Erfolg – ein moderner Selbstbetrug - Bernd Kramer - E-Book

Erfolg – ein moderner Selbstbetrug E-Book

Bernd Kramer

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Beschreibung

Kann sich Leistung heute noch lohnen?

»EIN SCHLAUER ESSAY – EIN MUST-READ FÜR ALLE, DIE ÜBERZEUGT SIND, ERFOLG SEI NUR EINE FRAGE DES MINDSETS.« Julia Friedrichs, Filmemacherin und SPIEGEL-Bestsellerautorin

Wir strampeln im Hamsterrad immerzu dem Wunsch einer gesicherten Zukunft hinterher und vertrauen stur auf das Mantra, der Markt werde unsere harte Arbeit schon belohnen. Wer sich anstrengt, kommt ans Ziel. Aber stimmt das noch?

Erfolg und Leistung haben sich heute voneinander entkoppelt. Nicht selten entscheidet die Herkunft, eine Erbschaft oder der Zufall über den eigenen Platz in der Gesellschaft. Doch während wir die Chancengleichheit schwinden sehen, wünschen wir uns nur noch sehnlicher, zu den Erfolgreichen zu gehören. Was gibt am Ende wirklich den Ausschlag? Und warum klammern wir uns an Versprechen, die sich immer öfter als leer erweisen?

Bernd Kramer versammelt überraschende Einsichten aus Soziologie, Psychologie und Philosophie, die gehörig am Erfolgskult unserer Gegenwart rütteln. Er legt die Mechanismen hinter festgefahrenen Glaubenssätzen offen und zeigt, wie wir uns von ihrem Sog emanzipieren können.

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Seitenzahl: 255

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Über das Buch:

Erfolg und Leistung haben sich heute voneinander entkoppelt. Nicht selten entscheidet die Herkunft, eine Erbschaft oder der Zufall über den eigenen Platz in der Gesellschaft. Doch während wir die Chancengleichheit schwinden sehen, wünschen wir uns nur noch sehnlicher, zu den Erfolgreichen zu gehören. Was gibt am Ende wirklich den Ausschlag? Und warum klammern wir uns an Versprechen, die sich immer öfter als leer erweisen?

Bernd Kramer versammelt überraschende Einsichten aus Soziologie, Psychologie und Philosophie, die gehörig am Erfolgskult unserer Gegenwart rütteln. Er legt die Mechanismen hinter festgefahrenen Glaubenssätzen offen und zeigt, wie wir uns von ihrem Sog emanzipieren können.

Über den Autor:

Bernd Kramer beschäftigt sich seit Langem mit dem Verhältnis von Leistung und Erfolg. Als Redakteur der Süddeutschen Zeitung schreibt er schwerpunktmäßig über die Schnittstellen von Leistungsgesellschaft, Arbeitswelt und Bildungspolitik. Neben seinem Studium der Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Politik hat er die Kölner Journalistenschule absolviert und für die taz und den Spiegel gearbeitet. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Willi-Bleicher-Preis und dem Goethe-Medienpreis ausgezeichnet.

BERND KRAMER

ERFOLG–EINMODERNERSELBST-BETRUG

Von der Entzauberung der Leistungsgesellschaft

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Copyright © 2023 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Kathrin Sabeth Ohl, Hamburg

Umschlag: zero-media.net

Umschlagmotiv: Les Archives Digitales / Alamy Stock Foto

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30440-9V001

www.koesel.de

INHALT

EINLEITUNG

1 PEINLICHEREHRGEIZ

Warum wir etwas erreichen wollen, aber ungern darüber reden

2 VONNICHTSKOMMTNICHTS

Warum wir erwarten, dass sich harte Arbeit auszahlt

3 WASFÜREINZUFALL

Warum wir so selten in der Hand haben, was wir erreichen

4 DEMÜTIGERTRIUMPH

Wie die Erfolgreichen abheben, auch wenn sie bodenständig bleiben

5 ALLESVERDIENT

Warum es so schwerfällt, an Erfolg zu glauben, für den man nichts kann

6 ACHTSAMSCHEITERN

Warum es heute so hart ist, die Niederlage zu verkraften

7 LOTTOMITSYSTEM

Warum wir uns so schwertun, Erfolge gerecht zu verteilen

ANMERKUNGENUNDQUELLEN

EINLEITUNG

Man könnte meinen, der Erfolg habe seine beste Zeit hinter sich. Er ist verdächtig geworden, eine dubiose Angelegenheit, mit der irgendetwas nicht stimmt und die man deswegen weit von sich weist, zumindest vordergründig. Will ja keiner, so etwas, angeblich. Ein Vermögen auf der Bank, eine Villa mit riesigem Garten in Zehlendorf, eine Jacht im Hafen von Saint-Tropez. Fürchterliche Vorstellung. Der kurze Blick aufs Handy: Die Aktien entwickeln sich prächtig, die Firma läuft bestens, eine stattliche Dividende ist zu erwarten, zurücklehnen, die Sonnenbrille auf, einen Schluck Dom Pérignon. Was für ein grauenhaftes Leben. Es hebe die Hand, wer ernsthaft danach strebt.

