Moment nicht sicher war, ob es sich um eine Frage oder eine Feststellung handelte.

„Natürlich, Frau Brandner! Dafür bin ich doch da: Um Ihnen all Ihre Wünsche zu erfüllen!“, erklärte er sanftmütig, wobei er Angst hatte, seine Schleimspur könnte das Telefon außer Betrieb setzen. „Sie müssen nur leider damit rechnen, dass sich die Fertigstellung Ihrer Dachterrasse um gut einen Monat verzögert.“

„Das macht nichts! Es ist ja eh schon zu kalt für ein Bad im Freien! Geben Sie mir Bescheid, wenn die neuen Termine vorliegen?“

„Selbstverständlich! Ich melde mich bei Ihnen! Schönen Tag noch!“, beendete Benjamin das Gespräch und legte den Hörer erleichtert auf. Er drehte seinen Schreibtischstuhl zur Seite und blickte aus dem großen Fenster seines Büros im zwölften Stock eines Bürokomplexes im Münchner Norden. Langsam atmete er aus und blickte in Richtung Osten, direkt auf den Englischen Garten, der sich mit seiner bunten Blättervielfalt vor ihm erstreckte. Plötzlich klopfte es an seiner Tür. Schwungvoll wandte er sich um und erkannte den Besucher durch die Glastür.

„Störe ich dich gerade?“, kam eine schüchterne Frage durch den Türspalt.

„Hallo Dennis! Nein überhaupt nicht! Kannst du mir nachher bitte kurz die Akte Brandner holen? Die Frau macht mich fertig! Nach zwei Monaten fällt ihr plötzlich ein, dass sie einen Whirlpool auf die neue Dachterrasse will! Die spinnt doch!“, ließ Benjamin seiner Wut freien Lauf.

„Das ist doch nicht das erste Mal, dass eine Kundin ihre Wünsche ändert. Das schaffst du schon!“, versuchte Dennis seinen Vorgesetzten aufzumuntern.

„Klar! Wie immer! Was gibt es? Brauchst du was von mir?“, fragte Benjamin freundlich.

Dennis‘ Blick wanderte durch die breite Glasfront nach draußen, als müsse er sich versichern, dass kein ungebetener Gast die Unterhaltung stören würde. „Ben, äh … du weißt doch, dass ich gerade ein paar Probleme habe und …“

„Brauchst du wieder Geld?“, unterbrach Benjamin seinen Kollegen.

„Es gibt da Probleme mit einigen Typen, denen ich noch Geld schulde … und … naja, die wollen nicht mehr bis nächsten Monat warten.“

„Dennis! Ich habe dir erst vor einer Woche zweihundert Euro gegeben! Du musst endlich lernen, mit deinem Gehalt über die Runden zu kommen!“

„Das tu ich ja! Aber wie soll ich tausend Euro auf einmal aufbringen? Ich muss doch auch die Miete und den Strom bezahlen!“, jammerte Dennis.

Kopfschüttelnd saß Ben in seinem Sessel und betrachtete seinen zwei Jahre jüngeren Kollegen. Dieser hatte in seinem Leben nicht so viel Glück wie er selbst. Er hatte keine Ausbildung und offensichtlich immer noch Probleme mit den Drogendealern, welche er früher regelmäßig aufsuchte, um seinen Stoff zu besorgen. Ben hätte sich einige Probleme erspart, wenn er Dennis nicht vor drei Jahren als Bürohilfe eingestellt hätte. Andererseits wären dann möglicherweise andere Probleme auf ihn zugekommen.

„Ben, bitte! Das sind ganz unangenehme Typen! Die schneiden mir einen Finger ab oder so etwas in der Art, wenn ich die Kohle nicht rausrücke!“

„Dir ist schon klar, dass du bis zum Hals in meiner Schuld stehst? Wie willst du mir das jemals zurückzahlen?“ Ben war bewusst, dass er Dennis nicht im Stich lassen würde. Obwohl er sich jedes Mal vornahm, ihn nicht mehr aus dem Dreck zu ziehen, weil der Jüngere es sonst niemals lernen würde, brachte er es nicht übers Herz, ihn seinem Schicksal zu überlassen. Vielleicht auch deshalb, weil Dennis ein schlagendes Argument im Ärmel hatte, welches er nur im äußersten Notfall zur Sprache brachte. Aber soweit ließ es Ben selten kommen.

„Also gut! Aber das ist das letzte Mal, verstanden? Du zahlst die Typen aus und machst keine neuen Schulden mehr! Bekomm dein Leben endlich in den Griff!“

„Ja, klar! Danke, Ben! Das mache ich!“, plapperte Dennis glücklich vor sich hin.

„Ich meine das ernst! Ich habe mich vor drei Jahren für dich eingesetzt, dass du hier arbeiten kannst! Wirf das bitte nicht achtlos weg!“, kam der väterliche Rat. Trotz seines jungen Alters von erst 28 Jahren fühlte sich Ben für seinen Kollegen verantwortlich.

„Ich weiß!“, antwortete Dennis knapp.

In diesem Moment drang ein lautes Krachen von draußen ins Büroinnere. Gleichzeitig blickten beide jungen Männer hinaus ins Großraumbüro und sahen, wie sich Elena Sattler, eine junge Sekretärin, bückte, um die am Boden verstreuten Leitzordner wieder aufzuheben.

