Erfüllung in der Liebe und im Sex - Jerry De Haan - E-Book

Erfüllung in der Liebe und im Sex E-Book

Jerry De Haan

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Beschreibung

In diesem Buch berichtet ein männlicher Sexualtherapeut von seiner Praxis. Als sensibler «Ersatzpartner» ist er der verständnisvollste «Liebhaber», den eine Frau sich vorstellen kann. Was Männer über Sexualität, Sinnlichkeit und die geheimsten Wünsche der Frauen wissen, was Frauen von ihren eigenen Sehnsüchten und deren Erfüllungsmöglichkeiten kennen sollten – hier wird es offen und konkret behandelt. Der Autor zeigt, daß die Steigerung des einfühlsamen Umgangs miteinander in beiden Partnern neue Empfindungen freisetzt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Leseprobe zu:

Jerry De Haan

Erfüllung in der Liebe und im Sex

Wie man eine Frau glücklich macht

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bavendam

FISCHER Digital

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Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

© S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

Inhalt

Eine erste LektionSie sind ein – was?Das eigene Haus in Ordnung bringenWas zählt, ist VertrauenDie Kunst des GebensWas ist sexy?Ein Wort an die MännerWas tut ein Ersatzpartner eigentlich?Experimente mit dem G-PunktSex und SelbstbewußtseinLetzte Aussprache und TrennungsschmerzSexuelle und menschliche BereicherungAuch du kannst esDas Rüstzeug eines ErsatzpartnersDank

Eine erste Lektion

Ich lernte Hanna im Sprechzimmer der Therapeutin kennen. Sie wirkte wach und aufmerksam und schien sich für alles zu interessieren, was ringsum vorging. Während ich ihren prüfenden Blick erwiderte, wurde mir klar, daß ich sie überraschend reizvoll fand. Es fiel mir schwer zu glauben, daß sie als Klientin in Betracht kam. Wir unterhielten uns mit der Therapeutin, und ich merkte, daß sie mich nicht aus den Augen ließ. Ich hoffte sehr, daß sie nicht sah, wie nervös ich war.

Meine Reaktionen verwirrten mich zunächst. Eigentlich hätte ich nicht nervös sein dürfen. Ich hatte immerhin eine anerkannt gute Schule für Ersatzpartner in der Sexualtherapie absolviert und sollte eigentlich nur professionell auf eine Klientin reagieren. Aber da saß ich und taxierte diese Frau so, als wollte ich mich privat mit ihr verabreden! Äußerlich war sie durchaus nicht genau mein Typ – und ich nahm an, ich war auch nicht gerade ihrer. Dennoch fühlte ich eine gewisse Anziehungskraft, und zwar sicherlich deshalb, weil sie so wach wirkte und offensichtlich gescheit war. Wir redeten weiter, und die Nervosität blieb genauso wie die Anziehungskraft.

Als wir dann allein waren, standen wir uns eine Weile gegenüber und lächelten verlegen. «Sind Sie immer so befangen, wenn Sie das erste Mal mit einer Klientin zusammen sind?» Es klang nicht wie ein Vorwurf – sie war einfach neugierig.

Noch bevor ich antwortete, ging es mir schon etwas besser. Ihre Stimme hatte einen schelmischen Unterton, der meine Spannung abbaute. Sie wußte nicht, daß sie meine erste Klientin war, aber sie hatte den Bann gebrochen – was im Grunde natürlich meine Aufgabe gewesen wäre.

«Ein bißchen. Ich möchte, daß wir gut miteinander auskommen. Dann kann ich Ihnen besser helfen. Außerdem hoffe ich, daß wir etwas Gemeinsames finden, damit wir uns beide wohl in unserer Haut fühlen.»

Ihr Lächeln wurde noch strahlender als eben. «Ich glaube, diese Hürde hätten wir bereits genommen, oder?»

Wie ich später merkte, war der Anfang der leichtere Teil unserer «Zusammenarbeit».

