Schuld, die dich schuldig macht - Angelika B. Klein - E-Book

Schuld, die dich schuldig macht E-Book

Angelika B. Klein

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Beschreibung

Um der Rache eines verbitterten Vaters zu entkommen, flieht Mia in die Abgeschiedenheit Afrikas. Erst das Zusammentreffen mit ihrer großen Liebe veranlasst sie, die sichere Umgebung zu verlassen. Sie folgt ihrem Herzen – in die Großstadt London. Dort holt ihre Vergangenheit sie ein!

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Angelika B. Klein

Schuld, die dich schuldig macht

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Überschrift

PROLOG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

EPILOG

LESEPROBE

DANKSAGUNG

Impressum neobooks

Überschrift

SCHULD

die dich

schuldig macht

von Angelika B. Klein

www.facebook.com/AngelikaB.Klein

Alle Handlungen und Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Sollten sich einzelne Namen oder Örtlichkeiten auf reale Personen beziehen, so sind diese rein zufällig.

© 2014 Angelika B. Klein

Für meine

geliebten Eltern,

die meine Erfahrungen

leider nicht mehr mit mir teilen durften

PROLOG

Er spürt, wie das kalte Wasser an seinen Knöcheln emporsteigt. Das gläserne Gefängnis lässt keine Flucht zu. Seine Beine sind mit Fußfesseln am Boden verankert, seine Arme mit Gurten auf seinem Rücken fixiert. Panik kriecht in ihm hoch. Er schaut in ihr Gesicht und sieht, wie sich ihre Tränen einen Weg über ihre Wangen bahnen. Das Wasser steigt immer weiter, schnell und unerlässlich. Es hat bereits seine Knie erreicht. Er möchte ihr noch so viel sagen, aber ihm fallen nicht die richtigen Worte ein. Sie ruft ihm etwas zu, was er jedoch in der mittlerweile übermächtigen Angst, die ihn ergreift, nicht versteht. Das Wasser hat seine Hüfte erreicht.

Er öffnet seinen Mund, jedoch entweicht lediglich ein schlotterndes Stöhnen seinen Lippen. Das Wasser ist so kalt! Sein ganzer Körper zittert vor Kälte. Ein letztes Mal unternimmt er den Versuch, seine Arme oder Beine von den Fesseln zu befreien. Vergeblich! Das Wasser steht ihm wortwörtlich bis zum Hals. Er würde ihr so gern ein letztes Mal sagen, wie sehr er sie liebt. Er öffnet den Mund und schluckt augenblicklich das einströmende Wasser. Es bleiben ihm nur noch Sekunden, dann bekommt er keine Luft mehr! Ein letztes Mal saugen sich seine Lungen mit Sauerstoff voll, dann steigt der Wasserpegel über seine Nase. Unter Wasser öffnet er die Augen und schaut sie weiterhin an. Plötzlich wird er ganz ruhig. Die Angst und die Panik fallen von ihm ab. Er akzeptiert sein Schicksal. Eine wärmende Ruhe umschließt ihn. Er lächelt sie ein letztes Mal erfüllt von Liebe an, dann schließt er seine Augen und wird von einem schwarzen Nichts umhüllt.

Kapitel 1

Laute Rufe reißen mich aus meinen Gedanken. „Mia, Mia!“, höre ich eine Jungenstimme aufgeregt meinen Namen rufen. Ich stürme aus der Hütte und sehe Kojo, der mit seinem jüngeren Bruder auf dem Arm auf mich zugelaufen kommt.

Mein Blick fällt sofort auf das stark blutende Bein des kleinen Jungen. „Kojo, was ist passiert?“, frage ich besorgt. Ich nehme ihm den sechsjährigen Jungen ab und trage ihn schnell in die Steinhütte, welche als Krankenzimmer umfunktioniert wurde.

„Tidjani ist auf einen großen spitzen Stein gestürzt. Zuerst wollte er weiterlaufen, aber es hört nicht auf zu bluten!“, erzählt Kojo besorgt. Er macht sich große Sorgen um seinen Bruder. Wenn er mit dem Jüngeren allein unterwegs ist, trägt er, obwohl er selbst erst zwölf ist, die alleinige Verantwortung. Das wurde ihm von seinem Vater eingeschärft.

Ich lege Tidjani auf das lange Holzbrett, welches auf vier hohe stabile Füße genagelt als Untersuchungstisch dient und betrachte mir sein Bein genau. Oberhalb des rechten Knies klafft eine fünf Zentimeter lange und ziemlich tiefe Schnittwunde, die unaufhaltsam blutet.

„Kojo, schnell bring mir die Tücher dort drüben.“ Kojo läuft zu dem kleinen Tischchen und reicht mir die frischen aufeinandergestapelten Wundkompressen. Ich bedecke die Wunde mit zwei Tüchern und weise Kojo an: „Drück fest drauf und lass nicht los!“ Kojo legt seine Hand auf die Kompressen und drückt zu. Ein leises Wimmern entweicht Tidjanis Lippen. Ich finde, dass sich der Jüngere ausgesprochen tapfer verhält, angesichts der schmerzhaften Verletzung. In seinen Augen erkenne ich Angst, aber keine Träne verlässt seinen Körper. Ich drehe mich zu meinem Instrumentenschrank um und hole eine Betäubungsspritze, Nadel und Faden sowie Jod. Vorsichtig steche ich links und rechts der Wunde in die Haut und injiziere 2 ml Lidocain. Danach säubere ich die Wunde großflächig mit Jod und beginne, den Schnitt zu verschließen.

Während ich zügig, aber sorgfältig einen Stich nach dem anderen durchführe, versuche ich Tidjani abzulenken: „Erzähl mir, wie das passiert ist, Tidjani. Wie schaffst du es, in einer Steppe übersät mit hohem Gras auf den einzigen großen Stein zu fallen, der rumliegt?“

Tidjani schaut mich tadelnd an: „Das war mir vorherbestimmt! Vater sagt, wenn du dich verletzt, will dir die Natur damit zeigen, dass du bereit bist einen weiteren Schritt zu gehen, um ein Mann zu werden. Ich habe nicht geweint. Tapfere Männer weinen nicht!“

Selbst jetzt, nachdem ich bereits zwei Jahre hier meinen Dienst verrichte, überrascht mich immer wieder die Tapferkeit und der Mut der Jungen und Männer, die zum Teil täglich ihr Leben riskieren, um die Familie und das Dorf zu ernähren.

Ich bin gerade mit dem letzten Stich fertig und verknote die Enden des Fadens, als ich erneut meinen Namen höre: „Mia, bist du da?“ Abgehetzt erscheint Anna, die 18-jährige Studentin aus Hamburg, die hier ein freiwilliges soziales Jahr absolviert, in der Tür.

Während ich die frisch genähte Wunde meines jungen Patienten verbinde frage ich: „Was ist los, Anna? Du bist ja ganz außer Atem.“

Mit kurzen Worten erzählt sie: „Es ist Kefira, es ist bei ihr soweit, du musst schnell kommen!“

„Kefira? Jetzt schon? Wo ist Mona?“

Anna schüttelt den Kopf und antwortet: „Die ist in Samroni, bei einer schweren Geburt mit Steißlage“.

Oh nein! Bitte nicht! Kefiras Geburtstermin ist erst in vier Wochen und Mona ist die einzige Hebamme im Dorf. Ausgerechnet heute ist sie in Samroni, das liegt zwei Stunden entfernt. Ich habe ihr zwar des Öfteren bei Geburten geholfen und auch einiges über die ausübende Kunst der Hebamme gelernt, aber ich war noch nie allein verantwortlich für die Gesundheit von Mutter und Kind.

