Erinnerung und Vermächtnis - David Ben Gurion - E-Book

Erinnerung und Vermächtnis E-Book

David Ben Gurion

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Beschreibung

Ben Gurion gibt Einblick in seine Erinnerungen und Gedanken aus einem langen Leben im Dienste an seinem Volk und für seinen Staat. Lebhaft, persönlich und reich an Episoden, sind diese Erinnerungen Autobiographie und Geschichte zugleich, ein Buch zum Verständnis Israels und seiner Stellung unter den Staaten der Welt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 271

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David Ben Gurion

Erinnerung und Vermächtnis

Herausgegeben von Thomas R. Bransten

Aus dem Englischen von Günther Danehl

FISCHER Digital

Inhalt

VorwortEinführungDie JudenFrühe JahrePioniereHumanisten und KriegerUnabhängigkeitDemokratie und Militär heuteUnser Mandat ist die BibelNach dem Negev!FriedenAm SegulahZeittafel

Vorwort

»Worte ohne Taten«, sagt David Ben Gurion, »sind nichts.« Und er fügt hinzu: »Man muß den Weg zeigen, indem man vorangeht.«

Falls überhaupt ein Mensch je durch sein Beispiel den Weg gewiesen hat, so ist es Ben Gurion. Sein tägliches Handeln hat Zeugnis für sein Denken abgelegt, und sein ganzes Dasein war einzig auf ein Ziel gerichtet: die Wiederansiedlung des jüdischen Volkes im angestammten Israel.

Er, der jetzt auf sechzig in diesem Lande verbrachte Jahre und auf ein Leben tätigen Judentums zurückblicken kann, das acht Dekaden umfaßt – vier Fünftel eines Jahrhunderts! – hat wohl allen etwas zu sagen, die am jüdischen Schicksal teilgehabt haben. Doch obwohl sein Thema in diesem Buch die Juden sind, ist seine Weisheit universal. Ben Gurion zitiert gerne Jesajas Auftrag an die Juden, »ein Licht den Völkern zu sein«, und hier befolgt er selber diese Aufforderung. Wer jemals über den Sinn seines Lebens und des menschlichen Daseins überhaupt nachgedacht hat, wird in diesem Buch Inspiration und Anlaß zum Weiterdenken finden.

Mir fällt an diesen Meditationen besonders die Jugendlichkeit auf, die geistige Beweglichkeit, mit der Ben Gurion seine Gegenstände behandelt, die Strenge seiner Logik und nicht zuletzt sein ausgeprägter Sinn für Humor. Hier denkt nicht ein alter Mann wehmütig an vergangene Zeiten. Ben Gurion geht in die Vergangenheit nur zurück, wenn er etwas Gegenwärtiges oder Künftiges deutlich machen will.

Hier spricht ein Kämpfer, der überdies logisch, geistreich und ein Philosoph ist. Ein langes Leben hat seine Wahrnehmungsfähigkeit nicht abgestumpft, sondern ihr eine Milde, eine Breite und Tiefe verliehen, die niemand, der ein weniger erfülltes Leben gehabt hat, erhoffen darf.

Ben Gurion nennt Mose bei seinem hebräischen Namen Mosche. Mosche, so sagt er, hat den Juden ihre Mission, ihren Daseinszweck erklärt. Und heute, 3300 Jahre später, ist diese Erklärung, so sagt er, noch ebenso sinnvoll wie damals. Mit anderen Worten: alles ändert sich im Leben, doch gewisse Ideen und Grundsätze bleiben sich, dank der Wahrheit, die sie verkörpern, immer gleich.

Ich meine, daß das, was Ben Gurion uns hier bietet, auch Elemente solcher dauernden Wahrheiten enthält. Was er sagt, ist nicht schwer zu verstehen. Immerhin spiegelt sich darin die Weisheit eines Lebens, das einem Ideal gewidmet war, die Weisheit eines Menschen, der im strengsten Wortsinn ein Aktivist und ein scharfsinniger Denker war. Es ist mir eine Ehre und eine Freude, dieses Buch sowohl dem jüdischen als auch dem weiteren Publikum empfehlen zu können, nicht nur zur einmaligen Lektüre, sondern als eines jener Bücher, die man bewahrt, schätzt und in allen Phasen des Lebens neuerlich zur Hand nimmt, um sie schließlich an seine Kinder weiterzureichen. Vor allem aber können wir hier von einem Menschen lernen, dessen Leben und dessen Worte ein Ganzes sind, das wahrlich vorbildlich ist.

 

Abraham F. Rad

Einführung

Kind im polnischen Getto, Einwanderer nach Palästina, Landarbeiter und Pionier, politischer Organisator und Staatsmann, Gründer der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte und deren erster Kommandeur, Kibbuznik und Gelehrter – im Laufe von mehr als achtzig Jahren hat David Ben Gurion viele Leben gelebt.

Der Politiker ragt unter den Zeitgenossen hervor als einer, der Geschichte gemacht hat, und wie allen überlebensgroßen Führergestalten sind ihm Verehrung und Haß zuteil geworden, hat man ihm angehangen und ihn verleugnet. Gleichwohl ist das zwanzigste Jahrhundert mit von ihm geprägt worden, und er hat vielen Leben eine neue Richtung gegeben.

