Erinnerungen an Lenin - Clara Zetkin - E-Book

Erinnerungen an Lenin E-Book

Clara Zetkin

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Beschreibung

Die revolutionäre Vorkämpferin Zetkin berichtet über ihren Gedankenaustausch mit Lenin zu verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Themen: Über werktätige Frauen Über Sex und Ehe Über die kommunistische Frauenbewegung Über Erziehungsarbeit Über die Befreiung der Frau Null Papier Verlag

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Clara Zetkin

Erinnerungen an Lenin

Aus dem Briefwechsel Clara Zetkins mit W. I. Lenin und N. K. Krupskaja

Clara Zetkin

Erinnerungen an Lenin

Aus dem Briefwechsel Clara Zetkins mit W. I. Lenin und N. K. Krupskaja

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: Dietz Verlag, Berlin, 1957 1. Auflage, ISBN 978-3-962814-27-4

null-papier.de/603

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Vor­be­mer­kung

I

II

Über werk­tä­ti­ge Frau­en

Über Sex und Ehe

Le­nin zur se­xu­el­len Fra­ge

Über die kom­mu­nis­ti­sche Frau­en­be­we­gung

Über Er­zie­hungs­ar­beit

Über die Be­frei­ung der Frau

Schluss und Nach­wort

An­hang

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Vorbemerkung

Cla­ra Zet­kin sah im So­wjet­volk stets den Vor­pos­ten im Kampf des in­ter­na­tio­na­len Pro­le­ta­ri­ats für Frie­den und So­zia­lis­mus. Sie war er­füllt von großer Be­wun­de­rung für die Er­fol­ge der so­wje­ti­schen Ar­bei­ter und Bau­ern. In der ruhm­rei­chen Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei der So­wje­tu­ni­on sah Cla­ra Zet­kin stets das Vor­bild und die Füh­re­rin des Welt­pro­le­ta­ri­ats. Mit dem ge­nia­len Schöp­fer des ers­ten so­zia­lis­ti­schen Staa­tes, dem Füh­rer der So­wjet­völ­ker, Wla­di­mir Il­jitsch Le­nin, ver­band sie eine herz­li­che Freund­schaft.

Die vor­lie­gen­de Ar­beit »Erin­ne­run­gen an Le­nin« ent­hält Ge­sprä­che, die Cla­ra Zet­kin mit Le­nin führ­te und die sie aus dem tie­fen Nach­hall die­ses großen Er­leb­nis­ses nie­der­schrieb. Sie ge­ben – ohne Len­ins Aus­füh­run­gen wört­lich zu wie­der­ho­len – einen star­ken Ein­druck von Len­ins Sch­licht­heit und Grö­ße. Kür­zun­gen wur­den durch Punk­te ge­kenn­zeich­net.

Der ers­te Teil der Ar­beit wur­de 1924 vom Ver­lag für Li­te­ra­tur und Po­li­tik, Wien – Ber­lin und der zwei­te Teil 1926 in der Bro­schü­re »Le­nin ruft die werk­tä­ti­gen Frau­en« erst­ma­lig ver­öf­fent­licht. Die vor­lie­gen­de Neu­auf­la­ge wur­de nach der im Jah­re 1929 im Ver­lag für Li­te­ra­tur und Po­li­tik, Wien – Ber­lin er­schie­ne­nen voll­stän­di­gen Aus­ga­be vom In­sti­tut für Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus beim Zen­tral­ko­mi­tee der So­zia­lis­ti­schen Ein­heits­par­tei Deutsch­lands be­sorgt.