Schnell verbinde ich Tidjanis Bein fertig und schaue mich suchend in der Hütte um. Wo ist der Geburtskoffer? Mist, den hat natürlich Mona dabei. Dann muss es eben ohne gehen. Ich eile zur Tür hinaus und laufe zu Kefiras Strohhütte. Anna folgt mir mit ein paar Metern Abstand. Bereits von draußen höre ich das jammernde Stöhnen der werdenden Mutter und trete zügig in den dunklen Raum ein. Jamal, Kefiras Ehemann, steht neben dem Bett und hält besorgt ihre Hand. Sie sind beide erst 19 Jahre alt und es ist ihr erstes Kind, daher wissen beide noch nicht, was auf sie zukommt.

„Kefira, es wird alles gut, atme ruhig ein und aus“, fordere ich sie auf. An Jamal gerichtet frage ich: „In welchen Abständen kommen die Wehen?“

Jamal schaut mich mit großen Augen an. Klar, blöde Frage. Hier im Herzen Afrikas, einem kleinen Dorf namens Mandala in Sambia, 200 km von der nächsten größeren Stadt Kabwe entfernt, schert man sich nicht um die Uhrzeit. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als selbst den Abstand zwischen zwei Wehen festzustellen.

Vorsichtig spreize ich Kefiras Beine und taste mit meinem Finger nach dem Muttermund. Oh mein Gott! Er ist bereits vollständig geöffnet und ich spüre auch schon das Köpfchen, wie es nach unten drückt. In diesem Moment kommt die nächste Wehe und Kefira fängt an zu pressen. Mit einem lauten Schrei hört sie auf und fällt erschöpft und mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihr Kissen. „Kefira, wie lange hast du schon Presswehen?“, frage ich besorgt. Kefira antwortet mir jedoch nicht. Mein Blick sucht Anna: „Anna, seit wann bist du da?“

Hilflos antwortet sie: „Ich bin ungefähr seit einer halben Stunde da. Ich kam zufällig an der Hütte vorbei und habe sie schreien gehört. Der Dorfarzt war gerade bei ihr, hat aber nach einiger Zeit besorgt den Kopf geschüttelt und die Hütte wieder verlassen. Erst danach hat mir Jamal erlaubt Mona oder dich zu holen.“ In solchen Situationen werde ich so wütend auf die Kultur und das Verhalten der Eingeborenen. Sie sind so stur, was die moderne Medizin angeht. Wenn sie wirklich schon so lange in den Presswehen liegt und das Kind immer noch nicht weiter nach unten gerutscht ist, muss ich davon ausgehen, dass Kefira und ihr Kind es nicht alleine schaffen. Der Geburtskanal ist zu eng, ich muss nachhelfen.

Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Was würde Mona jetzt machen? Die Zange! Mist, die ist im Geburtskoffer! Kefiras lauter Schrei reißt mich aus meinen Überlegungen. Jetzt nur keine Panik aufkommen lassen! Was kann ich als Geburtszange verwenden? Suchend schaue ich mich in der spärlich eingerichteten Hütte um. Mein Blick fällt auf eine große Schüssel in der Ecke der Hütte, daneben liegen zwei Holzlöffel. Etwas Passenderes entdecke ich auf die Schnelle nicht.

Das Adrenalin schießt mir in den Körper. Mit deutlichen kurzen Sätzen befehle ich:

„Anna, nimm die beiden Holzlöffel und säubere sie so gut es geht.“

„Jamal, bring mir saubere Tücher.“

Zu Kefira sage ich mit beruhigender aber eindringlicher Stimme: „Kefira, ich muss deinem Kind helfen, es schafft es nicht alleine. Du darfst nicht mehr pressen, hörst du?“ Kefira stöhnt vor Schmerzen. „Kefira, du darfst nicht mehr schieben, erst wenn ich es sage, das ist wichtig.“ Ich nehme ein leichtes Nicken von Kefira wahr und bereite mich auf meine erste Zangengeburt ohne Zange vor.

Anna gibt mir die beiden sauberen Holzlöffel, während Jamal die Tücher neben mich auf das Bett legt. Plötzlich kommt mir ein Gedanke: Das Kind muss an den Holzlöffeln entlang nach außen gleiten… die Oberfläche der Holzlöffel …. sie ist zu rau. Verdammt! Ich schaue mich im Raum um.

Anna bemerkt meine suchenden Blicke und versucht mit zur helfen: „Mia, kann ich dir irgendwie helfen?“

„Ich brauche etwas, um die Löffel rutschiger zu machen. Creme, Fett oder Ähnliches“, antworte ich hektisch. Ich finde nichts, was sich nur annähernd eignen würde. Nach kurzem Überlegen sprintet Anna aus der Hütte und verschwindet um die Ecke. Erneut schreit Kefira auf. Ich kann nicht mehr länger warten, sonst wird es wirklich gefährlich für Mutter und Kind.

Ich positioniere mich zwischen den Beinen der Schwangeren und schiebe vorsichtig einen der Löffel in ihre Vagina ein. Kefira stöhnt unter den Schmerzen laut auf. In diesem Moment fliegt die spärliche Holztür auf und Anna stürmt herein. In der Hand hält sie eine Schüssel mit einer weißen festen Masse darin. Sie reicht mir die Schüssel und erklärt atemlos: „Das ist das Einzige was ich gefunden habe, aber das müsste gehen, oder?“ Ich rieche an der weißen Masse und verziehe augenblicklich mein Gesicht. Igitt!

„Was ist das?“, rufe ich Anna entgegen.

Betreten schaut sie mich an und meint: „Das ist Schweineschmalz. Es ist fettig, das wolltest du doch!“

„Ja, danke Anna.“ Ich habe keine andere Wahl, als das Schweineschmalz zu verwenden. Schnell reibe ich beide Löffel mit dem Fett ein und führe erneut zuerst einen Löffel in Kefira ein. Nachdem dieser problemlos hineingerutscht ist, setze ich den zweiten Löffel an und schiebe ihn vorsichtig in die Vagina. Da Kefira eine Erstgebärende ist, ist der Geburtskanal dementsprechend eng und ich muss mich anstrengen, um den zweiten Löffel in seine richtige Position zu bringen.

Anna, die mittlerweile völlig aufgelöst neben mir steht, schluchzt: „Du verletzt doch den Kopf des Kindes, wenn du ihn mit den harten Löffeln packst und rausziehst.“

Gestresst aber konzentriert antworte ich: „Nein, ich packe das Kind doch nicht. Ich erweitere nur den Weg, damit das Kind durch passt. Es rutscht an den Löffeln entlang. Sollte es zumindest, wenn alles gut geht.“ Den letzten Satz flüstere ich fast nur noch zu mir selbst.

Kefira gibt laute animalische Geräusche von sich und Jamal macht Anstalten, das Vertrauen in mich zu verlieren und mich von seiner Frau wegzuziehen. Ängstlich ruft er: „Hör auf, du bringst sie ja um. Das Kind wird alleine kommen, die Götter werden ihm auf die Welt helfen. Lass sie in Ruhe, geh weg!“

„Anna, bring Jamal raus, bevor er hier noch durchdreht!“, schreie ich genervt. Anna springt auf und zieht Jamal zur Tür hinaus.

Die beiden Löffel liegen an ihren vorgesehenen Positionen. Mit aller Kraft ziehe ich sie auseinander. Ich versuche zu erkennen, wie weit ich den Geburtskanal öffnen muss. Kefira schreit mittlerweile durchgehend ohne Pause. Ihr Bauch zieht sich zusammen, die nächste Presswehe kommt. „Kefira, jetzt schiebe so fest zu kannst. Schiebe dein Kind zu mir raus.“ Kefira presst und ich sehe, wie der Kopf des Kindes langsam in den Geburtskanal rutscht. Die Wehe ist vorbei. „Atme tief durch, Kefira. Einmal noch, dann hast du es geschafft. Mit der nächsten Wehe schiebst du noch einmal so fest du kannst!“ Schweißüberströmt nickt sie mir zu. Sie versucht tief durchzuatmen, trotz der Schmerzen. Die nächste Presswehe kommt. Kefira drückt mit aller ihr noch zur Verfügung stehenden Kraft und ein kleines Köpfchen mit schwarzen nassen Haaren bahnt sich den Weg nach draußen. Das Schwierigste ist geschafft. Mit der nächsten Wehe ziehe ich vorsichtig die Löffel heraus, wodurch mir der Körper des Kindes entgegen flutscht. Ein kleines, zerknittertes und laut schreiendes Bündel liegt auf der Decke vor mir. Kefira lässt sich erschöpft und erleichtert zurückfallen.