„Wow! Dieser Hintern ist zu schade, um nur auf dem Bürostuhl zu sitzen!“, bemerkte Dennis lasziv.

„Hör auf damit! Das ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz!“, reglementierte ihn sein Vorgesetzter.

„Quatsch! Solange sie es nicht hört, ist es auch keine Belästigung! Du bist doch selbst scharf auf sie! Wann gehst du endlich mal mit ihr aus? Glaubst du ich merke nicht, dass du ihr seit einem halben Jahr hinterherläufst?“ Dennis konnte die Zurückhaltung seines gutaussehenden Freundes nicht verstehen. Daher traf ihn der abwertende Blick auch unvorbereitet, welchem er jedoch mit einem wissenden Lächeln entgegnete.

„Raus jetzt!“, befahl Ben streng. „Glaube nicht, dass mir dein Rat im Umgang mit Frauen tausend Euro wert ist!“ Mit einem affektierten Grinsen beendete er das Gespräch.

Nachdem Dennis das Büro verlassen hatte, lehnte sich Ben in seinem Stuhl zurück und beobachtete die hübsche Sekretärin. Elena hatte vor genau sieben Monaten im Architekturbüro Seiler angefangen und seitdem kontinuierlich seine Einladungen ausgeschlagen. Das musste sich jetzt endlich ändern!

Kapitel 2

SIE

Elena Sattler erhob sich vom Boden und spürte augenblicklich die Blicke ihrer Kollegen auf ihrem Rücken. Mit rotem Kopf ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und widmete sich wieder dem Schriftsatz, an welchem sie vor dem unglücklichen Missgeschick mit den Leitzordnern arbeitete.

„Alles in Ordnung?“, fragte Dennis fürsorglich, als er gerade an ihrem Tisch vorbeiging.

„Nichts passiert, danke! Die Ordner sind nur runtergerutscht“, antwortete Elena schüchtern.

Obwohl sie bereits seit über einem halben Jahr in diesem Büro beschäftigt war, hatte sie es noch nicht geschafft, ihre Unsicherheit und Zurückhaltung gegenüber den Kollegen abzulegen. Sie hatte tief in ihrem Inneren Angst, freundschaftliche Gefühle für die Anwesenden zu entwickeln. Abends, wenn sie alleine in ihrer Wohnung saß, hasste sie sich dafür, dass sie erneut eine wohlwollende Essenseinladung von Dennis oder Katharina ausgeschlagen hatte. Einerseits sehnte sie sich nach Freunden, mit welchen sie sich unbeschwert unterhalten konnte, andererseits war ihre Furcht vor zu viel Nähe tief verwurzelt. Vor zehn Jahren hätte sie nie für möglich gehalten, dass sie im Alter von 25 Jahren alleine wohnen würde und Angst davor hätte, mit Kollegen ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Aber in den letzten zehn Jahren war viel passiert. Das Leben schrieb seine eigenen Regeln – und diese Regeln wollte sie nicht brechen.

„Elena?“ Unvermittelt wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Hektisch blicke sie auf und sah im nächsten Moment ins Gesicht ihres Chefs.

„Ja?“

„Könntest du kurz zu mir ins Büro kommen?“, fragte Ben leise.

Schlagartig wurden ihre Hände feucht und in ihrem Bauch bildete sich ein Knoten, den sie nicht zum ersten Mal spürte. Sie hoffte, dass Ben sie wegen einem geschäftlichen Gespräch zu sich ins Büro beorderte. In den letzten Monaten bat er sie des Öfteren um Dates, welche sie jedoch kontinuierlich ausschlug. Es war nicht so, dass sie Ben nicht attraktiv fand – im Gegenteil. Er war genau ihr Typ, aber es gab ein alles beherrschendes Argument, welches gegen ihn sprach.

„Setz dich, bitte!“, bat Ben seine Sekretärin.

Mit steifem Rücken und geschlossenen Beinen ließ sich Elena auf dem bequemen Lederstuhl nieder. Ihre Hände legte sie unruhig in ihren Schoß.

„Ich habe eine Bitte an dich und hoffe, dass du mir helfen kannst!“, leitete Ben das Gespräch ein.

Oh nein! Er will erneut mit mir Essen gehen!

„Wenn du mich wieder …“, brach sie unsicher ab.

Abwartend beobachtete Ben sie. „Wenn ich was wieder?“, hakte er neugierig nach.

Verärgert blickte sie ihn an. „Du weißt genau, was ich meine!“

„Ach so! Du glaubst, ich möchte dich wieder um ein Date bitten?“, lächelte Ben amüsiert.

„Willst du nicht?“

„Natürlich will ich! Aber ich werde es nicht tun, weil selbst ich nach zehn Abfuhren kapiere, dass ich nicht dein Typ bin. Einen Rest Selbstwertgefühl möchte ich noch behalten!“, erklärte er resigniert.

„Das tut mir leid, aber …“

„Ist schon in Ordnung! Ich brauche dich morgen Abend für ein Kundengespräch!“, unterbrach Ben sie.

„Ein Kundengespräch? Am Abend?“ Elena war verwirrt.

„Sagt dir der Name Schmitz etwas?“, fragte er ruhig.