Während wir uns unterhielten, ging ich im Geiste Hannas Geschichte durch. Sie war sehr konventionell erzogen worden. Wie viele Angehörige ihrer Generation hatte sie gelernt, daß man von Frauen stillschweigend erwartet, nicht allzuviel Spaß an Sex zu haben und nicht allzuviel darüber zu wissen. Sie hatte nie über Sex geredet. Als sie ein Kind war, hatte man das Thema in ihrer Gegenwart nicht angeschnitten, und als sie mit Männern ausgegangen war, hatten die sich nie mit ihr über sexuelle Dinge unterhalten – sie hatte nicht einmal nach der Heirat mit ihrem Mann über Sex gesprochen! Wenn ihre Kinder «verfängliche» Fragen gestellt hatten, hatte sie sie zu ihrem – von ihr geschiedenen – Mann geschickt, obgleich auch er nicht sehr viel über Sex wußte.

Aus all diesen Gründen war sie einfach nicht fähig, über sexuelle Dinge zu sprechen. Sie kannte wohl die geläufigen wissenschaftlichen Bezeichnungen für die Geschlechtsteile, hatte aber einen Widerwillen dagegen, sie zu benutzen, und die vulgären Ausdrücke oder selbst die allgemein üblichen Worte für die verschiedenen Sexpraktiken waren für sie schmutzig. So überraschte es mich nicht weiter, daß sie immer wortkarger wurde, als ich das Gespräch auf ihr Problem lenkte. Sie konnte es eben nur sehr allgemein beschreiben. Bei einer genaueren Erörterung hätte sie Ausdrücke gebrauchen müssen, die sie abstoßend fand. Kurz, sie konnte ihre Sexualität – ihre eigenen Reaktionen und Emotionen, wenn sie sexuell erregt war – nicht verbalisieren.

Wir redeten dennoch weiter. Wir diskutierten verschiedene Aspekte der Liebe und des Gefühlslebens. Wir sprachen über die Liebe zu Gott und Vaterland, die Mutterliebe und die sexuelle Liebe, und auf diesem ungefährlichen Weg näherten wir uns dem Grund unseres Zusammenseins: festzustellen, warum ihr Liebesleben so unbefriedigend war. Ich versuchte weiter, ihre Sprachbarriere zu durchbrechen, damit wir die Gründe ihres Problems eingrenzen konnten.

Bei der nächsten Sitzung redeten wir weiter. Ich merkte, wie ihr Charme und Einfühlungsvermögen mich bezauberten, und sie wußte, was ich fühlte. Sie spürte meine innere Verfassung besser als irgendein Mensch, den ich je gekannt hatte, und sie interessierte sich für mich, ohne zudringlich zu sein.

Ich tat mein Bestes, um ihr die gleiche liebevolle Aufmerksamkeit zu zeigen, und es bereitete mir keinerlei Schwierigkeit. Auch ich spürte, was in ihr vorging, und ich wußte, daß unsere Sitzungen wahrscheinlich das größte Geheimnis waren, das sie jemals gehabt hatte. Sie konnte ihren Freunden nämlich nicht von mir erzählen. Sie hätten es nie verstanden, daß sie zu einem Sextherapeuten ging.

Im allgemeinen dauert eine Beziehung wie diese etwa fünfzehn Wochen und wird laufend vom Psychotherapeuten überwacht. Da dies mein erster «Fall» war, überwachte mich die Therapeutin auf eine sehr hilfreiche Weise, was mir allerdings erst später bewußt wurde; denn meine Arbeit mit Hanna nahm mich zu sehr in Anspruch.

Ich weiß noch, wie überrascht ich war, als ich merkte, wie gern ich sie mochte. Wir waren nicht richtig verliebt – da bin ich ganz sicher –, aber wir taten bei vielen Sitzungen ganz spontan Dinge, die wir beide mochten, und hatten es oft nicht nötig, unsere Wünsche in Worte zu fassen.

Ich hatte vergessen, warum ich mit ihr zusammenkam. Da Hanna in meiner Gegenwart allmählich unbefangener wurde, ermutigte ich sie, genau auszudrücken, was sie wirklich fühlte, statt die Verallgemeinerungen zu benutzen, die sie zuerst gebraucht hatte. Mein Ziel war ganz klar: Ich mußte ihr helfen, den Punkt zu erreichen, an dem sie bereitwillig mit mir über Dinge redete, die sie noch nie artikuliert hatte. Und jedesmal, wenn sie sich ein wenig öffnete, hatte ich das Gefühl, etwas geleistet zu haben.