Durch die Schreie des Neugeborenen angelockt, erscheinen Anna und Jamal in der Hütte. Nachdem ich die Nabelschnur abgeklemmt, durchtrennt und die Atemwege des Kindes notdürftig vom Schleim befreit habe, reiche ich das Bündel Kefira, die es sofort liebevoll in die Arme schließt. „Du hast eine gesunde Tochter, Kefira.“ Jamal nimmt mich dankbar in den Arm und entschuldigt sich für sein aufgebrachtes Verhalten. Nach ein paar Minuten drückt Kefira die Nachgeburt heraus. Ich wickle sie in ein Tuch und übergebe sie Jamal. Für ihn ist es wichtig, den Mutterkuchen, wie es die Tradition vorschreibt, weiterzuverarbeiten.

Nachdem ich mich noch einmal vergewissert habe, dass es Mutter und Kind gut geht, verlasse ich mit Anna die Hütte und gehe zurück zu meiner Steinhütte. Erst jetzt bemerke ich, welche Anspannung und Sorge mich die letzten Minuten ergriffen hat. Mir tut jeder einzelne Muskel im Körper weh und ich bin unsagbar müde.

Erst spät am Abend kommt Mona zurück. Noch auf dem Weg zu unserer Hütte, welche wir uns teilen, erfährt sie durch Jamal von der ungewöhnlichen Geburt.

Sie betritt unser Haus und nimmt mich augenblicklich in den Arm. „Mia, meine Süße! Stimmt es, was ich eben von Jamal gehört habe? Du hast eine Zangengeburt durchgeführt?“

Müde bestätige ich ihre Frage: „Ja, mit etwas Improvisation.“

„Ich bin so stolz auf dich!“, lobt mich Mona. Sie ist für mich wie eine Mutter und erzählte mir einmal abends, dass sie, wenn sie eine Tochter hätte, sich wünschte, sie wäre wie ich.

Wir setzen uns an unseren provisorischen Tisch und unterhalten uns über die beiden schwierigen Geburten des heutigen Tages.

Abends in meinem Bett, besser gesagt auf der Liege, welche mir als Bett dient, lasse ich den Tag nochmals an mir vorbeiziehen. So anstrengend er auch war, ich bin froh, dass ich mich vor zwei Jahren entschieden habe, nach Afrika zu gehen und für die Hilfsorganisation UNICEF zu arbeiten. In meinem vorherigen Leben ist so einiges schief gelaufen und ich habe hier neue Freunde und eine neue Aufgabe gefunden. Einer der Gründe, warum ich mich für das Dorf Mandala entschieden habe war, dass die Umgangssprache hier Englisch ist. Obwohl das Dorf nur ca. 120 Einwohner zählt, davon ca. 50 Kinder jeden Alters, wird man hier geschätzt für das was man tut und nicht für das, was man hat. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder in die hektische, laute und materiell-orientierte Welt zurückkehren zu müssen. Allerdings bin ich gerade einmal 25 Jahre alt, was das Leben noch mit mir vorhat, lässt sich nicht erahnen.

Kapitel 2

DREI JAHRE ZUVOR

Isabel betritt das Schwesternzimmer der Station B des Kinderkrankenhauses München. „Guten Morgen Lotti.“, begrüßt sie die etwas ältere Nachtschwester.

Diese schaut von ihrem Bericht auf und antwortet: „Guten Morgen Isi“.

Isabel holt sich eine Tasse Kaffee und setzt sich zu Lotti, die eigentlich Lieselotte heißt, an den Tisch. Sie wartet kurz, bis diese ihren Satz zu Ende geschrieben hat und erkundigt sich dann: „War heute Nacht irgend was Besonderes?“

Lotti schaut von ihrem Geschriebenen auf und berichtet: „Miriam von Zimmer 12 hat sich übergeben, es geht ihr aber jetzt wieder besser. Lisa auf der 14, hatte starke Schmerzen, ich habe ihr 250 mg Paracetamol gegeben. Und wir haben einen Neuzugang auf der 18. Ein fünfjähriger Junge, Luca, mit einem Fieberkrampf.“ Isabel nickt konzentriert und trinkt einen Schluck von ihrem Kaffee.

Nach einigen Minuten steht sie auf und beginnt ihren morgendlichen Rundgang durch die Patientenzimmer. Als letztes geht sie zu Zimmer 18, öffnet nach kurzem Anklopfen die Tür und tritt ein.

Eine kleine zerbrechliche Gestalt blickt ihr aus dem großen Bett entgegen. Lächelnd geht sie zum Fenster und zieht die Gardinen zur Seite. Sonnenstrahlen durchfluten das freundlich eingerichtete Einbett-Zimmer. „Guten Morgen Luca“, sagt sie freundlich. Der Junge schaut sie mit großen Augen an. Isabel nimmt sich das Patientenblatt, welches am Fußende in einer Halterung steckt und überfliegt schnell die wichtigsten Daten. „Du kommst also aus Italien? Verstehst du mich? Sprichst du deutsch?“

Ein schüchternes Lächeln huscht über Lucas Gesicht: „Ja“.

„Wie geht es dir heute?“, fragt sie ihn freundlich und ruhig.

Tränen steigen ihm in die Augen während er wimmert: „Ich will nach Hause zu meiner Mama.“

Isabel liebt ihren Job als Kinderkrankenschwester, aber solche Situationen fürchtet sie, denn es gibt keine Regel, wie man sich am besten verhält. Auf jedes Kind muss man anders eingehen, wenn es Heimweh hat. Langsam setzt sie sich zu ihm aufs Bett und legt seine kleine Hand in ihre. „Wie alt bist du denn Luca?“, fragt sie behutsam.

Er schaut ihr in die Augen und antwortet schluchzend: „Fünf.“

„Schon fünf? Dann hast du sicherlich einen Superhelden, den du ganz toll findest.“

Luca braucht nicht lange zu überlegen: „Ja, Spiderman!“, ruft er stolz.

„Wow! Spiderman! Ja, der ist wirklich toll!“, bemerkt Isabel bewundernd. „Was gefällt dir an Spiderman denn besonders gut?“ Ihre Taktik scheint aufzugehen.

Luca ist gedanklich so mit seinem Superhelden beschäftigt, dass seine Tränen mittlerweile getrocknet sind und er sich aufgeregt aufsetzt. „Er ist stark und hat nie Angst. Außerdem besiegt er die Bösen und er kann mit seinem Spinnennetz so schnell nach oben fliegen, dass ihn keiner mehr sieht.“

Isabel holt ein Fieberthermometer aus ihrer Tasche und zeigt es Luca. „Weißt du was das ist?“, fragt sie ihn geheimnisvoll. Der Junge schüttelt den Kopf. „Das ist ein Fieberthermometer. Ich lege es dir unter den Arm und wir warten bis es piepst. Und während wir warten, erzähle ich dir ein Geheimnis.“ Luca wird neugierig und hebt freiwillig seinen rechten Arm, damit Isabel das Thermometer darunter legen kann.

Dann greift Isabel erneut in die Tasche ihrer Schwesterntracht und holt drei verschiedenfarbig verpackte, kleine runde Bonbons hervor. Die haben sich in so manchen Situationen schon bewährt. Langsam öffnet sie die Hand. Lucas Blick fällt auf die Süßigkeiten. Irritiert kräuselt er die Stirn. In verschwörerischem Ton fängt Isabel leise an zu sprechen: „Pass auf, das sind drei ganz besondere Bonbons.“ Sie lässt diesen Satz auf Luca wirken. Er reißt die Augen neugierig auf.