Als Erwecker des jüdischen Bewußtseins und Architekt der nationalen Wiedergeburt Israels hat Ben Gurion nach dem Zweiten Weltkrieg als erster Ministerpräsident sein Land während fünfzehn kritischer Jahre geführt. Er war der Hauptverantwortliche für die Verteidigung des jungen Staates gegen die Angriffe von fünf arabischen Armeen, für die Bildung des Verwaltungsapparates, des Schulsystems und weiterer Institutionen, ohne die das Leben des Landes nicht vorstellbar ist. Seinen Bemühungen sind die Fortschritte in der Landbewirtschaftung zu danken, die erstaunliche Fruchtbarmachung von Wüstenland, auf die Israel besonders stolz ist, und ihm ist auch dafür zu danken, daß sein Volk sich in einer feindlich gesonnenen Umwelt hat behaupten können.

Ein Leben vorbehaltloser Hingabe an die Sache Israels hat Ben Gurion zu einem Symbol des Kampfes gemacht, der unablässig geführt wird, um dem jüdischen Volk die Heimat zu geben. Für Ben Gurion ist Israel nicht plötzlich durch einen Zaubertrick der Vereinten Nationen im Jahre 1948 zum Leben erwacht; diese Legalisierung war nur die Bestätigung der wirklichen Verhältnisse: die Juden waren dank eines mühevollen Kampfes, der unentwegt fortgesetzt werden muß, in Palästina. Das Haus Israel wurde und wird, Ben Gurion zufolge, gebaut, wo zuvor nichts war, mit Hilfe jüdischer Hände und Hirne, verteidigt mit jüdischem Blut, Zeugnis für den Willen zu überleben trotz Austreibung und Massenvernichtung. Es verkörpert die Pioniertugenden, ist leuchtendes Vorbild für die Menschheit.

Die Worte und Taten des Mannes, der im täglichen Umgang mit der protokollwidrigen Formlosigkeit des Farmer-Pioniers auftrat, haben stets Beachtung, Erregung und Widerspruch ausgelöst, einerlei wie leise sie ausgesprochen, wie unauffällig sie ausgeführt wurden. Sein Rücktritt vom Regierungsgeschäft im Juni 1963 ist dafür ein Beispiel. Man hat ihn auffällig unauffällig genannt. Auf einer der üblichen Kabinettssitzungen erklärte er seinen Rücktritt, und schon am Tage darauf fuhr er in einen Kibbuz des Negev. Dort, in der Kollektivfarm Sde Boker, die innerhalb eines Jahrzehntes wasserlose Dünen in ein grünes, fruchtbares Plateau verwandelt hat, übernahm David Ben Gurion seine neue Aufgabe: Er hütete die Schafe.

Auch heute noch wohnt er in Sde Boker, in einem Holzhaus, anspruchslos wie die anderen Farmer. Allerdings hütet er nicht mehr die Schafe, sondern schreibt die Geschichte des jüdischen Staates, von den ersten Einwanderern in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag. Er tut das, damit die jüngere Generation, wie er sagt, begreift, daß, was bis heute geschafft wurde, nur ein Anfang ist, »und ein Anfang ist nicht genug«.

 

 

Während das Drehbuch für FORTY-TWO SIX geschrieben wurde, stellte Ben Gurion sich für ein gefilmtes Interview von sechs Stunden Dauer zur Verfügung. Aus London kamen die Cinemascope-Kameras, aus Jerusalem die Techniker. Die Bibliothek der Lehrerbildungsanstalt des Negev, ein Institut, das mit Ben Gurions Hilfe gegründet wurde und Sde Boker benachbart ist, wurde in ein Atelier verwandelt. Die Filme wurden an drei Abenden je zwei Stunden lang gedreht, nachdem die Hitze des Tages abgeklungen war (die Kombination von Sonne und Scheinwerfern wäre unerträglich gewesen). Ben Gurion sprach über alle möglichen Themen, er sprach über sein eigenes Leben, über die Zukunft des jüdischen Volkes und dessen Mission im Lande Israel. Als Titel der Sendung diente der von Ben Gurion zitierte Vers Jesaja 42, 6, in dem er den Juden verheißt, daß sie »zum Licht der Völker« werden sollen, ein Vorbild an Weisheit und Rechtschaffenheit.

Das Interview verschaffte uns eine brauchbare Arbeitsgrundlage und bestätigte die Authentizität unserer Darstellung in der Sendung FORTY-TWO SIX; überdies brachte sie uns ›Rohmaterial‹ für verwandte Vorhaben ein.

Dieses ausgedehnte Interview mit Ben Gurion ist aber bereits als solches ein bemerkenswertes Dokument. Es ist das Plädoyer eines Staatsmannes, der zugleich ein Denker ist und den Bedeutungswandel versteht, dem das eigene Werk im Laufe der Jahre unterliegt. Dieses Interview ist das Resümee eines Menschen, der mit Gelassenheit die Ereignisse eines langen Lebens bedenkt, dessen Höhepunkte die Impulse für die Verwirklichung des zweitausend Jahre alten Traumes der Juden gaben, die Zerstreuten zu sammeln und von neuem ein Volk zu werden.