„Von Schmitz & Schmitz?“

„Genau der! Harry Schmitz junior möchte ein neues Bürogebäude bauen und zieht in Erwägung, uns den Auftrag zu erteilen.“

„Das ist ja super!“, freute sich Elena ehrlich. „Aber muss es unbedingt ein Abendessen sein? Warum kann das Gespräch nicht mittags stattfinden, wie bisher?“ Ihr widerstrebte es, abends mit ihrem Chef zu einem Geschäftsessen zu gehen. Das kam einem Date doch sehr nahe. Mittags war die Zeit begrenzt und sie mussten anschließend noch ins Büro, aber nach einem Abendessen lag die ganze Nacht vor ihnen und da konnte so viel passieren…

„Elena! Hörst du mir noch zu?“, riss Ben sie aus ihren Gedanken.

„Sorry, ich war gerade …“ Nervös blickte sie zur Seite.

„Ich möchte dich als meine Begleitung dabeihaben!“, klärte er sie behutsam auf.

„Als deine Begleitung? Ich soll also keine Notizen machen?“, entgegnete sie argwöhnisch.

„Bist du wirklich so naiv oder spielst du nur sehr gut? Harry Schmitz junior kommt für zwei Tage nach München, um ein geeignetes Architekturbüro für sein großes Bauvorhaben zu finden. Er möchte dazu am Abend mit seiner Frau und mir zum Essen gehen. Und anscheinend geht er davon aus, dass ich liiert bin, weil er meine Freundin gleich mit eingeladen hat.“

„Warum hast du dann nicht klargestellt, dass du Single bist?“, platzte es aus Elena heraus. Im nächsten Moment biss sie sich auf die Lippe. Woher nahm sie plötzlich den Mut ihren Chef zu kritisieren? War er überhaupt noch Single?

„Warum regst du dich darüber so auf?“, stellte Ben die Frage, welche ihr als nächste in den Sinn kam.

Richtig! Warum rege ich mich überhaupt so auf?

„Ich kann nicht mit dir zum Abendessen gehen!“, antwortete sie prompt.

„Warum?“

„Aus dem gleichen Grund, warum ich deine Einladungen nicht angenommen habe!“, erklärte sie bestimmt und fühlte, wie ihr Fluchtreflex wuchs.

„Warum?“

„Weil … weil … das kann ich dir nicht sagen!“ Verärgert stellte sie fest, dass sich Tränen in ihren Augen bildeten.

Besorgt stand Ben auf, ging um den Schreibtisch herum und beugte sich zu Elena hinunter. „Warum hast du solche Angst, es mir zu sagen?“, fragte er erneut, mit einfühlsamer Stimme.

Ihre Blicke trafen sich und Elena sah nur zwei Optionen: Entweder sie rannte augenblicklich aus dem Büro oder sie erzählte ihm die Wahrheit! Sie entschied sich für die schwierigere Variante.

„Ich habe keine guten Erfahrungen gemacht, wenn ich mit Männern zusammen war!“, flüsterte sie zurückhaltend.

„Wie meinst du das? Haben sie dich verletzt?“ Ben befürchtete das Schlimmste.

„Nein! Ich glaube, ich habe ein schlechtes Karma! Ich bringe Menschen, die mir zu nahe kommen nur Unglück!“

Schnaubend lachte Ben. „Das ist doch Quatsch! Daran glaubst du? Haben diese Menschen im Lotto verloren oder sich beim Joggen verletzt?“ Als sich ihre Blicke trafen, wusste er augenblicklich, dass sein Scherz ins Leere ging.

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Sie sind tot!“

Kapitel 3

ER

„Das ist ein Scherz, oder?“, fragte er unsicher.

Ihr stummes Kopfschütteln gab ihm die Antwort.

„Was ist passiert?“, wollte er entsetzt wissen.

„Das ist kompliziert, ich …“

Plötzlich klopfte es an der Tür und im nächsten Moment steckte Dennis seinen Kopf ins Büro. „Störe ich gerade?“, fragte er unnötigerweise.

„Was ist?“, fauchte Ben genervt.

„Du wolltest doch die Brandner Akte!“, antwortete der Jüngere verständnislos und reichte seinem Vorgesetzten den Leitzordner.

„Richtig! Danke!“

„Ist alles in Ordnung?“, wandte sich der Bürogehilfe an seine Kollegin, die zusammengesunken auf ihrem Stuhl saß.

Ben schob Dennis unmissverständlich Richtung Ausgang. „Es ist alles gut! Kannst du jetzt bitte wieder gehen?“

Nachdem sich die Glastür wieder geschlossen hatte, stand Elena plötzlich auf.

„Ich gehe jetzt besser“, stammelte sie unsicher, während sie fluchtartig das Büro verließ.

„Elena!“, rief Ben ihr hinterher, erhielt aber keine Antwort.

Nachdenklich ließ Ben sich auf seinen Sessel fallen, griff nach der Akte auf seinem Tisch und blätterte gedankenverloren darin.

„Verdammt!“ Wütend schob er die Papiere von sich. Er musste sich eigentlich um die Belange seiner Kundin kümmern, konnte sich jedoch mit keinem einzigen Gedanken darauf konzentrieren. Sein Verstand kreiste nur um Elena sowie den drei kleinen Worten, die sich ihm seit dem Gespräch in sein Gedächtnis gebrannt hatten. Sie sind tot!

