Im Schatten des Unrechts - Angelika B. Klein - E-Book

Im Schatten des Unrechts E-Book

Angelika B. Klein

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Beschreibung

Zur falschen Zeit - am falschen Ort! Aufgrund von Lügen und Intrigen gerät Samantha Reich in die Fänge der Justiz und wird unschuldig zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Während dieser Zeit reift in ihr nur ein Gedanke heran: Sie will Gerechtigkeit! Sie ist fest entschlossen, nach ihrer Entlassung, den wahren Mörder zu finden und sich, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, an ihm zu rächen. Um ihren Plan ausführen zu können, benötigt sie jedoch die Hilfe eines jungen Mannes, dessen Vergangenheit alles andere als vorbildlich ist.

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Weitere Titel von Angelika B. Klein:Leidenschaft, die dir Leiden schafft Sehnsucht, die du sehnlichst suchst Schuld, die dich schuldig macht

Autorin

Angelika B. Klein wurde 1969 geboren und lebt mit ihrem Ehemann sowie den beiden Kindern in München. Sie schreibt spannende Liebesromane für Jugendliche und Erwachsene.

Alle Handlungen und Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Sollten sich einzelne Namen oder Örtlichkeiten auf reale Personen beziehen, so sind diese rein zufällig.

www.facebook.com/AngelikaB.Klein

Das Gesetz hat die Menschen niemals gerechter gemacht; im Gegenteil, infolge der Achtung vor dem Gesetz werden gute Menschen zu Vollziehern der Ungerechtigkeit.

Zitat: Henry David Thoreau (1817-1862)

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

ERSTER TEIL

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

ZWEITER TEIL

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

EPILOG

PROLOG

1992

Mit ängstlich geweiteten Augen sitzt die zehnjährige Samantha vor dem Fernseher und starrt auf den Bildschirm. Der kurze Ausschnitt mit den blutverschmierten Wänden hat ausgereicht, um ihre Fantasie anzuregen. Sie stellt sich einen maskierten großen Mann vor, der mit einem langen Messer in der Hand vor einer blonden hübschen Frau steht.

„Das ist unglaublich!“, reißt ihre Mutter sie aus ihren Gedanken.

„Wie kann dieser Mann nur behaupten, er sei es nicht gewesen, wenn doch alle Beweise und Fakten dafür sprechen, dass er das junge Mädchen umgebracht hat?“

„Vielleicht ist er schizophren oder hat die Tat verdrängt?“, wendet ihr Vater ein.

Abrupt dreht Samantha sich um, fragt neugierig: „Was ist schizophren, Papa?“

„Wenn jemand unter Wahnvorstellungen leidet. Er glaubt dann, dass ihm eine innere Stimme befiehlt, bestimmte Sachen zu machen. Das kann auch ein Mord sein!“, erklärt er kindgerecht.

Samantha wendet sich wieder der Nachrichtensendung zu und hört den Anwalt des Beschuldigten: „Mein Mandant bestreitet vehement die ihm vorgeworfene Tat! Er war zur betreffenden Zeit weder in der Nähe des Opfers, noch hatte er ein Motiv!“

Wieder dreht Samantha sich zu ihrem Vater um und schießt heraus:

„Was ist ein Motiv?“

„Sam, du solltest jetzt besser ins Bett gehen“, antwortet er freundlich, während er aufsteht. Er nimmt seine Tochter an der Hand und bringt sie in ihr Zimmer.

Liebevoll beugt er sich über sie, küsst sie auf die Stirn: „Gute Nacht, mein Engel!“

Nachdenklich flüstert das Mädchen: „Papa, was ist, wenn der Mann wirklich unschuldig ist? Muss er dann trotzdem ins Gefängnis?“

Besorgt über ihre detaillierten Gedanken, setzt er sich ans Bett seiner Tochter.

„Wenn er unschuldig ist, dann wird er auch freigesprochen. Der Richter schaut sich die Beweise der Staatsanwaltschaft ganz genau an und entscheidet dann, ob der Angeklagte es gewesen sein kann oder nicht.“

„Aber wenn er es nicht war und trotzdem ins Gefängnis muss, dann kann das doch jedem Menschen passieren, oder?“, entgegnet sie ängstlich.

Beruhigend streicht er ihr übers Haar: „Mach dir keine Sorgen, mein Schatz! Die Bösen werden eingesperrt und die Guten kommen frei!“

Nachdem ihr Vater das Zimmer verlassen hat, steht für Samantha fest: Sie will Richterin werden, damit niemals unschuldige Leute ins Gefängnis müssen!

ERSTER TEIL

Kapitel 1

Juli 2010

Das laute metallische Klacken des Schlosses weckt mich. Ich öffne die Augen und sehe die Justizvollzugsbeamtin, die mit zwei Tabletts in den Händen meine Zelle betritt.

„Guten Morgen!“, ruft sie freundlich in den Raum, während sie das Frühstück auf dem kleinen Tisch abstellt. „Frau Fischer, nach dem Frühstück ist es soweit. Packen sie bitte ihre Sachen zusammen!“, wendet sie sich an meine Zellengenossin. Diese antwortet lediglich mit einem müden Knurren und dreht sich auf die andere Seite.

Nachdem die schwere Eisentür von außen wieder verschlossen wurde, hüpfe ich von meinem Bett und beuge mich über meiner im unteren Teil des Stockbettes liegende Mitbewohnerin.

„Hey Berta, wach auf! Willst du allen Ernstes deine Entlassung verschlafen?“

Träge dreht sich die füllige Frau zu mir um: „Das hättest du wohl gerne, Sam! Du willst nur keinen Neuzugang auf deinem Zimmer haben.“

Schwerfällig erhebt sie sich und trottet auf die Toilettentür zu. Nachdem sie den kleinen abgegrenzten Raum betreten hat, lehnt sie die Tür hinter sich an.

Während ich Zucker sowie Milch in meinen Kaffee schütte, antworte ich beiläufig: „Das ist Quatsch, Berta! Das weißt du! Ich freue mich für dich, dass du es endlich geschafft hast!“

Mit einem lauten Schlag fliegt die Türe auf, im nächsten Moment steht meine große, kräftige Mitbewohnerin mitten im Zimmer. Wütend, aber mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen knurrt sie: „Sam! Du sollst mich nicht immer Berta nennen!“

Obwohl wir diese Diskussion schon des Öfteren geführt haben, bemerke ich unschuldig: „Aber alle nennen dich hier Berta! Warum darf ich dich nicht so nennen?“

„Ach Püppchen, ich werde dich echt vermissen!“, antwortet Berta mit einem liebevollen Lächeln.

Sie setzt sich mir gegenüber und fängt umständlich an, ihr Brot zu bestreichen.

Ich weiß genau, warum sie von mir nicht Berta genannt werden will. Alle hier im Knast in Stadelheim nennen sie die „dicke Berta“. Seit mittlerweile zehn Jahren sitzt sie hier ein, mit einer kurzen Unterbrechung von vier Monaten. In dieser kurzen Zeit der Freiheit hat sie sich aber sofort mit den falschen Leuten eingelassen, so dass es nicht lange dauerte, bis sie wieder eine Straftat begann und erneut verurteilt wurde.