Oder das hier: Die Chefin lobt das jüngst abgeschlossene Projekt, hervorragend gemacht, alle Kolleginnen und Kollegen sind ganz angetan. Nicken im Konferenzraum, Schulterklopfen auf den Fluren. Mit einem Mal fragen dich sogar diejenigen um Rat, die vor Kurzem nicht einmal wussten, wie du heißt. Schließlich bittet der Geschäftsführer zu sich ins Büro. Wirklich beeindruckend, sagt er. Wie wäre es mit einer Gehaltserhöhung und einer Beförderung? Irgendeine Stelle, die Sie bei uns besonders interessieren würde? Bitte, nein, bloß nicht.

Oder das: Da zieht man wochenlang ein straffes Fitnessprogramm durch, verbringt viele Stunden auf dem Crosstrainer, achtet auf die Ernährung, joggt jeden Tag nach der Arbeit dreimal um den See. Dann meldet man sich für den vom Stadtmarketingverein organisierten Marathon an, Freunde, Bekannte, Familienangehörige stehen am Wegrand und jubeln einem zu. Und dann lohnt es sich sogar. Zu allem Übel gewinnt man. Unerträglich.

Erfolg ist etwas für Angeber, Größenwahnsinnige, Narzissten, der Inbegriff einer Red Flag, ein Attribut all derjenigen, die sich eher früher als später als Unsympathen erweisen, etwas, das man in der postheroischen Gegenwart allenfalls mit gefallenen Helden in Verbindung bringt. Erfolg ist, um die Diagnose in zeitgenössisches Vokabular zu kleiden, toxisch. Und wenn irgendjemand dafür noch einen Beleg brauchte, konnte er ihn in den vergangenen Jahren dutzendfach finden: Menschen, die ihre Macht und ihren Status missbrauchten, die tief gestürzten Stars, Chefredakteure großer Boulevardblätter, Filmbosse wie Harvey Weinstein, Rockstars wie Till Lindemann oder er zum Beispiel: Kevin Spacey, einst gefeierter Schauspieler, dessen Karriere ins Abseits geriet und den die Drehbuchautoren von House of Cards in den vorzeitigen Serientod schicken mussten, als Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegen ihn erhoben wurden. Was war das Gift, das alles zerstörte? Ganz klar, sagt Spacey: der Erfolg. »Es gibt keine Schule, an der man lernen kann, wie man mit Ruhm umgeht«, bekannte er, kurz bevor ein Londoner Gericht ihn im Jahr 2023 dann doch freisprach. »Ich habe wirklich versucht, kein Arschloch zu sein. Aber ich glaube, in gewissem Maße war ich ein Arschloch.«1

Man hüte sich vor dem Erfolg.

Erfolg ist ein überholtes Accessoire einer überholten Generation alter weißer Männer. Mein Haus, mein Auto, mein Boot. Wen will man damit noch beeindrucken? Die empfindsamen Schneeflocken von heute lächeln nur müde über all diejenigen, die ein solches Gehabe weiterhin nötig haben: das Geprotze, das Geprahle, das Gegockel. Lächerlich. Immer schon gewesen. Nur dass es sich inzwischen herumspricht, glücklicherweise.

Wer jagt denn dem Erfolg noch hinterher?

Schon der Generation der Millennials wurde ein eher skeptisches Verhältnis zur Schufterei nachgesagt. Inzwischen sind die zwischen den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren Geborenen beruflich so weit vorgerückt, dass die Midlife-Crisis anstünde. Nur fällt die aus, weil es angeblich ja von vornherein kaum Erfolgsideale gab, deren Verfehlen man nun betrauern könnte. Kein Haus, kein Auto, kein Boot. Und das alles musste auch nie sein, nicht mehr. Die nachfolgende Generation Z hält es sogar noch nihilistischer. Die jungen Menschen, die in diesen Zeiten in den Beruf starten, blicken angeblich fast mit Abscheu auf die Insignien des arrivierten Lebens. Dafür soll man sich zu Tode schuften? Nein danke.

Ikonisch zum Ausdruck brachte das im Herbst 2023 eine junge Frau, die in einem Video auf Tiktok von ihrer Jobsuche berichtet, als sei sie soeben von einer lebensgefährlichen Safari zurückgekehrt. »Ich hatte gerade den größten Nervenzusammenbruch ever«, sagt sie da mit bebender Stimme. Der Grund? Ein Arbeitgeber stellte gerade einmal 30 Urlaubstage in Aussicht. Im Jahr. Sie wirkt, tatsächlich, den Tränen nahe. »Wir reden hier von einem ganzen Jahr«, sagt sie. »Für was bin ich in die Schule gegangen, hab mein Abi gemacht, hab studiert.« Wann endlich würden wir nur alle erwachen und kollektiv die Arbeit einstellen.2 Es ist leicht, Häme über eine Tiktokerin auszukippen und das ganze Drama ein bisschen drüber zu finden. Der Boulevard war jedenfalls außer sich über die »Generation Jammerlappen«.3

Und längst schon beklagen auch die Verbandsvertreter aus der Wirtschaft die vermeintlich nachlassende Leistungsmoral. Es brauche wieder »mehr Bock auf Arbeit«, dröhnte es aus der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.4 Das Berufsleben sei »kein Ponyhof«, mahnte die Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Andere warnten, Deutschland gleite ab in die »Flauschokratie«, wenn Grundschulkinder bei den Bundesjugendspielen künftig von der Demütigungspädagogik verschont bleiben sollen, die ihre Eltern und Großeltern wegstecken mussten.5 Was will man da erwarten? Niemand wolle mehr etwas erreichen, niemand mehr die watteweichen Komfortzonen verlassen, alle scheuten die Zumutungen. Wo wird hier in die Hände gespuckt, wo steigern sie das Bruttosozialprodukt? Deutschland steigt ab, weil die Menschen träge und bequem werden, weil niemand mehr durch Erfolg zu locken ist, weil keiner mehr etwas leisten will. Das ist zumindest die Vorstellung, die durch die Debatten geistert, und natürlich eine maßlos verzerrte.