„Das Rote… das verleiht dir Powerkraft. Aber nicht so eine Kraft, mit der du Autos heben kannst oder große Männer durch die Luft schleudern. Nein, es gibt dir die Kraft mit allem fertig zu werden, was dir Angst macht. Wenn du es isst, wird alles, wovor du gerade Angst hast, harmlos und gut.“

Lucas Augen werden immer größer und er will sich sofort das rote Bonbon schnappen. Isabel schließt jedoch schnell die Hand und schüttelt den Kopf. „Nein, warte!“ Luca zieht seine Hand zurück und hört ihr weiter gespannt zu.

„Das Gelbe …. das gibt dir Powergeschwindigkeit. Wenn du das isst, kannst du superschnell laufen. Und das Blaue … das macht dich unsichtbar.“

Aufgeregt platzt Luca heraus: „Echt, richtig unsichtbar? Dass mich keiner mehr sieht? Dann kann ich meine Schwester ärgern, ohne dass sie merkt, dass ich es bin?“

„Nein so ganz funktioniert es nicht. Die Kräfte sind nur da, um dich zu beschützen. Wenn dich etwas bedroht oder du vor etwas Angst hast, dann hilft es dir. Das Blaue macht dich nur soweit unsichtbar, dass dir nichts passieren kann.“

Isabel nimmt Lucas Hand und legt die Bonbons vorsichtig in seine kleine Handfläche. Leise sagt sie: „Überleg aber genau, wann du sie benutzt. Du hast nur diese drei Stück!“ Ehrfürchtig nickt Luca und überlegt wo er sie verstecken könnte. Er greift nach seinem dunkelbraunen Teddy, öffnet die kleine Tasche der roten Latzhose und steckt die Bonbons einzeln hinein. Dann verschließt er den Reißverschluss wieder sorgfältig und legt sein Stofftier neben sich.

Plötzlich piepst das Thermometer. Isabel holt es unter Lucas Achsel hervor und stellt beruhigend fest, dass seine Temperatur im Normalbereich liegt.

Sie steht auf und notiert die neuen Daten auf dem Krankenblatt.

„Bist du eine gute Fee?“, fragt Luca geheimnisvoll.

„Eigentlich nicht, aber ich habe das Glück, dass ich kleinen Kindern diese Bonbons geben darf.“

„Mit deinen langen blonden Haaren schaust du aber aus wie eine Fee“, flüstert er ehrfürchtig.

„Ich muss jetzt noch die anderen kranken Kindern besuchen, aber ich komme später noch einmal zu dir, ja?“, sagt Isabel lächelnd, steht auf und verlässt das Zimmer.

Kapitel 3

HEUTE

Wie jeden Morgen bin ich bereits sehr früh wach. Der Hahn kräht und das Treiben im Dorf beginnt. Ich gehe zum einzigen Brunnen im Dorf und schöpfe einen Eimer frisches Wasser. In unserer Wohnhütte wasche ich mich und putze mir schnell die Zähne. Glücklicherweise bin ich, was meine kurzen dunkelbraunen Haare angeht, sehr anspruchslos und benutze auch kein Make-up. Das wäre in dieser Umgebung auch eher hinderlich und nicht sehr sinnvoll.

Mittags sind die meisten Einwohner mit ihren täglichen Aufgaben beschäftigt. Die Frauen putzen die Hütten, bereiten das Essen zu, kümmern sich um die Kinder und die Männer sind unterwegs im Busch auf der Jagd. Heute übernimmt Anna die Dorfschule. An drei Tagen in der Woche unterrichte ich die Kinder in Lesen, Schreiben und Rechnen. Anna unternimmt mit den Kindern an den verbleibenden beiden Tagen Reisen in die Welt der Biologie, Erdkunde oder Geschichte. Dabei stößt sie oft an ihre Grenzen, da gerade die älteren Kinder von der Biologie der heimischen Pflanzen mehr Ahnung haben, als irgendein Lehrer.

Ich überprüfe gerade die Restbestände unserer Medikamente, als ich zwei Fahrzeuge höre. Neugierig trete ich aus der Tür und halte mir eine Hand über die Augen, um sie vor der blendenden Sonne abzuschirmen. Zwei Jeeps fahren die staubige Straße bis zur Dorfmitte entlang. Die Fahrzeuge halten und es steigen jeweils drei Personen aus. Einer trägt eine Kamera, einer ein Stativ und ein großes Mikrofon und eine Frau einige Fotoapparate. Verdammt, wie haben die sich denn hierher verirrt? Mona kommt aus unserer Hütte und geht sogleich auf die Neuankömmlinge zu. Ich ziehe mich zurück in mein Haus und schließe die Tür hinter mir. Die werden hoffentlich bald bemerken, dass sie hier falsch sind und wieder weiterfahren.

Wenig später erscheint Mona in meiner Hütte: „Mia, das sind drei Promis, die für den Red-Nose-Day zu uns kommen. Sie wollen sich alles ansehen und werden auch für dieses Dorf eine großzügige Spende leisten.“

Ich verziehe mein Gesicht. „Mona, du weißt, dass ich nichts mit der Presse und dem Fernsehen zu tun haben will.“

„Ich weiß, aber für unser Dorf ist das wirklich wichtig.“

„Wie kommen die überhaupt auf uns? Sind die nicht normalerweise nur in Kabwe oder Samroni?“

„Ja, aber dieses Mal wollten sie ein wirklich kleines Dorf zeigen, bei dem eben noch nicht so viel investiert wurde. Das macht sich wohl im Fernsehen besser und ist für die Zuschauer interessanter.“

„Und wie lange bleiben die hier? Dann geh ich solange zum Hügel und du kannst ihnen alles zeigen.“

Mona antwortet zerknirscht: „Das ist eben das Problem… die bleiben drei Tage hier.“

„Drei Tage!“, rufe ich entsetzt und etwas zu laut. „Wie soll ich mich drei Tage lang verstecken?“

„Gar nicht! Ich erkläre ihnen einfach, dass du nicht gefilmt und fotografiert werden willst. Das müssen sie akzeptieren.“

„Was willst du ihnen sagen? Meine Kollegin war zu Hause eine Kriminelle und ist hier untergetaucht? Oder willst du ihnen eine Phobie gegen Kameras aufbinden?“ Mein Tonfall wirkt leicht sarkastisch.

„Jetzt mach dir mal keine Sorgen. Ich regle das schon irgendwie!“ Mona nimmt mich beruhigend in den Arm und verlässt dann wieder die Hütte.

Unruhig laufe ich in der engen Hütte auf und ab. Ich befürchte, dass das nicht gut geht. Warum müssen die Promis auch ausgerechnet in unser Dorf kommen? Es gibt genug andere kleine Dörfer im Umkreis von 500 km. Ich habe mir vor zwei Jahren nicht ohne Grund dieses Dorf ausgesucht. Weit ab von jeglicher Zivilisation und uninteressant für Touristen. Mona ist die einzige, die über meine Vergangenheit Bescheid weiß und so soll es auch bleiben.

Erst später, als Mona wieder auftaucht und mir berichtet, dass die Neuankömmlinge eine Erkundungsfahrt in den Busch unternehmen, traue ich mich wieder aus dem Haus. Ich besuche Kefira mit ihrem Baby. „Hallo Kefira, wie geht es dir?“

Sie lächelt mich an: „Danke gut. Ich bin so froh, dass du mir gestern geholfen hast. Alleine hätte ich das nicht geschafft.“

„Schon gut, ich bin froh, dass alles geklappt hat. Wie geht es deinem Baby?“

„Gut, sie ist sehr brav und schläft viel.“

„Darf ich sie mir ansehen? Ich würde sie gerne nochmal kurz untersuchen, ob alles in Ordnung ist.“ Kefira hebt das kleine Bündel aus dem Holzbettchen und reicht es mir. „Hat sie schon einen Namen?“, frage ich interessiert.

„Sie soll Mandisa heißen“, antwortet Kefira.

„Das ist ein schöner Name. Was bedeutet er?“, will ich wissen.