Der ers­te Teil die­ser Neu­auf­la­ge wur­de nach dem Ori­gi­nal­ma­nu­skript Cla­ra Zet­kins über­ar­bei­tet. Die Fo­to­ko­pie des Ma­nu­skrip­tes und wei­te­res wert­vol­les Brief- und Fo­to­ma­te­ri­al aus dem Nach­lass Cla­ra Zet­kins wur­den un­se­rem In­sti­tut vom In­sti­tut für Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus beim Zen­tral­ko­mi­tee der KPdSU über­ge­ben. Die in ei­nem An­hang erst­ma­lig ver­öf­fent­lich­ten Brie­fe aus die­sem Nach­lass ent­nah­men wir dem Brief­wech­sel Cla­ra Zet­kins mit W. I. Le­nin und N. K. Krups­ka­ja.

In­sti­tut für Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus beim Zen­tral­ko­mi­tee der So­zia­lis­ti­schen Ein­heits­par­tei Deutsch­lands

I

In die­sen schwe­ren Stun­den, wo je­der von uns mit dem tiefs­ten per­sön­li­chen Schmerz er­drückend emp­fin­det, dass ein Uner­setz­li­cher von uns ge­gan­gen, steigt leuch­tend, le­bens­frisch die Erin­ne­rung an ein­zel­nes em­por, das blitz­ar­tig in dem großen Füh­rer den großen Men­schen zeigt. Das har­mo­ni­sche Zu­sam­menklin­gen der Grö­ße des Füh­rers und des Men­schen präg­te Len­ins Ge­stalt und hat ihn für im­mer ein­ge­schr­eint in dem großen Her­zen des Welt­pro­le­ta­ri­ats, wie dies Marx als ruhm­voll­es Los der Kom­mu­ne­kämp­fer pries. Denn die Werk­tä­ti­gen, die dem Reich­tum Ge­op­fer­ten, die wie des Dich­ters Seu­me Ka­na­di­er »Eu­ro­pens über­tünch­te Höf­lich­keit« nicht ken­nen – lies: die kon­ven­tio­nel­len Lü­gen und Heu­che­lei­en der bür­ger­li­cheIhr Le­nin n Welt –, un­ter­schei­den mit fei­nem, in­stink­ti­vem Emp­fin­den zwi­schen Ech­tem und Unech­tem, zwi­schen schlich­ter Grö­ße und prot­zi­ger Auf­ge­bla­sen­heit, zwi­schen ih­nen zu­ge­wen­de­ter, auf­op­fe­rungs­vol­ler, tat­ge­bä­ren­der Lie­be und dem Ha­schen nach ei­ner Po­pu­la­ri­tät, in dem sich hoh­le Ei­tel­keit spie­gelt.

Es wi­der­strebt mir, Per­sön­li­ches in die Öf­fent­lich­keit zu tra­gen. Es deucht mich je­doch Pf­licht, ei­ni­ges aus dem Schatz mei­ner per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen an den un­ver­ge­ss­li­chen Füh­rer und Freund mit­zu­tei­len. Pf­licht ge­gen ihn, der uns durch Theo­rie und Tat ge­lehrt hat, dass der re­vo­lu­tio­näre Wil­le das ge­schicht­lich Nö­ti­ge und Vor­be­rei­te­te be­wusst zu for­men ver­mag. Pf­licht ge­gen die, de­nen sei­ne Lie­be und sein Han­deln galt: die Pro­le­ta­ri­er, die Schaf­fen­den, Aus­ge­beu­te­ten, Un­frei­en der gan­zen Welt, die sein mit­füh­len­des Herz als Lei­den­de um­fass­te und die sein stol­zer Ge­dan­ke als re­vo­lu­tio­näre Kämp­fer, als Er­bau­er ei­ner hö­he­ren Ge­sell­schafts­ord­nung wer­te­te.