Vor zwei Jahren wurde ich zu ihr in die Zelle gesperrt. Ich sah mich ab dem ersten Tag einer großen und gewaltigen Zimmergenossin gegenüber ausgesetzt, die mürrisch sowie wortkarg auf mich herabblickte. Eine Woche später, als eine Gruppe von Frauen im Gefängnishof auf mich zusteuerte und mich mit anzüglichen Bemerkungen belästigte, stand plötzlich Berta hinter ihnen. Unmissverständlich gab sie ihnen zu verstehen, dass ich unter ihrem Schutz stehe. Seitdem lassen mich die Mitgefangenen in Ruhe und ich halte mich, so gut es geht, aus aufkommenden Schwierigkeiten heraus.

Am Abend dieses Tages packte ich all meinen Mut zusammen und sprach Berta auf ihr Verhalten an. „Warum hast du das heute getan, Berta?“, wollte ich kleinlaut wissen.

Mit einem fast zärtlichen Blick entgegnete sie: „Ohne Schutz ist so ein hübschen Ding wie du den pervesen Spielchen der Anderen hilflos ausgeliefert. Und ich habe keine Lust, dass du nächtelang im Bett rumheulst und ich deswegen nicht schlafen kann.“

„Und was verlangst du als Gegenleistung von mir?“, fragte ich unsicher. Sie blieb mir die Antwort schuldig, legte sich stattdessen schweigend auf ihr Bett. Damit war die Unterhaltung für sie vorerst beendet.

Als wir später am selben Abend auf unseren Matratzen lagen, bekam ich meine Antwort: Sie wolle nicht, dass ich sie Berta nenne, sondern bei ihrem richtigen Namen - Rosi.

Die darauf folgende Zeit brachten unsere abendlichen Gespräche uns einander immer näher. Wir wurden gute Freundinnen und erzählten uns gegenseitig unsere Lebensgeschichten.

Nachdem wir an diesem letzten gemeinsamen Tag gefrühstückt haben, steht Berta auf und nimmt mich in den Arm: „Ich verabschiede mich am besten schon jetzt von dir.“

Sie drückt mich lange und freundschaftlich, bis ich mich schwer atmend von ihr löse. Mit Tränen in den Augen blicke ich sie an. Zärtlich streicht sie mir über die Wange und flüstert: „Hey, Püppchen! Nicht traurig sein, wahrscheinlich bin ich eh schneller wieder hier, als dir lieb ist.“

Wütend trete ich einen Schritt zurück und packe sie an den Schultern. „Rosi Fischer! Trau dich ja nicht, hier wieder aufzutauchen!“ Mit etwas sanfterer Stimme ergänze ich: „Bitte halt dich da draußen von den falschen Leuten fern! Such dir einen Job und beginne ein anständiges Leben!“

Plötzlich hören wir das bekannte Geräusch der Tür, die aufgeschlossen wird.

Die Beamtin tritt ein: „Sind sie soweit, Frau Fischer?“

Ein letztes Mal fallen wir uns in die Arme.

„Halt die Ohren steif, Püppchen! Und such dir jemanden, der dich beschützen kann“, fordert sie mich, wahrscheinlich zum hundertsten Mal, auf.

„Rosi, ich pack das schon. Jetzt geh und genieß dein Leben da draußen!“ Traurig lösen wir uns voneinander. Rosi greift nach der bereits am Vorabend gepackten Kiste, dreht sich um und schiebt sich an der Beamtin vorbei in den Flur.

Krachend schließt sich meine Zellentür. Allein und mit gemischten Gefühlen bleibe ich zurück.

Kapitel 2

März 2008

„Samantha, bist du soweit?“, ruft mich Tom, während ich noch an meinem Schminktisch sitze und die letzten Züge meines Lidstrichs ziehe.

Schnell stehe ich auf und gehe ins Wohnzimmer, welches durch eine Bar von der offenen Küche getrennt wird.

„Warum hast du es immer so eilig? Du bist doch dein eigener Chef, wer sollte dich abmahnen, wenn du zu spät kommst?“, frage ich verständnislos.

Während Tom auf mich zukommt, stellt er seine Kaffeetasse am Tisch ab. Zärtlich küsst er mich auf die Lippen: „Süße, gerade weil ich der Chef bin, muss ich pünktlich sein. Außerdem habe ich heute eine Konferenz mit möglichen Investoren. Merke dir: Wenn du etwas von jemandem willst, darfst du auf keinen Fall zu spät kommen!“

Grinsend antworte ich: „Ach, ja? Heißt das, du kommst in Zukunft abends immer pünktlich nach Hause, wenn du noch etwas von mir willst?“

Lachend umschließt er meine Hüften und zieht mich an sich. Mit beiden Händen umfasst er mein Gesicht, schaut mir dabei fest in die Augen. „Für dich komme ich, wann du es willst!“

„Dann komm jetzt!“, flüstere ich ihm verführerisch zu. Ich gebe ihm einen leidenschaftlichen Kuss, der schnell intensiv und stürmisch wird.

Nach kurzer Zeit löst sich Tom jedoch von mir. „Baby, wir müssen los, wirklich!“ Ich schmiege mich an ihn, spüre, dass sein Körper ein anderes Verlangen hat, als zur Arbeit zu fahren.

„Bist du sicher, dass du so zur Arbeit fahren willst?“, hauche ich ihm zu, lasse dabei meine Hand über seine ausgebeulte Hose wandern. Ein leises Stöhnen entfährt ihm, er schließt kurz seine Augen. Überzeugt von meiner Überredungskunst öffne ich den Knopf seiner Hose. Völlig unerwartet packt er meine Hand und hält mich somit davon ab, mein Werk zu vollenden. In seinen Augen erkenne ich die Entschlossenheit, die ich so an ihm liebe, die mich allerdings gerade in diesem Augenblick stört.

Ruckartig dreht er sich um, schnappt sich sein Jackett und hetzt zur Tür. „Samantha, das verschieben wir auf heute Abend. Wir müssen jetzt wirklich los!“, sagt er tröstend, während wir die Wohnung verlassen.

Beleidigt trotte ich hinter ihm zum Fahrstuhl. Während der Fahrt von seiner Dachgeschosswohnung im 18. Stock nach unten lehne ich mich an die Spiegelwand. und beobachte mein Gegenüber. Er schenkt mir ein kurzes Lächeln, konzentriert sich jedoch anschließend, mit Blick auf die Fahrstuhltüre, auf seine bevorstehende Besprechung.

Mein Blick streift über seine blonden Haare, seine grauen Augen sowie sein frisch rasiertes Kinn. Trotz seiner achtunddreißig Jahre ist Tom sehr attraktiv. Er hat mich, als ich vor einem Jahr neu in seiner Firma anfing, im Handumdrehen erobert. Anfangs irritierte mich der Altersunterschied von zwölf Jahren, was Tom allerdings durch seinen Charme und seine Aufmerksamkeit schnell als unwichtiges Detail erscheinen ließ.

Von Melissa Seiber, seiner Privatsekretärin, habe ich bald erfahren, dass er sich gerne mit jungen Mädchen umgibt und oberflächlichen Flirts sowie kurzen Romanzen nicht abgeneigt ist. Diese Information war ausschlaggebend, dass es mehrere Wochen gedauert hat, bis er mich endgültig von seiner Liebe überzeugen konnte. Seither sind wir ein Paar, was ich mit meinem Einzug in seine Wohnung vor vier Monaten besiegelte.