Ich hatte aber nicht damit gerechnet, daß sie irgendeine Wirkung auf mich haben würde. Zunächst war ich zu sehr damit beschäftigt, alles zu analysieren, was zwischen uns geschah, um es bei der Therapie verwerten zu können. Zum erstenmal in meinem Leben mußte ich ein Partnerverhältnis objektiv, «eiskalt» und berechnend gestalten. Dann wurde mir allmählich bewußt, worin diese Therapie tatsächlich bestand. Ich merkte, daß manche unserer «Übungen» wirksamer waren als Dinge, die man zu Beginn einer normalen Freundschaft bzw. eines Liebesverhältnisses tut.

Wir lernten von Anfang an «zu verhandeln». Sie sagte mir, was sie wollte, und ich sagte ihr, was wir meiner Meinung nach tun sollten. Dann diskutierten wir die Alternativen und schlossen einen Kompromiß. Mit Freunden tue ich das normalerweise nicht – nicht einmal mit meiner Familie.

Wir entwickelten eine Beziehung, die uns beiden erlaubte, frei zu sein und eine Partnerschaft zu üben. Obgleich ich angenommen hatte, daß ich mich bereits recht gut kannte, lernte ich mich viel besser kennen, und Hanna wurden wenigstens die Gründe ihres Problems bewußt: Sie war so sehr darauf «abgerichtet» worden, Sex als einen Vorgang des Gebens zu betrachten, daß sie die Fähigkeit verloren hatte, selbst sexuellen Genuß zu empfinden. Während dieser Phase geschahen einige sonderbare Dinge – persönliche, intime Dinge, die bei einer konventionellen Therapie nie ans Licht gekommen wären. Bei einer Übung, die die Therapeutin vorgeschlagen hatte, verloren wir beide die Kontrolle über uns. Wir sollten etwas machen, das sie «genitales Streicheln ohne Forderungen» nannte.

Diese Art von Liebkosungen ist auf die Sinne konzentriert und soll dem Patienten erleichtern, die eigene Lust zu akzeptieren. Die Patientin und der Ersatzpartner – oder der Patient und die Ersatzpartnerin – berühren einander abwechselnd, und jeder genießt das Wohlbefinden, das das Streicheln ihm verschafft. Derjenige, der liebkost, konzentriert sich auf das Vergnügen, das ihm das Berühren des anderen Körpers bereitet, während sich der passive Partner auf die Lust konzentriert, die er spürt, wenn er gestreichelt wird. Wir sollten also beide nur an das eigene Vergnügen denken und uns nicht um die Reaktionen des anderen kümmern.

Bei dieser Übung soll nur dann gesprochen werden, wenn Unbehagen auftritt. Dann sagt der passive Partner meinetwegen: «Was du gerade tust, ist sehr gut, aber könntest du es vielleicht etwas weiter oben machen?» Eine solche Bitte stellt keine Forderung dar, eine bestimmte Stelle zu liebkosen, genauso wie der aktive Partner nicht von dem passiven verlangt, für die ihm erwiesene Zärtlichkeit dankbar zu sein, sondern nur seine eigenen Empfindungen genießt. Wenn der passive Partner allerdings sagt: «Das fühlt sich toll an, streichle mich weiter da», fordert er das, was ihm am meisten Lust bereitet, und die Dynamik der Situation ändert sich schlagartig.

Hanna und ich fingen ganz vorschriftsmäßig an. Ich streichelte sie zuerst und kostete das Gefühl aus, das der Kontakt mit ihrem Körper in mir weckte. Sie wiederum sollte sich auf ihre Lust konzentrieren. Sie wußte, daß die Übung ihr beibringen sollte, wie man Lust «nimmt» – wie man sich seinen eigenen Gefühlen ganz hingibt, sich nicht das Tempo vorschreiben läßt, sich keine Gedanken macht, welche Wirkung die eigene Aktivität auf den Partner hat. Falls einer von uns erregt wurde, sollten wir die Empfindung auskosten, aber nicht von dem anderen verlangen, etwas Bestimmtes zu tun oder gleiches zu empfinden.