Das vorliegende Buch ist aus jenem Interview entstanden. Was folgt, hat Ben Gurion wörtlich so gesagt.

 

Thomas R. Bransten

Die Juden

(»Ich sehe den Menschen durch die Sache.« So beurteilt General Mosche Dajan David Ben Gurion. Die Sache ist und war stets Israel, der Kern, um den alle Gedanken und Handlungen einer völlig an ihr Ideal hingegebenen Persönlichkeit unablässig kreisten. In diesem Zusammenhang bedeutet Israel die Erfüllung eines militanten Judentums, das über Religiosität hinausgeht, seine Vision jedoch aus der Thora und seine Kraft aus der Tatsache des Judeseins schöpft.

Am Anfang müssen die Juden stehen, was sie im Licht der Vergangenheit und der Gegenwart betrachtet sind, was sie sein wollen. Es folgt also Ben Gurions Meinung über ein Volk, von dem er meint, es habe ›es schwer mit sich selber‹, und doch sei es von den eigenen Propheten aufgefordert, der Menschheit ein Beispiel zu geben.)

 

Die Juden gleichen manchmal den Sternen, manchmal dem Staub. Das gilt wohl für die Menschheit ganz allgemein, für alle Individuen. Immerhin sagt der Talmud das ausdrücklich von uns. Und als Volk neigen wir zum Extrem.

Unsere Besten haben nach sehr hohen Sternen gegriffen. Unsere Schlechtesten sind sehr tief gefallen, denn sie mußten die jüdische Ethik verneinen, die das moralische Bewußtsein betont und nicht zuläßt, daß man sich mit Ausflüchten über die Folgen seiner Handlungen täuscht. Die traditionelle preußische Unschuldsbeteuerung, man habe nur Befehlen gehorcht, ist völlig unjüdisch. Über Recht und Unrecht muß unserer Ansicht nach jeder einzelne mit seinem Gewissen ins reine kommen. Der Jude, der Böses tut, tut das unter Mißachtung einer inneren Stimme, die ihm sagt, wie er eigentlich handeln müßte, und daher ist die Last seiner Schuld besonders drückend. Überdies sagt das jüdische Moralgesetz, anders als das der Christen, seinen Anhängern nicht: »Du sollst dies oder das tun«, sondern es bestimmt nur, was man nicht tun darf, überläßt also jedem einzelnen, was er tun will. Die Bibel, unsere Bibel, das Alte Testament also, fordert nicht: »Sei klug«, »sei tugendhaft«, sondern es mahnt: »Du sollst nicht töten«, »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.« Wenn der Jude sündigen will, ist es nicht genug, daß er handelt, er muß auch fundamentale Verbote verletzen, und das ist schon ein sehr schweres Vergehen.

Dem entspricht, daß es, um tugendhaft zu sein, nicht ausreicht, das Böse zu meiden. Man muß vielmehr einen Schritt weitergehen und das menschliche Dasein erleichtern helfen.

Ich meine, dieser Nachdruck, den die Juden auf Verbote einerseits und tätige Tugend andererseits legen, erklärt einen gewissen an ihnen zu bemerkenden Ehrgeiz und ihren hochentwickelten Sinn für Gerechtigkeit, oder besser Ungerechtigkeit. Die Juden haben sich immer leidenschaftlich an der geistigen Auseinandersetzung mit der Ungerechtigkeit beteiligt, und zwar nicht nur, wenn diese sie selber betraf, sondern ganz allgemein im Namen der Menschlichkeit. Wo Juden sind, da wird die Unmenschlichkeit des Menschen seinem Mitmenschen gegenüber bekämpft, sei es nun die Diskriminierung der Schwarzen in den USA, sei es die Verweigerung der Meinungsfreiheit in der Sowjetunion (ich denke hier besonders an den Schriftsteller Juri Daniel, der gewagt hat, das Regime zu tadeln und dafür eingekerkert wurde. Ich könnte noch viele andere Gleichgesinnte nennen.) Greifen diese Menschen nicht wirklich nach den Sternen? Ich meine, ja.

Alles, was wir als Juden sind – nicht ausgeschlossen die Neigung, gelegentlich über die traditionellen Grenzen hinauszugehen –, kommt unmittelbar aus der Bibel. Als Volk sind wir an Zahl gering und sind es immer gewesen. Wären wir nicht das Volk der Bibel, wer hätte je von uns gehört? Wir müßten froh sein, wenn wir in den Geschichtsbüchern als Fußnote erschienen. So aber ist ein großer Teil der Menschheitsgeschichte unser Werk. Wir sind niemals weit vom Hauptschauplatz entfernt gewesen, oft zu unserem Unglück und unter großer Gefahr.

Immer wieder erstaunt mich der Beitrag, den Juden zum Denken der Menschheit geleistet haben. So viele beachtliche Denker waren Juden. Ihr Werk, ihre Gedanken beeinflussen das Leben der Menschen überall, auch jener, die nichts davon wissen oder die diese Gedankenwelt ablehnen. Man kann die Lehre von Marx leidenschaftlich verteidigen oder verdammen, aber die Wirkung von Marx’ Denken kann man nicht bestreiten. Und für Freud und sein Werk gilt das gleiche.