*

Es war im Früh­herbst 1920, als ich Le­nin zum ers­ten Male wie­der­sah, seit die rus­si­sche Re­vo­lu­ti­on be­gon­nen hat­te, »die Welt zu er­schüt­tern«. Un­mit­tel­bar nach mei­ner An­kunft in Mos­kau, bei ei­ner Par­tei­ta­gung im Swerd­low-Saal des Kreml, wenn ich mich recht er­in­ne­re. Le­nin er­schi­en mir un­ver­än­dert, kaum ge­al­tert. Ich hät­te Eide schwö­ren mö­gen, dass er den glei­chen be­schei­de­nen, sau­ber ge­bürs­te­ten Rock trug, in dem ich ihn 1907 bei dem Welt­kon­greß der II. In­ter­na­tio­na­le zu Stutt­gart zum ers­ten Male ge­se­hen hat­te. Rosa Lu­xem­burg, der das Auge ei­nes Künst­lers für das Cha­rak­te­ris­ti­sche eig­ne­te, zeig­te mir Le­nin mit der Be­mer­kung: »Schau den da gut an! Das ist Le­nin. Sieh den ei­gen­wil­li­gen, hart­nä­cki­gen Schä­del! Ein echt rus­si­scher Bau­ern­schä­del mit ei­ni­gen leicht asia­ti­schen Li­ni­en. Die­ser Schä­del hat die Ab­sicht, Mau­ern um­zu­sto­ßen. Vi­el­leicht, dass er dar­an zer­schmet­tert. Nach­ge­ben wird er nie.«

In Hal­tung und Auf­tre­ten war Le­nin eben­falls ganz der alte. Die De­bat­ten wur­den ab und zu sehr leb­haft, ja stür­misch. Wie frü­her auf den Kon­gres­sen der II. In­ter­na­tio­na­le zeich­ne­te sich Le­nin da­bei durch auf­merk­sa­mes Beo­b­ach­ten und Ver­fol­gen der Ver­hand­lun­gen aus, durch die große, selbst­si­che­re Ruhe, die zu­sam­men­ge­ball­te in­ne­re An­teil­nah­me, Ener­gie und Elas­ti­zi­tät war. Das be­wie­sen sei­ne ge­le­gent­li­chen Zwi­schen­ru­fe und Be­mer­kun­gen, sei­ne län­ge­ren Aus­füh­run­gen, wenn er das Wort er­griff. Sei­nem schar­fen Blick, sei­nem kla­ren Geist schi­en nichts Be­mer­kens­wer­tes zu ent­ge­hen. Als her­vor­ra­gends­ten We­sens­zug Len­ins emp­fand ich wäh­rend der Sit­zung – wie stets spä­ter – die Sch­licht­heit und Herz­lich­keit, die Selbst­ver­ständ­lich­keit sei­nes Ver­kehrs mit al­len Ge­nos­sen. Ich sage Selbst­ver­ständ­lich­keit, denn ich hat­te den star­ken Ein­druck: Die­ser Mann kann sich nicht an­ders ge­ben, als er sich gibt. Es ist na­tür­li­cher Aus­druck in­ne­ren We­sens, wie er sich zu den Ge­nos­sen ver­hält.