„Mandisa bedeutet die Süße.“

„Ja, das passt. Sie ist wirklich süß.“

Nachdem ich die kleine Mandisa eingehend untersucht habe und mir sicher bin, dass es ihr gut geht, kehre ich in mein Arzthaus zurück.

Ich sortiere gerade das neu eingetroffene Verbandsmaterial in eine Schublade, als ich hinter mir die Türe höre und jemand herein kommt. In der Annahme, dass es sich um Mona handelt, lästere ich, während ich mich umdrehe, mit dem Blick noch auf die Schublade gerichtet: „Na, sind die feinen Herrschaften schon in ihr Hotel ….“ Erschrocken schaue ich in das Gesicht eines jungen Mannes, mit braunen zerstruppelten Haaren und helle Augen, soweit ich das in der schlecht beleuchteten Hütte erkennen kann.

Er lächelt verschmitzt und bemerkt: „Hotel? Warum hat mir keiner gesagt, dass es hier ein Hotel gibt?“

„Sorry, ich dachte du bist jemand anderes.“ Peinlich berührt schaue ich auf den Boden.

„Du bist sicher Mia! Mona schickt mich … deswegen.“ Dabei hebt er seine linke Hand, an der langsam das Blut herunter rinnt.

„Äh, ja. Setz dich hier hin. Wie ist das denn passiert?“ Langsam kehrt meine Sicherheit zurück und ich konzentriere mich auf die Verletzung vor mir.

„Tja, total blöd eigentlich. Wir sind aus dem Jeep ausgestiegen und ich habe meinen Finger in der Tür eingequetscht.“

Der kleine Finger zeigt eine Verletzung, die stark blutet, aber nicht gefährlich ist. Ich hole das Verbandsmaterial und beginne, die Wunde zu desinfizieren. Ein jammernder Laut entfährt seinen Lippen. Leicht genervt schaue ich ihm in die Augen. Jetzt erkenne ich auch, dass sie von einem schönen Himmelblau sind. Etwas länger als beabsichtigt starre ich ihn an. Erst sein Räuspern bringt mich zurück in die Wirklichkeit und ich setze schnell meine Arbeit fort. Nachdem der Finger verbunden ist, stehe ich auf. Auch mein Patient steht auf und streckt mir seine gesunde rechte Hand entgegen. „Ich heiße übrigens Louis“. Ich lege meine Hand in seine und spüre in diesem Moment ein leichtes Kribbeln in meinen Fingern, welches sich über die Hand bis in meinen Arm bewegt.

„Freut mich, ich bin Mia“, antworte ich verwirrt. Louis lächelt mich an, dreht sich um und verlässt das Haus.

Immer noch verwirrt schaue ich ihm nach.

Kapitel 4

Am nächsten Morgen bemerke ich auf dem Weg zum Brunnen, dass schräg hinter Kefiras Hütte, zwei Zelte aufgebaut sind. Praktisch, da haben die Promis sich ihr Hotel gleich selbst mitgebracht.

Einige Zeit später erscheint Louis erneut im Arzthaus. „Guten Morgen Mia!“, sagt er gutgelaunt.

„Guten Morgen, wie geht es deinem Finger?“

„Gut, danke. Hast du Lust und Zeit, mir etwas von der Gegend zu zeigen?“ fragt er freundlich.

„Ich weiß nicht…“. Ich wollte mich eigentlich nicht um die Besucher mit ihren anhänglichen Kameraleuten kümmern.

Louis merkt meine Unentschlossenheit und fügt hinzu: „Wir könnten alleine gehen, ohne Kamera.“ Fragend schaue ich ihn an. Entschuldigend meint er: „Mona hat erwähnt, dass du kamerascheu bist… also wenn du Lust hast?“

„Ich habe heute Dienst in der Schule“, wende ich ein.

„Mona meinte, sie könne dich entbehren.“

„Du hast Mona schon gefragt, bevor du überhaupt mich gefragt hast?“, entgegne ich gereizt.

„Sorry, ich dachte sie ist deine Chefin und ….“

„Da hast du falsch gedacht. Ich kann schon für mich selbst entscheiden.“

Louis dreht sich um und sagt beim Hinausgehen: „Schon gut, ich hab‘s schon verstanden. Tut mir leid.“ Er geht zur Tür hinaus und entfernt sich langsam von der Hütte.

Ich laufe vor die Tür und rufe ihm hinterher: „Gibst du immer so schnell auf? Mit dieser Einstellung kommst du hier aber nicht sehr weit!“

Augenblicklich bleibt er stehen, wartet einen Moment und dreht sich dann langsam zu mir um. Er lächelt mich an und ruft zurück: „Soll das heißen, ich muss hartnäckiger sein, wenn ich hier etwas erreichen will?“

„Möglicherweise“, gebe ich etwas leiser zurück.

Louis kommt mir entgegen und grinst. Kurz vor mir bleibt er stehen. „Wollen wir?“

„Was willst du sehen?“, frage ich ihn.

„Keine Ahnung. Das Ziel überlasse ich dir.“

„Ich hoffe, du bist gut zu Fuß“, bemerke ich, während ich an ihm vorbei gehe. Er folgt mir ohne Kommentar.

Ich führe Louis zu einem meiner Lieblingsplätze. Wir marschieren eine Stunde durch die Steppe. Ich erzähle ihm von den verschiedenen Tieren, die wir sehen, von den Kindern aus dem Dorf und von meiner Arbeit als Krankenschwester und Lehrerin.

Am Fuße des kleinen Hügels bleibt Louis stehen und schaut mich entsetzt an. „Da hinauf?“ Ich nicke grinsend und laufe los. Langsam trottet er hinter mir her den steilen Hügel hinauf.

Wir sitzen nebeneinander auf dem Gipfel des kleinen Berges und blicken in die Ferne. „Was hat dich hierher verschlagen?“, fragt Louis interessiert. Ich überlege lange, was ich ihm erzählen soll.

„Ich fand es schon immer schön, anderen Menschen zu helfen. Und wo kann man das besser, als in einem armen Land wie diesem? Die Menschen hier sind so dankbar für alles was man für sie tut. Das habe ich in Deutschland so nie erlebt.“ Louis beobachtet mich von der Seite. Ich blicke ihm in die Augen und verliere mich in dem leuchtenden Blau.

„Du bist berühmt, oder?“, frage ich abschätzend.

Er nickt. „Naja, es geht so. Du kennst mich ja anscheinend nicht.“

„Nein, ich bin seit zwei Jahren hier und seitdem nicht mehr auf dem Laufenden, was die Prominenz in Europa betrifft.“

„Wir sind seit ein paar Jahren eine Band. Wir heißen Varied und sind drei Jungs. Jack, Frankie und ich. Wir sind alle aus England und wohnen mittlerweile zusammen in London. Ich spiele Schlagzeug, die anderen beiden Gitarre. Frankie ist der kreative Kopf der Band. Er schreibt die meisten Lieder. Wir geben in verschiedenen Ländern Konzerte und sind auf dem besten Weg richtig groß rauszukommen.“ Ich nicke beeindruckt. Louis lächelt mich an: „So jetzt hast du in ein paar Sätzen alles von mir erfahren. Willst du mir jetzt auch etwas von dir erzählen?“ Nein! Eigentlich will ich das nicht.

„Was willst du wissen? Ich heiße Mia, bin 25 Jahre alt, komme aus Deutschland, bin Krankenschwester …“

„Und hast Angst vor Kameras?“, ergänzt Louis.

„Naja, Angst würde ich nicht sagen… eher ….Respekt?“, entgegne ich nachdenklich.

Louis schaut mich verwirrt an. Erklärend füge ich hinzu: „Ich mag es einfach nicht, wenn durch die Kameras, die ganze Welt an meinem Leben teilnimmt. Und ich mag es nicht in der Öffentlichkeit zu stehen. Wohl ganz im Gegensatz zu dir?“

„Ohne die Öffentlichkeit kann eine Band nicht überleben. Die Fans machen uns zu dem was wir sind. Ja, das gehört leider dazu.“

Wir sitzen noch eine ganze Weile zusammen, unterhalten uns und genießen zusammen den Sonnenuntergang.