Vom Griff nach den Sternen sprach ich, weil ich an den dachte, der den Fortschritt der Menschen buchstäblich zu den Sternen hin ermöglicht hat, Albert Einstein. Soweit mir bekannt, ist er der bedeutendste Theoretiker unseres Jahrhunderts. Es war mir vergönnt, ihn persönlich zu kennen und einen Eindruck von dem Edelmut dieses Mannes zu gewinnen.

Wir haben heute in Israel keine Individuen, die nach den Sternen greifen. Solche Höhenflüge des Geistes müssen vorbereitet sein. Ein Franzose sagte mir einmal, ein wirklich erstklassiger Weinberg brauche tausend Jahre zu seiner Entstehung. Wir haben zwar eine viertausendjährige Geschichte, sind aber erst seit so kurzer Zeit wieder in Israel, daß wir alle unsere Aufmerksamkeit dem Überleben widmen müssen. Mit der Zeit werden wir gewiß auch unseren Anteil an Künstlern und Wissenschaftlern, Philosophen und Dichtern hervorbringen.

Immerhin ist das bloße Vorhandensein des Staates Israel bereits eine bemerkenswerte Leistung, an der ein jeder teilhat. Und ich kenne viele Juden, die hier, wenn man ihr Leben einmal daraufhin betrachtet, ob sie zum Heil der Menschheit beitragen, ein sehr viel nützlicheres Dasein führen als ihre Brüder in der Diaspora.

Was nun Tugenden und Laster angeht, so ist unsere Geschichte in Israel da recht bewegt gewesen. Zu Zeiten Jesajas haben die Propheten uns als das verworfenste Volk von allen geschmäht und uns den Untergang vorausgesagt. Hat etwa unsere Schlechtigkeit uns die Heimat gekostet? Heute, zweitausend Jahre später, kann ich darüber nicht urteilen. Immerhin weiß ich aber, daß die Wiedergewinnung unseres Heimatlandes auf einen außergewöhnlichen Akt kollektiver Tugend zurückzuführen ist, der von vielen Tausenden nur unter schweren Opfern vollzogen werden konnte, begleitet von allgemeinem Skeptizismus, ja Hohn, womit ja die große Mehrheit der Menschen, die Juden nicht ausgenommen, bedeutende Unternehmungen häufig bedenkt.

Die Wiedergeburt Israels ging nicht von einem Tag auf den anderen vor sich. Sie ist auch nicht einer völkerrechtlichen Absprache zu danken. In allem Ernst hat sie vor genau hundert Jahren begonnen, im Jahre 1870, als die ersten Pioniere ihre relative Sicherheit in Osteuropa und Rußland aufgaben und herkamen, entschlossen, auf den Fundamenten der alten Heimat die neue nationale Heimstatt der Juden zu errichten. Selbstverständlich hatten in dem Palästina genannten Gebiet immer Juden gelebt, jüdische Gemeinwesen bestanden. Doch die Nation Israel ist das Werk dreier Generationen. Auch heute noch wird an diesem längst nicht beendeten Werk gearbeitet, und am reinsten ist diese Arbeit ausgeprägt hier in der Wüste, wo ich wohne, und wo alles, was ist, von uns geschaffen wurde, aus dem Nichts.

Um auf die intellektuelle Ruhelosigkeit der Juden zurückzukommen, ihre tradierte Abscheu gegen Ungerechtigkeit, einerlei wie abstrakt oder gegen wen gerichtet, ihre, man könnte fast sagen besessene Suche nach Wahrheit, so habe ich schon gesagt, daß diese ihre Neigung auch an der Bibel zu bemerken ist. Sowohl für die Bibel als auch für die Juden seither, als Individuen wie als Volk, war die Kernfrage die nach dem Auftrag des Menschen in dieser Welt. Dieser Auftrag scheint eine Funktion dessen zu sein, was als die höchste Eigenschaft des Menschen gilt, seine Schöpferkraft.

In dieser Hinsicht ist die Genesis höchst aufschlußreich. Die Evangelien beginnen mit der Geburt des Jesus; der Koran mit Mohammed. Die Thora jedoch beginnt weder mit Mose noch auch mit Abraham, dem ersten Juden, dem Mann, der von Chaldäa über den Euphrat ins Unbekannte wanderte, was ihn zum ersten Pionier machte und zum ersten Hebräer, also dem, ›der übersetzte‹, über den Fluß nämlich. Nein, die Thora beginnt mit der Schöpfungsgeschichte, und wir erfahren, daß sechs Tage nach Erschaffung des Lichtes, der Pflanzen und aller Tiere, am letzten Schöpfungstag ein Mann und eine Frau gemacht wurden, und zwar nach dem Bilde Gottes. Ich selber, der ich nicht religiös bin, meine, daß die Theologen hier den Lauf der Dinge umgekehrt haben, daß vielmehr Gott nach dem Bilde des Menschen ›erschaffen‹ wurde, weil dieser sich so das Geheimnis seines eigenen Daseins auf der Erde erklären wollte. Aber davon später mehr.

