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Etwa jeder Zehnte ist von Migräne betroffen. Schwere Formen der Migräne zählt die Weltgesundheitsorganisation zu den am schwersten behindernden Einschränkungen. Ein Umstand, der gern unterschätzt wird. Neben dem Migräne-Patienten leiden die nächsten Angehörigen mit und fühlen sich hilflos. Dieses Buch beschreibt vordergründig nicht die Ausprägungen und Qualen der unendlichen Migräne-Leidensgeschichten. Das kennen Betroffene und Angehörige aus eigener Erfahrung nur zu gut. Das Buch möchte Mut machen und den Elan transportieren, den der Autor aus einem stationären Aufenthalt in der Schmerzklinik Kiel mitgebracht hat. Es geht darum, als Patient das Lenkrad in die eigene Hand zu nehmen, Wissen über vielfältige Zusammenhänge aufzubauen und zu verstehen, was das konkret für die eigene Situation bedeutet. Dabei spielt Regelmäßigkeit eine wichtige Rolle, ebenso eine ausgewogene, kohlenhydrathaltige Ernährung und Entspannung. Migräne-Patienten haben einen erhöhten Energiestoffwechsel im Gehirn. Neu wird mit diesem Buch das Bild des "Ferrari im Kopf" weiter ausgebaut, das Professor Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel, zur Veranschaulichung geprägt hat. Betroffenen fällt es häufig schwer, kurz und prägnant das Wesentliche der Erkrankung darzustellen. Dazu wird eine Art Elevator Pitch vorgestellt. Abschließend wird als Achtsamkeitsübung eine spätherbstliche Wanderung entlang der Schwentine mit wunderschönen Farbfotografien aus dem Blickwinkel eines Migräne-Betroffenen beschrieben. https://kieler-migraenekoffer.jimdofree.com/
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Seitenzahl: 72
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Es gibt in der Welt selten ein schöneres Übermaß als das der Dankbarkeit
Jean de La Bruyère
französischer Schriftsteller (1645-1696)
Vorwort
Über den Autor
Migräne
Ein altes Krankheitsbild
Zuverlässig, zielstrebig und leistungsfähig
Genbedingte Reizverarbeitungsstörung
Wissen ist Macht- mach was draus!
Richtiges Ernährungsverhalten
Nervennahrung Glukose
Zuckerschaukel
Was ist das Problem mit dem Apfelschorle?
„Gute“ Kohlenhydrate
Empfehlungen
Ferrari im Kopf
Wer einen Ferrari hat, dem fehlt doch nichts
Leistungsbooster
Bergungsdienst
High Tech Boxenstopp
Regelmäßigkeit
Flaggensignale
Gibt es den Teslamodus für Ferrari?
Einsitzer
Eingeengt im Cockpit – schwerbehindert?
Lenkrad als Schlüssel
Lärm und Sinneseindrücke
Vollkaskoversicherung
Euphorie, Glück
Keine Lobby
Elevator Pitch: Kurz und bündig
Warum Migräne viel mehr ist als starke Kopfschmerzen
Warum wir wertvolle Mitarbeiter sind und entsprechende Unterstützung verdient haben
Herbstliche Schwentinewanderung
Zum Schluss
Danksagung
Literatur- und Internethinweise
Jeder hat sein Päckchen im Leben zu tragen. Eigentlich fehlt es mir an nichts. Wäre da nicht meine schwere Migräne, die mich seit Jahrzehnten plagt.
Die Idee für diese Aufzeichnungen sind am Samstag, den 17.11.2018 bei einer traumhaft schönen Wanderung entlang der Schwentine von der Mündung bis zur Oppendorfer Mühle und zurück entstanden. Die Schwentine mündet in Kiel, ziemlich genau bei der Schmerzklinik im Heikendorfer Weg in die Kieler Förde. Es war mein zweites Wochenende in Kiel bei meinem ersten Aufenthalt in der Schmerzklinik von Professor Göbel.
Angefangen habe ich das aufzuschreiben, was ich während meines zweiwöchigen Aufenthalts gelernt habe, um meine vielfältigen Notizen für mich selbst zu ordnen. Nun mögen meine Aufzeichnungen Migräne-Patienten und deren Angehörigen als Einstieg dienen, sich selbst und die Krankheit besser zu verstehen. Für mich ist es die Essenz, das ganz Zentrale, das ich verstanden und gelernt habe. Da das Krankheitsbild sehr vielfältig und differenziert sein kann, ist das Büchlein nicht als one-size-fits-all-Rezept misszuverstehen.