Die Angehörigen der Generation Z, die gerade von den Unis kommen, fragen angeblich in jedem Vorstellungsgespräch nicht nur nach riesigen Urlaubskontingenten und signalisieren, dass lange Arbeitstage und Überstunden nicht so ihr Ding sind. Bevor sie unterschreiben, wollen sie wissen, ob der potenzielle Arbeitgeber Workation ermöglicht und sie den Laptop vielleicht auch mal am Strand in Portugal aufklappen können. Zwischen zwei Video-Meetings unterbrechen sie den Dienst kurz, um eine Runde auf den Wellen zu surfen – oder eigentlich eher umgekehrt. Und selbst die, die nicht mehr ganz so jung sind, debattieren rege, ob es nicht einmal Zeit wäre für die Vier-Tage-Woche, die ersten Gewerkschaften ziehen bereits mit der Forderung nach dem freien Freitag in die Tarifauseinandersetzungen. Einfach nur Dienst nach Vorschrift machen und nichts weiter anstreben: Früher hatte das einen schlechten Ruf. Inzwischen ist es als Phänomen zurück, das allgemein begrüßt wird und unter Quiet Quitting den Zeitgeist prägt, als innerer Rückzug bei formal intaktem Arbeitsverhältnis. Leistung muss sich schonen.

Wenn es nur so einfach wäre. Wenn es überhaupt so wäre.

Es gibt genügend Zahlen, die diesem Klischee von der heraufziehenden Flauschokratie widersprechen, der Diagnose, dass nicht mehr gearbeitet würde, dass Jüngere nicht mehr auf den Aufstieg hofften und Ältere auf den erreichten Status nichts mehr gäben und alle Welt ihre Ambitionen beerdigen und nur noch die Füße hochlegen würde.6 Die Realität deutet nicht auf einen kollektiven Abschied von der zielstrebigen Betriebsamkeit hin. Es ist allenfalls eine Sehnsucht, die aus der Debatte spricht. Aber auch eine Sehnsucht kann verräterisch sein. Vielleicht sogar gerade die.

Möglicherweise ist da nämlich etwas verrutscht. Man träumt weiter heimlich von den jubelnden Fans beim Marathon, von der Beförderung, vielleicht auch heimlich von der Villa, eine kleine würde ja schon reichen, man muss ja nicht so protzen und prahlen, wie man es früher vielleicht tat, aber schön wäre der Erfolg ja immer noch. Ein bisschen pastelliger als damals, nicht so knallig, nicht so grell, aber immer noch Erfolg. Nur dass Talent und harte Arbeit verlässlich zu ihm führen, das ist nicht mehr ausgemacht.

Die Wege nach oben sind undurchsichtiger geworden, ungewisser, verwunschener, die Wegweiser unleserlich, die Karten veraltet, einst sichere Pfade haben sich in Sackgassen verwandelt. Heute ahnt man, dass man den Wohlstand früherer Generationen im eigenen Berufsleben vermutlich nicht mehr erreichen wird, die Welt sich ohnehin ungemütlicher entwickelt, weniger verlässlich in so vieler Hinsicht, vielleicht katastrophaler, und in Windeseile kann alles wieder eingerissen werden, was wir geschaffen haben. Man wird vielleicht das Haus der Eltern erben, aber kein neues bauen. Zu unsicher, zu prekär, bei dem Einkommen, bei den Hypothekenzinsen. Auf eine halbwegs sorgenfreie Zukunft kann sich nur einstellen, wem die Eltern eines Tages ein beträchtliches Vermögen übertragen, was offensichtlich kein fairer Gesellschaftsentwurf sein kann.

Wenn es erkennbar nicht mehr für die meisten wie mit dem Fahrstuhl nach oben geht, wenn kommende Generationen es nicht automatisch besser haben werden, dann entlarvt sich die Rede vom Aufstieg durch Leistung eben als die Demagogie, die sie schon immer war, nur dass man sie früher vielleicht nicht so schnell durchschauen konnte. Manche Beobachter erklären den aufziehenden Populismus in vielen Ländern auch mit den Frustrationserfahrungen, die entstehen, wenn das Versprechen nicht gehalten wird, dass jeder durch eigene Mühen und Anstrengungen im Leben vorankommen kann.7 Die Gesellschaft propagiert weiterhin den Erfolg, aber lässt die Menschen zunehmend mit der Frage allein, wie sie ihn bekommen. Es kann kränken, wenn andere beständig vorbeiziehen, während man selbst ohne vernünftige Erklärung zurückbleibt und trotz aller Bemühungen plötzlich der Totalschaden des Lebens droht. In einer Gesellschaft, in der »jeder das ›Recht‹ hat, sich mit jedem zu vergleichen und sich doch ›faktisch nicht vergleichen kann‹«, schrieb der Philosoph Max Scheler, gärt das Ressentiment.8 Das grollende Unbehagen entlädt sich wie ein wildes Umsichschlagen, als Stimme gegen das System bei der Wahl oder als Hass auf alle, die fremd sind und anders.