Le­nin hat­te die un­be­strit­te­ne Füh­rung in ei­ner Par­tei, die ziel­set­zend und weg­wei­send den rus­si­schen Pro­le­ta­ri­ern und Bau­ern im Kampf um die Macht vor­an­ge­schrit­ten war und die nun, von ih­rem Ver­trau­en ge­tra­gen, re­gier­te, die Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats aus­üb­te. So­weit ein ein­zel­ner das sein kann, war Le­nin der Schöp­fer und Lei­ter des großen Rei­ches, das zum ers­ten Ar­bei­ter- und Bau­ern­staat der Welt um­ge­wälzt ward. Sei­ne Ge­dan­ken, sein Wil­le leb­ten in Mil­lio­nen, auch au­ßer­halb So­wjet­russ­lands. Sei­ne Auf­fas­sung war hier für jede wich­ti­ge Ent­schei­dung maß­ge­bend, sein Name ein Sym­bol der Hoff­nung und Be­frei­ung, wo im­mer es Aus­ge­beu­te­te und Un­ter­drück­te gibt. »Ge­nos­se Le­nin führt uns zum Kom­mu­nis­mus, wir hal­ten durch, wie schwer es auch sei«, er­klär­ten die rus­si­schen Ar­bei­ter, die, ein idea­les Reich höchs­ter Men­sch­lich­keit vor der See­le, hun­gernd, frie­rend an die Fron­ten eil­ten oder sich un­ter un­säg­li­chen Schwie­rig­kei­ten um die Wie­der­auf­rich­tung der In­dus­trie müh­ten. »Was brau­chen wir zu fürch­ten, dass die Her­ren wie­der­kom­men und uns die Äcker weg­neh­men? Il­jitsch und die Bol­sche­wi­ki mit den Rot­ar­mis­ten wer­den uns er­ret­ten.« So mein­ten die land­ge­sät­tig­ten Bau­ern. »Evi­va Le­nin!« stand auf der Mau­er mehr als ei­ner Kir­che in Ita­li­en, der Aus­druck en­thu­sias­ti­scher Be­wun­de­rung ir­gend­ei­nes Pro­le­ta­ri­ers, der in der rus­si­schen Re­vo­lu­ti­on die Bahn­bre­che­rin sei­ner Be­frei­ung grüß­te. Un­ter Len­ins Na­men sam­mel­ten sich in Ame­ri­ka wie in Ja­pan und In­di­en Re­bel­len wi­der die ver­skla­ven­de Macht der Be­sit­zer.

Wie ein­fach, wie be­schei­den trat Le­nin auf, der schon auf ein his­to­ri­sches Rie­sen­werk zu­rück­bli­cken konn­te und auf dem eine er­drücken­de Last gläu­bi­gen Ver­trau­ens, schwers­ter Verant­wort­lich­keit und nie en­den­der Ar­beit lag! Er tauch­te ganz in der Mas­se der Ge­nos­sen un­ter, war eins mit ihr, war ei­ner von vie­len. Mit kei­ner Ges­te, kei­ner Mie­ne woll­te er als »Per­sön­lich­keit« wir­ken. Sol­ches Ge­ha­be war ihm fremd, denn er war wirk­lich eine Per­sön­lich­keit. Unauf­hör­lich brach­ten Ku­rie­re Mit­tei­lun­gen von den ver­schie­de­nen Kanz­lei­en, von Zi­vil- und Mi­li­tä­r­or­ga­nen. Mit­tei­lun­gen, die oft durch ein paar rasch hin­ge­wor­fe­ne Zei­len be­ant­wor­tet wur­den. Le­nin hat­te für je­den ein freund­li­ches Lä­cheln oder Zu­ni­cken, des­sen Wi­der­schein stets ein freu­de­strah­len­des Ge­sicht war. Wäh­rend der Ver­hand­lun­gen fan­den ab und zu un­auf­fäl­li­ge Ver­stän­di­gun­gen mit füh­ren­den Ge­nos­sen statt. Wäh­rend der Pau­sen ein wah­rer An­sturm auf Le­nin. Ge­nos­sen und Ge­nos­sin­nen aus Mos­kau, Pe­tro­grad, aus den ver­schie­dens­ten Zen­tren der Be­we­gung und Ju­gend­li­che, vie­le Ju­gend­li­che um­dräng­ten ihn. »Wla­di­mir Il­jitsch, bit­te …« »Ge­nos­se Le­nin, Sie dür­fen nicht ab­schla­gen …« »Wir wis­sen wohl, Il­jitsch, dass Sie … aber …« So und so ähn­lich schwirr­ten Bit­ten, An­fra­gen, Vor­schlä­ge durch­ein­an­der.