War das ihr Ernst? Vielleicht meinte sie es sinngemäß, dass die Typen für sie gestorben seien, weil sie Streit mit ihnen hatte? Oder sie war einfach so wütend auf ihre Ex-Freunde, dass sie ihnen bildlich den Tod an den Hals wünschte? Er wollte unbedingt noch einmal mit ihr darüber sprechen! Nachdem sie jeglichen privaten Kontakt zu ihm ablehnte, musste er sie dazu bringen, ihn zu dem morgigen Abendessen mit dem potentiellen neuen Kunden zu begleiten. Auf der Heimfahrt würde er sie dann erneut auf ihre mysteriöse Aussage ansprechen.

Schließlich schaffte Ben es doch noch, sich auf den Fall Brandner zu konzentrieren und die nötigen Neuberechnungen und Planungen zu erstellen, damit die betuchte Kundin ihren gewünschten Whirlpool auf der Dachterrasse bekam.

Kurz vor Büroschluss drückte er die interne Nummer für Elenas Apparat. Als diese abnahm, konnte er sie durch die Glasscheibe seines Büros beobachten.

„Kannst du bitte nochmal kurz zu mir kommen?“, fragte Ben freundlich, wobei er sie nicht aus den Augen ließ.

Als sich ihre Blicke trafen, legte Elena wortlos auf und erhob sich.

„Du wolltest mich sprechen?“, eröffnete sie einen Moment später geschäftsmäßig das Gespräch.

„Es tut mir leid, dass wir vorhin von Dennis unterbrochen wurden. Ich würde gerne mehr …“

„Ich glaube nicht, dass ich das hier im Büro besprechen möchte. Das sind meine privaten Probleme, die haben hier nichts zu suchen!“, unterbrach Elena ihn rasch.

„In Ordnung, das respektiere ich. Aber könntest du dich vielleicht doch dazu entschließen, mich morgen Abend zu begleiten? Es liegt mir sehr viel daran, dass ich nicht alleine bei diesem Meeting auftauche. Glaube mir, es kommt bei einem Kunden, der seine eigene Frau zu einem Abendessen mitbringt, einfach besser an, wenn auch ich eine Begleitung an meiner Seite habe.“

„Ich habe dir doch schon erklärt, dass ich nicht mitkommen kann!“, entgegnete Elena hartnäckig.

„Ich verstehe aber nicht, was der Unterschied zwischen einem Mittagessen und einem Abendessen ist!“, warf er ihr barsch vor.

„Das verstehst du nicht?“, wandte sie überrascht ein.

„Doch, natürlich weiß ich was der Unterschied ist! Aber du warst unzählige Male mit mir mittags unterwegs bei Kunden, was ist am Abend so viel anders?“, fragte er verständnislos.

„Der Abend ist länger!“

Verwirrt starrte Ben die junge Frau an. „Ja, und? Dann sitzen wir eben zwei oder drei Stunden mit dem Kunden zusammen! Wo ist das Problem?“

Genervt verdrehte sie die Augen. War er wirklich so begriffsstutzig oder wollte er es einfach nicht kapieren? „Wenn wir mittags zu Kunden fahren, müssen wir hinterher wieder ins Büro. Es ist rein geschäftlich, verstehst du? Aber am Abend, wenn der Kunde sich verabschiedet hat, dann … wird es privat!“

Mit großen Augen starrte Ben sie an. „Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Nein! Ich habe dir doch vorhin schon erklärt, warum es ein Problem für mich ist, mich mit einem Mann privat zu treffen!“

„Eben nicht! Du hast mir überhaupt nichts erklärt! Elena! Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich dich nach dem Essen sofort nach Hause fahre. Ich habe keine Ambitionen dich zu verführen oder dich über dein Privatleben auszuquetschen! Alles was ich will, ist, dass du mich zu diesem Termin begleitest!“, erklärte er überzeugender als er es meinte. Ihm wurde dieses Spiel langsam zu albern. Natürlich hatte er auch ein privates Interesse an Elena, allerdings, wenn sie so verkorkst war, wie sie sich gerade gab, verzichtete er auf ein näheres Kennenlernen.

„Und wie soll das dann ablaufen?“, fragte sie kleinlaut.

„Du ziehst dir ein schönes Kleid an, ich hole dich ab und wir treffen uns mit dem Kunden im Restaurant“, zählte Ben erleichtert auf.

„Soll ich dann deine Freundin spielen?“, fragte sie wenig begeistert.

„Nein! Du sollst als meine Kollegin auftreten!“

„Kollegin? Ich habe, im Gegensatz zu dir, kein Architekturstudium absolviert!“

Jetzt war es Ben, der genervt die Augen verdrehte. „Ich kann dich auch als meine Sekretärin vorstellen, wenn dir das lieber ist.“

„Je näher wir an der Wahrheit bleiben, desto einfacher ist es“, erklärte sie bestimmt.