Das Grummeln der Wütenden und die vermeintliche Luxussehnsucht nach der Vier-Tage-Woche und einer besseren Work-Life-Balance haben interessanterweise einen gemeinsamen Fluchtpunkt in einem Erfolgs- und Aufstiegsversprechen, an das nicht mehr bedingungslos geglaubt werden kann. Noch erstaunlicher ist, wie oft es doch nur bei einer Sehnsucht bleibt. Und wie sehr sogar diejenigen, die allen Grund zur Resignation hätten, weiter ganz nach der Idee leben, man müsste sich nur reinhängen, dann kommt der Erfolg schon.

Es gehört zum Gründungsmythos der Moderne, dass jeder es aus eigener Kraft schaffen kann. Die Vorstellung ist mächtig und verführerisch und wir geben sie nicht leichtfertig auf. Wir sind frei von Vorgaben, die Welt steht uns offen, wir können uns selbst verwirklichen – müssen es allerdings auch. Wir brauchen eine Idee, wer wir werden wollen. Und dann müssen wir uns reinknien, anstrengen, vollen Einsatz zeigen, alle Kraft aufbieten, unser Bestes geben – und werden belohnt mit Ansehen, Status, Aufstieg. Arnold Schwarzenegger, der sich aus einem Dorf in Österreich über einen kleinen Zwischenstopp als »Mister Universum« bis ins Amt des Gouverneurs von Kalifornien hochtrainiert hat, warf unlängst schwungvoll seine Weisheiten auf die Bestsellerliste der Selbsthilfeliteratur: »Nur du kannst dir dein Wunschleben selbst gestalten – niemand wird das für dich tun«, lautete seine Empfehlung an die Leserschaft weltweit.9 Oder zugespitzt formuliert, als goldene Lebensregel vom unbesiegten Terminator: »Reiß dir den Arsch auf.«

Ja doch, verdammt noch mal.

Nur leider funktioniert es so einfach nicht, sonst würde Arnold Schwarzenegger nicht ein so großes Publikum finden, dem er im Grunde auch nur sagt, was schon in Tausenden Ratgebern davor stand. Der Erfolg? Oft genug ein ziemliches Mysterium, flirrend, obskur, unergründlich und oft eben doch erstaunlich unabhängig vom Grad des Arschaufreißens. Der eine wird zum Weltstar, der andere bleibt ewig anonym – auch wenn beide das Gleiche tun. Es gibt Beispiele dafür, ziemlich überwältigende.

Im Jahr 1978 sorgte eine Reihe von Graffiti für Aufsehen in den Straßen von New York. Das erste wurde im Mai des Jahres an einer Kreuzung in Lower Manhattan entdeckt: »Samo© ist jetzt«, stand da. Etwas weiter den Block hoch: »Samo© kommt«. An einer Kirche am West Broadway war plötzlich zu lesen, Samo sei eine Alternative zu Gott. Überall stieß man plötzlich auf die hingesprühten Sinnsprüche, die wie Parodien auf Werbeslogans wirkten. Samo hier, Samo da. Manchmal sprühten andere sogar Antworten auf die Hauswände: Samo solle bitte mal bei seiner Mutter anrufen. Aber wer war Samo? Wer steckte hinter dieser sarkastischen Poesie der Straße? Einen Sommer lang rätselte die Kunstszene am Hudson River – ehe ein Stadtmagazin die Identität der Sprayer enthüllte: Zwei Teenager waren es, zwei Schulabbrecher, zwei Außenseiter.10

Der Ältere der beiden, Al Diaz, 19 Jahre, blickte schon auf einige Jahre in der New Yorker Sprayerszene zurück, er hatte sich zuvor vor allem auf U-Bahn-Zügen verewigt, signiert mit »Bomb 1«. Ihm gefiel die Vorstellung, dass Menschen ihn unter diesem Namen kannten, ohne zu wissen, wer er war. Dann schloss er sich mit einem Kumpel zusammen, ein zwei Jahre jüngerer Schulkamerad aus schwierigen Verhältnissen, der bis dahin wenig mit Street-Art zu tun hatte. Fortan nannten sie sich Samo.11

Eine Erfolgsgeschichte. Aber eine sehr ungleiche, denn interessanterweise wurde nicht Al Diaz kurz darauf weltberühmt – sondern der andere, der Jüngere und Unerfahrene: Jean-Michel Basquiat bekam als das Gesicht von Samo Einladungen ins Fernsehen, verkehrte bald in den Kreisen um Andy Warhol, eröffnete eigene Ausstellungen. 1981 wurde er zur Documenta geladen, als bis dahin jüngster Künstler überhaupt, mit 21. Inzwischen erzielen seine Bilder bei Auktionen Rekordsummen, eines seiner Gemälde wurde 2017 für 110,5 Millionen Dollar versteigert.12