Vor dem großen Bürogebäude im Münchner Norden stellt Tom seinen Wagen auf dem reservierten Parkplatz ab. Wie ich es von seiner aufmerksamen Art gewohnt bin, hält er mir die Tür auf, damit ich aussteigen kann.

„Sorry, aber ich bin spät dran. Wir sehen uns heute Abend“, gibt er bedauernd zu. Nach einem flüchtigen Kuss läuft er mit schnellen Schritten durch die Drehtür ins Innere des Gebäudes.

Ich lege meinen Kopf in den Nacken und blicke hinauf bis zur Spitze des Eichmann-Towers. Ganz oben, im 32. Stock befindet sich das Büro des Inhabers: Thomas Eichmann. Vor acht Jahren hat er das Pharmazie-Unternehmen von seinem Vater übernommen. Die meisten der Büros sind von seiner Firma oder Tochtergesellschaften belegt. Nur wenige Stockwerke sind an Fremdfirmen vermietet. Im Keller des imposanten Gebäudes erstreckt sich über drei Geschosse ein großes Labor, welches Forschungen für neue Medikamente betreibt.

Gutgelaunt und mit freudiger Erwartung auf den bevorstehenden Abend, begebe ich mich ins Bürogebäude, vorbei am Pförtner, direkt zu den Aufzügen.

Im 29. Stock, der Rechtsabteilung des Pharmazie-Unternehmens, steige ich aus. Auf dem Flur kommt mir Lisa, die zwanzigjährige Praktikantin, entgegen. Mit ihren schwarzen langen Haaren, ihrer leichtgebräunten Haut sowie ihren großen dunklen Augen, erinnert sie mich an die Schauspielerin Penelope Cruz.

„Hallo Sam!“, grüßt sie mich freundlich.

„Hallo Lisa! Geht es dir heute besser? Ist mit Tobi wieder alles in Ordnung?“, frage ich neugierig.

Grinsend antwortet sie: „Ja, alles bestens, danke!“ Sie steuert, mit einem Stapel Akten in ihren Händen, auf den Kopierraum zu und verschwindet einen Moment später hinter der Tür.

Mit einem beruhigenden Lächeln auf den Lippen gehe ich weiter zu meinem Büro. Ich bin froh, dass es Lisa wieder besser geht. Am Tag zuvor stand sie völlig verzweifelt vor meinem Schreibtisch und hat mir von ihren Problemen mit ihrem Freund berichtet. Schließlich saß sie wie ein Häufchen Elend vor mir, konnte nicht aufhören zu weinen. Nach Rücksprache mit meinem Chef, einem angestellten Rechtsanwalt, schickte ich sie vorzeitig nach Hause, da sie in diesem Zustand selbst für einfache Aufgaben nicht mehr zu gebrauchen war.

Beschwingt lasse ich mich auf meinen Bürostuhl fallen und beginne mit meiner Arbeit.

Gegen Mittag klopft es an meiner Tür. Ich blicke auf und bemerke Keno, der grinsend eintritt.

„Hey Sam! Lust auf Mittagessen?“, fragt er fröhlich.

„Klar, warum nicht?“, entgegne ich, während ich den vor mir liegenden Aktenstapel zur Seite schiebe.

Bei unserem Lieblings-Italiener um die Ecke unterhalten wir uns über Kenos letzten Urlaub, den er, wie so oft, in Thailand bei seiner Familie mütterlicherseits verbrachte. Kenos Vater ist Deutscher, lernte vor sechsundzwanzig Jahren seine Mutter in Thailand kennen. Sie verliebten sich, sie wurde schwanger und ist mit nach Deutschland gekommen. Keno ist ein herzensguter Mensch und der einzige Freund, den ich hier in München habe.

„Und? Was macht dein Liebesleben so?“, frage ich beiläufig zwischen zwei Bissen. Beschämt schaut Keno auf seinen Teller, während seine Wangen unverkennbar an Farbe gewinnen. Neugierig hake ich nach: „Hast du etwa eine neue Flamme? Erzähl!“

Keno schaut mich schüchtern an, schüttelt dabei leicht den Kopf.

„Lieber nicht! Sie will nicht, dass es jemand in der Firma erfährt.“

„In der Firma? Ist es eine der Sekretärinnen, oder eine Praktikantin? Komm schon, Keno! Ich erzähl dir auch immer alles!“, bettle ich.

„Ja, aber du bist mit dem obersten Chef zusammen!“

Irritiert betrachte ich seine Gesichtszüge. „Na und? Was macht das für einen Unterschied?“

Schweigend blickt er zur Seite.

„Kenne ich sie?“, will ich neugierig wissen.

Schüchtern nickt er. Ich zermartere mir mein Hirn nach möglichen Single-Frauen in unserer Firma. Dabei kenne ich nicht einmal alle Personen, die dort arbeiten. Das ist bei knapp 2000 Angestellten auch fast unmöglich.

„Du willst mir also nicht sagen, wer es ist? Verrätst du mir wenigstens das Stockwerk, in welchem sie arbeitet?“, bohre ich freundschaftlich nach.

Keno wird bewusst, dass er seine Affäre vor mir nicht geheim halten kann und rückt langsam mit weiteren Informationen heraus: „Sie arbeitet im zweiunddreißigsten.“ Mein Herz setzt einen Moment aus. Im 32. Stock? Da sitzt Tom! Und die Chefetage ist so überschaubar besetzt, dass mir lediglich zwei Namen von Single-Frauen einfallen: Melissa und Waltraud. Da Waltraud bereits dreiundsechzig Jahre alt ist, bleibt eigentlich nur Melissa.

Fassungslos und mit offenem Mund sitze ich ihm gegenüber.

„Melissa Seiber? Das glaub ich nicht!“

Keno schaut mir fast erleichtert in die Augen. „Ja! Und genau diese Reaktion ist der Grund, warum sie nicht will, dass es jemand erfährt!“

„Keno, die ist doch viel älter als du!“, bringe ich unüberlegt hervor.

„Das sagt die Richtige! Du und dein Thomas, wie viele Jahre seid ihr auseinander? Zwölf, richtig?“

„Sorry, so war das nicht gemeint“, werfe ich schnell entschuldigend ein.

Nach einigen schweigsamen Sekunden erklärt Keno: „Sie ist vierunddreißig, somit nur neun Jahre älter als ich! Außerdem spielt das keine Rolle, wenn man sich liebt!“

Bevor ich meine nächsten Bedenken äußere, überlege ich genau, ob es mir zusteht, über seine Gefühle zu urteilen. „Keno, glaubst du wirklich, dass sie dich liebt? Vielleicht will sie nur Spaß mit einem jungen, gutaussehenden und vitalen Mann?“

Völlig unerwartet schnellt Keno in die Höhe. Sein Stuhl kippt fast um, bei der Heftigkeit, mit welcher er sich vom Tisch abstößt.

„Jetzt reicht’s! Ich dachte, du bist meine Freundin und dir könnte ich es anvertrauen, ohne blöde Sprüche zu ernten. Das war anscheinend ein Fehler!“, schreit er mich wutentbrannt an und stürmt aus dem Lokal.