Die Bibel, derzufolge der Mensch von Gott gemacht wurde, bezeichnet Adam als Gottes Stellvertreter auf Erden. Gott steht so hoch über dem Menschen, daß dieser sich Ihn nicht einmal vorstellen kann. Man sagt uns, Gott sei die verkörperte Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, und wenn die Thora vom Menschen als nach Seinem Ebenbild geschaffen spricht, so will sie sagen, er müsse sich bemühen, diese Eigenschaften zu erwerben.

Das bemerkenswerteste an Gott ist aber seine Schöpferkraft, der der Mensch selber sein Dasein verdankt – der Bibel zufolge. Ob ihm dies nun zukommt oder nicht, der Mensch hat seit Adams Tagen sich bemüht, an dieser Schöpferkraft teilzuhaben. Das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein. Gott tut das Unmögliche, der Mensch müht sich, das scheinbar Unmögliche zu vollbringen. Er fliegt zum Mond. In einer so offensichtlich unfruchtbaren Wüste wie dem Negev läßt er Milch und Honig fließen. Das ist unmittelbare Teilhabe am Abenteuer der Schöpfung.

Gott schuf auch den Garten Eden. Der gefiel dem Menschen aber nicht sehr. Der Mensch hielt das müßige Dasein nicht aus, er ließ sich also aus dem Paradies vertreiben und versucht seither, seine eigene Magie zu machen. Oft genug hat er nur eine Hölle zustande gebracht. Gelegentlich – und ich glaube, wir in Israel tun das – hat er das Tor zu einem neuen, blühenden Leben aufgestoßen.

Die Vorstellung des Juden von sich selber entstammt also der Bibel, und das ist ein Bild, das er an die ganze westliche Zivilisation vermittels der Tochterreligionen Islam und Christentum weitergegeben hat.

Daß das heilige Buch der Juden zuerst da war, ehe es einen vergleichbaren Glauben gab, ist für unsere Geschichte sehr wichtig. Lange war dieses Buch einzigartig. Jahrhundertelang, ja jahrtausendelang enthielt es die einzige Sittenlehre, die nicht auf praktische Notwendigkeiten abstellte (wie beispielsweise der ältere Kodex des Hammurabi), sondern auf ein Ideal jenseits und oberhalb des menschlichen Daseins. Hier ist die Ursache für die Fülle, aber auch für die Prüfungen der jüdischen Vergangenheit. Das heilige Buch ist nie eine ungeteilte Wohltat gewesen.

Nach dem Sechstagekrieg im Juni 1967 antwortete ich General de Gaulle auf seinen Vorwurf, die Juden seien ein ›aggressives‹ Volk. Ich verwies ihn auf die unbestreitbare Tatsache, daß kein Volk jemals so gehaßt, verfolgt, vertrieben, von Land zu Land gehetzt und schließlich (in unseren Tagen und in einem angeblich zivilisierten Europa) en masse vernichtet worden ist; daß wir aber trotz allem weder von der Erdoberfläche verschwunden sind, noch aufgegeben, noch uns assimiliert, sondern an dem Glauben festgehalten haben, eines Tages unser Land zurückzugewinnen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen unserem Glauben und unserem Leiden? Ich meine, ja. Es scheint doch, als erwachse das eine aus dem anderen. Dank der metaphysischen Ordnung der biblischen Sittenlehre entwickelten die Juden ein universales Gewissen. Ein solches Gewissen ist kein sanftes Ruhekissen, teils weil man nie hoffen kann, es zufriedenzustellen, es bohrt unablässig, teils weil Menschen mit weniger entwickeltem Gewissen immer wieder mit der Nase darauf gestoßen werden, daß es so etwas gibt, und das macht sie böse. Jesus, der ganz gewiß ein solches universelles Gewissen besaß, endete denn auch schon früh am Kreuz der Römer. Seit ihrer Vertreibung haben die Juden ein unablässiges Martyrium erlitten.

Weil sie einen unsichtbaren Gott verehrten, erschienen die Juden allen anderen seit je unverständlich und daher bedrohlich (was man nicht begreift, fürchtet man bekanntlich). Da ihre Sittenlehre erhabener und jedenfalls sehr anders war als die von anderen Menschen, da sie einen allgegenwärtigen Gott anbeteten, der, obwohl unsichtbar, besonders mächtig wirkte, weil die Juden sich allen Seinen Geboten unterwarfen, blieb dieses kleine Volk für sich allein. Es wollte niemanden bekehren, keine Proselyten machen, sondern einzig nicht gestört werden; selbst in der Zerstreuung schenkten die Juden ihrer Umgebung wenig Beachtung. Kein Wunder also, daß sie außerhalb ihrer eigentlichen Heimat keine Bleibe fanden. Kein Wunder auch, daß andere sie mit Mißtrauen betrachteten, das sich, unter dem Einfluß der Zeitereignisse, oft zu schlimmeren Gefühlen verdichtete. Wenn die jüdische Sittenlehre auf der Bibel als der einen Säule ruht, so heißt die andere, ebenso wichtige, Nation. Die Einzigartigkeit des jüdischen Volkes und des Judaismus besteht in folgendem: keine andere Religion ist untrennbar von der physischen Existenz eines Volkes. Ohne jüdische Geschichte kein Judaismus.