Al Diaz blieb hingegen unbekannt. Lange Zeit, bis Oktober 2023, gab es nicht einmal einen Eintrag bei Wikipedia über ihn, man fand nur seine diversen Namensvettern, von denen einer Karriere als Basketballprofi gemacht hat, ein anderer brachte es beim Militär zu gewisser Bekanntheit. Aber der Al Diaz? Fehlanzeige. Dabei war Al Diaz als Künstler so etwas wie der eineiige Zwilling von Basquiat, die Werke, die die Karriere des einen abheben ließen, waren ja auch die des anderen, ihr Stil war identisch, sie starteten als Einheit zweier ununterscheidbarer Sprayer. Ihre Leistung, soweit man sie von außen beurteilen kann, war deckungsgleich.

Warum wurde trotzdem der eine so unfassbar erfolgreich – und der andere nicht?

Warum erinnern wir uns an die Brüder Wright als Pioniere der Luftfahrt – aber nicht an einen Landwirt aus Neuseeland, dem offenbar mehrere Monate vor ihnen der erste motorisierte Flug gelang?13

Warum ging Thomas Edison als Erfinder der Glühbirne in die Geschichte ein – und nicht jener Leinenweber und Autodidakt aus Schottland, der das elektrische Licht schon zum Leuchten gebracht hatte, als Edison noch gar nicht geboren war?14

Und so geht es weiter, von der Weltgeschichte bis in den Alltag. Warum schließt der eine mit Bestnoten die Schule ab und stolpert trotzdem durchs Berufsleben – während der andere mit mäßigen Zeugnissen einen Durchmarsch hinlegt?

Warum wird der eine befördert – und die andere nicht?

Was sind die geheimen Gesetzmäßigkeiten, die entscheiden, wer mit Ehre, Geld, Aufmerksamkeit bedacht wird und wer leer ausgeht? Woran hängt Erfolg?

Erfolg kann vieles sein. Ein Vermögen auf der Bank, eine Villa mit großem Garten in Zehlendorf, eine Jacht im Hafen von Saint-Tropez, die erhoffte berufliche Position, der Sieg beim Marathon, der Ruhm als Street-Art-Künstler, als Schauspieler, als Erfinderin. Es müssen nicht die schweren Statussymbole sein, die für frühere Generationen den Erfolg markierten, es können auch fluidere sein, die stille Bewunderung der schärfsten Konkurrenten etwa oder auch Likes auf Tiktok, die junge Jobsuchende brachte es mit ihrem ikonischen Nervenzusammenbruch auf Zehntausende. Eines aber verbindet alle Arten von Erfolg: Sie drücken in der einen oder anderen Form aus, dass andere uns anerkennen. Und das ist es wohl auch, was wir im tiefsten Inneren eigentlich wollen, wenn wir Erfolg wollen: die Wertschätzung für das, was wir sind. Der Applaus des Publikums als Bestätigung dafür, dass man uns wirklich für die Person hält, die wir selbst in uns zu erkennen meinen.

Nur liegt darin eben auch das verborgene Dilemma des Erfolgs: Wir denken, wir haben es in der Hand, was aus uns wird. Wir müssen uns nur anstrengen, talentiert sein, etwas leisten, die Regeln befolgen, die Arnold Schwarzenegger und alle Motivationsgurus vor ihm aufgestellt haben – und machen damit immer wieder die Rechnung ohne den Wirt. Ob all das etwas zählt und anerkennenswert ist, entscheiden nicht wir. Leistung, schrieb der Soziologe Karl Mannheim im Jahr 1930 in einem inzwischen klassischen Aufsatz, sei die »Verwirklichung in irgendeinem Sachgebiet«. »Erfolg ist demgegenüber eine Art Verwirklichung im Gebiete des Sozialen.«15 Wir können höchstens die Vorlage liefern.

Und selbst das war einmal einfacher: Leistung war im Fabrikzeitalter eindeutiger zu fassen und damit auch eindeutiger zu honorieren, man zählte die Stückzahlen am Fließband, maß die Stunden mit der Stechuhr. Heute, im modernen Wissenskapitalismus, bleibt Leistung deutungsoffener denn je: Was ist das wert, was man tut? Die Kriterien für Anerkennungswürdigkeit werden unklar und volatil, sie entgleiten uns, ihre Konturen verwischen und der Erfolg wird zu einem flackernden, undurchschaubaren Rätsel. Wir stehen da und fragen uns: Wozu das Ganze? Warum zahlen sich all die Anstrengungen nicht mehr aus?

Das Merkwürdige ist: Auch wenn wir keine Antwort darauf finden, stellen wir die Mühen trotzdem nicht ein. Vielleicht empfinden wir eine Sehnsucht nach einer Welt jenseits des Leistungsdenkens, halten uns die Möglichkeit des Quiet Quittings theoretisch offen, träumen von Sabbaticals und Workation und generell einem Leben mit weniger Arbeit und ohne Stress und Termindruck. Nur setzen wir es selten im Alltag um. Wer sind wir denn, wenn wir keine Ziele haben, die wir eifrig begehren? Wenn wir nicht darum kämpfen, dass unsere Identität nicht einen sozialen Gütestempel bekommt, unser Leben mit irgendeiner Art von Erfolg gekrönt wird, egal wie unberechenbar er geworden ist?