Dann sollte es umgekehrt sein, das heißt, sie sollte zwar weiterhin Lust empfinden, aber nun, indem sie mich liebkoste. Egal wie ich reagierte (oder nicht reagierte), sie sollte sich auf die Gefühle konzentrieren, die die Übung in ihr auslöste. Sie sollte meinen Körper – meine Lenden, meine Schenkel, meine Hoden, meinen Penis – betasten und dabei nur ihre eigenen Reaktionen, nicht meine, im Sinn haben. Es ging nicht um Erektion und Orgasmen. Ich wollte nicht, daß sie irgendeinen Zwang fühlte, sich auf meine Erektion oder gar Befriedigung zu konzentrieren.

Während sie mich streichelte, sagte sie, daß es ein einzigartiges und herrliches Erlebnis für sie sei. Wenn sie früher den Penis eines Mannes berührt hatte, dann nur, um ihn zu erregen, damit er sie nehmen konnte. Sie hatte es nur wenige Male getan, und nur widerstrebend.

Ich spürte, daß ich kurz davor war zu bersten. «Hör auf», bat ich. «Ich komme gleich.»

Sie versuchte nicht mal zu gehorchen. Statt dessen lächelte sie und beschleunigte ihre Bewegungen mit einem ausgesprochen wollüstigen Ausdruck in den Augen, bis ich mich nicht mehr zurückhalten konnte. Ich spritzte uns beide naß.

Du bist als Ersatzpartner eben noch ein Anfänger! mußte ich mir eingestehen, war aber auch ein bißchen ärgerlich, weil sie meine Anweisungen nicht befolgt hatte und weil ich wußte, daß die Therapeutin ungehalten sein würde, wenn wir anschließend über die Sitzung sprächen. Andererseits fühlte ich mich so wohl, daß ich einfach sprachlos war.

«Warum hast du nicht aufgehört, als ich dich darum gebeten habe?»

«Ich wollte nicht.» Sie wirkte verschmitzt. «Ich habe noch nie einen Mann kommen sehen. Außerdem habe ich mich noch nie so mächtig gefühlt.»

Zwei logische Gründe. Wir zogen uns an und gingen zum Sprechzimmer. Auf einmal spürte ich, daß Hanna, die ein kleines Stück vor mir ging, sauer war. Trotz all dem, was sie mir eben gesagt hatte, war sie nun doch sauer auf mich. Sie, die sich als Siegerin gefühlt hatte … Warum?

Ihr Zorn brach sich Bahn, als wir uns im Sprechzimmer gesetzt hatten. Was für ein Recht ich hätte, buchstäblich unter ihren Händen zu kommen? Warum ich mich nicht besser beherrschen könnte? Hätte ich ihr nicht gesagt, die Übung sei dazu da, ihr Lust zu bereiten? Statt dessen hätte ich ihre Hand benutzt – genau wie jeder andere Mann. Sie sei immer benutzt worden. Eines stehe fest – sie würde nie wieder zulassen, daß ein Mann diese Macht über sie bekäme! Selbst wenn sie einen Orgasmus haben wollte, würde sie keinem Mann die Befriedigung gönnen, ihr einen zu verschaffen, denn er habe auf jeden Fall mehr davon!

Die Therapeutin war über das Ergebnis dieser Sitzung begeistert. Denn sie wußte jetzt, welche «Botschaften» Hanna im Schlafzimmer ausstrahlte, und konnte sie mit den völlig anderen Gefühlen vergleichen, die Hanna bei der Gesprächstherapie ausdrückte. Daraufhin bemühten wir uns, Hanna davon zu überzeugen, daß ein Mann, egal wie gut er im Bett ist, einer Frau nur dann einen Orgasmus «verschaffen» kann, wenn sie einen haben will. Und deshalb ist sie diejenige, die die Macht hat – nicht er.