Daraus erklärt sich unsere Anhänglichkeit an Israel. Und für mich erklärt das auch, daß die von der Bibel geforderte Kreativität von den Juden, zwar nicht als Individuen, aber als Juden insgesamt, nur aufgebracht wurde und wird, wenn sie in ihrem eigenen Land wohnen.

Was ich die jüdische Sittenlehre genannt habe, das, was wir mit uns ins Exil nahmen, ist gewiß ursächlich gewesen für die Entwicklung von Individuen, die im Laufe der Zeiten schöpferische Beiträge an jene Gesellschaften leisteten, in denen sie gerade lebten. Die erwähnten Fälle (Freud, Marx, Einstein usw.) beweisen das. Aber als Juden haben die Juden nur einen einzigen positiven Beitrag geleistet: Sie haben durch den Talmud und durch ihre Traditionen eine Art bewegliche Heimat geschaffen, die sie während ihrer zweitausendjährigen Wanderungen zusammengehalten und die ihnen schließlich ermöglicht hat, heimzukehren in das Land ihrer Vorfahren.

Im Exil lebten die Juden mit dem Herzen und den Gedanken innerhalb eines Erbes, das einerseits von der Bibel, andererseits von jenem Territorium bezeichnet wurde, das als Heimat galt. Dies hat sie, wie schon gesagt, bei anderen nicht beliebt gemacht, denn immer waren sie anders, in jedem Gemeinwesen waren sie ein fremdes Element. Die schöpferische Begabung, aus der die Thora hervorging und die vor dem Exil so sehr zum jüdischen Leben gehört hatte, trocknete allmählich aus. Aus ihr wurde eine bewahrende Tätigkeit, und diese diente der Erhaltung dessen, was bereits vorhanden war. Die Juden häuften Auslegungen von Auslegungen, Erläuterungen von Erläuterungen der Schriften. Das geistige Leben verarmte ebenso wie das materielle. Das jüdische Leben als solches verkümmerte, es spann sich in die Puppe der Gettozivilisation ein. Und brachten die Juden dann doch einmal ein schöpferisches Genie hervor, so verdammten sie es rasch als Aufwiegler. So wurde im 17. Jahrhundert der bedeutende Philosoph Baruch Spinoza aus der jüdischen Gemeinde ausgestoßen. Er schenkte seine Weisheit anderen, nicht in hebräischer, sondern in einer fremden Sprache. Die Juden lebten in politischer, wirtschaftlicher und geistiger Isolierung. Erst die vor einem Jahrhundert einsetzende Erneuerung der praktischen Bestrebungen zur Gewinnung ihrer Heimat hat den Juden Gelegenheit gegeben, ihre schöpferische Kraft als Volk neuerlich zu betätigen.

Daraus folgt, daß ohne ein jüdisches nationales Gemeinwesen, ohne Israel also, kein schöpferisches jüdisches Leben denkbar ist.

Der Jude kann in der Diaspora auch beim besten Willen nicht ausschließlich Jude sein, ja, tatsächlich kann er nur sehr wenig Jude sein. Ob sie es nun wahrhaben wollen oder nicht, die Juden der Diaspora leben ständig im Exil. Ich meine damit, daß sie immer in der Minderheit und damit abhängig sind von einer Mehrheit, die sie nicht kontrollieren können. Sie werden unablässig hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, ihren jüdischen Status zu bewahren, der sie abseits hält, und der Neigung, dem Druck der Umwelt nachzugeben, der auf Assimilation abzielt. Nur sehr wenige der in der Diaspora lebenden Juden gehören zu jenen Schichten der Bevölkerung, die die elementare Arbeit für die Gesellschaft verrichten, also Land- und Industriearbeit. Die Mehrzahl der Juden lebt zusammengepfercht in den Großstädten. Selbst in den USA, wo die Juden allgemein wohlhabend und in ihrer Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt sind, konzentrieren sie sich auf die sechs größten Städte, entlang der Ostküste, in Chikago und in Los Angeles. Von sechs Millionen Juden insgesamt leben allein mehr als drei Millionen in New York und Umgebung.

In ärmeren Ländern macht es die Juden wirtschaftlich und auch physisch verletzlich, daß sie sich in den größeren Städten zusammendrängen. Die Ermordung jüdischer Geiseln in Bagdad und die Drangsalierung der alten jüdischen Gemeinde dieser Stadt zeigen deutlich, wie leicht es den Behörden fällt, über diese Menschen herzufallen, die ganz für sich mitten im Zentrum der Stadt beieinander wohnen, jederzeit erreichbare Opfer.

Ob sie nun ärmlich in überfüllten Gettos dahinvegetieren oder wohlhabende Großstädter sind, die ihren Wohlstand der Stadt verdanken, die Juden der Diaspora bleiben doch von dem eigentlichen Lebensquell eines jeden Volkes getrennt (dem Land und den Fabriken), was bedeutet, daß sie bei allem möglicherweise vorhandenen Wohlstand doch keinen festen Boden unter den Füßen haben. Nehmen wir als Beispiel die erfolgreichste jüdische Gemeinde in der Diaspora, die auch mir am vertrautesten ist, die Juden in den USA, zu denen ich die engsten persönlichen Verbindungen unterhalte. Ich habe einmal drei Jahre dort gewohnt und bin immer wieder hingereist, um mit ihren Vertretern zu unterhandeln. Wir hier in Israel fühlen uns den amerikanischen Juden ganz besonders verbunden für ihre großzügige Hilfe, und wir sind ihnen dankbar dafür, mehr als dankbar.