Und deswegen lautet die praktische Antwort dann eben: Wir leisten einfach weiter. Die Erfolgsaussichten werden brüchiger, aber wir hängen uns noch mehr rein. Gerade dann. Der Glaube, es schaffen zu können, wird fast zu einer kindsköpfigen Trotzreaktion: Es muss einfach. Das Enttäuschungspotenzial wächst, der Schmerz wird stärker, wenn es, mal wieder, nicht klappt, aber wir betrachten es einfach als einen toten Punkt, über den man schlicht hinausmuss. Dann klappt es am Ende vielleicht doch noch. Und wenn nicht? Wenn die Belohnung für all die Mühen weiter ausbleibt? Dann bleibt immer noch das weitere Bemühen als Mittel, der bitteren Erkenntnis zu entgehen.

Der Erfolg entpuppt sich als moderner Selbstbetrug. Wir können den Betrug in wachen Momenten erkennen oder ihn zumindest erahnen, aber kaum anders handeln. Wie auch? Es fehlt die Alternative. Wir haben nichts anderes kennengelernt als die unerträgliche Leistungsbereitschaft des Seins. Was heißt es für uns, wenn die Erfolgsmöglichkeiten unkalkulierbar werden, aber wir als Gesellschaft weiter auf dem Leistungsprinzip beharren wie eh?

Wir kommen irgendwie nicht heraus aus der Nummer.

Man könnte höchstens die Hände falten, die Augen schließen, auf den Atem achten und die aufgepeitschten Gedanken einfach durchziehen lassen, warten, bis der geschäftige Sturm im Kopf sich gelegt hat. Bis wir ganz im Hier und Jetzt sind. Kein Ziel haben, nichts begehren, einfach nur existieren. Wir suchen die innere Harmonie, um dem ständigen Leistungsdruck zu entsagen.

Einatmen, ausatmen.

Wenn nicht das schon neue Ambitionen anfachen würde.

Einatmen, ausatmen.

Forscher der Uni Mannheim begleiteten über mehrere Wochen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Yogakursen und stellten verblüfft fest, dass auch sie es keineswegs hinbekamen, ihr hibbeliges Ego zur Ruhe zu bringen. Das Ego hat sich einfach neue Erfolgsziele gesucht: Gerade dem Hamsterrad entstiegen und auf der Yogamatte gelandet, wollte es offenbar gleich aufsteigen zum Großmeister der Achtsamkeit. Teilnehmer, die nach der Stunde befragt wurden, sahen sich regelmäßig als überdurchschnittlich gute Yogapraktizierende an, Teilnehmer, die vor der Stunde befragt wurden, hatten wesentlich weniger Ambition erkennen lassen.16 Die Übungen wecken offenbar eine Zielstrebigkeit, die vorher nicht da gewesen ist. Obwohl sie doch alles Begehren verscheuchen sollen.17 Selbst wer in sich geht, will dabei noch etwas aus sich machen.

Das ganze Unglück der Menschen, meinte bekanntlich einmal der französische Philosoph Blaise Pascal, rühre daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können. Aber auch wenn sie es könnten: Man muss fürchten, dass sie aus irgendeinem Grunde selbst daraus einen Wettkampf machen würden.

Irgendwie ist der Ehrgeiz in die Welt gekommen wie ein drängelndes kleines Tier, das dauernd an unserem Hosenbein zerrt, egal, wohin wir auch gehen. Damit fängt es an. 

1

PEINLICHEREHRGEIZ

WARUM WIR ETWAS ERREICHEN WOLLEN, ABER UNGERN DARÜBER REDEN

Es gibt Dinge, die man nicht gleich jedem erzählen sollte. Vielleicht niemandem. Oder allenfalls, wenn man es sich gut überlegt hat, der Ehefrau, während man abends im Keller seines Hauses in Washington, D.C., sitzt, an der Rudermaschine trainiert und niemand zuhört. Dann kann man offen sprechen, Zug um Zug. Und gelegentlich kann man vielleicht auch dem Publikum vor dem Bildschirm ein paar Einblicke in die wahren Pläne gewähren, aber auch nur kurz, in unbeobachteten Momenten, wenn gerade niemand hinguckt.

Am Ende der ersten Folge der Serie House of Cards steht Francis J. Underwood, genannt Frank, Abgeordneter der Demokratischen Partei aus South Carolina und machthungriger Fiesling, an einem Januartag draußen in der Menge vor dem Kongress und verfolgt, wie sein Parteirivale als nächster Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird. Frank Underwood applaudiert lächelnd, wie es sich gehört, aber schaut dann für einen Augenblick, während alle Aufmerksamkeit auf den künftigen Mann im Weißen Haus gerichtet ist, zur Seite, um dem fernen Zuschauer ein paar unmissverständliche Andeutungen mit auf den Weg zu geben: »Wenn die Menschen in ein paar Hundert Jahren diese Szenen betrachten, wen werden sie lächelnd am Rande des Bildes sehen?« Die Kamera geht wieder in die Totale, die Menge, der Applaus, aber wer winkt da, während alle klatschen, dem Publikum entgegen? Der Ehrgeiz, noch gut getarnt, sendet einen kleinen ersten Gruß.