Drei Stunden später saß Ben auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer und starrte auf den Fernseher. Bei einem kalten Bier und scharfem Thai-Curry vom Inder um die Ecke, wollte er seinen Feierabend mit dem neuen Blockbuster auf ProSieben ausklingen lassen. Leider gelang ihm das nicht einmal ansatzweise. Seine Gedanken schweiften regelmäßig zu Elena ab. Obwohl er nicht auf komplizierte Beziehungen stand und ihm Elenas Denkweise ziemlich gegen den Strich ging, packte ihn eine Faszination an ihr, die weit über ihr gutes Aussehen hinausging. Er war bisher nie der emotionale Typ gewesen, der sich mit Romanzen und überschwänglichen Worten abgab. Vielleicht legte er in seinem jetzigen Leben Wert auf Ordnung und Klarheit, weil seine Jugend nicht so geradlinig verlief, wie er es sich gewünscht hätte. Nach seinem Architekturstudium zog er von Berlin nach München, fand nach mehreren Bewerbungen eine Anstellung im Architekturbüro Seiler und arbeitete sich dort in den letzten fünf Jahren zum Projektleiter mit drei Angestellten hoch. Er bewohnte ein hübsches Reihenhaus in Garching, einem Vorort von München und strebte an, irgendwann sein eigenes Haus zu entwerfen und zu bauen. Seine Beziehungen zu Frauen gingen über den Stand einer Affäre nie hinaus, da er seine ganze Energie in seine Arbeit steckte. An den Wochenenden traf er sich meistens mit seinem besten Freund, Tim, der sein Vertrauter in jeder Hinsicht war. Oftmals waren auch noch andere Bekannte dabei, Freunde und Freundinnen von Tim, die allesamt etwas davon verstanden, einem vielbeschäftigten Architekten für einige Stunden die Sorgen aus dem Kopf zu verscheuchen.

Als er es irgendwann schließlich doch schaffte, sich auf den Film im Flimmerkasten zu konzentrieren, läutete es an der Haustüre.

„Dennis? Wie schaust du denn aus? Was ist passiert?“, rief er besorgt und hielt seinem Kollegen die Tür auf. Dennis lief ins Wohnzimmer und fiel auf den erstbesten Stuhl.

„Ich habe ein Problem, Ben!“, jammerte er, während er behutsam sein blutiges Kinn abtastete.

„Wer hat dich so zugerichtet?“, wollte Ben neugierig wissen.

„Diese Schweine! Sie haben mir vor meiner Wohnung aufgelauert! Ich habe ihnen erklärt, dass sie das Geld in den nächsten Tagen bekommen, aber …“. Mit schmerzverzerrtem Gesicht brach er ab.

„Was aber? Wollen sie nicht warten?“

„Sie wollen mehr!“

„Wie meinst du das, sie wollen mehr? Du hast doch gesagt, du schuldest ihnen tausend Euro! Wollen sie Zinsen?“, hakte Ben überrascht nach.

„Keine Zinsen! Sie wollen zehntausend Euro!“

„Zehntausend? Warum das denn?“ Irritiert schüttelte Ben den Kopf.

„Mann! Weil ich ihnen diesen Betrag schulde! Jetzt wo sie wissen, dass ich mir von jemandem Geld leihen kann, wollen sie auf einmal sofort die gesamte Summe!“ Dennis war seine Verzweiflung anzusehen.

Abschätzend betrachtete Ben seinen Besucher. „Du hast zehntausend Euro Schulden bei den Typen? Wie konnte so viel zusammenkommen? Ich habe dir in den letzten zwei Jahren immer wieder Geld geliehen, welches ich übrigens kein einziges Mal zurückbekommen habe. Aber mehrere tausend Euro? Dennis!“

„Es ist halt teuer, wenn man sein Leben genießt!“, erklärte der Verletzte ausweichend.

„Du nimmst wieder Drogen, stimmt‘s?“, konfrontierte Ben ihn ohne Rücksicht.

„Ja … aber nur manchmal … wenn ich nicht schlafen kann!“

„Sag mal, spinnst du?“, schrie Ben ungehalten. „Als ich dir den Job verschafft habe, war ich da nicht deutlich genug? Ich sagte: Keine Drogen mehr! Ich habe einen Ruf in der Firma zu verlieren, wenn ich Junkies einstelle! Ich sollte dich sofort feuern!“

„Ich bin doch kein Heroin-Junkie! Ich brauche nur abends was zum Einschlafen und morgens, damit ich wach werde. Und an den Wochenenden feiere ich manchmal mit meinen Freunden“, fügte er leise hinzu.

„Mit Freunden, die selbst keine Kohle haben, vermute ich? Verdammt! Du weißt, wo das enden kann, wenn du wieder abhängig wirst!“ Ben war stinksauer. Er kannte Dennis aus den Zeiten, als er selbst sein Leben noch nicht im Griff hatte - bevor er nach München kam und sich ein solides Leben aufbaute.

„Bitte, Ben! Es ist das letzte Mal, dass ich dich anpumpe, das verspreche ich! Ich zahle dir die Hälfte meines Gehaltes monatlich zurück!“, flehte der Jüngere mit Tränen in den Augen.

„Das geht nicht! Ich habe das Geld nicht!“ Selbst wenn Ben wollte, konnte er Dennis diesen Betrag nicht geben.

„Aber du hast dieses Haus und ein cooles Auto vor der Tür. Willst du mir ernsthaft erzählen, dass du keine zehntausend Euro auf dem Konto hast?“ Ungläubig starrte Dennis seinen Chef an.

„Das Haus ist gemietet und dafür zahle ich einen ganzen Batzen Geld im Monat! Mein Auto ist ein drei Jahre alter Mazda MX5, den ich ebenfalls noch abbezahle. Und auch wenn du es mir nicht glaubst, ich habe wirklich nicht so viel Geld auf der Seite. Nimm doch einen Kredit bei der Bank auf! Du hast eine feste Arbeitsstelle, da dürfte es kein Problem sein, ein Darlehen zu bekommen“, schlug Ben vor.