Unsere gemeinsame Arbeit war nicht ausschließlich sexuell. Gegen Ende der Beziehung – Hanna hatte inzwischen ein besseres Verhältnis zu sich selbst und stand mir näher, als wir uns beide eingestehen wollten – fragte sie sich laut, wie wir uns wohl in einer nichtsexuellen Situation verhalten würden. Mit Zustimmung der Therapeutin verabredeten wir uns zum erstenmal privat. Wir gingen essen, wir tanzten, wir tranken Wein – und wir kamen uns vor wie zwei Verliebte an einem herrlichen, unbeschwerten Samstagabend. Ich war nicht weiter überrascht, daß sie sich unbefangen genug fühlte, um mir zu später Stunde vorzuschlagen, in ein Motel zu gehen.

Ich hütete mich davor, es zu tun. Ich versicherte ihr, daß es nichts gäbe, was mir lieber wäre. Aber wir hätten eine Vereinbarung mit der Therapeutin getroffen. Dies sollte eine nichtsexuelle Erfahrung sein – mehr nicht. Wenn wir in einem Motel landeten, wäre unsere Beziehung mit einem Schlag eine andere.

Sie akzeptierte das mit sichtlicher Enttäuschung, und der Abend endete mit einem liebevollen Gutenachtkuß. Aber ich war mir jetzt einer Tatsache bewußt, die ich bisher zu ignorieren versucht hatte. Ich hatte mich in meine Klientin verliebt – und sie sich in mich.

Bei den nächsten Sitzungen bemühten wir uns, unsere Gefühle durchzuarbeiten. Wir redeten eine Menge und waren, wie ich meinte, auf dem besten Weg, das unerwünschte emotionale Engagement abzubauen.

Und dann war es auf einmal vorbei. Eines Tages betrat ich die Praxis in der Erwartung, Hanna zu sehen, und freute mich schon auf die Sitzung. Aber sie war nicht gekommen. Statt dessen gab die Therapeutin mir einen Brief. Hanna war auf dem Heimweg von den vergangenen Sitzungen zu der Erkenntnis gekommen, daß sie die Ziele, die sie sich für die Therapie gesetzt hatte, erreicht hatte. Sie fühlte sich zum erstenmal in ihrem Leben «intakt». Intakt – das bedeutete selbstsicher und selbständig. Sie dankte der Therapeutin mit den Worten, sie habe bei der Gesprächstherapie und den intimeren Sitzungen mit mir unendlich viel gelernt. Nun sei ihr klar, wieviel Mut dazu gehört habe, die Hilfe eines Ersatzpartners in Anspruch zu nehmen, und sie sei dankbar, daß sie nicht enttäuscht worden sei.

Ich war unendlich zufrieden, daß sie ihr Ziel erreicht und ich ihr dazu verholfen hatte. Aber zugleich spürte ich einen ungeheuren Verlust. Ich war mir schmerzhaft bewußt, daß jetzt, wo Hanna fort war, eine Leere in meinem Leben entstanden war. Ich hätte ihr so gern gesagt, wieviel sie mir bedeutet hatte. Ich hätte ihr so gern gedankt.

Zum Glück merkte die Therapeutin, wie verwirrt ich war – und sie streckte ihrerseits die Hand aus, um mir zu helfen. Sie überzeugte mich, daß Hanna nur deshalb so abrupt gegangen war, weil sie gewußt hatte, daß ein langsamer Abschied noch mehr weh getan hätte. Da ich es geschafft hätte, ihr zu zeigen, daß sie in dem Moment in ihr wahres Leben zurückkehren müsse, wenn es Zeit sei, habe sie konsequenterweise so handeln müssen.

Trotzdem tat es weh. Erstens, weil ich zugeben mußte, daß ich mich ungeachtet meiner Ausbildung und meines vermeintlichen Professionalismus in Hanna verliebt hatte. Und zweitens, weil mir nicht gleich klar gewesen war, wie das ausgehen würde. Ich schrieb Hanna einen kurzen Brief, in dem ich ihr sagte, daß ich nach jeder Sitzung einen Anflug von Schuld gehabt hatte, weil mir das Zusammensein soviel gegeben hätte – nicht unbedingt sexuell, sondern emotional. Ich sagte ihr, wie sehr ich die Zeit mit ihr genossen hätte und wie sehr sie mir fehlen würde.