Ich möchte das Büchlein zudem all jenen widmen, die trotz Migräne einen Weg finden wollen, erfolgreich und erfüllt ihr Leben zu führen, die es schaffen möchten zu leben und nicht nur noch zu funktionieren oder sich krankheitsbedingt sozial immer weiter zurückziehen zu müssen. Ich selbst sah mich nicht weit von diesem Abgrund entfernt stehen. Daher will ich meine Zuversicht teilen, dass ich mit den Kieler Experten diesen Weg für mich sehe. Die Kapitel sind bewusst persönlich gefärbt.
Migräne ist mehr als nur sehr starke Kopfschmerzen. Das zu vermitteln ist Teil der Geschichte. Wir brauchen absolute Ruhe, Bettruhe und Dunkelheit. Migräne ist eine genbedingte Erkrankung, deren Behinderungsgrad die WHO als eine der schwersten Formen der Behinderung überhaupt versteht.
Ich selbst lebe sicher in einer privilegierten Situation mit einer sehr verständnisvollen Ehefrau, mit einem spannenden Beruf ohne finanzielle Sorgen, zumindest dann nicht, wenn mir meine Arbeitskraft erhalten bleibt.
Wir Migräne-Patienten sind etwas Besonderes. Professor Göbel erklärt das mit dem Bild eines Ferrari im Kopf. Ich selbst verfolge den Formel-I-Zirkus nicht regelmäßig. Als Student hatte ich 1989 die Gelegenheit, den Großen Preis von Mexiko an der Zielgeraden direkt zu erleben. Von daher erlaube ich mir, im Kapitel „Ferrari im Kopf“ das Bild von Professor Göbel in den grauen Farben der Migräne mit vielen Facetten weiter auszuschmücken. Seinerzeit siegte der dreimalige Weltmeister, der Brasilianer Ayrton Senna, vor dem Franzosen Alain Prost (beide McLaren/Honda), vor den Ferrari-Piloten Nigel Mansell (UK, Platz 3) und Gerhard Berger (Österreich, Platz 6).
Mit diesem Büchlein bringe ich einen Koffer voller Erfahrungen für Leidensgenossen und deren Angehörige mit, die oft mit den Erkrankten mitleiden. Für mich ist mein Päckchen, das ich zu ertragen habe, mit dem Wissen und dem Erlernten in meinem Kieler Migränekoffer kleiner geworden.
Martin Leonhard, Jahrgang 1966, promovierter Physiker leidet seit seinem 14. Lebensjahr unter Migräne. Während des Studiums fällt er regelmäßig zwei Nachmittage pro Woche migränebedingt aus. Vor der Diplomprüfung in Theoretischer Physik zwei Tage am Stück. Triptane gab es damals noch nicht.
Erst 1996 wird das Leiden klar als Migräne diagnostiziert, im gleichen Zuge dann das erste Triptan verordnet. In der langen Odyssee werden neben Neurologen, den für Migräne zuständigen Fachärzten, auch viele andere Spezialisten konsultiert: Allgemeinmediziner, Akkupunkteure, Anästhesisten, Augenärzte, Chiropraktiker, Internisten, Masseure, Naturheilkundler, ein Neurochirurg, Physiotherapeuten, Orthopäden, Psychologen, Schmerztherapeuten und Zahnärzte. Meist erfolglos im Hinblick auf die Migräne. Seine Leidensgeschichte thematisiert Leonhard nur am Rande.
Während eines ersten stationären Klinikaufenthalts in einer renommierten Migräneklinik 2014 konnte Leonhard viele Zusammenhänge der Migräneerkrankung besser verstehen lernen. Die Zahl der Triptantage hatte sich leider trotzdem nicht reduziert. Mit 15 bis über 20 im Monat schien auch keine Prophylaxe zu wirken. Die Akut- und Notfallmedikation fing in ihrer Wirkung an zu wackeln. In dieser Situation bewirkten Impulse der Hausärztin und der Ehefrau Ende 2018 eine schnelle Einweisung in die Schmerzklinik Kiel. Über diese wertvollen Erfahrungen berichtet das Büchlein.
Leonhard ist in leitender Funktion in der Forschung eines global tätigen, familiengeführten Unternehmens der Medizintechnik in Baden-Württemberg tätig.
Migräne ist eine eigenständige, primäre Kopfschmerzerkrankung. Sie ist nicht Folge einer Verletzung, einer Tumor- oder Infektionskrankheit. Einen Grund für die Erkrankung suchen zu wollen, läuft daher ins Leere. Heute wissen wir, dass die Krankheit genetisch bedingt ist.
Der Name Migräne lässt sich auf zwei Arten deuten, die beide ihre Berechtigung haben: Lateinisch „migrare“ bedeutet wandern. In dieser ersten Erklärung kommt zum Ausdruck, dass sich der Schmerzort während einer Migräne oder zwischen den Episoden ändern kann. Die zweite Erklärung deutet auf die oft einseitigen Kopfschmerzen hin (lat.: „hemicrania“ halber Schädel).