„Ich bekomme keinen Kredit mehr! Ich habe letztes Jahr schon einen aufgenommen, den ich kaum zurückzahlen kann“, gab Dennis kleinlaut zu.

„Wozu brauchst du so viel Geld? Allein für Drogen kann das doch nicht draufgehen!“, schrie Ben fassungslos.

„Hast du eine Ahnung!“, antwortete Dennis gelassen. „Die bringen mich um, wenn ich nicht zahle!“

„Dann geh zur Polizei und zeig die Typen an! Falls sie dir etwas antun, weiß die Polizei wenigstens wer es war!“

„Sehr beruhigend! Hast du noch mehr so tolle Ratschläge auf Lager?“

„Nein! Aber es tut mir leid, ich kann dir dieses Mal nicht helfen!“ Ben ging zur Haustüre.

„Wirfst du mich etwa raus?“, rief Dennis ihm ungläubig hinterher.

„Ich glaube es ist besser, wenn du jetzt gehst! Ich bin weder dein Vater noch dein Babysitter. Wenn ich dich jedes Mal aus dem Dreck ziehe, lernst du nie, selbst auf den Beinen zu stehen.“

„Ich tue das nur ungern, Ben, aber ich glaube nicht, dass es dem alten Seiler gefällt, wenn er von deiner Vergangenheit erfährt“, warnte Dennis gereizt.

Mit einem schnellen Schritt baute sich Ben vor seinem Besucher auf. „Willst du mir etwa drohen? Nach allem, was ich für dich getan habe?“

„Ich habe nichts mehr zu verlieren, du aber schon.“

„Niemand wird einem Junkie glauben. Und denke daran, dass du deine eigene Zukunft in der Firma aufs Spiel setzt. Wenn du meine Vergangenheit ans Licht zerrst, bist auch du deinen Job los. Also überleg dir gut, ob du aus dem Nähkästchen plaudern willst.“ Nur mit großer Mühe konnte Ben sich beherrschen. Am liebsten hätte er das beendet, was die Geldeintreiber begonnen haben.

Ohne ein weiteres Wort stürmte Dennis aus dem Haus und lief die dunkle Straße hinunter.

Kapitel 4

SIE

Sie war wieder ein Kind, neun Jahre alt, und saß in der Küche auf dem brauen Holzstuhl mit der gepolsterten Rückenlehne. Ihre Eltern stritten, sie konnte aber nicht verstehen, um was es ging. Sie hörte ihren Namen, drehte sich um und sah ihre Mutter, wie sie mit dem großen Küchenmesser, welches sie normalerweise benutzte, um Fleisch zu zerkleinern, vor ihrem Vater stand. Dieser hob beschwichtigend die Hände und redete auf ihre Mutter ein. „Claudia, leg das Messer weg! Wir können doch in Ruhe darüber reden!“ Im nächsten Moment stach ihre Mutter zu. Ihr Vater brach, mit dem Messer in der Brust, zusammen.

Schreiend wachte Elena auf dem Sofa ihrer Zweizimmerwohnung in Neuperlach auf. Verdammt! Immer der gleiche Traum! Schwer atmend erhob sie sich und ging auf den Balkon. Eine wolkenlose Nacht zeichnete sich am Himmel ab. Beim Blick vom zehnten Stock in die Tiefe erkannte sie die einzelnen bunten Blätter, welche den Gehweg überzogen. Fröstelnd schlug sie die Arme um ihren schlanken Körper und ging wieder hinein.

Auf dem Weg ins Schlafzimmer blieb sie vor dem Wandspiegel im Flur stehen und betrachtete sich. Ihre großen braunen Augen blickten ihr müde entgegen, während ihr langes dunkles Haar durch den ungewollten Schlaf in alle Richtungen stand. Ihr Blick blieb an dem kleinen Herz oberhalb ihrer linken Brust hängen. Ein Tattoo, welches an vergangene Zeiten erinnerte. T&E. Tobias! Schlagartig spürte sie die Trauer, die in ihr heranwuchs. Sie hatte ihn geliebt! Sie hatte bisher drei Beziehungen und kann guten Gewissens behaupten, dass keine davon nur eine Affäre war. Sie hat jeden dieser jungen Männer wirklich geliebt und wurde, soweit sie wusste, auch von diesen aufrichtig verehrt. Bis es dann passierte … jedes Mal … unaufhaltsam.

Schnell schüttelte sie die belastenden Gedanken ab und stürmte ins Schlafzimmer.

Dort öffnete sie den Kleiderschrank und ging die in Frage kommenden Outfits für den morgigen Abend durch. Obwohl sie sich ärgerte, dass sie sich von Ben zu dem Abendessen überreden ließ, war sie doch froh, einmal wieder abends ausgehen zu können. Ihre aktuellen Freundschaften beschränkten sich auf Mia und Lena, die sie aus Kindheitstagen kannte. Obwohl sie noch regelmäßigen und regen Kontakt über Skype pflegten, waren persönliche Treffen äußerst selten geworden. Mia zog bereits mit 16 Jahren mit ihren Eltern nach Frankfurt, wo sie mittlerweile erfolgreich als Künstlerin arbeitete. Lena dagegen ging nach ihrem Abitur nach Berlin, wo sie ein Medizinstudium begann und seit kurzem plante, ihren langjährigen Freund zu heiraten. Dreimal im Jahr, an den jeweiligen Geburtstagen der Freundinnen, fand traditionell ein Skype-Frühstück statt, an welchem alle drei Frauen vor ihren PCs saßen und dem jeweiligen Geburtstagskind ein Ständchen sangen.