Wir wissen auch, daß die Juden als Bürger der USA sehr nützliche Arbeit leisten, daß sie in allen Berufen vertreten sind. Die Literatur der USA verdankt den Juden viel, insbesondere die des 20. Jahrhunderts. Das gleiche gilt für die Rechtswissenschaft, die Politik, die Naturwissenschaften. Und doch sind selbst in den USA Juden nur wenig in der Schwerindustrie, in der Hochfinanz, im Proletariat oder in der Landwirtschaft vertreten. Sie sind keine Elemente der nationalen Wirtschaft.

Der Jude in Amerika ist ein zerrissener Mensch. Wann eigentlich ist er Jude? Manch einer ist es einmal im Jahr, am Jom Kippur, dem heiligsten Tag im jüdischen Jahr, der auf den Zehnten des siebenten Monats fällt, wo man fastet und um Vergebung der Sünden betet. An diesem Tag sind die Synagogen voll. Andere Amerikaner besuchen die Synagoge regelmäßig jeden Samstag oder auch Sonntag – eine Konzession an die im Lande üblichen, nicht-jüdischen Gebräuche. Mancher Jude besucht sein Gemeindehaus und meint, er nehme hier teil an spezifisch jüdischen Tätigkeiten oder komme doch wenigstens mit anderen Juden zusammen. Und ganz gewiß darf man annehmen, daß er großzügig für Israel gibt, denn Amerikaner sind großzügige Menschen.

Neun Zehntel seiner Zeit jedoch verbringt der Jude in Amerika ebenso wie jeder andere Amerikaner. Und nach amerikanischer Auffassung soll er das auch. Nicht aber nach jüdischer Auffassung. Und was tut er da? Er bewohnt ein Haus. Höchstwahrscheinlich ist es nicht von Juden erbaut worden. Die elektrische Energie, die er verbraucht, wird nicht von Juden erzeugt. Auch der Bus oder die U-Bahn, die er benutzt, sind nicht von Juden gemacht worden. Und selbst wenn das der Fall wäre, hätte das in einem weiteren Rahmen doch keine Bedeutung. Haus, U-Bahn, Elektrizität sind amerikanische Dienstleistungen, einerlei ob ein Jude oder ein Nichtjude Gebrauch davon macht. Das ist weder gut noch schlecht, es ist einfach Tatsache.

Selbst der observante Jude lebt also die meiste Zeit wie ein Nichtjude. Schlimmstenfalls wird ihm sein Judentum, so gering es auch ist, zum Vorwurf gemacht; bestenfalls spielt es in seinem täglichen Leben eine nur geringe Rolle.

Daraus ergibt sich eine einfache Folgerung. Alle Juden sollten nach Israel kommen. In der Diaspora können sie nicht wirklich Juden sein. Die gekünstelte Unbefangenheit, die nervöse Gespanntheit, die an ihnen wahrzunehmen sind, verschwinden jedoch vollständig, sobald sie hier angekommen sind. Außerhalb Israels hat der Jude nur zu wählen zwischen dem Getto und der Assimilierung. Innerhalb Israels ist es so natürlich, Jude zu sein, wie es in Frankreich natürlich ist, Franzose, in Griechenland Grieche zu sein. Nicht einmal die USA sind jene Ausnahme, als die sie gerne erscheinen. Juden, die sich als Juden fühlen und sich nicht zwecks Assimilation in den berühmten amerikanischen ›Schmelztiegel‹ werfen lassen (das steht ihnen allerdings frei), sind immer nur eine Minderheit. Gewisse Türen bleiben ihnen verschlossen. Sie zählen zu den Gruppen mit besonderer Interessenlage. Ihre Kinder allerdings haben keinen brennenderen Wunsch, als spurlos in dem sie umgebenden Gemeinwesen unterzutauchen.

In Israel sieht der Jude sich solchen Problemen nicht gegenüber, er braucht auch nicht unterzutauchen. Alles ringsumher ist jüdisch, und es spielt keine Rolle, ob jemand religiös ist oder nicht. Das Individuum leistet mit jeder einzelnen Geste seinen Beitrag dazu. Es kann ein erfülltes Leben haben, denn es ist ganz Jude und zugleich ganz Mitmensch in einer Gesellschaft, die keine Konflikte dieser Art kennt.

Das ist ein ausschließlich jüdischer Grund, nach Israel zu kommen. Wir bieten hier das erfüllte jüdische Leben, ein erfülltes menschliches Leben, das gewiß nicht materiell reicher ist als anderswo, dafür verspricht es aber eine größere spirituelle Erfüllung.

Andere Gründe für die Einwanderung nach Israel werde ich später nennen, aber für den Juden hält das Leben hier vor allem Hoffnung auf reiche moralische Befriedigung bereit.