Kapitel 5

DREI JAHRE ZUVOR

Den ganzen Vormittag ist Isabel beschäftigt, die kleinen Patienten zu versorgen, zu trösten und für Untersuchungen vorzubereiten. Dabei schweifen ihre Gedanken immer wieder zu dem kleinen Luca ab. So schnell, wie dieser blonde Junge, ist ihr noch nie ein Kind ans Herz gewachsen. Endlich gegen Mittag schafft sie es, ihn erneut in seinem Zimmer aufzusuchen.

Sie klopft kurz an und tritt ein. Kinderlachen schlägt ihr entgegen. Am Fußende des Bettes steht ein großer, gut gekleideter Herr mittleren Alters, neben ihm eine zierliche, hübsche Frau. Auf der Bettkante neben Luca sitzt ein kleines Mädchen, welches die gleichen blonden Haare und blauen Augen besitzt wie mein Patient.

Lächelnd geht Isabel auf die Eltern zu und reicht ihnen die Hand. „Hallo, ich bin Schwester Isabel“. Herr Frapatelli stellt sich und seine Frau vor. Isabel beugt sich zu dem Mädchen und reicht auch ihr die Hand: „Und wer bist du? Du musst Lucas Schwester sein.“

Das Mädchen lächelt sie freundlich an und antwortet: „Ja, ich bin Elena.“

Nachdem Isabel sich bei Luca über seinen Gesundheitszustand erkundigt hat wendet sie sich an den Vater. „Hat Herr Dr. Betz bereits mit Ihnen gesprochen?“

„Ja, er hat gesagt, wir können Luca heute wieder mitnehmen.“

Er kommt auf Isabel zu und fragt leise: „Kann ich Sie vielleicht kurz unter vier Augen sprechen?“ Überrascht schaut sie auf und nickt. Sie öffnet die Tür und beide treten auf den Flur hinaus.

„Wenn es um Luca geht, er….“, fängt Isabel an, wird aber sofort von ihrem Gegenüber unterbrochen:

„Nein! Doch eigentlich schon …Wie sage ich das jetzt am besten?“ Er kratzt sich unsicher am Kopf und schaut ihr in die Augen.

Isabel kann seine Reaktion nicht einordnen und antwortet freundlich: „Einfach raus damit, fragen Sie einfach.“

Er platzt heraus: „Wollen Sie mit nach Italien kommen und für uns als Kindermädchen arbeiten?“

Isabel klappt die Kinnlade herunter. Mit offenem Mund starrt sie ihn an. „Wie bitte?“, bringt sie schließlich hervor.

Verlegen lächelt er sie an und erklärt: „Das war jetzt wohl doch zu direkt, oder? Ich möchte es Ihnen erklären. Wir leben in Italien in der Nähe von Neapel, am Fuße des Vesuv. Das Dorf heißt Ercolano. Unser jetziges Kindermädchen geht in einem Monat zurück in ihr Heimatland. Wir suchen seit längerem einen Ersatz, haben aber bisher kein Mädchen gefunden, das meiner Frau und mir sowie den Kindern zusagt. Bis heute.“

Isabels Gedanken überschlagen sich. Nach Italien ziehen? Als Kindermädchen? Ich? Laut spricht sie aus: „Warum ich?“

Herr Frapatelli lächelt freundlich: „Luca ist ganz fasziniert von Ihnen. Er sagt, Sie seien eine gute Fee und hätten für ihn gezaubert.“ Ein Lächeln huscht über Isabels Lippen. Herr Frapatelli deutet das als gutes Zeichen und erklärt weiter: „Ich weiß nicht, was Sie für ihn gezaubert haben, aber ich habe ihn in einer fremden Umgebung noch nie so glücklich und aufgeschlossen gesehen.“

„Herr Frapatelli, ich …“

„Nein, bitte sagen Sie nicht gleich ab. Überlegen Sie es sich in Ruhe. Ich würde ihnen das doppelte Gehalt bezahlen, was Sie hier verdienen und …“

Jetzt ist es Isabel, die ihn unterbricht: „Stop! Herr Frapatelli, das ist …“

„Bitte nennen Sie mich Salvatore.“

„Also gut, Salvatore, das ist ein wirklich großzügiges Angebot, aber ich kann hier nicht einfach alles abbrechen und nach Italien auswandern. Ich liebe meinen Beruf, meine Familie, meine Freunde.“ Isabel schaut ihn mitleidig an.

„Isabel, wie alt sind Sie?“ fragt Salvatore ruhig.

„Ich bin 22, warum?“

„Sie sind noch so jung, Ihr ganzes Leben liegt noch vor Ihnen. Warum sollen sie nicht die Chance ergreifen, wenn sie sich Ihnen bietet? Etwas von der Welt zu sehen und etwas Neues zu erleben? Trauen Sie sich! Vorerst nur für ein Jahr, danach können Sie selbst entscheiden, ob Sie bleiben oder zurückgehen wollen.“

Isabel kommen Zweifel. So eine Chance bekommt man vermutlich wirklich nur einmal im Leben und es reizt sie wirklich, in ein anderes Land zu gehen. Ihre Vernunft versucht mit einem letzten Argument sie davon abzubringen: „Aber ich spreche überhaupt kein italienisch. Wie soll ich mich da verständigen?“

Ein breites Grinsen breitet sich auf Salvatores Gesicht aus. „Wenn das Ihre einzige Sorge ist … in unserem Dorf sprechen die meisten Leute deutsch.“ Somit ist Isabels letztes Argument auch widerlegt.

„Darf ich es mir trotzdem noch ein paar Tage in Ruhe überlegen?“, bittet sie ihn.

Salvatore legt den Arm um ihre Schultern und zieht sie in Richtung des Krankenzimmers seines Sohnes. „Natürlich, aber spannen Sie uns nicht zu lange auf die Folter.“ Sie betreten zusammen das Zimmer und Luca schaut ihnen erwartungsvoll entgegen. Er ist noch zu jung, um von den Gesichtern der Erwachsenen die Stimmung abzulesen, daher platzt er heraus: „Kommt Isabel mit? Ich will kein anderes Kindermädchen! Ich will nur Isabel!“

Isabel muss die aufsteigenden Tränen unterdrücken. Sie braucht keine Zeit mehr, um sich zu entscheiden. Die Entscheidung ist längst gefallen. Sie hat ihr Herz bereits an diesen kleinen Jungen verloren und sie spürt ein Kribbeln der Aufregung im Bauch, wenn sie an die bevorstehende Zeit in Italien denkt.

Kapitel 6

HEUTE

Am nächsten Tag herrscht bereits früh morgens ein reges Stimmengewirr auf dem Platz in der Mitte des Dorfes. Ich schaue aus meiner Hütte und sehe die drei Bandmitglieder mit einigen Jungs des Dorfes Fußball spielen. Der Kameramann und die Fotografin sind immer dicht bei ihnen, um keine spannende Situation zu verpassen. Ich lehne mich an meine Tür und beobachte amüsiert das Spiel. Plötzlich rollt der Ball mit hoher Geschwindigkeit direkt auf mich zu. Ohne mir darüber Gedanken zu machen, stoppe ich den Ball mit meinem Fuß und kicke ihn zurück zu der Gruppe. Erst jetzt bemerke ich, dass die Kamera direkt auf mich gerichtet ist und die Fotografin, in meine Richtung gewandt, mehrmals auf den Auslöser drückt. Schnell wende ich mich ab und flüchte in meine Hütte.

Kurze Zeit später ist das Spiel zu Ende. Die Kinder gehen in die Schule und die Filmcrew zieht sich in den Schatten zurück. Erleichtert, mich endlich wieder frei bewegen zu können, verlasse ich meine Hütte. In diesem Moment sehe ich einen dunkelhaarigen, sehr attraktiven Typen, auf mich zukommen. Er ist lediglich mit einer kurzen Sporthose bekleidet, was meine Blicke unverzüglich auf seinen durchtrainierten und dunkel gebräunten Körper, zieht. Wie in Zeitlupe betrachte ich jeden einzelnen seiner Schritte, sowie jede Bewegung seiner Muskeln. In meiner Phantasie versunken, stehe ich wie hypnotisiert vor ihm und starre ihn an.