Einige Tage später bekamen die Therapeutin und ich eine Antwort – an uns beide adressiert. Hanna schrieb genauso freundlich, wie sie sprach. Sie begriff, was zwischen uns beiden geschehen war, und sie akzeptierte es. Es war eine Nähe, wie sie sie noch nie empfunden hatte. Aber sie wußte, daß ich mein eigenes Leben, meine eigene Familie hatte. Hanna sagte, sie sei innerlich vom ersten Tag an auf das Ende unserer Lernbeziehung vorbereitet gewesen. Wir hätten ihr auch dabei geholfen, indem wir die Behandlung als Einheit konzipiert hätten, als eine Einheit mit drei Stadien: Anfang, Mitte und Schluß. Sie dankte uns für diese gute Vorbereitung. Sie habe ihr erlaubt zu gehen, als sie wußte, daß die Zeit gekommen war.

Ich war total verblüfft. Die Therapeutin und ich hatten unsere Patientin auf das Ende unserer Beziehung vorbereitet, aber mich hatte niemand vorbereitet! Fast im selben Moment wurde mir klar, daß ich ein Problem hatte. Ich wollte von meinen Klientinnen mehr als ein nettes «Dankeschön». Ich wollte eine Chance, die Erfahrung mit einer Frau auch selbst zu verarbeiten, nachdem sie in meiner Obhut in mehr als einer Hinsicht eine andere geworden war. Ich hatte das Bedürfnis nach einer Extrasitzung, in der wir all die Veränderungen diskutieren konnten, die aufgrund unserer Beziehung in uns beiden stattgefunden hatten …

Ich sah Hanna nie wieder, aber ich werde ihr immer dankbar sein. Sie lehrte mich, wieviel Mut es kostet, sich von der Vergangenheit und Zukunft zu lösen und für den Augenblick zu leben. Sie lehrte mich, daß ich fähig war zu lieben, ja, wie sehr ich dazu fähig war. Sie zeigte mir, daß die Liebe sich nicht in der Liebe erschöpft, die wir geben. Heute weiß ich, daß unsere Fähigkeit zu lieben mit der Zahl der Menschen wächst, denen wir Liebe schenken.

Sie zeigte mir aber noch mehr. Durch sie lernte ich, wie ich sexuelle Energie in andere Bereiche meines Lebens umleiten kann – ohne mein Sexualleben dadurch zu schmälern. Und ich lernte, wie erregend es ist, sich mit einem anderen Menschen eins zu fühlen. Es war eine spirituelle Erfahrung, die ich nie vergessen werde.

Vor der Zeit mit Hanna hatte ich geglaubt, ich wüßte, was es bedeutet, ein Ersatzpartner zu sein. Nein, erst von jetzt an wußte ich es wirklich. Meine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt – und zugleich als harmlos erwiesen. Ich wußte nun, daß ich eine Klientin lieben könnte, ohne befürchten zu müssen, daß ich meine Vereinbarung mit ihr brechen würde. Mehr noch, ich wußte, daß ich eine Klientin lieben mußte, um ihr zeigen zu können, wie wichtig sie für einen Mann war – und um ihr helfen zu können.

[...]

Über Jerry De Haan

Jerry De Haan, Sexualtherapeut, veröffentlichte diesen Titel erstmals 1986. Der Originaltitel lautet «Reaching Intimacy».

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

In diesem Buch berichtet ein männlicher Sexualtherapeut von seiner Praxis. Als sensibler «Ersatzpartner» ist er der verständnisvollste «Liebhaber», den eine Frau sich vorstellen kann.

Was Männer über Sexualität, Sinnlichkeit und die geheimsten Wünsche der Frauen wissen, was Frauen von ihren eigenen Sehnsüchten und deren Erfüllungsmöglichkeiten kennen sollten – hier wird es offen und konkret behandelt. Der Autor zeigt, daß die Steigerung des einfühlsamen Umgangs miteinander in beiden Partnern neue Empfindungen freisetzt.

Impressum

Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.

 

Erschienen bei FISCHER Digital

© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: buxdesign, München

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

 

 

Impressum der Reprint Vorlage

ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-562202-5