Ich war schon immer dieser Ansicht, und meine eigene Haltung zu Israel ist davon geprägt worden. Ich bin als sehr junger Mensch hergekommen, und damals hielten die meisten Juden die Idee einer jüdischen Nation für absurd. Ich erinnere mich noch sehr deutlich der langen Wanderungen, die ich als junger Neuankömmling hier unternahm und meiner Träume, in denen dieses Land wieder einer jüdischen Nation gehören sollte. Ich bin damals viel gewandert und habe den ganzen Norden und die Mitte des Landes durchstreift.

Es gab immer Gründe, einen Marsch anzutreten – eine politische Versammlung in Haifa, die Zusammenkunft der Jüdischen Gemeinschaft in Jerusalem, der Festtag einer Kollektivfarm, kurzum alles Erdenkliche hier oder dort, was ich nicht versäumen wollte.

Damals hieß es entweder reiten oder wandern. Da ich weder ein Pferd noch das Geld dafür besaß, wanderte ich.

Ich erinnere mich, wie ich eines Tages von Sichron Ja’akov südlich Haifas nach Jaffa zu einer Versammlung ging. Das war ein Fußmarsch von zwei Tagen durch das, was heute das Herzstück von Israel ist, der am dichtesten besiedelte, meist bebaute und kultivierte Teil. Ich kam so müde in Jaffa an, daß ich das einzige Mal im Leben vierundzwanzig Stunden hintereinander schlief. Damals war das Land nur dünn besiedelt, das war 1908. Die neu angelegten jüdischen Siedlungen zählten weniger als zwanzig. Ich war 1906 ins Land gekommen, und seither war nicht ein einziges neues Dorf errichtet worden. In Galiläa saßen einige wenige Pioniere, doch die wollten an Ort und Stelle bleiben, und wir brauchten dringend Menschen, die sich überall im Lande niederlassen sollten. Im Jahr darauf war dann die freudige Nachricht zu hören, daß eine neue Siedlung entstehen sollte. Es war die erste neue Siedlung seit meiner Ankunft, und sie bestand aus nur sechs Häusern in der Nähe von Tiberias; die Eigentümer waren fünf Brüder. Viel war das nicht, aber es rechtfertigte doch unsere Zuversicht.

Als ich damals so durch die öde Ebene ging und nur gelegentlich auf wandernde Beduinen traf (die auch heute noch nach Lust und Laune im Lande umherwandern und sich weder um Zivilisation noch um Politik kümmern) oder das eine und andere, von notleidenden Arabern bewohnte Dorf, zweifelte ich keinen Moment daran, daß alles Land einmal ganz den Juden gehören würde. Ich sah, daß uns hier eine einzigartige Gelegenheit geboten war, unser Können zu beweisen und uns als Juden zu bewähren. Es war einfach nichts da. Dies war buchstäblich ein vergessener Winkel des türkischen Reiches, ja des Erdballes. Niemand wollte ihn haben, schon gar nicht die palästinensischen Araber, die selbstgenügsam in Armut unter den Türken dahinvegetierten. Ihre spätere Entrüstung über die Anwesenheit der Juden ist künstlich von Interessenten und den Propagandaapparaten der umliegenden arabischen Staaten angefacht worden. Eines ist sicher: Wenn die Juden aus Israel verschwänden, was sie nicht tun werden, die palästinensischen Araber hätten angesichts der Expansionsgelüste Ägyptens, Syriens, Jordaniens und zum geringeren Teil auch des Libanon keine Aussicht auf Autonomie. Das steht fest.

Damals, als ich ins Land kam, kümmerte sich jedenfalls keine Seele um dieses Gebiet, und ein jeder mochte herkommen und aus dem Nichts etwas erschaffen.

Ich glaubte schon damals, was ich heute glaube: daß wir ein unbestreitbares Recht auf das Land haben. Nicht das Recht, es anderen wegzunehmen (es gab keine anderen), aber das Recht und die Pflicht, seine Leere zu füllen, seine Unfruchtbarkeit zu beleben, eine moderne Version unseres uralten Volkes zu schaffen. Und ich meinte, daß wir diese Mühe nicht nur uns selber schuldig waren, sondern auch dem Lande.

Das Land ist durch viele Hände gegangen. Immer wieder ist es erobert und aufgegeben worden. Abgesehen von uns und unseren Vorgängern, den Kanaanitern, hat das Land Ägypter gesehen und Assyrer, Perser, Griechen, Römer, Araber, Seldschuken, Kreuzfahrer, Mameluken, ottomanische Türken und Briten. Die Kanaaniter gibt es nicht mehr, aber nur ihnen und den Juden ist das Land jemals Heimat gewesen. Es war Schlachtfeld, Beute, ein erobertes Gebiet, das geplündert werden durfte, eine Wegstation, Weide. Nur die Juden haben das Land um seiner selbst willen geliebt, haben es bearbeitet, es sich durch Arbeit angeeignet. Das war vor zweitausend Jahren so, und so ist es noch heute. Israel gehört im zwanzigsten Jahrhundert nicht darum uns, weil wir Krieg um es geführt haben (das waren nur Schutzmaßnahmen, die unsere Anwesenheit erforderlich machte), sondern weil wir es besiedelt haben. Ich habe mein Leben an die Besiedelung dieses Landes gegeben. Und als ich 1906 und 1908 das Land durchwanderte, wußte ich, daß unsere Arbeit nicht vergebens, daß das Land eines Tages unser sein würde.