Le­nin war im An­hö­ren und Ant­wor­ten von un­er­schöpf­li­cher, rüh­ren­der Ge­duld. Er hat­te ein of­fe­nes Ohr und einen gu­ten Rat für jede Par­tei­sor­ge wie für per­sön­li­che Schmer­zen. Her­zer­qui­ckend war die Art und Wei­se, wie er mit der Ju­gend ver­kehr­te – ka­me­rad­schaft­lich, frei von je­der pe­dan­ti­schen Schul­meis­te­rei, von je­dem Dün­kel, dass das Al­ter al­lein schon eine un­über­treff­li­che Tu­gend sei. Le­nin be­weg­te sich als glei­cher un­ter glei­chen, mit de­nen er durch alle Fa­sern sei­nes Her­zens ver­bun­den war. Er hat­te nicht die Spur ei­nes »Her­ren­menschen« an sich, sei­ne Au­to­ri­tät in der Par­tei war die ei­nes idea­len Va­ters, des­sen Über­le­gen­heit man sich in dem Be­wusst­sein fügt, dass er ver­steht und ver­stan­den sein will. Nicht ohne Bit­ter­keit kam mir in der At­mo­sphä­re um Le­nin die Erin­ne­rung an die steif­lei­ne­ne Gran­dez­za der »Par­tei­vä­ter« der deut­schen So­zi­al­de­mo­kra­tie. Und erst recht an das ge­schmack­lo­se Par­ven­ü­tum, mit dem der So­zi­al­de­mo­krat Ebert als »Herr Reich­s­prä­si­dent« der Bour­geoi­sie ab­zu­gu­cken be­flis­sen ist, »wie sie sich räus­pert und wie sie spuckt«, ein Par­ven­ü­tum, das je­den Stolz auf die his­to­ri­sche Be­deu­tung des Pro­le­ta­ri­ats und jeg­li­che mensch­li­che Wür­de ver­ges­sen lässt. Frei­lich: Die­se Her­ren wa­ren nie so »tö­richt und ver­mes­sen« wie Le­nin, »eine Re­vo­lu­ti­on ma­chen zu wol­len«. Und un­ter ih­rer Hut kann die Bour­geoi­sie in des wei­land »rö­mi­schen Rei­ches Kin­der­stu­be« einst­wei­len noch si­che­rer schnar­chen als zu Hein­rich Hei­nes Zeit un­ter 34 Mon­ar­chen. Bis die Re­vo­lu­ti­on end­lich auch hier aus den Flu­ten des ge­schicht­lich Vor­be­rei­te­ten und Not­wen­di­gen em­portaucht und die­ser Ge­sell­schaft zu­don­nert: »Quos ego!«

*

Mein ers­ter Be­such bei der Fa­mi­lie Len­ins ver­tief­te den Ein­druck, den ich auf der Par­tei­kon­fe­renz emp­fan­gen hat­te und der seit­her bei meh­re­ren Be­spre­chun­gen ver­stärkt wor­den war. Ge­wiss, Le­nin wohn­te im Kreml, der frü­he­ren Za­ren­burg, und man muss­te an man­cher Wa­che vor­über, ehe man zu ihm ge­lang­te – eine Maß­re­gel, die durch die da­mals noch nicht auf­ge­ge­be­nen kon­ter­re­vo­lu­tio­nären At­ten­tatsplä­ne ge­gen die Füh­rer der Re­vo­lu­ti­on ge­recht­fer­tigt war. Le­nin emp­fing auch, wenn es sein muss­te, in präch­ti­gen, gold­strot­zen­den Staats­ge­mä­chern. Je­doch sei­ne Pri­vat­woh­nung war von äu­ßers­ter Ein­fach­heit und An­spruchs­lo­sig­keit. Ich bin in mehr als ei­ner Ar­bei­ter­woh­nung ge­we­sen, die weit rei­cher aus­ge­stat­tet war als das Heim des »all­mäch­ti­gen mos­ko­wi­ti­schen Dik­ta­tors«. Ich fand Frau und Schwes­ter Len­ins beim Abend­brot, das zu tei­len ich so­fort herz­lichst ein­ge­la­den wur­de. Es war ein­fach, wie das die Schwe­re der Zeit for­der­te: Tee, Schwarz­brot, But­ter, Käse. Spä­ter muss­te die Schwes­ter »dem Gast zu Ehren« nach­se­hen, ob nicht et­was »Sü­ßes« da sei, und sie ent­deck­te glück­lich ein klei­nes Gläs­chen mit ein­ge­mach­ten Bee­ren. Es war be­kannt, dass die Bau­ern »ih­ren Il­jitsch« mit reich­li­chen Sen­dun­gen von weißem Mehl, Speck, Ei­ern, Obst usw. be­dach­ten, aber man wuss­te auch, dass nichts da­von in Len­ins Haus­hal­tung blieb. Al­les wan­der­te in die Kran­ken­häu­ser und Kin­der­hei­me; die Fa­mi­lie Len­ins hielt streng den Grund­satz fest, nicht bes­ser zu le­ben als die an­de­ren, das heißt die schaf­fen­den Mas­sen.