Verdammt! Das wollte ich nicht! Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Melissa es ernst mit Keno meint. Sie hat mir des Öfteren von ihren Männerbekanntschaften erzählt, die allesamt vom Alter, vom beruflichen Stand sowie vom finanziellen Polster her einer anderen Liga angehörten, als Keno.

Von mir selbst enttäuscht, wie sehr ich Keno verletzt habe, bleibe ich noch einige Minuten lang sitzen, bevor ich zurück in mein Büro gehe.

Kapitel 3

Juli 2010

Zum Mittagessen treffen sich alle Insassinnen im großen Speisesaal. Ich nehme mir ein Tablett, lasse mir an der Ausgabe das heutige Hauptgericht servieren und setze mich an einen freien Tisch am Fenster. Sehnsüchtig blicke ich durch die vergitterten Scheiben auf den Innenhof. Der Regen prasselt leise an die Scheiben und spiegelt meine Stimmung wider.

Innerhalb weniger Sekunden sind die vier weiteren Plätze neben mir besetzt. Eine weiche Hand legt sich auf meinen Oberschenkel. „Hey, Süße! Nachdem die dicke Berta jetzt weg ist, brauchst du sicher eine neue Beschützerin! Wie wär’s? Ich würde gut auf dich aufpassen!“, säuselt mir eine bekannte Stimme ins Ohr.

Genervt wende ich mich meiner Tischnachbarin zu, antworte betont selbstbewusst: „Danke Agnes! Aber ich kann schon auf mich selbst aufpassen!“ Mit einer unmissverständlichen Geste wische ich ihre Hand von meinem Schenkel, während ich sie bittersüß anlächle.

„Das werden wir ja sehen“, sagt sie leise, steht auf, greift nach ihrem Tablett und steuert auf einen der Nachbartische zu. Umgehend erheben sich ihre drei Begleiterinnen, um ihr in stummem Einverständnis zu folgen.

Am Nachmittag steht mir die nächste Herausforderung bevor: Eine Stunde Hofgang!

Stationsweise werden wir auf den Sportplatz in der Mitte der quadratisch angeordneten Häuserblöcke geführt. Nachdem Aktivitäten, wie das Mittagessen sowie der Ausgang im Hof nur in kleinen Gruppen abgehalten werden, habe ich hier nur mit den Insassinnen des B-Blocks zu tun, wozu leider auch Agnes und ihre Anhängerschaft zählen. Lediglich bei der Arbeit in der Wäscherei, zu welcher wir viermal in der Woche eingeteilt werden, trifft man auf Frauen aus verschiedenen Stationen.

Unglücklicherweise hat Agnes heute keinen Dienst in der Wäscherei, daher legt sie sich mit Kathrin, Denise und Mary in einer Ecke des Sportplatzes auf die Lauer nach neuen Opfern.

Die Gruppe, welche sich mir vor zwei Jahren angenähert hat, als Berta sofort dazwischen ging, gibt es nicht mehr. Die Anführerin wurde ein halbes Jahr nach dem Vorfall entlassen, damit hat sich die gesamte Clique zerschlagen. Ab diesem Zeitpunkt war Agnes bemüht, diese Position einzunehmen. Nach einem Jahr angstverbreitendem Terror ist es ihr endlich gelungen, die Macht über den gesamten Block an sich zu reißen. Sie macht kaum einen Schritt ohne ihrem Gefolge, es sei denn, sie werden bei der Arbeitseinteilung getrennt.

Da bei Agnes’ Machtübernahme bereits allgemein bekannt war, dass ich unter Bertas Schutz stand, trafen mich die gesamte Zeit lediglich ihre bösen und abschätzenden Blicke.

Bei Betreten des Sportplatzes ist mir augenblicklich bewusst, dass sich diese Situation jetzt geändert hat. Unauffällig schlendere ich zu einer Bank am anderen Ende des Hofes und lasse mich, mit dem unguten Gefühl beobachtet zu werden, darauf nieder. Einen Moment später erscheint Emily, ein schüchternes junges Mädchen, neben mir. Für mich stand von Anfang an fest, dass sie zu Unrecht in dieser Umgebung festgehalten wird.

„Hey, Sam! Wie geht’s dir? Schade, dass Berta nicht mehr da ist!“ Ihrem unsicheren Blick sehe ich an, dass sie es ängstlich bedauert, Berta als Schutz vor Übergriffen verloren zu haben. Emily kam kurz vor mir in diesen Block. In Berta hat sie offenbar sofort den Beschützerinstinkt ausgelöst.

„Ja, aber ich hoffe, dass sie es dieses Mal schafft, sich von Schwierigkeiten fern zu halten und nicht wieder in ein paar Monaten hier auftaucht. Wann ist es bei dir soweit, Emily?“

Ein verlegenes Lächeln huscht über ihre Lippen: „In zwei Monaten! Wie lange hast du noch?“

„Wenn ich mich ruhig verhalte sind es noch vier Jahre, aber….“ Plötzlich bemerke ich, wie sich Emilys Augen weiten, wobei sie ängstlich an mir vorbei schaut. Reflexartig drehe ich mich um und blicke direkt in Agnes’ Gesicht. Mit einer abwertenden Geste gibt sie Emily zu verstehen, dass diese verschwinden soll.

„Sorry, Sam, aber ich geh mal besser“, flüstert das eingeschüchterte Mädchen und entfernt sich fluchtartig.

Agnes setzt sich rechts neben mich, Kathrin auf meine linke Seite. Denise und Mary bleiben vor mir stehen.

„Was willst du Agnes?“, frage ich monoton.

Diese schüttelt langsam den Kopf und antwortet verständnislos:

„Warum kannst du mich nicht leiden, Sam?“

Fassungslos schaue ich ihr in die Augen, ob sie diese Frage vielleicht ironisch meint.

Auf eine Antwort wartend bohren sich ihre Blicke in mich.

„Ist die Frage ernst gemeint, Agnes? Ich beobachte seit über einem Jahr, was du mit den Neuankömmlingen veranstaltest. Du bedrohst sie und vergehst dich an denen, die sich nicht wehren können. Erst, wenn sie sich dir komplett unterwerfen, lässt du von ihnen ab und suchst dir ein neues Opfer.“

„Die Mädchen tun alles freiwillig. Wenn ich sie bedrohen würde, könnten sie mich doch bei den Wärtern verpfeifen. Das tun sie aber nicht, ergo haben sie nichts dagegen.“

Kopfschüttelnd erwidere ich: „Du machst es dir ja einfach! Du weißt genau, warum die Mädchen den Mund halten!“

Agnes zuckt kurz ihre Schultern, legt sachte ihre Hand auf meinen Oberschenkel. „Was ist jetzt, Sam! Hast du es dir überlegt? Ohne einen Beschützer bist du hier den ganzen Perversen ausgeliefert“, sagt sie fürsorglich, während sie mit einer ausschweifenden Handbewegung über den Platz zeigt.

Intuitiv stehe ich auf, entziehe mich so ihren Berührungen. „Ich wüsste nicht, wer in unserem Block schlimmer sein könnte, als du“, entgegne ich gepresst und entferne mich mit schnellen Schritten in Richtung der Aufseher.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich mit meinen Worten einen Angriff geradezu herausfordere, aber mein Ego lässt das von Agnes geforderte unterwürfige Verhalten nicht zu. Meine Erfahrungen in der Welt außerhalb der Mauern haben mich gelehrt, dass man, ohne sich zu wehren und für sein Recht zu kämpfen, ganz schnell auf die falsche Schiene gerät. Denn genau diese zurückhaltende Art hat mich an diesen albtraumhaften Ort gebracht.