Vor drei Jahren, nach dem Tod ihres letzten Freundes, zog Elena sich komplett zurück. Die Skype-Treffen waren, neben der täglichen Arbeit, die einzigen Zeiten, in welchen sie sich aus ihren vier Wänden traute. Als sie vor sieben Monaten bei Ben die Stelle als Sekretärin antrat, hatte sie seit langem wieder dieses Kribbeln im Bauch. Sie fand ihn von Anfang an unglaublich anziehend, sexy und charmant. Doch mit diesen Gefühlen kamen auch wieder die Erinnerungen an die Vergangenheit. Sofort zog sich ihr Magen zusammen, zerquetschte die flatternden Schmetterlinge und ließ einen schmerzhaften Knoten zurück. Ihr Interesse an Ben durfte nicht über das eines x-beliebigen Kollegen hinausgehen. Sie wusste, sie würde sein Leben riskieren, wenn ihre Gefühle für ihn stärker würden. Dabei war sie sich sicher, dass es keine Rolle spielte, was er für sie empfand – wichtig war nur, dass er ihr gleichgültig blieb.

Jetzt musste sie es nur noch schaffen, einen schönen Abend mit ihrem Chef und dem neuen Kunden zu verbringen, ohne sich in den gutaussehenden Mann an ihrer Seite zu verlieben. In der Firma stand sie jeden Tag aufs Neue der Herausforderung gegenüber, Ben, dessen Büro genau in ihrem Blickfeld lag und dummerweise eine Glaswand und keine blickdichte Mauer hatte, zu ignorieren. Glücklicherweise hatte sie genug Arbeit, um ihren Fantasien und Träumereien keinen Freiraum zu gewähren.

Elena zog ein rotes ärmelloses Kleid aus dem Schrank und stellte sich vor den Spiegel. Mit einer Hand drückte sie den Stoff an ihren Oberkörper, mit der anderen hielt sie ihre Haare hoch. Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob dieses Outfit nicht zu aufreizend wirken könnte. Im nächsten Moment ignorierte sie jedoch ihre innere Stimme. Was soll schon passieren? Wir sind ja nicht alleine! Wichtig war einzig und allein, dass sie einen klaren Kopf behielt und keine tieferen Gefühle für ihn entwickelte. Denn nur dann konnte es gefährlich für ihn werden!

Kapitel 5

ICH

Es ist dunkel, kalt und leichter Regen nieselt auf die Erde. Aber das kann mich nicht davon abhalten, dich zu beobachten. Ich sehe dich durch das hell erleuchtete Fenster, wie du mit einer Flasche Bier in der Hand im Wohnzimmer auf und ab gehst. Offenbar hat dich der vor kurzem verlassene Besuch sehr aufgewühlt.

Wie gerne würde ich jetzt zu dir gehen – dir meine Meinung sagen und dich leiden sehen!

Aber ich halte mich zurück. Noch ist es nicht soweit!

Solange du dich an die Spielregeln hältst, werde ich nicht eingreifen!

Aber solltest du gegen sie verstoßen – dann wirst du sterben!

Kapitel 6

ER

Am nächsten Morgen kam Ben pünktlich ins Büro. Er tippte beim Vorbeigehen Dennis an die Schulter und gab ihm zu verstehen, dass er ihm folgen solle. In der kleinen Küche am Ende des Ganges wartete er auf ihn.

„Guten Morgen! Wie geht es deinem Kinn?“, begrüßte er seinen Kollegen freundlich.

„Was kümmert dich das?“, blaffte Dennis beleidigt zurück.

Langsam, möglichst unauffällig, zog Ben ein Kuvert aus seiner Jackentasche und übergab es ihm. „Hier nimm! Mehr geht momentan leider nicht!“

„Was ist das?“, kam die erstaunte Frage.

„Was wohl? Ich gebe dir das Geld, wie versprochen!“, flüsterte Ben verschwörerisch.

„Zehntausend?“, zischte Dennis erstaunt.

„Nein! Ich habe dir doch gestern gesagt, dass ich nicht so viel habe. Gib den Typen den Tausender und sag ihnen, sie sollen sich gedulden!“

„Besorgst du mir den Rest?“, hakte Dennis hoffnungsvoll nach.

Bens angewiderter Blick traf ihn mit einem Schlag. „Nein! Darum musst du dich selbst kümmern. Aber möglicherweise kannst du die Typen damit hinhalten und hast etwas mehr Zeit!“

„Ben! Du weißt, dass ich das nicht schaffe! Und du hast mir jede Unterstützung zugesagt, damit ich dem Seiler gegenüber den Mund halte! Erinnerst du dich?“

„Hör auf mir zu drohen! Ich weiß, was ich dir versprochen habe. Trotzdem finde ich, solltest du zuerst selbst versuchen, das Geld zurückzuzahlen“, entgegnete Ben leise. „Ich …“.