Er lächelt mich an und sagt: „Hey Süße, du bist wie eine Oase für meine Augen.“

Ein Quietschen in meinem Kopf, als wenn man über eine Tafel kratzt, zerreißt das von mir erschaffene Traumbild. Die Attraktivität dieses Mannes zerplatzt wie eine Seifenblase. Wie kann ein so gutaussehender Typ, einen so blöden Spruch bringen? Erwartungsvoll steht er vor mir und grinst mich an.

Genervt antworte ich: „Und du bist wie ein Rudel Paviane für meine Ohren!“

Verblüfft schaut er mich an. „Was?“

Ich verdrehe die Augen und will mich gerade umdrehen, da höre ich von weitem Louis Stimme: „Hey Jack, an der beißt du dir die Zähne aus!“ Jack dreht sich um und lächelt Louis entgegen.

„Hallo Mia“, begrüßt mich Louis, „das ist Jack, einer meiner Bandkollegen.“

„Aha, schön dich kennen zu lernen, Jack“, bemerke ich wenig begeistert und reiche ihm die Hand. Jack nimmt meine Hand und führt sie, mit einem modelverdächtigen Lächeln, zu seinem Mund. Bevor er den geplanten Handkuss ausführen kann, entziehe ich mich jedoch seinem Griff und wundere mich erneut, wie ein so gutaussehender Typ, den ersten Eindruck so schnell ins Gegenteil kehren kann. Entgegen meiner Annahme merkt Jack jedoch sofort, dass er bei mir nicht den erhofften Erfolg erzielen kann und kehrt mit einer kurzen Bemerkung zurück zu den Kameraleuten.

„Das war also Jack?“, frage ich spöttisch.

Verlegen antwortet Louis: „Ja, er ist ein Frauenheld. Der baggert alles an, was bis drei nicht auf den Bäumen ist.“

„Hat der auch mal Erfolg?“, will ich interessiert wissen.

Louis schaut mich verständnislos an und meint: „Ja, ständig. Du glaubst nicht, wie viele Frauen nur nach dem Äußeren gehen.“

Ich verdrehe leicht die Augen. „Und wo ist der Dritte im Bunde?“, hake ich neugierig nach. Louis dreht sich um und zeigt auf einen blonden Jungen, der mit seiner Gitarre unter einem Baum sitzt. „Dort drüben, das ist Frankie. Er spielt jede freie Minute auf seiner Gitarre und komponiert neue Lieder.“

„Ihr drei seid wohl sehr verschieden!?“, stelle ich belustigt fest.

Louis lacht: „Ja, das sind wir wirklich!“

Nachdem Louis mich gefragt hat, ob ich Lust hätte, erneut mit ihm spazieren zu gehen, machen wir uns auf den Weg. Wir beschließen, dieses Mal die andere Richtung einzuschlagen. Unterwegs scherzen und lachen wir viel und Louis erzählt von diversen Konzerten und den Vor- und Nachteilen, die ein Leben als Popstar mit sich bringt.

Wir kommen an einen breiten Fluss und setzen uns ans Ufer. Schweigend beobachten wir die Antilopen, die sich auf der anderen Seite des Ufers versammelt haben. Plötzlich läuft eine handgroße Wasserspinne über Louis Bein entlang nach oben auf seinen Kopf zu. Er wirft sich reflexartig auf den Rücken und schreit kurz auf. Vorsichtig schiebe ich das unschuldige Tier von Louis Oberkörper. Links neben seinem Körper bleibt sie sitzen und macht keine Anstalten, davon zu laufen. Ängstlich rutscht Louis ein Stück näher an mich heran. Ich beuge mich schnell über ihn und gebe der Spinne einen kräftigen Schubs, woraufhin diese in das hohe Gras flüchtet. Halb auf Louis liegend schaue ich ihn an. Unsere Blicke treffen sich und er legt behutsam eine Hand in meinen Nacken. Langsam zieht er meinen Kopf näher zu sich heran. In meinem Bauch kribbelt es und mein Herzschlag beschleunigt sich. Will ich das wirklich? Ich kenne ihn erst seit einem Tag! Noch bevor mein Gehirn eine Entscheidung treffen kann, legt er seine weichen Lippen auf meinen Mund. Aus der anfangs zärtlichen Berührung, wird ein leidenschaftlicher Zungenkuss.

Plötzlich höre ich im Gebüsch hinter uns ein Kichern, gefolgt von einem leisen Ausruf: „Tidjani, Psst.“

Wie von einer Tarantel gestochen, löse ich mich von Louis und springe auf. Hektisch gehe ich ein paar Schritte ins Gebüsch und suche nach den verdächtigen Stimmen.

„Kojo, Tidjani, was macht ihr denn hier?“, rufe ich aus, nachdem ich die beiden Jungs entdeckt habe.

Tidjani kichert immer noch, während Kojo mich verlegen anschaut: „Wir sind euch gefolgt.“

Ich kann den Jungs nicht lange böse sein und entgegne erleichtert: „Na los, dann kommt jetzt raus aus eurem Versteck, wenn ihr schon mal da seid.“ Die beiden gehen mit mir zurück ans Ufer, wo Louis bereits wartet. Ich stelle ihm die beiden Kinder vor und setze mich wieder neben ihn ins Gras.

„Ist etwas passiert?“ will Louis wissen.

„Nein, warum?“ frage ich erstaunt.

„Ich meine nur… ich habe die Jungs auch kichern gehört, aber ich fand das jetzt nicht so alarmierend, dass ich den Kuss unterbrochen hätte.“ Louis schaut mich fragend an. Betreten wende ich meinen Blick ab. Ich kann ihm kaum erzählen, dass ich schlechte Erfahrungen damit gemacht habe, küssend mit einem Jungen im Gras zu liegen, während Kinder in der Nähe sind. Also zucke ich nur die Schultern und hoffe, dass er nicht weiter nachhakt.

Nach einer Weile treten wir den Rückweg an. Louis geht neben mir und nimmt behutsam meine Hand. Ich schaue kurz zu ihm auf.

„Darf ich dich auch nicht an der Hand nehmen, wenn Kinder dabei sind?“, fragt er skeptisch.

Lächelnd antworte ich: „Doch, das darfst du.“

Als wir im Dorf ankommen, begleitet mich Louis noch zu meiner Hütte. „Sehen wir uns heute Abend noch einmal? Wir haben jetzt noch einen Dreh und ein paar Interviews, aber danach könnten wir uns nochmals treffen, wenn du Lust hast.“ Ich nicke schüchtern und gehe ins Haus.

Am Tisch sitzt bereits Mona und bereitet das Abendessen vor. Sie beobachtet mich genau, bevor sie tadelnd äußert: „Mia, hast du dich etwa verliebt?“

Entsetzt reiße ich meine Augen auf, kann aber nicht verhindern, dass mein Gesicht rot anläuft. „Wie kommst du darauf?“, will ich empört wissen. Mona grinst und widmet sich wieder der Nahrungszubereitung. „Mona! Sag schon, wie kommst du auf so etwas?“, hake ich weiter nach.

„Kindchen, ich hab doch Augen im Kopf. Seit du hier bist, hast du noch nie solch glänzende Augen gehabt. Und deine Wangen sprühen vor Farbe. Ist doch schön, wenn du dich verliebt hast.“

„Das ist überhaupt nicht schön! In zwei Tagen fliegt er wieder nach Hause und ich sitze hier und kann nicht weg!“, jammere ich vor mich hin.

„Jetzt warte erst einmal ab, was noch kommt, Mia. Denke nicht so weit voraus - immer nur einen Schritt nach dem anderen.“ Mona findet meistens die richtigen Worte für meine Probleme. Ob sie dieses Mal auch Recht behält, wird sich noch zeigen.