Kapitel 4

März 2008

Am Abend warte ich, wie so oft, bis Tom sich von seinem Büro trennen kann und endlich nach Hause kommt. Ich sitze vor dem Fernseher und schalte gelangweilt durch die Kanäle. Während der neueste Klatsch über irgendwelche Prominenten verbreitet wird, schweifen meine Gedanken zu dem Gespräch mit Keno ab.

Ich muss mich unbedingt bei ihm für mein Verhalten entschuldigen. Wenn er sich tatsächlich in Melissa verliebt hat, dann ist es von mir unfair, ihm vorzuwerfen, die Beziehung könne von ihrer Seite keinesfalls ernst gemeint sein. Wer weiß? Vielleicht hat sie sich ja wirklich in den gutaussehenden Keno verliebt?

Ich erinnere mich an die Anfänge meiner Beziehung zu Tom:

Vor einem Jahr arbeitete ich in einer kleinen Anwaltskanzlei in meiner Heimatstadt Cottbus. Ich hatte nette Kolleginnen sowie einen großen Freundeskreis. Als meine Eltern plötzlich bei einem Autounfall ums Leben kamen, anschließend eine langjährige Beziehung in die Brüche ging, hielt mich nichts mehr in der Stadt meiner Jugend. Ich bewarb mich bei verschiedenen Firmen, wobei das wichtigste Kriterium für mich die Entfernung zu meinem bisherigen Leben war. Unerwartet schnell bekam ich einen Termin bei Eichmann Pharma, was mich mit freudiger Erwartung in den Zug Richtung München einsteigen ließ.

Das Vorstellungsgespräch fand bei meinem jetzigen Chef, Rechtsanwalt Reinhard Brückner, statt. Er entschied sich bereits nach dem ersten Treffen für mich und ich sagte, ohne lange zu überlegen, zu. Über die Firma bekam ich eine kleine Wohnung gestellt, in welche ich bereits zwei Wochen später einzog.

An meinem zweiten Arbeitstag in dem großen Konzern - ich war noch immer sehr nervös, weil das imposante Gebäude und die vielen Menschen mich verunsicherten – wurde ich in den 32. Stock gerufen. Ich sollte einen Vertrag abholen, der von meinem Chef überarbeitet werden musste. Da zu diesem Zeitpunkt keine Praktikantin verfügbar war, schickte Herr Brückner mich nach oben, um den Botengang zu erledigen. Mit einem mulmigen Gefühl stieg ich im 32. Stock aus dem Fahrstuhl und trat vor den Empfangstisch von Melissa Seiber.

„Guten Tag, ich soll den Vertrag für Herrn Brückner abholen“, sagte ich schüchtern.

„Verraten Sie mir auch ihren Namen?“, zickte die Sekretärin mich unfreundlich an.

Völlig verunsichert antwortete ich: „Samantha Reich.“

Ohne aufzusehen suchte Melissa in ihren Unterlagen nach dem Vertrag. Plötzlich sprang die Tür neben ihr auf und Tom kam aus seinem Büro. Als er mich sah, blieb er abrupt stehen. Sekundenlang starrten wir uns an. Die Zeit schien stehen zu bleiben, seine grauen Augen bohrten sich regelrecht in meine Seele.

„Thomas, das ist Frau Reich, sie möchte den Vertrag für Reinhard abholen“, sagte Melissa beiläufig, bevor sie ihren Blick hob und ihren Chef ansah. Augenblicklich nahm sie die in der Luft schwebende Spannung auf. Tom stellte sich mir vor und reichte mir seine Hand. Als sich unsere Finger berührten, spürte ich ein leichtes Kribbeln. Er bat mich in sein Zimmer, wo wir uns dreißig Minuten lang über meine Vergangenheit sowie meine Zukunftspläne unterhielten. Ab diesem Tag ließ er mich regelmäßig zu sich ins Büro rufen. Ziemlich schnell machte er mir eindeutige Avancen. Bereits nach zwei Wochen lud er mich zum ersten Rendezvous ein. Einen Monat später waren wir ein Paar.

Das Öffnen der Haustüre reißt mich aus meinen Gedanken. Tom kommt erschöpft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, auf mich zu. Geistesabwesend küsst er mich.

„Das war ein Tag heute!“, erzählt er auf dem Weg ins Schlafzimmer, während er seine Krawatte lockert. Ich folge ihm, wobei ich ihn beobachte, wie er sich seiner Kleidung entledigt.

„Die wollen doch tatsächlich alle möglichen Tests und Forschungsergebnisse vorliegen haben, bevor sie uns die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Wie soll das funktionieren, wenn wir mit der Forschung noch in den Kinderschuhen stecken?“

Mittlerweile steht er nur mit seiner Boxershort bekleidet vor mir.

„Was ist los? Warum schaust du mich so an?“, will er belustigt wissen.

Ich trete einen Schritt auf ihn zu und lege meine Hände auf seine muskulöse Brust. „Ich weiß ja nicht, wie es dir heute ergangen ist, aber ich habe den Abend sehnsüchtig erwartet. Du hast noch ein Versprechen einzulösen!“, sage ich verführerisch, dabei verteile ich kleine Küsse auf seiner Brust.

Tom legt seine Arme sanft auf meinen Rücken. „Richtig! Und das werde ich auch tun, wenn du mich vorher noch kurz duschen lässt“, meint er liebevoll und schiebt mich von sich. Er geht an mir vorbei ins Bad. Kurzerhand ziehe ich mich ebenfalls aus und folge ihm.

Er steht bereits unter dem heißen Wasserstrahl, als ich langsam hinter ihm die Kabinentür öffne und zu ihm hineinschlüpfe.

Überrascht dreht er sich um, nimmt mich jedoch sofort in den Arm.

„Willst du mitduschen? Glaubst du, das ist sinnvoll?“, flüstert er skeptisch.

„Wen interessiert es, ob es sinnvoll ist?“ Ich ziehe ihn an mich und küsse ihn leidenschaftlich. Kurze Zeit später wandern unsere Hände über unsere Körper, liebkosen unsere intimsten Stellen mit voller Hingabe.

Als wir endlich aus der Dusche steigen, lasse ich mich, in mein Handtuch gewickelt, aufs Bett fallen. Tom holt ein T-Shirt sowie eine Jogginghose aus seinem Kleiderschrank.

„Weißt du schon, was du morgen Abend zu der Party anziehst?“, fragt er interessiert. Ich überlege kurz, zucke dann jedoch unsicher mit den Schultern.

Ich habe eine innere Abneigung gegen die Partys der Firma. Es sind zu viele Leute da und alle reden nur über Geschäftliches. Auch einige Investoren werden kommen, um sich ein Bild der Angestellten sowie der innerbetrieblichen Atmosphäre zu machen. Als Lebenspartnerin des Inhabers bin ich selbstverständlich verpflichtet an seiner Seite aufzutreten. Vermutlich wird die Presse auch anwesend sein.