Plötzlich hörten sie die lauten Schritte von hochhackigen Schuhen, bevor die dazugehörige Stimme durch die Küche trällerte. „Guten Morgen ihr beiden! Habt ihr ein Geheimnis, oder warum tuschelt ihr so?“, wollte Katharina Pabel wissen. Sie gehörte seit zwei Jahren zu Bens Team und war eine ausgezeichnete Architektin. Er schätzte sie wegen ihrer Kreativität und der hohen Leistungsbereitschaft, mit welcher sie sich in die einzelnen Projekte stürzte. Eine ihrer Eigenschaften war es, nicht locker zu lassen, bis sie die Angelegenheit zu ihrer vollen Zufriedenheit erledigt hatte. Leider brachte eben diese Hartnäckigkeit Ben seit einigen Monaten in Bedrängnis. Nachdem er vor einem Jahr eine heftige Affäre mit Katharina begonnen hatte, wollte er diese einige Wochen nach Elenas Erscheinen beenden. Katharina war jedoch nicht der Typ Frau, die kampflos ihren Traummann aufgab. Sie umwarb ihn in der Firma, stand am Wochenende unangemeldet im Regen vor seiner Haustür oder bombardierte seine Mailbox mit Nachrichten. Dass sie damit das ein oder andere Mal Erfolg hatte und zu ihrer Freude in Bens Bett landete, machte es für ihn nicht leichter. Denn mit jedem Erfolgserlebnis stieg ihre Verbissenheit und ihr Einfallsreichtum, an ihr Ziel zu kommen. Kurzum: Sie wurde zur Stalkerin!

„Kathy? Hattest du Sehnsucht nach mir?“, wandte Dennis sich übermütig an die schöne Frau mit ihren langen schwarzen Haaren und den roten Lippen.

„Sicher nicht!“, antwortete sie abfällig und bedachte ihn mit dem entsprechenden Blick. Dennis wusste, dass die beiden eine Affäre hatten, regte sich aber nicht sonderlich darüber auf, da Katharina überhaupt nicht sein Typ war. Er schätzte sie lediglich als Kollegin, hielt sie jedoch privat für eine über Leichen gehende Nymphomanin. Mit solchen Frauen konnte er überhaupt nichts anfangen. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, was Ben an ihr fand. Allerdings war dieses Thema auch nie Gesprächsstoff zwischen den beiden Männern gewesen. Lächelnd verließ Dennis die Küche.

„Guten Morgen, Ben!“, sagte sie freundlich. „Wolltest du mich nicht gestern Abend anrufen?“

„Wollte ich das? Ich kann mich nicht erinnern. Außerdem hatte ich keine Zeit!“, erklärte Ben mürrisch, während er den Wasserkocher auffüllte.

„Tatsächlich? Warst du nicht alleine zu Hause und hast dich gelangweilt?“

Irritiert drehte Ben seinen Kopf zu ihr. „Nein, war ich nicht!“

Langsam trat Katharina an ihn heran und drückte ihren Körper deutlich an seine Seite. „Ben!“, flüsterte sie ihm zu. „Warum machst du es dir so schwer? Ich möchte doch keine Beziehung mit dir, nur etwas Spaß!“

„Du meinst wohl eher Sex?“

„Ja, den auch! Du weißt doch selbst, dass du nicht von mir loskommst. Du verfällst mir immer wieder!“ Zärtlich strich ihre Hand über seinen Rücken bis zum Hosenansatz.

„Das ist jetzt vorbei! Endgültig!“ Ruckartig wandte Ben sich von ihr ab.

„Was ist mit dem Treffen heute Abend? Harry Schmitz bringt seine Frau zum Essen mit! Du brauchst eine Begleitung!“, erinnerte sie ihn gewissenhaft mit eindeutigen Hintergedanken.

„Danke für das Angebot, aber ich habe bereits eine Begleitung!“ Lächelnd schob Ben sich an ihr vorbei.

„Wen?“, rief sie überrascht aus, erhielt jedoch keine Antwort mehr, da er bereits auf dem Weg zu seinem Büro war.

Nachdem Ben sich auf seinem Schreibtischstuhl niedergelassen hatte, schaute er verstohlen durch die Glasscheibe zu Elena. Sie telefonierte gerade und notierte gewissenhaft die Auskünfte, welche sie von ihrem Gesprächspartner erhielt. Als sein Blick ein Stück nach links glitt, erblickte er Katharina, die all ihre Wut, Eifersucht und Kränkung in ihren Augen zu verknüpfen versuchte. Offensichtlich erwog sie, die gebündelte Kraft der Emotionen durch die Glasscheibe direkt in sein Herz zu schießen, so jedenfalls fühlte es sich für ihn an.

Glücklicherweise war Ben den gesamten Tag über mit Telefonaten und Terminen beschäftigt, so dass er dieses morgendliche Gespräch schnell vergaß. Bevor er das Büro verließ, trat er an Elenas Tisch heran. „Passt es dir, wenn ich dich um sieben Uhr abhole?“

Nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr antwortet sie: „Könnte knapp werden, aber ich schaffe das schon.“

„Dann geh heute einfach etwas früher nach Hause! Im Prinzip ist es ja ein geschäftlicher Termin, also arbeitest du die Zeit heute Abend eh wieder rein!“, bemerkte er mit einem Augenzwinkern.

„Danke, das nehme ich gerne an.“

Keiner von beiden bemerkte, dass Katharina die Situation mit Argusaugen beobachtet hatte. Das machst du nicht mit mir, mein Lieber!, schwor sie sich im Stillen, bevor sie zu ihrem Handy griff.

Kapitel 7

SIE