Ge­nos­sin Krups­ka­ja, Len­ins Frau, hat­te ich seit der In­ter­na­tio­na­len So­zia­lis­ti­schen Frau­en­kon­fe­renz zu Bern im März 1915 nicht ge­se­hen. Ihr lie­bes Ge­sicht mit den war­men, gü­ti­gen Au­gen trug un­ver­wisch­ba­re Zei­chen der tücki­schen Krank­heit, die an ihr zehrt. Aber da­von ab­ge­se­hen, war auch sie die glei­che ge­blie­ben, die Ver­kör­pe­rung der Auf­rich­tig­keit, der Be­schei­den­heit des We­sens und ei­ner ge­ra­de­zu pu­ri­ta­ni­schen Sch­licht­heit. Mit ih­rem glatt zu­rück­ge­kämm­ten Haar, am Hin­ter­kopf in einen kunst­lo­sen Kno­ten auf­ge­steckt, in ih­rem schmuck­lo­sen Kleid konn­te man sie für eine ab­ge­hetz­te Ar­bei­ter­frau hal­ten, de­ren ewi­ge Sor­ge ist, Zeit zu spa­ren, Zeit zu ge­win­nen. Die »ers­te Frau des großen rus­si­schen Rei­ches« – nach bür­ger­li­cher Auf­fas­sung und Ter­mi­no­lo­gie – ist un­strei­tig die ers­te an op­fer­freu­di­ger Selbst­ver­ges­sen­heit, an Hin­ge­bung für die Sa­che der Müh­se­li­gen und Be­la­de­nen. Die in­nigs­te Ge­mein­schaft des Le­bens­we­ges und Le­bens­wer­kes ver­ei­nig­te sie mit Le­nin. Un­mög­lich von ihm zu spre­chen, ohne ih­rer zu ge­den­ken. Sie war »Len­ins rech­te Hand«, sein obers­ter und bes­ter Se­kre­tär, sei­ne über­zeug­tes­te Ide­en­ge­nos­sin, die kun­digs­te Deute­rin und Ver­mitt­le­rin sei­ner An­sich­ten, eben­so un­er­müd­lich dar­in, dem ge­nia­len Meis­ter tat­kräf­tig und mit Klug­heit Freun­de und An­hän­ger zu wer­ben, als in sei­nem Sin­ne pro­pa­gan­dis­tisch un­ter der Ar­beiter­schaft zu wir­ken. Da­ne­ben hat­te sie ih­ren ei­ge­nen, per­sön­li­chen Tä­tig­keits­kreis, dem sie sich mit gan­zer See­le wid­me­te: das Volks­bil­dungs- und Er­zie­hungs­we­sen.