Tom, der meine niedergeschlagene Stimmung sofort bemerkt, setzt sich neben mich. Sanft streichelt er meine Schulter. „Baby, ich weiß, dass du keine Lust auf diese Party hast, aber…“

„Schon gut! Ich weiß, dass sie für dich wichtig ist - ich reiße mich zusammen, versprochen!“

Liebevoll küsst er meine Lippen. Plötzlich dreht er sich zur Seite und holt etwas aus seinem Nachttisch. Nachdem er sich mir wieder zuwendet, blicke ich ihn neugierig an. Völlig überraschend zieht er eine kleine schwarze Ringbox hinter seinem Rücken hervor. Noch bevor er sie öffnet, bleibt mir vor Erstaunen der Mund offen stehen. Aufgeregt setze ich mich auf und blicke ihn erwartungsvoll an.

„Samantha, wir sind noch nicht so lange zusammen, erst ein knappes Jahr. Aber ich weiß bereits jetzt, dass du die Frau in meinem Leben bist, mit der ich für immer zusammen bleiben will. Ich kann mir keinen Tag mehr ohne dich vorstellen. Ich liebe dich von ganzem Herzen! Willst du meine Frau werden?“

Augenblicklich schießen mir die Tränen in die Augen. Er öffnet die kleine Box, zum Vorschein kommt ein glitzernder Ring, weißgold mit brillantbesetzter Ringschiene und einem großen Stein in der Mitte.

„Wow!“, entfährt es mir spontan. Ich kann meinen Blick nicht von dem Ring abwenden, der so unbeschreiblich schön ist.

„Wow? Ist das deine Antwort?“, fragt Tom unsicher. Ich blicke ihm in die Augen, kann dabei nicht verhindern, dass meine Tränen überlaufen.

„Ja!“, sage ich leise.

„Ja?“, wiederholt er fragend.

„Ja, ich will dich heiraten!“, antworte ich laut und falle ihm um den Hals. Meine Liebe zu ihm ist momentan so groß, dass ich glaube, sie könnte nie vergehen. Engumschlungen fallen wir auf das weiche Bett und beginnen erneut mit einem zärtlichen Liebesspiel, das schlussendlich in einer gemeinsamen Ekstase endet.

Kapitel 5

Juli 2010

Am Abend werde ich zum Duschen abgeholt. Es gibt vier Duschräume für je zehn Frauen, die abgetrennt aber untereinander über einen schmalen Gang zugänglich sind. Drei Wärterinnen bewachen das alle zwei Tage stattfindende Ereignis. Die Gefahr, mit Agnes und ihren willenlosen Anhängerinnen im gleichen Raum zu landen, ist eher gering, daher mache ich mir keine zu großen Sorgen, als ich die Dusche betrete. Jeweils zwei Frauen werden gleichzeitig von einer Beamtin gebracht, daher füllt sich der Raum nur langsam. Nach dem Duschen holen die Beamtinnen wieder jeweils zwei Frauen ab, um sie zurück auf ihre Zellen zu bringen. Eine Frau der Aufsicht bleibt jedoch immer in dem engen Gang, um Übergriffe, soweit wie möglich, zu verhindern.

Gelassen stehe ich unter dem warmen Wasserstrahl. Ich denke an Berta, oder besser gesagt Rosi. Hoffentlich geht es ihr gut und sie hält sich von ihren alten Bekannten fern.

Während ich meinen Gedanken nachhänge, bemerke ich, wie sich der Raum füllt. Verstohlen blicke ich zur Seite und halte geschockt den Atem an. Rechts neben mir reibt sich Agnes genüsslich mit ihrem Duschgel ein. Neben ihr stehen Kathrin und Denise. Von der Vierten im Bunde, Mary, ist keine Spur zu sehen.

Mit ungutem Gefühl dusche ich weiter, hoffe jedoch, dass ich als eine der ersten Frauen wieder abgeholt werde.

Leider werden meine Befürchtungen wahr. Nach und nach werden die anderen Frauen aus dem Raum begleitet.

Als nur noch Agnes, Kathrin, Denise und ich unter der Dusche stehen geht alles plötzlich ganz schnell.

Kathrin und Denise treten von hinten an mich heran und packen mich unter den Armen. Sie halten mich fest, wobei Denise einen ihrer Arme um meinen Hals schlingt und zudrückt, so dass ich kaum noch Luft bekomme.

Agnes tritt von vorne an mich heran. „Du wolltest es ja nicht anders. Wäre doch eine Verschwendung, wenn dieser schöne Körper nicht gevögelt wird.“ Sie legt ihre Hände auf meine Brüste, fängt langsam an, sie zu massieren. Lächelnd tritt sie ganz nah an mich heran, wobei sie mein rechtes Bein zwischen ihre Beine schiebt. Genüsslich reibt sie ihre Scham an mir, während sie meinen Oberkörper mit ihren feuchten Küssen bedeckt. Ängstlich spüre ich, wie ihre Hand an meinem Bauch nach unten wandert. Grob greift sie mir zwischen die Beine und drückt ihre Finger an meine intimste Stelle. Jeder Versuch, mich zu befreien, wird mit einem kräftigen Druck von Denise auf meinen Kehlkopf quittiert. Agnes bewegt sich immer schneller an mir, kommt schließlich zum Höhepunkt. Mit einem befriedigten Stöhnen lässt sie von mir ab.

Der Griff ihrer beiden Anhängerinnen bleibt jedoch unverändert, was mich vermuten lässt, dass Agnes mit ihren perversen Spielchen noch nicht am Ende ist.

Völlig unerwartet drücken mich die umschlingenden Arme nach unten auf die kalten Fliesen. Während ich mit meinem Rücken auf dem harten Boden liege, trete ich mit den Füssen nach Agnes. Diese hält in der Hand eine Shampooflasche mit verdächtig dünnem Flaschenhals. Voller Vorfreude kniet sie sich zwischen meine Beine, drückt sie mit beiden Armen auseinander. Nur schwer kann ich mich beherrschen, nicht hysterisch zu werden und meine Verfassung zu verlieren.

Noch bevor meine Angst mich lähmen kann, drückt Agnes mir den Flaschenhals mit Gewalt zwischen die Beine. Ein unsagbarer Schmerz breitet sich in mir aus. Der scharkantige Verschluss schiebt sich unaufhaltsam weiter in mein Inneres. Das Gefühl, als würde sich ein Messer in mir bewegen, raubt mir fast die Sinne.

Mittlerweile vollständig von Panik und Schmerzen umgeben, versuche ich mich zu konzentrieren. Dabei bemerke ich, dass Agnes mein rechtes Bein loslassen musste, um die Flasche einführen zu können.

Mit letzter Kraft ziehe ich mein freies Bein ruckartig an und stoße es mit voller Gewalt nach vorne, direkt gegen Agnes’ Brust. Diese fällt mit solcher Wucht nach hinten, dass sie mit dem Kopf auf den harten Fliesen aufschlägt. Anschließend bleibt sie bewegungslos liegen. Schnell presse ich den fremden Gegenstand aus mir, um im nächsten Moment meine Beine nach oben, hinter meinen Kopf zu schwingen. Glücklicherweise bin ich sehr gelenkig, da ich seit meiner Kindheit regelmäßig verschiedene Sportarten ausübe. Vor meinem Aufenthalt im Knast ging ich dreimal wöchentlich ins Fitness-Studio, was meine sportliche Figur beweist. Mit meinen Füßen treffe ich gleichzeitig Kathrin und Denise frontal auf Nase sowie Hals. Sie lockern augenblicklich ihren Griff, was ich sofort ausnütze, um mich zu befreien.