Damit ist klar, was hier eigentlich gespielt wird.

Wenn auch nicht mit offenen Karten.

Mehrere Staffeln lang zieht Frank Underwood im Washingtoner Politikbetrieb ganz in seinem Sinne die Strippen, manipuliert, intrigiert, begeht sogar Morde, mehrfach – und steigt immer weiter auf. Etappe für Etappe. Abgeordneter im Kongress, als Majority Whip der Demokraten im Repräsentantenhaus verantwortlich für die Parteidisziplin, Vizepräsident, Präsident.

Nur manchmal, selten zwar, zeigt sich dann doch auch bei einem hochtourigen Ambitionsautomaten wie Underwood ein Anflug von Verzagtheit. Aber dafür gibt es seine Frau Claire, mindestens ebenso berechnend, ebenso kalt, ebenso skrupellos, eine moderne Wiedergängerin von Shakespeares Lady Macbeth, die ihren Gatten antreibt, sobald der auch nur einen Hauch von Unentschlossenheit zu erkennen gibt.

Eines Abends kommt Frank Underwood nach Hause und beichtet seiner Frau, dass der Plan nicht aufgegangen sei und man ihn für das Amt des Außenministers übergangen habe. Vorerst also keine Beförderung. Es tue ihm leid.

Das sei nicht die Antwort, die sie akzeptieren könne, sagt Claire streng.

Und hätte das Drehbuch nicht vorgesehen, dass Frank sich sogleich wieder fängt und weiter seine verborgenen Pläne schmiedet, dann hätte die Geschichte vielleicht so weitergehen können: Claire bucht ihrem gerade etwas antriebslosen Gemahl ein Seminar bei einem Erfolgsguru, damit der mal in die Gänge kommt: Das ist doch kein Zustand, Frank, wo ist er hin, dein Wille zur Macht?

Sie schickt ihn zu einem dieser Motivationsgenies, die auf windige Weise schwerreich geworden sind, kurz mal im Knast landeten, aber längst zurück im Business sind, um den laschen Typen beizubringen, wie man seine Ziele erreicht.

Und unversehens säße der verzagte Underwood mit seinem Tagtraum von der Präsidentschaft in einem Selbsthilfekreis, als hätte seine Frau ihn zu den Anonymen Alkoholikern geschickt, nur dass es gerade nicht um Abstinenz geht und zu allem Übel auch überhaupt nichts daran anonym ist: ein offenes Bekenntnis zum Laster der Ambition. Zusammen mit Konzerncontrollerinnen, Vorstandsassistenten und Versicherungsangestellten, die ihre Regenschirme an der Garderobe abgegeben haben, säße Frank Underwood in einer Mehrzweckhalle irgendwo am Stadtrand und würde mit der Menge die wild entschlossene Vitalitätsbestie frenetisch bejubeln, die zu Eurodance-Musik durch die Reihen Richtung Bühne sprintet. I’ve Got the Power, federnder Gang, Krawatte, weißes Hemd, das eine Spur zu eng wirkt, wahrscheinlich damit die Muskeln eine Spur zu stark erscheinen, um die mentale Kraft, die die Vitalitätsbestie den Luschen predigen wird, auch physisch gebührend zur Schau zu stellen. Begeisterung, Euphorie, Ekstase, I’ve Got the Power.

Der mental gestählte Typ zeichnet wie im Vertreterseminar am Flipchart Kreise und Diagramme auf, tippt mit dem Edding daran und blickt mit einem Selbstbewusstsein umher, als hätte er soeben die Schwerkraft neu definiert. Vielleicht erzählt er dazu noch das berühmte Paradox von der Hummel, die mit einer Flügelfläche von 0,7 cm2 und 1,2 g Körpergewicht nach den Gesetzen der Aerodynamik flugunfähig ist (was nicht stimmt), aber bekanntlich trotzdem fliegt. Und warum? Weil sie an sich glaubt! Weil sie sich einen Kehricht um die Gesetze der Aerodynamik schert und das Geschwätz der Miesepeter!

Ihr seid Hummeln, ruft also der Erfolgsguru. Was seid ihr? Mikro ins Publikum gehalten wie bei einem Konzert, jetzt alle, was seid ihr?

Und Underwood, unausgelasteter Kongressabgeordneter, der gern die Power hätte, kreischt mit, macht sich eifrig Notizen und denkt: Aha, also eine Hummel. Claire wird begeistert sein.

Dann schärft der Guru ihnen vielleicht noch ein, wie wichtig ein positiv kalibriertes Mindset sei, und zitiert zur philosophischen Untermauerung eine Lebensregel, die ein Investor aus dem Silicon Valley irgendwann einmal auf Koks aufgestellt hat, oder irgendwas, was im großen Buch der Weisheit namens Der kleine Prinz steht. Als ihre Vorbilder nennen die Erfolgsgenies Arnold Schwarzenegger, Elon Musk und Mahatma Gandhi. Und sich selbst. Weil man an sich glauben muss wie die Hummel.