Die Ver­mu­tung wäre lä­cher­lich, wäre be­lei­di­gend ge­we­sen, dass Ge­nos­sin Krups­ka­ja im Kreml als »Len­ins Frau« re­prä­sen­tier­te. Sie ar­bei­te­te und sorg­te mit ihm, für ihn, wie sie das ein Le­ben lang ge­tan hat­te, auch wenn die Il­le­ga­li­tät und die här­tes­ten Ver­fol­gun­gen sie trenn­ten. Eine tief müt­ter­li­che Na­tur, mach­te Ge­nos­sin Krups­ka­ja – von Len­ins Schwes­ter Ma­ria Il­ji­nit­sch­na da­bei lie­be­voll un­ter­stützt – die Woh­nung zu ei­nem »Heim« im edels­ten Sin­ne des Wor­tes. Si­cher­lich nicht in der Be­deu­tung deut­scher Spieß­bür­ger­lich­keit, wohl aber durch die geis­ti­ge At­mo­sphä­re, die es er­füll­te und die der Aus­fluss der Be­zie­hun­gen war, die die hier le­ben­den und we­ben­den Men­schen mit­ein­an­der ver­band. Man emp­fand es, in die­sen Be­zie­hun­gen war al­les auf das Ech­te, auf Wahr­haf­tig­keit, Ver­ste­hen und Herz­lich­keit ge­stimmt. Ob­gleich ich Ge­nos­sin Krups­ka­ja bis da­hin nur we­nig per­sön­lich ge­kannt hat­te, fühl­te ich mich doch so­fort in ih­rem »Reich« und un­ter ih­rer freund­schaft­li­chen Für­sor­ge wie zu Hau­se. Als Le­nin kam und et­was spä­ter, von der Fa­mi­lie aufs freu­digs­te be­grüßt, eine große Kat­ze er­schi­en, die dem »Schre­ckens­füh­rer« auf die Schul­ter sprang und es sich dann auf sei­nem Schoß be­quem mach­te, hät­te ich wirk­lich wäh­nen kön­nen, da­heim zu sein oder bei Rosa Lu­xem­burg und ih­rer für die Freun­de ge­schicht­lich ge­wor­de­nen Kat­ze »Mimi«.

Le­nin fand uns drei Frau­en im Ge­spräch über Kunst, Bil­dungs- und Er­zie­hungs­fra­gen. Ich äu­ßer­te ge­ra­de mei­ne en­thu­sias­ti­sche Be­wun­de­rung für die ein­zig da­ste­hen­de, ti­ta­nen­haf­te Kul­tu­r­ar­beit der Bol­sche­wi­ki, für das Re­gen und Be­we­gen schöp­fe­ri­scher Kräf­te, die der Kunst und Er­zie­hung neue Bah­nen öff­nen woll­ten. Da­bei ver­hehl­te ich nicht den emp­fan­ge­nen Ein­druck, dass sich reich­lich viel un­si­che­res, un­kla­res Tas­ten und Ex­pe­ri­men­tie­ren zei­ge und zu­sam­men mit dem lei­den­schaft­li­chen Rin­gen nach neu­em In­halt, neu­en For­men, neu­en We­gen des Kul­tur­le­bens auch man­che künst­le­ri­sche, kul­tu­rel­le »Mo­de­fatz­ke­rei« nach west­li­chem Mus­ter. Le­nin griff so­fort sehr leb­haft in das Ge­spräch ein.

»Das Er­wa­chen, die Be­tä­ti­gung von Kräf­ten, die So­wjet­russ­land eine neue Kunst und Kul­tur schaf­fen wol­len«, sag­te er, »ist gut, ganz gut. Das stür­mi­sche Tem­po die­ser Ent­wick­lung ist be­greif­lich und nütz­lich. Wir müs­sen und wol­len nach­ho­len, was in Jahr­hun­der­ten ver­säumt wor­den ist. Die chao­ti­sche Gä­rung, das fie­ber­haf­te Su­chen nach neu­en Lö­sun­gen und Lo­sun­gen, das ›Ho­si­an­na‹ für be­stimm­te Kunst- und Geis­tes­rich­tun­gen heu­te, das ›Kreu­zi­get sie‹ mor­gen: all das ist un­ver­meid­lich.