Durch die Schmerzensschreie der am Boden liegenden Mädchen angelockt, erscheint eine Beamtin. Sie überblickt schnell die Situation und erkennt, dass ich als Einzige scheinbar unverletzt inmitten von blutenden und stöhnenden Personen stehe.

„Frau Reich! Sind sie verrückt?“, stürmt sie schreiend auf mich zu. Sie packt mich am Arm und zerrt mich aus dem Duschraum. Mittlerweile erscheint eine weitere Beamtin, die sich um die verletzten Mitgefangenen kümmert.

Nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen habe, verlässt die Beamtin mit mir die Duschräume. Sobald sie im Treppenhaus die Richtung nach unten einschlägt, ist mir klar, dass ich das berüchtigte Loch kennen lernen werde. Ich habe bisher nur von Berta und anderen Mitgefangenen gehört, dass es die schlimmste Strafe sei, dort eingesperrt zu werden.

„Muss ich ins Loch?“, frage ich ängstlich. „Ich habe mich nur verteidigt … Agnes und ihre Freundinnen haben angefangen … sie würgten mich und …“, versuche ich zu erklären.

Vor einer schmalen Tür mit der Aufschrift „Dunkelkammer 1“ bleiben wir stehen. Schlagartig sehe ich einen Entwicklungsraum in einem Fotostudio vor meinem inneren Auge. Die meiner Vorstellungskraft entsprungenen Bilder werden abrupt gesprengt, als sich die Tür öffnet und ich in einen fensterlosen kleinen Raum blicke. Das einfallende Licht vom Flur lässt mich eine Matratze am Boden sowie eine Toilette in der gegenüberliegenden Ecke erkennen.

Die Beamtin erwidert erbarmungslos: „Dann hätten Sie besser um Hilfe gerufen, statt alle drei Frauen blutig zu schlagen!“

„Ich konnte doch nicht … Dürfen Sie mich überhaupt ins Loch sperren? Ohne eine Anhörung oder der Anweisung des Direktors?“, bringe ich meine juristischen Kenntnis hervor.

„Bei Gefahr im Verzug dürfen wir die betreffenden Frauen sofort wegsperren! Diese Entscheidungsmacht wurde jeder Einzelnen von uns seitens der Leitung übertragen“, entgegnet sie unbeeindruckt. Deutlich gibt sie mir zu verstehen, dass es für sie keine Alternative gibt.

„Das ist nicht ihr Ernst!“, protestiere ich, werde aber im selben Moment unsanft in die Zelle geschoben. „Wie lange muss ich hier bleiben?“, will ich noch wissen, bevor die Tür krachend hinter mir ins Schloss fällt.

Kapitel 6

März 2008

Am nächsten Morgen erwache ich in Toms Armen. Behutsam löst er sich von mir und steht auf. Bevor er ins Bad geht, entdeckt er die kleine schwarze Box auf dem Nachttisch. Er nimmt den Ring heraus und setzt sich neben mich. Behutsam greift er nach meiner linken Hand, um mir den Verlobungsring über meinen Ringfinger zu schieben.

„Besorg dir heute noch ein schönes Kleid für den Abend. Ich sag Reinhard Bescheid, dass du später kommst.“ Er gibt mir einen sanften Kuss und verschwindet anschließend im Bad.

Glücklich betrachte ich den Ring an meinem Finger. Es ist das schönste Schmuckstück, das ich jemals besessen habe. Vermutlich hat es ein Vermögen gekostet! Ich nehme mir vor, ein elegantes, aber reizvolles Kleid zu kaufen, um Tom mit meinem Anblick zu verführen.

Während wir kurze Zeit später nebeneinander im Auto sitzen, beobachte ich Toms Gesichtszüge. Unsicher frage ich: „Willst du es den anderen in der Firma erzählen? Ich meine, dass wir uns verlobt haben.“

Aufgeschlossen lächelt er mich von der Seite an. „Warum nicht? Aber besser nicht heute Abend auf der Party. Es soll ja keine Verlobungsfeier werden, sondern eine geschäftliche Veranstaltung. Du musst dich aber in der Firma nicht zurückhalten, wenn du es deinen Kollegen erzählen willst.“ Gerührt über seine Worte streiche ich ihm zärtlich über die Wange. In der Maximilianstraße hält er an, um mich aussteigen zu lassen.

Ich beuge mich zu ihm und gebe ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich!“, hauche ich ihm zu, bevor ich schnell aus dem Auto hüpfe, während die hinter uns stehenden Autofahrer bereits laut hupend ihre Ungeduld zum Ausdruck bringen.

Während ich die Straße entlanglaufe, schweifen meine Gedanken ab. Zu Keno und Melissa. Mein schlechtes Gewissen plagt mich noch immer, dass ich meinem besten – meinem einzigen – Freund seine Liebe ausreden wollte, anstatt mich mit ihm zu freuen. Ich muss sobald wie möglich mit Keno reden! Plötzlich höre ich neben mir quietschende Reifen – einen Schrei – eine Hupe. Schockiert bleibe ich stehen und blicke auf die Straße. Eine junge Frau steht schimpfend vor einem roten BMW, dessen Fahrer sich nicht weniger über die unachtsame Passantin aufregt und lauthals aus seinem Fahrzeug schreit.

Erleichtert, über die entschärfte Situation, drehe ich mich um und bleibe im nächsten Moment wie angewurzelt stehen. Oh Gott! Das ist es! Genauso habe ich das Kleid in meiner Vorstellung gesehen. Ich stehe vor einem Schaufenster, in welchem drei Cocktailkleider ausgestellt werden. Mein Blick bleibt an dem mittleren Kleid hängen. Ein smaragdgrünes, seidenes Kleid, knielang und rückenfrei. Wie von selbst tragen meine Beine mich in das Geschäft.

Eine Minute später stehe ich in der Umkleide. Das Kleid passt, wie für mich gemacht. Es ist eng geschnitten, betont dabei jede Kurve meiner schlanken Figur. Für einen Moment macht sich der Gedanke breit, ob dieses Kleid nicht zu aufreizend für eine geschäftliche Veranstaltung ist. Was soll’s? Ich bin einfach zu neugierig auf Toms Gesichtsausdruck, wenn er mich das erste Mal in diesem provozierenden Kleid sieht.

Von vorne unschuldig – von hinten sexy.

Nach meinem Einkauf setze ich mich ins Taxi und fahre ins Büro.

Im 29. Stock des Towers angekommen, begebe ich mich schnell an meinen Schreibtisch, um die versäumte Arbeit aufzuholen.

Kurz vor der Mittagspause erscheint mein Chef. „Samantha, könnten sie kurz jemanden nach oben schicken, um ein paar Unterlagen für den neuen Deal mit Sea-Oil abzuholen.“

„Ja, natürlich!“, antworte ich freundlich. Im Nachbarzimmer wende ich mich an die Praktikantin: „Lisa, gehst du bitte kurz hinauf und …“

Plötzlich bemerke ich, dass sie sich ein Taschentuch an die Augen hält und ihren Blick abwendet.