Kapitel 7

DREI JAHRE ZUVOR

Einen Monat, nachdem Luca aus dem Krankenhaus entlassen wurde, steht Isabel in ihrem kleinen Appartement und schaut sich ein letztes Mal um. Von ihrer Familie und ihren Freunden hat sie sich bereits gestern verabschiedet. Ihre beste Freundin Rosi wird die Wohnung während ihrer Abwesenheit bewohnen. Diese hat stark protestiert, als ihr Isabel mitgeteilt hat, dass sie mit einem Taxi zum Flughafen fahren will, da sie Abschiedsszenen in der Öffentlichkeit nicht ausstehen kann. Schließlich hat sich Rosi dem Wunsch ihrer Freundin gefügt und so wurde es ein tränenreicher Abend.

Wehmütig packt sie ihren großen, schweren Koffer und schleppt ihn aus der Wohnung. Ein letzter Blick in den ihr so vertrauten Raum, dann zieht sie schnell die Tür hinter sich zu und begibt sich zum Taxistand.

Nach einem ruhigen eineinhalbstündigen Flug landet die Maschine auf dem Flughafen von Neapel. Der Himmel ist, obwohl gerade der Februar angebrochen ist, wolkenlos und die Luft angenehm warm. Isabel zieht ihren Koffer vom Förderband und begibt sich in Richtung Ausgang. Suchend schaut sie sich nach Salvatore um, der ihr zugesichert hat, sie pünktlich vom Flughafen abzuholen. Zwischen den Wartenden entdeckt sie plötzlich ein Schild mit ihrem Namen darauf. Überrascht und leicht unsicher geht sie auf den Mann mit der dunkelblauen Uniform und der passenden Chauffeurs-Mütze zu.

Freundlich lächelt er Isabel an: „Buon giorno, Signorina Isabel. Benvenuto! Ich bin Carlo der Chauffeur der Familie Frapatelli. Signore Frapatelli war leider verhindert, selbst zu erscheinen, daher hat er mich gebeten, Sie abzuholen.“ Isabel reicht ihm zur Begrüßung ihre Hand und lässt sich sodann von Carlo ihren Koffer abnehmen. Nachdem er diesen in den Kofferraum gewuchtet hat, öffnet er schwungvoll die hintere Türe der Limousine und bedeutet Isabel einzusteigen. Diese kann sich ein verlegenes Grinsen nicht verkneifen und rutscht schnell auf die Sitzbank im Wageninneren. Während Carlo die Autotür schließt, bemerkt sie amüsiert, dass die Passanten neugierig vor dem Wagen stehen bleiben und angestrengt überlegen, welche Prominenz da wohl gerade eingestiegen ist.

Nach zwanzigminütiger Fahrt erreichen sie bereits das Dorf Ercolano. Carlo fährt durch den Ort und biegt am Ortsausgang links, in eine kleine Straße ab. Vor einem großen Eisentor bleibt er stehen. Isabels Blick fällt auf eine Kamera mit Bewegungsmelder. Carlo holt eine Magnetkarte hervor und zieht sie über das an einer Steinmauer angebrachte Lesegerät. Mit einem lauten Klacken öffnet sich das Tor. Staunend und mit offenem Mund betrachtet Isabel die sich ihr darbietende Schönheit des Parks, der hinter der Mauer auftaucht. Eine Allee, gesäumt von hohen Pappeln, erstreckt sich vor ihnen. Während der Wagen langsam los fährt, versucht Isabel das Wohnhaus ausfindig zu machen. Soweit ihr Blick reicht, sieht sie jedoch nur Bäume und Felder. Links und rechts der schmalen Straße erstrecken sich Plantagen mit Zitronen- und Orangenbäumen. Ein Stück weiter entdeckt sie Oliven- und Mirabellenbäume. Das Anwesen muss riesig sein!

Einige Minuten später fahren sie auf eine herrschaftliche Villa zu, vor dessen großer Eingangstür der Wagen hält. Isabel wird nervös. Die müssen ja steinreich sein! Das hat sie nicht erwartet. Noch bevor sich ihre Nervosität steigern kann, wird die Fahrzeugtür von außen geöffnet. Langsam steigt sie aus.

„Isabel!“, hört sie den kleinen Luca rufen und sieht, wie er auf sie zugestürmt kommt. Sie fängt ihn in ihren Armen auf und hebt ihn hoch. Herzlich drückt sie ihn an sich. Luca schlingt seine dünnen Ärmchen um ihren Hals. Da er keine Anstalten macht, sie loszulassen, geht sie mit ihm auf dem Arm zum Eingang. Dort erscheinen mittlerweile auch die Mutter, sowie die siebenjährige Schwester von Luca.

Behutsam setzt Isabel ihren anhänglichen Freund ab und reicht der hübschen Frau die Hand. „Hallo, Frau Frapatelli.“

Diese nimmt ihre Hand entgegen und antwortet freundlich: „Bitte, nenn mich Valentina. Und wir sollten uns gleich duzen, das ist viel einfacher.“ Mit diesem Satz hat Valentina, ohne es zu ahnen, einen großen Stein von Isabels Herzen genommen. Isabel begrüßt noch Elena, die zwar freundlich, aber nicht so überschwänglich wie Luca, reagiert.

„Komm rein, ich zeige dir gleich das Haus. Salvatore lässt sich entschuldigen. Er musste dringend geschäftlich weg.“ Valentina geht voraus in die große Eingangshalle des Hauses. Isabel und die Kinder folgen ihr. Links geht es in ein geräumiges Wohnzimmer, mit offenem Kamin und großen, bequemen Ledersesseln. Auf der rechten Seite gelangt man in die große Küche. Valentina erklärt, dass hier manchmal für hundert Personen oder mehr gekocht wird, wenn Gäste erwartet werden.

Die Kinder laufen die große geschwungene Treppe hinauf, die von der Eingangshalle in den ersten Stock führt. „Isabel komm, ich zeig dir mein Zimmer!“, ruft Luca aufgeregt.

Valentina maßregelt ihn umgehend. „Luca, benimm dich! Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn im Haus herumgeschrien wird! Zuerst zeige ich Isabel alle wichtigen Räume, dann könnt ihr sie weiter herumführen.“ Erstaunt nimmt Isabel den strengen Unterton in Valentinas Stimme wahr. Sie findet nicht, dass Luca sich schlecht benommen hat. Im Gegenteil, er ist aufgeregt und will ihr sein Zimmer zeigen. Sie beobachtet Luca und erkennt, dass für ihn dieser Tadel keineswegs ungewöhnlich ist. Er verzieht kurz den Mund und verschwindet langsam um die Ecke.

Valentina führt Isabel in alle Räume, die sie für wichtig erachtet. Zuletzt zeigt sie ihr das Zimmer, welches für das Kindermädchen vorgesehen ist.

„Ich hoffe, das Zimmer gefällt dir!“, sagt sie, ohne wirklich eine Antwort darauf zu erwarten.

„Danke, es ist sehr schön“, antwortet Isabel schnell.

Valentina entgegnet freundlich: „Pack erst einmal in Ruhe deine Sachen aus, wir sehen uns dann zum Abendessen.“ Sie verlässt das Zimmer und schließt die Tür hinter sich.

Isabel lässt sich auf das große, weiche Bett fallen und breitet die Arme über ihrem Kopf aus. Wow! Das ist ein Palast! Allein dieses Zimmer ist fast so groß, wie meine gesamte Wohnung in München! Was mich hier wohl noch alles erwartet? Ein leises Klopfen reißt sie aus ihren Gedanken. Sie setzt sich auf: „Herein.“ Die Tür öffnet sich langsam und ein kleiner, blonder Schopf schiebt sich durch den Türspalt.

„Isabel?“, flüstert Luca vorsichtig. Als er sie erblickt strahlt er über das ganze Gesicht. „Darf ich reinkommen?“, fragt er etwas sicherer.