Heute werden 367 Kopfschmerzformen unterschieden. Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp machen mit 92% den weitaus größten Teil der Kopfschmerzerkrankungen aus. Bei der Migräne selbst unterscheidet man 45 verschiedene Ausprägungsformen. Wer während der extremen Kopfschmerzen noch bei jedem Schritt, den er setzt, eine Verstärkung spürt, dass jeder Pulsschlag den Schmerz verstärkt, sollte Richtung Migräne sensibilisiert sein. Diese persönliche Abhandlung kann vom Ansatz her keinen tiefgehenden medizinischen Leitfaden ersetzen.
Das Krankheitsbild der Migräne hat eine breite Spanne von möglichen Ausprägungen und unterscheidet sich in der Stärke der Betroffenheit. Besonders kritisch wird die Situation, wenn man nur noch im ‚Notlaufmodus‘ funktioniert. Der Schmerz beeinträchtigt und martert einen fast jeden Tag. Er wird mit hochwirksamen Medikamenten bekämpft, die im Übergebrauch selbst eigene Schmerzen, den Übergebrauchskopfschmerz auslösen.
Migräne ist eine Krankheit, die sich zu einer höchst einschränkenden Schwerbehinderung mit Auswirkungen auf das familiäre, soziale und berufliche Umfeld ausprägen kann. So ist es für den Patienten selbst, aber auch für dessen Umfeld wichtig, die Zusammenhänge und Hintergründe, die die Wissenschaft und Forschung über das Krankheitsbild heute kennen, verstehen zu lernen. Daraus kann man mit ärztlicher Hilfe und mit der von Verhaltenspsychologen die Hebel identifizieren und die Erkenntnisse ableiten, die einemhelfen, mit der Erkrankung besser klarzukommen. Die Anfallshäufigkeit, die Dauer und die Stärke der Schmerzen können so günstig beeinflusst werden.
Migräne ist keine Krankheit unserer modernen Gesellschaft, sondern schon lange bekannt.
Jungsteinzeitliche Trepanationen
Bereits vor mehr als 7.000 Jahren sind in unseren Breiten Operationen am Schädel bekannt. Im Taubertal haben sich sogar gehäuft Schädel mit solchen Öffnungen gefunden.
1 Kreuzschnitt-,
2 Hohlbohr-,
3 Schabe und
4 kombinierte Bohr- / Sägmethode
Abb. 1:Schematische Darstellung der vier Grundtypen der operativen, jungsteinzeitlichen Schädelöffnung (Trepanation)1
Aus der Verknöcherung der Wundränder lässt sich auch schließen, dass die Überlebensquote bei etwa 80% gelegen hat. Zu den Krankheitsbildern, die als Grund für den Eingriff diskutiert werden, gehört neben anderen zweifelsfrei auch die Migräne.
Altägyptische Schilderungen
Schon die alten Ägypter haben auf einer Papyrusrolle die Symptome der Migräne überliefert.
Biblische Schilderungen
Die Bibel enthält Schilderungen über den zum Paulus gewandelten Saulus, die Fachleuten einen Hinweis auf Migräne nahelegen. Paulus beschreibt seine Krankheit als „Dorn im Fleisch“. Er „bittet Gott, ihn von seiner Erkrankung zu befreien. Gott verweigert ihm seine Bitte mit der Begründung, dass gerade diese Schwäche seine Stärke bedinge“ (Göbel 2016).
Migräne-Patienten sind tatsächlich zu besonderen Leistungen fähig. Sie sind willkommene Mitarbeiter für Arbeitgeber, weil sie zuverlässig, schnell und zielorientiert arbeiten. Vielfach weiß der Arbeitgeber nicht, dass ein Mitarbeiter Migräneprobleme hat. Häufig meldet sich die Migräne, wenn der Stress nachlässt, also zum Wochenende oder zu Urlaubsbeginn. Danach geht es dann unauffällig und funktionsfähig, arbeitgeberfreundlich in die nächste Runde.
Richard Wagner
Hartmut Göbel hat 2013 in akribischer Kleinarbeit durch das Studium von über 2.000 Seiten an Tagebucheinträgen nachgewiesen und dargestellt, dass Richard Wagner Jahrzehnte an schwerer Migräne litt und diese auch im 1. Akt seines Siegfried musikalisch und dramaturgisch in Szene gesetzt hat.
Abb 2:Richard Wagner, zu seiner Zeit war das Tragen einer Kopfbedeckung eine etablierte Methode der Behandlung von Kopfschmerzen.
Porträt nach Franz Lenbach (Die Gartenlaube, 1880)
„Zwangvolle Plage, Müh‘ ohne Zweck“