„Lisa, was ist los?“, frage ich besorgt, gehe auf sie zu und lege meinen Arm fürsorglich um ihre Schultern.

Verweint schaut sie mich an, schüttelt jedoch leicht den Kopf.

„Nichts! Schon gut, ich hatte nur etwas im Auge!“, versucht sie mich zu beruhigen.

„Das glaub ich dir nicht! Hat es wieder mit Tobi zu tun?“, dränge ich sie zur Antwort.

Schnell steht sie auf, dabei schaut sie mir fest in die Augen. „Nein! Es ist wirklich alles in Ordnung, Sam! Was soll ich von oben holen?“

Nachdem ich ihr erklärt habe, um welche Unterlagen es sich handelt und dass diese bei Melissa liegen müssten, stürmt Lisa aus der Tür. Besorgt schaue ich ihr nach.

In Gedanken versunken gehe ich zurück an meinen Schreibtisch. Ich nehme mir vor, Lisa bei ihrer Rückkehr aus der Chefetage erneut auf Tobi anzusprechen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihre traurige Stimmung erneut mit ihrem Freund zu tun hat. Erst vor zwei Tagen hat sie sich bei mir ausgeheult, weil er eine Affäre mit einer Stripperin hatte.

Plötzlich fällt mir ein, dass ich noch mit Keno sprechen wollte. Ich greife nach dem Telefonhörer und wähle seine Durchwahl. Er geht jedoch nicht ran.

Nachdem sich mein Schreibtisch mittlerweile unter den Aktenbergen biegt, mache ich mich zügig an die Arbeit.

Nach einer halben Stunde platzt Herr Brückner aufgebracht in mein Zimmer. „Sind die Unterlagen endlich da? Samantha, haben sie das vergessen? Ich brauche sie dringend!“, tadelt er mich.

Ungläubig schaue ich auf. „Ist Lisa noch nicht zurück? Sie ist schon ewig weg! Ich schaue gleich selbst nach.“

Besorgt stehe ich auf und mache mich auf den Weg zum Treppenhaus. Während ich die drei Stockwerke nach oben laufe, gehen mir verschiedene Fragen durch den Kopf. Wo bleibt sie so lange? Vielleicht sitzt sie irgendwo und heult sich die Augen aus oder womöglich ist sie einfach nach Hause gefahren? Aber ohne vorher Bescheid zu geben? Nein, das glaube ich nicht!

Ich trete aus dem Treppenhaus in den Flur der 32. Etage. Mit schnellen Schritten gehe ich auf Melissas Schreibtisch zu, den ich jedoch verlassen hinter dem Empfangstresen vorfinde.

Nach einem kurzen Blick auf meine Uhr stelle ich enttäuscht fest, dass sie wahrscheinlich in der Mittagspause ist. Vielleicht hat Tom die Unterlagen?

Ich drehe mich zur Seite und klopfe an seinem Büro. Keine Reaktion. Nach erneutem Klopfen öffne ich die Tür und trete ein. Auch sein Büro liegt verlassen vor mir. Sind die beiden etwa gemeinsam in die Mittagspause gegangen? Ich drehe mich um und schließe die Tür wieder hinter mir.

Mit zügigen Schritten eile ich den Flur entlang, vorbei an den verschiedenen Besprechungsräumen, Aufenthaltsräumen sowie Büros. Auf halbem Weg kommt mir plötzlich Melissa entgegen. Mit erhitztem Gesicht und scheinbar völlig außer Kontrolle stürmt sie auf mich zu.

„Frau Seiber!“, rufe ich ihr entgegen.

Erschrocken blickt sie auf. „Frau Reich?“

„Wissen Sie wo Tom ist? Er ist nicht in seinem Büro.“

Panisch und leicht verwirrt schaut sie sich um. „Nein… äh doch… er ist in der Teeküche“, stottert sie aufgeregt. Ohne eine weitere Erklärung läuft sie fluchtartig den Gang zurück zu ihrem Schreibtisch.

Verblüfft über dieses seltsame Verhalten mache ich mich auf den Weg zur Teeküche. Am Ende des Ganges befinden sich mehrere Räume, die mit Glaswänden umgeben sind. Die Teeküche befindet sich seitlich im Eck und ist erst sichtbar, wenn man das Ende des Ganges erreicht hat. Sie ist zwar von den Geräuschen der Umgebung abgeschirmt, jedoch hat man freie Sicht auf die Personen, die sich in dem kleinen Raum aufhalten.

Abrupt bleibe ich stehen. Ich erkenne Tom, der neben einer kleineren Frau steht und auf sie einredet. Seine Hände liegen auf ihren Schultern, während er ihr besorgt ins Gesicht schaut. Erst jetzt erkenne ich, dass es sich um Lisa handelt, die ihn traurig anblickt. Plötzlich zieht Tom sie an sich, nimmt sie liebevoll in den Arm. Behutsam drückt er das zierliche Mädchen, während sie ihre Arme um seinen Rücken schlingt. Unsicher über die mir dargebotene Szene, beobachte ich die beiden angespannt.

In diesem Moment wendet Tom seinen Blick mir zu. Schlagartig schiebt er Lisa von sich und lächelt mich an. Nachdem er die Küche verlassen hat, kommt er mit schnellen Schritten auf mich zu. „Sam! Was machst du denn hier? Waren wir verabredet?“

„Nicht dass ich wüsste. Und was machst du hier?“, frage ich mit Nachdruck.

Vollkommen selbstsicher, ohne den kleinsten Zweifel in seiner Stimme aufkommen zu lassen, antwortet er: „Lisa kam, um Unterlagen abzuholen. Weißt du, dass ihr Freund sie betrügt? Sie ist echt fertig. Ich habe mich mit ihr unterhalten und versucht, sie zu überzeugen, dass ihr Freund es nicht wert ist, dass sie ihm nachtrauert.“

„Aha“, kommt als einziges Wort aus meinem Mund. Ich bin mir nicht sicher, ob die Informationen meiner Augen und meiner Ohren zu einem einheitlichen Bild zusammenpassen.

„Hey Baby, was ist los?“, fragt Tom besorgt. Mein Blick wandert von ihm zu Lisa, die in diesem Moment aus der Teeküche kommt und auf mich zusteuert.

„Sorry, Sam! Ich wollte gleich wieder kommen, wurde aber irgendwie… aufgehalten“, ergänzt sie ihre Erklärung unsicher, schielt dabei unauffällig zu Tom.

Als mein Blick auf die Papiere in Lisas Hand fällt, blendet mein Pflichtbewusstsein alle anderen Emotionen aus. „Dann beeil dich jetzt und bring die Unterlagen schnell zu Herrn Brückner.“

Schnell hetzt sie den Gang hinunter zum Treppenhaus.

Tom legt den Arm um mich und flüstert mir ins Ohr: „Hast du noch etwas Zeit? Wir könnten noch in mein Büro gehen.“

Seine verführerische Stimme lässt mich nicht kalt, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass es besser ist, in mein Stockwerk zurückzukehren.

„Sorry, aber ich muss noch einiges wegarbeiten. Heute Abend zeige ich dir dafür mein neues Kleid, das ich extra für dich gekauft habe.“

Er küsst mich zärtlich auf die Lippen, begleitet mich anschließend noch zum Fahrstuhl, bevor er in seinem Büro verschwindet.