Wie man jetzt die Macht im Staate an sich reißt, idealerweise auf legalem Wege und ohne Verdacht auf sich zu lenken, geht daraus zwar nicht im Detail hervor. Aber vielleicht ist es tatsächlich erst mal gut, die Fingerspitzen an die Schläfe zu legen und mit aller Konzentration das Ziel gedanklich zu manifestieren.

Es fällt schwer, sich einen gewieften Aufstiegstaktiker wie Frank Underwood in einer Mehrzweckhalle beim Motivationstrainer vorzustellen. Aber vielleicht kommen wir über diese Vorstellung dem auf die Schliche, was eigentlich so irritierend ist am Erfolgskult unserer Tage. Was einen so verstören kann an all den Massen, die die Du-kannst-alles-schaffen-Weisheiten in den sozialen Medien abfeiern, an den Menschen, die einem in der U-Bahn gegenübersitzen und DieGesetze der Gewinner lesen, offenbar völlig unironisch, oder am besten noch The Art of the Deal. Da fröstelt es einen, wenn man diesen nach außen gekehrten Erfolgsextremismus mitansehen muss. Man bekommt eine unangenehme Gänsehaut, ein schwer greifbares Fremdschamgefühl. Der Ehrgeiz eines Frank Underwood, der nur manchmal in die Kamera gesprochen wird und immer haarscharf an der Schmerzgrenze vorbeischrammt, erscheint, auch wenn er sich im Laufe der Serie als beängstigend skrupellos erweist, angemessen verborgen, der Sache irgendwie würdiger. Aber weshalb eigentlich? Man weiß auf Anhieb nicht so recht, warum es einen so irritiert, wenn man sieht, wie die Konzerncontrollerinnen, die Vorstandsassistenten und Versicherungsangestellten den fragwürdigen Motivationsgurus an den Lippen hängen.

Vielleicht weil alles so unverhohlen blöd scheint? Weil die schlichtesten Plattitüden als höhere Weisheit ausgegeben werden (»Lass es nicht zu, dass andere deinen Traum kaputt machen«)?

Vielleicht wegen des diskussionswürdigen Preis-Leistungs-Verhältnisses? Weil all die Plattitüden mit Kursgebühren im vierstelligen Bereich bezahlt werden wollen?

Vielleicht weil die Selbstbegeisterung, die die Erfolgsgläubigen in den Powertrainings krampfhaft aus sich herausprügeln, so neoliberal und darwinistisch ist (Gier ist geil, Geld scheffeln, ein Gewinner sein)?

Alles schrecklich. Alles unangenehm. Ein überteuertes, turbokapitalistisches und triviales Selbstbejubelungsprogramm – alles Kritikpunkte, die bestimmt nicht falsch, aber eben auch verdächtig leicht zur Hand sind. So als wollte man hastig Scheuklappen aufsetzen, damit man nicht hinabschauen muss in den eigentlichen Abgrund, den die Motivationsgurus und die ihnen zujubelnden Jünger mit ihren Beschwörungen aufreißen: Könnte es sein, dass dieses Unbehagen daher rührt, dass dieser grelle, fremde, überdrehte Erfolgskult in Wahrheit mehr mit uns allen zu tun hat, als wir wahrhaben möchten?

Es ist vielleicht vor allem eine spezielle Art der Taktlosigkeit, die das diffuse Schamgefühl auslöst. Die Erfolgsgurus verheißen die unmittelbare Befriedigung drängender Aufstiegsambitionen, sie geben großspurige Garantieerklärungen, die mit der gesellschaftlichen Etikette brechen. Es gehört sich nicht, so unverblümte Versprechen abzugeben, und es gehört sich nicht, dieses Versprechen anzunehmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Es ist irgendwie vulgär.

Die Erfolgskultur stellt die Dinge explizit aus, die wir gewöhnlich nur heimlich verfolgen, nie so freizügig, wie es dort passiert. Die Gurus springen wie die Exhibitionisten auf die Bühne, sie präsentieren unverpixelt vor großem Publikum einen Trieb, den wir im Alltag lieber verdecken. Sie kehren als Bekenntnis hemmungslos nach außen, was wir selbst nur in geheimer Mission anstreben: Aufstieg, Ansehen, Anerkennung. Sie trommeln sich wild auf die Brust und bekennen sich zu unseren verborgenen Sehnsüchten. In der Erfolgshuldigung anderer erkennen wir immer auch uns selbst, werden erinnert an unsere geplatzten Träume und die unausgesprochenen Pläne, an denen wir immerzu arbeiten, aber natürlich nicht nach der Rumpelmethode. Das ist es, was es so unangenehm macht, ihnen zuzusehen: die Konfrontation mit dem eigenen Ehrgeiz.

Wir sind genauso. Nur auf die prüdere Art.

IM BACKSTAGE-BEREICH DER QUIZSHOW

Ehrgeiz ist, wie der Literaturwissenschaftler Eckart Goebel wunderbar beschrieben hat, ein großes Tabu, ein Thema wie der Tod. Man umfährt es weiträumig, man tut, als hätte man nichts damit zu schaffen, man verleugnet es wie einen Verwandten mit problematischen politischen Ansichten. Ehrgeiz betrifft immer nur andere, nie einen selbst.18